Katzenkönig - Anwaltsblatt
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No. 1 2020 katzenkönig Deutscher Anwaltverein das magazin für alle jurakrisen Sind wir politisch genug? Philipp Amthor Jurist*innenausbildung reformbedürftig Teilzeit oder Karriere?
Jurastudium? Easy! 1. Programm wählen 2. Schleudergang 3. Glänzende Ergebnisse bei weiteren Fragen zum Jurastudium katzenkoenig-anwaltsblatt.de
katzenkönig? Da klingelt doch was … Genau! 1988 hat dieser berühmt-berüchtigte Fall den B G H beschäftigt. Es ging um Täterschaft, Teilnahme und Verbots irrtum. Aber hey, wem erzählen wir das?! Wenn du dieses Magazin in den Händen hältst, interessierst du dich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit für Jura und kennst den Katzenkönig-Fall bereits aus einer Strafrechtsvorlesung – oder von einem befreundeten Jura-Enthusiasten. Vielleicht hat dir auch einfach bloß unser Cover gefallen. So oder so: Wir freuen uns, dir das brandneue Magazin für alle Jurakrisen vorstellen zu dürfen: katzenkönig. In unserer ersten Ausgabe geht es um die Frage, ob Studierende noch politisch genug sind. Wir haben mit Jungpolitiker und Jurist Philipp Amthor über seine Studienzeit gesprochen. editorial Auf einer großen Tour durch Deutschlands Jura-Fakultäten haben wir Studierende gefragt: Warum studierst du Jura? Und was würdest du am Studium ändern? Aber natürlich bietet katzenkönig darüber hinaus noch viele weitere Storys und Hacks für dein Studium und den Berufseinstieg. Ach ja, eines wollen wir direkt noch klarstellen: Süße Katzenfotos findest du bei uns nicht. Versprochen. katzenkönig wird vom Deutschen Anwaltverein (DAV) heraus gegeben. Als Berufsverband der Anwaltschaft streitet der DAV für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Er setzt sich für den Zugang aller zum Recht ein. Außerdem unter- stützt er Anwältinnen und Anwälte in allen berufsrelevanten Fragen – auch beim Berufseinstieg. Der DAV will die folgenden Generationen für den Anwaltsberuf begeistern und im Zuge dessen Benachteiligungen jedweder Art beseitigen. So, genug gesabbelt. Wir wünschen dir viel Spaß mit der ersten Ausgabe katzenkönig. Deine Redaktion Katzenkönig wird herausgegeben vom Deutschen Anwaltverein 3
Philipp Amthor, Politik Die Erfahrung zeigt: überholt Jura. Mit uns Wenn Studierende sich spricht er über seine für ihre Interessen Studienzeit. zusammenschließen, sind sie erfolgreich! hip hip jura anwaltsbla 3 20 editorial porträt Philipp Amthor Wie Bundestagsabge 8 essay ordneter Philipp Amthor Sind wir politisch durch das Jurastudium kam genug? und wie es sein Leben bis Wie politisch ist das heute prägt. Recht und sind wir, die Studierenden von heute, 26 politisch genug? interview Eine Analyse. Roya Sangi Rechtsanwältin Roya Sangi ist politisch und berät NGOs 14 report zu nationalen und völker Die neue Dabatte rechtlichen Fragen der Meinungsfreiheit an deut Seenotrettung. schen Unis. Ist die Universität ein safe space? 32 plädoyer Thomas Fischer 18 stellungnahme Der Verfasser des bekann Wie politisch ist ten Kurzkommentars zum das Recht? Strafgesetzbuch erinnert Der DAV bezieht Stellung. Die sich an seine Studienzeit. Stimme der Anwaltschaft im Migrationsrecht, Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht. 4
Wie gelingt der Start Examen am Computer, in den Anwaltsberuf? mehr Semester und In Teilzeit, im Internet, digitalisierte Lehre. im Baumwollhemd? Das wünschen sich Wir zeigen, was funktio Jurastudierende für niert – und wie. die Zukunft. kanz & lei 4 punkte 34 50 reportagen studierendenporträts Über Anwaltsmarkt Hi und Berufseinstieg: Wir haben uns in juristischen Fakul täten im ganzen Land umgehört. 1 Der Traum von der Kanzleigründung 56 katzenkönig lädt zum chat Die Anwält*innen von Neu werk erwecken ihre eigene Jurist*innenausbildung Vision von Kanzleistruktur reformbedürftig? Werden wir richtig auf den Arbeits inhalt und Arbeitsweise zum Leben. markt vorbereitet? Wir fragen nach. 2 Teilzeit oder Karriere 60 frag einen prüfer Lässt sich auch mit nur vier Die Faszination des Echten Arbeitstagen pro Woche eine Antworten auf eure Fragen zur erfolgreiche Kanzlei führen? mündlichen Prüfung. 3 Sichtbar im Internet 62 Revolutionieren Online- neu denken Plattformen die Anwalt Lehre anders und innovativ schaft? Zumindest können Von diesen innovativen Lehr sie die Mandatsakquise ver methoden können sich Unis eine einfachen und den Zugang Scheibe abschneiden! zum Recht erleichtern. 64 referendariat Wissen, Geld, Teamgeist 48 dresscode smart-casual! Wie holt man im Referendariat das Wie man stilvoll seinen Platz Maximum aus der Anwaltsstation im Berufsleben einnimmt. heraus? 66 impressum 5
Studierende haben sich bemalt, um halb nackt durch die Straßen von Berlin zu ziehen, TU, Berlin, Deutschland, 05.12.2003. 66
Politik Jura Wie politisch ist das Recht? Zwischen Juristerei und Politik besteht eine untrennbare Verbindung, mit der auch Verantwortung einhergeht. Verantwortung für die Gesellschaft und für den Rechtsstaat. Diese Verantwortung beginnt schon im Studium. Doch sind wir, Studierende und Referendar*innen in Deutsch- land, eigentlich politisch genug? Wir haben in einer online-Umfrage über hundert Jurastudierende nach ihrer Meinung gefragt, um herauszufinden wie unsere Generation über das Thema politisches Recht und politische Lehre denkt. 8
SIND WIR POLITISCH GENUG? Dominierende Antworten der Jurastudierenden: Jeweils Aussagen mit den Antwortmöglichkeiten: ALLGEMEINE EINSCHÄTZUNG + trifft voll zu 1. Politik ist mir wichtig. 2. Ich würde mich als politisch aktiv + +- trifft teilweise zu bezeichnen. 3. Ich habe mich schon einmal in o o neutral einer politischen Partei/Organisation/ Hochschulgruppe engagiert. - - trifft nicht zu 4. Für politisches Engagement bleibt mir neben meinem Studium kaum Zeit. + 5. Es gibt im Universitätsumfeld Möglich- keiten, sich politisch zu engagieren. + SPEZIELLE JURIST*INNENPERSPEKTIVE 6. Ich fühle mich durch die Inhalte des Jurastudiums gut auf einen politischen Diskurs vorbereitet. +- 7. Ich kann mir vorstellen, mich in meinem Berufsleben als Jurist*in politisch zu engagieren. + 8. Ich sehe Jurist*innen grundsätzlich in der Verantwortung, sich politisch zu positionieren. +- hip hip jura 9. Ich fühle mich als angehende*r Jurist*in dafür verantwortlich, den Rechtsstaat zu schützen. + 10. Ich glaube, Jurist*innen sollten ihre persönlichen politischen Ansichten nicht in ihrem Beruf ausleben. +- FRAGEN ZU POLITISCHEN LERNINHALTEN 11. Ich glaube, die Inhalte meines Jurastudiums sind politisch. +- 12. Ich weiß, dass einige der bekanntesten juristischen Autoren überzeugte Nazis waren. + 13. Ich finde, dass vergangenes Juristen unrecht in meinem Studium ausreichend aufgearbeitet wird. - 14. Ich hinterfrage die Legitimität von Gesetzen, die in einem bestimmten politischen Kontext entstanden sind. + 15. Mein Jurastudium hilft mir, eine f un- dierte politische Position zu entwickeln. + 16. Ich würde mir wünschen, als Studierende*r mehr Einfluss auf die Tagespolitik nehmen zu können. + 9
