Bewegung - Unfallkasse ...

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Bewegung - Unfallkasse ...
Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen
                                               3                                 Band 3

                                                                                Sicherheit
                                               Mehr Sicherheit durch Bewegung
                                                                                 Mehr Sicherheit durch Bewegung

                                                                                              Bewegung
                     Unfallkasse Hessen
                     Opernplatz 14
                     60313 Frankfurt am Main

                     Regionalbüro Nordhessen                                              Unfallkasse Hessen
                     Obere Königsstraße 8                                                 Partner für Sicherheit
ISBN 3–934729–02–9   34117 Kassel
Bewegung - Unfallkasse ...
Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen
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Schriftenreihe der Unfallkasse Hessen
Band 3

MEHR SICHERHEIT
DURCH BEWEGUNG
Psychomotorik in Kindergarten und
Grundschule

         Unfallkasse Hessen
         Partner für Sicherheit
Bewegung - Unfallkasse ...
Herausgeber:
© Unfallkasse Hessen
Opernplatz 14, 60313 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/2 99 72– 0, Telefax: 0 69/2 99 72–2 07
Internet: www.unfallkasse-hessen.de
E-Mail: ukh@ukh.de
Regionalbüro Nordhessen
Obere Königsstraße 8, 34117 Kassel
Telefon: 05 61 / 729 47– 0, Telefax: 05 61 / 729 47– 11

Autor:
Manfred Stich

Redaktionelle Bearbeitung:
Pia Ungerer
Ortrun Rickes, Christina Goedecke:
Unfallkasse Hessen

Grafische Gestaltung und Satz:
Gabel Typographie, Oppenheim

Zeichnungen:
Georg Stenzel

Herstellung:
Corinna Gabrisch, Universum Verlagsanstalt

Verlag und Druck:
Universum Verlagsanstalt, 65175 Wiesbaden

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier

Verantwortlich für den Inhalt ist der Autor

© für diesen Band: Unfallkasse Hessen
Mai 2000

ISBN 3–934729–02–9
Bewegung - Unfallkasse ...
Inhalt

Einleitung     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   8

I.     Sicherheit und Bewegung –
       Aspekte einer kindgerechten Erziehung         . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11
       1.1      Kindsein heute   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11
       1.2      Kinder müsen sich bewegen dürfen       . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11

II.    Bewegung als Fundament der kindlichen Entwicklung             . . . . . . . . . . .   14
       2.1      Zur Bedeutung und Situation der Bewegungsentwicklung           . . . . . .   14

III.   Wahrnehmung als Baustein der kindlichen Entwicklung             . . . . . . . . . .   17
       3.1      Fühlen – Taktile Wahrnehmung       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   18
       3.2      Der Gleichgewichtssinn     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   18
       3.3      Der Bewegungssinn      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   18
       3.4      Der Geruchssinn    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   18
       3.5      Der Geschmackssinn       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   19
       3.6      Der optische Sinn    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   19
       3.7      Der akustische Sinn    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   20

IV.    Psychomotorik – Persönlichkeitsentwicklung über Bewegung
       und Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         . . . . . . .   21
       4.1      Intentionen der Psychomotorik.     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   22
       4.2      Mögliche Inhalte der Psychomotorik       . . . . . . . . . . . . . . . . .   23
       4.2.1    Körpererfahrung    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   23
       4.2.2 Wahrnehmungserfahrung           . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   23
       4.2.3 Sozial-emotionale Erfahrung         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   24
       4.2.4 Materialerfahrung       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   24
       4.3      Methodische Fragestellungen      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   25

                                                                                                  5
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4.3.1   Zur Person der/des Erziehenden      . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   25
          4.3.2 Zur Bedeutsamkeit der Motivation        . . . . . . . . . . . . . . . . . .   27
          4.3.3 Zur Frage der Auswahl psychomotorischer Spielgeräte         . . . . . . . .   28

    V.    Psychomotorik in Kindergarten und Grundschule         . . . . . . . . . . . . . .   29
          5.1     Kennzeichen der allgemeinen Entwicklung       . . . . . . . . . . . . . .   29
          5.2     Erziehungsziele des Kindergartens     . . . . . . . . . . . . . . . . . .   31
          5.3     Zur aktuellen Entwicklung der Bewegungserziehung        . . . . . . . . .   33
          5.4     Zur Notwendigkeit psychomotorischer Erziehung       . . . . . . . . . . .   34

    VI.   Psychomotorik – Beispiele aus der Praxis für die Praxis       . . . . . . . . . .   36
          6.1     Seinen Körper und sich vielfältig wahrnehmen      . . . . . . . . . . . .   36
          6.2     Das psychomotorische Alltagsmaterial „Korken“       . . . . . . . . . . .   40
          6.3     Psychomotorische Ausdrucks- und Kooperationsspiele .        . . . . . . .   44
          6.4     Bewegungsspiele sind wichtig      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   48

