Das Bauhaus Grafische Meisterwerke von Klee bis Kandinsky - Lesejury
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Inhalt Wir danken unseren großzügigen Förderern: Neues Leben 8 Roland Krischke Ganzheitlich europäisch. Das frühe Bauhaus 10 in Weimar und die Neue Europäische Graphik Benjamin Rux Die Druckerei am Staatlichen Bauhaus in Weimar – 18 eine Werkstatt für das Sammeln Thomas Matuszak »Der europäische Geist« – Krisis einer transnationalen 30 Avantgarde in der Grafik 1919 – 1925 Toni Hildebrandt Mappe I: Meister des Staatlichen Bauhauses in Weimar 38 Benjamin Rux Mappe II: Französische Künstler 58 Laura Rosengarten Mappe III: Deutsche Künstler 68 Benjamin Rux Mappe IV: Italienische und russische Künstler 88 Laura Rosengarten Mappe V: Deutsche Künstler 106 Sophie Thorak Druckgrafische Mappenwerke von Bauhaus-Meistern 126 im Lindenau-Museum Altenburg Lyonel Feininger: Zwölf Holzschnitte 128 Georg Muche: Ypsilon – die kleine Satire 144 auf die Weltanschauung des Materialisten N. Gerhard Marcks: Das Wielandslied der aelteren Edda 158 Verzeichnis der ausgestellten Werke 173 Literatur 181 Autoren 182 Bildnachweis 183 Impressum 184
Lyonel Feininger Zwölf Holzschnitte, Titelblatt, 192o Holzschnitt Lyonel Feininger Georg Muche Titelblätter der Mappen I, III, IV, V, 1921 – 1923 Ypsilon, Mappendeckel, 1920 /21 Gerhard Marcks Federlithografien Pinsel in Weiß auf rosa Seidenpapier Das Wielandslied, Titelblatt, 1923 6 7
Neues Leben Karl Villaret in Erfurt, Bahnhofsstr. 5 a, erworben wurden Die Ausstellung wurde von Dr. Benjamin Rux und und dass daran die Verwaltung für Kunstangelegenheiten Laura Rosengarten kuratiert, die auch für die Redaktion Ende 1951 oder Anfang 1952 erwarb der erst seit der Thüringer Landesregierung entscheidenden Anteil des Katalogs verantwortlich zeichnen. Für ihre gediegenen wenigen Monaten fest angestellte Direktor Hanns-Conon hatte. ( Die Bezirke der DDR wurden erst im Sommer 1952 Texte danken wir Dr. Toni Hildebrandt, Dr. Thomas von der Gabelentz (1892 – 1977) die vier unter dem Titel geschaffen und damit die Länderstruktur de facto aufgelöst.) Matuszak und Sophie Thorak. Für das umsichtige Lektorat Neue Europäische Graphik erschienenen Bauhaus-Mappen 1951 /52 war der in Altenburg geborene Kunsthistoriker gilt Martin Fruhstorfer unser Dank. für das Lindenau-Museum. Das war eine symbolische Tat, Erhard Frommhold (1928 – 2007) bei der Verwaltung Für die angenehme Zusammenarbeit und die einfühl- knüpfte Gabelentz damit doch fast hundert Jahre nach für Kunstangelegenheiten tätig. Frommhold prägte später same Gestaltung danken wir vielmals dem Sandstein Verlag Bernhard August von Lindenaus Tod 1854 auf seine Weise als Cheflektor des VEB Verlag der Kunst in Dresden in Dresden. an dessen Sammelpolitik an. Lindenau hatte sich erfolg- über Jahrzehnte maßgeblich die Verlagslandschaft der DDR. Für die großzügige Förderung der Ausstellung und reich bemüht, einen umfassenden Querschnitt der Meister- Nach Kriegsgefangenschaft, Klempnerlehre und Studium des umfänglichen Begleitprogramms danken wir sehr herzlich werke abendländischer Kunst vom Altertum bis zum in Jena war Frommhold Anfang der 1950 er Jahre Ober der Thüringer Staatskanzlei, der Sparkassen-Kulturstiftung Klassizismus zu erwerben. Er hatte Spitzenwerke wie die referent für Bildende Kunst und Museen im Ministerium Hessen-Thüringen und der Sparkasse Altenburger Land. 180 frühitalienischen Tafelgemälde gekauft, eine gediegene für Volksbildung des Landes Thüringen und anschließend Es ist vielen Freunden und Besuchern des Lindenau-Museums Sammlung antiker Vasen zusammengetragen und ihnen persönlicher Referent des Leiters der Thüringer Verwaltung noch viel zu wenig bewusst, dass die im 20. Jahrhundert Kopien jener Plastiken oder Gemälde von Weltrang für Kunstangelegenheiten. In dieser Funktion korrespon- begründeten »neuen Sammlungen« einen weiteren bedeuten- an die Seite gestellt, die er nicht im Original nach Altenburg dierte er regelmäßig mit Hanns-Conon von der Gabelentz den Schwerpunkt des Museums neben den Lindenau’schen hatte holen können. und unterstützte ihn bei seinen Ankäufen. Beständen bilden. Noch sind nicht alle Werke dieser Zeit Gabelentz, der bereits seit November 1945 als ehren In einem offiziellen Schreiben an die Verwaltung für Kunst- inventarisiert, vor allem Zehntausende Blätter der Grafischen amtlicher Leiter der in Altenburg befindlichen Sammlungen angelegenheiten, in dem es auch um Zuweisung der Mittel Sammlung harren noch der vollständigen Erfassung. agierte, hatte es sich zum Ziel gesetzt, dem Lindenau-Museum für den Erwerb der Bauhaus-Mappen geht, formuliert Die Publikation in klassischen Bestandskatalogen und im Netz neue Impulse zu geben. Indem er gezielt eine Grafische Hanns-Conon von der Gabelentz am 16. November 1951 zu Dokumentations- und Forschungszwecken ist ein Sammlung aufbaute, deutsche Plastik und Malerei des seinen Wunsch, ihm möglichst noch weitere Geldmittel wichtiger Bestandteil unserer Museumsarbeit. Der vorliegende späten 19. Jahrhunderts und der Klassischen Moderne erwarb, zukommen zu lassen, »um die Bestände des seit 1854 Katalog ist ein kleiner, aber wesentlicher Baustein im vor allem aber auch die zeitgenössische Kunst wertschätzte, ohne eigentliche Leitung bestehenden Lindenau-Museums Rahmen dieser Bemühungen. gab er dem Museum einen weiteren Sammelschwerpunkt […] auffüllen zu können«. Seine Begründung lautete: Mit der künstlerischen Zeitreise zu den Anfängen des und weckte es damit aus dem Dornröschenschlaf. »Das Lindenau-Museum ist das einzige reine Kunst-Museum Bauhauses tauchen wir zugleich ein in die unruhigen Jahre Das Staatliche Bauhaus in Weimar plante 1921 eine Reihe Thüringens und enthält mit seinen Sammlungen Werte, nach dem Ersten Weltkrieg, als die Thüringer Herzöge von fünf Grafik-Mappen mit dem Titel Neue Europäische die weit über die DDR hinaus von Bedeutung sind; abdankten und sich neue Staaten bildeten. Am 13. November Graphik, die einen Querschnitt der zeitgenössischen ihre Ergänzung in entsprechendem Umfange ist daher 1918 wurde in der Landeshauptstadt Altenburg der Frei- europäischen Kunst geben sollten. Alle Künstler von Rang eine unbedingte Notwendigkeit.