Das CORA-Konzept Frauenspezifische Einrichtungen als Servicestellen für Arbeit, Familie und Leben
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EUROPÄISCHE UNION Europäischer Sozialfonds Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf EUROPÄISCHE UNION Europäischer Sozialfonds EUROPÄISCHE UNION Das CORA-Konzept Europäischer Sozialfonds Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Frauenspezifische Einrichtungen als Servicestellen für Arbeit, Familie und Leben Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Das CORA-Konzept Ein Handlungsmodell für die Umsetzung arbeitsmarktorientierter Unterstützungsleistungen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Frauenzentren und frauenspezifischen Einrichtungen Laufzeit des Netzwerkprojekts insgesamt: 01. Februar 2009 bis 31. Dezember 2013 Projektteam der CORA-Netzwerkkoordinierungsstelle: Annett Reichert, Julia Heidekrüger, Katharina Böhning
Impressum Herausgeber: Der PARITÄTISCHE Landesverband Thüringen e. V. OT Neudietendorf Bergstraße 11 99192 Nesse-Apfelstädt Gestaltung: Steffi Winkler, www.winklerin.de Druck: LASERLINE Autorin: Annett Reichert V.i.S.d.P.: Reinhard Müller Titelbild: majeco, www.fotolia.com Bildnachweise: Kurzfilm CORA-Netzwerk 2011 www.fotolia.com (Seite 17: RTimages, Seite 18: Yvonne Bogdanski, Seite 19: Sabimm, Seite 20: lassedesignen, Seite 21: ashumskiy, Seite 22: Harald07, Seite 23: Peter Maszlen, Seite 24: Gerhard Seybert, Seite 25: Pixel, Seite 26: moonrun, Seite 35: Mykola Velychko) Hinweise werden erbeten an: Der PARITÄTISCHE Landesverband Thüringen e. V. OT Neudietendorf Bergstraße 11 99192 Nesse-Apfelstädt Tel: +49 (0)36202 26-240 Fax: +49 (0)36202 26-234 E-Mail: areichert@paritaet-th.de Internet: www.paritaet-th.de Mit Dank an die Beteiligten Simone Akelbein-Stark, Franka Bergmann, Monica Cordier, Susan Hoßfeld, Karin Kretschmer, Silke Laurent, Dagmar Keller, Anne-Kristin Mohrich, Susan Ose, Tobias Rothacker, Steffen Richter und Karola Schmidt.
Das CORA-Konzept Frauenspezifische Einrichtungen als Servicestellen für Arbeit, Familie und Leben Dieses Papier entstand durch das in der ESF-Förderperiode 2009 – 2013 initiierte und geförderte CORA-Projekt, ein Zusammenschluss von frauenspezifischen Einrichtungen in Thüringen im „CORA-Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Beteiligte Partner: Der PARITÄTISCHE Landesverband Thüringen e. V., Nesse-Apfelstädt, OT Neudietendorf Projekt: „CORA-Netzwerkkoordinierungsstelle“ Frauen- und FamilienZentrum Erfurt e. V., Erfurt Projekt: „Hand in Hand“ Frauenbildungs- und Begegnungsstätte ko-ra-le e. V., Heilbad Heiligenstadt Projekt: „Leben und Beruf im Eichsfeld“ LIFT gGmbH, Nordhausen Projekt: „Hand und F.U.S.“ SOS Kinderdorf e. V., Gera Projekt: „WEG – Wagen Entwickeln Gestalten“ Verein Professor H. A. Krüger e. V., Nesse-Apfelstädt, OT Neudietendorf Projekt: „VOR ORT“ Servicestelle Familie und Arbeit Nesse-Apfelstädt
Inhalt 1. Zum gesellschaftlichen Hintergrund.......................................................................................................................................... 6 2. Was ist das CORA-Konzept?.......................................................................................................................................................... 9 3. Theoretische Basis........................................................................................................................................................................ 12 4. Zielgruppen und Zielstellung – eine Lebensverlaufsperspektive....................................................................................... 15 5. Angewandte Methoden, Techniken und Verfahren............................................................................................................... 27 A. Einzelfallhilfe.................................................................................................................................................................................. 29 A.1. Bedarfsanalyse.........................................................................................................................................................................................................30 A.2. Netzwerkanalyse.....................................................................................................................................................................................................32 A.3. Potenzial- und Interessenanalyse/Profiling...................................................................................................................................................34 A.4. Perspektivenentwicklung durch das Karrieremosaik................................................................................................................................34 A.5. Unterstützung bei Ausbildungsplatz-/Studiengangsuche......................................................................................................................35 A.6. Individuelles Bewerbungstraining....................................................................................................................................................................36 A.7. Unterstützung bei der Lösung individueller Probleme im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ....................37 A.8. Beratung zu Qualifizierungsangeboten.........................................................................................................................................................38 A.9. Beratung bei Fragen zur Existenzgründung.................................................................................................................................................38 A.10. Auskunft über Leistungsansprüche.................................................................................................................................................................39 A.11. Schuldenpräventionsmaßnahmen...................................................................................................................................................................39 A.12. Case Management..................................................................................................................................................................................................40 B. Bildungs- und Gruppenarbeit.................................................................................................................................................... 41 B.1. Informations- und Bildungsangebote zur Weiterentwicklung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt .....................................41 B.2. Kurse zur Gesundheitsförderung......................................................................................................................................................................42 B.3. Gruppenarbeit und offene Gruppenangebote zum Austausch über Arbeitsmarkt – Chancen, Risiken, Kontakte............43 C. Strukturbezogene Arbeit............................................................................................................................................................. 