D SZeitschrift - 50 Jahre Berufsverbote - Betriebsratswahlen - GEW Bayern

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- 50 Jahre Berufsverbote
- Betriebsratswahlen

       Zeitschrift
DDS

       der Gewerkschaft
       Erziehung und Wissenschaft
       Landesverband Bayern

       Januar/Februar
       2022
2   DDS Januar/Februar 2022

    50 Jahre Berufsverbote                                                             50 Jahre Berufsverbote und kein Ende? – Am
    3 Kein Grund zum Feiern – 50 Jahre »Radikalenerlass«                               28. Januar 2022 jährte sich der sogenannte »Radikalenerlass«
           von Torsten Bultmann
                                                                                       zum 50. Mal. Allein von 1972 bis 1978 überprüfte der Inlands-
    5      Wie wird man ein »Verfassungsfeind«?
           von Friedrich Sendelbeck                                                    geheimdienst 1,3 Mio. Personen. Er mutierte quasi zur Neben-
    7      50 Jahre Berufsverbote – 45 Jahre Betroffenheit und                         einstellungsbehörde. Kanzler Brandt sprach später mit Blick
           eigene Geschichte                                                           zurück von einem Fehler. Der niedersächsische Landtag ent-
           von Jörn Bülck
                                                                                       schuldigte sich 2016 als bisher einziger Landtag mehrheitlich
    9      »Ideologie ist wie Mundgeruch immer das, was die                            bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht. Bayern ist davon
           anderen haben.« Terry Eagleton
           von Kilian Gremminger                                                       noch weit entfernt.
    11 Über die »Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen                          Und die Ampelkoalition? Der Koalitionsvertrag sieht keine Ent-
       Dienst«                                                                         schuldigung, keine Rehabilitierung, keine Entschädigung für
           von Rote Hilfe e. V.
                                                                                       die Betroffenen der Berufsverbote vor. Diese und viele andere
    12 50 Jahre Berufsverbote                                                          befürchten vielmehr eine Neuauflage der Bespitzelung, denn
           Einladung zu Online-Veranstaltungen und Diskussion
    13 Erlesenes zum Thema                                                             die Regierung kündigt in ihrem Vertragswerk an, »Gefährder-
           »Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts«            Definitionen vereinheitlichen, deren Früherkennung forcieren
    Betriebsratswahl 2022                                                              und für eine koordinierte Überwachung sorgen« zu wollen –
                                                                                       dies gelte übrigens für jede Form des Extremismus.
    14 Wahlvorstände und Betriebsräte rechtssicher wählen
                                                                                       Auch wenn die Regierung im Rechtsextremismus »derzeit die
    15 Der Weg zum Betriebsrat muss nicht steinig sein
           Interview mit Prof. Dr. Ingrid Artus                                        größte Bedrohung unserer Demokratie« sieht, so reichen da-
    16 Wichtige Informationen zur Betriebsratswahl 2022                                gegen die bestehenden Gesetze allemal aus. Man muss es nur
    Was es sonst noch gibt                                                             wollen. Eine Rückkehr zum »Radikalenerlass« wäre hingegen
    17 Berichte                                                                        ein Griff in die antidemokratische Mottenkiste.
           - Petition für den Erhalt der Geistes- und Sozialwissenschaften über-                                                   Dorothea Weniger
             geben
           - GEW Straubing-Bogen diskutiert mit Filmteam: Keine Plattform für
             Neonazis
                                                                                        SuE-Tarifrunde:
           - Die optimale Ganztagesbildung – eine Teamaufgabe!                          Wir sind die Profis!
           - »Heute ist ein guter Tag, um die Welt zu retten«
           - Blick zurück auf die TV-L-Warnstreiks 2021 – verbunden mit einem           Eigentlich sollte die Tarifrun-
             hoffnungsvollen Blick nach vorn auf die nächsten Verhandlungen             de Sozial- und Erziehungs-
           - Lehrkräfte betrauerten am 17. November Verlust von Bildungs-               dienst (SuE) schon im Jahr
             qualität                                                                   2020 stattfinden. Coronabe-
    20 aus der GEW                                                                      dingt wurde sie dann aber
           GEW-Kreisverband Memmingen-Unterallgäu ehrt langjährige Mitglieder
                                                                                        erst einmal auf Eis ge-
    21 Nachrufe                                                                         legt. Doch jetzt ist es so
           - Trauer um Haydar Işik
           - Gedenken an Heidelinde Gahler                                              weit. Die SuE-Tarifrunde
                                                                                        betrifft die Beschäftig-
    Rubriken                                                                            ten in der Kita, Sozialar-
    22 Veranstaltungen                                                                  beit und Behindertenhilfe
    23 Geburtstage und Jubiläen                                                         (vgl. DDS 12/2021, S. 3).
    24 Kontakte                                                                         Bei Druckunterlagenschluss für diese DDS gab es noch kei-
                                                                                        ne Informationen zu den Verhandlungen, doch sind diese
            Telefonische Rechtsberatung für Mitglieder                                  hier inzwischen veröffentlicht:
               derzeit nur nach Terminvereinbarung.                                     www.gew.de/wir-sind-die-profis
        Dazu bitte E-Mail senden: rechtsstelle@gew-bayern.de                            Eure GEW Bayern
                          Tel.: 089 544081-14
                 Bitte Mitgliedsnummer bereithalten!
                                                                                       Impressum:

        Liebe Kolleg*innen,                                                            DDS • Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im DGB, Landesverband Bayern
                                                                                       Geschäftsstelle: Neumarkter Str. 22, 81673 München,  089 5440810
        wegen der dynamischen Situation hinsichtlich des Infekti-                      E-Mail: info@gew-bayern.de • gew-bayern.de • facebook.com/GEWBayern/
        onsschutzes und ihrer Auswirkungen können gba-Semina-                          Redaktionsleiterin: Dorothea Weniger, Neumarkter Str. 22, 81673 München
        re im Moment leider nur mit wenig Vorlauf und per E-Mail                       E-Mail: dorothea.weniger@gew-bayern.de
        an GEW-Mitglieder ausgeschrieben werden. Bitte achtet                          Redaktionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Verena Escherich, Kilian Gremminger, Wolfgang
                                                                                       Häberle, Hannes Henjes, Karin Just, Petra Nalenz, Gele Neubäcker, Magnus Treiber, Chrissi Wagner,
        deshalb bei Interesse darauf, dass der Mitgliederverwal-                       Wolfram Witte
        tung eure aktuelle Adresse vorliegt, und teilt diese doch im                   Gestaltung: Karin Just
        Zweifelsfall gerne nochmals mit: mitgliederverwaltung@                         Bildnachweis: (soweit nicht beim Foto berücksichtigt): Titel: IMAGO / Klaus Rose, privat
        gew-bayern.de                                                                  Druck: Druckwerk GmbH, Schwanthalerstr. 139, 80339 München 089 5029994
                                                        GEW Bayern                     Anzeigenannahme: nur über die Redaktionsleitung
                                                                                       Anzeigenverwaltung: Druckwerk GmbH, Schwanthalerstr. 139, 80339 München
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     Aktuelle Mitgliedsdaten melden                                                    Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 14 vom 1.1.2017 gültig.
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     Deine Mitgliedsdaten (Adresse, Bankverbindung, Eingruppierung, Beschäf-           fenden Verfasser*innen dar und bedeuten nicht ohne Weiteres eine Stellungnahme der GEW
     tigungsart, Teilzeit, Erziehungsurlaub, Arbeitsstelle ...) haben sich geändert?   Bayern oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Druckschriften wird keine
     Dann kannst du diese online unter gew-bayern.de/anmeldung selbst aktuali-         Gewähr übernommen. Bei allen Veröffentlichungen behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Der
     sieren. Dort findest du auch deine Beitragsbescheinigung für das Finanzamt.       Bezugspreis ist für GEW-Mitglieder des Landesverbandes Bayern im Mitgliedsbeitrag inbegriffen. Der
     Du kannst deine Änderungsmitteilungen aber auch weiterhin postalisch              Bezugspreis für Nichtmitglieder beträgt jährlich 21 EUR zuzüglich Porto, der Preis der Einzelnummer
     an die Geschäftsstelle der GEW Bayern senden oder dich per E-Mail an die          2,50 EUR zuzüglich Porto.
     GEW-Mitgliederverwaltung wenden: mitgliederverwaltung@gew-bayern.de               Die DDS erscheint monatlich mit Ausnahme der Monate Januar und August.
     Grundsatz aller Gewerkschaften: Wer weniger verdient, zahlt weniger               Adressenänderung: Ummeldungen bitte an die Landesgeschäftsstelle der GEW.
     Beitrag (wenn es uns mitgeteilt wird!). Der Rechtsschutz wird nur gewährt,        Redaktions- und Anzeigenschluss: jeweils am 6. des Vormonats.
     wenn der satzungsgemäße Beitrag entrichtet wurde.
DDS Januar/Februar 2022       3

