Desaster, Durchbruch oder Dilemma? - Leibniz-Institut ...

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Beiträge zum demokratischen Frieden

© 2008 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung/Peace Research Institute Frankfurt                                                      Nr. 5/2008

 Desaster, Durchbruch oder Dilemma?
 Plädoyer für einen pragmatischen Umgang mit der indisch-amerikanischen Nuklearkooperation

   E    D     I   T    O     R    I    A    L

   Der empörte Aufschrei der Rüstungs-
   kontrollbefürworter war unüberhörbar:
   Wieder einmal eine außenpolitische
   Fehlentscheidung der amerikanischen
   Bush-Regierung – und dieses Mal mit
   dramatischen Folgen für die globale Rü-
   stungskontrolle und Abrüstung.
     Was ist passiert? Die USA haben mit In-
   dien, das dem Atomwaffensperrvertrag
   (NVV) bis heute nicht beigetreten ist, ein
   Nuklearabkommen geschlossen. Dieser
   „Atom-Deal“ wird es Indien zukünftig
   erlauben, Technologien und Material für
   sein ziviles Nuklearprogramm zu impor-
   tieren. Im Gegenzug unterstellt es den zivi-
   len Teil (nur diesen!) seines Nuklearkom-
   plexes internationaler Aufsicht.               Zwei, die sich gut verstanden: Ex-U.S.-Präsident George W. Bush und der indische Premierminister Man-
     Damit kann Indien eigene Ressourcen          mohan Singh. Während fast auf der ganzen Welt die Sympathiewerte für George Bush im Laufe seiner
   in sein Nuklearwaffenprogramm fließen          Amtszeiten rapide sanken, wurde der amerikanische Präsident in Indien immer beliebter. Foto: Picture alliance
   lassen, ohne dass die entsprechenden An-
   lagen kontrolliert werden. Bisher waren                                                                Schulter zeigte, ist die Beliebtheit der USA
                                                                    Carsten Rauch
   Nukleargeschäfte mit Ländern, die nicht                                                                und ihres 43. Präsidenten so hoch wie nie
   dem NVV angehören, verboten.                                                                           zuvor.1 Ein wichtiger Bestandteil dieser,
     Indien erhält so scheinbar eine attrak-      Am 20. Januar 2009 wurde Barack Obama                   schon unter Präsident Clinton begonnenen
   tive Sonderregelung, die wenig Verpflich-      zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten             Annäherung, war der von Bush und dem in-
   tungen, dafür aber interessante Perspekti-     von Amerika vereidigt und die Welt atmete               dischen Premierminister Manmohan Singh
   ven bietet. Die Liste der möglichen Folgen     auf. Die Hinterlassenschaft von George W.               ausgehandelte so genannte Atomdeal, ein
   ist lang: Neues Wettrüsten in Südasien,        Bush, zumal in der Außenpolitik, wird ge-               Abkommen über indisch-amerikanische
   Entwertung des NVV, Behinderung der            meinhin als Katastrophe wahrgenommen:                   Nuklearkooperation.
   globalen Abrüstung, „Bestrafung“ ver-          Die Lage in Afghanistan und im Irak ist                   Während die verbesserten Beziehungen
   tragstreuer Staaten usw. Carsten Rauch         nach wie vor dramatisch. Die Beziehungen                zwischen den USA und Indien auch von
   distanziert sich von dieser apodiktischen      zu Russland sind frostig. Neben dem „alten              Gegnern der Bush-Regierung allgemein als
   Verurteilung und versucht eine Bewer-          Europa“ gingen zuletzt auch vormals treue               Erfolg anerkannt werden, ist dieser Deal auf
   tung aus einer anderen Perspektive: Was        Verbündete auf Distanz zu Bushs „Krieg ge-              enorme Kritik in den Medien, der Öffent-
   wäre gewesen, wenn der Deal nicht zu-          gen den Terror“. Fast überall auf der Welt              lichkeit und vor allem in der „Rüstungs-
   standegekommen wäre? Hätte das wo-             sind die Sympathiewerte der USA auf einem               kontroll-Community“ (siehe Randspalte
   möglich auch negative Auswirkungen             historischen Tiefstand – mit einer Ausnah-              S. 7) gestoßen.Eine interessante Ausnahme
   gehabt? Sind die negativen Folgen wirk-        me: Die Beziehungen zu Indien haben sich                stellt, nebenbei bemerkt, der Chef der inter-
   lich zwangsläufig? Er wagt einen prag-         während der Bush-Regierung deutlich ver-                nationalen Atomenergiebehörde Mohamed
   matischen Blick und kommt zu überra-           bessert. Ausgerechnet in Indien, das den                el-Baradei dar, der den Deal in mehreren
   schenden Ergebnissen. Karin Hammer             USA im Kalten Krieg stets die ebenso kalte              Interviews ausdrücklich lobte.
Ein gravierendes Manko im Umgang vie-        Die Nuclear Suppliers Group (NSG)
ler Kritiker mit dem Abkommen bildet in-
des eine Art doppelter „Tunnelblick“. So
versäumen sie es erstens, über das begrenzte
Feld der Rüstungskontrolle hinauszuschauen.
Zweitens gilt ihr Blick nur den Gefahren des
Atomdeals. Sie unterlassen es damit, sowohl
die Chancen des Abkommens angemessen zu
würdigen als auch die möglichen Gefahren
eines Scheiterns in den Fokus zu nehmen.
  Dieser Standpunkt wird im Folgenden zu-
nächst kurz Inhalt und Zustandekommen
des Abkommens erläutern. Sodann werde
ich mich mit vier zentralen Kritikpunkten
auseinandersetzen, die von vielen Gegnern
des Abkommens vorgebracht werden. Au-
                                               Die Gruppe der nuklearen Lieferländer (Nuclear Suppliers Group, NSG) wurde als Reaktion auf die in-
ßerdem werden Gefahren diskutiert, die         dischen Atomversuche von 1974 gegründet. Ihre Mitglieder beschäftigen sich mit der Festlegung von in-
mit einem Scheitern des Deals verbunden        ternationalen Richtlinien zur Exportkontrolle von Materialien, die auch für den Bau von Nuklearwaffen
gewesen wären, aber auch die Chancen des       benutzt werden können. Ihre Entscheidungen trifft sie im Konsens.
Atomdeals, die in der Debatte bisher zu        Mitglieder sind heute: Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland,
                                               Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Kasachstan,
kurz kommen. Zusätzlich werden Möglich-
                                               Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Polen,
keiten vorgeschlagen, mit denen die Risiken    Portugal, Rumänien, Russland, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südafrika, Südkorea, Schweden, Schweiz,
des Abkommens abgemildert werden kön-          Tschechien, Türkei, Ungarn, Ukraine, USA, Weißrussland und Zypern.
nen. Abschließend wird gezeigt, dass das
Abkommen zwar einige Gefahren für das          dieses Material nur für friedliche Zwecke              Materialien für Indiens ziviles Nuklearpro-
Nichtverbreitungs-Regime birgt, aber aus       verwendet werden durfte. Eine Folge dieses             gramm. Gleichzeitig machte sich Washing-
realpolitischen Erwägungen trotzdem un-        Vertrauensbruchs war die Etablierung der               ton dafür stark, im Rahmen der NSG eine
umgänglich ist.                                NSG (Nuclear Suppliers Group), in der sich             Ausnahmeregelung für Indien zu erwir-
                                               die nuklearexportierenden Staaten seit 1978            ken. Diese Zustimmung der NSG ist im
                                               auf gemeinsame Export-Richtlinien ver-                 September 2008 erfolgt. Ohne sie hätte
    What’s the deal?                           ständigen. Diese Standards beinhalten heute            das Abkommen nicht in Kraft treten kön-
                                               unter anderem, dass nur an Staaten geliefert           nen, denn der US-Kongress erklärte dies
Am 10. Oktober 2008 unterzeichneten die        werden darf, die Mitglieder des NVV sind               zur Voraussetzung für die eigene Zustim-
damalige US-Außenministerin Condoleez-         und alle ihre Nuklearanlagen von der inter-            mung zum Deal. Dadurch erhält das bila-
za Rice und ihr indischer Kollege Pranab       nationalen Atomenergiebehörde (IAEO)                   teral gestartete Abkommen eine multilate-
Mukherjee in Washington den so genann-         überwachen lassen. Beide Bedingungen                   rale Reichweite. Denn nun haben nicht nur
ten Atomdeal. Dieser beendet eine fast         werden von Indien nicht erfüllt, und so war            die USA, sondern alle NSG-Mitglieder die
35-jährige Isolation Indiens in Bezug auf      es für die Entwicklung seines Nuklearpro-              Möglichkeit, mit Indien Nukleargeschäfte
zivile Nukleartechnik. 1974 hatte Indien,      gramms bis Oktober 2008 fast ausschließ-               abzuschließen.
das den Nuklearen Nichtverbreitungsver-        lich auf eigene Ressourcen angewiesen.                   Das Abkommen stand allerdings mehr-
trag (NVV) nie unterzeichnet hat, seinen         Der Atomdeal ändert diese Situation.2 In-            mals kurz vor dem Scheitern, z.B. im Herbst/
ersten Atomtest durchgeführt. Die Opera-       dien erklärt sich darin bereit, den größeren           Winter 2006, als der US-Kongress die für das
tion „lächelnder Buddha“ wurde zwar als        Teil seines Nuklearkomplexes, alle strom-              Abkommen notwendigen Änderungen der
friedliche Nuklearexplosion deklariert, die    erzeugende Kraftwerke und sonstige zivile              amerikanischen Gesetzgebung verabschie-
nicht die Waffentechnik, sondern zivile Ein-   Installationen, insgesamt 14 von 22 Einrich-           dete und dabei deutlich mehr Bedingungen
sätze von Nuklearsprengungen, etwa im Ka-      tungen, bis spätestens 2014 unter IAEO-                stellte, als Präsident Bush und Premiermi-
nalbau oder bei der Nutzbarmachung von         Safeguards zu stellen. Das heißt, die IAEO             nister Singh ursprünglich vereinbart hatten;
unterirdischen Rohstoffen, voranbringen        wird überwachen, ob für zivile Zwecke ge-              oder im Sommer 2007, als Washington und
sollte. Diese Erklärung wurde aber von der     liefertes Material im zivilen Nuklearkreislauf         Neu Delhi das dazugehörige „123-Agree-
Mehrheit der internationalen Gemeinschaft      verbleibt. Die Kehrseite der Medaille: Jene            ment“ aushandelten und in der Endfassung
als Vorwand verstanden, der den wahren         Anlagen, die im Zusammenhang mit Indiens               Meinungsunterschiede nur mühsam durch
Zweck nur verbrämen sollte. Besonders die      Nuklearwaffenprogramm stehen, bleiben                  eine zweideutige Sprachregelung verdecken
USA und Kanada waren verärgert, weil sie       von solchen Kontrollen ausgenommen.                    konnten; oder im Sommer 2008, als die in-
Indien zuvor mit Brennmaterial und Reak-         Im Gegenzug lockern die USA ihre ei-                 dische Regierung über das Abkommen zu
toren beliefert hatten. Die entsprechenden     genen Exportrichtlinien und ermöglichen                zerbrechen drohte und das Ausscheiden
Verträge beinhalteten ausdrücklich, dass       wieder die Lieferung von Technologie und               der (deal-kritischen) Linksparteien gera-

