DAS RUNDE MUSS INS ECKIGE - LUZERN HAT EIN NEUES STADION SEITE 6 - null41
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Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender NO. 7 Juli /August 2011 CHF 7.50 www.null41.ch INS DAS MUSS RUNDE ECKIGE LUZERN HAT EIN NEUES STADION SEITE 6
tbs-identity.ch / Fotografie: Daniela Kienzler DAS AB O - GE F Ü H L . Zum Beispiel mit unserem TANZ-ABO. Seien Sie besonders LUZERNER günstig dabei, wenn Bewegung auf die Bühne kommt: Mit zwei Tanzpremieren und je einer Vorstellung im UG und im Südpol. THEATER... www.luzernertheater.ch 2 Neue Website!
EDI TOR I A L SCHNABEL AUFREISSEN «Wo sind denn all jene, die sind glücklich über den Na- sonst immer den Schnabel turrasen und hoffnungsfroh aufreissen?», fragt Walti be- angesichts des zweiten Ya- rechtigterweise unter www. kin beim FCL. Doch auch kulturagenda2020.ch. Auf Befürchtungen über zu viel der Plattform der IG Kultur Lifestyle auf der Allmend kann man seit Mai loswer- und generell einen Graben den, was man zur Luzerner zwischen Clubführung und Kultur schon immer sagen Fans sind unüberhörbar. wollte – ob motzen oder Kreativ umgestaltete FCL- konstruktive Vorschläge, al- Werbeplakate zeugten da- les ist erlaubt, und gute Ide- von («Football is Life, not Manuel Sanmartin, Spanien, 63. Nicht fussballinteressiert. en fliessen vielleicht in die Lifestyle!»). Arbeit am neuen Kulturstandortbericht ein. Die Eröffnung des Stadions war für uns Anlass für Nie war es einfacher, seine Meinung am richtigen eine Porträtserie über die wahren Helden des neu- Ort loszuwerden. Umso erstaunlicher also, wie en Tempels: die Arbeiter, die ihn gebaut haben. Die wenig auf der Website derzeit passiert. Die einzige Bilder von Marco Sieber entstanden spontan und wirkliche Debatte drehte sich um das Niveau der unverfälscht auf der Baustelle. Daneben äussern Konzerte in der Schüür. Um kluge und diskutable sich in unserem Themenschwerpunkt elf Experten. Einwürfe zur bildenden Kunst, zur Atelierproble- Prägnante Meinungen rund um Fussball, Stadien matik oder einer Architektur- resp. Literaturstadt und Fans (Seite 6). Luzern blieb es weitgehend still. Darum: Wer jetzt nichts sagt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, PS: Das ist die 250. Ausgabe dieses Magazins. Dass die Kulturstadt Luzern perfekt zu finden. Ist sie das auch noch gesagt ist. das? Weniger Mühe, den Schnabel aufzureissen, haben Fussballfans. Besonders jetzt, wo auf der Allmend das neue Stadion fertig ist und im Vorfeld des ersten Spiels (31. Juli, 16 Uhr gegen Thun) alle zapplig Jonas Wydler werden. Den meisten gefällt die neue Arena, sie wydler@kulturmagazin.ch 3
SCHÖN GESAGT «Ein gutes Fussballstadion sollte zuallererst funktional sein: gut erreichbar, rasch zu füllen und mit einem Spielfeld, das von allen Plätzen gut einsehbar ist. Aber ein hervorragendes Stadion leistet mehr.» VITTORIO MAGNAGO LAMPUGNANI, SEITE 8 GU T EN TAG GUTEN TAG, LUZERNER POLIZEI. Redaktion gemeldet hast. Dann endlich «Wer unabhängig ist, kann glaubwürdig In der Männerdomäne Polizei zeigst du Ein- ging etwas. Du, Pirmin Müller, der sich im Partei ergreifen.» Vielleicht sah man sich satz für die Gleichstellung der Geschlechter. Juni 2005 – damals noch als Präsident der da als Lokalmonopolist auch ein wenig Die Jury des Prix Egalité würdigt diese Be- Jungen SVP Luzern – wie jüngst in der den Spiegel vorgehalten. mühung mit folgenden anerkennenden Arena Christoph Mörgeli anmasste, der Falls wir dir aber einen Tipp geben dürfen: Worten: «Es ist nicht selbstverständlich, Judikative dreinzureden: Weil dir ein Ur- Meide das Fernsehen. Bei deinem Lamen- dass in der obersten Geschäftsleitung ein teil nicht in deinen Kram passte, hattest to auf Tele 1 machtest du einen äusserst klares Commitment zur Gleichstellung be- du die private Adresse der zuständigen fahrigen Eindruck. steht und vorgelebt wird.» In der Praxis Richterin auf der JSVPL-Website veröf- Unabhängig, glaubwürdig: heisst das: Schaffung von Kleinstpensen, fentlicht. Mit dem Aufruf, sich bei Fragen 041 – Das Kulturmagazin 80-Prozent-Pensen im Kader und also: zum Urteil bei ihr zu melden. Aber auch steigender Frauenanteil. Wir unterstützen die Homosexuellen bekamen bei dir als das und gratulieren. Vorzeigekatholik ihr Fett weg: Bei der AU FGELIST ET Man könnte noch anfügen: In einer Do- Gay-Pride 2005 in Luzern hattest du in ei- mäne, in der durch das Tragen von eher nem Leserbrief im «Zofinger Tagblatt» ver- Diese Namen schlagen wir als unvorteilhaften Uniformen der optische sprochen, mit einer Protestdelegation an- Nachfolge der FCL-Maskottchen Unterschied zwischen Mann und Frau wesend zu sein. Siegfried und Leu vor: verwischt wird – auch eine Form von Nun protestierst du wieder. Und zwar ge- Gleichstellung. Aber nein, das darf man gen unser Magazin, das in «ehrverletzen- 1. Leual Family nicht. der Weise» über Exponenten der Luzerner 2. Leu Black Für Manne und Froue: SVP herziehe. Auf eine Antwort, was im 3. Leu Lichtenstein 041 – Das Kulturmagazin Bericht genau wessen Ehre verletzen soll, 4. Leuksopp warten wir noch immer. Dass unsere Re- cherchen über die Yvette-Estermann-Stif- 5. Leuma (Leu-Maa?) GUTEN TAG, PIRMIN MÜLLER. tung kurz zuvor in einen Artikel des «Ta- 6. Leuber Hotzenplotz Wir machten ja ein Redesign mit dazuge- ges-Anzeigers» einflossen und die NLZ 7. LeuMund höriger Werbekampagne, Heftvernissage ebendiesen zitierte, merkte dort niemand. 8. Leuthard etc. Doch die NLZ wollte partout nichts Viel zu erregt war man ob dem von Stadt- 9. Aleusius darüber berichten. Bis du, Präsident der präsident Urs W. Studer abgesegneten Satz Stadtluzerner SVP, dich bei der Maihof- neben seinem Bild für unsere Kampagne: 10. Leuchten ANZEIGE WÄHREND SIE DIESES INSERAT LESEN, bestellen andere längst Karten für die Konzerte mit Claudio Abbado, Maurizio Pollini und Vladimir Jurowski. Jetzt Karten kaufen auf www.lucernefestival.ch 4
INHALT 26 STIMME DES SPOKEN WORD 18 ER PLATZT AUS ALLEN NÄHTEN Matthias Burki erhält den Kulturpreis 24 Stunden am Schwanenplatz 27 LU-WAHLEN.CH Neues Medium für die Zentralschweiz? 29 LUCERNE FESTIVAL GOES ELECTRO Neue Töne am Klassikfestival 31 AKTUELL: KULTURKAMPF Ein Buch gibt Rat KOLUMNEN 31 Georg Anderhubs Hingeschaut 32 Hingehört: Natalia Huser 33 Olla Podrida! 34 Nielsen/Notter 35 Bain-Marie: Worte zu Löffel & Plunder 79 Vermutungen SERVICE 20 IM DIENST DER GUTEN MUSIK 36 37 Bau. Das «Goldhuisli» Kunst. Die Alpineum Produzentengalerie Musikredaktoren im Interview 40 Wort. Das Buch als Entwurf 43 Kino. Vom Fischer und seiner Frau 46 Musik. Die Joanna der Harfe 49 Bühne. Voralpentheater auf dem Vormarsch 51 Kids. Kinderzirkus Tortellini 52 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz KULTURKALENDER 53– 67 Veranstaltungen 69–73 Ausstellungen Titelbild: Marco Sieber Auf dem Bild: Marek Grzegorczyk, Polen, 48. Lieblingsclub: Chelsea Bilder: Christof Hirtler/Franca Pedrazzetti/Patrick Hegglin PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 23 DIE ALPEN TÖNEN 56 Stattkino 62 LSO / Stadtmühle Willisau / Kulturlandschaft Zu Besuch bei den Gislers 68 Natur-Museum Luzern / Historisches Museum 70 Kunstmuseum Luzern 72 Kunsthalle / Museum im Bellpark 5
7 4 1 5 2 8 6 3 9 1 Adoris Ferati, Kosovo, 21. Lieblingsclub: Prishtina 6 Patrik Simon, Slowakei, 36. Lieblingsclub: FCL 2 Marcus Schulze, Deutschland, 26. Nicht fussballinteressiert 7 Urs E. Christen, Richterswil, 55. Lieblingsclub: FCZ 3 Francisco Joaquim, Portugal, 49. Lieblingsclub: Benfica Lissabon & FCL 8 Ricardo Monteiro, Portugal, 18. Lieblingsclub: FCZ 4 Ruedi Merz, Dallenwil, 63. Lieblingsclub: FCL 9 Stefan Vogel, Nottwil, 39. Lieblingsclub: FCL 5 Krzysztof Kostecki, Polen, 33. Lieblingsclub: TKS Tomza Die Porträts der Arbeiter entstanden Ende Juni auf der Baustelle. Sie alle wirkten und wirken am Stadion oder den benachbarten Wohntürmen mit.