Kein Grund zum Feiern –
50 Jahre »Radikalenerlass«

                                                                                                               Foto: IMAGO / Klaus Rose

    Am 28. Januar 1972 verständigten        Beschäftigten und 260 Entlassungen.         »kommunistischen Kampfbegriff«, da
sich der damalige Bundeskanzler Willy       Dabei wurde durchweg nicht etwa ar-         eine bestimmte Ausbildung oder ein be-
Brandt und die Ministerpräsidenten der      beits- oder dienstrechtlich mit etwaigen    stimmtes Studium keinen Anspruch auf
Länder darauf, dass die Mitgliedschaft      Verfehlungen argumentiert, sondern          einen bestimmten Arbeitsplatz schaffen
in einer Organisation, die »verfassungs-    ausschließlich mit der politischen Gesin-   würde. Für die Privatwirtschaft trifft dies
feindliche Ziele verfolgt«, Zweifel an      nung der Betroffenen. Über den Umfang       auch zu. Eine bloße Stellenbewerbung
der Verfassungstreue begründe. Dies         der Überprüfungen im Zuge der »Regel-       erzeugt keinen Anspruch auf Einstellung.
rechtfertige die Ablehnung einer Be-        anfrage« liegen nur Schätzungen vor, die    In Schule und Hochschule jedoch hat der
werbung für den öffentlichen Dienst.        sich bei etwa 3,5 Millionen überprüften     Staat zu 95 Prozent das Beschäftigungs-
Am 28. Januar 2022 jährt sich nun der       Personen einpendeln. Eine enorme Zahl,      monopol. Der kleine Sektor der Privat-
sogenannte »Radikalenerlass« zum            die darin begründet ist, dass das gesam-    schulen, an dem tatsächlich einige we-
fünfzigsten Mal.                            te soziale Umfeld der Bewerber*innen        nige Berufsverbotsopfer unterkamen,
                                            mit ausgeschnüffelt wurde.                  konnte allerdings die Dimension von
    Die Feststellung einer »Verfassungs-                                                Nichteinstellungen nicht kompensieren.
feindlichkeit«, ein schwammiger politi-        Versuche                                 Zu bedenken ist auch, dass Anfang der
scher Kampfbegriff, wurde an den Ver-          der Rechtfertigung                       70er-Jahre in manchen Bundesländern
fassungsschutz delegiert: Instrument                                                    25 Prozent der Studienplätze auf das
zur Umsetzung des Beschlusses war die           Die vermeintliche Logik des »Radi-      Lehramt ausgerichtet waren.
neu eingeführte »Regelanfrage«, der         kalenerlasses« brachte der damalige
sich alle Bewerber*innen für den öffent-    Hamburger Bürgermeister Peter Schulz           Eine politische
lichen Dienst unterziehen mussten, die      (SPD) auf den Punkt: »Es genügt der            Einordnung
aber auch auf dort bereits Festangestell-   ernsthafte Zweifel daran, dass der Be-
te ausgeweitet wurde. Im Zentrum der        werber sich für unsere demokratische            Warum verstieg man sich zu diesen
Maßnahmen standen die Beschäftigten         Grundordnung einsetzt. Er hat, wenn Sie     Maßnahmen? Zumal die Koalitionsre-
in Bildungseinrichtungen (Schulen und       so wollen, die Beweislast.« Schuldig bei    gierung (SPD/FDP) 1969 angetreten
Hochschulen), hauptsächlich betroffen       Verdacht und Umkehrung der Beweis-          war, um »mehr Demokratie zu wagen«?
waren also die Organisationsbereiche        last für Beschuldigte – so der Höhepunkt    Berufsverbotsmaßnahmen trafen fast
der GEW. In einzelnen Fällen traf es        »rechtsstaatlichen Denkens« durch ei-       ausschließlich linke bzw. als »linksext-
aber auch Briefträger und Lokführer. In     nen Amtsträger.                             remistisch« eingestufte Organisationen,
den folgenden Jahren führte dieser Be-          Die Befürworter*innen dieser Maß-       die in allen Fällen legal waren. Die Be-
schluss zu rund 11.000 Berufsverbots-       nahmen argumentierten, es könne gar         rufsverbote der 70er-Jahre standen in
verfahren, 1.250 Nichteinstellungen,        keine Berufsverbote geben. Es handele       einer wesentlich längeren Tradition. Die
2.200 Disziplinarverfahren von bereits      sich vielmehr um einen vermeintlich         BRD wurde nach dem Zweiten Weltkrieg
4   DDS Januar/Februar 2022

    als antikommunistischer Frontstaat im        nen. Unter »Beobachtung« im Sinne              die Berufsverbote auch am Beispiel der
    Kalten Krieg gegründet. In dieser Logik      einer »Kontaktschuld« gerieten auch            Lehrerin Sylvia Gingold an, der Tochter
    erfolgte 1956 das KPD-Verbot. Bereits        Aktivist*innen politischer Bündnisse,          eines jüdischen kommunistischen Emi-
    1950 wurde der sogenannte »Adenau-           in denen Kommunist*innen mitarbei-             granten, der in der französischen Resis-
    er-Erlass« verkündet. Er zählte dreizehn     teten; etwa der VVN-BdA (Vereinigung           tance gekämpft hatte. Die bundesweit
    Organisationen – elf linke und zwei fa-      der Verfolgten des Naziregimes – Bund          koordinierten »Initiativen gegen Be-
    schistische – auf, deren Mitglieder aus      der Antifaschistinnen und Antifaschis-         rufsverbote« entwickelten sich in den
    dem öffentlichen Dienst zu entlassen         ten), der VDJ (Vereinigung demokrati-          70er-Jahren zu einer Massenbewegung.
    oder von diesem von vornherein fern-         scher Juristinnen und Juristen) oder der       Hier zogen diverse linke Organisationen,
    zuhalten waren. Als in den 60er-Jahren       DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft          die ansonsten auch zerstritten waren,
    aufgrund der Außerparlamentarischen          – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen)          an einem Strang. In der zweiten Hälfte
    Opposition (APO) und der 68er-Studie-        etc. Dies beförderte ein Klima der Ein-        der 70er-Jahre entwickelte sich eine an-
    rendenbewegung linke und sozialisti-         schüchterung, der Entpolitisierung und         haltende Lehrer*innenarbeitslosigkeit,
    sche Ideen in der Jugend an Boden ge-        der Denunziation. Ein banales Beispiel:        die »politische« Nichteinstellungsgrün-
    wannen, wurde 1968 mit der Gründung          Im Vor-Internet-Zeitalter waren Unter-         de zunehmend erübrigte. 1980 dann
    der DKP wieder eine kommunistische           schriftensammlungen auf Papier we-             schafften die SPD-regierten Länder die
    Partei zugelassen (auch mit Unterstüt-       sentlich häufiger als heute ein Mittel,        »Regelanfrage« ab; Bayern und Baden-
    zung der Bundesregierung). Der mit die-      um auf Probleme hinzuweisen und po-            Württemberg erst Anfang der 90er-Jah-
    ser Partei verbundene Marxistische Stu-      litische Forderungen zu bekräftigen. Ich       re. Eine »Bedarfsanfrage« für Einzelfälle
    dentenbund (MSB) Spartakus gewann            erinnere mich selbst daran, dass darauf        blieb jedoch bestehen und in Bayern
    starken Einfluss an den Hochschulen          Angesprochene häufig äußerten, sie             wird vor einer Einstellung in den öffent-
    und bildete in Kooperation mit Nichtor-      würden zwar die Forderungen gänzlich           lichen Dienst die Zugehörigkeit zu diver-
    ganisierten und sozialdemokratischen         unterstützen, könnten allerdings nicht         sen Organisationen – von al-Qaida bis
    Verbänden wie dem SHB viele Allgemei-        riskieren, mit den »falschen« Leuten auf       zur Linkspartei – abgefragt. Auch diese
    ne Studierendenausschüsse (ASten). An        einer Adressenliste zu stehen. Im Kern         »Reste« gehören abgeschafft und die
    anderen Hochschulstandorten domi-            führte der »Radikalenerlass« also zu ei-       flächendeckende Gesinnungsschnüffelei
    nierten die sogenannten K-Gruppen, die       nem antidemokratischen Verbot freier           darf nie wieder aufleben. Eine Rehabili-
    sich an der Volksrepublik China orien-       politischer Betätigung.                        tierung und Entschädigung der von Be-
    tierten. Die Resonanz dieser politischen          Was schließlich den entscheidenden        rufsverboten Betroffenen wäre zudem
    Strömungen vergrößerte sich erheblich,       Ausschlag für das Auslaufen der Berufs-        ein Zeichen demokratischer Stärke.
    nachdem mit der Hochschulreform die          verbotspraxis gab, ist umstritten. Jeden-
    Studierendenzahlen drastisch anstie-         falls häufte sich die Kritik aus dem In- und
    gen. Anfang der 70er-Jahre bildeten lin-     Ausland; insbesondere aus Frankreich,
    ke Koalitionen die weit überwiegende         wo eine damals sehr starke Kommunisti-
    Mehrheit der Studierendenvertretun-          sche Partei (PCF) ab 1972 sogar kurzzei-        von Torsten Bultmann
    gen. Vor diesem Hintergrund eröffneten       tig in der Regierung war. Der französische         Mitglied des Beirats des
    CDU/CSU, insbesondere nachdem sie            Publizist Alfred Grosser erhielt 1975 den          Bundes demokratischer
    1969 auf Bundesebene in die Opposi-          Friedenspreis des Deutschen Buchhan-              Wissenschaftlerinnen und
                                                                                                            Wissenschaftler
    tion geraten waren, ein publizistisches      dels und prangerte in seiner Preisrede
    Dauerfeuer gegen eine »kommunisti-
    sche Unterwanderung« und die »Volks-
    front an den Hochschulen«. Die Bun-
    desregierung musste sich mit ähnlicher          Die GEW Nürnberg lädt zu Vortrag und Ausstellung ein
    Rhetorik aufgrund ihrer Vertrags- und
    Entspannungspolitik mit den sozialisti-         Der »Radikalenerlass«
    schen Ländern eine Verharmlosung des
    »Kommunismus« vorwerfen lassen. Of-
                                                    feiert Geburtstag
    fenbar diente ihr der »Radikalenerlass«,        50 Jahre danach berichten Be-
    den Willy Brandt wenige Jahre später als        troffene aus der Region.
    »Irrtum« eingestand, dem Zweck innen-           Parallel dazu wird eine von
    politischer Entlastung, um ihre Haupt-          der GEW erstellte Ausstellung
    projekte – Entspannungspolitik mit dem          gezeigt.
    Osten und innere Reformen (Bildung,
    Justiz, Familienrecht etc.) – abzusichern.      Samstag, 19. Februar 2022
                                                    ab 10 Uhr
       Politische Konsequenzen                      DGB-Haus Nürnberg, 7. Stock