« staat Sachsen-Altenburg gegründet, der am 1. Mai 1920 sollten vertreten sein. Walter Gropius und Lyonel Feininger, Nicht nur durch strategische Ankäufe gelang es Gabelentz, im Land Thüringen aufging. Es ist eine historische Kurio der Leiter der druckgrafischen Werkstatt, hatten die erste dem Lindenau-Museum einen neuen Stellenwert zu schaffen, sität, dass der leitende Staatsminister der bis zum 27. März Mappe für die Bauhaus-Meister bestimmt, die dritte auch die Bestandspflege, eine Vielzahl von Ausstellungen 1919 amtierenden Übergangsregierung ein Politiker und fünfte Mappe waren deutschen Künstlern zugedacht, insbesondere zur zeitgenössischen Kunst und nicht zuletzt – namens Wilhelm Tell (1871 – 1950) war. Ob dieser gern die zweite Mappe vornehmlich französischen Künstlern als entscheidende Voraussetzung alles Weiteren – der Aufbau aus Schillers Drama über seinen Namensvetter zitierte, und die vierte Mappe Künstlern aus Italien und Russland. eines funktionierenden Museumsbetriebs mit entsprechen- ist nicht überliefert. Ein Satz des Freiherrn von Attinghausen Die Auflage betrug pro Mappe 110 Stück (Mappe V: dem Mitarbeiterstamm prägten sein Direktorat. aus dem vierten Akt wäre immerhin angemessen gewesen: 130 Stück). Nicht alles ließ sich bis 1924 so realisieren. Die »Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, Und neues Leben vierte Mappe erschien mit weniger Blättern und die zweite Die Ausstellung »Das Bauhaus – Grafische Meisterwerke blüht aus den Ruinen.« Mappe kam gar nicht zustande. Dennoch war es ein von Klee bis Kandinsky« ist Altenburgs Beitrag zum Projekt, das in wunderbarer Weise die Ziele des Bauhauses Bauhausjahr 2019. Altenburg, im Januar 2019 verkörperte. Es nimmt wenig Wunder, dass die National Neben allen Grafiken der vier Bauhaus-Mappen zeigen Dr. Roland Krischke sozialisten in ihren »Säuberungsaktionen« gezielt ganze wir ergänzend drei weitere herausragende Produktionen Direktor des Lindenau-Museums Altenburg Mappen zerstörten. Nur wenige sind heute noch voll- der Druckwerkstatt am Staatlichen Bauhaus Weimar: ständig erhalten, und umso bemerkenswerter ist es daher, Die Zwölf Holzschnitte von Lyonel Feininger, die zehn Holz- dass vier vollständige Mappenwerke wenige Jahre nach schnitte umfassende Mappe Das Wielandslied der aelteren dem Zweiten Weltkrieg in das Lindenau-Museum gelangten. Edda von Gerhard Marcks und Georg Muches seltene Leider ist der Ankauf nicht vollständig aus den Archiv Radierfolge Ypsilon – die kleine Satire auf die Weltanschauung akten nachvollziehbar. Immerhin ist klar, dass die Mappen des Materialisten N. Es handelt sich durchweg um Werke für jeweils 500 Mark bei der Buch- und Kunsthandlung aus eigenem Bestand. 8 9
Ganzheitlich europäisch. Feuer des Neuanfangs Um sich das Feuer des Neuanfangs zu vergegenwärtigen, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines Das frühe Bauhaus in Weimar das viele Künstler mit der Novemberrevolution 1918 ergriff, als es galt, nicht nur eine neue Kunst, sondern den »neuen Menschen« und eine neue Gesellschaft gleich mit zu neuen kommenden Glaubens.« 5 Der Titelholzschnitt zum Manifest von Lyonel Feininger zeigt eine Kathedrale als Bau der Zukunft, an der – wie in der mittelalterlichen Bauhütte – und die Neue Europäische Graphik erschaffen, lohnt sich ein Blick in die Wirkungsstätte Harry Graf Kesslers (Abb. 1).1 In Weimar, wo Kessler aus dem Geiste Friedrich Nietzsches einen Ort der internationalen viele Handwerker und Künstler unterschiedlicher Herkunft und Klassen beteiligt sind (Abb. 2). Der Neuanfang am Bauhaus war universell. Er beruhte auf den Leitideen der Moderne errichten und damit ein Gegengewicht zur Ganzheitlichkeit und der Transnationalität. Beide Prinzipien Benjamin Rux national definierten Kunstdoktrin unter Kaiser Wilhelm II. kommen in der Neuen Europäischen Graphik besonders schaffen wollte,2 wurde im Vorfeld des Ersten Weltkriegs zum Tragen. an der von Kessler gegründeten »Cranach-Presse« der Satz Feiningers Holzschnitt Kathedrale fasst nicht nur die für 43 Holzschnitte des französischen Bildhauers Aristide künstlerischen Disziplinen Architektur, Skulptur und Malerei – Maillol gerichtet, die eine Prachtausgabe der Eklogen für jede Disziplin steht ein Turm – symbolisch zusammen. des römischen Dichters Vergil begleiten sollten. Diese deutsch- Die Analogie geht noch viel weiter. So, wie gotische französische Zusammenarbeit wurde Ende Juli 1914 Kathedralen hoch in den Himmel ragten und von weiter jäh unterbrochen, als sich Kessler in patriotischem Über- Ferne aus sichtbar von einem Natur, Geist und weltliche schwang zu seinem Regiment begab, um als Rittmeister in Macht umfassenden kosmischen Ganzen, das das Chaos Frankreich und Belgien, den Ländern seiner Freunde beherrscht, kündeten, 6 so verstand sich auch das Bauhaus Maillol, Auguste Rodin und Henry van de Velde, zu kämpfen. als Ort ganzheitlichen Denkens und Handelns inmitten Traumatisiert von den Kriegserlebnissen wurde der nun- einer immer unübersichtlicher werdenden Zeit. Die Idee mehr als »Roter Graf« titulierte überzeugte Republikaner »Bauhaus« bezog ihre Anziehungskraft vor allem aus nach der Novemberrevolution zum Motor einer umso dem Versuch, der in der auf Zweck und Norm gerichteten entschiedeneren transnationalen Avantgarde, die allein den Nationalismus überwinden und die Zukunft des »neuen Menschen« bauen könne. Die Arbeit an den Eklogen, in der sich Arkadien als Europa zu erkennen geben sollte, nahmen Kessler und Maillol in den 1920 er Jahren wieder auf und brachten sie 1926 als Manifest einer deutsch- französischen Aussöhnung zum Abschluss. 3 1 Auch das am 1. April 1919 von Walter Gropius gegrün- Zu einer Neubewertung der Revolution und den Folgen dete Bauhaus war das Kind einer Zeit, die sich zu Höherem bis zum Hitlerputsch 1923 vgl. berufen fühlte. Das Bauhaus war die Antwort einer Avant- Robert Gerwarth: Die größte aller garde auf den schrankenlosen Materialismus und ent Revolutionen. November 1918 hemmten Nationalismus, die das »lange 19. Jahrhundert« und der Aufbruch in eine neue Zeit, beendeten und in den Ersten Weltkrieg mündeten. Es hatte München 2018. 2 seine Wurzeln in der revolutionären Stimmung der Mo- Vgl. Alexandre Kostka: »Darin nate nach der Novemberrevolution, als sich Künstler irrt Nietzsche. Der Große Stil und Intellektuelle im Geiste des Sozialismus politisierten nicht notwendig hart.