Sind wir politisch genug? AUSGANGSTHESE: Wir, die Jurastudierenden von heute, hätten eigentlich einen hervorragenden Ausgangspunkt, um politisch aktiv zu sein: Genug Zeit, hoher Bildungsgrad, fruchtbares Umfeld, viele Möglichkeiten, uns zu informieren, Plattformen zum Austauschen und die Freiheit, uns in Gruppen zusammenzuschließen und zu sagen, was wir wollen. Aber: Nutzen wir diese Ressourcen in ausreichendem Maße? Eine Analyse. 10
Um diese Frage adäquat und umfassend beantworten zu können, gilt es zunächst die Aufgabenstellung vollständig zu erfassen und dann mittels sorgsam erworbener juris tisch-analytischer Methodik ein pointiertes Gutachten zu ... STOP. Vielleicht können wir uns dieser Frage heute mal nicht als „Paragraphenautomaten“, sondern als Menschen nähern. Denn das ist es doch, was Politik ausmacht – mensch liche Interessen bündeln, schlichten, priorisieren. Wie DAV-Präsidentin Edith Kindermann (im Interview auf Seite 56) sagt: „Wir haben das Handwerkszeug, um ein Ergebnis als logisch zwingend darzustellen.“ In den wenigsten Fällen ist es das tatsächlich. Zwingend. Vielmehr treffen wir bei der Anwendung von Recht politische Entscheidungen, die eben auch von unserem eigenen Wertesystem beeinflusst werden. Wir müssen uns dieses Prozesses bewusst sein, wenn wir der Verantwortung, die mit einem solchen Handwerkszeug einhergeht, gerecht wer den wollen. Juristische Debatten werden nicht im luftleeren Raum geführt, Recht ist stets ein Instrument, um demokratische Entscheidungen in Form zu gießen und damit verbindlich zu machen. Das heißt aber auch, dass wir rechtliche Diskurse nicht ohne Bezug zu der Gesellschaft, die das Recht regeln soll, führen dürfen. Denn Recht und Gesellschaft und damit auch Recht und Politik bedingen und konkretisieren sich gegen seitig. Das eine ohne das andere zu denken, macht keinen Sinn – Jedenfalls, wenn man die Idee eines anarchischen Zustandes ablehnt, wie es das Recht wohl nachvollziehba rerweise tun muss, um nicht obsolet zu werden. Wir als Jurist*innen neigen in unserer Denkschule dazu, im Recht ein mathematikähnliches System zu erkennen, welches es analytisch zu durchdringen gilt, ohne über die Systemgrenzen hinauszudenken. Immer wieder müssen wir beweisen, dass die Rechtswissenschaft eine echte Wissenschaft ist. Recht ist aber kein naturgegebenes Objekt, das wir mit feiner Methodik erschließen kön nen. Recht ist von Menschen gemacht und zwar zur Regelung menschengemachter Probleme. Es sollte deshalb also auch durchlässig sein für neue Probleme und für hip hip jura Perspektivänderungen. Die eigene Rolle im Rechtsstaat In unserer Umfrage gaben viele Studierende an, sie würden den politischen Kontext, in dem eine Norm entstanden ist, hinterfragen. Das hat mich überrascht, ich frage mich, woher meine Kommiliton*innen diesen Kontext kennen, ist er doch kaum Gegenstand unserer Vorlesungen. Klar, wir haben wohl schon mal was von der Tätertypenlehre der Nazis und ihren klebrigen Abdrücken in unserem Strafgesetzbuch gehört. Aber wissen wir wirklich, welche politischen Verhältnisse im Bundestag galten, als die §§ 217 oder 219a StGB eingeführt wurden oder auch nur das Bundesimmissionsschutzgesetz? In unserer repräsentativen Demokratie setzt sich parteipolitisches Profil und Kalkül in Recht um. Das macht das Recht zu einer an sich höchst politischen Sache. Ab einem gewissen Punkt mag eine Norm sich von ihrer mehr oder weniger politisch aufgeladenen Geburtsstunde emanzipieren und einfach nur noch einen soliden Job machen als täglicher Kompass für alltägliche Streitigkeiten. Je umstrittener und um kämpfter der Lebensbereich ist, den sie regelt, umso wichtiger ist es aber, die politische Agenda, vor deren Hintergrund sie entstanden ist, nicht zu vergessen, wenn man sie anwendet. Zwar ist Recht die allgemein verbindliche Lösung eines Konflikts. Es lässt mir als Rechtsanwenderin aber auch Spielräume, die ich mit Blick auf den politischen Hinter grund einer Norm verantwortungsbewusst nutzen kann, zum Beispiel indem ich mir grundsätzliche Fragen zu meiner Rolle im Rechtsstaat und in der Gesellschaft als Ganze stelle: Womit verdiene ich später mein Geld? Wer profitiert vielleicht von meinem Urteil und wer leidet darunter? Wen möchte ich vertreten? Wenn ich Mandate aus der Rüs 11
tungsbranche übernehme, mache ich mir dann nicht deren Rolle in der Welt zu eigen? Übernehme ich nicht ein Stück ihrer Schuld? Wir sind Generation „whY“. Lasst uns also nach dem Warum unserer Berufswahl fragen – denn darauf gibt es mehr oder weniger gute Antworten. Haltung gegen Rechts für das Recht! Wir sind mitverantwortlich. Doch nicht erst im Berufsleben sollten wir Jurist*innen damit beginnen, unser Umfeld und unsere eigene Haltung kritisch zu hinterfragen: Sind nicht gerade Universitäten ein „Marktplatz der Ideen“, ein Ort, an dem der Wind der Veränderung weht? An vielen juris tischen Fakultäten ist dieser Wind eher ein laues Lüftchen. Das ist schade – wenn uns etwas an unserem Studium nicht gefällt (Professorinnen-Quote, Diversität, altertüm liche Lehre, politische Einförmigkeit usw. usf.), dann sollten wir laut werden und uns organisieren, Neues vorschlagen und solange diskutieren, bis es unbequem wird, aus Bequemlichkeit weiterzumachen wie bisher. Wir sind selbst für unsere Bildung verant wortlich und das ist Privileg und Chance zugleich. Vielleicht können wir ja ein bisschen mutiger sein – mit dem Dreiklang Staub, Stoizis mus, Stagnation brechen, der unsere Zunft in den Augen vieler Nichtjurist*innen tref fend zu beschreiben scheint, und uns neue Felder für Engagement und Haltung erschließen. Warum zum Beispiel ist Datenschutz nicht längst zum bürgerrechtlichen Kampfthema geworden? Ich nehme mich da selbst nicht aus, Google und Co. haben mit Sicherheit bereits ein 1a Bewegungs- und Konsumprofil von mir angelegt, aber vielleicht muss diese Apathie nicht sein? Wir haben als Generation gemeinsam die Möglichkeit, vieles anders zu machen und wir als Jurist*innen könnten ausnahmsweise mal voran gehen – indem wir politisch denken und handeln. Das heißt auch, dass wir uns bei der Klärung wichtiger gesellschaftlicher Fragen nicht hinter dem Prinzip der Neutralität des Rechts(staats) verstecken dürfen, während von rechts am Recht gezogen und gezerrt wird. Das ist zu