STA DION A LLM EN D Luzern hat sein neues Stadion. Aus diesem Anlass: elf Expertenmeinungen rund um Fussball, Stadien und Fans. Von Urs Emmenegger und Jonas Wydler, Bilder Marco Sieber (Mixer) Krieg, Kommerz, Euphorie 7
STA DION A LLM EN D Stadien und Architektur Früher waren Stadien eher funktional, Ein Gegensatz: Ein Fussballfan interes- heute hat man das Gefühl, dass sich Ar- siert sich kaum für Architektur. chitekten mit Sporttempeln zelebrieren. Nein, das ist kein Gegensatz; genauso, wie Die Tendenz, spektakuläre, aber sinnent- es kein Widerspruch ist, gern Bücher zu leerte Gesten zu bauen, ist tatsächlich eine lesen und dabei einen schönen Biblio- Plage unserer Epoche. Aber es sind nicht theksraum zu geniessen. nur die Architekten, die sich selbst zeleb- rieren, sondern auch und vor allem die Welches sind besonders gelungene Sport- Bauherren und die Öffentlichkeit, die nach stätten? auffälliger Extravaganz rufen. Und in der Architektonisch wertvolle Stadien ziehen Regel sind Sportbauten wesentlich zurück- sich durch die gesamte Architekturge- haltender als beispielsweise Museen. schichte, schreiben sie sogar: mit dem Ko- losseum in Rom angefangen. Aber auch Gehört es zum Renommee eines Architek- die Epoche der Moderne, die uns näher ten, dass er sich mit einem Stadion ver- steht, hat hervorragende Stadionbauten ewigt? Als renommierter Architekt muss man nicht unbedingt auch noch ein Stadion ge- baut haben oder bauen, aber «Stadien sind lebendige es ist eine schöne Aufgabe. Stadien sind deswegen als Monumente.» Bauaufgabe so reizvoll, weil es sich um ausgesprochen funktionale Architekturmaschinen han- hervorgebracht: etwa das Stadion von Flo- delt, die im Mittelpunkt der öffentlichen renz von Pierluigi Nervi aus den frühen Aufmerksamkeit stehen und dadurch ei- 1930er-Jahren, der Palazzetto dello Sport nen hohen Identifikationswert besitzen. in Rom aus den 50er-Jahren, wiederum Stadien sind die Inszenierungsorte eines von Nervi zusammen mit Annibale Vitel- der beliebtesten modernen Rituale. lozzi, oder die Sportbauten im Münchner Olympiapark von Günther Benisch und Was sind die Anforderungen an ein mo- Frei Otto, die Anfang der 70er-Jahre fer- dernes Fussballstadion? tiggestellt wurden. In den letzten Jahren Es sollte zuallererst funktional sein: gut entstanden das Stadion bei Porto von Edu- erreichbar, rasch und reibungslos zu fül- ardo Souto de Moura mit seiner archai- len und zu leeren, mit einem Spielfeld, das schen Gestik und jenes in Bejing von von allen Plätzen möglichst gut einsehbar Herzog & de Meuron und Ai Weiwei, das ist. Aber ein hervorragendes Fussballstadi- bereits zu einem Wahrzeichen der chine- on leistet mehr: Es ist der Ort, in dem, wie sischen Hauptstadt avanciert ist. Johann Wolfgang von Goethe in seiner Vittorio Magnago Lampugnani, «Italienischen Reise» im Zusammenhang Architekt, Architekturhistoriker und Professor für mit der Arena von Verona anmerkte, das Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich Volk das Bewusstsein seiner selbst erhält, sich selbst wahrnimmt und zelebriert. Und darüber hinaus ist es auch noch ein grosses städtisches Monument, das zur Physiognomie und zur Identität der Stadt beiträgt. Fussballstadien kommt im mo- dernen Städtebau eine zentrale Rolle zu als lebendige Monumente. 8
STA DION A LLM EN D Neue Stadien Meistens bedaure ich den Abbruch eines lassen ihm keine freie Wahl, auch nicht alten Stadions mehr, als ich mich über den jene, sich abzuwenden und hinter der Bau eines neuen freue. Weil ich nicht un- Horwer-Kurve den Grashügel runterzu- ter denselben ökonomischen und sicher- schiffen. In modernen Stadien kann der heitstechnischen Zwängen leide wie ein Kunde seine Niederlagenwut auch nicht Klubfunktionär, kann ich mir diese Rück- aussitzen, bald nach Schlusspfiff kommt wärtsgewandtheit leisten. Sie soll aber zu- der Steward und drängt ihn zu gehen. mindest begründet sein. Was mir auffällt, Denn wenn der Kunde nur noch sitzt und wenn aus brüchigen Betonrampen Scha- nicht mehr konsumiert, bringt er nichts. lensitzparadiese werden, ist die Anpas- Aber er muss etwas bringen. Das ist der sung der Terminologie. Spieltage werden ökonomische Zwang. Und er darf sich zu Events, Zuschau- nicht frei bewegen. Das will die Sicher- «Was will man er zu Kunden, für die man, weil sie ja heit. Darum hat der FCL ja auch alles rich- tig gemacht: weg vom Dallenwiler Wald- machen? Hingehen. Könige sind, alles bereitstellt: tolle Toi- fäscht, hin zu Art on Ice. Was will man machen? Hingehen. Oder halt nicht mehr. Oder halt nicht mehr.» letten, leistungsstar- ke Lautsprecher, pri- Pascal Claude, ma Pizza. Alles, was Fussballkolumnist (knappdaneben.net) der Kunde von heute halt so braucht. Hat er sich einmal an den neuen Komfort gewöhnt (was meistens er- staunlich schnell passiert), wendet sich der Kunde der Hauptdienstleistung zu, die er mit seiner Eintrittskarte erworben hat: dem Recht auf Fussball. Doch da beginnt nun das Problem. Denn hält der Fussball nicht, was sich der Kunde verspricht, re- agiert er wie ein Kunde. Und nicht mehr wie der Zuschauer, der er einst war. Er re- agiert empört. Neue Stadien definieren das Verhältnis eines Vereins zu seinen Fans neu, und in der Regel wird dabei die Fallhöhe hochge- schraubt. Wo viel suggeriert und viel ver- sprochen wird, lauert mehr Enttäuschung. «Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot», ist die groteske Spitze dieses Missver- ständnisses. Moderne Stadien tun alles, um Missmut zu verstärken: Sie drängen den Kunden an seinen verteuerten Platz, 9
STA DION A LLM EN D Fanverhalten Ich glaube, dass man heute wie früher aus den gleichen Gründen an ein Fussballspiel «Ein Fussballspiel hat viel von geht. Fussball ist «zivilisierter» und ritua- lisierter Krieg. Der Krieg wird viel weni- einem Stammeskrieg und erlaubt ger, als uns die Geschichtsbücher anneh- men lassen, wegen rationaler Ziele geführt uns, Leidenschaften auszuleben.» (Zugang zum Meer, Bodenschätze), son- dern aus Leidenschaft. Wie Sex und Ver- von einem Stammeskrieg und erlaubt es Agieren zu kippen – dann kommt es zur brechen befriedigt der Krieg unsere Lei- uns deshalb, Leidenschaften auszuleben – Gewalt. In der Fankultur spielen viele denschaften. Ein Blick auf ein TV- oder als Zuschauer paradoxerweise noch mehr Dinge eine Rolle, die auch die Riten und Filmprogramm eines x-beliebigen Tages denn als Spieler, weil man sich als solcher Rituale «primitiver» Gesellschaften und zeigt das mit aller Deutlichkeit. Am Krieg beim innerlichen Mitmachen über alle ihrer kriegerischen Aktivitäten charakte- teilzunehmen ist allerdings gefährlich, Regeln und jede Fairness hinwegsetzen risieren: Insignien, Fetische, Schlachtge- und deshalb schaut man lieber als parteili- kann. sänge, Kriegsbemalungen etc. cher Beobachter zu (Schlachtenbummler). Das Fanwesen ist eine Inszenierung Und war früher eine Distanzierung der Beim Fussball fliesst zwar (im Allgemei- der Stammesfehde. Gegenüber dieser hat gehobenen Schichten vom «Pöbel» eini- nen) kein Blut, aber dafür ist das Gesche- es den Vorteil, dass man sich seinen germassen angesagt, ist – seit linke Ideen hen real und man kann aus nächster Nähe Stamm wählen kann und im Falle der Nie- Allgemeingut