    VII. Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen             . . . . . . . . . . . . . . . . .   51

    VIII. Förderdiagnostische Hinweise     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    54
          8.1     Warum ist die Beobachtung von Kindern ein wichtiges
                  pädagogisches Anliegen? . . . . . . . . . . . . . . .     . . . . . . . .   54
          8.2     Sind Testverfahren ein geeignetes Mittel, um Informationen
                  über den Fähigkeitsstand eines Kindes zu gewinnen? . . .        . . . . .   55

    IX.   Wie kann die Bauplanung Bewegungsangebote unterstützen oder:
          Was können wir mit einfachen Mitteln in unserer Einrichtung
          verändern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    . . . .   56

    X.    Tipps, Anregungen, Beispiele     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    58
          10.1    Fort- und Weiterbildungen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   58

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10.2   Zur Zusammenarbeit von Kindergarten, Schule und Verein          . . . . . .   60
10.2.1 Welche Voraussetzungen müssen bei einer Zusammenarbeit
       von Kindergarten und Verein berücksichtigt werden? . . . . .        . . . .   60
10.2.2 Formen der Zusammenarbeit         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   60
10.3   Der Aufbau psychomotorischer Gruppen          . . . . . . . . . . . . . . .   61
10.3.1 Kriterien   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   61
10.3.2 Materialbedarf    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   62
10.3.3 Was muss ich alles arrangieren, bevor die erste Bewegungs-
       stunde stattfinden kann? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      . . . .   62
10.4   Buchtipps     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   63
10.5   Bücherliste .   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   65
10.6   Zeitschriftenbezugsquelle     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   67
10.7   Broschüren      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   68
10.8   Bezugsquellen     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   68
10.9   Video-Filme                       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   69
10.10 Elternarbeit                       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   69

                                                                                          7
Bewegung - Unfallkasse ...
Einleitung

    Mehr Sicherheit durch Bewegung –                  im Alter von 3 bis 6 Jahren wesentliche
    Psychomotorik in Kindergarten und                 Entwicklungsimpulse vermittelt, er-
    Grundschule                                       kannt und in zunehmendem Maße in
                                                      den Alltag des Kindergartens integriert.
    Als vor vier Jahren die erste Auflage der     •   Immer mehr pädagogische Fachkräfte
    Broschüre „Mehr Sicherheit durch Bewe-            und Lehrkräfte entwickeln das Be-
    gung – Psychomotorik im Kindergarten“             wusstsein, dass Psychomotorik ein
    erschien, war das Bestreben der Unfall-           kindgemäßer und entwicklungsorien-
    kasse Hessen (damals noch getrennt in:            tierter Ansatz ist, der die individuellen
    Hessischer Gemeindeunfallversicherungs-           Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kin-
    verband und Eigenunfallversicherung der           des in den Mittelpunkt seiner Bemü-
    Stadt Frankfurt) und des Autors, einen            hungen stellt.
    möglichst breiten Adressatenkreis hessi-      •   In den vorschulischen und schulischen
    scher Kindergärten, -horten und -tages-           Einrichtungen finden wir immer mehr
    stätten zu erreichen, um auf die Idee wie         Kinder, die ein „Problem“ haben oder
    die Notwendigkeit psychomotorischer Er-           als „schwierig“ bezeichnet werden.
    ziehung in vorschulischen Einrichtungen           Dieses „Problem“ kann sich in einer
    aufmerksam zu machen und sie weiter zu            abweichenden und/oder verzögern-
    verbreiten. Wie die kontinuierlich steigen-       den Entwicklung in den Bereichen Mo-
    de Nachfrage nach dieser Broschüre und            torik, Wahrnehmung, Sprache, Sozial-
    die gestiegene Bereitschaft von pädago-           verhalten, Aufmerksamkeit/Konzen-
    gischen Fachkräften und Lehrkräften nach          tration sowie Lernen zeigen und mani-
    psychomotorischen Fortbildungsangebo-             festieren. Psychomotorik kann hier
    ten zeigt, haben wir dieses Ziel, wenn            wichtige Denk- und Handlungsimpulse
    auch nicht flächendeckend, erreicht.              vermitteln, die gerade diesen schwieri-
    „Psychomotorik“ ist im Begriff, in vielen         gen Kindern zugute kommen.
    Kindergarten- und Grundschuleinrich-          •   In zunehmendem Maße lassen auch
    tungen ein wichtiges Thema zu werden,             Eltern ein Informations- und Fortbil-
    das immer mehr an Aktualität und Be-              dungsbedürfnis nach psychomotori-
    deutung gewinnt und gewinnen muss.                schen Angeboten erkennen. Zahlreiche
                                                      Elternabende, die ich in den letzten
    Wir führen dies auf mehrere Entwicklun-           Jahren in Kindergärten durchgeführt
    gen zurück:                                       habe, lassen entsprechende Entwick-
                                                      lungen erkennen.
    • Der Ansatz der Psychomotorik wurde
      als ganzheitlich persönlichkeitsför-        Viele pädagogische Fachkräfte, Übungs-
      dernder Aspekt, der gerade für Kinder       leiter und Eltern, die in den letzten Jahren