        Die politischen Wirkungen dieses            Hinweis: Auch die GEW Bayern wird fünf Veranstaltungen zum Thema
    Erlasses waren fatal. Betroffen waren           »50 Jahre Berufsverbote« anbieten (vgl. gew-bayern.de/berufsverbote und
    keineswegs nur unmittelbare Mitglie-            Seite 12 dieser DDS.
    der der inkriminierten Organisatio-
DDS Januar/Februar 2022       5

Wie wird man ein
»Verfassungsfeind«?

                                                                                                             Foto: IMAGO / Klaus Rose

   Mein Name ist Friedrich Sendel-          wird es schon schwierig, ein Feind         und Sozialkunde erfolgreich abschloss
beck. Ich bin seit fast 50 Jahren Gewerk-   von etwas zu werden, das einem nicht       und mich für das Referendariat bewarb,
schaftsmitglied und hatte dort viele        nahegebracht wurde. Nachdem ich            ahnte ich noch nicht, dass ich zwar als
Funktionen inne, u. a. im Stadtvorstand     dann in den frühen 70er-Jahren die         Tutor an einer Universität des Freistaats
des DGB Nürnberg und im GEW-Kreis-          Schule absolvierte und mein Studium        Bayern hatte arbeiten können, mir aber
vorstand. Meine Frage heute: Wie wird       begann, konnte ich nicht umhin, mir        im Februar – ich erfuhr dies erst nach
man ein »Verfassungsfeind«?                 unsere Verfassung, das Grundgesetz,        einer telefonischen Nachfrage beim
                                            näher anzuschauen. Dabei wurde ich         Kultusministerium – der Zugang zur
Meine Antwort: Ich wurde ein solcher        aber erst recht kein Feind dieser Ver-     zweiten Phase meiner Lehrerausbil-
– oder besser: Ich wurde zu einem sol-      fassung, denn für mich waren z. B. die     dung verwehrt werden würde.
chen gemacht. Ich empfand mich näm-         in Artikel 20 Grundgesetz niedergeleg-
lich nie als Feind der Verfassung. Im       ten Grundsätze der Demokratie und             Dritte Vorbemerkung
Unterschied dazu sah ich aber an vielen     des Sozialstaats sehr vernünftige und
Stellen eine Diskrepanz zwischen dem        wünschenswerte Grundsätze, die ich         Ich erinnere mich noch gut an den Na-
Verfassungstext und der Verfassungs-        jedoch noch lange nicht als verwirklicht   men des Ministerialrats Himmelstoß,
wirklichkeit. Bevor ich beginne, hier       ansah. Ob ich damit schon ein Verfas-      der bei einem Anruf im Ministerium
noch drei Vorbemerkungen.                   sungsfeind war?                            zunächst meinte, dass ich an einem
                                                                                       Gymnasium in Erlangen eingesetzt
   Erste Vorbemerkung                          Zweite Vorbemerkung                     würde. Auf Nachfrage erklärte er dann
                                                                                       allerdings, dass »Bedenken« bezüglich
In meiner Schulzeit kam ich so gut wie      Als ich 1976 mein Lehramtsstudium in       meiner Verfassungstreue vorlägen. Das
nie in Kontakt mit der Verfassung! Da       den Fächern Geschichte, Germanistik        Weitere bekäme ich dann schriftlich.
6   DDS Januar/Februar 2022