geworden und auch libera- zuschauen. (Gewisse sogenannte «primiti- derlage nicht auf Gedeih und Verderb mit les Gedankengut unterwandert haben – ve Völker» führen Stammeskriege, die von diesem verbunden ist. Andererseits reizt die Nähe zum Proletariat nicht mehr an- den Häuptlingen abgebrochen werden, so- die medial angeheizte und hochgeputschte rüchig, sondern chic. bald Blut fliesst oder es Tote gibt. Bei den Emotionalität rund um den Fussball und «hochzivilisierten» Kriegen ist es dagegen den Spitzensport, bei Gelegenheit vom Peter Passett, umgekehrt.) Ein Fussballspiel hat also viel bloss fantasierten Partizipieren ins reale Psychoanalytiker Fankurve Reden die FCL-Fans von der Swisspor- angekommen ist. Eckbälle, Spielerwechsel Dass der Fussball und im Speziellen der FC arena, der Allmend, oder habt ihr schon etc. dürfen nicht mit einem nervigen Wer- Luzern diesen Stellenwert in der Gesell- eine eigene Bezeichnung? beslogan begleitet werden. schaft hat, verdankt er keinem Vermark- Der Name Swissporarena kommt für uns tungskonzept, sondern den Leuten, die nicht infrage. Entweder sprechen wir vom Welcher Sprechchor hat nebst «Ho Ho Wochenende für Wochenende in die Sta- neuen Stadion oder der Allmend. Wobei Hopp Lozärn» das Zeug zum Klassiker? dien pilgern. Die Wertschätzung gegen- Die Frage ist über jedem einzelnen Fan spürt man nur «Swissporarena kommt nicht einfach so zu beantworten, wenig. Fans, die weinen, wenn es schlecht läuft, feiern, wenn grosse Siege erreicht für uns nicht infrage!» da es verschiede- ne Arten von werden und auch einmal Kritik am eige- nen Verein üben, sind anscheinend nicht Klassikern gibt. wichtig. Ich habe manchmal das Gefühl, Die einen wer- dass man diese Fans am liebsten durch der Name Allmend vorsichtig zu verwen- den über Jahre hinweg an jedem Spiel ge- stille Konsumenten ersetzen möchte – ein den ist. Denn so wie es früher mal war, sungen. Eher aus traditionellen als aus Stadion voller Zombies. In Gesprächen mit wird es nie mehr sein. melodischen Gründen, wie die inoffizielle Mitgliedern des Verwaltungsrates haben Fan-Hymne «Marmor, Stein und Eisen Freunde aus der Kurve und ich dies in Was wird im neuen Stadion top, was ein bricht» unter Beweis stellt. Andere Gesän- ähnlicher Form mehrmals erwähnt. Aber Flop? ge entstehen zufällig aus der Masse heraus dass der FC Luzern diese Kritik nicht an- Die Stehkurve hinter dem Tor wird das und werden praktisch nie gesungen. Sol- nimmt, spüren wir immer wieder. Highlight im neuen Stadion, wie sie es che Lieder, die nur in speziellen Situatio- schon im alten war. Das tief gebaute Dach nen ertönen, sehe ich genauso als Klassi- LU-Capo wirkt sich sicherlich positiv auf den akus- ker wie das «Ho Ho Hopp Lozärn». Als Capo wird der Vorsänger oder Anheizer ei- tischen Support aus. Tragisch ist, dass mit ner Gruppe von Sportfans bezeichnet. Der FCL dem neuen Stadion auch die Kommerzia- Was wollten Sie der FCL-Geschäftsleitung Fan-Chef nennt sich «LU-Capo» und möchte anonym bleiben. lisierung des Fussballs endgültig in Luzern schon lange mal sagen? 10
STA DION A LLM EN D Stadionneid Wir Zürcher (also wir vom FCZ; bei uns Das ist es, was ihr Luzerner denkt. gibt es ja stadtbekanntlich nur einen Ver- Aber das ist falsch. Wenigstens einiges da- ein) wissen im Fall schon, was ihr Luzer- von. Vor allem die Sache mit dem neuen ner denkt. Ihr denkt nämlich, dass wir Stadion. Wir würden vieles dafür geben, denken: wenn wir auch so eins haben dürften. Si- cher die Kirchen und die SVP, von mir aus «Hey, easy-cheesy, wir haben den St. auch den Strich und die Street Parade. Peter und somit das grösste Kirchenuhr- Okay, den Letzigrund würden wir auch zifferblatt Europas, in unseren Nightclubs noch drauflegen. geben sich Weekend für Weekend die Dass sie in Basel, Bern, Genf und St. coolsten DJs der Welt die Plattennadel in Gallen richtige Fussballtempel bekommen die Hand, bei uns stehen gleich zwei ‹Too haben, war schon schlimm genug. Aber big to fail›-Banken am Paradeplatz, wir dass nun auch noch der FC Luzern ein haben den längsten Strassenstrich und die richtiges Stadion kriegt – dazu auch noch härteste SVP (auch wenn wir das ziemli- ein sauschönes (obwohl «Swissporarena» che Hippiekacke finden, ich mein das mit ja fast nach Schreibfehler klingt) – das ist der SVP), die Mieten an unserer Bahnhof- zu hart, zu bitter, zu viel. «Unser» FC Lu- strasse sind fast so teuer wie jene an der zern, mit dem wir ja nicht nur die Klub- 5th Avenue oder an der Bond Street, wir farben, sondern auch die Liebe zu Gygax haben am meisten Coiffeur-Salons und teilen (auch wenn wir finden, dass er in letzter Zeit etwas nachgelassen hat, zu- Wir wollen auch so eins! mindest als DJ)! Aber wir wollen faire Verlierer sein. Und euch, gelbblau vor Neid, gratulieren. Wer so lange auf einem Rüebliacker ki- cken musste und trotzdem Wintermeister am meisten Deutsche pro Quadratmeter, wurde, der hat das verdient. Wir freuen zudem die grösste Technoparade, das uns also auf den ersten Besuch – auch höchste Hochhaus, das teuerste Opern- wenn am Schluss kein 0:5 auf der Anzei- haus und das umfassendste Drogenange- getafel stehen sollte. bot des Landes ... ja, und natürlich haben wir den besten Fussballclub Helvetiens, obwohl der manchmal nur Zweiter oder Thomas Wyss, Siebter wird, kann passieren, River Plate Journalist «Tages-Anzeiger» und FCZ-Fan ist schliesslich auch das beste Team Ar- gentiniens, und doch sind sie nun abge- stiegen, aber solange wir Lozärn auswärts 7:0 wegputzen (oder wars 5:0? Egal, das sind Details) müssen wir niemandem mehr etwas beweisen, sollen die doch ein neues Stadion bekommen, das kratzt uns nicht die Bohne, wir werden sie auch dort wieder 7:0 (oder dann halt 5:0) schlagen. Kurz und gut, wir halten es mit der Kaffeekapselwerbung und sagen mit leicht affig geschwellter Brust: ‹Zürich, what else?›» 11
STA DION A LLM EN D Stadien in der Geschichte Als der FC Basel 2006 in letzter Minute mus war es, als Bruno Heck, damaliger Nachspielzeit sind in dieser Intensität nur die Meisterschaft an den Erzrivalen aus Generalsekretär der deutschen CDU, nach im Stadion zu erleben; sie lassen sich nicht Zürich verlor, herrschte für eine Sekunde seiner Rückkehr aus Chile zu Protokoll nach Hause und vor die Glotze transferie- im mit über 30’000 Menschen besetzten gab: «Das Leben im Stadion ist bei sonni- ren. Ein Tor kann sogar von welthistori- St.