einfach, dafür hat unser Wort zu viel Gewicht. Es kann zu absurden Ergebnissen führen, wenn Normen nur passiv und politisch neutral angewendet werden, wie das Verfahren von Renate Künast vor dem Berliner Landgericht gezeigt hat. Das soll nicht heißen, dass politische Neutralität nicht ein Grundsatz sein kann, sie darf aber nicht zum Dogma werden. Die Geschichte hat gezeigt, dass der Rechtsapparat anfällig ist für Korrumpierung, Verdrehung und Anpas sung. Aus dieser Geschichte müssen wir unbedingt lernen, um sicherzustellen, dass sie sich nicht wiederholt. Konservatismus ist kein Selbstzweck Um die aktuellen Probleme unseres Landes, Europas, der Welt zu lösen, müssen wir bereit sein für Veränderungen und dafür brauchen wir mutige Ideen. Das Recht ist der Maßstab für die Kompatibilität dieser Ideen mit unserer Werteordnung. Aber was, wenn sich Werte ändern? Dann braucht es politisch sensible Jurist*innen, die ein Gespür dafür haben, wann Regeln anachronistisch sind und verworfen oder neu verstanden werden müssen. § 217 und § 219a StGB sind gute Beispiele hierfür. Einfachgesetzliche Normen dürfen nicht zum Hemmnis werden für notwendige gesellschaftliche Umbrü che und Neubewertungen – auch was hundert Jahre gut funktioniert hat, passt morgen Sophia von Bülzings vielleicht nicht mehr in die Zeit. Konservatismus ist kein Selbstzweck – wenn das, was löwen hat an der bewahrt werden soll, nicht bewahrenswert ist, muss es für eine Gesellschaft möglich Humboldt Universität in Berlin Jura studiert und sein, sich davon zu befreien. Und wir jungen Jurist*innen können solche Prozesse so arbeitet in der Redaktion wohl anstoßen als auch umsetzen – eine große Verantwortung. Die wir nutzen sollten. von katzenkönig. 12
2 0 2 0 J e t z t Video nden T einse REC H und P nen! S ! w i n T g e Alles was du brauchst, REC H ist dein Smartphone – und einen richtig guten Slam! www.jura-slam.de
Die neue Debatte Meinungsfreiheit an deutschen Unis 14
hip hip jura Einführung in Jura für Erst semester im Hörsaal der 15 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Schneeflöckchen gegen Weißlöckchen? Identitätspolitische Kontroversen und die Meinungsfreiheit an deutschen Unis Die Idee der Universität ist geprägt von einem aufklärerischen Ideal; sie soll ein Ort sein, an dem ein Rationalitätsanspruch herrscht, die Wahrheit gesucht und offen, ohne Scheu diskutiert und nachgedacht werden kann. Ein Ort, an dem trotz der eigentlich hierarchi schen Aufteilung zwischen Lehrenden und Studierenden die Kraft des besten Argu ments im Vordergrund stehen soll; ein Ort der Kritik, an dem Hautfarbe, Geschlecht und Herkunft keine Rolle spielen dürfen angesichts der gemeinsamen Suche nach Antwor ten auf wichtige gesellschaftliche Fragen, gelegentlich auch beim schöngeistigen Glas perlenspiel. In den letzten Jahren kommt es jedoch vermehrt zu Angriffen auf diese Idee der Uni, die zunehmend als Bedrohung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit wahrgenom men wird. Störungen, „Streiks“, tumultartige Zustände am Rande von universitären Ver anstaltungen sind kein neues Phänomen. Während es in den 1960er und 1970er Jahren vornehmlich um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Demokratisierung eines höchst hierarchisch organisierten Universitätsbetriebs ging, steht der aktuelle Protest an deutschen Unis anscheinend im Zeichen dessen, was meist abfällig als Iden titätspolitik bezeichnet wird. Universitäten als safe spaces So verbreitet sich die Forderung nach safe spaces, ein Import aus den USA, an deut schen Unis. Ursprünglich waren sie in den 1960er und 1970er Jahren als Räume von marginalisierten Gruppen für marginalisierte Personen gedacht, in denen sich vor allem feministische Gruppen herrschafts- und diskriminierungsfrei austauschen und zeigen konnten. In den USA wird hingegen seit Jahren heftig debattiert, inwieweit der ganze Campus als safe space gestaltet werden könnte und sollte (vgl. Kaldewey: Der Campus als Safe Space, Mittelweg 36 (2017), S. 133 ff.). Das umfasst zum Beispiel die Frage, wer als Redner*in auf dem Campus die Gelegenheit bekommt, zu sprechen, oder welche Themen auf dem Lehrplan stehen sollten. In diesem Kontext stehen auch sogenannte trigger warnings, also Warnungen vor Lehrinhalten, die bei den betroffenen Personen mögliche Traumata hervorrufen könnten, weil sie einer kulturellen, religiösen oder sexuellen Minderheit angehören. Generation Snowflake, so werden die Studierenden, die diese Forderungen stellen, in aller Regel abwertend bezeichnet: „Einzigartig“ und fragil, infantilisiert und nicht in der Lage, sich einer Debattenkultur zu stellen. In Deutsch land häufen sich vor allem Vorwürfe gegen Studierende, die Veranstaltungen verhin dern, weil sie mit den Auffassungen der dort Sprechenden nicht einverstanden sind: so 16
zum Beispiel durch Proteste gegen Podiumsdiskussionen mit dem Polizeigewerk schaftsvorsitzenden Rainer Wendt, Hörsaalblockaden in den Vorlesungen Bernd Luckes oder Plattformen wie „Münkler-Watch“, die Aussagen Herfried Münklers auf potentielle Diskriminierungen hin überprüfen. Wieviel Formalität kann die Meinungsfreiheit tatsächlich vertragen? Sind das Angriffe auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einer Generation hyste rischer Kinder, die nicht erwachsen werden will? Oder herrscht an der Uni tatsächlich zu wenig awareness für marginalisierte Gruppen? Zu trennen ist zwischen den rechtlichen und den gesellschaftlichen Fragen. Rechtlich gesehen ist es natürlich keine Verletzung der Religionsfreiheit von Kopftuchträgerinnen, wenn eine Wissenschaftlerin unter einer wissenschaftlichen Fragestellung eine Podiumsdiskussion mit verschiedenen Ak teur*innen anbietet, die zu diesem Thema kontroverse Auffassungen vertreten. Ebenso wenig wie eine Veranstaltung zu feministischer oder postkolonialer Wissenschaftskritik eine Diskriminierung von weißen Professoren oder einen Eingriff in ihre Persönlichkeits- oder Wissenschaftsfreiheit darstellt. Art. 5 Abs. 1 GG schützt die Meinungsfreiheit for mell, das heißt, dass jede wertende Aussage im Rahmen der grundgesetzlichen hip hip jura Schranken unabhängig von ihrem Wert geschützt wird. Welche Auswüchse ein solch formaler Begriff nehmen kann, zeigt die „meinungsfreiheitsfreundliche“ Rechtspre chung des Ersten Senats des BVerfG, der selbst die Bezeichnung einer Staatsanwältin als „durchgeknallt“ und „widerwärtig“ als geschützt ansieht (vgl. Beschl. v. 29. Juni 2016 1, BvR 2646/15). Was demgegenüber die Demonstrierenden an deutschen Unis einfordern, richtet sich genau gegen dieses formale, rechtliche Verständnis einer Meinungs„freiheit“. Frei, so könnte man argumentieren, ist