2    HSFK-Standpunkte 5/2008
Desaster, Durchbruch oder Dilemma?

de noch durch die Aufnahme einer (deal-         einen späteren Zeitpunkt verschoben, um
freundlichen) Regionalpartei in die Regie-      günstigere Bedingungen abzuwarten.
rungskoalition kompensiert werden konnte;         Tatsächlich kam es bei den Verhandlungen
schließlich im Herbst 2008 auf einer drama-     zu Fehlern, und manche Chancen blieben
tischen Sondersitzung der NSG in Wien.          ungenutzt. Die USA hätten durchaus mehr
Dort drohte eine Gruppe von Staaten, die        rüstungskontrollpolitisches Engagement
über die rüstungskontrollpolitischen Im-        zeigen können und sollen. Dass auf ernst-
plikationen des Deals besorgt waren, lange      haftere Bemühungen in dieser Richtung
Zeit damit, einen Konsens zu blockieren,        verzichtetet wurde, kann man Washington
der auf Grund der internen Richtlinien der      vorwerfen. Dieser Kritikpunkt ist unabhän-
NSG notwendig war. Erst in letzter Minu-        gig davon, ob die Gründe dafür in einem vo-
te – unter anderem durch die Vermittlung        rauseilenden Gehorsam vor möglichen in-          Pro und Contra
Deutschlands, das in der entscheidenden         dischen Einwänden lagen oder aber in der
Sitzung turnusgemäß den Vorsitz hatte –         Furcht, mit der Stärkung des NV-Regimes          The primary purpose of the Indo-US
konnte sie umgestimmt werden.                   einen Stein ins Rollen zu bringen, der auch      deal is to strengthen non-proliferation
                                                die USA selbst dazu hätte zwingen können,        and not to scuttle it.
                                                Korrekturen ihrer Politik vorzunehmen.           Mishra, Rajesh Kumar 2005: Indo-US Nuclear
  Desaster für die Non-                           Auf der anderen Seite muss man fest-           Deal and Non-Proliferation, in: Strategic Analy-
                                                                                                 sis 29: 4, 612-628.
  Proliferation?                                halten, dass es äußerst fraglich erscheint,
                                                ob solche Bemühungen erfolgreich hätten
Rüstungskontrollexperten in Europa und          sein können. Selbst über den real-existie-       History will say that with this agreement
Nordamerika sind sich darin weitgehend          renden Deal wäre die Regierung in Neu            the world lost the last bit of an interna-
einig, den Deal abzulehnen. Der Haupt-          Delhi im Sommer 2008 fast gestürzt: Die          tional tool to control the spread of nu-
kritikpunkt lautet, die internationalen Rü-     kommunistischen Links-Parteien, auf de-          clear weapons.
stungskontroll- und Abrüstungsbemü-             ren Tolerierung das Kabinett von Premi-          Kongressabgeordneter Rush Holt am 26. Juli
hungen würden durch das Abkommen in             erminister Manmohan Singh angewiesen             2006, zitiert nach: Boese, Wade 2006: Obstacles
mehrfacher Hinsicht behindert oder gar tor-     war, kündig­ten aufgrund des Deals ihre          Remain for U.S.-Indian Deal, in: Arms Control
                                                                                                 Today 36: 7, in: .
den Indien in Fragen der Rüstungskontrolle      rungsumbildung und die Einbeziehung ei-
größere Zugeständnisse abzuringen. 2. Der       ner deal-freundlichen Regionalpartei in die
Deal vereinfache für Indien die Möglichkeit     Koalition konnte ein Sturz der Regierung
zu weiterer Aufrüstung und feuere damit ei-     verhindert werden. Eine an den Deal ge-
nen neuen Rüstungswettlauf in Südasien an.      koppelte Unterzeichnung des umfassenden
3. Die Hoffnung auf eine globale Abrüstung      Atomteststoppvertrags (CTBT) oder eine
aller Nuklearwaffen rücke in noch weitere       groß angelegte Abrüstungsinitiative mit
Ferne. 4. Das globale Nichtverbreitungsre-      substantiellen indischen Beiträgen, wie
gime (im Folgenden: NV-Regime) werde            von einigen Beobachtern gefordert, hätte
in seinen Grundfesten erschüttert. Im Fol-      die Regierung politisch aller Voraussicht
genden werde ich die Berechtigung dieser        nach kaum überlebt. Dies macht deutlich,
vier Kritikpunkte überprüfen.                   dass in der momentanen Lage tatsächlich
                                                nicht viel mehr zu erreichen war. Variante
                                                eins der Kritik verliert damit viel von ihrer
  Kritikpunkt 1: Zu wenige Zuge-                Stichhaltigkeit.
  ständnisse Indiens                              Doch wie sieht es mit Variante zwei aus?
                                                Hätte man der Versuchung eines Deals
Viele Kritiker bemängeln, die USA hätten        mit Indien nicht widerstehen können und
sich von Indien über den Tisch ziehen las-      sollen, bis in Indien eine Regierung an
sen und böten Neu Delhi eine große Menge        der Macht ist, die bereitwilliger rüstungs-
an Zugeständnissen, ohne nur annähernd          kontrollpolitische Konzessionen machen
deren Gegenwert zu erhalten, insbesonde-        würde?
re bezüglich der Rüstungskontrolle. Diese         Interessant in diesem Zusammenhang,
Kritik kommt in zwei Varianten daher: Va-       aber leider in der westlichen Diskussion
riante eins geht davon aus, dass man auch       sehr selten präsent, ist ein Blick auf die in-
unter den aktuellen Bedingungen deutlich        dische Debatte über den Deal. Es sind vor
mehr hätte erreichen können. Variante zwei      allem zwei Gruppen, die sich in Indien ge-
bezweifelt dies und hätte den Deal lieber auf   gen den Abkommen wenden: Die nuklearen