    Damit war ich als »Verfassungsfeind«          Bayern die Lehrerausbildung aus-                Erste Nachbemerkung
    abgestempelt. Dies schockierte mich           schließlich im Beamtenverhältnis statt-
    zunächst sehr, denn um meine Ausbil-          finden könne. Gleichzeitig hatte das        Ich musste ja während dieser Zeit mei-
    dung abschließen zu können, war ich           Kultusministerium Rechtsmittel gegen        nen Lebensunterhalt verdienen und
    auf das Referendariat angewiesen.             das Arbeitsgericht eingelegt. Somit         arbeitete in der privaten Erwachse-
    Doch warum sah sich das Kultusminis-          stand ich 1985 – nach der genannten         nenbildung zu viel schlechteren Bedin-
    terium dazu veranlasst, aus mir einen         Rechtsänderung – also vor dem Lan-          gungen als im staatlichen Schuldienst.1
    »Verfassungsfeind« zu machen? Denn            desarbeitsgericht (LAG). Der Richter        Dort war ich viele Jahre im Betriebsrat
    ganz nebenbei: Von den fünf gegen             dort machte es sich sehr einfach und        und danach Gewerkschaftssekretär,
    mich vorgebrachten »Erkenntnissen«,           erklärte, dass mein Antrag, als Ange-       zunächst bei der GEW Bayern und an-
    die Anlass dazu geben sollten, mich als       stellter beschäftigt zu werden, auf-        schließend noch über zehn Jahre bei
    »Verfassungsfeind« zu bezeichnen, wa-         grund der nunmehrigen Rechtslage            ver.di Mittelfranken. Diesen Positionen
    ren vier offensichtlich falsch. So soll ich   nicht möglich sei. Er hob das Urteil        verdanke ich es u. a., dass ich heute
    z. B. eine politische Veranstaltung in ei-    des Arbeitsgerichts auf. Dagegen ging       eine Rente erhalte, die zwar immer
    nem Jugendzentrum geleitet haben, als         ich vor und zog vor das Bundesarbeits-      noch deutlich niedriger als die Pension
    es dieses noch gar nicht gab. Doch auch       gericht (BAG). Die dortigen Richter         ist, aber mich doch über das Niveau der
    abgesehen davon ist es ein Grundrecht,        hielten das bayerische »Maßnahme-           Grundsicherung hebt.
    sich politisch zu informieren.                gesetz« wegen Verstoßes gegen die
    Da mir bezüglich der Anschuldigungen          Rechtsprechung des Bundesverfas-                Zweite Nachbemerkung
    eine Anhörung verwehrt wurde, nahm            sungsgerichts für rechtswidrig und ver-
    ich schriftlich dazu Stellung. Dabei wies     wiesen deshalb meine Klage zur Vorla-       Ich wurde vor etwa fünf Jahren gebe-
    ich auch darauf hin, dass ich ja wäh-         ge nach Karlsruhe.                          ten, an einer Bildungseinrichtung der
    rend meines Studiums bereits als Tutor        Erfreulich für mich war die große Soli-     Universitätsklinik zu unterrichten. In
    für den Staat tätig war und ich mich          darität, die mir in jener Zeit von vielen   diesem Rahmen wurde verlangt, dass
    schon damals dazu verpflichtet hatte,         Seiten entgegengebracht wurde. So           ich einen vierseitigen Bogen, den ich
    das Grundgesetz zu achten. Der einzig         hatten sich zahlreiche Menschen aus         für völlig rechtswidrig halte, ausfüllen
    zutreffende Vorwurf war meine Kandi-          Politik, Gewerkschaft und Gesellschaft,     sollte. Als ich mich weigerte, verlangte
    datur für das Studentenparlament, ein         darunter auch der Nürnberger Stadtrat,      man von mir, ich solle einer Anfrage an
    legales politisches Engagement.               für mich eingesetzt. Selbst die Interna-    das Landesamt für Verfassungsschutz
    Mit meinen Ausführungen konnte ich            tionale Arbeitsorganisation (ILO) frag-     zustimmen. Diesem Verlangen stimm-
    aber, wie man mir wiederum schriftlich        te beim Freistaat Bayern an, wann ich       te ich sehr gerne zu – und erhielt nach
    mitteilte, die »Zweifel« an meiner Ver-       denn endlich meine Ausbildung been-         einigen Wochen die Auskunft, dass
    fassungstreue nicht ausräumen. Trotz-         den könne.                                  gegen mich nichts vorläge. Ich durfte
    dem erhielt ich als einer der wenigen         Mein Anwalt riet mir nach einigen Infor-    also unterrichten, obwohl ich meine
    Betroffenen keine Anhörung bei der            mationen aus Karlsruhe und vonseiten        Ausbildung im Lehramt nie abschließen
    Regierung und somit auch keine Mög-           der ILO dringend dazu, meinen Revisi-       konnte.
    lichkeit, im Gespräch die Dinge zu klä-       onsantrag beim BAG zurückzunehmen.
    ren. Lapidar hieß es in dem Schreiben:        Die Gründe dafür auszuführen, würde             Letzter Hinweis
    Ich könne ja klagen.                          hier zu weit führen. Damit wurde mit
    Das machte ich dann auch: Mitte 1977          einiger Verspätung das Urteil des LAG       In Niedersachsen hat sich der dortige
    reichte ich meine Klage beim Verwal-          rechtskräftig. Ich war also gerichtlich     Landtag bei den Opfern der Berufsver-
    tungsgericht Ansbach ein. Es dauerte          festgestellt ein »Verfassungsfeind«.        botepraxis entschuldigt.2 Derzeit wird
    jedoch bis zum Jahr 1983, bis dieses          Notwendiger Exkurs: Fast parallel zu        auch über Entschädigungen verhan-
    Gericht meinen Antrag ablehnte. Zum           meinem festgestellten Berufs- und           delt. Mir wurde vom bayerischen In-
    Glück hatte mein Anwalt hilfsweise            Ausbildungsverbot sah der Bayerische        nenminister im Jahr 2014 ein Gespräch
    auch beantragt, dass ich mein Refe-           Verwaltungsgerichtshof im August            über meinen Fall verweigert. Er teilte
    rendariat wenigstens als Angestellter         1988 keinen ausreichenden Grund für         mit: »Ich habe keinen Zweifel, dass
    absolvieren könne, um die Ausbildung          die Entlassung des Fürther Studiendi-       das damalige Vorgehen
    abzuschließen. Dieser Antrag wurde an         rektors Hans-Jürgen Witzsch, der seine      rechtmäßig war.«
    das Arbeitsgericht überwiesen. Dort           Schüler*innen u. a. mit Aussagen wie
    gewann ich, da der Staat nach einem           »Sechs Millionen im Dritten Reich er-
    Urteil des Bundesverfassungsgerichts          mordete Juden sind eine Phantasiezahl,
    aus dem Jahr 1972 in Berufen, in denen        für die es keinerlei Beweise gibt« be-                           von
    er das Ausbildungsmonopol hat, auch           lehrte. Zuvor hatte ihn bereits das Ans-        Friedrich Sendelbeck
    einen Ausbildungsabschluss außerhalb          bacher Verwaltungsgericht, das Jahre
    des Beamtenverhältnisses zulassen             vorher in meiner Abwesenheit mein
    müsse.                                        Ausbildungsverbot bestätigt hatte, vom
                                                                                              1   Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen
    Doch der Freistaat hielt sich nicht an        Vorwurf freigesprochen, im Unterricht           erreichte ich später in diesem Bildungsträger einen
    das Urteil! Vielmehr änderte er am            Nazithesen verbreitet zu haben.                 halbwegs ordentlichen Branchentarifvertrag.
                                                                                              2   Jutta Rüpke (HG.): Berufsverbote in Niedersachsen
    8. Mai 1985 im Landtag die rechtliche         Bevor ich zum Schluss komme, noch               1972-1990: Eine Dokumentation. Hannover 2018;
    Grundlage und dekretierte, dass in            zwei Nachbemerkungen.                           Download: demokratie.niedersachsen.de
DDS Januar/Februar 2022      7

50 Jahre Berufsverbote –
45 Jahre Betroffenheit und eigene
Geschichte

                                                                                                          Foto: IMAGO / Klaus Rose

    Ich hatte Glück: Mich ereilte vor     Ich lernte an der Uni GEW-Studierende      Gegen Ende meines Studiums wurden
45 Jahren kein Berufsverbot. Jedoch       kennen, trat in die Gewerkschaft ein       die Fragen nach meiner Zukunft in
wurde auch meine Verfassungstreue         und kandidierte auf der LAF-Liste (ge-     Bayern allerdings konkreter. Ich ver-
in Zweifel gezogen. Vielleicht ersparte   werkschaftlich orientierte Liste AStA/     suchte, mein Engagement beizubehal-
mir ein Zufall das Verbot, meinen Be-     Fachschaften), arbeitete in den Hoch-      ten, organisierte Streiks, arbeitete mit
ruf ausüben zu können.                    schul- und GEW-Gremien mit und be-         Kommunist*innen zusammen und kan-
                                          teiligte mich an vielen Hochschulakti-     didierte wiederholt für die studentische
Ich wuchs im Norden auf, war schon        onen, aber auch an außeruniversitären      Mitverantwortung auf »Wahllisten
früh politisch aktiv – sei es in der      Bewegungen wie der Friedensbewe-           mit gewerkschaftlicher Orientierung«
Schüler*innenmitverwaltung (SMV), in      gung und Aktionen gegen den NATO-          (GO-Listen) und offenen Listen. Einmal
der Bundeswehr als Vertrauensmann,        Doppelbeschluss und die Wiederauf-         sprach mich jemand (vom Verfassungs-
beim Jobben in der IG Druck und Pa-       bereitungsanlage (WAA). Ich gestaltete     schutz?) an, ob ich nicht Informationen
pier, beim Streiken in der Hamburger      Flugblätter und schrieb für sie Artikel.   liefern könnte, es sollte mein Schaden
Uni oder in der AKW-Bewegung. Für         Schon im zweiten Semester sprachen         nicht sein – ich wollte nicht.
mich war dieser Einsatz für Demokratie    mich Kommiliton*innen an: So ein En-
stets wichtig und selbstverständlich.     gagement sei doch sehr gefährlich. Erst       Der Weg durch
                                          hierdurch und durch die Zusammenar-           die Anhörung
   Politisches Arbeiten                   beit mit Kommiliton*innen aus dem So-
   unter dem sogenannten                  zialistischen Hochschulbund (SHB) und      Das Damoklesschwert »Berufsverbot«
   »Radikalenerlass«                      Marxistischen Studentenbund (MSB)          hing zum Ende meines Studiums ge-
                                          lernte ich schnell die Auswirkungen des    fährlich nahe über mir. Damals kann-
Dann wechselte ich Studiengang und        »Radikalenerlasses« kennen. Er löste       te ich bereits einige Mitstudierende,
Uni und kam im Wintersemester 1978/       Angst in den Köpfen aus und erzeugte       die wussten, dass sie in Bayern sicher
79 zum Lehramtsstudium nach Mün-          Duckmäuser anstelle von demokratisch       nicht in den Schuldienst kommen wür-
chen. Dort wollte ich an meine Ham-       gesonnenen Lehramtsstudierenden.           den. Vor ihrem Mut hatte ich große
burger Erfahrungen anknüpfen und          Immer wieder fragten sie mich, ob ich      Hochachtung. Wir, hochschulpolitisch
lernte: Bayern ist anders! Hochschulpo-   denn keine Angst vor einem Berufs-         aktive Studierende, schlossen uns par-
litik ist hier streng ge-maß-regelt.      verbot hätte. Hatte ich meist nicht.       teiübergreifend zusammen und orga-
8   DDS Januar/Februar 2022