-Jakobs-Park gespenstische Stille, die gem Wetter recht angenehm.» Das Stadi- scher Bedeutung sein, selbst wenn es ein den Jubel der FCZ-Anhänger gleichsam on war vielmehr Schauplatz eines dürftiger Roller ins linke untere Eck ist. verschlang. Doch dabei blieb es bekannt- schrecklichen Blutbades, das Augusto Als Helmut Rahn am 4. Juli 1954 im WM- lich nicht. Entfesselte Zuschauer in Rot- Pinochet im Namen der nationalen Er- Final gegen Ungarn zum 3:2 für die DFB- Blau stürmten auf den Rasen, schlugen neuerung anrichtete, während er in Tat Auswahl traf, schoss er Deutschland aus auf überforderte Ordnungshüter und Poli- und Wahrheit die Demokratie aufhob und der historischen Bedeutungslosigkeit. zisten ebenso ein wie auf Spieler, Staff mit Unterstützung der westlichen Welt ei- Nach der Katastrophe des Zweiten Welt- kriegs hatte Sepp Herbergers Mannschaft Stadien als Orte von in friedlichem Wettstreit die fussballerisch weit überlegenen Ungarn des genialen Fe- renc Puskás geschlagen. Als «Wunder von Wundern – und Schauplatz Bern» und eigentliche Geburtsstunde der BRD ging dieses Tor in die Geschichte ein von Blutbädern – ewig mit dem 2001 abgerissenen Wank- dorf-Stadion verbunden. und Fans des FC Zürich. Bestürzung und ne bis 1990 dauernde Terrorherrschaft er- Wunder sind gerade im heutigen Fuss- Überraschung herrschten vor; weder richtete. Kalter Krieg im Fussballstadion. ball selten genug. Doch dürften es die Clubverantwortliche noch Stadionbetrei- Die Gefahr des politischen Missbrauchs Hoffnung auf kleine oder grössere Wun- ber oder die Polizei schienen damit ge- besteht aber nicht nur für Stadien, son- der und die damit verbundenen Emotio- rechnet zu haben. dern auch für den Sport, der darin ausge- nen sein, die die Menschen Woche für Das erstaunt, denn Randale zwischen tragen wird. 1978 bot die FIFA der argen- Woche ins Stadion pilgern lässt. Fangruppen, Polizeiaufgebote und bürger- tinischen Militärjunta unter General Vi- kriegsähnliche Zustände nach Fussball- dela die Gelegenheit, sich der Welt als ein Lucas Burkart, spielen gehören beinahe zum Stadtbild, in nur im sportlichen Wettkampf streitendes Historiker / Professor am Historischen Seminar der Schweiz wie anderswo. Auch ist das Land zu präsentieren. Unmittelbar nach der Universität Luzern Phänomen psychologisch längst gedeutet. dem Putsch im März 1976 freute sich Der spätere Literaturnobelpreisträger Elias FIFA-Präsident Joao Havelange, «dass Ar- Canetti hat in «Masse und Macht» bereits gentinien jetzt erst in der Lage wäre, die vor 50 Jahren darauf hingewiesen, dass Meisterschaft auszurichten». Tatsächlich sich das wahre und nackte Wesen des nutzte jedoch die Junta den Jubel in den Menschen erst in der Masse zeigt, und Stadien dazu, die Schreie aus den Folter- dass es kein soziales ist. In der Masse kammern und Gefängnissen zu übertö- streift das Individuum seine Hemmungen nen. Bis heute ist das Schicksal Zehntau- restlos ab und sichert sich sein eigenes sender Desaparecidos nicht aufgeklärt, Überleben, indem es sich gewaltsam gegen während Mario Kempes als Torschützen- alles Andersartige wendet. Für Stadien ist könig und Osvaldo Ardiles als Mittelfeld- das nicht ganz bedeutungslos. stratege der argentinischen Meistermann- schaft und der kettenrauchende César Lu- Der Blick in die Geschichte zeigt Ver- is Menotti als deren Trainer gemeinhin gleichbares. Beim Sturz der sozialistischen erinnert werden. Regierung Salvador Allendes 1973 durch Weshalb werden aber trotzdem neue eine Militärjunta erlangte das National- Stadien gebaut? In der Masse des Stadions stadion in Santiago de Chile traurige Be- werden selbst im antagonistischen Spiel rühmtheit. Noch am Tag des Putschs wur- «Elf gegen Elf» nicht nur Emotionen frei- de hier ein Konzentrationslager eingerich- gesetzt, die in Gewalt und Zerstörung tet, in dem binnen weniger Tage Tausende münden. Freude über einen klugen Spiel- Oppositioneller inhaftiert, verhört, gefol- zug, Begeisterung über eine gelungene tert und ermordet wurden. Blanker Zynis- Parade oder Ekstase über ein Tor in der 12
STA DION A LLM EN D Alternativkultur und Fussball Neulich sass ich im Café Meyer, trank ein Göttibueb wünscht es sich.») Man habe Schön anzuhören, und trotzdem war kühles Blondes und studierte dabei die sich kaum getraut, über Fussball zu reden, ich ein bisschen traurig, dass wir so lange Luzerner Musikneuerscheinungen, die da man sonst sofort als Schläger oder warten mussten, bis wir uns zu «outen» dort aufliegen. Eigentlich nichts Besonde- hirnloser Prolet abgestempelt wurde. wagten. Es brauchte wohl erst Kom- res, wären mir dabei nicht ungewohnte Ich stellte erstaunt fest: Den Anwesen- merztempel und Familycorner, um zu sei- Wortfetzen zu Ohr gekommen. «Yakin ...», den war es gleich ergangen – auch sie ner Leidenschaft stehen zu können. «Transfers ...», «neues Stadion ...». Verwirrt schaute ich mich um. Wer er- wartet in einer Hochburg der alternativen Szene tatsächlich eine Diskussion über «Wenn es noch irgendwo Fussball? Der Kontrollblick bestätigte: Da sassen tatsächlich altgediente Gitarrenhel- Autonomie gibt, dann im Stadion!» den, aktive Kulturveranstalter und sogar ein Kulturjournalist am Tisch und unter- hielten sich angeregt über den FC Luzern. dachten sich Ausreden für einen Stadion- Aber es machte mir auch Mut und gab Noch mehr erstaunte das fundierte Wis- besuch aus, guckten heimlich die Sport- mir die Hoffnung, dass ich in ein paar Jah- sen über Spieler, Verein und alles andere, schau und lebten die Liebe zu ihrem Ver- ren im Stadion Wortfetzen wie «Kultur- was das Team aus der Leuchtenstadt be- ein im Verborgenen aus. «Fussball ist beitrag», «alternative Szene» oder «Frei- trifft. Rock’n’Roll!» lallte es links von mir, und raum» aufschnappe und feststelle, dass Ist das nun die viel diskutierte Kom- der Kulturjournalist setzte zu einer Hom- sich viele Fans heimlich seit Jahren für merzialisierung? Man hört und liest ja, mage an das runde Leder an, steigerte sich unsere lokale Kultur interessieren. dass Fussball für neue Sparten und Grup- zur Aussage, Fussball wirke integrierend, pen interessant werde. Dass neu auch vie- stelle einen wichtigen Teil der Kultur dar, Christian Wandeler, le Frauen den Weg ins Stadion unter die um schon fast schreiend zu enden: «Und Fanarbeit Luzern, Mitherausgeber Fussballmagazin «Tschuttiheftli» High Heels nähmen und zahlungskräftige wenn es irgendwo in der Schweiz noch Firmen sich gerne an den Spielen zeigten. Autonomie gibt, dann in den Stadien!» Ein Fussballevent für alle – und neu auch für Kulturschaffende? Ich konnte es nicht lassen und kon- frontierte die illustre Runde mit meinen Gedanken. Warf ihnen an den Kopf, dass sie doch jahrelang alles rund um Fussball verpönt hätten und man sich wegen Leu- ten wie ihnen jeweils eine Ausrede für ei- nen Stadionbesuch ausdenken musste. («Ich will gar nicht hingehen, aber mein 13
STA DION A LLM EN D Ökonomie Wie interessant ist die Swissporarena für im neuen Stadion langfristig überleben, den Wirtschaftsplatz Luzern? müssen sich möglichst viele Leute aus der Die Fussballbegeisterung in der Inner- Zentralschweiz mit dem Club identifizie- schweiz ist eine gute Ausgangslage, um ren können. mit dem neuen Stadion auch in wirt- schaftlicher Hinsicht erfolgreich zu sein. Welche volkswirtschaftlichen Effekte Fussball ist ein emotionales Geschäft, vie- werden durch den Betrieb der Arena aus- le haben ein Interesse daran, von diesen gelöst? Emotionen zu profitieren. Die Kombinati- Es ist absehbar, dass das neue Stadion on dieser Emotionen mit dem eher nüch- mehr Besucher anzieht, die Auslastung ternen Geschäftsbereich ergibt für Firmen hängt aber wesentlich mit dem sportli- eine interessante Plattform, um Partner chen Erfolg zusammen. Von den höheren oder potenzielle Kunden einzuladen und Besucherzahlen profitiert in erster Linie Geschäftsaktivitäten abzuwickeln. Aller- der FCL, aber natürlich auch Zulieferer, dings hängt die Attrak- tivität dieser Business- Drehscheibe unmittel- «Man ist zusammen erfolgreich, geht aber auch