45 C.1. Strukturelle Angebote zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.............................................................................45 C.2. Netzwerkarbeit........................................................................................................................................................................................................47 6. Erforderliche Ressourcen zur Umsetzung des CORA-Konzepts............................................................................................ 48 6.1. Ressourcen der Beratungsfachkraft.......................................................................................................................................... 49 6.2. Netzwerkressourcen..................................................................................................................................................................... 50 7. Literatur/Quellen........................................................................................................................................................................... 53
5 Vorwort Die Folgen des demografischen Wandels erreichen Thürin- von Frauen, der Erschließung zusätzlicher Beschäftigung gen und stellen umfangreiche, sozioökonomische Herausfor- im Dienstleistungssektor, der Förderung von Vereinbarkeit derungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der künftig von Familie und Beruf sowie dem Abbau geschlechtsspezi- immer deutlich spürbarere Fach- und Arbeitskräftemangel fischer und familiärer Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt ist wirtschaftspolitisches Synonym dieser Entwicklung. Ins- umzusetzen. gesamt steigt der Anteil der älteren Erwerbspersonen, da im- Seitdem haben frauenspezifische Einrichtungen im mer weniger junge Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer Rahmen des „CORA-Netzwerk Thüringer Frauenzentren zur nachrücken. Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ein ar- Gleichzeitig arbeiten viele Menschen nur geringfügig, beitsmarktorientiertes Unterstützungskonzept entwickelt, in Minijobs oder gar nicht. Insbesondere Frauen sind von das den Bedarfslagen von Frauen ebenso wie denen von längeren Phasen der Arbeitslosigkeit und prekären Beschäf- Männern mit Familienverantwortung entspricht und darü- tigungsformen betroffen. Damit weisen sie ein deutlich hö- ber hinaus die regionalen Rahmenbedingungen und Beson- heres Risiko sozialer Ausgliederung und Verarmung auf. derheiten einbezieht. Sie fungieren als Impulsgeberinnen für DER PARITÄTISCHE Thüringen und die Beauftragte für Existenzgründungen sowie für die Schaffung neuer Beschäf- die Gleichstellung von Frau und Mann des Freistaates Thürin- tigungsfelder im Gemeinwesen. Darüber hinaus werben sie gen setzen sich seit langem dafür ein, Thüringer Frauenzen- im Kontakt zu kleinen und mittelständischen Unternehmen tren und frauenspezifische Einrichtungen als kompetente für Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pfle- Partner für Arbeit, Familie und Leben zu profilieren. ge und Beruf. Die im PARITÄTISCHEN organisierten Frauen- und Mit dem vorliegenden CORA-Konzept wird das Erfah- Familienzentren sowie Mehrgenerationenhäuser stellen rungswissen aus fast fünf Jahren Projektpraxis zusammen- eine zentrale Größe in der Interessenvertretung von Frau- gefasst. Es dient als Orientierungshilfe für weitere Frauen- en und Familien, der Umsetzung von Chancengleichheit, zentren, Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser, die der Bekämpfung von Diskriminierung und der sozialen sich den Herausforderungen des demografischen Wandels Integration durch Gemeinwesen orientiertes Arbeiten stellen möchten. Den zahlreichen Einrichtungen, die hier dar. Gleichzeitig hat sich in den Frauenzentren ein gesell- bereits Wertvolles und Innovatives leisten, hoffen wir, weite- schaftspolitisches und arbeitsmarktrelevantes Potenzial re Anregungen für die Schaffung bedarfsgerechter und zu- insbesondere im Bereich der familienunterstützenden kunftsweisender Angebote geben zu können. Dienstleistungen entwickelt, das für diese Aufgaben ideale Entwicklungspotentiale bietet. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre! Im Juni 2008 konnten von einer Jury die Gewinner des Ideenwettbewerbs, der in Abstimmung mit dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie initiiert Reinhard Müller wurde, ermittelt werden, um ein Modellprojekt mit dem Landesgeschäftsführer Ziel der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit, speziell DER PARITÄTISCHE Landesverband Thüringen e. V.
7 1. Zum gesellschaftlichen Hintergrund Können Sie sich eine Welt, ein Leben ohne Arbeit vorstel- diskutieren wir zudem den erschreckenden Trend zur Alters- len? Neben der Bedeutung des eigenen Einkommens für armut von Frauen. Verantwortlich hierfür ist u. a. das gerin- die Existenzsicherung merken wir schnell, wie wichtig die gere Bruttoeinkommen von Frauen gegenüber Männern. Arbeit Anderer ist, wenn die Beschäftigten des öffentlichen Frauen haben aber auch nach wie vor häufigere und längere Nahverkehrs streiken, Elektroleitungen im Haus erneuert Arbeitsunterbrechungen auf Grund von Kindererziehung werden müssen oder die Kinderbetreuung krankheitsbe- und Pflegezeiten. Wir sprechen hier von der sogenannten dingt ausfällt. kumulativen Geschlechterungleichheit. Denn eine einmal Arbeit – bezahlt oder unbezahlt – bildet die Ba- getroffene Entscheidung an der Schnittstelle von Berufs- sis, um unsere individuellen oder kollektiven Bedürfnis- biografie und Familienverantwortung beeinflusst wiederum se, Ansprüche und Kompetenzen zu verwirklichen oder berufliche Entscheidungsmöglichkeiten in der Zukunft und weiterzuentwickeln. hat damit Folgen für den gesamten Lebensverlauf.1 Unsere Kultur wurde lange geprägt von einer Auftei- Erwerbsarbeit spielt eine der zentralsten Rollen in lung der Arbeitsbereiche des privaten und des öffentlichen unserer Gesellschaft. Sie ist derart tief verwurzelt, dass sie Raumes. Während zumeist Frauen dem privaten Raum un- auch eine psychosoziale Bedeutung für uns gewonnen hat. bezahlter Reproduktionsarbeit zugeordnet worden sind, bot Idealtypisch qualifizieren wir uns im Arbeitsalltag stetig wei- der öffentliche Raum Arbeitsmöglichkeiten der produktiven ter und gewinnen ein Gefühl von Handlungskompetenz. Er- Sphäre und entlohnte den Einsatz von Zeit und Fähigkeiten werbsarbeit strukturiert die Lebensplanung, was in unserer mit Geld. Diese Aufteilung der Rollen zwischen Frau und Kultur der Individualisierung ein gewisses Maß an Ordnung Mann galt mehr als Ideal des gebildeten Bürgertums des 19. und Orientierung verspricht. Sie bietet uns Raum für soziale Jahrhunderts denn als Lebenswirklichkeit der meisten Frau- Kontakte und Anerkennung. Und sie trägt ganz maßgeblich en in Deutschland. Und wenngleich sie inzwischen überholt zur Entwicklung einer persönlichen Identität und des Selbst- ist – zahlreiche politische Entscheidungen die Chancen- wertgefühls bei. In entsprechender Weise wird die (Lang- gleichheit der beiden (großen) Geschlechter in allen ge- zeit-)Erwerbslosigkeit derart intensiv stigmatisiert, dass be- sellschaftlichen Teilbereichen öffneten, Frauen sich seit der troffene Menschen im Alltag häufig Demütigungen erleben deutschen Bildungsexpansion in den 1960er Jahren auf der müssen. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, Überholspur befanden und heute junge Frauen häufiger dass Arbeitslosigkeit und Armut – flankiert durch wachsende bessere Bildungsabschlüsse erzielen als junge Männer – hal- Gefühle von Orientierungslosigkeit, Zukunftsangst und sozi- ten sich die Folgen der einstig entworfenen Arbeitsteilung aler Isolation – krank machen können. hartnäckig in unserer Arbeitswelt fest. Und wir treffen auf weitere Kehrseiten: Erwerbsarbeit Unser Arbeitsmarkt ist sowohl horizontal als auch als Ursache für das Aufbrechen sozialer Gefüge, Niedrig- vertikal geschlechtsspezifisch geteilt: Frauen und Männer lohn und ergänzende Transferleistung statt existenzsichern- arbeiten nicht zu gleichen Teilen in den gleichen Berufs- dem Einkommen, Mobbing statt sozialer Integration, die gruppen. Sie erklimmen nicht die gleichen Positionen auf den Karriereleitern. Frauen arbeiten weiter zunehmend in prekärer Beschäftigung und sind häufiger auf soziale Trans- 1 Siehe dazu: http://www.gem-esf-bw.de/htm/glossar/09_glossar-02- ferleistungen angewiesen. Neben der Einkommensarmut nav01-C.html
8 Entgrenzung von privater Lebens- und Arbeitszeit, Über- der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Und so stehen oder Unterforderung statt Kompetenzentwicklung. wir vor gravierenden wirtschaftlichen und sozialstaatlichen Die Bedeutung der Erwerbsarbeit in unserer Kultur Herausforderungen. macht einmal mehr deutlich, dass wir die gleichen Chancen Wie kann dieses Dilemma überwunden werden? Die für Frauen und Männer brauchen. Daher bedingt Frauenpo- Entwicklung eines zukunftsfähigen Modells der Arbeitswelt litik, Gender Mainstreaming und geschlechtsspezifische Ar- und eines Geschlechterverhältnisses scheint unausweich- beit immer auch die aktive Einmischung in die Arbeitsmarkt- lich und ist zugleich eine enorme Entwicklungschance! und Beschäftigungspolitik. Es kann nur um eines gehen: das „und“. Arbeiten und Fa- Durch die Alterung unserer Gesellschaft und dem damit milie! Zeit ist zur Schlüsselressource unserer Gesellschaft einhergehenden Ruf nach Fachkräften verändern sich heute geworden. die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes. Mit geeigneten Doch welche Unterstützungsleistungen können Frau- Maßnahmen soll das weibliche Erwerbspersonenpotential en und Männern heute angeboten werden, um ihnen bei der besser ausgeschöpft werden. Dabei hat sich die Förderung Bewältigung ihrer beruflichen und familiären bzw. privaten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Handlungsfeld Anforderungen zu helfen? Wir müssen u. a. die Frage beant- fest etabliert. Auch der Ausbau der Kinderbetreuung läuft auf worten, welche Barrieren und welche Rahmenbedingungen Hochtouren. es sind, die den beruflichen Lebenslauf von Frauen und Män- Das Dilemma ist simpel: Jede Stunde Erwerbsarbeit ist nern beeinflussen. Die Änderung einzelner Rahmenbedin- eine Stunde weniger Zeit für die (unbezahlte) Familienarbeit. gungen, wie der Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung Doch je weniger Zeit und Energie wir hierfür aufbringen kön- ab dem 1. Lebensjahr, das Familienpflegezeitgesetz oder nen (oder möchten), desto geringer fällt in der Summe die neue Formen familienbewusster Personalpolitik sind wich- Geburtenziffer aus. Da die Zahl der potentiellen Mütter (d. tige Bausteine. Doch einzelne Maßnahmen allein werden h. aller Frauen im gebärfähigen Alter) ab 2020 wahrschein- nicht genügen. So ist eine Forscherinnengruppe des Fraun- lich wieder deutlich schrumpfen wird, muss damit gerechnet hofer Instituts zu dem Ergebnis gekommen, dass wir eine werden, dass ein neues Geburtentief entstehen kann.2 Das völlig neue Kultur der Arbeitswelt benötigen, um Frauen und bedeutet, dass immer weniger Menschen dem Arbeitsmarkt Männern die gleichen beruflichen Chancen zu bieten. als Erwerbspersonen zur Verfügung stehen und gleichzeitig Gleichzeitig sind die Herausforderungen für den ein- im Schnitt immer älter werden. Diese Entwicklung führt zu zelnen Menschen genauso individuell wie deren erforderli- weiter steigenden Anforderungen an Familie und Staat bei che Lösungen. Hier setzt das CORA-Konzept an. 2 Quelle: www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelke- rung/Geburten/Geburten.html. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass wir zur Erhaltung des heutigen Niveaus der Geburtenzahl einen Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer von derzeit 1,4 Kin- dern auf 1,6 Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter benötigen. Für eine anschauliche Darstellung der Entwicklung der zusammengefassten Ge- burtenziffer wird auf den Genderdatenreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verwiesen (siehe Kapitel 4, S.231). Dieser steht unter http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/genderre- port/root.html zum Download bereit.
Was ist das CORA-Konzept?
10 2. Was ist das CORA-Konzept? Auf Grund der Benachteiligungen von Frauen am Arbeits- Das CORA-Konzept ist ein geschlechtersensibles markt, die durch Handlungsmodell in frauenspezifischen Einrichtungen zur arbeitsmarktorientierten Unterstützung von • Brüche im Erwerbsverlauf auf Grund von Schwanger- Menschen mit Problemlagen an der Schnittstelle von schaft, Elternzeit und Pflegezeiten, Familie, Pflege und Beruf. • geringere Verweildauern in Unternehmen, Es ist das Leitbild von CORA, Frauen und • ein damit einhergehendes geringeres Bruttoeinkommen Männern eine chancengerechte Erwerbsbeteiligung von bundesdurchschnittlich 22 % gegenüber Männern, sowie die gleichwertige Wahrnehmung familiärer • die „gläserne Decke“, die den Aufstieg von Frauen in Verantwortung zu ermöglichen. höhere Führungsebenen verhindert • und den signifikant hohen Anteil prekärer Beschäftigung von Frauen, wie geringfügige Beschäftigung und Teilzeit gekennzeichnet sind, haben frauenspezifische Einrichtun- gen im Rahmen des „CORA-Netzwerk Thüringer Frauenzen- tren zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ein Handlungsmodell entwickelt, das diese Besonderheiten der ungleichen Rahmenbedingungen von Frauen und Män- nern berücksichtigt. Frauen werden dabei unterstützt, ihren Weg in exis- tenzsichernde Beschäftigung zu finden. So soll langfristig der sozialen Isolation und Verarmung von Frauen entgegen gewirkt werden. Je nach Erwerbsstatus zielen die Angebote auf die Verbesserung der Beschäftigungs- oder der Arbeitsfä- higkeit ab. Die Vereinbarkeit von familialen und beruflichen Anforderungen stellt dabei ein zentrales Handlungsfeld dar. Erst eine Balance beider Lebensbereiche ermöglicht den Menschen soziale sowie berufliche Teilhabe und sichert - so die hier vertretene These - die gesamtgesellschaftlichen Re- produktions- und Produktionserfordernisse. Da Gender Mainstreaming im CORA-Konzept nicht nur Querschnitts-, sondern Leitziel ist, werden Männer als Ziel- gruppe aller Angebote angesprochen, die die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf befördern.