eine Meinungsäußerung nur dann, wenn die gesell schaftlichen Bedingungen, unter denen diese Meinung geäußert wird, gleich verteilt sind. Mit John Stuart Mill wird der Meinungsaustausch als eines der wichtigsten Güter in der Demokratie und auch in der Wissenschaft deklariert. Aber ein freies, Wahrheit su chendes Debatten-Modell basiert auf einem Ideal von herrschaftsfreien Diskussions strukturen. Um diese wird sich an der Uni vielleicht mehr bemüht als anderswo, erreicht haben wir sie aber noch nicht. Wer damit rechnet, dass die eigene Position nicht gehört werden will, wer nicht das kulturelle Kapital hat, mit einer*m Professor*in auf Augenhöhe zu diskutieren bzw. glaubt, sich nicht gut genug artikulieren zu können, wer aufgrund seines Geschlechts oder seiner Herkunft befürchtet, in eine Schublade gesteckt zu wer den, der*die braucht viel Mut, um diese Ängste zu überwinden und sich in der Vorle sung, auf einer Podiumsdiskussion oder im Seminar zu wehren. Frei, die eigene Meinung zu äußern, fühlen sich viele Menschen an der Uni trotz ihrer Meinungsfreiheit nicht. Samira Akbarian ist Auch wenn identitätspolitische Forderungen an der Uni zum Teil übers Ziel hinaus wissenschaftliche Mitarbeiterin an der schießen, sollten wir als Studierende, Wissenschaftler*innen und Lehrende unsere eigene Goethe Universität Position hinterfragen und die Verantwortung für eine inklusive Lern- und Gesprächsatmo Frankfurt/Main. Sie schreibt außerdem für sphäre übernehmen. Spott und Hohn gegen vermeintliche Snowflakes helfen da vielleicht den Verfassungsblog. genauso wenig wie persönliche Angriffe auf einzelne Wissenschaftler*innen. 17
DAS RECHT? Der Deutsche Wer kümmert sich eigentlich um unsere Gesetze? Die Regierung, richtig, Anwaltverein aber wer hilft und berät? Hat der Deutsche Anwaltverein da vielleicht auch ein bezieht Wörtchen mitzureden? Stellung: Der DAV nimmt über seine fast 40 Gesetzgebungs- und Fachausschüsse aus allen Rechtsgebieten Stellung zu nationalen und europäischen Gesetzentwürfen. WIE POLITISCH IST Die Ausschüsse werden aber auch initiativ tätig. Sie bringen rechtsstaatliche Maßstäbe und anwaltliches Knowhow in die Gesetzgebung ein und machen Gesetze praktikabel. Was das genau heißt? Wir haben nachgefragt: S T R A F R E C H T: G E F A H R E N A B W E H R R E C H T : „Wie politisch ist das Recht?“ „Wie politisch ist das Recht?“ Zunächst einmal ist Recht ein Instrument, Ob in der Ausbildung oder in der Praxis – aber es ist das Instrument der Politik, oft sind wir Juristinnen und Juristen so nicht nur weil es von Politiker*innen verstrickt in Detailprobleme, dass wir gemacht wird. Auch so etwas Unver das große Ganze kaum sehen. Aber dächtiges wie ein Vertrag setzt eine spätestens, wenn wir einen Schritt Rechtsordnung voraus, die die Privat zurücktreten, wird klar: Das Recht ist autonomie der Bürger*innen gewähr sehr politisch. Am Beispiel Gefahren leistet. Schon das ist eine politische abwehrrecht: Droht mit den neuen Grundentscheidung. Möglichkeiten der biometrischen Gerade das Strafrecht ist durch und Gesichtserkennung das Ende der durch eine politische Sache. Es klärt Anonymität im öffentlichen Raum? Darf schließlich die Frage, wo in einer Gesell der Staat unter bestimmten Umständen schaft Freiheit endet, welche Güter sie in das anwaltliche Berufsgeheimnis ein schützt und wie sie Regelverstöße sank greifen? Wie lang darf ein*e Bürger*in tioniert. All das sind politische Themen. präventiv eingesperrt werden? Und Nicht umsonst ist die Entwicklung des muss ihm*ihr in dieser Lage ein Rechts modernen Strafrechts ideengeschicht anwalt oder eine Rechtsanwältin zur Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi ist Strafver lich untrennbar mit der Aufklärung ver Seite gestellt werden? Dies sind nur ei teidiger in Berlin und bunden. Und hier zeigt sich ihre Dialektik: nige a ktuelle Fragen. Sie betreffen das stellvertretender Vor sitzender des Straf Gerade weil das Strafrecht in den letzten grundsätzliche Verhältnis von Sicherheit rechtsausschusses Jahrhunderten rationaler und humaner und Freiheit in unserer Gesellschaft. des Deutschen Anwaltvereins. geworden ist, scheint es für die Politik Was könnte politischer sein? seine Eigenart als Ultima Ratio verloren Rechtsanwältin Lea Voigt zu haben und ein Mittel unter vielen ge worden zu sein. Ist daher die Expansion Rechtsanwältin Lea Voigt ist Vorsitzende des Strafrechts in alle Lebensbereiche des Ausschusses der Preis, den seine Humanisierung Gefahrenabwehrrecht des Deutschen fordert? Wer hierauf Antworten sucht, Anwaltvereins. kommt nicht umhin, politisch zu denken. Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi 18 DAS RECHT?
WIE POLITISCH IST DAS RECHT? Rechtsanwältin Maria Kalin ist Mitglied des Ausschusses Migrationsrecht des Deutschen Anwaltvereins. M I G R AT I O N S R E C H T: „Wie politisch ist das Recht?“ Politik gestaltet Gesellschaft – auch ithilfe des Rechts. Recht ist also immer m auch politisch. Im Gesetzgebungsaus schuss Migrationsrecht werden uns seit längerem Gesetze vorgelegt, die auf grund aktuellen Tagesgeschehens has tig erarbeitet und dann ebenso hastig hip hip jura verabschiedet werden. Das hat kaum mehr mit gerechtem Recht, sondern nur noch mit kurzfristig gedachter Politik zu tun. Dass solche Gesetze in der Anwen dung zu Problemen, mitunter auch zu Willkür führen, ist verhängnisvoll. Sie ge fährden die Gleichheit, die vor ihnen gel ten sollte, und damit eine Säule unseres Rechtsstaates. Im Migrationsbereich er lebe ich, wie der Glaube an das Recht ins Wanken gerät. Als Anwältin ist es meine Aufgabe, dem entgegenzutreten. Dabei muss und will ich politisch bleiben – auch als Teil des DAV. Rechtsanwältin Maria Kalin Online gibt’s Bekämpfung der Unternehmenskriminalität Verfahrensrechte auf EU-Ebene Stellungnah- Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus men zu diesen Verschärfung der Polizeigesetze der Länder Themen: Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte Intelligente Videoüberwachung Referentenentwurf Asylklageverfahren Einstufung als sichere Herkunftsstaaten Fehler in Freiheitsentziehungsverfahren WIE POLITISCH IST 19
Philipp Amthor Philipp Amthor: Landesschülersprecher, Jura-Absolvent, Bundestags abgeordneter. 20
anwaltsbla „Ich habe mich schon als Teenager gefragt, was das eigentlich ist, der Staat, und was er können muss.” 21
Etikette ist ihm wichtig. Amthor trägt oft Trachtenjanker mit Tierhornverschlüssen. 22