« Harry Graf 4 und Visionen für eine bessere Zukunft entwarfen.4 In Berlin, Kessler, Friedrich Nietzsche und Zur historischen Situation dem neben Paris wichtigsten Zentrum der Avantgarde, die Kunst in Weimar, in: Aufstieg der europäischen Avantgarden und Fall der Moderne, Ausst.- vor dem Hintergrund des Endes waren die frisch ins Leben gerufene »Novembergruppe«, Kat. Weimar 1999, S. 42 – 58. des Ersten Weltkriegs vgl. Ian aber auch Herwarth Waldens Sturm-Galerie und Dada 3 Kershaw: Höllensturz. Europa Träger dieser neuen Bewegung. Ebenfalls in Berlin entwickelte Vgl. etwa das Exemplar im 1914 bis 1949, München 2016, Gropius seine Idee für das Bauhaus als Stätte einer Kupferstichkabinett Berlin, 1926, S. 237 – 254. von der Gesellschaft getragenen, allumfassenden Kunst, 32 × 23,2 × 2,2 cm. Weiterführend 5 dazu Markus Kersten: Arkadien Walter Gropius: Manifest als er Anfang 1919 noch als Vorsitzender des revolutionären oder Europa? Die Eklogen- und Programm des Staatlichen »Arbeitsrates für Kunst« wirkte. Im Bauhaus-Manifest Edition des Grafen Harry Kessler, Bauhauses in Weimar, Weimar umriss Gropius seine Utopie mit den Worten: »Wollen, erden- in: Antike und Abendland 63 im April 1919, Klassik Stiftung ken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, (2017), S. 169 – 194. Weimar, Bauhaus-Museum. 11
Dabei sahen sich vor allem Künstler als Propheten dieser neuen schöpferischen Zeit und Ordnung, die Mensch, Natur und Geist zusammenschloss. Diesem ganzheitlichen Aspekt des frühen Bauhauses steht das damit aufs Engste verbundene Konzept der Trans- nationalität zur Seite. War die ganzheitliche Praxis am Bauhaus, wie sie etwa Johannes Itten in seinem berühmten Vorkurs lieferte, eine – sinnbildlich gesprochen – vertikale Öffnung zwischen Himmel und Erde, so kann die Trans nationalität auf horizontaler Achse als Ausdehnung im Raum aufgefasst werden, die dem Bauhaus eine entschieden europäische Identität verlieh und nach 1933 auch in 6 Die Literatur zur Architektur Amerika und schließlich in Asien und Afrika Früchte trug. gotischer Kathedralen als Bedeutungs- In Weimar lehrten neben den beiden Schweizern Johannes träger ist umfangreich und Itten und Paul Klee ein Amerikaner mit deutschen Wur- kontrovers. An dieser Stelle soll der zeln (Feininger), ein Russe (Wassily Kandinsky) und ein Hinweis genügen, dass scholastische Ungar (László Moholy-Nagy). Nicht wenige der etwa 1250 Theologie und Philosophie wie etwa die Summa theologiae des Schüler (Gesamtzahl 1919 – 1933) kamen aus dem Ausland. 9 Hl. Thomas von Aquin nicht ohne Dabei war eine europäisch vernetzte Intelligenz auch Einfluss auf die Architektur blieben, in den frühen Jahren der Weimarer Republik keine Selbst- dazu am besten Dieter Kimpel verständlichkeit – und Nationalismen bestimmten die und Robert Suckale: Die gotische Denkmuster mit. Thomas Mann gibt dafür im Zauberberg Architektur in Frankreich 1130 – 1270, München 1985, v. a. S. 56 – 58 (1924) ein beredtes Beispiel, wo der junge Hans Castorp und zu den politischen Voraus in den unheilvollen Strudel eines »clash of cultures« setzungen S. 65 – 75. In der Romantik zwischen dem fortschrittsgläubigen italienischen Weltbürger verklärte sich der Blick auf die Settembrini und dem reaktionären jüdischstämmigen Jesu- gotischen Kathedralen und brachte iten Naphta gerät – und unter dem Einfluss seiner Mentoren besonders in Deutschland den Abb. 2 Wunsch nach einem Anbau von in den Ersten Weltkrieg taumelt und fällt. Lyonel Feininger, Kathedrale, 1919 Türmen an bestehenden gotischen 10 Holzschnitt, 31 × 19,1 cm, Kunstsammlungen Chemnitz Kirchenbauten hervor. Vgl. etwa Ulrike Bestgen: »Formung 7 ist Bewegung, ist Tat. Formung Weimar Bergsons Werke wie Materie ist Leben.« Paul Klee und Goethes und Gedächtnis oder Schöpferische Metamorphosenlehre, in: Ausst.- Entwicklung erschienen in den Kat. Weimar 2009, S. 275 – 279; Die künstlerische Vision des Neuanfangs konnte nur eine Doch das Feld in Weimar war vermint. Nationalis- ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts Barbara Hentschel: Kandinsky und kosmopolitische sein. Und Weimar, die ehemalige Residenz- tische Kräfte übernahmen die Deutungshoheit über in deutscher Übersetzung zuerst Goethe. Über das Geistige in der Abb. 1 stadt, bot den geeigneten Ort dazu. Goethes gedankliche das klassische Weimar mit seinen »Nationaldichtern« und im Diederichs Verlag in Jena, einem Kunst in der Tradition Goethescher Edvard Munch, Harry Graf Kessler, 1906 Weite, die nicht nur Kunst und Natur und das »alte Europa« führten sie gegen die avantgardistische Moderne ins Feld. 11 Zentrum der Moderne in unmittel- Naturwissenschaft, Berlin 2000. Öl auf Leinwand, 200 × 84 cm, Neue Nationalgalerie, Berlin mit Griechenland, Italien und Frankreich einschloss, Das offene, humanistische Menschenbild Goethes und barer Nachbarschaft zum Bauhaus 11 Weimar. Vgl. Justus H. Ulbricht: sondern bis in den Nahen Osten, nach Asien und Amerika Schillers hatte im geschlossenen Denken zahlreicher Kunst- 8 »Wir wünschen hier kein München- reichte, bot fast 90 Jahre nach dem Tod des Universalisten kritiker und Kulturpolitiker keinen Platz. Schon lange Zur »esoterischen« Ausrichtung Schwabing«. Das Staatliche Bau- Kaiserzeit verlustig gegangenen Spiritualität als mensch- einen noch immer lebendigen und keimfähigen Boden. vor 1933 bekamen Vertreter der Moderne diese aus Klassiker- des frühen Bauhauses vgl. haus im Spannungsfeld der poli- lichem Grundbedürfnis wieder zu ihrem Recht zu verhelfen Das zeigen nicht zuletzt Künstler wie Feininger, Itten, verehrung, Lokalpatriotismus und traditionalistischem Ausst.-Kat. Hamm/Würzburg 2006. tischen Kultur Weimars 1918 – 1925, und sie gleichwertig neben andere materielle Bedürfnisse Kandinsky und Klee, die Goethes Naturwissenschaften am Kunstverstand gespeiste Ablehnung alles Neuen und Un- 9 in: Ausst.-Kat. Weimar 1999, Béatrice Joyeux-Prunel: Les avant- S. 264 – 272. zu stellen. Die am Bauhaus angestrebte Vereinigung von Bauhaus weiterdachten und in ihrer Lehre vermittelten. 