                                                                                                                     HSFK-Standpunkte 5/2008   3
„Falken“, die ein möglichst großes Nukle-
ararsenal für nötig halten, um Indien als          Land                    Erster               Sprengköpfe             Selbsterklärter              Mitglied im
Großmacht zu etablieren, und die extreme                                   Atomtest                                     Nuklearwaffenstaat           NVV
                                                   USA                     1945                        10104            Ja                           Ja
Linke, der gute Beziehungen zwischen den
                                                   Russland                1949                        16000            Ja                           Ja
USA und Indien ein Dorn im Auge sind. Für          Großbritannien          1952                          200            Ja                           Ja
den Deal setzt sich dagegen vor allem die re-      Frankreich              1960                          350            Ja                           Ja
gierende Kongresspartei ein, die Partei von        China                   1964                          200            Ja                           Ja
Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru und               Israel                  Unklar                      60-190           Nein                         Nein
                                                   Indien                  1974                        60-105           Ja                           Nein
Rajiv Gandhi. Aber selbst sie verwehrt sich
                                                   Pakistan                1998                         50-60           Ja                           Nein
dagegen, die zivile Nuklearkooperation mit         Nordkorea               2006                         0-10            Ja                           Nein
rüstungskontrollpolitischen Versprechen zu
koppeln. Trotzdem, die denkbar rüstungs-           Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2006 und stammen aus: The Bulletin of the Atomic Scientists 62: 4, 64-67.

kontroll-freundlichste Kraft ist bereits an
der Regierung. Alle möglichen Regierungs-         Wie sieht die regionale Lage heute aus?                      sem Material könnte Indien mehr als 1100
alternativen stünden einer Einschränkung        Pakistan verfügt nach Expertenschätzungen                      Atomwaffen herstellen.5
der indischen Souveränität und Autonomie        über etwa 60 Atomsprengköpfe, Indiens Ar-                        Zudem: Warum sollte Indien ein Interesse
in Nuklearfragen noch sehr viel skeptischer     senal ist mindestens ebenso groß. Neu Del-                     daran haben, sich auf einen Rüstungswett-
gegenüber. Interessant ist darüber hinaus,      hi ist aber konventionell überlegen, was sich                  lauf mit Pakistan einzulassen bzw. diesen
mit welchen Argumenten der rechte Flügel        sowohl in der größeren Personalstärke der                      anzufeuern oder auszulösen? Die indische
der hindu-nationalistischen BJP und die in-     Armee als auch in der positiven Kampfbi-                       Überlegenheit in nahezu allen anderen Be-
dischen Kommunisten den Deal bekämpfen:         lanz gegenüber Pakistan manifestiert. Darü-                    reichen macht dies unnötig. Außerdem
Es geht ihnen nämlich keineswegs darum,         ber hinaus ist Indien größer, bevölkerungs-                    hat sich Indien seit Beginn seiner Nuklea-
dass die rüstungskontrollpolitische Kom-        reicher und wirtschaftlich deutlich stärker                    risierung für eine Doktrin der „minimalen
ponente im Deal zu kurz kommt, sondern          als Pakistan. Nur aufgrund seiner Atomwaf-                     glaubhaften Abschreckung“ ausgespro-
sie befürchten genau das Gegenteil: dass In-    fen kann Pakistan heute noch beanspruchen,                     chen. Deren Eckpunkte sind im Einzelnen
dien viel zu stark gebunden werde, sich vom     sich auf gleicher Augenhöhe mit Indien zu                      zwar nicht genau ausformuliert, aber die
Wohlwollen des Auslands und der IAEO ab-        befinden. Ohne sie, wäre die indische Über-                    Ausrichtung ist doch eindeutig. Indische
hängig mache und keine souveräne Nukle-         legenheit in allen anderen Bereichen noch                      Planer haben des Öfteren zu verstehen ge-
arpolitik mehr betreiben könne.                 viel augenfälliger. Regionalpolitisch hat sich                 geben, dass dafür kein Riesenarsenal benö-
  Natürlich ist grundsätzlich immer ein po-     also durch die Einführung von Nuklearwaf-                      tigt werde. Die Doktrin setzt auf eine Tri-
litisches Erdbeben möglich, das die Kar-        fen auf dem Subkontinent Indiens Position                      ade der Trägersysteme (Bomber, Raketen,
ten vollkommen neu mischen würde. Aber          eher verschlechtert als verbessert.                            U-Boote). Um diese zu erreichen, wird In-
wahrscheinlich ist das nicht. Ganz im Ge-         Von Kritikern wird moniert, dass der                         dien sein Arsenal in den nächsten Jahren
gensatz zur Vorstellung, Abwarten wäre die      Atomdeal zumindest indirekt dem in-                            wohl tatsächlich aufstocken. Dies wird je-
beste Option gewesen, kann man behaupten:       dischen Atomwaffenprogramm zugute-                             doch a) unabhängig vom Deal geschehen
Nur unter dem aktuellen Premierminister         kommen könnte; denn Indien könne jetzt                         und b) voraussichtlich bei Erreichen der
Manmohan Singh, der sogar bereit war, sein      seine eigenen Uranreserven vollständig in                      „minimalen glaubhaften Abschreckungs-
eigenes politisches Schicksal mit dem Atom-     die Waffenproduktion stecken, ohne die                         kapazität“ unabhängig von der Reaktion
deal zu verknüpfen, bestand ein window of       zivile Nutzung zu beeinträchtigen. Wäre                        Pakistans beendet werden.
opportunity für eine grundsätzliche Neuord-     Indien zu einer dramatischen Aufrüstung                          Wenn aber Indien keinen Rüstungswettlauf
nung der Nuklearzusammenarbeit mit In-          fest entschlossen, bräuchte es dafür aller-                    beginnen wird, bleibt doch die Frage offen,
dien, welches sich bereits nach den nächsten    dings keineswegs das Nuklearabkommen.                          ob durch den Deal eine neue Rüstungsdyna-
indischen Parlamentswahlen im Frühjahr          Eine Studie von Ashley Tellis zeigt, dass                      mik entstehen könnte, in der sich Pakistan
2009 wieder hätte schließen können.             die angebliche Uran-Knappheit Indiens                          genötigt fühlt, seine Unterlegenheit in fast al-
                                                weit weniger dramatisch ist als allgemein                      len anderen Bereichen durch eine Überlegen-
                                                angenommen wird.4 Zudem wird sie eher                          heit an Nuklearwaffen auszugleichen. Kom-
    Kritikpunkt 2: Neuer Rüstungs-              durch Mängel im Bereich des Uranabbaus                         plett von der Hand zu weisen ist dies sicher
    wettlauf in Südasien                        verursacht als durch fehlende Uran-Vor-                        nicht. Gleichzeitig gilt es aber festzuhalten,
                                                kommen. Diese Mängel aber könnten, bei                         dass die Unterlegenheit Pakistans bereits seit
Ein weiterer Kritikpunkt am Atomdeal lau-       vorhandenem politischen Willen, relativ                        längerem massiv besteht und durch den Deal
tet: „Im labilen Dreieck der Atomwaffen-        leicht behoben werden. Weiterhin verfügt                       nicht signifikant gesteigert wird. Wenn sich
besitzer China, Indien und Pakistan dürfte      Indien über große Mengen (bis zu 9000 Ki-                      Islamabad dafür entscheiden sollte, an der
die Unterstützung des indischen Atom-           logramm) von reactor-grade Plutonium,                          Rüstungsspirale zu drehen, dann aufgrund
programms [...] der Startschuss für eine        welches zwar nicht das Material erster Wahl                    der grundsätzlichen, konventionellen wie
neue Runde im regionalen Rüstungswett-          ist, trotzdem aber prinzipiell zum Bomben-                     nuklearen Unterlegenheit und unabhängig
lauf sein.“3                                    bau verwendet werden kann. Allein mit die-                     von der Implementierung des Deals, der al-