bar mit dem sportlichen Erfolg des FCL zusam- men. Man ist zusam- men erfolgreich, geht aber auch zusammen zusammen unter.» unter. Was muss der FC Luzern unternehmen, Sponsoren, die Wirtschaftsförderung und um das Stadion ökonomisch nachhaltig zu die öffentliche Hand. Aus volkswirtschaft- betreiben? licher Sicht wird es primär eine Konsum- Bei Investitionen im Sportbereich gibt es verlagerung geben, allenfalls auch aus viele nicht beeinflussbare externe Fakto- dem Kulturbereich oder anderen Sportar- ren. Für den sportlichen Erfolg des FC Lu- ten. Regionalökonomisch wird es aller- zern gibt es keine Garantien. Eine Investi- dings erst dann interessant, wenn das tion in ein Stadion ist also immer mit hap- Einzugsgebiet der Besucher erweitert wer- pigen Risiken verbunden. Erschwerend den kann. Ein Gewinn wäre es also, wenn kommt hinzu, dass ein Fussballclub nicht der FCL künftig auch Leute und Sponso- nur aus einer rein unternehmerischen ren aus anderen Kantonen ins Stadion lo- Perspektive gesteuert wird, sondern auch cken kann. Leidenschaft mitspielt. Das heisst, Irratio- nalitäten in der Unternehmensführung Jürg Stettler, können häufiger vorkommen als bei Be- Vizedirektor Leistungsbereich Forschung und trieben, die nach den klassischen ökono- Leiter des Instituts für Tourismuswirtschaft ITW der Hochschule Luzern – Wirtschaft mischen Grundsätzen agieren. Wichtig ist, das Stadion und sein Potenzial realistisch einzuschätzen und auf einen langfristigen Erfolg zu setzen. Der FC Luzern tut gut da- ran, in die eigene Nachwuchsarbeit zu in- vestieren statt teure Stars zu kaufen, nur um möglichst schnell in einem europäi- schen Wettbewerb mitspielen zu können. Nicht zu unterschätzen ist zudem die ge- sellschaftliche Dimension. Will der FCL 14
STA DION A LLM EN D Massenphänomen Fussball Menschen mit unsicherem Status entwi- Etliche Fans lieben die «Kuhstallwär- be an sportlichen Erfolgen muss andere ckeln durch die Zugehörigkeit zur Masse me der Gemeinschaft», die von der Aus- Misserfolge wettmachen. Der Übergang zu ein Gefühl von Macht. Sie wachsen über grenzung anderer lebt. Die distanzlose chauvinistischen und nationalistischen Tendenzen ist fliessend. Die Verehrung irgendwelcher Hel- «Etliche Fans lieben die den, ob schwarz oder weiss, hat viel mit der eigenen Person zu ‹Kuhstallwärme der Gemeinschaft›, tun: Ich schätze an andern, was ich nicht habe und gerne die von der Ausgrenzung anderer lebt.» haben möchte; oder mich stört an andern, was ich an mir selbst nicht mag. Was individu- ell ein wenig hilft, ist die Frage: sich hinaus, lassen ihren Aggressionen Bande unter Zugehörigen kontrastiert die Was verliere ich, wenn ich nicht gewinne? freien Lauf, rivalisieren auch gerne mit Ellbogenmentalität der kühlen Geschäfts- Sie schafft Distanz zum Geschehen. den Ordnungskräften, die nicht selten in welt, die im Wettkampf reproduziert wird. Glücklich ist, wer ohne Siegen lächeln Vollmontur zu den Fussballspielen auf- Es geht um Sieg und Niederlage. Wer sich kann. Aber dieses Verständnis kommt marschieren. Ein wenig Radau gehört selber schwach fühlt, identifiziert sich ger- nicht von alleine. Wichtig ist eine Fankul- zum Spektakel. Gemässigtes Dampfablas- ne mit Starken. Er kuscht nach oben und tur, bei der Niederlagen keine Tragödien sen wird toleriert. «Gute Sprüche» gelten gibt den Druck nach unten weiter. Schwa- sind. Im Fussball sind Win-win-Strategien als Markenzeichen. Wenn ein «Du che treten noch Schwächere. Das Fuss- möglich. Gute Fanarbeit vermittelt diese schwarze Sau verrecke!» bis zu den teuers- ballstadion dient als Ventil. Hier lassen Haltung. Sie entfaltet sich nicht auf Kos- ten Tribüneplätzen dringt, schmunzeln sich Ressentiments gegenüber scheinbar ten von andern. Sie fördert die Auseinan- einzelne Geschäftsleute, andere verziehen Andersartigen ausleben. Stars aus «exoti- dersetzung mit Fragen, die über das Spiel- die Mundwinkel. Sie selbst titulieren die schen» Kulturen bieten sich als Projekti- feld und die Tribüne hinausreichen. Die «Versager» allenfalls als Tölpel, Stümper onsfläche an. Sie werden idealisiert und Fanarbeit ist aus meiner Sicht von hohem oder als Hanswurst. Wir kennen das. verteufelt. Die beiden Extreme liegen na- Wert, sozial und pädagogisch. Ich danke Wenn der FC Basel gegen den FC Zürich he beisammen. allen, die sich dafür engagieren, und freue spielt, ist – ritualisiert – ein wenig Krieg Im Sport gibt es die Begeisterung aus mich, wenn Fankulturen kreativ, lebendig im Spiel. Die Kommerzialisierung des spielerischer Freude. Es gibt aber auch die und stimmig sind. Sports fördert dessen Brutalisierung. Es übermässige Identifikation. Sie soll den Ueli Mäder, geht um Geld, Prestige und mehr. Frust im Alltag kompensieren. Die Teilha- Ordinarius für Soziologie an der Universität Basel 15
STA DION A LLM EN D FCL-Marketing Mit dem neuen Stadion schreitet die Kom- Von den «richtigen» Fans missgünstig merzialisierung sprunghaft voran – der als «Cüplitrinker» abgestempelt, reissen Sport wird zum Event. «In der Swisspora- sich die Clubs mit ihren neuen Arenen um rena wird Fussball zum Lifestyle», heisst die zahlungskräftigen Gäste. Und das ist der prägnante Werbeslogan auf zahlrei- aus wirtschaftlicher Sicht durchaus ver- chen Plakaten in der Innerschweiz. Ge- ständlich. Ein Logen-Zuschauer lässt deut- lungene Werbung sieht anders aus. Den lich mehr Geld im Stadion liegen als ein Stehplatz-Fan: Letzterer mag zwar wäh- rend des Spiels zwei, drei Bierchen trin- Kommerz – die Fussballseuche ken, kommt mit seinem Konsum aber nie und nimmer an das Drei-Gang-Menü des VIP heran. Solche «Kunden» wollte der FC Luzern eigentlich mit seinen Plakaten erreichen – bevor er sich öffentlich demü- Fans stehen verständlicherweise die Haa- tigen und von seinen Anhängern vorfüh- re zu Berge. Auf kreative Art und Weise ren lassen musste. wird das Marketing des FCL parodiert. Im Es ist das alte Lied vom Kommerz und FCL-Forum finden sich Dutzende «liebe- seinen Auswüchsen. Als Fussballfan im voll-ironischer» Plakate. 21. Jahrhundert muss man ihn wohl oder Neue Stadien bieten die Möglichkeit, übel hinnehmen. Verständlich also, dass ein Publikum anzulocken, das sich früher viele Fans des FC St. Gallen dem Abstieg nicht in die altehrwürdigen Spielstätten in die Challenge League auch etwas Positi- verirrte. Von VIP-Zuschauern ist die Rede. ves abgewinnen können. In Biel, Chiasso Leute ohne Fussballvergangenheit. Es oder Carouge herrscht schliesslich noch geht um Geschäftsbeziehungen, ums Es- «heile» Welt. Alte Stadien, vielleicht auch sen, um Kultur – sprich um den Event als schlechte Sicht, aber kein Stadion-TV, kei- solchen. Das Gekicke wird zuweilen als ne «Kiss-Cam», keine penetranten OBI- nettes Nebenbei zur Kenntnis genommen. Biberli wie in Bern. Keine YB-Fanbox für Grüsse ans ganze Stadion. Und keine mehrbesseren VIPs. «Weniger ist manch- mal mehr», sagen sicherlich auch einige Österreicher. Dort heisst die höchste Spiel- klasse «tipp3-Bundesliga powered by T- Mobile». Ohnehin soll einmal gefragt sein: Was ist eigentlich für ein Fussballspiel vonnö- ten? Braucht es Begriffe à la Marketing, Public Relations, Branding, Events, Wer- bung oder Public Affairs? Oder doch eher 22 Spieler, ein Schiedsrichtertrio und ei- nen Ball? Beim FC Luzern wäre man gut beraten, sich diese Frage noch einmal gut durch den Kopf gehen zu lassen. Marco Latzer, Online-Redaktor Fan-Page FC St.Gallen (fcsginfo.ch) 16