„Ich bin wirklich so” anwaltsbla Text: Jochen Brenner Fotos: Peter Rigaud Als Philipp Amthor die politische Bühne betritt, halten nicht wenige seine Wahl für eine Laune der Demokratie: jung, unerfahren, uncool. Nur drei Jahre später gehört Amthor zum Establishment der Berliner Republik. Und erfährt Respekt junger Menschen – auch, weil er mit seiner juristischen Ausbildung nicht hinterm Berg hält. Zu den Modewörtern der Politik gehört seit einigen Jahren das Narrativ. Die „sinn stiftende Erzählung” soll Lebensläufe oder politische Positionen nachvollziehbar und vor allem populär machen. Sie lässt Brüche oder Widersprüchlichkeiten oft aus, glättet und schleift, macht Politik mundgerecht. Als Philipp Amthor mit 25 die politische Bühne in Berlin betritt, scheint es, als habe die Kunst des Narrativs ihren Meister gefunden. „Wie es ein junger Mann aus dem Osten mit Chuzpe und Fleiß in den Bundestag schafft” lautet die Erzählung. 23
Die Presse arbeitet sich ab an dem Mann aus Ueckermünde, der stets im Anzug und mit Einstecktuch auftritt, eine Hornbrille trägt und noch etwas jung wirkt. Es ist, zu die sem Zeitpunkt, ziemlich leicht, sich über Philipp Amthor lustig zu machen. „Wie auch immer er dieses Gesicht über die Schulzeit gerettet hat”, sagt Jan Böhmermann in sei ner Show über ihn. Zwei Jahre später ist Amthor bei Böhmermann zu Gast. Der Auftritt läuft gut für ihn. Was ist in dieser Zeit geschehen? Etwas vereinfacht könnte man sagen: Das Amthor-Narrativ hat sich nicht nur nicht als „zu gut, um wahr zu sein” herausgestellt, es ist auch keins, scheint es. „Ich bin überrascht, worüber andere Leute bei mir überrascht sind”, sagt Amthor, „ich bin wirklich so”. Natürlich hat er verfolgt, was über ihn geschrieben wird und wie, von Spiegel bis Super Illu. „Seltsam, was heute als nonkonformistisch wahrgenommen wird”, sagt Amthor, „man gilt ja schon als Rebell, wenn man sich vernünftig anzieht, sich die Haare kämmt und einen Anzug trägt.” Es ist bei ihm ein bisschen mehr als das. Etikette ist ihm wichtig. Ein gut sitzender Anzug. Einstecktuch, Krawatte – im Gespräch mit katzenkönig hat er sie abgelegt, wofür er sich – scherzhaft oder auch nicht – entschuldigt. Immer am Revers: eine Deutsch landflagge. Bisweilen trägt er Trachtenjanker mit Tierhornverschlüssen, er hat den Jagdschein gemacht und sich katholisch taufen lassen. Manchmal wirkt es, als habe sich Amthor alle verfügbaren Insignien konservativer Lebensführung angeeignet. Nur: Warum war das bei einem Politiker wie ihm zu Anfang so oft Thema – und nicht die Sache, für die er sich einsetzt? Amthor zuckt mit den Schul Aufgrund der Corona tern, wiegelt ab. „Du kannst in diesem Land etwas erreichen, und was am Ende zählt, sind pandemie musste das Gespräch mit Philipp nicht Oberflächlichkeiten wie Äußerlichkeiten, sondern gute Argumente.” Amthor in einem Dieses Primat der Sachlichkeit formuliert er oft in Gesprächen, vielleicht weil es Videocall stattfinden. Amthors bisherige Karriere gut beschreibt. „Inhalt vor Oberfläche” klingt aus seinem Mund aber auch wie die Beschwörung einer idealen Öffentlichkeit – und wie ein Wunsch: Lasst doch mal ab von der Hülle Amthor und beurteilt die Person. Die Aufmerksamkeit, die er schätzt, bringt ihm dann endlich seine juristische Aus bildung ein. Im Februar 2018 zerpflückt er einen Antrag der AfD zum Thema Burkaverbot wegen juristischer Formfehler. Seine Rede im Bundestag wurde inzwischen millionen fach geklickt. Mit erhobenem Zeigefinger ließ er die Abgeordneten wie Erstsemester aussehen. Der AfD-Antrag „strotzt von falschen Behauptungen“, rief Amthor. „Hören Sie mir mal zu, dann können Sie noch was lernen über die Verfassung.“ Vielleicht ist Amthor im Eifer der Satz ein wenig schulmeisterlich geraten. Aber er stimmt. „Ich habe mich schon als Teenager gefragt, was das eigentlich ist, der Staat, und was er können muss”, sagt Amthor. „Wer macht die Regeln, wer darf denn eigentlich was?” Kurz spielt er nach dem Abitur mit dem Gedanken, Medizin zu studieren, entscheidet sich dann aber für Jura in Greifswald. Das Verfassungsrecht wird sein Schwerpunkt, von dem er bis heute im Bundestag nicht abgerückt ist. Auch seine derzeit in Arbeit befindliche Promotion handelt davon. „Wenn es eine Ästhetik des Rechts gibt”, sagt Amthor, „dann gilt sie fürs Verfassungsrecht in besonderem Maße.” Nirgendwo sonst gelinge es bes ser, Lebenswirklichkeit durch Recht zu beschreiben. 24
Amthor, so erzählt er es, nutzt die Freiheiten des Jurastudiums und besucht ab dem zweiten, dritten Semester nicht die Vorlesungen, die empfohlen werden, sondern jene, deren Professoren ihn beeindrucken. „Ich habe mir Stück für Stück das große Ganze erschlossen”, sagt er. Das Recht sei wie ein riesiger Apothekerschrank, dessen Schub laden nach einer bestimmten Logik mit Inhalt befüllt werden müssten. „Diese Art zu den ken hat mich fasziniert.” Geprägt habe ihn sein Professor und Lehrstuhl-Chef Jürgen Kohler, der ihm als Stu dent einen entscheidenden Satz mit auf den Weg gegeben habe. „Lernen Sie weniger, verstehen Sie mehr.” Amthor nimmt diesen Rat zum Anlass, nicht übers Auswendigler nen zum Ziel zu kommen, sondern übers Begreifen. „Ich habe also Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelesen, um einen Sinn für die Dogmatik zu entwickeln.” Als es dann aufs Examen zugeht, hält Amthor an seinem Prinzip fest. Verstehen, nicht reproduzieren. „Ich habe gar nicht so viele Übungsklausuren geschrieben, wie manche meiner Kommilitonen”, sagt Amthor, „sondern eher mit Lösungsskizzen gearbeitet.” Die Herausforderung an seinem Weg zum Examen sei es gewesen, das eigene Wissen realistisch einzuschätzen, da ein Abgleich über Übungsklausuren nicht möglich war. „Hat funktioniert”, sagt Amthor und lacht. Die Uni verlässt er mit einem Prädikatsexamen. Wie sollte es weitergehen? Zum Ende seiner Schulzeit war Amthor schon Schüler sprecher und Landesschülersprecher gewesen. Mit 16 trat er in die CDU ein, mit 18 in den Landesvorstand der Jungen Union, mit 20 wurde er Kreisvorsitzender der Jungen Union in Vorpommern-Greifswald, mit Anfang 24 war er einer der Mitgründer des partei internen „Konservativen Kreises“. Logisch hätte sich für Amthor das Referendariat angeschlossen. Aber er fängt als freier Mitarbeiter in einer wirtschaftsrechtlichen Kanzlei in Berlin an, beschafft sich par teiintern die Unterstützung für die Bundestagskandidatur und gewinnt das Direktman anwltsbla dat im Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II. Warum macht er das? „Ich glaube, dass meine Generation politischer ist als ihr Ruf, wie die Fridays-For-Future zeigt”, sagt Amthor, „die Leute haben Lust auf politische Fakten und Inhalte. Das erlebe ich im Wahlkreis andauernd.” Auch er selbst habe sich nicht vorwerfen lassen wollen, immer nur am Spielfeldrand zu stehen und es besser zu wissen. „Dieser Staat ist kein Elitenprojekt, sondern jeder Bürger kann sich einbringen”, sagt Amthor – wie zum Beweis seiner selbst. Nur authentisch müsse man bleiben als Politiker. „Die Leute merken, wenn man sich verstellt”, sagt Amthor und grinst. „Ich bin einfach wirklich so, wie ich bin.” Der Autor ist Journalist in Hamburg und schreibt regelmäßig für das Anwaltsblatt des Deutschen Anwaltvereins. 25
