D SZeitschrift - 50 Jahre Berufsverbote - Betriebsratswahlen - GEW Bayern
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- 50 Jahre Berufsverbote - Betriebsratswahlen Zeitschrift DDS der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Bayern Januar/Februar 2022
2 DDS Januar/Februar 2022 50 Jahre Berufsverbote 50 Jahre Berufsverbote und kein Ende? – Am 3 Kein Grund zum Feiern – 50 Jahre »Radikalenerlass« 28. Januar 2022 jährte sich der sogenannte »Radikalenerlass« von Torsten Bultmann zum 50. Mal. Allein von 1972 bis 1978 überprüfte der Inlands- 5 Wie wird man ein »Verfassungsfeind«? von Friedrich Sendelbeck geheimdienst 1,3 Mio. Personen. Er mutierte quasi zur Neben- 7 50 Jahre Berufsverbote – 45 Jahre Betroffenheit und einstellungsbehörde. Kanzler Brandt sprach später mit Blick eigene Geschichte zurück von einem Fehler. Der niedersächsische Landtag ent- von Jörn Bülck schuldigte sich 2016 als bisher einziger Landtag mehrheitlich 9 »Ideologie ist wie Mundgeruch immer das, was die bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht. Bayern ist davon anderen haben.« Terry Eagleton von Kilian Gremminger noch weit entfernt. 11 Über die »Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Und die Ampelkoalition? Der Koalitionsvertrag sieht keine Ent- Dienst« schuldigung, keine Rehabilitierung, keine Entschädigung für von Rote Hilfe e. V. die Betroffenen der Berufsverbote vor. Diese und viele andere 12 50 Jahre Berufsverbote befürchten vielmehr eine Neuauflage der Bespitzelung, denn Einladung zu Online-Veranstaltungen und Diskussion 13 Erlesenes zum Thema die Regierung kündigt in ihrem Vertragswerk an, »Gefährder- »Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts« Definitionen vereinheitlichen, deren Früherkennung forcieren Betriebsratswahl 2022 und für eine koordinierte Überwachung sorgen« zu wollen – dies gelte übrigens für jede Form des Extremismus. 14 Wahlvorstände und Betriebsräte rechtssicher wählen Auch wenn die Regierung im Rechtsextremismus »derzeit die 15 Der Weg zum Betriebsrat muss nicht steinig sein Interview mit Prof. Dr. Ingrid Artus größte Bedrohung unserer Demokratie« sieht, so reichen da- 16 Wichtige Informationen zur Betriebsratswahl 2022 gegen die bestehenden Gesetze allemal aus. Man muss es nur Was es sonst noch gibt wollen. Eine Rückkehr zum »Radikalenerlass« wäre hingegen 17 Berichte ein Griff in die antidemokratische Mottenkiste. - Petition für den Erhalt der Geistes- und Sozialwissenschaften über- Dorothea Weniger geben - GEW Straubing-Bogen diskutiert mit Filmteam: Keine Plattform für Neonazis SuE-Tarifrunde: - Die optimale Ganztagesbildung – eine Teamaufgabe! Wir sind die Profis! - »Heute ist ein guter Tag, um die Welt zu retten« - Blick zurück auf die TV-L-Warnstreiks 2021 – verbunden mit einem Eigentlich sollte die Tarifrun- hoffnungsvollen Blick nach vorn auf die nächsten Verhandlungen de Sozial- und Erziehungs- - Lehrkräfte betrauerten am 17. November Verlust von Bildungs- dienst (SuE) schon im Jahr qualität 2020 stattfinden. Coronabe- 20 aus der GEW dingt wurde sie dann aber GEW-Kreisverband Memmingen-Unterallgäu ehrt langjährige Mitglieder erst einmal auf Eis ge- 21 Nachrufe legt. Doch jetzt ist es so - Trauer um Haydar Işik - Gedenken an Heidelinde Gahler weit. Die SuE-Tarifrunde betrifft die Beschäftig- Rubriken ten in der Kita, Sozialar- 22 Veranstaltungen beit und Behindertenhilfe 23 Geburtstage und Jubiläen (vgl. DDS 12/2021, S. 3). 24 Kontakte Bei Druckunterlagenschluss für diese DDS gab es noch kei- ne Informationen zu den Verhandlungen, doch sind diese Telefonische Rechtsberatung für Mitglieder hier inzwischen veröffentlicht: derzeit nur nach Terminvereinbarung. www.gew.de/wir-sind-die-profis Dazu bitte E-Mail senden: rechtsstelle@gew-bayern.de Eure GEW Bayern Tel.: 089 544081-14 Bitte Mitgliedsnummer bereithalten! Impressum: Liebe Kolleg*innen, DDS • Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im DGB, Landesverband Bayern Geschäftsstelle: Neumarkter Str. 22, 81673 München, 089 5440810 wegen der dynamischen Situation hinsichtlich des Infekti- E-Mail: info@gew-bayern.de • gew-bayern.de • facebook.com/GEWBayern/ onsschutzes und ihrer Auswirkungen können gba-Semina- Redaktionsleiterin: Dorothea Weniger, Neumarkter Str. 22, 81673 München re im Moment leider nur mit wenig Vorlauf und per E-Mail E-Mail: dorothea.weniger@gew-bayern.de an GEW-Mitglieder ausgeschrieben werden. Bitte achtet Redaktionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Verena Escherich, Kilian Gremminger, Wolfgang Häberle, Hannes Henjes, Karin Just, Petra Nalenz, Gele Neubäcker, Magnus Treiber, Chrissi Wagner, deshalb bei Interesse darauf, dass der Mitgliederverwal- Wolfram Witte tung eure aktuelle Adresse vorliegt, und teilt diese doch im Gestaltung: Karin Just Zweifelsfall gerne nochmals mit: mitgliederverwaltung@ Bildnachweis: (soweit nicht beim Foto berücksichtigt): Titel: IMAGO / Klaus Rose, privat gew-bayern.de Druck: Druckwerk GmbH, Schwanthalerstr. 139, 80339 München 089 5029994 GEW Bayern Anzeigenannahme: nur über die Redaktionsleitung Anzeigenverwaltung: Druckwerk GmbH, Schwanthalerstr. 139, 80339 München 089 5029994, E-Mail: team@druckwerk-muenchen.de Aktuelle Mitgliedsdaten melden Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 14 vom 1.1.2017 gültig. Mit Namen oder Namenskennzeichen gekennzeichnete Beiträge stellen die Meinung der betref- Deine Mitgliedsdaten (Adresse, Bankverbindung, Eingruppierung, Beschäf- fenden Verfasser*innen dar und bedeuten nicht ohne Weiteres eine Stellungnahme der GEW tigungsart, Teilzeit, Erziehungsurlaub, Arbeitsstelle ...) haben sich geändert? Bayern oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Druckschriften wird keine Dann kannst du diese online unter gew-bayern.de/anmeldung selbst aktuali- Gewähr übernommen. Bei allen Veröffentlichungen behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Der sieren. Dort findest du auch deine Beitragsbescheinigung für das Finanzamt. Bezugspreis ist für GEW-Mitglieder des Landesverbandes Bayern im Mitgliedsbeitrag inbegriffen. Der Du kannst deine Änderungsmitteilungen aber auch weiterhin postalisch Bezugspreis für Nichtmitglieder beträgt jährlich 21 EUR zuzüglich Porto, der Preis der Einzelnummer an die Geschäftsstelle der GEW Bayern senden oder dich per E-Mail an die 2,50 EUR zuzüglich Porto. GEW-Mitgliederverwaltung wenden: mitgliederverwaltung@gew-bayern.de Die DDS erscheint monatlich mit Ausnahme der Monate Januar und August. Grundsatz aller Gewerkschaften: Wer weniger verdient, zahlt weniger Adressenänderung: Ummeldungen bitte an die Landesgeschäftsstelle der GEW. Beitrag (wenn es uns mitgeteilt wird!). Der Rechtsschutz wird nur gewährt, Redaktions- und Anzeigenschluss: jeweils am 6. des Vormonats. wenn der satzungsgemäße Beitrag entrichtet wurde.