11 Der Aufbau der Broschüre basiert auf dem „Konzept- jeweiligen Region, wie z. B. Kindertagesstätten, vorgestellt. Methode-Technik“-Modell von Michael Galuske. Es Je nach Bedarf können hier Beratungszeiten festgelegt wer- wird ergänzt durch Bausteine zur Beschreibung von den, die interessierten Bürgern den Zugang erleichtern. Aus Qualitätsstandards.3 diesem Grund können insbesondere jene Frauen von den Angeboten profitieren, die als die „stille Reserve“ bezeichnet werden – Frauen, die zwar erwerbsfähig jedoch nicht arbeits- Das CORA-Konzept setzt sich aus Einzelfall- und Primärgrup- los gemeldet sind oder keinen Anspruch auf Leistungen zur penbezogenen Methoden sowie Gruppen- und Struktur- beruflichen Wiedereingliederung haben. bezogenen Methoden zusammen. Diese reichen von klas- Einen sehr wichtigen Stellenwert nimmt die Netzwerk- sischer sozialpädagogischer Beratung, über Bildungs- und arbeit ein. CORA versteht sich neben der eigenen Angebots- Informationsveranstaltungen bis zur Netzwerkarbeit. struktur als Vermittlungsinstanz der Angebote der Region. Identitätsstiftend für dieses arbeitsmarktorientierte Die Überwindung von Doppelstrukturen und die Vermitt- Handlungsmodell sind die Kombination aus geschlech- lung der für die Klientinnen und Klienten richtigen, d. h. be- tersensibler Arbeit, Lebensweltorientierung und Niedrig- darfsgerechten Angebote stehen im Zentrum. schwelligkeit. Empowerment wird hier als Grundhaltung der Darüber hinaus trägt die Netzwerkarbeit maßgeblich Beratungsfachkraft und weniger als eigenständige Methode zur Erkundung von Angebotslücken in der Region bei. Hier- betrachtet. Die Klientinnen und Klienten werden dabei un- durch können Impulse gesetzt werden, um neue Angebote terstützt, formelle und informelle Ressourcen zu erschließen, zu entwickeln. Dazu zählen z. B. soziale Dienstleistungen zur die die Entwicklung einer selbstbestimmten, den persönli- Betreuung von hilfebedürftigen Angehörigen oder haus- chen Lebensumständen angemessenen Form der Lebens- haltsnahe Dienstleistungen. führung und Problembewältigung fördert. Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des CORA- Konzepts ist der niedrigschwellige Zugang über Frauen- Das CORA-Konzept wurde in einem Zeitraum von fünf zentren sowie Familienzentren oder Mehrgenerationen- Jahren an fünf Standorten in Thüringen regional- und häuser mit einer geschlechterspezifischen Ausrichtung. einrichtungsspezifisch entwickelt. Frauenzentren und Hier finden offene Angebote der Kommunikation, Kultur, frauenspezifische Einrichtungen, die nicht am Netz- Sport und Gesundheit sowie Freiwilligenprojekte statt, die werkprojekt beteiligt waren, können hier Anregungen von vielen Menschen besucht werden. Unabhängig von für die Entwicklung eigener Angebote finden, um dem einer Zuweisung durch öffentliche Träger (z. B. der Arbeits- demografischen Wandel und seinen Herausforderun- verwaltung) können die CORA-Angebote ohne Zielgruppen- gen in ihrer Region zu begegnen. beschränkung oder Zugangsbarrieren genutzt werden. Dar- Das CORA-Konzept stellt Transparenz für das über hinaus wird das Angebot in weiteren Einrichtungen der Klientel, Kostenträger, die Gesellschaft und Profes- sionelle sozialer Arbeit her. Es zeigt den Nutzen des Unterstützungskonzepts auf und leistet einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung. 3 Die herangezogenen Quellen sind die „Qualitätskriterien des DBSH. Grundraster zur Beurteilung der Qualität in den Handlungsfeldern Auf Grund der unterschiedlichen Rahmenbedin- Sozialer Arbeit“ unter www.dbsh.de/beruf/haltung-der-profession/ gungen der Projektstandorte, wurden die dargestellten qualitaetskriterien.html sowie der „Social Reporting Standard. Leitfaden zur wirkungsorientierten Berichterstattung“. Stand 2012 unter www. Angebote nicht gleichermaßen in allen Regionen social-reporting-standard.de. umgesetzt.