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Bewegung - Unfallkasse ...
Einleitung

an meinen Fortbildungsseminaren der          • dass die aktuelle Entwicklung der Be-
Unfallkasse Hessen und des Bildungs-             wegungserziehung/Psychomotorik in
werkes des Landessportbundes Hessen              Kindergarten, Grundschule und Verein
teilgenommen haben, ließen immer wie-            als Anlass zur Veränderung zur Kennt-
der ein verstärktes Bedürfnis nach grund-        nis genommen wird (Kapitel 5),
legenden Informationen und praktischer       •   dass die Wichtigkeit, Bedeutung und
Umsetzbarkeit hinsichtlich der Bewe-             die Praxis des Spielens und des Spiels
gungs- und Wahrnehmungsentwicklung               aus psychomotorischer Sicht verdeut-
bzw. -förderung erkennen. Auch förder-           licht wird (Kapitel 6),
diagnostische Fragestellungen (z. B.:        •   dass pädagogische Fachkräfte,
„Wie kann ich denn erkennen, ob ein Kind         Übungsleiter und Eltern einen groben
eine Wahrnehmungs- oder Bewegungs-               Überblick möglicher Bewegungs- und
beeinträchtigung hat?“) standen immer            Wahrnehmungsbeeinträchtigungen/
wieder im Blickpunkt der psychomotori-           -störungen vermittelt bekommen
schen Fortbildungen.                             (Kapitel 7),
                                             •   dass pädagogische Fachkräfte,
Im Rahmen dieser Broschüre ist es nicht          Übungsleiter und Eltern für den Um-
möglich, eine befriedigende Antwort auf          gang mit förderdiagnostischen Frage-
all diese Bedürfnisse und Fragestellun-          stellungen Hinweise erhalten
gen zu geben. Dennoch wollen wir mit             (Kapitel 8),
einer in Teilen stark veränderten Konzep-    •   dass pädagogsche Fachkräfte,
tion der nun vorliegenden zweiten Auf-           Übungsleiter und Eltern Grundinfor-
lage der Broschüre „Mehr Sicherheit              mationen hinsichtlich bauplanerischer
durch Bewegung – Psychomotorik in Kin-           Überlegungen, die von kurz- bis zu
dergarten und Grundschule“ erreichen,            langfristigen Maßnahmen führen
                                                 können, erhalten (Kapitel 9),
• dass sich bei pädagogischen Fach-          •   dass pädagogische Fachkräfte,
    kräften, Übungsleitern und Eltern das        Übungsleiter und Eltern den Mut
    Bewusstsein und die Einsicht in die          haben, psychomotorische Gruppen in
    Notwendigkeit von Bewegung als ele-          der eigenen Einrichtung oder in Turn-
    mentarem Baustein einer ganzheitlich-        und Sportvereinen ins Leben zu rufen.
    kindlichen Entwicklung weiterhin             Dazu sind Tips, Ratschläge und Anre-
    schärft (Kapitel 1 und 2),                   gungen aufgeführt (Kapitel 10).
•   dass sich durch ein Mehr an Wissen um
    die einzelnen Wahrnehmungsbereiche       Eigene Erfahrungen aus einer nunmehr
    eine effektivere Wahrnehmungs- und       10-Jährigen psychomotorischen Praxis mit
    Bewegungsförderung ermöglichen           Kindergarten- und Grundschulkindern
    lässt (Kapitel 3),                       belegen, dass sich diese Kinder, sofern
•   dass Erzieherinnen, Lehrkräfte,          wir als Erwachsene ihnen die Chance zum
    Übungsleiter und Eltern die grundsätz-   Sammeln vielfältiger Körper-, Material-
    liche Bedeutung der Psychomotorik für    und Sozialerfahrungen einräumen, zu
    die kindliche Persönlichkeitsentwick-    handlungsfähigen, selbstbewussten und
    lung erkennen (Kapitel 4),               selbstsicheren Menschen entwickeln