DDS Januar/Februar 2022 3 Kein Grund zum Feiern – 50 Jahre »Radikalenerlass« Foto: IMAGO / Klaus Rose Am 28. Januar 1972 verständigten Beschäftigten und 260 Entlassungen. »kommunistischen Kampfbegriff«, da sich der damalige Bundeskanzler Willy Dabei wurde durchweg nicht etwa ar- eine bestimmte Ausbildung oder ein be- Brandt und die Ministerpräsidenten der beits- oder dienstrechtlich mit etwaigen stimmtes Studium keinen Anspruch auf Länder darauf, dass die Mitgliedschaft Verfehlungen argumentiert, sondern einen bestimmten Arbeitsplatz schaffen in einer Organisation, die »verfassungs- ausschließlich mit der politischen Gesin- würde. Für die Privatwirtschaft trifft dies feindliche Ziele verfolgt«, Zweifel an nung der Betroffenen. Über den Umfang auch zu. Eine bloße Stellenbewerbung der Verfassungstreue begründe. Dies der Überprüfungen im Zuge der »Regel- erzeugt keinen Anspruch auf Einstellung. rechtfertige die Ablehnung einer Be- anfrage« liegen nur Schätzungen vor, die In Schule und Hochschule jedoch hat der werbung für den öffentlichen Dienst. sich bei etwa 3,5 Millionen überprüften Staat zu 95 Prozent das Beschäftigungs- Am 28. Januar 2022 jährt sich nun der Personen einpendeln. Eine enorme Zahl, monopol. Der kleine Sektor der Privat- sogenannte »Radikalenerlass« zum die darin begründet ist, dass das gesam- schulen, an dem tatsächlich einige we- fünfzigsten Mal. te soziale Umfeld der Bewerber*innen nige Berufsverbotsopfer unterkamen, mit ausgeschnüffelt wurde. konnte allerdings die Dimension von Die Feststellung einer »Verfassungs- Nichteinstellungen nicht kompensieren. feindlichkeit«, ein schwammiger politi- Versuche Zu bedenken ist auch, dass Anfang der scher Kampfbegriff, wurde an den Ver- der Rechtfertigung 70er-Jahre in manchen Bundesländern fassungsschutz delegiert: Instrument 25 Prozent der Studienplätze auf das zur Umsetzung des Beschlusses war die Die vermeintliche Logik des »Radi- Lehramt ausgerichtet waren. neu eingeführte »Regelanfrage«, der kalenerlasses« brachte der damalige sich alle Bewerber*innen für den öffent- Hamburger Bürgermeister Peter Schulz Eine politische lichen Dienst unterziehen mussten, die (SPD) auf den Punkt: »Es genügt der Einordnung aber auch auf dort bereits Festangestell- ernsthafte Zweifel daran, dass der Be- te ausgeweitet wurde. Im Zentrum der werber sich für unsere demokratische Warum verstieg man sich zu diesen Maßnahmen standen die Beschäftigten Grundordnung einsetzt. Er hat, wenn Sie Maßnahmen? Zumal die Koalitionsre- in Bildungseinrichtungen (Schulen und so wollen, die Beweislast.« Schuldig bei gierung (SPD/FDP) 1969 angetreten Hochschulen), hauptsächlich betroffen Verdacht und Umkehrung der Beweis- war, um »mehr Demokratie zu wagen«? waren also die Organisationsbereiche last für Beschuldigte – so der Höhepunkt Berufsverbotsmaßnahmen trafen fast der GEW. In einzelnen Fällen traf es »rechtsstaatlichen Denkens« durch ei- ausschließlich linke bzw. als »linksext- aber auch Briefträger und Lokführer. In nen Amtsträger. remistisch« eingestufte Organisationen, den folgenden Jahren führte dieser Be- Die Befürworter*innen dieser Maß- die in allen Fällen legal waren. Die Be- schluss zu rund 11.000 Berufsverbots- nahmen argumentierten, es könne gar rufsverbote der 70er-Jahre standen in verfahren, 1.250 Nichteinstellungen, keine Berufsverbote geben. Es handele einer wesentlich längeren Tradition. Die 2.200 Disziplinarverfahren von bereits sich vielmehr um einen vermeintlich BRD wurde nach dem Zweiten Weltkrieg
4 DDS Januar/Februar 2022 als antikommunistischer Frontstaat im nen. Unter »Beobachtung« im Sinne die Berufsverbote auch am Beispiel der Kalten Krieg gegründet. In dieser Logik einer »Kontaktschuld« gerieten auch Lehrerin Sylvia Gingold an, der Tochter erfolgte 1956 das KPD-Verbot. Bereits Aktivist*innen politischer Bündnisse, eines jüdischen kommunistischen Emi- 1950 wurde der sogenannte »Adenau- in denen Kommunist*innen mitarbei- granten, der in der französischen Resis- er-Erlass« verkündet. Er zählte dreizehn teten; etwa der VVN-BdA (Vereinigung tance gekämpft hatte. Die bundesweit Organisationen – elf linke und zwei fa- der Verfolgten des Naziregimes – Bund koordinierten »Initiativen gegen Be- schistische – auf, deren Mitglieder aus der Antifaschistinnen und Antifaschis- rufsverbote« entwickelten sich in den dem öffentlichen Dienst zu entlassen ten), der VDJ (Vereinigung demokrati- 70er-Jahren zu einer Massenbewegung. oder von diesem von vornherein fern- scher Juristinnen und Juristen) oder der Hier zogen diverse linke Organisationen, zuhalten waren. Als in den 60er-Jahren DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft die ansonsten auch zerstritten waren, aufgrund der Außerparlamentarischen – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) an einem Strang. In der zweiten Hälfte Opposition (APO) und der 68er-Studie- etc. Dies beförderte ein Klima der Ein- der 70er-Jahre entwickelte sich eine an- rendenbewegung linke und sozialisti- schüchterung, der Entpolitisierung und haltende Lehrer*innenarbeitslosigkeit, sche Ideen in der Jugend an Boden ge- der Denunziation. Ein banales Beispiel: die »politische« Nichteinstellungsgrün- wannen, wurde 1968 mit der Gründung Im Vor-Internet-Zeitalter waren Unter- de zunehmend erübrigte. 1980 dann der DKP wieder eine kommunistische schriftensammlungen auf Papier we- schafften die SPD-regierten Länder die Partei zugelassen (auch mit Unterstüt- sentlich häufiger als heute ein Mittel, »Regelanfrage« ab; Bayern und Baden- zung der Bundesregierung). Der mit die- um auf Probleme hinzuweisen und po- Württemberg erst Anfang der 90er-Jah- ser Partei verbundene Marxistische Stu- litische Forderungen zu bekräftigen. Ich re. Eine »Bedarfsanfrage« für Einzelfälle dentenbund (MSB) Spartakus gewann erinnere mich selbst daran, dass darauf blieb jedoch bestehen und in Bayern starken Einfluss an den Hochschulen Angesprochene häufig äußerten, sie wird vor einer Einstellung in den öffent- und bildete in Kooperation mit Nichtor- würden zwar die Forderungen gänzlich lichen Dienst die Zugehörigkeit zu diver- ganisierten und sozialdemokratischen unterstützen, könnten allerdings nicht sen Organisationen – von al-Qaida bis Verbänden wie dem SHB viele Allgemei- riskieren, mit den »falschen« Leuten auf zur Linkspartei – abgefragt. Auch diese ne Studierendenausschüsse (ASten). An einer Adressenliste zu stehen. Im Kern »Reste« gehören abgeschafft und die anderen Hochschulstandorten domi- führte der »Radikalenerlass« also zu ei- flächendeckende Gesinnungsschnüffelei nierten die sogenannten K-Gruppen, die nem antidemokratischen Verbot freier darf nie wieder aufleben. Eine Rehabili- sich an der Volksrepublik China orien- politischer Betätigung. tierung und Entschädigung der von Be- tierten. Die Resonanz dieser politischen Was schließlich den entscheidenden rufsverboten Betroffenen wäre zudem Strömungen vergrößerte sich erheblich, Ausschlag für das Auslaufen der Berufs- ein Zeichen demokratischer Stärke. nachdem mit