4    HSFK-Standpunkte 5/2008
Desaster, Durchbruch oder Dilemma?

lenfalls indirekt zur Stärkung indischer Nu-       Der Druck der vertragstreuen Mehrheit         Chronik des Deals
klearmacht beitragen könnte.                     auf die offiziellen Nuklearmächte wird
  Man könnte noch einwenden, die Situ-           immer größer und bekommt mittlerweile           Januar 2004
ation Indiens gegenüber Chinas gleiche           auch Unterstützung von unerwarteter Sei-         “Next Steps in Strategic Partnership” (NSSP)
derjenigen Pakistans gegenüber Indiens.          te. Die ehemaligen US-Spitzenpolitiker Sam      zwischen Indien und den USA werden verein-
Während Neu Delhi tatsächlich gegenüber          Nunn, William Perry, George Shultz und          bart. Eines der Ziele: Verbesserte Kooperation
dem schwächeren Pakistan keinerlei Auf-          Henry Kissinger, allesamt keineswegs als        im Bereich der zivilen Nukleartechnologie.
rüstungswünsche verspüre, könnte es ge-          „Tauben“ bekannt, starteten am 4. Januar        März 2006
genüber dem stärkeren China Ambitionen           2007 mit ihrem Artikel „A World Free of         Bush besucht zum ersten Mal Indien. Indien
entwickeln, die eigene Schwäche durch ein        Nuclear Weapons“ im Wall Street Journal         präsentiert einen Plan zur Trennung seines
größeres Nuklearwaffenarsenal auszuglei-         eine neue Diskussion über die Sinnlosigkeit     zivilen und militärischen Nuklearsektors. Die
chen. Dies würde allerdings eine 180-Grad-       und Gefährlichkeit von Nuklearwaffen und        USA thematisieren den Atomdeal erstmals in
Wendung gegenüber der proklamierten              kämpfen seitdem als sinnbildliche „Reiter       der NSG und schlagen erfolglos eine Ausnah-
Doktrin der „minimalen glaubhaften Ab-           der Gegenapokalypse“ für eine nuklearwaf-       megenehmigung für Indien vor.
schreckung“ bedeuten. Solange China              fenfreie Welt. Dabei sind sie nicht etwa über   Juli 2006
selbst nicht massiv nuklear aufrüstet, was       Nacht zu idealistischen Utopisten bekehrt       Eine Delegation der IAEO besucht Indien
laut neueren wissenschaftlichen Erkennt-         worden, sondern lassen sich von rationalen      um technische Aspekte eines Safeguards-
nissen zu Chinas Nuklearpolitik unwahr-          und durchaus interessenbestimmten Über-         Abkommens zu diskutieren. Das Repräsen-
scheinlich ist6 oder gegenüber Indien eine       legungen leiten. Ob sie mit ihrer Initiative    tantenhaus verabschiedet den ‚Henry J Hyde
deutlich aggressivere Außenpolitik vertritt,     eine solche Dynamik entfachen können,           United States-India Peaceful Atomic Energy
                                                                                                 Cooperation Act of 2006.‘
scheint dies eher fragwürdig.                    dass rechtliche und moralische Überle-
                                                 gungen (aus dem NVV) und hartgesottene          November 2006
                                                 Realpolitik eine Symbiose eingehen und er-      Der Senat verabschiedet eine entsprechende
  Kritikpunkt 3: Behinderung der                 ste Schritte zu einer Abschaffung der Nukle-    Gesetzgebung.
  globalen nuklearen Abrüstung                   arwaffen eingeleitet werden können, wird        Dezember 2006
                                                 die Zukunft zeigen. Einstweilen ist aber,       Präsident George W. Bush unterzeichnet
Der Atomdeal wurde nicht einmal dekla-           insbesondere nach ersten Äußerungen des         das Gesetz, das Indien erstmals seit etwa 30
ratorisch mit der Forderung nach Nukle-          frisch inaugurierten US-Präsidenten Barack      Jahren wieder erlaubt, zivile Nukleartechnik
arwaffenabrüstung verbunden. Ein Krit-           Obama, nukleare Rüstungskontrolle und           aus den USA zu importieren. Zuvor müssen
ker befürchtet: „This will be interpreted by     Abrüstung wieder an eine Spitzenposition        allerdings noch einige Voraussetzungen er-
some as blatant evidence of contempt by          der außenpolitischen Agenda zu setzen, ver-     füllt werden.
the United States and other weapon states        haltener Optimismus angesagt.                   Juli 2007
toward the requirements of Article VI [des         Sollte es tatsächlich zu verstärkten inter-   Die Verhandlungen über ein bilaterales Ab-
NVV, CR]”.7 Dieser Artikel VI steht dafür,       nationalen Abrüstungsbemühungen kom-            kommen zwischen den USA und Indien wer-
dass der NVV nicht nur eine Perspektive          men, dann werden diese kaum an Indien           den erfolgreich abgeschlossen.
auf Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-          scheitern, für das die eigene nukleare Be-      Juli 2008
tung nuklearer Waffen, sondern auch auf          waffnung zwar nie ein Tabu, aber immer          Die indischen Linksparteien entziehen der
„allgemeine und vollständige Abrüstung           nur die zweite Wahl gegenüber einer Welt        Regierung wegen des Atomdeals ihre Unter-
unter strenger und wirksamer internatio-         ohne Nuklearwaffen war. Neu Delhi wollte        stützung. Die Regierung Singh gewinnt die
naler Kontrolle“ beinhaltet.                     Kernwaffen nie um jeden Preis. Schon Ja-        darauf folgende Vertrauensabstimmung im
  Die Normen des Vertrages wurden auf            waharlal Nehru sprach sich stets für eine       indischen Parlament.
Überprüfungskonferenzen immer wieder be-         nuklearwaffenfreie Welt aus und war einer       August 2008
kräftigt und gerade auch die Einhaltung der      der geistigen Väter des allgemeinen Test-       Die IAEO verabschiedet das indien-spezi-
Abrüstungsnorm eingefordert. Tatsächlich         stoppvertrages. Sein Enkel Rajiv Gandhi un-     fische Safeguards-Abkommen. Auf einem
haben die Nichtkernwaffenstaaten 1995 der        terbreitete in den 80er Jahren in der UNO-      NSG Treffen kann kein Konsens über die
unbefristeten Verlängerung des NVV nur           Generalversammlung einen Aktionsplan            Ausnahmegenehmigung für Indien erzielt
deshalb zugestimmt (und dies 2000 be​­stärkt),   zur Abrüstung sämtlicher Nuklearwaffen          werden.
weil die Kernwaffenstaaten versprachen,          bis zum Jahr 2010. Der aktuelle Premiermi-      September 2008
endlich ihre abrüstungspolitische Verpflich-     nister Manmohan Singh wiederum unter-           Nach einer Marathon-Sitzung stimmt die
tung ernst zu nehmen. Zudem hat der Inter-       stützte kürzlich eine Konferenz in Indien,      NSG schließlich einem neuen Entwurf für
nationale Gerichtshof mittlerweile bestätigt,    die im Fahrwasser der Nunn/Perry/Shultz/        eine Ausnahmegenehmigung für Indien zu.
dass Artikel VI als konkrete Abrüstungsver-      Kissinger-Initiative über die Möglichkeit       Repräsentantenhaus und Senat stimmen dem
pflichtung zu verstehen ist. Umso größer war     einer nuklearwaffenfreien Welt diskutierte.     Atomdeal zu.
die Enttäuschung, als die­se Versprechen peu     Im Februar 2008 bekannte er sich zudem auf      10. Oktober 2008
à peu von Washington bis Moskau wieder           einer Konferenz in Oslo ausdrücklich zum        Das Abkommen wird in Washington unter-
zurückgenommen wurden.                           Ziel der Abschaffung aller Kernwaffen und       zeichnet.