10 deutschen zu spüren. Schon als Harry Graf Kessler gardes artistiques 1918 – 1945, 12 Kunst und Handwerk war – anders gesagt – der Versuch Auch mit Schiller ließ sich am Bauhaus viel anfangen: als Kunstbeauftragter des letzten Weimarer Großherzogs Paris 2017, S. 193 – 207, hier Antje Neumann (Hrsg.): Harry einer Wiederannäherung von Geist und Materie, Metaphysik Dessen Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen Wilhelm Ernst und ehrenamtlicher Direktor des Museums S. 193, nennt das Bauhaus zu Recht Graf Kessler – Henry van de Velde. und Physik, die die künstlerisch enorm anschlussfähige wurden im Unterricht viel zitiert. Noch wichtiger war für Kunst und Kunstgewerbe im Jahr 1903 den Belgier »un centre international«. Zur Der Briefwechsel, Köln / Weimar/ Lebensphilosophie Henri Bergsons, aber auch die Rationa- Schiller jedoch als Repräsentant einer aus der Aufklärung Henry van de Velde als zukünftigen Leiter der Kunst besonderen Beziehung des Bauhauses Wien 2015. Vgl. auch die ver- zu Frankreich vgl. Das Bauhaus sammelten Aufsätze in: Harry Graf lismuskritik Wilhelm Diltheys bereits im Fin de Siècle gewachsenen kosmopolitischen Tradition, an die man – gewerbeschule nach Weimar holte, hatte sich Widerstand und Frankreich. Le Bauhaus et Kessler. Porträt eines europäischen formuliert hatten.7 Reformpädagogik, Anthroposophie und vor allem mit Rekurs auf seinen zentralen Begriff der Freiheit geregt. 12 Dabei hatte dem Großherzog zunächst eine la France 1919 – 1940, hrsg. von Kulturvermittlers, hrsg. von Lebensreform-Bewegung trugen ihren Teil zum Programm – nach dem Ende des Kaiserreichs in Deutschland wieder ambitionierte und ausgesprochen liberale Kulturvision Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens Julia Drost und Alexandre Kostka, der geistig-körperlichen Erneuerung des Menschen bei.8 anknüpfen konnte. vorgeschwebt: Unter Anleitung Kesslers sollte in Weimar und Matthias Noell, Berlin 2002. Berlin 2015. 12 13
Die Druckerei am Staatlichen Das Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus; das ist nicht merkwürdig; denn das Sammeln muß ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwürdig, daß Der alte Herr vermutet, der Händler wolle ihm etwas verkaufen; doch er könne keine Blätter mehr erwerben, er sei froh, »wenn wir unser Stück Brot auf dem Tische Bauhaus in Weimar – eine Werkstatt der Drang des Sammelns in die Geister kömmt, wenn eine Wissenschaft erscheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird. haben. Wir können nicht mehr mittun bei den irrsinnigen Preisen […], unsereins ist ausgeschaltet für immer.« Das Missverständnis wird sogleich aufgeklärt, indem der für das Sammeln Sammeln als Leidenschaft Adalbert Stifter Reisende bekundet, er sei gekommen, »ihm als vieljährigem Kunden unseres Hauses und einem der größten Sammler Deutschlands meine Aufwartung zu machen«. Derart geschmeichelt, möchte der alte Connaisseur seine Schätze Thomas Matuszak Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881 – 1942), in seiner zeigen: »das sind nicht drei oder fünf Stücke, das sind Salzburger Zeit von 1919 bis zu seiner Emigration 1934 siebenundzwanzig Mappen, jede für einen anderen Meister, selbst dem Sammeln intensiv zugetan, hat mit seiner Novelle und keine davon halb leer.« Die unsichtbare Sammlung. Eine Episode aus der deutschen Man verabredet sich für den frühen Nachmittag, Inflation 1 aus dem Jahr 1927 eine der anrührendsten und nach dem Essen und der Mittagsruhe. Von der Ehefrau zugleich traurigsten Geschichten über einen erblindeten erfährt der Antiquar den Vornamen des alten Herrn: Sammler und dessen grafische Kostbarkeiten verfasst. Sie Herwarth – dies dürfte von Stefan Zweig als eine Anspie- sei hier zu Beginn – unter ausgiebiger Hinzuziehung des lung auf Herwarth Walden, den Gründer und Leiter Novellentextes – eingehender nacherzählt. der legendären Berliner Sturm-Galerie (gegründet 1912), Herr R. …, »einer der angesehensten Kunstantiquare gemeint sein. Berlins«, steigt »zwei Stationen hinter Dresden« in einen Zug Bevor der Kunsthändler das Haus verlässt, um im Ort und erzählt seinem Abteilnachbarn eine der sonderbarsten zu Mittag zu essen, begleitet ihn die Tochter des Ehepaars, Episoden, die er in seiner Tätigkeit als Händler erlebt habe. Annemarie, zur Tür und gesteht ihm dort die Wahrheit: Er hatte sich in die Provinz aufgemacht, »um einstige Kun- »Vater ist nach dem Ausbruch des Krieges vollkommen den aufzustöbern, denen ich vielleicht ein paar Dubletten erblindet. Schon vorher war seine Sehkraft öfters gestört, wieder abluchsen könnte«. Bei der Durchsicht der Geschäfts die Aufregung hat ihn dann gänzlich des Lichtes beraubt post und der alten Kundenliste »stieß ich plötzlich auf […].« Unter Verweis auf die Krisensituation nach dem ein ganzes Bündel Briefe von unserem wohl ältesten Kunden, Krieg und die grassierende Inflation bekennt sie aufgeregt: der mir nur darum aus dem Gedächtnis gekommen war, »[...] Vater versteht nichts mehr von den Preisen und weil er seit Anbruch des Weltkrieges, seit 1914, sich nie mehr von der Zeit … er weiß nicht, daß wir alles verloren haben mit irgendeiner Bestellung oder Anfrage an uns gewandt und daß man von seiner Pension nicht mehr zwei Tage hatte«. Er stellt sich ihn als sonderbaren, altväterischen, im Monat leben kann …«. In dieser Not entschieden sich skurrilen Sonderling vor, den »als Sammler alter Graphiken Mutter und Tochter, Blätter aus der Grafiksammlung eine ganz ungewöhnliche Klugheit, vorzügliche Kenntnis zu verkaufen: »[...] wir hofften, damit auf Jahre versorgt und feinsten Geschmack« auszeichnet. Folglich begibt sich zu sein. Aber Sie wissen ja, wie das Geld einschmilzt […], der Berliner Händler »in eine der unmöglichsten Provinz- und der Händler sandte das Geld immer so spät, daß es städte, die es in Sachsen gibt«, um jenen Herren aufzusuchen, schon entwertet war. […] So ist allmählich das Beste seiner in dessen Besitz sich »die herrlichsten Blätter Rembrandts Sammlung […] weggewandert, nur um das nackte, kärg- neben Stichen Dürers und Mantegnas in tadelloser Voll lichste Leben zu fristen, und Vater ahnt nichts davon.« ständigkeit« befinden. Er macht im Ort die Adresse des Sammlers ausfindig und begibt sich auf den Weg; schließlich wird ihm die Wohnungstür von der Ehefrau des Grafik liebhabers geöffnet und er wird ihm vorgestellt: »ein alter, aber noch markiger Mann, mit buschigem Schnurrbart in verschnürtem, halb militärischem Hausrock«, der ihn herzlich begrüßt. Jedoch: »Er kam mir nicht einen Schritt 1 entgegen, und ich mußte […] bis an ihn heran, um seine Stefan Zweig: Die unsichtbare Sammlung. Erzählungen, Hand zu fassen. Doch als ich sie fassen wollte, merkte ich Berlin 2016, S. 7 – 22. Um der an der waagerecht unbeweglichen Haltung dieser Hände, besseren Lesbarkeit willen wird daß sie die meinen nicht suchten, sondern erwarteten. Im im Folgenden auf den Nachweis nächsten Augenblick wußte ich alles: Dieser Mann war blind.« der einzelnen Zitate verzichtet. 19