der Hochschulreform die verbotspraxis gab, ist umstritten. Jeden- Studierendenzahlen drastisch anstie- falls häufte sich die Kritik aus dem In- und gen. Anfang der 70er-Jahre bildeten lin- Ausland; insbesondere aus Frankreich, ke Koalitionen die weit überwiegende wo eine damals sehr starke Kommunisti- Mehrheit der Studierendenvertretun- sche Partei (PCF) ab 1972 sogar kurzzei- von Torsten Bultmann gen. Vor diesem Hintergrund eröffneten tig in der Regierung war. Der französische Mitglied des Beirats des CDU/CSU, insbesondere nachdem sie Publizist Alfred Grosser erhielt 1975 den Bundes demokratischer 1969 auf Bundesebene in die Opposi- Friedenspreis des Deutschen Buchhan- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tion geraten waren, ein publizistisches dels und prangerte in seiner Preisrede Dauerfeuer gegen eine »kommunisti- sche Unterwanderung« und die »Volks- front an den Hochschulen«. Die Bun- desregierung musste sich mit ähnlicher Die GEW Nürnberg lädt zu Vortrag und Ausstellung ein Rhetorik aufgrund ihrer Vertrags- und Entspannungspolitik mit den sozialisti- Der »Radikalenerlass« schen Ländern eine Verharmlosung des »Kommunismus« vorwerfen lassen. Of- feiert Geburtstag fenbar diente ihr der »Radikalenerlass«, 50 Jahre danach berichten Be- den Willy Brandt wenige Jahre später als troffene aus der Region. »Irrtum« eingestand, dem Zweck innen- Parallel dazu wird eine von politischer Entlastung, um ihre Haupt- der GEW erstellte Ausstellung projekte – Entspannungspolitik mit dem gezeigt. Osten und innere Reformen (Bildung, Justiz, Familienrecht etc.) – abzusichern. Samstag, 19. Februar 2022 ab 10 Uhr Politische Konsequenzen DGB-Haus Nürnberg, 7. Stock Die politischen Wirkungen dieses Hinweis: Auch die GEW Bayern wird fünf Veranstaltungen zum Thema Erlasses waren fatal. Betroffen waren »50 Jahre Berufsverbote« anbieten (vgl. gew-bayern.de/berufsverbote und keineswegs nur unmittelbare Mitglie- Seite 12 dieser DDS. der der inkriminierten Organisatio-
DDS Januar/Februar 2022 5 Wie wird man ein »Verfassungsfeind«? Foto: IMAGO / Klaus Rose Mein Name ist Friedrich Sendel- wird es schon schwierig, ein Feind und Sozialkunde erfolgreich abschloss beck. Ich bin seit fast 50 Jahren Gewerk- von etwas zu werden, das einem nicht und mich für das Referendariat bewarb, schaftsmitglied und hatte dort viele nahegebracht wurde. Nachdem ich ahnte ich noch nicht, dass ich zwar als Funktionen inne, u. a. im Stadtvorstand dann in den frühen 70er-Jahren die Tutor an einer Universität des Freistaats des DGB Nürnberg und im GEW-Kreis- Schule absolvierte und mein Studium Bayern hatte arbeiten können, mir aber vorstand. Meine Frage heute: Wie wird begann, konnte ich nicht umhin, mir im Februar – ich erfuhr dies erst nach man ein »Verfassungsfeind«? unsere Verfassung, das Grundgesetz, einer telefonischen Nachfrage beim näher anzuschauen. Dabei wurde ich Kultusministerium – der Zugang zur Meine Antwort: Ich wurde ein solcher aber erst recht kein Feind dieser Ver- zweiten Phase meiner Lehrerausbil- – oder besser: Ich wurde zu einem sol- fassung, denn für mich waren z. B. die dung verwehrt werden würde. chen gemacht. Ich empfand mich näm- in Artikel 20 Grundgesetz niedergeleg- lich nie als Feind der Verfassung. Im ten Grundsätze der Demokratie und Dritte Vorbemerkung Unterschied dazu sah ich aber an vielen des Sozialstaats sehr vernünftige und Stellen eine Diskrepanz zwischen dem wünschenswerte Grundsätze, die ich Ich erinnere mich noch gut an den Na- Verfassungstext und der Verfassungs- jedoch noch lange nicht als verwirklicht men des Ministerialrats Himmelstoß, wirklichkeit. Bevor ich beginne, hier ansah. Ob ich damit schon ein Verfas- der bei einem Anruf im Ministerium noch drei Vorbemerkungen. sungsfeind war? zunächst meinte, dass ich an einem Gymnasium in Erlangen eingesetzt Erste Vorbemerkung Zweite Vorbemerkung würde. Auf Nachfrage erklärte er dann allerdings, dass »Bedenken« bezüglich In meiner Schulzeit kam ich so gut wie Als ich 1976 mein Lehramtsstudium in meiner Verfassungstreue vorlägen. Das nie in Kontakt mit der Verfassung! Da den Fächern Geschichte, Germanistik Weitere bekäme ich dann schriftlich.
6 DDS Januar/Februar 2022 Damit war ich als »Verfassungsfeind« Bayern die Lehrerausbildung aus- Erste Nachbemerkung abgestempelt. Dies schockierte mich schließlich im Beamtenverhältnis statt- zunächst sehr, denn um meine Ausbil- finden könne. Gleichzeitig hatte das Ich musste ja während dieser Zeit mei- dung abschließen zu können, war ich Kultusministerium Rechtsmittel gegen nen Lebensunterhalt verdienen und auf das Referendariat angewiesen. das Arbeitsgericht eingelegt. Somit arbeitete in der privaten Erwachse- Doch warum sah sich das Kultusminis- stand ich 1985 – nach der genannten nenbildung zu viel schlechteren Bedin- terium dazu veranlasst, aus mir einen Rechtsänderung – also vor dem Lan- gungen als im staatlichen Schuldienst.1 »Verfassungsfeind« zu machen? Denn desarbeitsgericht (LAG). Der Richter Dort war ich viele Jahre im Betriebsrat ganz nebenbei: Von den fünf gegen dort machte es sich sehr einfach und und danach Gewerkschaftssekretär, mich vorgebrachten »Erkenntnissen«, erklärte, dass mein Antrag, als Ange- zunächst bei der GEW Bayern und an- die Anlass dazu geben sollten, mich als stellter beschäftigt zu werden, auf- schließend noch über zehn Jahre bei »Verfassungsfeind« zu bezeichnen, wa- grund der nunmehrigen Rechtslage ver.di Mittelfranken. Diesen Positionen ren vier offensichtlich falsch. So soll ich nicht möglich sei. Er hob das Urteil verdanke ich es u. a., dass ich heute z. B. eine politische Veranstaltung in ei- des Arbeitsgerichts auf. Dagegen ging eine Rente erhalte, die zwar immer nem Jugendzentrum geleitet haben, als ich vor und zog vor das Bundesarbeits- noch deutlich niedriger als die Pension es dieses noch gar nicht gab. Doch auch gericht (BAG). Die dortigen Richter ist, aber mich doch über das Niveau der abgesehen davon ist es ein Grundrecht, hielten das bayerische »Maßnahme- Grundsicherung hebt. sich politisch zu informieren. gesetz« wegen Verstoßes gegen die Da mir bezüglich der Anschuldigungen Rechtsprechung des Bundesverfas- Zweite Nachbemerkung eine Anhörung verwehrt wurde, nahm sungsgerichts für rechtswidrig und ver- ich schriftlich dazu Stellung. Dabei wies wiesen deshalb meine Klage zur Vorla- Ich wurde vor etwa fünf Jahren gebe- ich auch darauf hin, dass ich ja wäh- ge nach Karlsruhe. ten, an einer Bildungseinrichtung der rend meines Studiums bereits als Tutor Erfreulich für mich war die große Soli- Universitätsklinik zu unterrichten. In für den Staat tätig war und ich mich darität, die mir in jener Zeit von vielen diesem Rahmen wurde verlangt, dass schon damals dazu verpflichtet hatte, Seiten entgegengebracht wurde. So ich einen vierseitigen Bogen, den ich das Grundgesetz zu achten. Der einzig hatten sich zahlreiche Menschen aus für völlig rechtswidrig halte, ausfüllen zutreffende Vorwurf war meine Kandi- Politik, Gewerkschaft und Gesellschaft, sollte. Als