                                                                                                                    HSFK-Standpunkte 5/2008   5
auf der Münchner Sicherheitskonferenz im          ben könnte, ist besorgniserregend. Staaten,     Delhi, das der weltweiten Isolation schon
Februar 2009 vertrat ein Mitglied des in-         die sich der Ungleichbehandlung bewusst         seit 1974 trotzt und heute ohne Zweifel
dischen Nationalen Sicherheitsrates eben-         werden, könnten ihre Mitgliedschaft im          deutlich stärker aufgestellt ist als in den
falls diese Position.8                            NVV überdenken. Aus ihrer Sicht ist Indien      1970er, 1980er und auch noch 1990er Jah-
  Hätte Indien nach den chinesischen              für seine Sturheit belohnt worden. Es kann      ren, als Dank für eine abermalige Demüti-
Atomtests von 1964 nicht weiterhin Zu-            Sonderrechte in Anspruch nehmen, die es         gung gleichsam zu Kreuze kriechen, seine
rückhaltung bewiesen, sondern auf einen           gegenüber vertragstreuen NVV-Mitgliedern        Atomraketen verschrotten und fügsam um
schnellen eigenen Test, von dem Exper-            bevorteilen, die für Kooperation im zivilen     die Aufnahme in den NVV bitten würde,
ten vermuten, dass er seit etwa 1965 mög-         Nuklearbereich der militärischen Option         das kann niemand ernstlich annehmen.
lich gewesen wäre, gedrängt, wären die in-        entsagen müssen. Indien hingegen hat nach         Würde wenigstens das indische Nuklear-
dischen Chancen, Nuklearwaffenstaat im            dem Deal durch seine Nichtmitgliedschaft        waffenprogramm entscheidend behindert?
Sinne des NVV zu werden, sicherlich ge-           keinerlei Nachteile mehr. So könnten einer-     Auch das ist sehr zweifelhaft. In der Tat
stiegen. Christian Wagner geht sogar noch         seits Befürworter eines Austritts aus dem       müsste Indien vermutlich eine Entscheidung
etwas weiter. Er meint, dass „[e]in indischer     NVV gewichtige Argumente finden, die es         treffen, ob in Zukunft eher das zivile oder
Atomtest 1966 oder 1967 [...] Indien aller        vorher nicht gab. Andererseits könnten ei-      das militärische Nuklearprogramm forciert
Wahrscheinlichkeit nach zu einem aner-            nige bisher vertragstreu handelnde Staaten,     werden soll. Aber ob es in diesem Fall tat-
kannten Nuklearstaat im NVV gemacht               die in ihren Augen erfolgte Entwertung des      sächlich auf seine Atomwaffen verzichten
[hätte]“9. Denn im Sinne des NVV gel-             NVV zum Anlass nehmen, zwar innerhalb           würde, erscheint angesichts des indischen
ten jene Staaten als Nuklearwaffenstaaten,        des Regimes zu verbleiben, aber die Ver-        Statusbewusstseins äußerst unwahrschein-
die vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaf-          tragseinhaltung nicht mehr für so wichtig       lich. Wahrscheinlicher wäre ein Verzicht auf
fe oder einen sonstigen Kernsprengkörper          zu halten. Zudem könnten sich Vertrags-         den ambitionierten Plan, bis zum Jahre 2020
hergestellt und gezündet haben. Stattdessen       brecher und Nichtmitglieder in ihrem Weg        25% statt derzeit 3% seines Energiebedarfs
dauerte es mehr als ein Dutzend Jahre, bis        bestätigt fühlen und sich der Hoffnung hin-     aus Kernkraftwerken zu gewinnen. Stattdes-
einsatzfähige Sprengköpfe montiert wurden         geben, eines Tages ebenfalls eine „indische     sen würde Neu Delhi dann wohl noch mehr
und ein weiteres Jahrzehnt, bis eine indische     Lösung“ angeboten zu bekommen.                  als bisher auf Kohle setzen. Zudem würde
Regierung eine neue Testserie durchführte,          Allerdings sollte angesichts dieser Risiken   Indien vermutlich seine Bemühungen, das
um sich als Nuklearmacht zu etablieren.           nicht vergessen werden zu untersuchen,          Ende seiner nuklearen Isolation zu erwirken,
Erst als Indien mit all seinen Initiativen zur    welche Folgen die möglichen Alternativen        keinesfalls aufgeben, sondern vielmehr den
globalen Abrüstung scheiterte und sich zu-        mit sich bringen würden und ob nicht trotz      Adressaten wechseln und sich beispielswei-
dem nuklear bedroht und ausgegrenzt fühl-         allem auch Chancen mit dem Deal verbun-         se an Moskau wenden. Bei aller berechtigten
te, entschied es sich für die eigene offene       den sind.                                       Kritik an Washington muss man der US-Re-
Nuklearisierung, ohne aber das Ziel einer           Die Kritiker des Abkommens weisen zu-         gierung jedoch einige Punkte zugutehalten:
grundsätzlichen weltweiten nuklearen Ab-          recht darauf hin, dass ein wichtiges Ziel des   1. dass sie stets auf die Kontrolle des zivilen
rüstung aufzugeben.                               Nonproliferationsregimes in dessen Uni-         indischen Nuklearsektors durch die IAEO
                                                  versalisierung liegt; das heißt, perspekti-     gepocht hat; 2. dass sie, gebunden durch
                                                  visch sollten alle Staaten dem NVV beitre-      US-Gesetze und verpflichtet durch den Kon-
    Kritikpunkt 4: Beschädigung                   ten. Solange keine abenteuerliche rechtliche    gress, nicht komplett unilateral, sondern in
    des globalen NV-Regimes                       Konstruktion aufgetan wird12 und solange        Verbindung mit der NSG, wenn schon nicht
                                                  am Ziel der Universalisierung festgehalten      mit der NVV-Vertragsgemeinschaft, voran-
Was die Wirkung des Atomdeals auf das             wird, solange bleiben daher zwei idealty-       schritt; 3. dass sie deutlich gemacht hat, auch
globale NV-Regime10 betrifft, ist die Kritik      pische Möglichkeiten: Entweder Indien rü-       wenn man das in Neu Delhi nicht gerne hört,
eindeutig: “It undermines the Nuclear Non-        stet seine Nuklearwaffen ab und tritt dem       dass ein neuerlicher Atomtest das Ende der
proliferation Treaty (NPT) by devaluing the       NVV bei oder Indien behält seine Nuklear-       Kooperation nach sich ziehen würde. Wenn
commitments made by non-weapon states             waffen und bleibt dem NVV fern.                 sich Indien dagegen nach einem möglichen
in order to receive peaceful nuclear techno-        Würde man das Ziel der Universalisierung      Scheitern der Verhandlungen mit den USA
logy assistance, and by weakening weapon-         dagegen zunächst zurückstellen und auf          an Russland oder China gewandt hätte, dann
state commitments under Article I.“11             den indischen Beitritt zum NVV verzich-         wäre es fraglich gewesen, ob diese Staaten
  Der Atomdeal ist in der Tat mit den             ten, würde sich zudem eine pragmatische         größere Skrupel gehabt hätten als Washing-
Grundgedanken des NVV nicht vereinbar.            dritte Möglichkeit ergeben: Das weiterhin       ton. Schließlich half Moskau Neu Delhi be-
Die Tatsache, dass hier Sonderrecht ge-           nuklear bewaffnete Indien bliebe weiterhin      reits in den 1990er Jahren unter Ausnutzung
schaffen wird, das eine Nicht-Vertragspartei      außerhalb des NVV, würde aber so weit nur       von Vertragslücken einige Male aus und Pe-
besser stellt als viele vertragstreue Vertrags-   irgend möglich an das Regime und damit          king hatte zu keiner Zeit Bedenken bei der
parteien, ist problematisch.                      an seine Prinzipien, Normen und Regeln          Nuklearkooperation mit dem Nicht-NVV-
  Insbesondere die destruktive Wirkung, die       angebunden.                                     Mitglied Pakistan.
das Abkommen auf vertragstreue Nicht-               Wie hätte sich ein Scheitern des Deals also     Unabhängig davon, welche dieser Varian-
kernwaffenstaaten innerhalb des NVV ha-           ausgewirkt? Kaum positiv. Denn dass Neu         ten einem Scheitern des Atomdeals folgen