Theoretische Basis
13 3. Theoretische Basis Das CORA-Konzept ist die Bündelung von Erfahrungswissen wichtige Aufgabe der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ist aus fünf Jahren Projektpraxis an fünf Standorten in Thürin- es, die ggf. in der Person eines Arbeitslosen liegenden Ver- gen, dem zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Modell mittlungshemmnisse zu beseitigen oder zu reduzieren, be- zur Operationalisierung der Beschäftigungsfähigkeit und vor eine Vermittlung in reguläre Erwerbstätigkeit überhaupt einem Set professioneller Techniken der sozialen Einzelfallar- in Angriff genommen werden kann. beit, Gruppenbezogenen Arbeit sowie strukturell wirksamer Maßnahmen. Das Ergebnis dieser Studie ist die Definition von sechs Di- mensionen der Beschäftigungsfähigkeit, die in der Person selbst angelegt sind und einen Einfluss auf die Chancen am Die sechs Dimensionen der Arbeitsmarkt haben: Beschäftigungsfähigkeit • Qualifikation und Kompetenzen • Gesundheit Wie kann das Ziel der Verbesserung der Beschäftigungsfä- • Suchtverhalten higkeit wirksam erfüllt werden? Damit effektive Maßnahmen • Konzessionsbereitschaft geplant werden können, braucht es eine Definition dieser • Ressourcen bei der Arbeitssuche Zielkategorie, die wissenschaftlich fundiert ist. • Persönliche Umstände und soziales Umfeld. Um diesem Qualitätsstandard zu entsprechen, griff das CORA-Netzwerk auf eine Methodenstudie zurück, die 2006 Diese Dimensionen stimmen mit den Praxiserfahrungen im im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales CORA-Netzwerk überein. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe durchgeführt wurde. Hier wurde erstmals der noch unein- leitete das CORA-Netzwerk fundierte Unterstützungsbedarfe heitliche Begriff der „Beschäftigungsfähigkeit“ operationali- ab, welche zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, der siert, d. h. messbar gemacht. sozialen und beruflichen Eingliederung sowie der Vereinbar- Die Erhöhung individueller Beschäftigungsfähigkeit keit von Privat- und Erwerbsleben auftreten können. Hinter ist zentraler Bestandteil der Europäischen Beschäftigungs- jedem Unterstützungsbedarf verbergen sich zahlreiche po- strategie und in Deutschland gesetztes Ziel der Arbeitsför- tentielle Problemlagen, die die Chancen auf dem Arbeits- derung nach dem SGB III. Hiernach gibt es Grundvoraus- markt negativ beeinflussen können. setzungen, die einer Person zugrunde liegen müssen, um So wurde beispielsweise ein hoher signifikanter Zu- überhaupt auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein. Eine sammenhang zwischen dem Erleben häuslicher Gewalt und
14 der Beschäftigungsfähigkeit der hiervon betroffenen Men- schen nachgewiesen. Im Folgenden werden die identifizier- ten Unterstützungsbedarfe skizziert. • Unterstützungsbedarf bei der Betreuung und/oder Pflege von Angehörigen (Kinder, Angehörige mit Behinderung, ältere pflegebedürftige Angehörige) • Unterstützungsbedarf bei der beruflichen Neuorientierung während der Erwerbslosigkeit oder aus der Berufstätigkeit heraus (Unklarheiten über berufliche Perspektiven sowie inter- und intrapersonelle Ressourcen, Unterstützungsbedarf hinsichtlich Bewerbungsverfahren und -techniken usw.) • Suche nach familien- bzw. haushaltsnahen Dienstleistungen • Unterstützungsbedarf bei psychosozialen Problem- lagen, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken (Ängste, Isolation, Orientierungslosigkeit, Stressbe- wältigungsstrategien, Überforderung, Überlastung) • Bedarf nach ganzheitlicher Begleitung und ergän- zenden Angeboten bei gesundheitlichen Problemla- gen, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken (z. B. durch zu hohe Stressbelastung oder körperliche Belastungen bei der Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Aufgaben) • Unterstützungsbedarf bei häuslicher Gewalt sowie bei Konflikten und Gewalt im sozialen/fa- miliären Umfeld, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken • Unterstützungsbedarf bei finanziellen Problem- lagen (z. B. Probleme hinsichtlich der Mobilität oder des repräsentativen Erscheinungsbildes im Bewerbungsverfahren)
Zielgruppen und Zielstellung – eine Lebensverlaufsperspektive
16 4. Zielgruppen und Zielstellung – eine Lebensverlaufsperspektive Da die Problemlagen bzw. Unterstützungsbedarfe zwischen der privaten und beruflichen Lebenswelt stark von der aktuellen Lebensphase abhängen, werden die Zielstellungen in Abhängigkeit von der Zielgruppe entlang einer Le- bensverlaufsperspektive beschrieben. Welche der hier aufgeführten Ziele im konkreten Einzelfall verfolgt werden, hängt von der individuellen Fallkonstellation sowie den Wünschen und Erfordernissen der Klientin/des Klienten ab. a. Lebensphase Übergang in die Ausbildung/Studium ................................................................................................ 17 b. Lebensphase Ausbildung, Studium ................................................................................................................................. 18 c. Lebensphase Übergang Ausbildung/Studium – Job ................................................................................................. 19 d. Lebensphase Erwerbstätigkeit und Selbstständigkeit .............................................................................................. 20 e. Lebensphase Familiengründung ...................................................................................................................................... 21 f. Lebensphase Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit................................................................................... 22 g. Lebensphase Pflegeverantwortung bei Erwerbstätigkeit ....................................................................................... 23 h. Lebensphase Pflegeverantwortung bei Erwerbslosigkeit ....................................................................................... 24 i. Lebensphase Erwerbstätigkeit Ü55.................................................................................................................................. 25 j. Lebensphase Erwerbslosigkeit Ü55 ................................................................................................................................. 26
17 a. Lebensphase Übergang in die Ausbildung/Studium Zielgruppe Junge Frauen und Männer beim Übergang in Ausbildung/Studium, • die sich in einer orientierungslosen Phase hinsichtlich ihres zukünftigen beruflichen Werdegangs befinden, • die Unterstützung bei der Bewältigung sozialer und ggf. psychosozialer Hemmnisse benötigen, um ihren beruflichen Weg gehen zu können. Hierunter fallen bspw. soziale, finanzielle, emotionale Abhängigkeiten, stark unausgeprägte/s Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein, Selbstpräsentation, • die Unterstützung bei der formalen Umsetzung von Bewerbungen benötigen, • die bei einem oder mehreren der genannten Unterstützungsbedarf/en koordinierende und/oder begleitende Hilfe brauchen und diese durch bestehende Angebote nicht erhalten. Ziel Die Berufswahl wird bei Jugendlichen häufig durch geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen gesteuert. Die Entscheidung für oder gegen eine Berufsrichtung wird flankiert von Erwartungsstrukturen aus dem sozialen Umfeld. Hierfür herrscht ein zum Teil sehr starkes und zum Teil sehr geringes Bewusstsein vor, das mit den unterschiedlichsten kognitiven Strukturen sowie Emotionen verwoben ist. Die CORA-Beratung zielt auf einen Berufswahlprozess, der die tatsächlichen Potentiale, Kompeten- zen und Wünsche der Jugendlichen in den Focus rückt und damit eine nachhaltig wirksame Arbeitsmarktintegration beför- dert. Junge Frauen und Männer werden dabei unterstützt, auch geschlechtsspezifisch unpopuläre Berufswahlen zu treffen. Ziel ist es, eine individuelle Entwicklung von beruflichen Perspektiven unter Berücksichtigung psychosozialer Rahmen- bedingungen zu ermöglichen. Insoweit ein konkreter Berufswunsch vorliegt, werden die jungen Menschen bei der Planung von umsetzbaren Einzel- schritten unterstützt und bei Bedarf ganzheitlich begleitet. Der Übergang in die Ausbildung ist insbesondere bei sehr jungen Müttern schwierig. Sie sollen dabei unterstützt wer- den, Möglichkeiten der Teilzeitausbildung kennenzulernen, in ihrem Selbstwert gestärkt und bei der Organisation in Fragen der Kinderbetreuung usw. praktisch unterstützt werden.