ich mich weigerte, verlangte datur für das Studentenparlament, ein darunter auch der Nürnberger Stadtrat, man von mir, ich solle einer Anfrage an legales politisches Engagement. für mich eingesetzt. Selbst die Interna- das Landesamt für Verfassungsschutz Mit meinen Ausführungen konnte ich tionale Arbeitsorganisation (ILO) frag- zustimmen. Diesem Verlangen stimm- aber, wie man mir wiederum schriftlich te beim Freistaat Bayern an, wann ich te ich sehr gerne zu – und erhielt nach mitteilte, die »Zweifel« an meiner Ver- denn endlich meine Ausbildung been- einigen Wochen die Auskunft, dass fassungstreue nicht ausräumen. Trotz- den könne. gegen mich nichts vorläge. Ich durfte dem erhielt ich als einer der wenigen Mein Anwalt riet mir nach einigen Infor- also unterrichten, obwohl ich meine Betroffenen keine Anhörung bei der mationen aus Karlsruhe und vonseiten Ausbildung im Lehramt nie abschließen Regierung und somit auch keine Mög- der ILO dringend dazu, meinen Revisi- konnte. lichkeit, im Gespräch die Dinge zu klä- onsantrag beim BAG zurückzunehmen. ren. Lapidar hieß es in dem Schreiben: Die Gründe dafür auszuführen, würde Letzter Hinweis Ich könne ja klagen. hier zu weit führen. Damit wurde mit Das machte ich dann auch: Mitte 1977 einiger Verspätung das Urteil des LAG In Niedersachsen hat sich der dortige reichte ich meine Klage beim Verwal- rechtskräftig. Ich war also gerichtlich Landtag bei den Opfern der Berufsver- tungsgericht Ansbach ein. Es dauerte festgestellt ein »Verfassungsfeind«. botepraxis entschuldigt.2 Derzeit wird jedoch bis zum Jahr 1983, bis dieses Notwendiger Exkurs: Fast parallel zu auch über Entschädigungen verhan- Gericht meinen Antrag ablehnte. Zum meinem festgestellten Berufs- und delt. Mir wurde vom bayerischen In- Glück hatte mein Anwalt hilfsweise Ausbildungsverbot sah der Bayerische nenminister im Jahr 2014 ein Gespräch auch beantragt, dass ich mein Refe- Verwaltungsgerichtshof im August über meinen Fall verweigert. Er teilte rendariat wenigstens als Angestellter 1988 keinen ausreichenden Grund für mit: »Ich habe keinen Zweifel, dass absolvieren könne, um die Ausbildung die Entlassung des Fürther Studiendi- das damalige Vorgehen abzuschließen. Dieser Antrag wurde an rektors Hans-Jürgen Witzsch, der seine rechtmäßig war.« das Arbeitsgericht überwiesen. Dort Schüler*innen u. a. mit Aussagen wie gewann ich, da der Staat nach einem »Sechs Millionen im Dritten Reich er- Urteil des Bundesverfassungsgerichts mordete Juden sind eine Phantasiezahl, aus dem Jahr 1972 in Berufen, in denen für die es keinerlei Beweise gibt« be- von er das Ausbildungsmonopol hat, auch lehrte. Zuvor hatte ihn bereits das Ans- Friedrich Sendelbeck einen Ausbildungsabschluss außerhalb bacher Verwaltungsgericht, das Jahre des Beamtenverhältnisses zulassen vorher in meiner Abwesenheit mein müsse. Ausbildungsverbot bestätigt hatte, vom 1 Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen Doch der Freistaat hielt sich nicht an Vorwurf freigesprochen, im Unterricht erreichte ich später in diesem Bildungsträger einen das Urteil! Vielmehr änderte er am Nazithesen verbreitet zu haben. halbwegs ordentlichen Branchentarifvertrag. 2 Jutta Rüpke (HG.): Berufsverbote in Niedersachsen 8. Mai 1985 im Landtag die rechtliche Bevor ich zum Schluss komme, noch 1972-1990: Eine Dokumentation. Hannover 2018; Grundlage und dekretierte, dass in zwei Nachbemerkungen. Download: demokratie.niedersachsen.de
DDS Januar/Februar 2022 7 50 Jahre Berufsverbote – 45 Jahre Betroffenheit und eigene Geschichte Foto: IMAGO / Klaus Rose Ich hatte Glück: Mich ereilte vor Ich lernte an der Uni GEW-Studierende Gegen Ende meines Studiums wurden 45 Jahren kein Berufsverbot. Jedoch kennen, trat in die Gewerkschaft ein die Fragen nach meiner Zukunft in wurde auch meine Verfassungstreue und kandidierte auf der LAF-Liste (ge- Bayern allerdings konkreter. Ich ver- in Zweifel gezogen. Vielleicht ersparte werkschaftlich orientierte Liste AStA/ suchte, mein Engagement beizubehal- mir ein Zufall das Verbot, meinen Be- Fachschaften), arbeitete in den Hoch- ten, organisierte Streiks, arbeitete mit ruf ausüben zu können. schul- und GEW-Gremien mit und be- Kommunist*innen zusammen und kan- teiligte mich an vielen Hochschulakti- didierte wiederholt für die studentische Ich wuchs im Norden auf, war schon onen, aber auch an außeruniversitären Mitverantwortung auf »Wahllisten früh politisch aktiv – sei es in der Bewegungen wie der Friedensbewe- mit gewerkschaftlicher Orientierung« Schüler*innenmitverwaltung (SMV), in gung und Aktionen gegen den NATO- (GO-Listen) und offenen Listen. Einmal der Bundeswehr als Vertrauensmann, Doppelbeschluss und die Wiederauf- sprach mich jemand (vom Verfassungs- beim Jobben in der IG Druck und Pa- bereitungsanlage (WAA). Ich gestaltete schutz?) an, ob ich nicht Informationen pier, beim Streiken in der Hamburger Flugblätter und schrieb für sie Artikel. liefern könnte, es sollte mein Schaden Uni oder in der AKW-Bewegung. Für Schon im zweiten Semester sprachen nicht sein – ich wollte nicht. mich war dieser Einsatz für Demokratie mich Kommiliton*innen an: So ein En- stets wichtig und selbstverständlich. gagement sei doch sehr gefährlich. Erst Der Weg durch hierdurch und durch die Zusammenar- die Anhörung Politisches Arbeiten beit mit Kommiliton*innen aus dem So- unter dem sogenannten zialistischen Hochschulbund (SHB) und Das Damoklesschwert »Berufsverbot« »Radikalenerlass« Marxistischen Studentenbund (MSB) hing zum Ende meines Studiums ge- lernte ich schnell die Auswirkungen des fährlich nahe über mir. Damals kann- Dann wechselte ich Studiengang und »Radikalenerlasses« kennen. Er löste te ich bereits einige Mitstudierende, Uni und kam im Wintersemester 1978/ Angst in den Köpfen aus und erzeugte die wussten, dass sie in Bayern sicher 79 zum Lehramtsstudium nach Mün- Duckmäuser anstelle von demokratisch nicht in den Schuldienst kommen wür- chen. Dort wollte ich an meine Ham- gesonnenen Lehramtsstudierenden. den. Vor ihrem Mut hatte ich große burger Erfahrungen anknüpfen und Immer wieder fragten sie mich, ob ich Hochachtung. Wir, hochschulpolitisch lernte: Bayern ist anders! Hochschulpo- denn keine Angst vor einem Berufs- aktive Studierende, schlossen uns par- litik ist hier streng ge-maß-regelt. verbot hätte. Hatte ich meist nicht. teiübergreifend zusammen und orga-