Was tun mit Jura? Interview mit Dr. Roya Sangi Roya Sangi, 34, ist Rechtsanwältin im Europa- und Verfassungsrecht in Berlin. Sie ist im Iran groß geworden und stu- dierte Rechtswissenschaft und politische Philosophie (M.A.) in Hamburg und Barce- lona. 2016 promovierte sie und ist seit 2017 Rechtsanwältin. Pro bono berät sie NGOs unter anderem zu völkerrechtlichen Fragen der Seenotrettung. 26
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Mit Jura kann man alles machen, ein Lieblingsspruch vor allem von älteren Ju- rist*innen. Doch stimmt der eigentlich noch? Kann man mit Jura wirklich noch alles machen? Oder sollte man mit Jura nicht genau das machen, was man mit Jura machen sollte: Die Welt ein wenig besser? Wie politisch sind wir Jurist*innen heute? Unterschiedlich. Ich selbst bewege mich in einem sehr politischen Raum, aber das ist nicht in allen Bereichen so. Im Studium gab es zwar Seminare, in denen es auch um politische Fragen ging, aber da saßen dann nur 15 Menschen darin. Das hat mich irritiert. Wie politisch sollten wir Jurist*innen sein? Sehr, denke ich! Bevor ich mit dem Studium anfing, dachte ich, es geht in der Rechts wissenschaft um die Frage der Gerechtigkeit. Aber die Fragen: „Worauf kommt es an, warum machen wir das?“ wurden am Anfang meines Studiums wenig thematisiert. In zwischen ist es etwas anders. Es gibt mehr Grundlagenveranstaltungen. Ich selbst gebe einen Kurs in Hamburg für jüngere Studierende. Haben Jurist*innen die Pflicht, politisch zu sein? Ja. Die Rechtswissenschaft ist eine Machtwissenschaft. Deswegen sollten gerade Men schen, die gestalten wollen, auch politisch sein. Sie müssen wissen, wie wichtig dieses Instrumentarium ist und wie sensibel. Gerade in Krisenzeiten. Worum geht es konkret? anwaltsbla Es geht um die Mitgestaltung, aber gleichzeitig auch um die Wahrung der Grundrechte und der Werte, die im Grundgesetz verankert sind. Beides bedingt sich. Das hat sich zum Beispiel in den letzten Tagen gezeigt, in denen wir mit Hochdruck an der rechtlichen Bewältigung der Coronakrise gearbeitet haben. Können Anwält*innen die Welt besser machen? Ein bisschen, ja. Natürlich glaube ich nicht, dass ich die Welt rette, wenn ich ins Büro komme. Aber als Anwältin in meinem Bereich gibt es viele Möglichkeiten. Kann es ein richtiges Handeln geben, wenn man auf der falschen Seite steht? Was ist falsch, was ist richtig? Wenn man sich mit der Materie befasst, ist es immer viel komplexer: Es geht um Interessenkonflikte. Dann ist die Frage: Wie lösen wir sie? Und was gibt zum Beispiel die Verfassung dafür her, wie diese Konflikte zu lösen sind. Sie sind jetzt seit mehr als drei Jahren Anwältin. Wie gehen Sie mit Zweifeln im Mandat um? Mit Zweifeln muss man ganz offen umgehen. Gerade während meiner Promotion gab es immer wieder Phasen der Verzweiflung. Dann sagte ich mir: O.k., du musst eine Lösung finden, egal wie hart es ist. Das setze ich auch als Anwältin fort. 29
Wie wichtig ist Ihnen Pro-bono-Arbeit? Sehr wichtig, weil ich weiß, dass viele sich eine*n gute Anwält*in nicht leisten können, weil wir uns gerade jetzt für bestimmte gesellschaftspolitisch relevante Themen einzu setzen haben. Sie beraten die Ver- eine Mission Lifeline und Sea Watch. Was tun Sie genau? Ich habe unter anderem mit einem Kollegen ein Gutachten zum Thema Geflüchtete in Seenot geschrieben. Zu der Frage: Befinden sich Geflüchtete in einem rechtsfreien Raum? Und auch wenn dies nie gesagt wird und der EMRK widerspricht: Faktisch ist es so, denn so wird es gelebt, weil nicht eingegriffen wird. Doch leider ist es auch so, dass in der Politik nicht gleich etwas passiert, nur weil es ein Gutachten gibt. Muss die politische Landschaft verän- dert werden? Wenn sich die Zivilgesellschaft für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzt, kann vieles bewirkt werden. Man muss eben mehr Menschen dafür gewinnen und man braucht eine europäische Perspektive. Daran arbeite ich (lacht). Mit Jura kann man alles machen. Stimmt das? Ob man alles machen kann, weiß ich nicht, aber vieles. Jura bleibt ein Türöffner. Wir als Jurist*innen, sei es in der Justiz, in der Verwaltung oder als Anwält*innen befassen uns mit den Themen, die alle Menschen täglich beschäftigen. Warum sind Sie An- wältin geworden? Es gibt zwei Momente in meinem Leben: 1998 in Teheran gab es die Kettenmorde an Oppositionellen. Das hat mich sehr mitgenommen. Ich war 13. Ich war fassungslos, er schüttert. Damals dachte ich: Ich möchte die nächste Verfassung Irans schreiben, sie sollte ganz anders aussehen. Später bin ich nach Hamburg ausgewandert. Da kamen andere Herausforderungen, eine neue Welt öffnete sich. Im März 2016, damals war ich Referendarin am Bundes verfassungsgericht, saß ich dann in der Verhandlung zum Atomausstieg. Mein jetziger Mentor, Ulrich Karpenstein, hat so beeindruckend zur Grundrechtsberechtigung eines europäischen Staatskonzerns vorgetragen, dass es mich komplett erwischt hat. Es war klar: Wenn ich nicht in der Wissenschaft bleibe, möchte ich bei ihm Anwältin werden. Und so ist es auch gekommen. Hätten Sie sich als junge Anwältin etwas gewünscht, was den Berufseinstieg leichter gemacht hätte? Ja, natürlich. Es gibt vieles, das ich irgendwie gerne anders gehabt hätte, schon während des Studiums und der gesamten Ausbildung. In jedem Stadium hätte ich viel besser auf den Beruf und die ganz alltäglichen Probleme vorbereitet werden können. Die prakti sche Anwendung des Rechts sowie die wirksame Durchsetzung von Interessen ist nach wie vor unterbelichtet. Sachverhaltsarbeit und Subsumtion werden unterschätzt. 30