Um diesen Verlust nicht offenkundig werden zu lassen, Druckgrafik am Bauhaus von Graphik und der Druck von Mappenwerken und illus- Durch einen stetigen Anreiz, durch immer wiederholtes verfallen Mutter und Tochter auf eine List: Sie haben trierten Büchern verbreiteten sich wie eine Epidemie. Der Darbieten soll Verständnis und Liebe zur Kunst wachsen. dem betagten Kunstkenner »nämlich in die alten Passe Dieser »reinen Begeisterung« stand eine soziale Wirklich- Anwalt Heinrich Stinnes, der über seinen Kunsthändler ein Durch eine sehr vielseitige Auswahl soll Duldsamkeit partouts, deren jedes er beim Anfühlen kennt, Nachdrucke keit gegenüber, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Abonnement auf jedes erste Exemplar eines in Deutschland gegen das Andere, gegen das noch nicht Verstandene er- oder ähnliche Blätter statt der verkauften eingelegt, sodaß in Deutschland durch Arbeitslosigkeit, Kriegsversehrte, vervielfältigten Blattes eingegangen war, brachte so inner- reicht werden.« 5 er nichts merkt, wenn er sie antastet. Und wenn er sie Inflation, Hunger, Krankheit, Tod – allein die Pandemie halb weniger Jahre eine Sammlung von über hunderttausend Das Sammeln in diesem Sinne ist verstanden als Aus- nur antasten und nachzählen kann (er hat die Reihenfolge der Spanischen Grippe forderte in den Jahren 1918 Blatt Originalgraphik zusammen.« 3 druck eines enzyklopädischen Denkens im Sinne der genau in Erinnerung), so hat er genau dieselbe Freude, bis 1920 weltweit mindestens 25 Millionen Todesopfer 2 –, In den Jahren 1919 bis 1923 erfuhr die Herausgabe Aufklärung – nicht unbedingt auf Vollständigkeit angelegt, wie wenn er sie früher mit seinen offenen Augen sah.« Straßenkämpfe sowie politische Morde bestimmt war. von druckgrafischen Editionen – Einzelblätter, Mappenwerke vielmehr begriffen als eine Möglichkeit, das eigene Kunst- Abschließend bittet Annemarie den Gast: »[…] zerstören Die deutsche Wirtschaft sah sich durch Reparationsleistungen, sowie bibliophil gestaltete Bücher mit Originalgrafiken – verständnis im Akt des Sehens zu schulen, zu steigern. Sie ihm nicht diese letzte Illusion, helfen Sie uns, ihn Produktionsverluste und Kriegstote mit erheblichen einen quantitativen Höhepunkt. Dies ist implizit auch am Damit verbunden ist letztlich ein ethischer Anspruch, glauben zu machen, daß alle diese Blätter […] noch vor- Schwierigkeiten konfrontiert – nach einem globalen Krieg, Beispiel der Grafischen Sammlung des Lindenau-Museums durch das Sammeln schöpferischer, vervielfältigter Arbeiten handen sind … er würde es nicht überleben, wenn er es in dem rund 17 Millionen Menschen (10 Millionen Soldaten abzulesen; das Museum konnte in den Jahren 1994 /95 den Kosmos des Wissens einem individuellen Urteil zu nur mutmaßte.« und etwa 7 Millionen Zivilisten) ihr Leben verloren hatten. mit dem Ankauf der Sammlung Hoh, seinen ursprünglichen gänglich zu machen. Damit berühren wir die Aspekte der Am frühen Nachmittag kehrt der Antiquar zurück und Trotz oder vielleicht auch wegen dieser gesellschaft- Bestand aus dieser Zeit erheblich erweitern: Der Anteil Wissenschaft wie (auch) des Sammelns. Gotthold Ephraim die beiden – Sammler und Händler – nehmen Blatt für Blatt lichen Bedingungen und Gefährdungen setzte nach der der Mappenwerke an den insgesamt in jenen Jahren Lessing folgerte in seiner unverkennbar zeitverhafteten, die Kollektion in Augenschein: »Und nun entnahm er Novemberrevolution und mit Beginn der Weimarer Republik erfassten Veröffentlichungen (Stand: 2000) umfasst: 1919: 1766 publizierten Schrift Laokoon oder über die Grenzen mit jener zärtlichen Vorsicht, wie man sonst etwas Zerbrech eine regelrechte Grafikwelle ein. Friedemann Berger 23 Mappen; 1920: 35 Mappen; 1921: 33 Mappen; der Malerei und Poesie: »[…] denn der Endzweck der liches berührt, mit ganz behutsam anfassenden schonenden verwendete in seinem einleitenden Kommentar zu der 1922: 28 Mappen; 1923: 27 Mappen. 4 Es bleibt ein auf- Wissenschaften ist Wahrheit. Wahrheit ist der Seele not- Fingerspitzen der Mappe ein Passepartout, in dem ein leeres von Paul Westheim im Weimarer Gustav Kiepenheuer Verlag schlussreicher Sachverhalt, dass in den wenigen Jahren wendig; und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses vergilbtes Papierblatt eingerahmt lag, und hielt den wert herausgegebenen Zeitschrift in Mappenform mit Original der wirtschaftlichen Konsolidierung in Deutschland wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzutun. losen Wisch begeistert vor sich hin.« grafiken Die Schaffenden den in diesem Kontext un Mitte der 1920 er Jahre die Herstellung und Verbreitung Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen; und Zwei Stunden lang vertiefen sie ihre schauenden Blicke gewohnten Begriff »Epidemie« (Abb. 1): »Die Beschäftigung von originalgrafischen Mappenwerken spürbar zurückging. das Vergnügen ist entbehrlich.«6 in »die unsichtbare Sammlung, die längst in alle Winde mit der Gegenwartskunst und vor allem das Sammeln Mit expressionistischem Pathos ließe sich postulieren: zerstreut sein mußte, sie war für […] diesen rührend betro- Not schreit nach Kunst! ( Nicht unerwähnt darf in diesem genen Menschen noch unverstellt da […].« Zusammenhang bleiben, dass viele der Pressen und Verlage Am Ende, bevor der Händler wieder zu seiner Rückreise eine lediglich kurze Daseinsdauer erlebten; Geld- und aufbricht, entscheidet sich der alte Kunstkenner, seinen Papiermangel sowie häufig wechselnde Herausgeber waren 2 testamentarischen Verfügungen noch eine Klausel hinzu ständige Begleiterscheinungen. Außerdem gibt es kaum Andere Schätzungen geben noch zufügen, nach der seine Sammlung im Hause des Antiquars verlässliche Auskünfte darüber, wie viele Auflagen tatsäch- höhere Todeszahlen an. zur Auktion kommen soll: »Versprechen Sie mir nur, lich komplett verkauft werden konnten.) Es folgte noch 3 einen schönen Katalog zu machen: Er soll mein Grabstein einmal ein weniger qualitativ denn quantitativer Anstieg Friedemann Berger: Einführung, in: Die Schaffenden. Eine Auswahl sein, ich brauche keinen besseren.