8 DDS Januar/Februar 2022 nisierten Schulungen, um bei eventu- mit viel Material. Sie legten mir Flug- Solidarität in meinem persönlichen ellen Anhörungen gegen die Berufs- blätter und Broschüren vor, in denen Umfeld konnte ich es gut ertragen. verbieter*innen bestehen zu können. ich kritische Texte geschrieben hatte, Dafür wurden wir auch von Rechts- hatten Fotos von Demonstrationen, Belastende Gedanken anwält*innen sehr realistisch beraten. hielten mir vor, dass mein Auto an Ver- bleiben Doch die drohenden Berufsverbote anstaltungsorten in München parkte, sorgten für eine ungute Stimmung. wo kritische Veranstaltungen von DKP, Ich ließ mich weder im Referendariat, Als dann klar war, dass ich mein Re- SPD oder Gewerkschaften stattfan- z. B. als Seminarsprecher, noch danach ferendariat in Schwaben, dem Re- den. Zu alldem musste bzw. sollte ich während meiner schulischen Laufbahn gierungsbezirk mit den ärgsten Stellung nehmen. Ich war sehr ange- hinsichtlich meines politischen Enga- Berufsverbieter*innen beginnen sollte, spannt, aber die gute Vorbereitung gements einschüchtern, war stets poli- wechselte ich schnell in einen anderen zahlte sich aus. Ich konnte stets darauf tisch interessiert, aktiv und manchmal Regierungsbezirk. Dennoch erhielt ich verweisen, dass ich als Gewerkschaf- auch laut. Trotzdem erfuhr ich weder anstelle einer Einladung ins Seminar ter aufgetreten war, eine Parteizuge- bei der Verbeamtung auf Probe noch ein Schreiben, dass Zweifel an meiner hörigkeit ging aus den Flugblättern bei der auf Lebenszeit Nachteile. Doch demokratischen Gesinnung bestün- nicht hervor. Damit waren sie mit ih- stellte sich bei jeder dieser »Klippen« den und ich mich doch im Rahmen rem Material am Ende, doch ich hatte die Sorge ein, ob der Staat wohl weiter einer Anhörung äußern sollte. Meine noch zwei Flugblätter! Hätten sie diese nach belastendem Material gesucht Kommiliton*innen waren nicht sonder- beiden gehabt, wären sie vielleicht in hat, was sehr stressig und belastend lich erstaunt, aber auch nicht sonder- ihrer Überzeugung bestärkt gewesen, war. Auch als verbeamteter Lehrer und lich empört: »Selbst Schuld, haben wir einem sogenannten Verfassungsfeind später als Schulleiter bemerkte ich kei- ja gleich gewusst!«, meinten sie mehr- gegenüberzusitzen, aber sie hatten ne Nachteile. Gleichwohl trat ich auch heitlich. Kein Wort, dass Berufsverbote sie nicht! Ich konnte es kaum glau- weiterhin immer offen als kritischer verfassungswidrig sind. Viele von ihnen ben, als sie die Anhörung beendeten Gewerkschafter auf. Klar war mir auch, übernahmen bereitwillig die Politik der und meinten, ich würde zeitnah ihre dass während meiner Dienstzeit alle bayerischen Staatsregierung. Breite So- Entscheidung schriftlich erhalten. Aus vorgesetzten Dienststellen von meiner lidarität erfuhr ich aber zum Glück in »zeitnah« wurden mehrere Wochen, politischen Arbeit und den früher be- der GEW. mein Anwalt musste nachfragen, aber standenen Zweifeln an meiner Verfas- Nach intensiver Vorbereitung durch dann ging es ganz schnell: Die Zweifel sungstreue wussten. einen Anwalt, andere Betroffene und an meiner Verfassungstreue ließen Kolleg*innen aus der GEW, unterstützt sich nicht hinreichend belegen und ich von einem ehrenamtlichen gewerk- konnte mit einiger Verspätung Ende von Jörn Bülck schaftlichen Rechtsberater saß ich mit Oktober mein Referendariat antreten. ehemaliger Schulleiter eines meinem Material in der Anhörung, Es waren sehr anstrengende und Förderzentrums im Ganztag vor mir drei Vertreter*innen der be- manchmal frustrierende Wochen, aber Mitglied im treffenden Bezirksregierung, ebenso Dank der gewerkschaftlichen und der GEW-Landesvorstand Ausstellung zum Verleih: »›Vergessene‹ Geschichte – BERUFSVERBOTE – Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland« Die Ausstellung zum sogenannten Radikalenerlass und den Berufsverboten einer nieder- sächsischen Initiative stellt den sogenannten Radikalenerlass mit seinen insbesondere in- nenpolitischen Folgen und Langzeitwirkungen dar. Dazu werden die Ereignisse in die deut- sche Geschichte (Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bonner Republik), die gekennzeichnet ist durch Repressionen gegen linke Oppositionelle, eingeordnet. Kritisch Bezug genommen wird dabei auch auf die parallel dazu verlaufene Entwicklung der Inlands- geheimdienste, die durch Bespitzelung den Behörden die Grundlagen für Kriminalisierung, Verfolgung und später auch für die Berufsverbote lieferten. Die Ausstellung will Menschen – vor allem auch jüngere – informieren und dieses unrühmli- che Kapitel bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte vor dem Vergessen bewahren. Sie möch- te zur Auseinandersetzung über Grund- und Menschenrechte wie z. B. Meinungsfreiheit und die Rolle von Inlandsgeheimdiensten anregen. Hinweis: Die Ausstellung wird am 19.2. im Rahmen der Veranstaltung »Der ›Radikalener- lass‹ feiert Geburtstag«, wenn diese in Präsenz stattfinden kann, im DGB-Haus in Nürnberg gezeigt. Umfang der Ausstellung: 20 farbige Tafeln (77,8 x 110 cm) auf 3 mm Hartplastik mit je 2 Aufhängeösen Versand: Das Ausleihen ist kostenlos (Spenden werden gerne entgegengenommen), die Info zum Titelbild der Ausstellung: Transportkosten müssen selbst getragen werden. Ölgemälde des Bremer Malers Jürgen Waller: Begleitmaterial: Ausstellungsbroschüre, Plakat, PowerPoint-Präsentation zur Einführung »Die lädierte Identität des vom Berufsverbot Kontakt: Cornelia Booß-Ziegling, T.: 0511 625212, booss-ziegling@t-online.de betroffenen Kunsterziehers H. J. Schreiber« Spendenkonto: IBAN DE 22 3101 0833 1963 0609 20 • BIC CCBADE31 Santander Consumer Bank • Kontoinhaberin C. Booß-Ziegling • Stichwort: Berufsverbote
DDS Januar/Februar 2022 9 »Ideologie ist wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben.« Terry Eagleton Foto: IMAGO / Klaus Rose Der sogenannte Radikalenerlass ist nannten Radikalenerlass aus dem Jahre Die Funktion das Produkt einer rechtskonservativen 1972 ihren Höhepunkt fanden, könnte einer Ideologie Ideologiekampagne. Auf ihrer Grund- bei der Entlarvung aktueller Ausprä- lage wurden Opfer zu Täter*innen stili- gungen, wie z. B. der rechtskonserva- Doch wie kann man die diffamieren- siert, während sich die Ideolog*innen, tiven Agentur The Republic, helfen. In den Warnungen vor einer »kommunis- ein scheinbar demokratisches Mäntel- ihren Konsequenzen ist diese Kampag- tischen Unterwanderung« einordnen chen anzogen. ne bisher zwar nicht mit den enormen und verstehen? Was verbirgt sich hinter Folgen des sogenannten Radikalen- einer Ideologie und welche Folgen kön- Die Bundestagswahl 2021 hat uns erlasses, also mit der rechtsstaatlich nen Ideologiekampagnen für Mitglie- wie unter einem Brennglas gezeigt: orchestrierten Zerstörung Tausender der von linken Organisationen haben? Wer keine eigenen Inhalte stark ma- linker Existenzen, vergleichbar. Trotz- Auf theoretischer Ebene hilft ein chen kann, zeigt mit dem Finger auf an- dem hilft der historische Blick darauf, Blick in den Werkzeugkasten von dere und erklärt sie zum Feind1. Durch um die heute verbreiteten, neurechten Carl Schmitt, der einige politisch- diese Taktik soll den anderen ein poli- Warnungen vor der »Gender-Ideolo- philosophische Grundlagen für die tischer »Mundgeruch« zugeschrieben gie« oder »radikalen Krawallmachern« NS-Herrschaft lieferte und weiterhin werden, dessen Gestank in einer De- von links einordnen zu können.2 Unter vielen Konservativen und Rechten als mokratie keinen Platz hat. So jedenfalls dem Deckmantel einer liberal-konser- theoretisches Vorbild dient. Für ihn kann man die hilflosen Denunziations- vativen Bürgerlichkeit