18 b. Lebensphase Ausbildung, Studium Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in einer Ausbildung bzw. in einem Studium befinden • mit Familienverantwortung durch Kinder (auch Alleinerziehende) und/oder pflegebedürftige Angehörige • mit psychosozialem Beratungsbedarf auf Grund von Über- oder Unterforderungen und dem damit einhergehenden Risiko des Ausbildungs-/Studienabbruchs • oder die bereits ihre Ausbildung/ihr Studium abgebrochen haben. Ziel Junge Mütter und Väter, die eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, erfahren ein hohes Maß an zeitlicher und psychi- scher Belastung. Das soziale Umfeld spielt bei der Bewältigung der Herausforderung eine zentrale Rolle. Können junge Mütter und Väter nicht oder nur unzureichend auf ein solches Netzwerk zurückgreifen, droht der Abbruch der Ausbildung oder des Studiums. CORA hat zum Ziel, die jungen Erwachsenen bei der Vereinbarkeit von Ausbildung und familiären Aufgaben zu unterstützen und damit dem Abbruch vorzubeugen. Liegt bereits ein Ausbildungsabbruch vor, werden die Klientin/der Klient individuell bei der Problemlösung und der Suche nach neuen Entwicklungs- und Ausbildungsmöglichkeiten unterstützt.
19 c. Lebensphase Übergang Ausbildung/Studium – Job Zielgruppe Auszubildende und Studierende in der Phase der Jobsuche kurz vor oder nach dem Abschluss der Ausbildung/des Studiums • mit Familienverantwortung durch Kinder (auch Alleinerziehende) und/oder pflegebedürftige Angehörige • für deren erlernten bzw. studierten Beruf keine Arbeitsplätze in der Region zur Verfügung stehen • und/oder mit psychosozialen Problemlagen im Kontext der veränderten Lebenssituation. Ziel Das übergreifende Ziel der erfolgreichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt wird mit individuell abzustimmenden Teilzielen und Orientierungshilfen umgesetzt. Hier soll die Klientin/der Klient bei der Jobsuche selbst und der Lösungen von Problemen in Verbindung mit der Arbeitsaufnahme, wie der Wohnungssuche, finanzielle Fragen, der Organisation der Kinderbetreuung etc. Unterstützung finden. Darüber hinaus soll die Klientin/der Klient erfahren, welche weiterführenden Qualifizierungsangebote vorhanden sind und wie sie genutzt werden können. Damit werden die Chancen der beruflichen Integration erhöht.
20 d. Lebensphase Erwerbstätigkeit und Selbstständigkeit Zielgruppe Frauen in Selbstständigkeit oder abhängiger Beschäftigung mit folgenden individuellen Unterstützungsbedarfen hinsichtlich der Erhaltung ihrer Arbeitsfähigkeit und des Ausbaus ihres Erwerbspotentials: • Unterstützungsbedarf bei der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf • Unterstützungsbedarf bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf • Unterstützungsbedarf bei der Neuorientierung aus der Berufstätigkeit heraus auf Grund von Mobbing, schlechten Arbeitsverhältnissen, nichtexistenzsicherndem Einkommen/finanzielle Ungleichbehandlung, Insolvenz etc. • Wunsch nach ganzheitlicher Begleitung bei psychischer und/oder physischer Gesundheit, wie z. B. in Phasen der Erkrankung/Suchterkrankung, Unfall, Rehabilitation/Therapie • Bedarf an familien- bzw. haushaltsnahen Dienstleistungen, z. B. auf der Suche nach Anbietern/Dienstleistern in den Bereichen Kinderbetreuung, Gebäude-, Wohnungsreinigung, Einkaufshilfe, Begleitservice, Fahrdienst, Hof & Garten • Unterstützungsbedarf bei psychosozialen Problemlagen, die die Arbeitsfähigkeit einschränken, wie z. B. Isolation, Einsamkeit, Überforderung, berufliche Unterforderung, Angst, Konflikte am Arbeitsplatz/im sozialen und familiären Umfeld, seelische/körperliche/sexuelle Gewalt im sozialen Umfeld, Arbeitsplatz oder häuslichen/familiären Bereich. Ziel Der Arbeitsmarkt benachteiligt Frauen strukturell in vielfältiger Hinsicht. Die familiären und beruflichen Verantwortungsberei- che widersprechen sich häufig. Eine fehlende Balance führt zu mehrdimensionalen Problemlagen, für die CORA eine ganzheit- liche Unterstützung bietet. Ziel ist hier, dass Frauen nicht nur ihre Arbeitsfähigkeit erhalten bleibt und Arbeitslosigkeit vermie- den wird. Ziel ist darüber hinaus der Ausbau der Arbeitsfähigkeit und die optimale Entfaltung des Erwerbspotentials. Dabei werden die individuellen Ressourcen der Arbeitnehmer/-innen wie körperliche, mentale und soziale Fähigkeiten, Gesundheit, Kompetenz sowie Werte gestärkt.
21 e. Lebensphase Familiengründung Zielgruppe Junge Frauen und Männer mit Kleinkind/-ern, die den Wieder- einstieg in das Berufsleben planen • und somit Unterstützung bei der beruflichen Neuorientie- rung oder beim Übergang in die vorhergehende Tätigkeit benötigen • und/oder einen Bedarf an familien- bzw. haushaltsnahen Dienstleistungen haben • und/oder Unterstützungsbedarfe im familiären, partner- schaftlichen, sozialen, psychosozialen und/oder finanzi- ellen Bereich haben, die sich negativ auf die Beschäfti- gungsfähigkeit auswirken. Ziel Das Ziel der Unterstützungsleistung ist die Prävention von Erwerbslosigkeit durch eine aktivierende Hilfe bei der Wie- dereingliederung in den Arbeitsmarkt. Dabei werden die verschiedenen Dimensionen der Beschäftigungsfähigkeit in den Blick genommen und entsprechend des individuell festgestellten Unterstützungsbedarfs bearbeitet.