« Die beiden Herren der Mappeneditionen im Zuge der Weltwirtschaftskrise der Jahrgänge I bis III und Katalog verabschieden sich, der alte Sammler winkt dem Händler gegen Ende des Jahrzehnts, ehe mit der totalitären Macht des Mappenwerkes, Leipzig und noch freudig aus dem Fenster nach. übernahme der Nationalsozialisten diesen verlegerischen Weimar 1984, S. 5 – 33, hier S. 26. Seinem Gegenüber im Eisenbahnabteil bekennt der Rei- Unternehmungen ein Ende gesetzt wurde. 4 sende aus Berlin: »Da war ich wie der Engel des Märchens Dem Sammeln von Druckgrafik – mithin von verviel- Vgl. Matuszak 2000, S. 13 (dort Anm. 17). in eine Armeleutestube getreten, hatte einen Blinden sehend fältigter Kunst – wohnt ein egalitärer Aspekt inne: Sie ist im 5 gemacht für eine Stunde nur dadurch, daß ich einem Vergleich zu Gemälden oder Handzeichnungen in der Regel Harald Rüggeberg: Johannes frommen Betrug Helferdienst bot und unverschämt log […]. erschwinglich. Verwiesen sei in diesem Kontext auf die Böse über die Griffelkunst – Was ich aber mitnahm, war mehr: Ich hatte wieder einmal Griffelkunst-Vereinigung Hamburg e. V., die – gegründet 1925 heute gelesen, in: Verzeichnis reine Begeisterung lebendig spüren dürfen in dumpfer, im Geiste Alfred Lichtwarks durch Johannes Böse – druck- der Editionen 1976 – 2000, Bd. 1 1976 – 1988, hrsg. von der freudloser Zeit, eine Art geistig durchleuchteter, ganz auf grafische Blätter und Editionen bis heute ihren Mitgliedern Griffelkunst-Vereinigung Hamburg die Kunst gewandter Ekstase, wie sie unsere Menschen zu einem günstigen jährlichen Preis anbietet – allerdings e. V., Hamburg 2002, S. 9 – 11, längst verlernt zu haben scheinen.« mit dem Nachteil, dass die Auflagenhöhe der signierten oder hier S. 10. aber posthum autorisierten Arbeiten nicht angegeben wird. 6 Im Grundsatz ist die Vereinigung der expressionistischen Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen Idee des »neuen Menschen« verpflichtet. Johannes Böse formu- der Malerei und Poesie. Mit Abb. 1 lierte das Ziel des Wirkens so: »Die Arbeit der Griffelkunst beiläufigen Erläuterungen ver- Die Schaffenden. Eine Zeitschrift in Mappenform, ist eine psychologisch-pädagogische. Es gilt die Erziehung schiedener Punkte der alten Kunst- 4. Mappe, 2. Jahrgang 1920 zur Kunst und durch Kunst zu einem edleren Menschtum. geschichte, Stuttgart 1994, S. 15. 20 21
Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Walter Gropius, 1919 Lyonel Feininger, 1928 Gebäude der Kunsthochschule Weimar, um 1911 Die Druckwerkstatt am Bauhaus im Frühjahr 1919 den Holzschnitt Kathedrale schuf – Max Thedy (1858 – 1924) sowie der Bildhauer Richard gleichsam als architektonisches Symbol für die Einheit Engelmann (1868 – 1966 ), verließen das Bauhaus; ihnen Der Architekt Walter Gropius (1883 – 1969) hatte als aller Künste in den mittelalterlichen Bauhütten. folgte wenig später auch Walther Klemm. Die Positionen Gründer mit dem Programm des Staatlichen Bauhauses zu Darüber hinaus ist das Werk als aufstrebendes Sinnbild von Klemm und Engelmann wurden daraufhin mit 7 Weimar vom April 1919 etwas gänzlich Anderes im Sinn für die zu gestaltende Zukunft zu verstehen (Abb. S. 13). Paul Klee und Oskar Schlemmer neu besetzt. Seit April Zit. nach Weber 1999, S. 11. (Abb. 2). Der erste Satz des Manifests lautet kategorisch: Feininger übernahm die künstlerische Leitung der 1921 gab es in Weimar zwei eigenständige Institutionen Der vorzüglich recherchierte »Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau«, um Druckerei am Bauhaus; im Herbst 1919 wurde ihm mit unter einem Dach: das Staatliche Bauhaus sowie die erneut Text von Klaus Weber bildet die sodann zweckdienlich zu fordern: »Architekten, Bildhauer, Carl Zaubitzer ein anerkannter und unermüdlich tätiger installierte Staatliche Hochschule für Bildende Kunst, Grundlage des hier vorgelegten Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück.« 7 Handwerksmeister als Werkstattleiter an die Seite gestellt diese wiederum mit einem akademisch ausgerichteten Beitrags. Webers Untersuchung wiederum basiert auf der frühen In dieser Aufzählung fehlen – die Grafiker, allen voran (Abb. 5): »Die künstlerische Ausbildung war streng Lehrbetrieb (Abb. 4). 9 Publikation von Hans Maria die Druckgrafiker! Auch wenn die druckgrafische Werkstatt an die handwerkliche gebunden; in der Weimarer Zeit Die Druckwerkstatt des Bauhauses war für die Verfahren Wingler – einem Referenzwerk eigentlich nicht in das Konzept des Staatlichen Bauhauses, unterstanden die Werkstätten […] jeweils einem ›Meister des Hoch-, Tief- und Flachdrucks aus- und eingerichtet. zum Thema: Wingler 1965. Vgl. das dem Primat der Architektur und der funktionalen Einheit der Form‹ und einem ›Meister des Handwerks‹ zugleich, Für den Druckbetrieb standen dafür drei Handpressen zur ferner zum Thema: Elisabeth von Kunst und Form verpflichtet war, passte, so war und die Studierenden waren verpflichtet, sich nach Verfügung, wie auf einem Foto der Werkstatträume Reissinger, Brigitte Reuter, Michael Siebenbrodt: Druckerei- die Abteilung Druckgrafik von Anfang an in der Institution den Regeln des Handwerks einer Gesellen- und Meister- aus dem Jahr 1923 zu sehen ist (Abb. 6 ). Untergebracht werkstatt, in: Bauhaus Weimar. gegenwärtig. Nach der Zusammenlegung der ehemaligen prüfung zu unterziehn.« 8 war die Druckwerkstatt in drei Räumen der ehemaligen Entwürfe für die Zukunft, Weimarer Kunstgewerbeschule unter Henry van de Velde Der Grafiker Walther Klemm (1883 – 1957) war seit Kunstschulgebäude von Henry van de Velde; später kamen hrsg. von Michael Siebenbrodt, (1863 – 1957) mit der Hochschule für Bildende Kunst berief 1913 Leiter der Hochschule für Bildende Kunst in Weimar; ein weiterer Arbeitsraum, eine neue Presse sowie diverse Ostfildern-Ruit 2000, S. 210 – 227. Walter Gropius mit Lyonel Feininger (1871 – 1956) als ab April 1919 gehörte er als Meister dem Lehrkörper Werkzeuge für die Tätigkeiten des Druckens hinzu. 10 8 Wingler 1965, S. 10. ersten neuen Lehrer der Institution einen Künstler, der sich des Bauhauses an. In der Folgezeit kam es zu Diffe- Die verantwortlichen Leiter und Mitarbeiter der Drucke- 9 dem Verfahren des Hochdrucks, namentlich der Holzschnitt- renzen in der Frage der künstlerischen Ausrichtung sowie rei fanden bei der Aufnahme ihrer Arbeit ein für die Vgl. Weber 1999, S. 15. technik, mit großer Leidenschaft widmete (Abb. 3). der Stellung im gesellschaftlichen Prozess. Die inhaltlich Zeitumstände erstaunlich reichhaltiges Papierlager vor – 10 Feininger war es, der für das Titelblatt des Bauhaus-Manifests konservativ eingestellten Lehrer, der Maler und Grafiker darunter getönte Kartons, Kupferdruck- und Büttenpapiere Ebd., S. 12. 22 23