möchte man bildete sich das Politische um die Un- versuche der Unionsparteien gegen- sich dem »politischen Linksdrift« ent- terscheidung von Freund und Feind. über »linken Kräften« im letztjährigen gegenstellen, macht Stimmung gegen Um den eigenen Zusammenhalt einer Bundestagswahlkampf verstehen. Wird Einzelpersonen (wie die Vorsitzende Gemeinschaft zu erhalten, brauche es auch nur soziale Gerechtigkeit erwähnt, der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta ein konkretes Feindbild. Da das Feind- hagelt es Warnungen vor einem »Links- Kahane) und konstruiert in lupenreiner bild des*der Juden*Jüdin vor dem Hin- rutsch« oder einer »kommunistischen rechtsradikaler Rhetorik den links-grü- tergrund der Gräueltaten des Dritten Gewaltherrschaft«. Ein Verweis auf die nen Mainstream (welcher aus GEWerk- Reiches in der deutschen Nachkriegs- praktischen und theoretischen Traditi- schaftlicher Sicht tatsächlich gar keine zeit nicht mehr mehrheitsfähig war, onslinien solcher rechtskonservativer linke Politik betreibt bzw. unterstützt) benötigten die rechtskonservativen Ideologiekampagnen, die im soge- als staatsgefährdendes Feindbild. Kräfte neue Antagonist*innen, die in
10 DDS Januar/Februar 2022 den Vertreter*innen des Kommunis- enthielt die Forderung nach Weiterver- beteiligt war. So lenkte die innerstaat- mus gefunden wurden. Diese »inner- breitung. Damit richtete sich die An- liche Feinderklärung auch hier von den staatliche Feinderklärung« wurde zum klage gegen jemand, der ganz im Sinne eigentlichen antidemokratischen Taten Ende der 1960er-Jahre immer wich- der freiheitlich-demokratischen Grund- ab, wodurch rechte Ideologie zu gelten- tiger, da große Teile der Studieren- ordnung handelte, wodurch die Kläger dem Recht gemacht wurde. denvertretungen an den Hochschulen als eigentliche Verfassungsfeinde ein- sozialistische Ansichten vertraten und zustufen sind. Anhand dieser Umkeh- »Wo aber Gefahr ist, 1968 auch wieder die Gründung einer rung wird die ganze Macht von Ideo- wächst das Rettende kommunistischen Partei (DKP) ermög- logie sichtbar: Eine Erzählung soll sich auch!«3 licht wurde. Vor dieser »marxistischen über die eigentlichen Tatsachen legen, Renaissance« fürchteten sich die Uni- um sie zu verschleiern. Die Tatsache Die rechtskonservative Ideologie- onsparteien, was durch den Verlust der des Friedensvertrages wiegt weniger kampagne spaltet, vereinfacht und Regierungsmacht im Jahre 1969 noch als die Erzählung des Antikommunis- verschleiert, wodurch historische Ge- verstärkt wurde. Nachdem die sozialli- mus. Die rechtskonservative Ideologie gebenheiten um 180 Grad gedreht berale Koalition dann die Ostverträge versucht also durch Manipulation ein werden. Doch diese gefährliche Stra- beschloss, also versuchte, mit den ost- falsches Bewusstsein in der Bevölke- tegie hat auch ihre Kehrseite, und die europäischen Nachbarländern einen rung durchzusetzen, damit die eigenen kann uns Hoffnung, vor allem vor dem außenpolitischen Dialog einzugehen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen Hintergrund der Debatte um den so- rief der CDU-Oppositionsführer Rainer vertuscht werden können. genannten Radikalenerlass von 1972, Barzel aus: »Der Öffnung nach außen geben. Wer kollektiv als Feind ausge- darf keine Öffnung nach innen folgen!« wiesen wird, der findet sich notwendi- Diesem Ausspruch und der damit ein- gerweise mit anderen auf der gleichen hergehenden Verleumdungskampagne Seite wieder, wodurch untereinander von rechts gab die SPD-geführte Regie- prinzipiell ein größeres Mobilisierungs- rung drei Jahre später nach und führte potenzial entstehen kann. Diese Chan- 1972 den sogenannten Radikalenerlass ce des gemeinschaftlichen Kampfes ein, der die Etablierung der Berufsver- wurde nach dem Erlass 1972 sehr botspraxis ermöglichte. Wie weit die deutlich. Es formierte sich ein breites Diffamierung des »Feindes« ging, zeigt linkes Bündnis mit internationaler Un- eine Rede des Staatsrechtlers Klaus terstützung, zu welchem unter ande- Stern, der damals als überzeugter Ver- rem die Friedensbewegung, der Antifa- fechter der Berufsverbote galt: »Es schismus, engagierte Berufsgruppen in soll erreicht werden, dass alle auf dem Erziehung, Wissenschaft, Sozialarbeit Index stehenden Organisationen wie und der Medizin gehörten. Die Dialek- Leprakranke gemieden und damit hoff- tik hinter den Ereignissen, die von der nungslos isoliert werden.« Der Kommu- Gleichzeitigkeit rechtskonservativer nismus wird zur Krankheit erklärt, die Destruktivität und linker Konstruktivität aus der Gesellschaft verbannt gehört, geprägt waren, kann uns auch nach 50 wodurch der Kreis der Anhänger*innen Jahren sogenanntem Radikalenerlass zu Menschen zweiter Klasse degradiert für die heutigen und noch bevorste- wird. Mit Verfassungstreue hat dies we- Foto: IMAGO / Klaus Rose henden Kämpfe Mut machen – auch in nig zu tun. Diese Strategie kann auch im Falle dem Wissen, dass sehr viele berufliche der hessischen Lehrerin Sylvia Gingold Existenzen damals für immer vernich- Die Macht der Ideologie beobachtet werden. Ihr wurde die tet wurden! Verfassungstreue abgesprochen, da Die rechtskonservative Ideologie- sie angeblich »die Beeinträchtigung von kampagne spaltet seit jeher nicht nur in der freien Persönlichkeitsentfaltung Kilian Gremminger Freund und Feind, sondern unternimmt durch bolschewistische Zwangsgewalt« Student der Soziologie zudem den Versuch, alles Kritische un- befürworte. Von der Anklage erfuhr und Mitglied der DDS-Redaktion ter einen gemeinsamen feindlichen sie auf der einen Seite vom Bundes- Hut zu stecken. So befindet sich un- richter Charles Edmund de Chapeau- Grundlage dieses Artikels sind zwei Reden ter den damals Angeklagten auch der rouge, welcher noch 1939 an einem aus den Jahren 2012 und 2017 des Juristen Grundschullehrer Gerhard Bitterwolf, »Rassenschande«-Urteil mitgewirkt Schmitt-Lermann, der in der Zeit der Berufsver- bote betroffene GEW-Kolleg*innen verteidigte. seinerzeit Vorsitzender der bayerischen hatte (Fall: Leon Abel). Auf der anderen DFU (Deutsche Friedens-Union) und Seite wirkte Dr. Rudolf Weber-Lortsch 1 In diesem Artikel ist die Theorie des »Freund- Friedensaktivist. Ihn klagte man an, als berichterstattender Richter an der Feind-Schemas« essenziell. Um beim Bild bleiben zu können, wenden wir dort keine gendersensible da er das Helsinki-Abschlussdokument Anklage Gingolds mit, welcher u. a. als Schreibweise an. (1975), das die friedliche Koexistenz Polizeipräsident die polnische Stadt 2 Um das rechtspopulistische Ausmaß der Kampagne zu erkennen, genügt ein kurzer Blick auf die Home- zwischen dem östlichen und westli- Kattowitz »judenfrei« machte und an page therepublic.de. Vgl. auch: Sebastian Bähr: Rechtsradikale Plattform mit Unionshintergrund. chen Block regelte, an einer Schule ver- der Erstellung mehrerer Deportations- nd-aktuell.de v. 22.11.2021 teilen wollte. Pikant: Das Papier selbst listen in der Ukraine und in Norwegen 3 Friedrich Hölderlin (1803): Patmos.