22 f. Lebensphase Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit Zielgruppe Von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Frauen mit folgenden individuellen Unterstützungsbedarfen hinsichtlich des Erhalts oder Wiederherstellung ihrer Beschäftigungsfähigkeit und der sozialen Eingliederung: • Unterstützungsbedarf bei beruflicher Neuorientierung während Erwerbslosigkeit • Unterstützungsbedarf bei der Organisation der Kinderbetreuung und Beruf • Unterstützungsbedarf bei der Organisation der Pflege von Angehörigen • Wunsch nach ganzheitlicher Begleitung bei psychischer und physischer Gesundheit • Unterstützungsbedarf bei psychosozialen Problemlagen, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken, wie z. B. Isolation, Einsamkeit, Überforderung, Angst, Konflikte sowie seelische/körperliche/sexuelle Gewalt im sozialen Umfeld • Unterstützungsbedarf bei häuslicher Gewalt sowie Konflikten im häuslichen/familiären Bereich, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken • Unterstützung bei finanziellen Problemlagen, die die Beschäftigungsfähigkeit einschränken, wie z. B. eingeschränkte Mobilität und fehlende Ressourcen zur repräsentativen Selbstdarstellung Ziel Übergreifendes Ziel des Unterstützungsangebots für arbeitslose und langzeitarbeitslose Frauen ist die Förderung der sozialen Eingliederung und der Erhalt bzw. die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit durch eine Förderung der Eigenmotivation. Da- mit wird der Grundstein der beruflichen Eingliederung gelegt. Hierfür werden die individuellen Unterstützungsbedarfe erfasst, Teilziele entwickelt und passgenaue Maßnahmen ge- plant. Ziel ist dabei die Entwicklung beruflicher Perspektiven, die Stärkung des Selbstwertes der Klientinnen sowie die Gestal- tung optimaler Rahmenbedingungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
23 g. Lebensphase Pflegeverantwortung bei Erwerbstätigkeit Zielgruppe Erwerbstätige Frauen und Männer mit Pflegeverantwortung gegenüber Angehöri- gen mit dadurch bedingter zeitlicher, psychischer, physischer und/oder finanzieller (Über-)Belastung bei der Vereinbarkeit von Pflege, Arbeit und Privatleben Ziel Die Pflege von Angehörigen ist nach wie vor eine typische Frauenaufgabe. Die Doppelbelastung, die Frauen und zum Teil Männer durch Job und Pflege haben, hat einen nachweislich negativen Effekt auf die Arbeitsleistung. Gesundheitliche Probleme, die Reduzierung der Arbeitszeit und völliger Arbeitsausfall können die Folge sein. Das CORA-Angebot zielt auf die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Dazu werden ein optimales Zeitmanagement und Gesundheitsprävention auf körperli- cher und geistiger Ebene unterstützt.
24 h. Lebensphase Pflegeverantwortung bei Erwerbslosigkeit Zielgruppe Erwerbslose Frauen und Männer mit Pflegeverantwortung gegenüber Angehörigen, verbunden mit dem Wunsch nach beruflichem Wiedereinstieg sowie ggf. mit multiplen Problemlagen, wie • finanzielle Probleme sowie Verarmung, • partnerschaftliche Konflikte, • gesundheitliche Probleme, • soziale Isolation, • oder Überbelastung bei der zeitlichen Vereinbarkeit von Pflege, Privatleben und Qualifizierungsbemühungen. Ziel Das Angebot zielt auf die Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung und die Förderung der hierfür erforderli- chen Ressourcen der Beschäftigungsfähigkeit. Dazu werden die individuellen Unterstützungsbedarfe erfasst, Teilziele entwi- ckelt und passgenaue Maßnahmen umgesetzt. Ziel ist dabei die Entwicklung neuer beruflicher Perspektiven, die Stärkung des Selbstwertes der Klientin/des Klienten sowie die Gestaltung optimaler Rahmenbedingungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
25 i. Lebensphase Erwerbstätigkeit Ü55 Zielgruppe Erwerbstätige Frauen über 55 Jahre mit unterschiedlichen Problemlagen hinsichtlich ihrer Arbeitsfähigkeit: • mit gesundheitlichen Beschwerden auf Grund beruflicher Belastungen • Pflegeverantwortung gegenüber Angehörigen • Betreuungsverantwortung für Familienangehörige oder Nahestehende • Überforderung durch technische und körperliche Beanspruchungen am Arbeitsplatz • drohende Arbeitslosigkeit • sowie weitere psychosoziale Probleme, die die Arbeitsfähigkeit einschränken, wie z. B. gesteigerter Leistungsdruck gegenüber jungen Kolleginnen/Kollegen. Ziel Die Erhaltung bzw. Verbesserung der Arbeitsfähigkeit stellt das wichtigste Ziel in der Beratung und Begleitung von erwerbstätigen Frauen über 55 Jahren dar. Hierfür soll die Gesundheit und das lebenslange Lernen befördert werden.
26 j. Lebensphase Erwerbslosigkeit Ü55 Zielgruppe Erwerbslose Frauen • mit altersbedingter Schwierigkeit der Arbeitsmarktintegration • mit dem Wunsch einer ganzheitlichen Begleitung auf Grund gesundheitlicher Beschwerden (psychisch und/oder physisch) • und/oder Pflegeverantwortung gegenüber Angehörigen Ziel Übergreifendes Ziel des Unterstützungsangebots für arbeitslose Frauen, die über 55 Jahre alt sind, ist die Förderung der sozi- alen Eingliederung und der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit. Damit soll die Basis für eine neue berufliche Integration geschaffen werden. Von besonderer Bedeutung ist die gesundheitliche Situation der Frauen, das Wissen um eigene Kompetenzen und eine passende Abstimmung von Qualifizierung und Arbeitsmarktlage. Um diese übergreifenden Ziele zu verwirklichen, werden die individuellen Unterstützungsbedarfe erfasst, Teilziele ent- wickelt und passgenaue Maßnahmen umgesetzt. Ziel ist dabei die Entwicklung beruflicher Perspektiven, die Stärkung des Selbstwertes der Klientinnen sowie die Gestaltung optimaler Rahmenbedingungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
Angewandte Methoden, Techniken und Verfahren
28 5. Angewandte Methoden, Techniken und Verfahren Die hier vorgestellten Methoden und Techniken gehören größtenteils in den Methodenkoffer sozialer Arbeit. Aus die- sem Grund eignet sich das CORA-Konzept zur Umsetzung in nahezu allen Frauenzentren und frauenspezifischen Einrichtungen, insoweit die personellen und strukturellen Ressourcen hierfür zur Verfügung gestellt werden können (siehe Kapitel 6). A. Einzelfallhilfe................................................................................................................................................................................. 