Mappe I Meister des Staatlichen Bauhauses in Weimar Die erste Mappe der Neuen Europäischen Graphik ver Formen. Um den Grad der Abstraktion seines von ihm selbst als »Prismaismus« bezeichneten Malstils weiter zu erhöhen, kam ihm der Holzschnitt mit seinen flächigen sammelt je zwei Arbeiten der Meister, die im Herbst 1921, und linearen Qualitäten entgegen. Der Holzschnitt eröffnete Lyonel Feininger als Walter Gropius das Projekt initiierte, am Bauhaus Feininger auch Möglichkeiten, mystische und pantheistische Johannes Itten lehrten. Wassily Kandinsky, der erst im Sommer 1922 nach Sinngehalte in der kristallinen Bildstruktur zu transpor Paul Klee Weimar kam, ist deshalb nicht hier, sondern in der vierten tieren. Dies wird besonders im Motiv der Kathedrale greifbar, Gerhard Marcks Mappe vertreten. Die Mappe bot den Bauhaus-Meistern dem Titelblatt für das Manifest und Programm des Staat- Georg Muche die Möglichkeit, als Gruppe vor ein breites, internationales lichen Bauhauses in Weimar aus dem Jahr 1919 (Abb. S. 13). Oskar Schlemmer Publikum zu treten und für die Idee des Bauhauses zu Auch im Holzschnitt Villa am Strand, der auf einige Zeich- Lothar Schreyer werben. Obwohl streng genommen nur Lyonel Feininger nungen am Ostseebad Heringsdorf mit der Villa Oppenheim ein leidenschaftlicher Druckgrafiker war, schlossen sich zurückgeht, 4 ist ein klassisch aufgefasster Bau mit voran alle sieben Meister dem Anliegen an. Für Paul Klee standen gestellten Säulen in eine prismatisch gebrochene Land- Malerei und Handzeichnung über der »reproduzierenden schaft eingewoben. Das vom Menschen errichtete Bauwerk Graphik« 1, während Gerhard Marcks den Holzschnitt geht mittels der nach allen Seiten hin fluchtenden Linien erst am Bauhaus für sich entdeckte. Johannes Itten, Georg eine Synthese mit Natur und Kosmos ein. Muche, Oskar Schlemmer und Lothar Schreyer schufen jeweils nur ein schmales druckgrafisches Œuvre. Vielleicht besteht der Reiz dieser Mappe aber gerade in diesem Moment des Anfangs und dem offenen, experimentellen Umgang mit einem Medium, das für die Mehrzahl der Bauhaus-Meister noch zu entdecken war und produktiv mit den Errungenschaften auf anderen künstlerischen Gebieten wie der Zeichnung (Klee), der Plastik (Marcks) und der Bühne (Schlemmer, Schreyer) verknüpft wurde. Die Gesamtleitung des Mappenprojekts lag hier wie bei 1 allen anderen Mappen in den Händen von Feininger. Paul Klee in einem Brief an Emmy Galka Scheyer vom Als künstlerischer Leiter der Druckerei gestaltete er außer 5. Dezember 1934, zit. nach dem für alle Mappen der Reihe Druckvermerk, Titelblatt, Weber 1999, S. 87. Inhaltsverzeichnis und Impressum in einer expressiven 2 Versalienschrift. Feininger schuf auch den Holzstock für Der erste Holzschnitt entstand das Überzugspapier der Halbpergamentmappen (Nr. 11 – 110). 1918, vgl. Lyonel Feininger. Das graphische Werk. Radierungen, Die Vorzugsausgaben (Nr. 1 – 10, darunter die im Besitz Lithographien, Holzschnitte, des Lindenau-Museums Altenburg) waren Ganzpergament hrsg. von Leona E. Prasse, Berlin mappen. Die Arbeiten in dieser Vorzugsversion wurden 1972 und Björn Egging: Auf auf Japanpapier handgedruckt. Die Grafiken sind nach dem Weg zum Bauhaus-Künstler. Künstlernamen alphabetisch sortiert. Sie führen die schöp- Zu den Holzschnitten Lyonel Feiningers und ihrer Bedeutung ferische Vielfalt der künstlerischen Positionen vor Augen, als künstlerische Impulsgeber, wobei auffällt, dass rational-konstruktivistische Beiträge in: Ausst.-Kat. Quedlinburg 2013, in den Anfangsjahren des Bauhauses keineswegs über- S. 24 – 36. wiegen, sondern Arbeiten, die der Intuition, dem Mystischen 3 oder gar der Esoterik ein weites Feld einräumen, in der Zit. nach Egging 2013, wie Anm. 2, S. 27. Überzahl sind. 4 Lyonel Feininger (1871 – 1956) schuf einen Großteil WVZ Prasse W 226. Feininger seines 320 Arbeiten umfassenden Holzschnitzwerks in den hielt sich seit 1908 wiederholt in Jahren 1918 bis 1920.2 Seine Berufung an das Bauhaus Heringsdorf auf, wo Skizzen durch Gropius im April 1919 fällt genau in jene Zeit, als er entstanden, vgl. Villa am Strande. Heringsdorf, 1912, Bleistift, »wie ein Rasender« 3 täglich Druckstöcke schnitt. Seit er 16,5 × 20,1 cm, Moeller Fine Art, 1911 bei einer Ausstellungsbeteiligung in Paris den New York. Bereits 1918 entstanden Kubismus kennengelernt hatte, experimentierte Feininger Holzschnitte mit dem gleichen in seinen Gemälden mit geometrischen und prismatischen Motiv (WVZ Prasse W 2 u. 80). 39
Lyonel Feininger Lyonel Feininger Villa am Strand, 1920 Spaziergänger, 1918 Holzschnitt Holzschnitt 44 45
Johannes Itten Spruch, 1921 Johannes Itten Pinsel- und Federlithografie in fünf Farben, Haus des weißen Mannes, 1920 / 22 Spritztechnik, schabloniert Pinsel- und Kreidelithografie, gekratzt 46 47