DDS Januar/Februar 2022 11 Foto: IMAGO / Klaus Rose Über die »Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst« Wenn auch die mit dem »Radika- nen wie die Deutsche Friedens-Union Die Rote Hilfe ist eine parteiunab- lenerlass« alltäglich gewordene »Prü- (DFU), Die LINKE. Sozialistisch-demo- hängige, strömungsübergreifende linke fung der Verfassungstreue« in der kratischer Studierendenverband (DIE Schutz- und Solidaritätsorganisation. Bundesrepublik mittlerweile zur Ge- LINKE.SDS), die Linksjugend (`solid), Die Rote Hilfe organisiert nach ih- schichte gehört, lebt sie in Bayern fort. das Münchner Bündnis gegen Krieg ren Möglichkeiten die Solidarität für Wer bei uns im öffentlichen Dienst eine und Rassismus und die Vereinigung der alle, unabhängig von Parteizugehörig- Anstellung sucht, und sei es nur eine Verfolgten des Naziregimes – Bund der keit oder Weltanschauung, die in der studentische Hilfsarbeit, bekommt die Antifaschistinnen und Antifaschisten Bundesrepublik Deutschland aufgrund »Belehrung über die Pflicht zur Ver- (VVN-BdA) zu finden. Selbstverständ- ihrer politischen Betätigung verfolgt fassungstreue im öffentlichen Dienst« lich auch die Rote Hilfe e. V. werden. Politische Betätigung in die- vorgelegt. Dabei ist es unwesentlich, Wir als Ortsgruppe München der sem Sinne ist z. B. das Eintreten für die ob es hierbei um die Einstellung in ein Roten Hilfe e. V. gehen davon aus, dass Ziele der Arbeiter*innenbewegung, für Beamt*innenverhältnis geht oder um dieser bayerische »Radikalenerlass« die internationale Solidarität, den an- ein Praktikum bei den kommunalen nicht nur undemokratisch ist, sondern tifaschistischen, antisexistischen, anti- Streetworker*innen: Alle müssen in auch gegen die Gesetze der Bundesre- rassistischen, demokratischen und ge- den der »Belehrung« beigefügten Lis- publik verstößt. Ein erster Schritt, um werkschaftlichen Kampf sowie den ten ankreuzen, ob sie »Mitglied einer ihn wegzubekommen, wäre die Klage Kampf gegen Antisemitismus, Militaris- oder mehrerer extremistischer oder einer*eines Betroffenen. mus und Krieg. Unsere Unterstützung extremistisch beeinflusster Organisa- Die Rote Hilfe e. V., Ortsgruppe gilt denjenigen, die deswegen ihren tionen« sind oder waren. Die Defini- München, berät gerne Betroffene und Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbot er- tion, was »extremistisch« ist, ist dem vermittelt geeigneten Rechtsbeistand. halten, vor Gericht gestellt und zu Geld Inlandsgeheimdienst »Verfassungs- oder Gefängnisstrafen verurteilt wer- schutz« überlassen. Rote Hilfe e. V., OG München den oder sonstige Nachteile erleiden. Diese Praxis ist durch und durch Schwanthalerstraße 139 • 80339 München Darüber hinaus gilt die Solidarität obrigkeitsstaatlich, reaktionär und Tel.: 089 4489638 der Roten Hilfe den von der Reaktion Faschismus relativierend. So sind auf E-Mail: muenchen@rote-hilfe.de politisch Verfolgten in allen Ländern der dieser Liste neben faschistischen Mör- rhmuc.noblogs.org Erde. derbanden auch solche Organisatio- Sprechstunde: mittwochs von 18.00 - 19.00 Uhr
12 DDS Januar/Februar 2022 50 Jahre Berufsverbote Einladung zu Online-Veranstaltungen und Diskussion Marksteine der GEW-Geschichte: »Radikalenerlass« – Berufsverbote – Unvereinbarkeitsbeschlüsse Im Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal die gemeinsame Entschließung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler zum Thema »Radikale im öffentlichen Dienst«, mit der das Startzeichen zur bundesweiten Berufsverbotspraxis gegen Mitglieder sowie Förderer und Förderinnen linker politischer Gruppierungen gesetzt wurde. Und nur kurze Zeit später (1973) verkündete der DGB seine »Unvereinbarkeitsbeschlüsse«, die sich zu einem großen Teil gegen denselben Personenkreis richteten. Über die Folgen und auch über die inneren Zusammenhänge dieser beiden Ereignisse in den Gewerkschaften auf Bundesebene und in Bayern wollen wir an diesem Abend reden. Referenten: Dr. Marcel Bois Historiker an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg Wolfram Bundesmann ehemaliger Geschäftsführer der GEW Bayern Wann: 16. Februar 2022, 18.00-20.00 Uhr Wie der »Radikalenerlass« Biografien beeinflusste – Betroffene erzählen Auch und vor allem in den Reihen der GEW waren Kolleg*innen von den Berufsverboten betroffen. In dieser Online-Veran- staltung kommen Betroffene zu Wort. Sie erzählen uns ihre Geschichte und wie das Berufsverbot ihren weiteren Werdegang beeinflusste. Im Anschluss können die Teilnehmer*innen Fragen stellen. Zum Abschluss werden im Dialog mit der Landesvorsit- zenden Martina Borgendale noch Erwartungen an Politik und Gesellschaft formuliert, wie ein Umgang mit den Betroffenen und dem Thema nun 50 Jahre später aussehen sollte. Referent*innen: Lisa Mohr, Angela Rauscher, Andreas Salomon, Fritz Sendelbeck Wann: 9. März 2022, 18-20 Uhr Grenzen der Kunstfreiheit: Lehramt in Bayern und »staatskritische« Rap-Musik Als Lehramtsanwärter an oberbayrischen Mittelschulen wurde schnell klar: Lion Häbler wird von ihm anvertrauten Schüler*innen online per Suchmaschine gefunden, Vorgesetzte sind erstaunt über Social-Media-Auftritt und Rap-Videos und bald urteilt die Regierung von Oberbayern: »staatskritisch«. In Folge: Nachfragen, Drohungen und Entscheidungsdruck auf sowohl informeller als auch formeller Ebene. Aufgehangen (und hängengeblieben) an einem Rap-Lied, das 13 Jahre zuvor als polemischer Kommentar im Kontext der rechtspopulistisch aufgeladenen Leitkulturdebatte als antirassistische Solidaritätsbe- kundung gemeint war. Wir diskutieren über das »Korsett« Beamtentum inklusive eingeschränkter Meinungs- und Kunstfreiheit sowie über ge- sellschaftliche Entwicklungsaufgaben hinsichtlich Medienkompetenz in der Doppelrolle: als staatsdienende Lehrkraft und kritische*r Bürger*in. Referent: Lea-Won alias Lion Häbler Münchner Rapper Wann: 16. März 2022, 18.00-20.00 Uhr Bildungsarbeit als Extremismusprävention? Das Konzept der »wehrhaften Demokra- tie« und seine Anwendung in aktuellen Förderprogrammen Vereine