Was hätten Sie sich denn in der Ausbil- dung gewünscht? Sich mal mit der Frage auseinanderzusetzen: Warum sitzen wir alle zusammen? Was ist der Sinn des Ganzen? Also eine bessere Einführung in die Rechtswissenschaft. Eine, die begeistert. Also, warum Jura? Weil sich damit so viel bewegen und hinterfragen lässt. Das heißt, es braucht Vorbilder, die Lust und Freude an Jura vermitteln? Auch. Und Grundlagen. Grundlagen der Rechtswissenschaft, Rechtsphilosophie sind sehr wichtig. Für viele ist das ein exotisches Thema. Aber die Wahrheit ist: Alles, was ich gelernt habe, habe ich aus diesen kleinen Seminarräumen. Um zum politischen Engagement an der Uni zurückzukommen: Leider geht es bei die sem Engagement oft nicht mehr darum, etwas zu lernen und zu bewegen, sondern darum, es in seinen nächsten Stipendienantrag und seinen Lebenslauf zu schreiben. Das Gefühl habe ich aber auch heute noch bei vielen. Fehlt der Spaß an Jura? Ja. Das Studium und das Referendariat sind absurd examensorientiert. Dafür aber, dass die Examina so wichtig sind, fand ich den Umgang damit sehr fahrlässig, zum Beispiel die mündliche Prüfung, ein Zufallsprinzip. Oft zählt nur die Sympathie. Ich wünschte mir tatsächlich eine Videoaufnahme in jedem Prüfungsraum. anwaltsbla Was würden Sie dem Nachwuchs mitgeben, wenn sie die Welt wirklich verändern wollen? Jede*r Jurastudierende, sollte sich vorher die Frage stellen: Warum studiere ich das? Weil ich keinen Medizinstudienplatz bekommen habe, weil meine Eltern sich das wün schen, oder aus Überzeugung? Wenn Ihr feststellt, im dritten, vierten Semester, dass es nicht das ist, was Ihr Euch vorgestellt habt, dann habt den Mut aufzuhören. Lasst Euch nicht von dem sozialen, familiären, freundschaftlichen Druck beeindrucken. Es ist kein Scheitern, es ist eine Tür zu einer anderen Chance. Wenn Sie zehn Jahre weiterdenken, haben Sie vor irgendetwas Angst? Dass wir in zehn Jahren nicht mehr mehrheitlich dieselben Werte in dieser Gesellschaft haben werden, und ich rede von der europäischen Gesellschaft. Ich mache mir Sorgen um den Zustand Europas, und dass der rechtspopulistische Prozess weitergeht. Wenn Sie „Katzenkönig“ hören, woran denken Sie? An meine Strafrechtsvorlesung. Und daran: wie naiv man denn sein kann? (lacht) Das war das erste, was mir durch den Kopf ging. Das Gespräch führten Stephanie Graetz, Bettina Bachmann und Nicolas Lührig (Bearbeitung Lisa Tramm). 31
Plädoyer Die spezifisch juristische Denke Plädoyer von Thomas Fischer, ehemaliger Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und Verfasser des Kurzkommentars zum Strafgesetzbuch. Und im Übrigen gilt hier wie überall: Man sollte tun, was man gern tut, und das, was man gern tut, mit ganzer Kraft. Dann läuft das schon. 32
Der Beginn meines eigenen Jurastudiums liegt genau 40 Jahre zurück. Es fand in Würzburg statt und dauerte bis Sommer 1984. Die meisten Jurastudent*innen haben wenig Ahnung, was sie er wartet. Fast alle haben aber Bilder im Kopf: Von flatternden Roben, wichtigen Prozessen, anwaltlichem oder richterlichem Lebensstil, Auftreten, Erfolg oder Risiko. Fast alle Bilder stimmen „irgendwie“ und auch wieder nicht. Die meisten Nichtjurist*innen denken, das Jurastudium bestehe aus dem Auswendiglernen einer unüberschaubaren Vielzahl von Regeln. Das ist nicht ganz falsch; es ist allerdings der eher weniger herausfordernde Teil. Denn Regeln, Techniken und spezifische Zusammenhänge zu erfahren und zu lernen, ist Teil jedes Studiums, und das bloße Auswendiglernen von Begriffen und Strukturen ist im Fach Jura sicher nicht schwieriger als in anderen Fächern. Neu und schwierig ist es dagegen, die spezifisch juristische „Denke“ zu erlernen: Eine Herangehensweise an Fragestellungen, die ganz auf regelhafte Ergebnisse abzielt; eine Mischung von Genauigkeit in Details, welche für andere ganz unwichtig erschei nen, und abstrakten Ableitungen. Aus den gewöhnlichen Alltags fragen „Wie ist etwas?“ oder „Warum ist es so?“ werden die Fragen: „Darf es so sein?“ oder „Aus welcher Regel e rgibt sich das?“. Manchen sprechen diese Fragestellungen aus dem Her zen, anderen bleibt eine solche Sichtweise auf die Welt fremd. Nicht zuletzt daran können sich „Eignung“ oder Nichteignung für anwaltsbla den juristischen Beruf entscheiden. Ich erinnere mich an Inhalte aus dem Beginn meines eigenen Studiums nur noch vage. In den Vorlesungen wurden rätselhafte Dinge in fremdartiger Terminologie vorgetragen und Fragen be antwortet, die mir nicht eingefallen wären. Begriffe traten in mein Leben, die scheinbar alles veränderten: „Anspruch“, „Tatbe stand“, „Rechtslage“. Von Gerechtigkeit, wehenden Roben und großen Prozessen war weit und breit nichts zu sehen. Diese furchterregende Fremdheit des Anfangs lässt über die Semester nach. Dann beginnt, unweigerlich, die Blickrichtung aufs Examen als das wichtigste Ziel von allen. „Examensrelevanz“, „Examens vorbereitung“, „Examensangst“ und „Examensnähe“ breiten sich aus. Mein Ratschlag: Je mehr Sie sich den Blick verengen, desto schwieriger wird es. Die beste Methode, Juristin und Jurist zu werden ist es, Rechtswissenschaft zu betreiben: Als Wissen schaft vom Recht, in all seinen Bezügen, Bedeutungen, Voraus setzungen und Wirkungen. Natürlich muss man fleißig sein und viel lernen. Aber man muss weder das Hypothekenrecht auswen dig lernen noch das Strafgesetzbuch. Sondern man muss offen sein für neue Fragen, und versuchen, die Dinge zu Ende zu denken: Strategien des Lösens ergründen, nicht Ergebnisse einpauken. Wenn man das verstanden hat, verlieren die Klippen des Studiums ihre Schrecken und werden zu spannenden Herausforderungen. 33
1, 2, 3 … los! Business as usual? Muss nicht sein! Goldener Türknauf, edle Visitenkarte und 60-Stunden-Woche: Kann man machen, muss man aber nicht (mehr). Der Anwaltsberuf erlebt einen Umbruch, die neue Generation junger Jurist*innen wünscht sich Flexi- bilität statt Statussymbole. Arbeitszeitmodelle, die Raum für Reisen lassen, die Möglichkeit, das Mandant*innenleben vom Sofa aus zu verändern oder sich eine ganz eigene Kanzleistruktur auszudenken, sind Zukunftsideen, die Lust auf die Arbeitswelt machen. Lest selbst, wie Anwält*innen sich neu erfinden, eine gesamte Kanzlei in Teilzeit arbeitet oder virtuelle Mandats bearbeitung tatsächlich funktionieren kann. 1 2 3 Der Traum Teilzeit oder Sichtbar im von der Kanzlei- Karriere? Internet gründung Was treibt 36 Stunden Wie mache ich Sie an? verteilt auf auf mich Wie erfindet 4 Tage – geht aufmerksam? man sich neu? das im An- Wie werde ich Wie finde ich waltsberuf gefunden? meine Marke? wirklich? Warum ist die Teilzeit in der Anwalt- schaft so anders? 34
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Marke Kanzleigründung 1