    nisierten Schulungen, um bei eventu-              mit viel Material. Sie legten mir Flug-        Solidarität in meinem persönlichen
    ellen Anhörungen gegen die Berufs-                blätter und Broschüren vor, in denen           Umfeld konnte ich es gut ertragen.
    verbieter*innen bestehen zu können.               ich kritische Texte geschrieben hatte,
    Dafür wurden wir auch von Rechts-                 hatten Fotos von Demonstrationen,                  Belastende Gedanken
    anwält*innen sehr realistisch beraten.            hielten mir vor, dass mein Auto an Ver-            bleiben
    Doch die drohenden Berufsverbote                  anstaltungsorten in München parkte,
    sorgten für eine ungute Stimmung.                 wo kritische Veranstaltungen von DKP,          Ich ließ mich weder im Referendariat,
    Als dann klar war, dass ich mein Re-              SPD oder Gewerkschaften stattfan-              z. B. als Seminarsprecher, noch danach
    ferendariat in Schwaben, dem Re-                  den. Zu alldem musste bzw. sollte ich          während meiner schulischen Laufbahn
    gierungsbezirk mit den ärgsten                    Stellung nehmen. Ich war sehr ange-            hinsichtlich meines politischen Enga-
    Berufsverbieter*innen beginnen sollte,            spannt, aber die gute Vorbereitung             gements einschüchtern, war stets poli-
    wechselte ich schnell in einen anderen            zahlte sich aus. Ich konnte stets darauf       tisch interessiert, aktiv und manchmal
    Regierungsbezirk. Dennoch erhielt ich             verweisen, dass ich als Gewerkschaf-           auch laut. Trotzdem erfuhr ich weder
    anstelle einer Einladung ins Seminar              ter aufgetreten war, eine Parteizuge-          bei der Verbeamtung auf Probe noch
    ein Schreiben, dass Zweifel an meiner             hörigkeit ging aus den Flugblättern            bei der auf Lebenszeit Nachteile. Doch
    demokratischen Gesinnung bestün-                  nicht hervor. Damit waren sie mit ih-          stellte sich bei jeder dieser »Klippen«
    den und ich mich doch im Rahmen                   rem Material am Ende, doch ich hatte           die Sorge ein, ob der Staat wohl weiter
    einer Anhörung äußern sollte. Meine               noch zwei Flugblätter! Hätten sie diese        nach belastendem Material gesucht
    Kommiliton*innen waren nicht sonder-              beiden gehabt, wären sie vielleicht in         hat, was sehr stressig und belastend
    lich erstaunt, aber auch nicht sonder-            ihrer Überzeugung bestärkt gewesen,            war. Auch als verbeamteter Lehrer und
    lich empört: »Selbst Schuld, haben wir            einem sogenannten Verfassungsfeind             später als Schulleiter bemerkte ich kei-
    ja gleich gewusst!«, meinten sie mehr-            gegenüberzusitzen, aber sie hatten             ne Nachteile. Gleichwohl trat ich auch
    heitlich. Kein Wort, dass Berufsverbote           sie nicht! Ich konnte es kaum glau-            weiterhin immer offen als kritischer
    verfassungswidrig sind. Viele von ihnen           ben, als sie die Anhörung beendeten            Gewerkschafter auf. Klar war mir auch,
    übernahmen bereitwillig die Politik der           und meinten, ich würde zeitnah ihre            dass während meiner Dienstzeit alle
    bayerischen Staatsregierung. Breite So-           Entscheidung schriftlich erhalten. Aus         vorgesetzten Dienststellen von meiner
    lidarität erfuhr ich aber zum Glück in            »zeitnah« wurden mehrere Wochen,               politischen Arbeit und den früher be-
    der GEW.                                          mein Anwalt musste nachfragen, aber            standenen Zweifeln an meiner Verfas-
    Nach intensiver Vorbereitung durch                dann ging es ganz schnell: Die Zweifel         sungstreue wussten.
    einen Anwalt, andere Betroffene und               an meiner Verfassungstreue ließen
    Kolleg*innen aus der GEW, unterstützt             sich nicht hinreichend belegen und ich
    von einem ehrenamtlichen gewerk-                  konnte mit einiger Verspätung Ende
                                                                                                                von Jörn Bülck
    schaftlichen Rechtsberater saß ich mit            Oktober mein Referendariat antreten.
                                                                                                       ehemaliger Schulleiter eines
    meinem Material in der Anhörung,                  Es waren sehr anstrengende und                   Förderzentrums im Ganztag
    vor mir drei Vertreter*innen der be-              manchmal frustrierende Wochen, aber                             Mitglied im
    treffenden Bezirksregierung, ebenso               Dank der gewerkschaftlichen und der                    GEW-Landesvorstand

                                                      Ausstellung zum Verleih:
                                                      »›Vergessene‹ Geschichte – BERUFSVERBOTE –
                                                      Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland«
                                                      Die Ausstellung zum sogenannten Radikalenerlass und den Berufsverboten einer nieder-
                                                      sächsischen Initiative stellt den sogenannten Radikalenerlass mit seinen insbesondere in-
                                                      nenpolitischen Folgen und Langzeitwirkungen dar. Dazu werden die Ereignisse in die deut-
                                                      sche Geschichte (Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bonner Republik), die
                                                      gekennzeichnet ist durch Repressionen gegen linke Oppositionelle, eingeordnet. Kritisch
                                                      Bezug genommen wird dabei auch auf die parallel dazu verlaufene Entwicklung der Inlands-
                                                      geheimdienste, die durch Bespitzelung den Behörden die Grundlagen für Kriminalisierung,
                                                      Verfolgung und später auch für die Berufsverbote lieferten.
                                                      Die Ausstellung will Menschen – vor allem auch jüngere – informieren und dieses unrühmli-
                                                      che Kapitel bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte vor dem Vergessen bewahren. Sie möch-
                                                      te zur Auseinandersetzung über Grund- und Menschenrechte wie z. B. Meinungsfreiheit und
                                                      die Rolle von Inlandsgeheimdiensten anregen.
                                                      Hinweis: Die Ausstellung wird am 19.2. im Rahmen der Veranstaltung »Der ›Radikalener-
                                                      lass‹ feiert Geburtstag«, wenn diese in Präsenz stattfinden kann, im DGB-Haus in Nürnberg
                                                      gezeigt.
                                                      Umfang der Ausstellung: 20 farbige Tafeln (77,8 x 110 cm) auf 3 mm Hartplastik mit je 2
                                                      Aufhängeösen
                                                      Versand: Das Ausleihen ist kostenlos (Spenden werden gerne entgegengenommen), die
       Info zum Titelbild der Ausstellung:            Transportkosten müssen selbst getragen werden.
       Ölgemälde des Bremer Malers Jürgen Waller:     Begleitmaterial: Ausstellungsbroschüre, Plakat, PowerPoint-Präsentation zur Einführung
       »Die lädierte Identität des vom Berufsverbot   Kontakt: Cornelia Booß-Ziegling, T.: 0511 625212, booss-ziegling@t-online.de
       betroffenen Kunsterziehers H. J. Schreiber«    Spendenkonto: IBAN DE 22 3101 0833 1963 0609 20 • BIC CCBADE31
                                                      Santander Consumer Bank • Kontoinhaberin C. Booß-Ziegling • Stichwort: Berufsverbote
DDS Januar/Februar 2022       9