und Initiativen, die durch Bildungs-, Beratungs- und Netzwerkarbeit die Demokratie weiterentwickeln, sehen sich derzeit mit folgenreichen Veränderungen in der staatlichen Förderpolitik konfrontiert. Auf Basis des Konzepts der »wehrhaften Demokratie« wird politische Bildungsarbeit zunehmend als Form der »Extremismusprävention« angesehen – mit weitreichen- den Folgen für die Autonomie der freien Träger. Auf diese Weise, so die These des Vortrags, wird Bildungsarbeit präventionspo- litisch instrumentalisiert und – flankiert durch den Verfassungsschutz – in eine polizeiliche Ordnung eingepasst. Referentin: Prof. Dr. Julika Bürgin Professur am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt Wann: Dienstag, 29. März 2022, 18.00-19.30 Uhr Die Einwahldaten zu den einzelnen Veranstaltungen findet ihr auf unserer Homepage: gew-bayern.de/berufsverbote Die Veranstaltungen sind Kooperationsveranstaltungen von
DDS Januar/Februar 2022 13 Erlesenes zum Thema ... Erlesenes zum Thema ... Erlesenes zum Thema »Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts« »Extrem unbrauchbar« ist nach Ansicht der Autor*innen Hetze. Als be- Eva Berendsen, Katharina die sogenannte Extremismustheorie. Diese behauptet, es gäbe zeichnendes Bei- Rhein, Tom David Uhlig (Hg.) Extrem unbrauchbar. eine unbedenkliche Mitte der Gesellschaft. Alle demokratiepo- spiel wird der Über Gleichsetzungen von litischen Probleme ließen sich demgegenüber an den linken und sächsische Verfas- links und rechts rechten politischen Rändern verorten. Dabei seien die »extremen sungsschutz an- Edition Bildungsstätte Anne Enden« wie bei einem Hufeisen gleich weit von der sogenannten geführt. Dieser Frank 2 Mitte entfernt und würden sich beinahe berühren (daher auch hat ein #wirsind- Berlin 2019 die Bezeichnung »Hufeisen«-Theorie). Die Autor*innen weisen mehr-Konzert in 304 Seiten 19,00 Euro auf verschiedenen Ebenen nach, dass der »Extremismus«-Ansatz Chemnitz in Tei- ISBN: 978-3957324-085 jeglicher Grundlage entbehrt. len als »linksex- Auf rechtlicher Ebene ist die Sache eigentlich ganz einfach, so trem« eingeordnet, u. a. mit der Begründung, dass dort auch die Autor*innen: Es gibt keine juristische Definition oder keine »Nazis raus« gerufen wurde. Die für sich in Anspruch genomme- Straftat, die »Extremismus« heißt. Hier wurde etwas erfunden, ne »Äquidistanz zu jeder Form des Extremismus« stellt sich als das weder rechtlich noch wissenschaftlich fundiert ist. Es handelt Distanzierung und Verunglimpfung von antinazistischen Einstel- sich vielmehr um einen politischen Kampfbegriff, der maßgeblich lungen und Aktivitäten dar. durch den Verfassungsschutz und seine offiziellen und inoffizi- In Deutschland, so heißt es in einem Beitrag, hat die Gleich- ellen Mitarbeiter*innen eingeführt und ausgeformt wurde. Wo setzung von Faschismus/Nationalsozialismus auf der einen Seite Akteur*innen der »Extremismus«-Forschung selbst stehen, wird und Sozialismus/Kommunismus auf der anderen historisch eine an mehreren Beispielen aufgezeigt. Eines handelt von der Person nicht zu unterschätzende Entlastungsfunktion im Umgang mit H.-H. Knütter. Dieser war »Extremismus«-Experte der Bundes- den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg: »Es wird heute zentrale für Politische Bildung und Gastdozent an der Schule für gerne vergessen, dass die Nazis ihren Krieg gegen die Sowjetuni- Verfassungsschutz. Der von Knütter initiierte und betreute »Ost- on als Vernichtungskrieg gegen das Phantasma eines jüdischen West-Arbeitskreis« an der Universität Bonn lud in den frühen Bolschewismus führten.« (S. 89) 1990er-Jahren unter anderem den Holocaust-Leugner Irving und Als ein weiterer wichtiger Aspekt wird thematisiert: Was den Nazi-Liedermacher Rennicke ein. das Eintreten für die nahezu völlige Abschottung Europas gegen Gegen die demagogische Gleichsetzung von linken und rech- Menschen auf der Flucht angeht, ist ein Unterschied zwischen ten »Extremen« heißt es in einem Beitrag des Buches prägnant: Nazis und denen, »die sich womöglich zu Recht für die Mitte hal- »Dass die einen auf die vollständige Abschaffung der Demokratie ten« (S. 229), praktisch nicht auszumachen. zielen und die anderen versuchen, im Kern demokratische Ansprü- Das Buch enthält weitere Aspekte zum Thema »Extremis- che auszuweiten, spielt in dieser Logik keine Rolle.« (S. 81) Das mus«, so etwa zu den »Strategien der Extremisierung« gegen zeigt sich, so die Autor*innen, besonders deutlich in der faktischen LGBT-Personen, mit denen gegen sexuelle Vielfalt und Gleichbe- Gleichsetzung von Antinazis und Nazis. Die Antifaschist*innen rechtigung angegangen wird. Das Buch ist für die aufklärerische wollten anderen ihre Meinung verbieten, sie seien also selbst Auseinandersetzung mit alledem wirklich zu empfehlen. Faschist*innen – als ob es um andere Meinungen schlechthin ginge und nicht um nazistische, rassistische und judenfeindliche von Wolfgang Häberle Lesenswertes zu den Berufsverboten auf unserer Homepage Auch die beiden Januar-Ausgaben der DDS aus den Jahren 1977 und 1982 standen unter dem Fokus »Sogenannter Radikalenerlass, Be- rufsverbote und Unvereinbarkeitsbeschlüsse«. Damals noch nicht di- gital haben wir diese Zeitschriften nun digitalisiert. Es sind spannende Ausgaben; die Texte der DDS 1/1982 wurden sogar inklusive englischer Übersetzung veröffentlicht. Ihr findet beide Ausgaben auf der Home- page der GEW Bayern (gew-bayern.de/berufsverbote). Auf der gleichen Internetseite könnt ihr auch die (berufliche) Le- bensgeschichte unseres Kollegen Andreas Salomon nachlesen, der Zeit seines Lebens Berufsverbot hatte. Seine Dokumentation über- zeugt aufgrund seiner detaillierten Darstellung, seiner Beharrlichkeit und seines Mutes. Sein Vertrauen in solidarisches Handeln und sein reflektierter Blick zurück auf seinen politischen und beruflichen Weg sind sehr lesenswert. Auch die größtenteils unrühmliche Haltung der Gewerkschaften ist Thema der Dokumentation. von Dorothea Weniger
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