6    HSFK-Standpunkte 5/2008
Desaster, Durchbruch oder Dilemma?

                                                                                                                        Die große Kritik –
                                                                                                                        zum Nachlesen:
                                                                                                                        Arms Control Association 2006: Seeing
                                                                                                                        Through the Spin: ‚Critics‘ Rebut White
                                                                                                                        House on the U.S.-India Nuclear Coope-
                                                                                                                        ration Plan, in: www.armscontrol.org/
                                                                                                                        pressroom/2006/20060309_India_Cri-
                                                                                                                        tics_Rebut_WH
                                                                                                                        Carter, Jimmy 2007: Atomwaffensperr-
                                                                                                                        vertrag - Das indische Problem, in:
                                                                                                                        Süddeutsche Zeitung, 21.09.2007, in:
                                                                                                                        www.sueddeutsche.de/ausland/arti-
                                                                                                                        kel/329/134076
                                                                                                                        Kimball, Daryl G. 2008: Statement of
                                                                                                                        Daryl G. Kimball, Arms Control As-
                                                                                                                        sociation Executive Director, on the
                                                                                                                        U.S.-Indian Agreement for Nuclear
                                                                                                                        Cooperation, in: www.armscontrol.org/
Modernes Indien: Atemberaubende Wachstumsraten in Wirtschaft und Handel, Ausbau als Forschungs- und
                                                                                                                        node/3363
Entwicklungsstandort. Mumbai (ehemals Bombay) ist das wirtschaftliche Zentrum Indiens. Exklusive Bürohoch-
häuser, Luxuslimousinen und in manchen Gegenden die höchsten Immobilienpreise der Welt sind in der Stadt zu             Kimball, Daryl G. und McGoldrick, Fred
finden. Die Kehrseite: Mehr als die Hälfte der 13,7 Millionen Einwohner lebt in Slums ohne Wasseranschluss und
                                                                                                                        2007: U.S.-Indian Nuclear Agreement: A
Kanalisation. Täglich strömen mehr Menschen aus dem verarmten Hinterland in die Stadt. Hier auf dem Bild
zu sehen: Slums in unmittelbarer Nähe der Bombay Stock Exchange, der ältesten Börse Asiens und zweitgrößten             Bad Deal Gets Worse, in: www.armscon-
Börse Indiens.                                                                                 Foto: Picture alliance   trol.org/pressroom/2007/20070803_In-
                                                                                                                        diaUS
würde: Keine davon fördert in irgendeiner                   kommens unterscheiden. Ein Abbruch nach
                                                                                                                        Meier, Oliver und Neuneck, Götz 2006:
Form die aus Sicht der Rüstungskontrolle                    bereits begonnenen Verhandlungen hätte
                                                                                                                        Der Atomdeal zwischen Indien und den
präferierte Entwicklung (Abrüstung und                      die ohnehin vorhandenen Vorbehalte Indi-
                                                                                                                        Vereinigten Staaten: Nukleare Nichtver-
NVV Beitritt); im Gegenteil, durch ein er-                  ens gegen die Intentionen des NV-Regimes
                                                                                                                        breitung am Scheideweg. Hamburger In-
neutes Brüskieren würde man in Neu Del-                     und die es tragenden Industriestaaten des                   formationen zur Friedensforschung und
hi nur diejenigen bestärken, die im NV-Re-                  Nordens noch extrem und nachhaltig ge-                      Sicherheitspolitik, Ausgabe 40/2006,
gime ein Unterdrückungsinstrument sehen,                    steigert. Dagegen könnte sich durch die Im-                 Hamburg
das die Welt dauerhaft in „haves“ und „ha-                  plementierung des Deals in Indien vielmehr
                                                                                                                        Mian, Zia und Ramana M. V. 2006:
ve-nots“ aufteilt. Die skizzierte Möglichkeit               die Überzeugung durchsetzen, dass das NV-
                                                                                                                        Wrong Ends, Means, and Needs: Behind
einer graduellen Integration Indiens in die                 Regime nicht dermaßen ablehnenswert ist,                    the U.S. Nuclear Deal With India, in:
internationale nukleare Ordnung fiele da-                   dass die Inspekteure der IAEO keineswegs                    Arms Control Today 36: 1, in: www.
her ebenfalls aus.                                          Industriespionage betreiben und dass kei-                   armscontrol.org/act/2006_01-02/JAN-
  Interessanter ist aber ohnehin die Frage,                 ne weltweite Verschwörung zur Aufrecht-                     FEB-IndiaFeature.asp
welche Folgen das tatsächliche In-Kraft-Tre-                erhaltung der „nuklearen Apartheid“ und
                                                                                                                        Krepon, Michael 2006: Kein Brennstoff
ten des Deals haben wird. Zunächst einmal:                  zur Kleinhaltung Indiens existiert.
                                                                                                                        für Indien, in: Internationale Politik 61:
Eine indische Nuklearabrüstung und einen                      Ein solcher Wahrnehmungswandel in In-                     8, 48-52
baldigen NVV-Beitritt wird der Deal sicher                  dien mag zunächst als nicht besonders wich-
nicht fördern. Die Beibehaltung seines Nu-                  tig erscheinen, aber tatsächlich könnte er                  Motz, Kelly und Milhollin, Gary 2006:
                                                                                                                        Seventeen Myths About the Indian
klearwaffenarsenals war für Indien von An-                  eine, wenn nicht sogar die, entscheidende
                                                                                                                        Nuclear Deal: An Analysis of Nucle-
fang an die conditio sine qua non, und es                   Voraussetzung sein, um eines Tages doch
                                                                                                                        ar Cooperation with India, in: www.
gibt keine Anhaltspunkte dafür, kurz- oder                  noch den Vertragsbeitritt Indiens zu ver-
                                                                                                                        wisconsinproject.org/countries/india/
mittelfristig eine Politikänderung zu erwar-                wirklichen oder sich einem solchen maxi-                    Seventeen_Myths.htm
ten, solange nicht auch die anderen Nuklear-                mal anzunähern. Daher sind bereits die klei-
waffenstaaten ihre Arsenale zur Disposition                 nen Schritte des Deals deutlich mehr als nur                Weiss, Leonard 2006: The Impact of the
                                                                                                                        U.S.-India Deal on the Nonproliferati-
stellen. Soweit ist also noch kein erkennbarer              Symbolik. Sie ermöglichen zumindest eine
                                                                                                                        on Regime, in: www.armscontrol.org/
Unterschied zu den Szenarien nach dem                       Entwicklung, in der sich Indien - nicht von
                                                                                                                        events/200602015_Weiss_Prepared_Re-
Scheitern des Abkommens in Sicht. Ein be-                   heute auf morgen, aber graduell - mit den                   marks
deutender Unterschied spielt sich allerdings                Bestimmungen des NV-Regimes anfreun-
auf einer anderen Ebene ab: Zwar behält                     den oder diese übernehmen und somit den
Indien sein Nuklearwaffenarsenal, aber die                  Status eines virtuellen Mitgliedes einneh-
indische Wahrnehmung dürfte sich drama-                     men könnte. Auch die Wirkung der IAEO-
tisch von der nach einem Scheitern des Ab-                  Safeguards kann dazu beitragen. Kritiker

                                                                                                                                        HSFK-Standpunkte 5/2008   7
mögen sie als „zahnlose Tiger“ schmähen,         Exklusiver Club: Die Atommächte
da sie nicht auf den militärischen Teil des
indischen Nuklearprogramms angewendet
werden. Gleichwohl können sie aber dazu
dienen, das souveränitäts- und statusbe-
wusste Indien an internationale Kontrol-
len zu gewöhnen und damit eine wichtige
Vorbereitungsfunktion erfüllen für den Tag
X einer beginnenden globalen Nuklearab-
rüstung: Denn in diesem Fall muss es mög-
lich sein, das waffenfähige Material in allen
Staaten vollständig zu erfassen. Dass heute
gerade die Nuklearwaffenstaaten, die offizi-
ellen wie die inoffiziellen, mit einer solchen
„Materialbuchhaltung“ durch die IAEO kei-
nerlei Erfahrungen haben, wird weithin als
äußerst problematisch angesehen.                 Derzeit verfügen neun Staaten über Nuklearwaffen. Die offiziellen Atommächte USA, Russland, Großbritannien,
  Angesichts der Tatsache, dass das Nukle-       Frankreich und China (schwarz gefärbt). Dazu kommen Israel, Indien und Pakistan, die den Nichtverbreitungs-
arabkommen Vorteile für das NV-Regime            vertrag nicht unterzeichneten, sowie Nordkorea (dunkelgrau gefärbt), das vor seinen Atomtests wieder austrat.