»Ideologie ist wie Mundgeruch
immer das, was
die anderen haben.«
Terry Eagleton

                                                                                                           Foto: IMAGO / Klaus Rose

    Der sogenannte Radikalenerlass ist     nannten Radikalenerlass aus dem Jahre         Die Funktion
das Produkt einer rechtskonservativen      1972 ihren Höhepunkt fanden, könnte           einer Ideologie
Ideologiekampagne. Auf ihrer Grund-        bei der Entlarvung aktueller Ausprä-
lage wurden Opfer zu Täter*innen stili-    gungen, wie z. B. der rechtskonserva-          Doch wie kann man die diffamieren-
siert, während sich die Ideolog*innen,     tiven Agentur The Republic, helfen. In     den Warnungen vor einer »kommunis-
ein scheinbar demokratisches Mäntel-       ihren Konsequenzen ist diese Kampag-       tischen Unterwanderung« einordnen
chen anzogen.                              ne bisher zwar nicht mit den enormen       und verstehen? Was verbirgt sich hinter
                                           Folgen des sogenannten Radikalen-          einer Ideologie und welche Folgen kön-
    Die Bundestagswahl 2021 hat uns        erlasses, also mit der rechtsstaatlich     nen Ideologiekampagnen für Mitglie-
wie unter einem Brennglas gezeigt:         orchestrierten Zerstörung Tausender        der von linken Organisationen haben?
Wer keine eigenen Inhalte stark ma-        linker Existenzen, vergleichbar. Trotz-        Auf theoretischer Ebene hilft ein
chen kann, zeigt mit dem Finger auf an-    dem hilft der historische Blick darauf,    Blick in den Werkzeugkasten von
dere und erklärt sie zum Feind1. Durch     um die heute verbreiteten, neurechten      Carl Schmitt, der einige politisch-
diese Taktik soll den anderen ein poli-    Warnungen vor der »Gender-Ideolo-          philosophische Grundlagen für die
tischer »Mundgeruch« zugeschrieben         gie« oder »radikalen Krawallmachern«       NS-Herrschaft lieferte und weiterhin
werden, dessen Gestank in einer De-        von links einordnen zu können.2 Unter      vielen Konservativen und Rechten als
mokratie keinen Platz hat. So jedenfalls   dem Deckmantel einer liberal-konser-       theoretisches Vorbild dient. Für ihn
kann man die hilflosen Denunziations-      vativen Bürgerlichkeit möchte man          bildete sich das Politische um die Un-
versuche der Unionsparteien gegen-         sich dem »politischen Linksdrift« ent-     terscheidung von Freund und Feind.
über »linken Kräften« im letztjährigen     gegenstellen, macht Stimmung gegen         Um den eigenen Zusammenhalt einer
Bundestagswahlkampf verstehen. Wird        Einzelpersonen (wie die Vorsitzende        Gemeinschaft zu erhalten, brauche es
auch nur soziale Gerechtigkeit erwähnt,    der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta         ein konkretes Feindbild. Da das Feind-
hagelt es Warnungen vor einem »Links-      Kahane) und konstruiert in lupenreiner     bild des*der Juden*Jüdin vor dem Hin-
rutsch« oder einer »kommunistischen        rechtsradikaler Rhetorik den links-grü-    tergrund der Gräueltaten des Dritten
Gewaltherrschaft«. Ein Verweis auf die     nen Mainstream (welcher aus GEWerk-        Reiches in der deutschen Nachkriegs-
praktischen und theoretischen Traditi-     schaftlicher Sicht tatsächlich gar keine   zeit nicht mehr mehrheitsfähig war,
onslinien solcher rechtskonservativer      linke Politik betreibt bzw. unterstützt)   benötigten die rechtskonservativen
Ideologiekampagnen, die im soge-           als staatsgefährdendes Feindbild.          Kräfte neue Antagonist*innen, die in
10   DDS Januar/Februar 2022

     den Vertreter*innen des Kommunis-          enthielt die Forderung nach Weiterver-          beteiligt war. So lenkte die innerstaat-
     mus gefunden wurden. Diese »inner-         breitung. Damit richtete sich die An-           liche Feinderklärung auch hier von den
     staatliche Feinderklärung« wurde zum       klage gegen jemand, der ganz im Sinne           eigentlichen antidemokratischen Taten
     Ende der 1960er-Jahre immer wich-          der freiheitlich-demokratischen Grund-          ab, wodurch rechte Ideologie zu gelten-
     tiger, da große Teile der Studieren-       ordnung handelte, wodurch die Kläger            dem Recht gemacht wurde.
     denvertretungen an den Hochschulen         als eigentliche Verfassungsfeinde ein-
     sozialistische Ansichten vertraten und     zustufen sind. Anhand dieser Umkeh-                 »Wo aber Gefahr ist,
     1968 auch wieder die Gründung einer        rung wird die ganze Macht von Ideo-                 wächst das Rettende
     kommunistischen Partei (DKP) ermög-        logie sichtbar: Eine Erzählung soll sich            auch!«3
     licht wurde. Vor dieser »marxistischen     über die eigentlichen Tatsachen legen,
     Renaissance« fürchteten sich die Uni-      um sie zu verschleiern. Die Tatsache                Die rechtskonservative Ideologie-
     onsparteien, was durch den Verlust der     des Friedensvertrages wiegt weniger             kampagne spaltet, vereinfacht und
     Regierungsmacht im Jahre 1969 noch         als die Erzählung des Antikommunis-             verschleiert, wodurch historische Ge-
     verstärkt wurde. Nachdem die sozialli-     mus. Die rechtskonservative Ideologie           gebenheiten um 180 Grad gedreht
     berale Koalition dann die Ostverträge      versucht also durch Manipulation ein            werden. Doch diese gefährliche Stra-
     beschloss, also versuchte, mit den ost-    falsches Bewusstsein in der Bevölke-            tegie hat auch ihre Kehrseite, und die
     europäischen Nachbarländern einen          rung durchzusetzen, damit die eigenen           kann uns Hoffnung, vor allem vor dem
     außenpolitischen Dialog einzugehen,        verfassungsfeindlichen Bestrebungen             Hintergrund der Debatte um den so-
     rief der CDU-Oppositionsführer Rainer      vertuscht werden können.                        genannten Radikalenerlass von 1972,
     Barzel aus: »Der Öffnung nach außen                                                        geben. Wer kollektiv als Feind ausge-
     darf keine Öffnung nach innen folgen!«                                                     wiesen wird, der findet sich notwendi-
     Diesem Ausspruch und der damit ein-                                                        gerweise mit anderen auf der gleichen
     hergehenden Verleumdungskampagne                                                           Seite wieder, wodurch untereinander
     von rechts gab die SPD-geführte Regie-                                                     prinzipiell ein größeres Mobilisierungs-
     rung drei Jahre später nach und führte                                                     potenzial entstehen kann. Diese Chan-
     1972 den sogenannten Radikalenerlass                                                       ce des gemeinschaftlichen Kampfes
     ein, der die Etablierung der Berufsver-                                                    wurde nach dem Erlass 1972 sehr
     botspraxis ermöglichte. Wie weit die                                                       deutlich. Es formierte sich ein breites
     Diffamierung des »Feindes« ging, zeigt                                                     linkes Bündnis mit internationaler Un-
     eine Rede des Staatsrechtlers Klaus                                                        terstützung, zu welchem unter ande-
     Stern, der damals als überzeugter Ver-                                                     rem die Friedensbewegung, der Antifa-
     fechter der Berufsverbote galt: »Es                                                        schismus, engagierte Berufsgruppen in
     soll erreicht werden, dass alle auf dem                                                    Erziehung, Wissenschaft, Sozialarbeit
     Index stehenden Organisationen wie                                                         und der Medizin gehörten. Die Dialek-
     Leprakranke gemieden und damit hoff-                                                       tik hinter den Ereignissen, die von der
     nungslos isoliert werden.« Der Kommu-                                                      Gleichzeitigkeit     rechtskonservativer
     nismus wird zur Krankheit erklärt, die                                                     Destruktivität und linker Konstruktivität
     aus der Gesellschaft verbannt gehört,                                                      geprägt waren, kann uns auch nach 50
     wodurch der Kreis der Anhänger*innen                                                       Jahren sogenanntem Radikalenerlass
     zu Menschen zweiter Klasse degradiert                                                      für die heutigen und noch bevorste-
     wird. Mit Verfassungstreue hat dies we-                         Foto: IMAGO / Klaus Rose   henden Kämpfe Mut machen – auch in
     nig zu tun.                                     Diese Strategie kann auch im Falle         dem Wissen, dass sehr viele berufliche
                                                der hessischen Lehrerin Sylvia Gingold          Existenzen damals für immer vernich-
        Die Macht der Ideologie                 beobachtet werden. Ihr wurde die                tet wurden!
                                                Verfassungstreue abgesprochen, da
         Die rechtskonservative Ideologie-      sie angeblich »die Beeinträchtigung                                von
     kampagne spaltet seit jeher nicht nur in   der freien Persönlichkeitsentfaltung                 Kilian Gremminger
     Freund und Feind, sondern unternimmt       durch bolschewistische Zwangsgewalt«                   Student der Soziologie
     zudem den Versuch, alles Kritische un-     befürworte. Von der Anklage erfuhr                              und Mitglied
                                                                                                          der DDS-Redaktion
     ter einen gemeinsamen feindlichen          sie auf der einen Seite vom Bundes-
     Hut zu stecken. So befindet sich un-       richter Charles Edmund de Chapeau-                  Grundlage dieses Artikels sind zwei Reden
     ter den damals Angeklagten auch der        rouge, welcher noch 1939 an einem               aus den Jahren 2012 und 2017 des Juristen
     Grundschullehrer Gerhard Bitterwolf,       »Rassenschande«-Urteil        mitgewirkt        Schmitt-Lermann, der in der Zeit der Berufsver-
                                                                                                bote betroffene GEW-Kolleg*innen verteidigte.
     seinerzeit Vorsitzender der bayerischen    hatte (Fall: Leon Abel). Auf der anderen
     DFU (Deutsche Friedens-Union) und          Seite wirkte Dr. Rudolf Weber-Lortsch           1   In diesem Artikel ist die Theorie des »Freund-
     Friedensaktivist. Ihn klagte man an,       als berichterstattender Richter an der              Feind-Schemas« essenziell. Um beim Bild bleiben
                                                                                                    zu können, wenden wir dort keine gendersensible
     da er das Helsinki-Abschlussdokument       Anklage Gingolds mit, welcher u. a. als             Schreibweise an.
     (1975), das die friedliche Koexistenz      Polizeipräsident die polnische Stadt            2   Um das rechtspopulistische Ausmaß der Kampagne
                                                                                                    zu erkennen, genügt ein kurzer Blick auf die Home-
     zwischen dem östlichen und westli-         Kattowitz »judenfrei« machte und an                 page therepublic.de. Vgl. auch: Sebastian Bähr:
                                                                                                    Rechtsradikale Plattform mit Unionshintergrund.
     chen Block regelte, an einer Schule ver-   der Erstellung mehrerer Deportations-               nd-aktuell.de v. 22.11.2021
     teilen wollte. Pikant: Das Papier selbst   listen in der Ukraine und in Norwegen           3   Friedrich Hölderlin (1803): Patmos.
DDS Januar/Februar 2022     11