STA DION A LLM EN D FCL-Hymne Die neue FCL-Hymne «Mer send din Der Hymnentext wurde auf Wunsch des zwölfti Maa» stammt unter anderem von FCL abgeschwächt. dir, wie kam das? Dass der Verein die erste Textversion nicht Diego Stocker ist Initiant der Fan-Doppel- durchgehen lässt, war dem Textteam klar, CD «So genannti Fuessballsongs» (siehe weshalb es gleich Alternativen vorgelegt Kasten). Es war für mich klar, dass der hat, welche dann verwendet wurden. Für Text für die Hymne aus der Kurve stam- mich ist das kein Problem. Der Originalti- tel «Hemmel ond Höll» «Besch en Lozärner, denn hesch hat mir besser gefallen als der jetzige. Auf der dis Härz am rächte Fläck / Fressisch au Fan-CD ist der Song im Original. mol Gras ond dis Liibli strotzt vor Dräck.» Welches ist die beste Fussballhymne, die du kennst? men soll. Das Anliegen, die beiden Sub- «Always Kick’n’Rush» von den Neutones. kulturen Musik- und Fanszene zusam- menzubringen, hat meiner Meinung nach Deine Meinung zur Vorgänger-Hymne «Ei super funktioniert. Stadt i de Schwiiz»? Ein Hit, der im Stadion super funktioniert. Was ist die Aufgabe einer Hymne? Mein Song wird wohl lange im Schatten Sie sollte nicht zu offensichtlich eine dieses Tracks sein. Hymne sein und ihr Ohrwurmpotenzial langsam ausspielen, dafür lange im Ohr Wieso sind eigentlich auffallend viele Kul- bleiben. Mein Ziel beim Produzieren war, turschaffende Fussballfans? einen im Vergleich zu anderen Stadi- Fussball und Musikmachen haben viele onsongs eher schlichten Track zu machen. Gemeinsamkeiten: Teamwork, Training, Man muss ja nicht immer mit der grossen Leaderfiguren, Mitläufer, Aufsteigen, Ta- Kelle anrichten. Etwas Demut schadet nie, gesform ... weder in der Rockmusik noch beim Fuss- ball. Tobi Gmür, Musiker / Produzent und FCL-Fan seit 7 Hattest du grossen Respekt vor dieser Auf- gabe? Die Fan-Doppel-CD «So genannti Fuess- Oh ja, und wie! Die ersten Tage nach Er- ballsongs» erscheint zur neuen Saison. Die halt des Auftrags wollte mir gar nichts in Texte stammen von Vertretern der Fanszene, den Sinn kommen. Und ich habe schon die Musik unter anderem von Count Gabba, jetzt, vor dem ersten Match, schlaflose Henrik Belden, Karin Steffen (My Baby the Bomb), Roman Schmidt (Channel 6), Mau- Nächte! Ich muss auch damit rechnen, ro Guarise (Monotales) und das Artwork von gnadenlos ausgepfiffen zu werden. Das René «Kosmonaut» Sager. Erhältlich im Stadi- nehme ich aber gerne in Kauf. on, via Internet sowie im Café Meyer. www.fussballsongs.ch 17
SCH WA N EN PLATZ Der Ort ohne Nullpunkt Der Schwanenplatz: Schmelztiegel unzähliger Cars und Touristen. Wenn die Läden schliessen, endet sein Nutzen. Protokoll einer 24-Stunden-Beobachtung. Von Patrick Hegglin (Text und Bilder) zur Kapellbrücke. Keine Zeit zu verlieren. Auch der Car geht wie- der und der Platz bleibt so leer wie in den Stunden zuvor. Nur kurz allerdings. Keine zehn Minuten nach dem ersten trudelt der zweite Car ein. Ein blauer, Schriftzug und Nummernschild outen ihn als Holländer. Das Spiel ist ähnlich wie vorhin, nur dass es diesmal kaum nötig ist, die Regenschirme aufzumachen; Ziel ist der Bucherer. Und nur Sekunden später nimmt eine weitere Gruppe vor dem Edelgeschäft Aufstellung. Es wird ein Kreis um die augenscheinliche Gruppenleiterin gebildet. Diese erzählt für eine Minute oder zwei in bestimmtem Tonfall ein paar Sachen, bevor man sich ins Geschäft begibt. Seit 9 Uhr kommen die Cars im 5-Minuten-Takt. Bei bisher beobachteten Reisegruppen zwischen 15 und 50 Menschen wird bis zum Mittag eine ganze Menge an Touristen zusammenge- kommen sein. Und ich realisiere: Der Bucherer ist nicht nur ver- DER PUNKT DER GERINGSTEN BEWEGUNG (5–8 UHR) dammt teuer, sondern auch verdammt gross. Dieses Monster Es ist früh. Es ist verdammt früh. 5 Uhr morgens und ich hocke scheint sich halb Asien einverleiben zu wollen. auf einem Balkon über dem Schwanenplatz. Hie und da stampft 9.18 Uhr: Zwei Cars kommen gleichzeitig an. Etwa achtzig Touristen jemand vom Ausgang nach Hause, mit gesenktem Kopf oder in strömen in den Bucherer. Gruppen, die viel zu laut reden. Der Autostrom sucht noch sei- Was treiben eigentlich die Einheimischen? Sie passieren den nen Rhythmus, doch die Geräusche der unaufhörlich vorbei- Platz. Der Schwanenplatz ist für Luzerner ein Ort, an dem man brummenden Kraftwagen machen sich für einen weiteren Tag vorbeigeht. Es wird einem ja auch kaum was geboten; eine Hand- bereit. Es ist der Moment, in dem sich früh und spät begegnen. Es voll bezahlbarer Geschäfte für den Normalbürger, eine Passage ist der Beginn eines Samstags am Schwanenplatz. in die Altstadt, eine Gelegenheit, den Bus zu wechseln – und 5.10 Uhr: Der erste 1er-Bus kommt und geht. Ein Sturzbesoffener heute ein Sonnenschirm und ein hübsches Mädchen mit einem ruft nach einem Taxi, beschimpft diejenigen, die nicht halten, und steigt roten Klemmbrett, platziert von den Grünen. Der Erfolg ist mä- nach kurzem Kampf mit der Tür in eines ein. Gute Nacht. ssig. Das hübsche Mädchen mit dem roten Klemmbrett wirkt ein In den folgenden Stunden kommt langsam, sehr langsam, Le- wenig traurig. ben auf am Schwanenplatz. Die Fussgänger häufen, das Busnetz Kurz nach 10 Uhr holt der blaue Bus aus Holland seine Reise- spannt sich, ein paar Jogger sind zu beobachten. Den Punkt der gruppe wieder ab. Rund eineinhalb Stunden waren sie da, aus- geringsten Bewegung – einen absoluten Nullpunkt scheint es schliesslich im Bucherer. nicht zu geben – findet man zwischen halb 7 und 7. Es ereignet Es regnet nun richtig. Alles versteckt sich unter Dächern, Re- sich wenig. Wer jetzt schon unterwegs ist, wirkt müde und ver- genschirmen oder Regenmänteln. Mit Ausnahme zweier kleiner schlossen. Ich kämpfe gegen den Schlaf. Kinder, die lachend in den sich bildenden Pfützen rumhüpfen. Nicht lange allerdings, bevor sie mit sanfter Gewalt von ihrer STARTET DIE MASCHINEN (8–12 UHR) Mutter weitergezogen werden. Der erste Car trifft um 8.26 Uhr ein und entlässt seine Fracht 10.45 Uhr: Das hübsche Mädchen von den Grünen macht sich – sei es asiatischer Touristen. Unweigerlich denke ich an das Pressezelt in fertig oder habe es aufgegeben – mit dem Fahrrad davon Richtung Alt- «Fear and Loathing in Las Vegas»: «Hey, sie starten!» – «Oh stadt. Scheisse, sie starten!» Und verlasse meinen Balkon, um mir das Spektakel aus der MITTAGSSTUND Nähe anzusehen. Das Unterfangen lohnt sich kaum. Die An- Kurzer Abstecher, um etwas zu essen zu besorgen. Auch in der kömmlinge klappen ihre bunten Regenschirme in allen Variatio- Altstadt wimmelt es von Fotoapparaten und Kameras. Beginne nen aus, folgen dem Chefregenschirm und begeben sich speditiv mich zu fragen, auf wie viele Bilder und Videos ich mich heute 18