allenfalls in kleinen Schritten befördert,
könnte man versucht sein, die Position zu        er dazu führen könnte, dass andere Staaten              des Abkommens bisherige nukleare Parias
vertreten, dass unter den gegebenen Um-          das globale NV-Regime als entwertet anse-               Wünsche an, ebenso wie Indien eine Son-
ständen die Fortführung des Status quo am        hen und ihre Politik dementsprechend aus-               derbehandlung zu erhalten und einige Liefer-
wünschenswertesten gewesen wäre. Denn            gestalten. Doch wenn es schon nicht mög-                staaten erwogen, vergleichbare Atomdeals mit
damit hätte man zumindest die Risiken            lich ist, diesem Risiko komplett zu entgehen,           den eigenen Freunden abzuschließen.
des Deals, insbesondere den Bruch einiger        sollte es zumindest ein wichtiges Ziel sein               Um diese negativen Folgen abzumildern,
wichtiger NV-Normen, verhindern können.          herauszuarbeiten, wie es abgemildert oder               sollten die Nuclear Suppliers Group und
Doch dieser Gedankengang ist, wenngleich         minimiert werden kann.                                  die sie tragenden Einzelstaaten zweifelsfrei
verführerisch, nicht folgerichtig. Vor Be-                                                               deutlich machen, dass der Deal einzigartig
ginn jeglicher Verhandlungen konnte man                                                                  bleiben wird. Wenn es Staaten gibt, die der
noch anführen, die Beibehaltung des Status         Keine weiteren Ausnahmen                              Ansicht sind, dass etwa Teheran, Islamabad
quo bringe wenigstens keine weiteren Nach-         zulassen!                                             und Pjöngjang für ähnliche Ausnahmere-
teile. Doch Vorteile wären durch weiteres                                                                geln prädestiniert seien wie Neu Delhi, dann
Abwarten auch kaum zu erwarten: Wie be-          Bedenklich genug ist, dass der Deal dazu füh-           wäre es an ihnen, das vor der internationalen
reits dargestellt wurde, sind die Aussichten     ren wird, dass sich zahlreiche vertragstreue            Gemeinschaft zu begründen. Als Mitglieder
auf ein besseres Abkommen unter jeder            NVV-Mitglieder durch die einseitige Bevor-              der NSG müssten sie, ebenso wie im aktu-
denkbaren anderen indischen Regierung            teilung Indiens betrogen fühlen. Noch fataler           ellen Fall die USA, einen Konsens erwirken,
geringer als unter der derzeitigen. Nachdem      aber wäre es, wenn aus diesem Einzelfall eine           um Ausnahmen für ihre Klienten zu errei-
die Verhandlungen einmal aufgenommen             ganze Kette von Sondervereinbarungen ent-               chen. Denn entgegen des Ansinnens einiger
wurden, muss man konstatieren, dass deren        stünde, die in ihrer Gesamtheit das NV-Re-              anderer Staaten setzten sich die USA mit ih-
Abbruch oder Scheitern eben nicht einer          gime deutlich entwerten würden. Diese Ge-               rem Wunsch durch, eine Indien-spezifische
Rückkehr zum ursprünglichen Status quo,          fahr ist real und wird auch von den Kritikern           Ausnahmeregel zu erlassen und nicht etwa
sondern einer Situation des Status quo plus      des Abkommens beschworen: „Weakening                    feste Kriterien zu etablieren, die in Zukunft
einer nochmals verstärkten indischen Ver-        export controls for India will automatical-             jederzeit wieder in Anspruch genommen
ärgerung über das NV-Regime aufgrund der         ly weaken them for Iran, Pakistan, and even             werden können. Die NSG wird also über
Zurückweisung durch dessen Protagonisten         terrorist groups who might want to buy the              jeden auftretenden Fall neu zu entscheiden
entsprochen hätte.                               means to make mass destruction weapons.“13              haben und sollte, um weiteren Schaden vom
                                                 Auch Daryl Kimball und Fred McGoldrick                  NV-Regime abzuhalten, sämtliche weitere
                                                 von der renommierten Arms Control Asso-                 Interessenten abweisend behandeln.
    Maßnahmen zur Minimierung                    ciation sehen dieses Problem: „By making a
    der Risiken                                  special exemption for India, the approach will
                                                 make it even more difficult to enforce existing           Flankierende Maßnahmen zur
Obwohl mancherlei Kritik am Deal bei             rules with states such as Iran and North Korea            Stärkung der Rüstungskontrolle
Lichte betrachtet übertrieben erscheint, ist     and to convince other states to accept toug-
er doch mit einigen Risiken verbunden. Am        her nonproliferation standards in the years             Doch neben diesem eher passiven Ansatz
gravierendsten ist sicherlich die Gefahr, dass   ahead.”14 In der Tat meldeten nach Abschluss            gibt es auch aktive rüstungskontrollpoli-

8    HSFK-Standpunkte 5/2008
Desaster, Durchbruch oder Dilemma?

tische Möglichkeiten, vor allem für die of-      zwar keineswegs an den Haaren herbei-
fiziellen Kernwaffenstaaten, um negativen        gezogen ist, sondern im Gegenteil korrekt
Folgen des Deals entgegenzuwirken. Wich-         auf mehrere Schwachstellen oder Nachteile
tig wäre vor allem eine energische Anstren-      hinweist. Sie zeigte aber ebenfalls, dass da-
gung der neuen US-Regierung, dem CTBT            bei bisweilen über das Ziel hinausgeschos-
beizutreten und dabei China mitzuziehen.         sen wird und über die vertretbaren Kritik-
Empfinden es indische Sicherheitspolitiker       punkte hinaus Gefahren heraufbeschworen
heute als unzumutbar, von ihnen die Mit-         werden, die einer genaueren Überprüfung
gliedschaft in einem Vertrag zu verlangen,       nicht stand halten. Auch werden die Chan-
den diese zwei wichtigen Staaten ebenfalls       cen übersehen, die sich aus dem Deal für die
noch nicht ratifiziert haben, so würde sich      Rüstungskontrolle ergeben könnten.
diese Frage ganz anders stellen, wenn alle         Dennoch, große Teile der Kritik sind und
offiziellen Nuklearwaffenstaaten dessen          bleiben berechtigt. Schaut man nur auf die
Einschränkungen unterlägen.                      direkten rüstungskontrollpolitischen Fol-
  Weiterhin wäre es wichtig, mit Indien über     gen mag es konsequent sein, das Abkom-
einen Beitritt zu einem Vertrag zum Verbot       men trotz der hier dargestellten Relativie-
der Spaltstoffproduktion für Waffenzwecke        rung einiger Kritikpunkte und trotz der
                                                                                                 Anmerkungen
(FMCT) zu verhandeln. Mit einem solchen          angesprochenen Möglichkeiten zur Scha-          1 Pew Global Attitudes Projects 2008:
Vertrag soll die Herstellung von waffenfä-       densminimierung aufgrund seiner mani-             Global Public Opinion in the Bush Years
higem Uran und Plutonium international           festen und unmittelbaren regimeschädi-            (2001-2008), in: .
verboten werden. Grundsätzlich hat sich          genden Wirkung und der eher vagen und
die indische Regierung dazu bereit erklärt.      prospektiven Chancen als Fehler zu verur-       2 Vgl. Müller, Harald und Rauch, Carsten
                                                                                                   2007: Der Atomdeal - Die indisch-ame-
Deutschland könnte hier die Initiative ergrei-   teilen. Wenn hier die These vertreten wer-        rikanische Nuklearkooperation und ihre
fen: Berlin teilt mit Neu Delhi die Position,    den soll, der Deal sei trotz allem eben doch      Auswirkungen auf das globale Nichtver-
die von der Bush-Regierung vor einiger Zeit      sinnvoll, reicht es daher nicht aus, nun wie-     breitungsregime, Frankfurt am Main.
verworfen wurde, dass ein solcher Vertrag        derum die übertriebene Kritik zu kritisieren.   3 Meier/Neuneck (siehe Randspalte S. 7),
ein wirksames Verifikationssystem braucht.       Stattdessen müssen zusätzlich die positiven       S. 1
Ein hoffnungsfrohes Zeichen könnte es sein,      Folgen der Nuklearkooperation mit Indien        4 Vgl. Tellis, Ashley J. 2006: Atoms for
dass die neue US-Außenministerin Hillary         gezeigt werden oder welche Gefahren sich          War? U.S.-Indian Civilian Nuclear Co-
Clinton im US-Senat einen verifizierbaren        ergäben, wenn diese nicht zustande gekom-         operation and India’s Nuclear Arsenal,
                                                                                                   Washington D.C.
FMCT ausdrücklich als wichtiges Ziel ihrer       men wäre.
                                                                                                 5 Ramana/Zian (siehe Randspalte S. 7).
Außenpolitik benannte.
  Schließlich wäre auszuloten, unter wel-                                                        6 Lewis, Jeffrey 2007: The Minimum
chen Umständen sich auch die kleineren             Chancen für die Zukunft                         Means of Reprisal: China‘s Search for
                                                                                                   Security in the Nuclear Age, Cambridge
Kernwaffenstaaten darauf einlassen wür-
                                                                                                 7 Weiss (siehe Randspalte S. 7).
den, Obergrenzen für ihre Arsenale festzu-       In der zukünftigen Weltordnung wird Eu-
                                                                                                 8 Narayanan, Mayankote Kelath 2009:
legen, also einen möglichen Rüstungswett-        ropa aller Voraussicht nach stärker an die        Non-Proliferation, Arms control and fu-
lauf präventiv zu unterbinden. Mit einer         Peripherie und Asien stärker ins Zentrum          ture of nuclear weapons; is zero possib-
solchen „Kappung“ wäre zum ersten Mal            der Weltpolitik rücken. Neue Akteure, allen       le? Vortrag auf der 45. Munich Security
die Einbeziehung aller Kernwaffenbesit-          voran Indien und China, steigen angesichts        Conference/Münchner Sicherheitskon-
zer in ein globales Rüstungsbegrenzungs-         anhaltend hoher Wachstumsraten unwei-             ferenz, 6.-8. Februar 2009.
system erreicht.                                 gerlich in die internationale Spitzengruppe     9 Wagner, Christian 2005: Die ‚verhinder-
                                                 auf und sind sich dessen auch bewusst. Die        te‘ Großmacht? - Die Außenpolitik der
  Solche Schritte wären sichtbare Anstren-
                                                                                                   Indischen Union, 1947-1998, Baden-
gungen der Nuklearwaffenstaaten, ihren           Konsequenz scheint klar:„By midcentury,           Baden, S. 41
Abrüstungsverpflichtungen unter Artikel          the U.S.-China-India relationship may be
                                                                                                 10 Das NV-Regime umfasst mehr als nur
VI des NVV nachzukommen. Sie würden              the most important in the world“.15                den NVV, auch wenn dieser ein wichti-
darüber hinaus endlich eine bessere Per-           Wie lange die USA ihre Spitzenposition           ger Teil davon ist. Eine Übersicht über
spektive für eine Einbindung Indiens und         werden halten können, ist fraglich. Es ist         das gesamte Regime und dessen derzei-
der übrigen Nuklearwaffenbesitzer, die au-       nicht auszuschließen, dass sie bereits inner-      tigen Herausforderungen bietet: Fran-
                                                                                                    ceschini, Giorgio 2008: Assessing the
ßerhalb des NVV stehen, eröffnen.                halb einer Generation von China als größte
                                                                                                    nuclear non-proliferation regime: What
                                                 Volkswirtschaft der Welt abgelöst werden           are the loopholes? What are the chal-
                                                 und dass Indien einige Jahre später nach-          lenges? in: Boutherin, Grégory (Hrsg.):
  Geostrategischer Geniestreich?                 ziehen wird.                                       Europe Facing Nuclear Weapons Chal-
                                                   Solche Überholvorgänge sind, so zeigt die        lenges, Brüssel, 155-180.
Die Diskussion in den letzten Abschnitten        Forschung, häufig unruhige Zeiten, die mit
hat gezeigt, dass die Kritik am Atom­deal        Konflikten oder gar Kriegen einhergehen.                    Fortsetzung auf Seite 11