29 A.1. Bedarfsanalyse ........................................................................................................................................................................................................30 A.2. Netzwerkanalyse ....................................................................................................................................................................................................32 A.3. Potenzial- und Interessenanalyse/Profiling ..................................................................................................................................................34 A.4. Perspektivenentwicklung durch das Karrieremosaik ...............................................................................................................................34 A.5. Unterstützung bei Ausbildungsplatz-/Studiengangsuche .....................................................................................................................35 A.6. Individuelles Bewerbungstraining...................................................................................................................................................................36 A.7. Unterstützung bei der Lösung individueller Probleme im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ...................37 A.8. Beratung zu Qualifizierungsangeboten.........................................................................................................................................................38 A.9. Beratung bei Fragen zur Existenzgründung ................................................................................................................................................38 A.10. Auskunft über Leistungsansprüche ................................................................................................................................................................39 A.11. Schuldenpräventionsmaßnahmen..................................................................................................................................................................39 A.12. Case Management .................................................................................................................................................................................................40 B. Bildungs- und Gruppenarbeit ................................................................................................................................................... 41 B.1. Informations- und Bildungsangebote zur Weiterentwicklung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt ....................................41 B.2. Kurse zur Gesundheitsförderung .....................................................................................................................................................................42 B.3. Gruppenarbeit und offene Gruppenangebote zum Austausch über Arbeitsmarkt – Chancen, Risiken, Kontakte ...........43 C. Strukturbezogene Arbeit............................................................................................................................................................ 45 C.1. Strukturelle Angebote zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ............................................................................45 C.2. Netzwerkarbeit .......................................................................................................................................................................................................47
29 A. Einzelfallhilfe Grundsätzlich zu unterscheiden sind die Informationsarbeit, die Beratung zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeits- markt, die Vermittlung bis hin zu Begleitung und Case Management. Das Angebot wird entsprechend der Bedarfslagen indivi- duell auf die Klientin/den Klienten zugeschnitten. Die Informationsarbeit vermittelt der Klientin/dem Klienten erforderliche Kenntnisse. Häufig sind die Beratenen im An- schluss selbstständig in der Lage, die kommenden Schritte zu planen und umzusetzen. Die Beratung zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt verfolgt im Wesentlichen zwei Grundsatzziele: zum einen soll die (Neu-)Orientierung und Zielfindung im beruflichen Kontext unterstützt werden. Zum anderen zielt die Beratung auf die Überwindung aktueller Hürden, Hemmnisse oder Problemlagen zwischen Privat- und Erwerbsleben und/oder auf die Förderung bzw. den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Ausgehend von den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen der Klientin/des Klienten werden biografische und beruf- liche Perspektiven entwickelt, die die sozialen und insbesondere familialen Rahmenbedingungen einbeziehen. Dieses Haupt- ziel wird in einzelne Maßnahmenziele (hier ist häufig von Meilensteinen die Rede) unterteilt, die die langfristig angesetzte Entwicklung in realisierbare Einzelschritte untergliedern. Eine solche Planung, die konkrete Zwischenerfolge erlebbar macht, hat einen positiven Einfluss auf die Motivation der Klientin/des Klienten und wirkt daher nachhaltig. Die Wirkung der ressourcenorientierten, individuellen und niedrigschwelligen Einzelfallberatung lässt sich wie folgt sum- mieren: Die Beratung • macht die Klientin/den Klienten stark und handlungsfähig, • stärkt das Selbstvertrauen und die Eigenverantwortung, • baut auf den Ressourcen auf,
30 • berücksichtigt den biografischen Blick, A.1. Bedarfsanalyse • ist wertschätzend gegenüber dem formell und informell angeeigneten Wissen und den Erfahrungen, • setzt Impulse zur Veränderung und Hilfe zur Selbsthilfe, Jedes Unterstützungsangebot im CORA-Konzept soll auf den • und ist nachhaltig, da sie ganzheitlich und prozesshaft arbeitsmarktorientierten Bedarf der Klientin/des Klienten an- angelegt ist. gepasst sein, um Fehlversorgungen auszuschließen. In der Beratungssituation treten häufig Situationen Vermittlung heißt im CORA-Konzept, dass der Klientin/dem auf, in denen vielfältige Problemlagen und biografische Klienten die den Bedarfen entsprechenden Angebote der Entwicklungen thematisiert oder angerissen werden und Region vorgestellt werden. Beispiele sind hier: einrichtungs- die Frage der beruflichen Entwicklung nur eins von vielen interne Schulungsangebote, Angebote zu Weiterbildung/ Themen ist. In solchen komplexen Fallkonstellationen kann Qualifizierung/Qualifizierungsberatung, Existenzgründungs- es schnell dazu kommen, dass wichtige Aspekte der Be- beratungsstellen, Praktika/praxisrelevante Angebote/Freiwil- schäftigungsfähigkeit übersehen werden. Eine Mind-Map ligendienste oder Einrichtungen des regionalen Hilfenetzes. eignet sich als sehr übersichtliches und strukturierendes Entsprechend des Anspruchs auf Empowerment soll die Instrument zur Erfassung von Bedarfen und Ressourcen. Sie Klientin/der Klient den Kontakt selbstständig herstellen. Inso- kann dabei als Dokumentationsraster und/oder als Leitfa- fern die Klientin/der Klient hier weitergehende Unterstützung den für ein Beratungsgespräch genutzt werden. Hier wer- benötigt, übernimmt die Beraterin/der Berater die Kontakt- den alle relevanten Themenfelder erfasst. aufnahme und/oder bietet Begleitung an. Bei sehr komplexen Der Handlungsbedarf ergibt sich sowohl aus den Le- Problemlagen, die die Koordination der Leistungen zahlrei- bensbereichen, in denen Schwierigkeiten liegen als auch cher Leistungserbringer/-träger erfordert, kann die Klientin/ aus den aufgeschlüsselten Ressourcen, die weiter ausgebaut der Klient bei entsprechendem Bedarf durch die Methode des werden können. Gemeinsam mit der Klientin/dem Klienten Case Management auf der Fallebene unterstützt werden. werden Informationsdefizite, Maßnahmenziele und Hand- lungsschritte abgeleitet. Eine Druckvorlage der Mind-Map Jede Form der hier dargestellten Beratungsleistungen kann im des CORA-Konzepts ist hier abgebildet. Rahmen einer aufsuchenden Hilfe stattfinden. Dies liegt vor, wenn die Beraterin/der Berater aktiv andere Orte für das Bera- tungsangebot aufsucht, um so der Zielgruppe den Zugang zu erleichtern. Dies können andere Beratungsstellen, Einrichtun- gen mit Eltern-Kind-Angeboten oder individuell vereinbarte Termine direkt bei der Klientin/dem Klienten sein.
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