SCH WA N EN PLATZ schon aus Versehen gestohlen habe. Bin wohl auch bald «Big in DIE PARTY STEIGT WOANDERS (19.30–0 UHR) Japan». Unterdessen lässt sich auch die einheimische Bevölke- Mit dem Ladenschluss verschwinden die Touristen. Es dauert rung vermehrt blicken. Sie verweilt aber nicht. Einkaufstasche in noch einige Zeit, bis jeder Car seine Fracht wieder hat, dann ist der einen, Regenschirm in der anderen Hand, immer bemüht, so der Platz zum ersten Mal seit elf Stunden so richtig leer. Und das schnell wie möglich ins Trockene zu kommen; so präsentiert bleibt er auch. Verkehrsknoten sind selten Partymeilen. In einer man sich. der Passagen gäbe es eine Sportbar, aber die Saison ist vorbei. Bisher beobachtete Utensilien von Gruppenführern: gelbe Nein, mit den Öffnungszeiten der Geschäfte endet auch der Nut- Plastikblumen, Regenschirme, vorzugsweise gelb oder rot, Fähn- chen, eine weisse Plastiktüte. WANN SOLL ICH SONST EINKAUFEN GEHEN? (13–19.30 UHR) Der Übergang von Mittag zu Nachmittag verläuft fliessend. Cars karren Touristen heran, und wer die Sehenswürdigkeiten schon kennt, geht vorbei. 14.52 Uhr: Ein Hupkonzert erschreckt diverse Touristen. Eine Hoch- zeitsprozession fährt vorbei. Die Hochzeitsprozession kehrt noch einmal zurück und macht kurz Halt. Die gerade anwesenden Touristengruppen schiessen wild Fotos. Die Autos setzen sich wieder in Bewegung und hinterlassen viel Gesprächsstoff. Eine neue Gruppe kommt an. Der Reise-Älteste filmt mit kindlicher Freude den Bucherer und macht sich dann auf in Richtung Kapellbrücke. Er ist einer von wenigen Touristen heu- te, der nicht wie auf einem langweiligen Schulausflug drein- schaut. Das einzige Kind in der Gruppe dagegen, ein feister Jun- ge, hämmert mürrisch mit den Fäusten gegen die Telefonkabine, bis er von seiner Mutter mit über die Schultern gelegtem Arm liebevoll abgeführt wird. Wie um das Gegenstück dazu zu de- monstrieren, stampft ein Prachtexemplar der Samstagnachmit- tag-Stadteinkauf-Mutter (die stammen aus den Zonen zwischen den Agglomerationen und werden von der Notwendigkeit des Kleiderkaufens in die Stadt getrieben, oftmals leicht reizbar) vor- bei und schnauzt den Sohnemann im Primarschulalter mit «Jetzt isch aber fertig, gopfertammi!» an. Mutter und Sohn – in zen des Platzes. Nicht jener der Bushaltestelle oder der Strasse. dieser Reihenfolge – marschieren zum Bahnhof, eingekauft wur- Aber der des Platzes. Wer nach Hause will, fährt oder geht vorbei, de den Taschen nach zu schliessen in C&A & H&M. wer in den Ausgang will, fährt oder geht vorbei, wer sich irgend- 15.30 Uhr: Eine Gruppe junger Männer mit Brillen, nach hinten ge- wo hinsetzen will, geht woanders hin. schmierten Haaren, karierten Hemden und Hosenträgern kommt lär- mend vorbei. Ist es eine Feier zu Ehren der beendeten Maturaprüfungen? LASST UNS ALLE NACH HAUSE GEHEN (0–3.48 UHR) Ist es eine Anti-Hipster-Demo? Ein bisschen etwas gibt es dann doch noch zu sehen. Den Beginn Wir nähern uns dem Abend – und dem Ladenschluss des dessen, was sich schon vor rund 20 Stunden abgespielt hat: Men- grossen B. –, das Treiben wird wilder. Was auch mit dem Ende schen, die vom Ausgang nach Hause gehen. Manche wechseln des Regens vor etwa zwei Stunden zu tun haben mag. Ein mit auch bloss das Lokal. Jedenfalls stampfen wieder Gruppen vorbei drei Kameras behängter Japaner fotografiert seinen bloss mit ei- und reden zu laut oder es huschen Gestalten mit gesenktem Kopf ner Kamera behängten Kollegen, gleich daneben posiert ein Pär- durchs Dunkel. Das Verhältnis von nüchtern zu betrunken gestal- chen und ein pakistanisch anmutender Mann filmt alle zusam- tet sich ausgeglichen. Ich bin wieder da, wo ich vor beinahe 24 men. Es stehen fünf Cars auf dem Platz. Einer fährt weg, sofort Stunden war. Nahe dem Punkt der geringsten Bewegung. wird sein Platz eingenommen. Auf der Strasse geht es ziemlich 3.48 Uhr: Mein letzter Nachtbus fährt. Ich kann nicht widerstehen. chaotisch zu. 19.30 Uhr: Der Bucherer schliesst. Herzlichen Dank an das Architekturbüro Bauconsilium AG für den Balkon 19
R A DIO 3FACH «Ich las Musikheftli und kaufte CDs» Sein Musikprogramm machte das lokale Jugendradio 3fach national bekannt. Nun erhält es einen neuen Musikredaktor: Kilian Mutter folgt auf Stefan Zihlmann. Zeit für ein Gespräch und einen Blindtest. Von Jonas Wydler, Bilder Franca Pedrazzetti Kilian, wie hat Stefan den Job als Musik- redaktor erledigt? Mutter: Ich wurde erst durch seine Musik zum 3fach-Fan. Als ich frisch beim Radio begann, ging ich sofort zu ihm und sagte: «Hör hier mal rein!» Es begann schnell ein Austausch, und bei Diskussionen über die musikalische Aus- richtung stand ich oft hinter ihm. Das Musikprogramm wird im Team dis- kutiert? Mutter: Es kommen Fragen auf: Etwa, wieso nicht härtere Songs im Tages- programm laufen. Wieso es diese höreran- gepasste Melange aus Indie, Hiphop und Reggae ist. Zihlmann: Die meisten, die hier arbeiten, sind musikbegeistert, so ha- ben wir 30 Leute, die uns Feedbacks ge- ben. Wir haben ja keine demoskopischen Studien, und Charts sind für uns ebenfalls nicht relevant, also müssen wir mit Leu- ten sprechen. Es ist nicht immer einfach mit so vielen Geschmäckern, deshalb wird mindestens einmal im Jahr die Ausrich- Musikredaktoren am Arbeitsplatz: tung grundsätzlich diskutiert. Im Sommer stehend: Kilian gehen wir wieder über die Bücher. Mutter, sitzend: Stefan Zihlmann Ich behaupte, Musikredaktor ist der wich- tigste Job, 3fach wird hauptsächlich we- gen der Musik gehört. Mutter: Die Musik hat einen sehr hohen Stellenwert, wir ha- ben ein Nonstop-Musikprogramm, das 80 bis 90 Prozent ausmacht. Zihlmann: Es Fucked up oder Fleet Foxes spielt man ein- mehr hören wollen. Zihlmann: Der ist das, was man direkt mitbekommt, die fach. Vielleicht setzt jemand mehr auf 3fach-Hörer will nicht den Plastikpop, Oberfläche. Doch dahinter passiert so viel, Black Music, aber das sind letztlich 10 Pro- das ist das Hauptkriterium. Und die Afici- etwa das Marketing und das Administrati- zent, die ändern. Es wird also unter Killi- onados organisieren sich eh selber – für ve, wir kämpfen immer um Geld. Die an nicht nur noch Brooklynsound laufen. jene ist 3fach schon zu wenig zielgerich- Identifikation läuft jedoch über Musik, tet. Ich war früher auch nicht der klassi- aber es kommt gar nicht so auf die Person Habt ihr viele Hörerreaktionen? Mutter: sche Radiohörer und wurde nicht mit an, der Geschmack spiegelt sich nur in Wenig, aber wenn man direkt fragt, sind «Sounds!» sozialisiert. Ich las Musikheft- Nuancen. Sachen wie TV on the Radio, sie zufrieden. Ausser dass sie ihren Stil li und kaufte CDs. 20