                                                                                                                Foto: IMAGO / Klaus Rose

Über die »Pflicht zur
Verfassungstreue
im öffentlichen Dienst«
    Wenn auch die mit dem »Radika-          nen wie die Deutsche Friedens-Union                 Die Rote Hilfe ist eine parteiunab-
lenerlass« alltäglich gewordene »Prü-       (DFU), Die LINKE. Sozialistisch-demo-           hängige, strömungsübergreifende linke
fung der Verfassungstreue« in der           kratischer Studierendenverband (DIE             Schutz- und Solidaritätsorganisation.
Bundesrepublik mittlerweile zur Ge-         LINKE.SDS), die Linksjugend (`solid),               Die Rote Hilfe organisiert nach ih-
schichte gehört, lebt sie in Bayern fort.   das Münchner Bündnis gegen Krieg                ren Möglichkeiten die Solidarität für
Wer bei uns im öffentlichen Dienst eine     und Rassismus und die Vereinigung der           alle, unabhängig von Parteizugehörig-
Anstellung sucht, und sei es nur eine       Verfolgten des Naziregimes – Bund der           keit oder Weltanschauung, die in der
studentische Hilfsarbeit, bekommt die       Antifaschistinnen und Antifaschisten            Bundesrepublik Deutschland aufgrund
»Belehrung über die Pflicht zur Ver-        (VVN-BdA) zu finden. Selbstverständ-            ihrer politischen Betätigung verfolgt
fassungstreue im öffentlichen Dienst«       lich auch die Rote Hilfe e. V.                  werden. Politische Betätigung in die-
vorgelegt. Dabei ist es unwesentlich,           Wir als Ortsgruppe München der              sem Sinne ist z. B. das Eintreten für die
ob es hierbei um die Einstellung in ein     Roten Hilfe e. V. gehen davon aus, dass         Ziele der Arbeiter*innenbewegung, für
Beamt*innenverhältnis geht oder um          dieser bayerische »Radikalenerlass«             die internationale Solidarität, den an-
ein Praktikum bei den kommunalen            nicht nur undemokratisch ist, sondern           tifaschistischen, antisexistischen, anti-
Streetworker*innen: Alle müssen in          auch gegen die Gesetze der Bundesre-            rassistischen, demokratischen und ge-
den der »Belehrung« beigefügten Lis-        publik verstößt. Ein erster Schritt, um         werkschaftlichen Kampf sowie den
ten ankreuzen, ob sie »Mitglied einer       ihn wegzubekommen, wäre die Klage               Kampf gegen Antisemitismus, Militaris-
oder mehrerer extremistischer oder          einer*eines Betroffenen.                        mus und Krieg. Unsere Unterstützung
extremistisch beeinflusster Organisa-           Die Rote Hilfe e. V., Ortsgruppe            gilt denjenigen, die deswegen ihren
tionen« sind oder waren. Die Defini-        München, berät gerne Betroffene und             Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbot er-
tion, was »extremistisch« ist, ist dem      vermittelt geeigneten Rechtsbeistand.           halten, vor Gericht gestellt und zu Geld
Inlandsgeheimdienst        »Verfassungs-                                                    oder Gefängnisstrafen verurteilt wer-
schutz« überlassen.                         Rote Hilfe e. V., OG München                    den oder sonstige Nachteile erleiden.
    Diese Praxis ist durch und durch        Schwanthalerstraße 139 • 80339 München              Darüber hinaus gilt die Solidarität
obrigkeitsstaatlich, reaktionär und         Tel.: 089 4489638                               der Roten Hilfe den von der Reaktion
Faschismus relativierend. So sind auf       E-Mail: muenchen@rote-hilfe.de                  politisch Verfolgten in allen Ländern der
dieser Liste neben faschistischen Mör-      rhmuc.noblogs.org                               Erde.
derbanden auch solche Organisatio-          Sprechstunde: mittwochs von 18.00 - 19.00 Uhr
12   DDS Januar/Februar 2022

     50 Jahre Berufsverbote
     Einladung zu Online-Veranstaltungen und Diskussion
        Marksteine der GEW-Geschichte:
        »Radikalenerlass« – Berufsverbote – Unvereinbarkeitsbeschlüsse
        Im Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal die gemeinsame Entschließung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler zum
     Thema »Radikale im öffentlichen Dienst«, mit der das Startzeichen zur bundesweiten Berufsverbotspraxis gegen Mitglieder
     sowie Förderer und Förderinnen linker politischer Gruppierungen gesetzt wurde. Und nur kurze Zeit später (1973) verkündete
     der DGB seine »Unvereinbarkeitsbeschlüsse«, die sich zu einem großen Teil gegen denselben Personenkreis richteten. Über die
     Folgen und auch über die inneren Zusammenhänge dieser beiden Ereignisse in den Gewerkschaften auf Bundesebene und in
     Bayern wollen wir an diesem Abend reden.
        Referenten: Dr. Marcel Bois Historiker an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
                    Wolfram Bundesmann ehemaliger Geschäftsführer der GEW Bayern
        Wann: 16. Februar 2022, 18.00-20.00 Uhr

        Wie der »Radikalenerlass« Biografien beeinflusste – Betroffene erzählen
         Auch und vor allem in den Reihen der GEW waren Kolleg*innen von den Berufsverboten betroffen. In dieser Online-Veran-
     staltung kommen Betroffene zu Wort. Sie erzählen uns ihre Geschichte und wie das Berufsverbot ihren weiteren Werdegang
     beeinflusste. Im Anschluss können die Teilnehmer*innen Fragen stellen. Zum Abschluss werden im Dialog mit der Landesvorsit-
     zenden Martina Borgendale noch Erwartungen an Politik und Gesellschaft formuliert, wie ein Umgang mit den Betroffenen und
     dem Thema nun 50 Jahre später aussehen sollte.
         Referent*innen: Lisa Mohr, Angela Rauscher, Andreas Salomon, Fritz Sendelbeck
         Wann: 9. März 2022, 18-20 Uhr