Andin Tegen Der Traum von der Kanzleigründung Was treibt Sie an? Wie erfindet man sich neu? Wie finde ich meine Marke? Sie hatten sich vieles ausgemalt: Dass es war bei Freshfields unter anderem zustän ihnen an Mandant*innen mangeln würde. dig für „Employment Pensions Benefits“. Dass sich die Fixkosten nicht mehr decken Der Prozess bis zur Gründung dauerte ließen. Dass unterschiedliche Arbeitswei etwa zehn bis zwölf Monate. „Wir wollten sen zu Streit führen würden. Dass aber unsere eigenen Chefs sein und entschei nichts davon eintreten würde, dass ihre den, wann und wie man für welche Kondi Kanzlei nach kurzer Zeit so laufen würde, tionen für welche Mandanten arbeitet“, Dr. Claudia Jehle als wären sie seit Jahrzehnten auf dem sagt Naber. „Insbesondere ohne Vorga Markt – damit hatten sie nicht gerechnet. ist Gründungspartnerin ben von ausländischen Kanzleizentralen, von Neuwerk Rechts Fünf Jahre ist es her, da setzten sich anwälte. Vor der Aus die an Partner in Deutschland regelmäßig ein paar Anwält*innen der Großkanzlei gründung war sie bestimmte Umsatz- und Gewinnerwar kanz & lei Principal Associate bei Freshfields Bruckhaus Deringer und der Freshfields Bruckhaus tungen knüpfen.“ Strafrechtsboutique Roxin an einen Tisch Deringer LLP. Sie Sie gingen ohne ein einziges Mandat absolvierte einen LL.M. und gossen ihren Traum von der Selbst in Florenz und ist aus aus ihren Festanstellungsverhältnissen, ständigkeit in einen handfesten Business gebildete Wirtschafts zwei von ihnen kamen direkt aus einer län mediatorin. plan. Die Kanzlei Neuwerk, unweit der geren Elternzeit. Da war nur diese Vision: Hamburger Binnenalster, war der lang ge ein Spin-off zu gründen, das mehr ab hegte Wunsch, nach all den Jahren der deckt als nur eine Disziplin. „Das sollte Praxiserfahrung einen immer größer wer unsere Marktlücke und unser Wiederer denden Unternehmer*innengeist zu be kennungszeichen sein.“ friedigen. Trotz des Risikos zu scheitern. Vom Konferenzraum im vierten Stock eines alten Hamburger Kontorhauses aus blickt Naber über das geschäftige Treiben Konspirativer Start: Wie sieht auf dem Gänsemarkt. Hier, im Herzen der die Traumkanzlei aus? Stadt, hatten sie 2016 eine ganze Etage für ihre Kanzlei gemietet. „Wir hatten eine „Wir trafen uns regelmäßig‚ im Verborge Dr. Sebastian Naber Gründungsfinanzierung von der Deut nen, bei einem von uns zu Hause und trie ist Gründungspartner schen Bank, die wir im ersten Jahr vollstän ben die Gründung voran: durch den von Neuwerk Rechts dig zurückführen konnten“, sagt er stolz. anwälte. Vor der Entwurf von Businessplänen, durch Ab Ausgründung war er Eine fürstliche Bürofläche mit hohen Wän stimmungen zur Struktur der Kanzlei, dem Principal Associate bei den – und dennoch zu wenig Platz. Drei Freshfields Bruckhaus Namen und Ähnlichem“, sagt Dr. Sebastian Deringer LLP. Er absol weitere Etagen hat Neuwerk dazu gemie Naber, Gründer und Partner bei Neuwerk. vierte sein Studium in tet, damit sich nicht mehr mehrere An Hamburg, Cambridge Er berät Unternehmen und Einzelpersonen und Suzhou. wält*innen ein Büro teilen und „praktisch in allen Bereichen des Arbeitsrechts und zeitgleich in den Hörer quatschen müssen“. 37
Die Marktlücke trug: kommen – viele Anwält*nnen und Mitar Schnelles Wachstum beiter*innen haben Kinder und sind auch zuhause gefordert. „Wenn mein vierjähri Die Kanzlei zählt heute zu den wenigen ger Sohn einmal krank ist, sind mein Mann interdisziplinären Spin-offs der Branche. oder ich zu Hause. Jeder kennt die Situa Aus einst fünf Anwält*innen und einer tion – dann wird der Arbeitsalltag spontan S ekretärin wurden innerhalb von drei umorganisiert, und die Welt geht erstaun J ahren 50 Mitarbeiter*innen, darunter licherweise nicht unter. Dies war sicher Arbeitsrecht 16 Anwält*innen, die sich auf die Gebiete auch eine Motivation bei der Gründung. Arbeits-, Gesellschafts-, Immobilienwirt schafts-, Wirtschaftsstraf- und IP/IT- Recht spezialisiert haben. „Wir hatten Gesellschaftsrecht Wer gründet, kann alles von Anfang an eine Office-Managerin, so machen, wie er will danach haben wir zügig wissenschaftli che Mitarbeiter, eine Rechtsanwaltsfach Das Team von Neuwerk will die Nach angestellte und eine Auszubildende Immobilienrecht wuchskräfte schon von Anfang an für sich eingestellt“, sagt Naber. gewinnen, setzt auf die Ausbildung vieler Die Anwält*innen profitierten von den wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen und Kontakten zu Mandant*innen, mit denen das Thema Weiterbildung – ein Aspekt, sie bei Freshfields zusammengearbeitet Geistiges Eigentum der auch bei Freshfields schon großge und Informations haben: Nach und nach fielen im Laufe der technologierecht schrieben wurde. Zeit Mandate ab, die zu klein für die Groß „Schon damals bekamen wir die Mög kanzlei waren. „Und so wurde unser Netz lichkeit, sämtliche Kurse und Module zu werk immer größer – es sprach sich durchlaufen: Teambuilding, Markenaufbau, herum, dass wir umfassend beraten und Akquise, kritische Gesprächsführung…“, Prozessrecht über eine breite Expertise aus vielen Be sagt Jehle. „Unsere eigene Weiterbildung reichen verfügen“, sagt Naber. „Wir muss findet mit Hilfe eines externen Dienstleis ten kaum noch akquirieren.“ ters statt: Bucerius Education. Anders als Zudem konkurriert die Kanzlei nicht Freshfields sind wir zu klein, um eine mal mit dem ehemaligen Arbeitgeber Wirtschaftsrecht Weiterbildung mit eigenen, bei uns ange Freshfields. „Wir decken vor allem globale stellten, Coaches zu ermöglichen.“ und internationale Mandate ab, für die Arbeitsprozesse wurden in der Kanzlei eine Präsenz in sehr vielen Ländern erfor nicht nur hinterfragt, sondern gemäß derlich ist – da kommen wir uns praktisch ihrem im Vergleich zu Großkanzleien klei nicht ins Gehege, sondern empfehlen uns nem Format neu entwickelt und in einem Malen nach Farben vielmehr wechselseitig weiter.“ Strategiehandbuch festgehalten. „Wir Auch Dr. Claudia Jehle gehört zum Durch interdisziplinäres haben für viele Bereiche – vom Onboard Knowhow und die Gründungsteam und berät vor allem Erfahrung der Kanzlei ing neuer Mitarbeiter bis hin zum Mahn komplexe Immobilientransaktionen. Man partner*innen in den wesen – möglichst passgenaue Prozesse Schwerpunktbereichen müsse den Mitarbeiter*innen heute viel kann die Kanzlei feste erarbeitet“, sagt Naber. In jeder Organisa mehr bieten als nur gute Gehälter und Zeit- und Ressourcen tion läge die Herausforderung darin, dass planung für ihre Rechts anspruchsvolle Mandate. „Wir arbeiten dienstleistungsprodukte man die Prozesse auch dann einhält, wenn nicht streng hierarchisch, sondern bieten anbieten. Diese werden man viel um die Ohren hat – das ist in gro für jedes Mandat vorab viele Freiheiten: Home-Office, flexible individuell angepasst. ßen Kanzleien genauso wie in kleinen. A rbeitszeiten, Weiterbildung, gemein Der Unternehmergeist wurde schon same Unternehmungen, interne Lunch- damals, während der Fortbildung bei Termine, in denen ein Anwalt von uns zum Freshfields zum Leben erweckt, glaubt er. Beispiel über ein laufendes Mandat oder Die Autorin ist Journalistin in Hamburg und schreibt seinen Fachbereich referiert“, sagt sie. regelmäßig für das Anwaltsblatt des Deutschen Anwaltvereins. Und natürlich darf die Familie nicht zu kurz 38
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