                                                                                                                   HSFK-Standpunkte 5/2008   9
Diese Theorie ist jedoch keineswegs de-          Wirtschaftswachstum in Indiens seit 1965
terministisch. Die Geschichte kennt auch
friedliche Machtübergänge – und selbst ein
konfliktreicher Machtübergang müsste auf-
grund der Gemeinsamkeiten zwischen In-
dien und dem Westen, die unten erläutert
werden, keinesfalls zwangsläufig in Gewalt
oder gar Krieg ausarten; er könnte aber mit
ebenfalls verhängnisvollen politischen Kon-
flikten einhergehen.
  Die Gründe für „friedliche Machtüber-
gänge“ sind bisher noch nicht ausreichend
erforscht. Herrschende Meinung ist jedoch,
dass der Aufstieg einer neuen Macht umso
problematischer ist, je mehr diese Macht                BIP in Milliarden $
unzufrieden ist mit der Art und Weise,
wie die internationale Ordnung organi-
                                                                                                                                                           Jahr
siert ist. Aus der Perspektive der klassischen
                                                 Zum Vergleich: Im Jahr 2007 lagen das BIP der USA mit ca. 13,8 Billionen US-Dollar (weltweit Platz 1) und das
Machtübergangstheorie sind besonders die
                                                 BIP Chinas mit ca. 3280 Milliarden US-Dollar (weltweit Platz 4) noch deutlich vor dem Indiens. Trotzdem ist der
Staatenpaare USA/China und USA/Indien            rasante wirtschaftliche Aufschwung Indiens (weltweit Platz 12), insbesondere seit Anfang des neuen Jahrtausends,
problematisch: „If China and India develop       beachtlich. Nach Kaufkraftparität berechnet sind China und Indien heute schon nach den USA zweitgrößte und
as satisfied great powers, then these transi-    viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt.                                                           Quelle: Weltbank

tions will occur under peaceful conditions.        Eine kooperative Weltordnung ist durch-                  wird. Indien dagegen, obwohl unzweifel-
If they develop with significant grievan-        aus im Bereich des Möglichen. Darauf sollte                haft mit wichtigen Aspekten insbesonde-
ces against the international system, then       man hoffen und daran sollte man arbeiten.                  re der nuklearen Ordnung unzufrieden,
these transitions could result in war”.16 So     Dabei darf man allerdings nicht die Au-                    gehört nicht in diese Gruppe. Das globa-
gesehen wäre es präventive Konfliktver-          gen vor einer möglichen Rückkehr der Ge-                   le NV-Regime, mit dem NVV an seiner
hinderungspolitik, wenn es mit Hilfe des         schichte und daraus resultierenden Groß-                   Spitze, wurde zwar verbal als ungerecht
Atomdeals gelänge, Indiens Unzufrieden-          mächtekonflikten verschließen.                             bekämpft, aber seine Opposition zu die-
heit mit der Ordnung des internationalen           Sollte es dazu kommen, wäre eine an-                     sem Regime nahm Indien nie zum Anlass
Systems zu beheben oder zumindest zu             ti-westliche Allianz oder auch nur Inte-                   – wie etwa Pakistan oder Nordkorea – das
verringern.                                      ressensgemeinschaft der Aufsteiger im                      Streben anderer Staaten nach Nuklearwaf-
                                                 internationalen System ein ebenso unan-                    fen zu unterstützen. Neu Delhi kann daher
                                                 genehmes wie unnötiges Nebenprodukt                        prinzipiell in die internationale Ordnung
  Einbindung Indiens in ein multi-               des sich anbahnenden Machtübergangs.                       integriert werden. Dies gilt umso mehr
  laterales Kooperationsgeflecht                 Dem ist eine möglichst enge Einbindung                     als Indien durch sein politisches System
                                                 Indiens in die internationale Ordnung un-                  eigentlich für konstruktive Zusammenar-
Doch auch abseits der Überlegungen aus           bedingt vorzuziehen. Nun könnte ein sol-                   beit mit den USA und Europa prädestiniert
dieser Machtübergangstheorie wird sich           ches wohlwollendes Verhalten gegenüber                     war und ist. Es existieren verbindende Nor-
der „schwächelnde“ Westen zu überlegen           Indien in den Ruch des „Appeasement“                       men zwischen ihnen: Das demokratische
haben, wie er sich gegenüber den neuen           geraten. Zeigt nicht die Geschichte, dass                  System bei allen Dreien sollte eigentlich
Mächten China und Indien positioniert.           man gegenüber Staaten, die eine Revision                   dafür sorgen, dass sie sich untereinander
Zukünftig werden China und Indien immer          der internationalen Ordnung anstreben,                     tenden­ziell friedfertig verhalten und darü-
unentbehrlicher zur Bearbeitung von globa-       standhaft bleiben sollte, statt ihnen entge-               ber hinaus zu einer starken Kooperation
len Governance-Problemen. Es sei nur an          genzukommen? Verstärkt man nicht even-                     untereinander neigen. Daher muss die seit
die internationale Wirtschaftsordnung den        tuell – ganz im Gegensatz zu meiner Argu-                  langer Zeit fehlende politische Nähe zwi-
Klimaschutz und den internationalen Ter-         mentation – nach dem Motto „wer erstmal                    schen Nordamerika, Europa und Indien
rorismus erinnert. Es wäre zwar verfrüht,        den kleinen Finger hat, schnappt bald nach                 als historische Anomalie gelten, die besser
heute schon definitiv festlegen zu wollen,       der ganzen Hand“ sogar revisionistische                    heute als morgen beseitigt würde.
wie eine solche Positionierung ausfallen         Gelüste durch zu viel Großzügigkeit? Auch                    Indien entschied sich trotz seiner Armut
sollte. Dennoch kann bereits jetzt festgehal-    hier hilft ein Blick in die Theorie: Es gibt               nicht wie viele andere Länder der Dritten
ten werden, dass es ein Fehler wäre, sich ei-    einen fundamentalen Unterschied zwi-                       Welt für eine Entwicklungsdiktatur, son-
nen der beide oder gar beide Giganten zum        schen Revisionisten mit begrenzten und                     dern setzte von Anfang an konsequent auf
Gegner zu machen. Sinnvoller erscheint es,       solchen mit unbegrenzten Zielen. Letzte-                   die Demokratie. Diese musste durchaus
Indien und China in ein multilaterales Ko-       re sind in der Tat nicht zu pazifizieren, da               schwierige Phasen durchstehen – etwa den
operationsgeflecht einzubinden.                  kein Zugeständnis sie je zufrieden stellen                 von Indira Gandhi erklärten Ausnahmezu-

10 HSFK-Standpunkte 5/2008
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