        Grenzen der Kunstfreiheit: Lehramt in Bayern und »staatskritische« Rap-Musik
         Als Lehramtsanwärter an oberbayrischen Mittelschulen wurde schnell klar: Lion Häbler wird von ihm anvertrauten
     Schüler*innen online per Suchmaschine gefunden, Vorgesetzte sind erstaunt über Social-Media-Auftritt und Rap-Videos und
     bald urteilt die Regierung von Oberbayern: »staatskritisch«. In Folge: Nachfragen, Drohungen und Entscheidungsdruck auf
     sowohl informeller als auch formeller Ebene. Aufgehangen (und hängengeblieben) an einem Rap-Lied, das 13 Jahre zuvor als
     polemischer Kommentar im Kontext der rechtspopulistisch aufgeladenen Leitkulturdebatte als antirassistische Solidaritätsbe-
     kundung gemeint war.
         Wir diskutieren über das »Korsett« Beamtentum inklusive eingeschränkter Meinungs- und Kunstfreiheit sowie über ge-
     sellschaftliche Entwicklungsaufgaben hinsichtlich Medienkompetenz in der Doppelrolle: als staatsdienende Lehrkraft und
     kritische*r Bürger*in.
         Referent: Lea-Won alias Lion Häbler Münchner Rapper
         Wann: 16. März 2022, 18.00-20.00 Uhr

        Bildungsarbeit als Extremismusprävention? Das Konzept der »wehrhaften Demokra-
        tie« und seine Anwendung in aktuellen Förderprogrammen
          Vereine und Initiativen, die durch Bildungs-, Beratungs- und Netzwerkarbeit die Demokratie weiterentwickeln, sehen sich
     derzeit mit folgenreichen Veränderungen in der staatlichen Förderpolitik konfrontiert. Auf Basis des Konzepts der »wehrhaften
     Demokratie« wird politische Bildungsarbeit zunehmend als Form der »Extremismusprävention« angesehen – mit weitreichen-
     den Folgen für die Autonomie der freien Träger. Auf diese Weise, so die These des Vortrags, wird Bildungsarbeit präventionspo-
     litisch instrumentalisiert und – flankiert durch den Verfassungsschutz – in eine polizeiliche Ordnung eingepasst.
          Referentin: Prof. Dr. Julika Bürgin Professur am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt
          Wann: Dienstag, 29. März 2022, 18.00-19.30 Uhr

            Die Einwahldaten zu den einzelnen Veranstaltungen findet ihr auf unserer Homepage: gew-bayern.de/berufsverbote
                                       Die Veranstaltungen sind Kooperationsveranstaltungen von
DDS Januar/Februar 2022   13

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»Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts«
     »Extrem unbrauchbar« ist nach Ansicht der Autor*innen             Hetze. Als be-                         Eva Berendsen, Katharina
die sogenannte Extremismustheorie. Diese behauptet, es gäbe            zeichnendes Bei-                       Rhein, Tom David Uhlig (Hg.)
                                                                                                              Extrem unbrauchbar.
eine unbedenkliche Mitte der Gesellschaft. Alle demokratiepo-          spiel wird der
                                                                                                              Über Gleichsetzungen von
litischen Probleme ließen sich demgegenüber an den linken und          sächsische Verfas-                     links und rechts
rechten politischen Rändern verorten. Dabei seien die »extremen        sungsschutz an-                        Edition Bildungsstätte Anne
Enden« wie bei einem Hufeisen gleich weit von der sogenannten          geführt. Dieser                        Frank 2
Mitte entfernt und würden sich beinahe berühren (daher auch            hat ein #wirsind-                      Berlin 2019
die Bezeichnung »Hufeisen«-Theorie). Die Autor*innen weisen            mehr-Konzert in                        304 Seiten
                                                                                                              19,00 Euro
auf verschiedenen Ebenen nach, dass der »Extremismus«-Ansatz           Chemnitz in Tei-
                                                                                                              ISBN: 978-3957324-085
jeglicher Grundlage entbehrt.                                          len als »linksex-
     Auf rechtlicher Ebene ist die Sache eigentlich ganz einfach, so   trem« eingeordnet, u. a. mit der Begründung, dass dort auch
die Autor*innen: Es gibt keine juristische Definition oder keine       »Nazis raus« gerufen wurde. Die für sich in Anspruch genomme-
Straftat, die »Extremismus« heißt. Hier wurde etwas erfunden,          ne »Äquidistanz zu jeder Form des Extremismus« stellt sich als
das weder rechtlich noch wissenschaftlich fundiert ist. Es handelt     Distanzierung und Verunglimpfung von antinazistischen Einstel-
sich vielmehr um einen politischen Kampfbegriff, der maßgeblich        lungen und Aktivitäten dar.
durch den Verfassungsschutz und seine offiziellen und inoffizi-            In Deutschland, so heißt es in einem Beitrag, hat die Gleich-
ellen Mitarbeiter*innen eingeführt und ausgeformt wurde. Wo            setzung von Faschismus/Nationalsozialismus auf der einen Seite
Akteur*innen der »Extremismus«-Forschung selbst stehen, wird           und Sozialismus/Kommunismus auf der anderen historisch eine
an mehreren Beispielen aufgezeigt. Eines handelt von der Person        nicht zu unterschätzende Entlastungsfunktion im Umgang mit
H.-H. Knütter. Dieser war »Extremismus«-Experte der Bundes-            den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg: »Es wird heute
zentrale für Politische Bildung und Gastdozent an der Schule für       gerne vergessen, dass die Nazis ihren Krieg gegen die Sowjetuni-
Verfassungsschutz. Der von Knütter initiierte und betreute »Ost-       on als Vernichtungskrieg gegen das Phantasma eines jüdischen
West-Arbeitskreis« an der Universität Bonn lud in den frühen           Bolschewismus führten.« (S. 89)
1990er-Jahren unter anderem den Holocaust-Leugner Irving und               Als ein weiterer wichtiger Aspekt wird thematisiert: Was
den Nazi-Liedermacher Rennicke ein.                                    das Eintreten für die nahezu völlige Abschottung Europas gegen
     Gegen die demagogische Gleichsetzung von linken und rech-         Menschen auf der Flucht angeht, ist ein Unterschied zwischen
ten »Extremen« heißt es in einem Beitrag des Buches prägnant:          Nazis und denen, »die sich womöglich zu Recht für die Mitte hal-
»Dass die einen auf die vollständige Abschaffung der Demokratie        ten« (S. 229), praktisch nicht auszumachen.
zielen und die anderen versuchen, im Kern demokratische Ansprü-            Das Buch enthält weitere Aspekte zum Thema »Extremis-
che auszuweiten, spielt in dieser Logik keine Rolle.« (S. 81) Das      mus«, so etwa zu den »Strategien der Extremisierung« gegen
zeigt sich, so die Autor*innen, besonders deutlich in der faktischen   LGBT-Personen, mit denen gegen sexuelle Vielfalt und Gleichbe-
Gleichsetzung von Antinazis und Nazis. Die Antifaschist*innen          rechtigung angegangen wird. Das Buch ist für die aufklärerische
wollten anderen ihre Meinung verbieten, sie seien also selbst          Auseinandersetzung mit alledem wirklich zu empfehlen.
Faschist*innen – als ob es um andere Meinungen schlechthin
ginge und nicht um nazistische, rassistische und judenfeindliche                                                  von Wolfgang Häberle

                                                          Lesenswertes zu den Berufsverboten
                                                          auf unserer Homepage

                                                              Auch die beiden Januar-Ausgaben der DDS aus den Jahren 1977
                                                          und 1982 standen unter dem Fokus »Sogenannter Radikalenerlass, Be-
                                                          rufsverbote und Unvereinbarkeitsbeschlüsse«. Damals noch nicht di-
                                                          gital haben wir diese Zeitschriften nun digitalisiert. Es sind spannende
                                                          Ausgaben; die Texte der DDS 1/1982 wurden sogar inklusive englischer
                                                          Übersetzung veröffentlicht. Ihr findet beide Ausgaben auf der Home-
                                                          page der GEW Bayern (gew-bayern.de/berufsverbote).
                                                              Auf der gleichen Internetseite könnt ihr auch die (berufliche) Le-
                                                          bensgeschichte unseres Kollegen Andreas Salomon nachlesen, der
                                                          Zeit seines Lebens Berufsverbot hatte. Seine Dokumentation über-
                                                          zeugt aufgrund seiner detaillierten Darstellung, seiner Beharrlichkeit
                                                          und seines Mutes. Sein Vertrauen in solidarisches Handeln und sein
                                                          reflektierter Blick zurück auf seinen politischen und beruflichen Weg
                                                          sind sehr lesenswert. Auch die größtenteils unrühmliche Haltung der
                                                          Gewerkschaften ist Thema der Dokumentation.

                                                                                                             von Dorothea Weniger
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