Mappe III Deutsche Künstler Da die Produktion der zweiten Mappe kaum voran- Der Holzschnitt Heinrich Campendonks (1889 – 1957) zeigt einen weiblichen Akt vor einem Bauernhaus auf einer Wiese. 7 Rechts ist ein Rind, links die perspektivisch schritt, entschloss man sich am Bauhaus dazu, die Heraus- deutlich kleiner dargestellte Figur des Bauern zu erken- Rudolf Bauer gabe der dritten Mappe vorzuziehen. Sie erschien 1922 nen. Eine schwere schwarze Sonne senkt sich über die abend- Willi Baumeister mit den planmäßig für sie vorgesehenen 14 Blättern liche Szenerie. Der helle, von einer breiten Linie streng Heinrich Campendonk vornehmlich deutscher Künstler. 1 Bei Heinrich Campen- konturierte Akt steht im markanten Gegensatz zu den dunk- Walter Dexel donk, August Macke und Franz Marc handelt es sich len Flächen und Figuren, die ihn umgeben. Der Eindruck Oskar Fischer um Schlüsselfiguren des deutschen Expressionismus. Die einer Idylle will sich trotz des bäuerlichen Ambientes Jacoba van Heemskerck Arbeiten von Macke und Marc wurden aus dem Nachlass durch die Ambivalenz des Schwarz-Weiß und die rätselhafte Bernhard Hoetger in die Mappe aufgenommen. Die meisten Künstler Symbolik der Akteure nicht einstellen. Campendonk war August Macke der dritten Mappe lernten sich im Umfeld von Herwarth Mitglied der Künstlergruppe »Der Blaue Reiter«, beteiligte Franz Marc Waldens Sturm-Galerie kennen und galten als Vorreiter sich 1913 am »Ersten Deutschen Herbstsalon« in Berlin Johannes Molzahn einer »neuen Kunst«. Waldens Galerie war seit dem »Ersten und prägte den Rheinischen Expressionismus. Kurt Schwitters Deutschen Herbstsalon« von 1913 eine der wichtigsten Fritz Stuckenberg Plattformen nicht nur der deutschen, sondern der euro Arnold Topp päischen Avantgarde, denn auch Künstler aus Frankreich, William Wauer Italien, Russland und anderen Nationen stellten hier aus.2 Das Ausstellungsprogramm der Sturm-Galerie, aber auch die regelmäßig in der revolutionären Zeitschrift Der Sturm auftretenden Künstler boten Gropius den ge- eigneten Orientierungsrahmen für die Auswahl der Künstler der Bauhaus-Mappen. Zudem stellten alle Meister des Bauhauses regelmäßig bei Walden aus. Mit Georg Muche, der zuvor an Waldens Kunstschule lehrte, und Lothar Schreyer, dem Leiter der Sturmbühne, kamen zwei Künstler aus dem engsten Kreis des Sturm nach Weimar. 3 3 Vgl. auch Weber 1999, S. 27. Rudolf Bauer (1889 – 1953) gehörte zum Kreis jener 4 Künstler, die mit Waldens Sturm-Galerie in Berlin groß ge- Vgl. Rudolf Bauer 1889 – 1953, worden sind. 4 Schon 1917 präsentierte Walden in einer Ausst.-Kat. Museum Moderner Einzelausstellung über 100 Werke des Künstlers, die Kunst Wien und Staatliche Kunst- eine enge Auseinandersetzung mit Kandinsky und der kon- halle Berlin, hrsg. von Susanne Neuburger, Wien 1985. struktiven Seite des Expressionismus verraten. Bauer 5 zeichnete auch für die Zeitschrift Der Sturm und lehrte Zu Baumeister als Druckgrafiker an Waldens Kunstschule. Mit seiner Lithografie Bantama und Zeichner vgl. Willi Baumeister. schuf Bauer ein Gewebe aus Linien und Schraffuren, Der Zeichner, Ausst.- Kat. die auf dem Papier dynamische Kräfte entfalten. Von einem Kupferstichkabinett Berlin, hrsg. von Andreas Schalhorn, Köln 2017. Kraftzentrum in der unteren Bildmitte schießen die Formen 6 wie nach einer Explosion auseinander. Willi Baumeister: Das graphische Der in Stuttgart geborene Willi Baumeister (1889 – 1955) 1 Werk, hrsg. von Heinz Spielmann, erhielt seine künstlerische Prägung unter anderem auf Eine Ausnahme bildet die Hamburg 1972 (WVZ 75). mehreren Reisen nach Paris. 5 Als er im Jahr 1914 gemein- niederländische Künstlerin Jacoba 7 van Heemskerck. Vgl. Heinrich Campendonk: sam mit Schlemmer in der französischen Hauptstadt war, 2 Das Graphische Werk, hrsg. von studierte er die Bildwelten Paul Cézannes und der Kubisten, Zur Transnationalität des Sturm- Mathias T. Engels, neu bearbeitet die sein Werk bis in die späten 1920 er Jahre beeinflussen Kreises vgl. Anita Beloubek-Hammer: von Gerhart Söhn, Düsseldorf sollten. Die Lithografie Visieren ( Sitzende Figur) bezieht – Der Sturm – Schauplatz der 1996, S. 70 (WVZ 51). Campendonk ähnlich wie in den Lithografien Schlemmers der ersten Mappe europäischen Avantgarde im zeit- offenbart mit den immer wieder genössischen Umfeld, zum 100. kehrenden Tiermotiven in seinen – geometrische Formen in die Konstruktion eines mensch Jubiläum der von Herwarth Walden Holzschnitten eine Nähe zu Franz lichen Körpers ein, der dadurch maschinenhafte Züge gegründeten Berliner Kunstgalerie, Marc. Unser Holzschnitt hat mit annimmt.6 in: Jahrbuch der Berliner Museen 54 WVZ 37 (Weiblicher Akt mit Ziege (2012), S. 103 – 127. vor einem Haus) einen Vorläufer. 69
Rudolf Bauer Bantama, um 1921 Willi Baumeister Kreide-, Pinsel- und Federlithografie, Visieren (Sitzende Figur), 1921 / 22 Spritztechnik, Materialdruck Pinsel- und Federlithografie 74 75
Heinrich Campendonk Walter Dexel Sitzender weiblicher Akt in Landschaft Abstrakte Komposition mit Bauernhaus, 1920 / 21 (Sternenbrücke), 1919 Holzschnitt Holzschnitt 76 77
Ypsilon – die kleine Satire Georg Muche beteiligte sich ab 1915 an den internatio- nalen Sturm-Ausstellungen. Mehrere Jahre lang war er als Herwarth Waldens Assistent und als Lehrer an dessen auf die Weltanschauung Kunstschule tätig. Am Bauhaus leitete er einen Vorkurs sowie als Formmeister die Werkstätten für Holzbildhauerei und Weberei. des Materialisten N. Insbesondere zu Beginn seiner Weimarer Zeit hat Muche sich intensiv mit der Druckgrafik auseinandergesetzt und war auf diesem Gebiet deutlich produktiver als etwa in der Malerei oder der Zeichnung. Die Druckgrafik bestand Georg Muche für Muche gleichberechtigt neben diesen Gattungen. Von seinen Drucken wurden meist nur wenige Exemplare hergestellt.1 Muches druckgrafische Folge mit dem rätselhaften Titel Ypsilon – die kleine Satire auf die Weltanschauung des Materialisten N. setzt sich aus neun kleinformatigen Radierungen zusammen. Hervorzuheben ist der aller Wahrscheinlichkeit nach vom Künstler handbeschriftete Mappendeckel.2 Die Darstellungen der Radierfolge bewegen sich im Grenzbereich von Figuration und Abstraktion. Sie zeigen sich frei im Raum bewegende Kreis- und Gitter- formen, die Muche zu Formationen mit teilweise maschi- nen- oder menschenähnlichen Zügen verband. Locker gesetzte Punkt- und Linienstrukturen fassen diese Gebilde in den Bildraum ein. Astrologische Zeichen eröffnen kosmische Kontexte und verweisen auf Muches Interesse für metaphysische Zusammenhänge. Die Folge wurde nie als solche veröffentlicht. Bekannt ist nur eine weitere Ausführung der Mappe, die im Bauhaus- Archiv in Berlin aufbewahrt wird. Diesem Exemplar liegt als zehntes Blatt ein Linolschnitt bei. 3 Sophie Thorak 1 Vgl. Weber 1999, S. 85. 2 Vgl. Matuszak 2000, S. 324. 3 Vgl. Weber 1999, S. 85 – 86. 145
Georg Muche Georg Muche Ypsilon 4, 1920 Ypsilon 9, 1921 Ätzradierung Ätzradierung 148 149
Georg Muche Georg Muche Ypsilon 8 Das Märchen von der ersten Ypsilon 3, 1920 Bewegung ein kosmisches Stilleben, 1921 Ätzradierung Ätzradierung 150 151
S A N D ST E I N 9 783954 984602
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