R A DIO 3FACH «Keinen Plastikpop»: Noch-Musikchef Stefan Zihlmann. Könntet ihr euch vorstellen, Musikredak- tor bei Radio Pilatus zu werden? Zihl- mann: Seit Marco Liembd (ehemaliger 3fach-Musikredaktor, Red.) das macht, fragte ich mich, ob ich das könnte. Vom Handwerk her sicher, aber die Musik ... (überlegt) Ich habe keinen Bezug zu Charts und kommerzieller Popmusik, die- ses Affentheater geht an mir vorbei. Das wär, als würde ich als Vegetarier in einer Metzgerei arbeiten. Wird man als 3fach-Musikredaktor zwangs- Kennt ihr den Vorwurf: Ihr spielt nie, was mehr? Mutter: Wenn eine Band vom ei- läufig als Nerd bezeichnet? der Masse gefällt? Mutter: Das ist ja das nen zum anderen Album viel grösser Zihlmann: Es ist interessant, auf die bis- Ziel. Zihlmann: Wir sind ein Unikom-Ra- wird, wie Kings of Leon in den letzten herigen Musikredaktoren zurückzu- dio und erhalten Geld aus dem Gebühren- Jahren, braucht sie diese Plattform nicht schauen. Marco Liembd war eher extro- topf. Unser Auftrag ist, uns von den privaten mehr. Zihlmann: Ich finde es nicht arro- vertiert, der Macher. Remo Helfenstein und den öffentlich-rechtlichen Radios abzu- gant, wenn man eine Band gehen lässt. war gewissermassen der Dorfhirsch. Mar- grenzen. DRS 3 bietet auch nicht mehr die Die ersten beiden Alben von Kings of Leon cel Bieri kam aus dem Singer/Songwriter- Alternative, wie das anfangs die Idee war. liefen hier rauf und runter, jetzt füllen sie tum. Es waren alle verschieden, ich war das Hallenstadion und es läuft im H&M, dann der erste mit Hornbrille. Man muss Angenommen, ihr findet eine Band toll das kleine 3fach muss das nicht auch noch sicher kein Nerd sein, aber eine gewisse und passend fürs 3fach, gleichzeitig ist sie spielen. Oder als Luzerner Beispiel Henrik Vertiefung braucht es. in den Charts. Spielt ihr sie dann nicht Belden. Das zweite Album spielen wir nicht mehr oft, aber das war nicht mehr nötig, da er im DRS 3 und auf Pilatus läuft. Er hats geschafft. 3fach spielt auch viele lokale Bands. Was, wenn ihr findet, dass eine Band nicht ge- nügt. Darf man sie dann ablehnen? Mut- ter: Wir schauen auch da auf die Qualität und überlegen, was passt. Nur weil es aus Luzern kommt, heisst es nicht, dass wirs spielen. Zihlmann: Als ich hier begann, Ziel ist nicht der hatte ich damit Mühe, ich war zu wähle- Massengeschmack: risch. Eine Luzerner Band kann nun mal Neo-Musikchef Kilian Mutter. nicht gleich tönen wie eine internationale. Ich musste da hineinwachsen. Man soll alles gut anhören, ernst nehmen, so viel spielen wie möglich, denn wir haben viel gute Luzerner Musik. Am Anfang wurde 21
R A DIO 3FACH bei 3fach die Luzerner Musik eher durch- Generationenfrage ... Bands wie Highfish und konzentriert sich nie lange auf dassel- gewinkt. oder Neviss sind nicht mehr präsent. Und be Album. Ich musste die Rolle erst ler- Marygold machen jetzt Tanztheater nen, für Kilian ist das völlig normal. Luzern hat eine rege Szene, die viel Gutes (lacht). Im «Magazin» des «Tages-Anzei- abwirft, einverstanden? Zihlmann: Ja, gers» war vor einigen Wochen ein Artikel Schlussfrage: Welche Luzerner Band ge- da wächst etwas. Einerseits mit dem Hi- über Bands aus Basel, Bern und Zürich. fällt euch momentan am besten? Beide: phop-Grüppchen um GeilerAsDu, ande- Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewe- Dans La Visage. Mutter: Hier ist dieses rerseits in der DJ-Szene im Clubbereich. sen, dass da Luzern fehlt. Andererseits Low-Fi-Ding mit elektronischen Einflüs- Und interessant ist, dass um Field Studies, wird in ein paar Jahren Luzern wieder sen etwas vom Interessantesten. Im poppi- Dans La Tente, Dans La Visage Projekte präsent sein. geren Bereich bin ich immer noch grosser entstanden, die offener zusammenarbei- Fan von Alvin Zealot, in ihnen sehe ich ten. Eine Entwicklung, wie sie in der heu- Was macht man nach dem Job als 3fach- das grösste Potenzial. tigen Popmusik normal ist. Du hast Gerät- Musikredaktor? Zihlmann: Das ist defi- schaften, Software und kannst selber et- nitiv schwierig, die Deutschschweizer Ra- was aufnehmen. Nicht wie vor zehn diolandschaft ist sehr klein und die Uni- Jahren, als man immer eine Woche Stu- kom-Radios sind regional verankert. Beim Kilian Mutter (21), seit eineinhalb Jahren bei dio mieten und finanzieren musste. öffentlich-rechtlichen Radio gibt es nur 3fach, machte bisher das Indie-Special «Indi- «Sounds!». Ueli, der zweite Musikredak- aner» und ist Redaktor und Moderator in der Ist der Brand «Rock City» vorbei? Zihl- tor bei 3fach, ging nach Deutschland zu Vorabendsendung «Stooszyt». Daneben mit mann: Ja, und ich denke, das ist gut so. Motor.fm. Liembd zu DRS 3, er war zur seinem Musikblog www.guerolitomusic.com Mutter: Das war der Garagen- und Punk- richtigen Zeit am richtigen Ort. und als DJ (Guerolito Soundsystem) aktiv – rock, der Luzern prägte. Jetzt werden aus neu auch am British in der Schüür. verschiedenen Sparten wie Elektronik Wirst du wieder einen anderen Zugang und Rock Elemente verknüpft. Weiter zur Musik finden? Zihlmann: Ich hoffe. Stefan Zihlmann (30) verlässt altershalber nach dreieinhalb Jahren das Radio 3fach. Er gibts im Sedel Projekte, die extremes Po- Die Tiefe, die Liebhaberei blieb schon auf geht zunächst reisen. tenzial haben. Zihlmann: Es war eine der Strecke. Man ist Jäger und Sammler BLINDTEST 1. Easy Tiger: «Electric Weirdos» 4. Silhouette Tales: «Fade away» 7. Coal: «Trust is a Choice» (Sofort erkannt) (Nicht erkannt) (Sofort erkannt) Stefan: Wir haben die Single gespielt. Kilian: Kilian: Flink? ... nein. (Pause) Stefan: Alice in Stefan: Ich hab die CD durchgehört, ich finds Er bleibt sich treu, das ist schön. Chains? (lacht) schwermütig. Manchmal sogar schwerfällig. 8. Schnellertollermeier: «Love in the Time of Easy Tiger. Stefan: Die Nachfolgeband von Me- 5. Field Studies: «Field Studies about Future Cholera» (Sofort erkannt) latonin. Mir gefiel ihre EP, dieser Song ist mir Generations» (Sofort erkannt) Stefan: Wir haben die CD nie erhalten, was zu grungig. Kilian: Die Idee der Split-LP hätte Stefan: Gehört zu den interessanten Bands ... ich schade finde. Ich renne den Luzerner Sa- ich hier nicht erwartet. Kilian: Nur schon wegen der Vermarktungs- chen nicht hinterher. Wir haben genügend Ge- 2. Tunica Dartos: «Tischfussball» idee (via Zahnbürste, Red.) fässe, um das redaktionell zu bearbeiten. Oder (Sofort erkannt) 6. Huck Finn: «Never Disappear» fürs Nachtprogramm, aber nicht in der Heavy Kilian: Wir spielten sie im Indianer. Stefan: (Sofort erkannt) Rotation. Ich schätze sie als Live-Band sehr, das sind su- (Beide seufzen.) Kilian: Ein bis zwei Songs ge- 9. Flink: «Watching the Sun»(Sofort erkannt) per Musiker. Jetzt höre ich nicht mehr so viel fallen mir, es war ja Burner der Woche. Der Kilian: Das Album gefällt mir sehr gut, war Post-Rock, das ist Liebhaber-Genre-Musik. Rest ist eher belanglos. Stefan: Entspricht mir auch Burner. Sehr eingängige Songs. 3. Sway 89: «Keep on Rocking» (Nicht erkannt) nicht so, aber es ist sicher ein gutes Album. Stefan: Muss ich auch etwas sagen? Nein? Stefan: Reto Burrell? Keine Ahnung. Kilian: Diese Synthie-Sachen find ich schräg, ein we- Gut. Auch nicht Baby Genius. Stefan: Pee Wirz? nig Kilbi-Techno. Kilian: Es wirkt gesucht, 10. Spooman: «Für alli.» (Erkannt) Nein, das ist zu hart, er macht ja Country. Ich das hätte es gar nicht gebraucht. Jede heutige Stefan: Steven Egal? Nein, der Bündner ... finds übel. Ist das älter? Kilian: Das typische Band hat Synthies ... aber ein gut produziertes Kilian: Wie heisst er? Spooman! Rock-City-Dings. Album. Stefan: Ihr hattet im Kulturmagazin Stefan: Er machte ja ein Album als Dynamic Sway 89. Stefan: Aaah, ok. Das haben wir nie geschrieben: zeitgeistig ... das liest man über- Duo. Das spielte ich nicht, weil er mit 35 im- gespielt, sie waren mal im Gaffa. Das ist nicht all. Aber das ist Britpop zwischen 2000 und mer noch Hiphop machte wie 1995. Musika- 3fach-Musik, sie spielten im Stadtkeller, das 2005. Es ist nicht schlecht, aber nicht unbe- lisch ist das nicht mehr so relevant. passt besser. dingt auf der Höhe der Zeit. 22
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