                                                                                          9
Einleitung

     können. Es genügt nicht, nur die äußeren    sichtlich effektiver Maßnahmen etwas
     Sicherheitsregeln und -bestimmungen         Grundsätzliches ändert. Die Unfallkasse
     (DIN-Anleitungen, Sicherheit von Geräten    Hessen hat als eine der ersten Institutio-
     etc.) zu berücksichtigen: Die Kinder müs-   nen die Zeichen der Zeit erkannt und bie-
     sen vielmehr so gestärkt werden, dass       tet seit Jahren regelmäßige Fortbildungen
     sie sich mit aufrechtem Gang, innerer und   zum Thema Bewegungserziehung/Psy-
     äußerer Haltung, physisch und psychisch,    chomotorik an. Bedingt durch die Initia-
     das heißt sicher in ihrer Welt bewegen      tiven Einzelner wurden in den letzten Jah-
     können.                                     ren Psychomotorikvereine (vor allem in
                                                 größeren Städten) gegründet. Ein flächen-
     Sicherheit, Bewegung und Wahrnehmung        deckendes Angebot psychomotorischer
     sind somit als verhaltensstabilisierende    Erziehung und Förderung ist jedoch bei
     und verhaltensfördernde menschliche         weitem noch nicht in Sicht. Hier sind
     Bedürfnisse einzustufen. Je mehr Kinder     Trägervereine der Kindergärten, Schul-
     ihre Umwelt wahrnehmen, je mehr sie         aufsichtsbehörden und Landessport-
     sich in dieser Umwelt bewegen können        bünde gemeinsam gefragt. Die Hessische
     und dürfen, um so größer wird sich das      Sportjugend versucht, durch eine jüngst
     Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und     ins Leben gerufene Aktion, neue flächen-
     das Selbstbewusstsein im sozialen Kon-      deckende Wege und Konzepte zu be-
     text entwickeln können. Sicherheit ist      schreiten.
     nicht länger nur eine Frage zu schaffen-
     der Rahmenbedingungen, sondern zielt        Darüber hinaus gilt es, weitere Konzepte
     auf die Entwicklung eines individuell-      zu erarbeiten, in denen das gemeinsame
     sicheren Verhaltens in allen Alltags- und   Bestreben aller Beteiligten (vor allem
     Lebenssituationen ab. Psychomotorik         auch unter Einbezug von Eltern und
     kann hier ein wichtiger Wegweiser sein.     Familien) wirksam wird. Aus-, Fort- und
     Es liegt an uns als Erwachsene, dies zu     Weiterbildungsmaßnahmen (z.B. pro
     erkennen und den Kindern zu ermög-          Einrichtung ein/eine als Multiplikator fun-
     lichen.                                     gierender/e Fachmann/Fachfrau für
                                                 Psychomotorik) müssen hier eine erhebli-
     Zurückliegende wie gegenwärtige Erfah-      che Aufgewichtung erfahren. Wie gelun-
     rungen belegen aber auch, dass psycho-      gene Beispiele aus der Praxis immer wie-
     motorischen Angeboten, Denk- und Hand-      der zeigen, kann die wichtige Frage nach
     lungsweisen im vorschulischen wie schu-     den sächlichen und räumlichen Rahmen-
     lischen Kontext immer noch viel zu wenig    bedingungen durchaus kostengünstig,
     Platz eingeräumt wird. Dies ist um so       manchmal auch kostenneutral (z.B. durch
     verwunderlicher als seit Jahren Kranken-    "Sponsoring") geklärt werden. Wichtig
     kassen und Verbände auf das Problem         und unerlässlich ist es, dass wir als Er-
     der stetig wachsenden Zahl bewegungs-,      wachsene ein stärkeres Bewusstsein für
     wahrnehmungs-, sprach-, verhaltens- so-     die psychomotorische Entwicklung der
     wie koordinationsbeeinträchtigter oder      Kinder gewinnen und die praktische
     -gestörter Kinder und Jugendliche auf-      Umsetzung, die mit Sicherheit Einsatz
     merksam machen, ohne dass sich hin-         und Energie erfordert, nicht scheuen.

10
I      Sicherheit und Bewegung – Aspekte einer
       kindgerechten Erziehung

1.1 Kindsein heute                           Viele Bewegungen und Aktivitäten wer-
                                             den nicht beachtet. So ist das kindliche
Erziehung gestaltet sich heute schwieri-     Verhalten weniger geprägt von selbst-
ger denn je. Die Belastbarkeit von Erwach-   ständigen Verhaltensweisen und Fähig-
senen und Kindern wird zunehmend ge-         keiten, sondern liefert Antworten auf
ringer. Es fällt Kindern schwer zu warten,   Tätigkeiten oder Worte der Erwachsenen.
zu verzichten oder zu geben. Rücksichts-     Mit anderen Worten: Das Kind wird in
losigkeit, Isolation, innere Unruhe, Ano-    immer stärkerem Maße in eine passive
nymität und Orientierungslosigkeit sind      Rolle, in eine Konsumentenhaltung
Ausdruck vielfältiger Verunsicherungen,      gedrängt. Tagtäglich ist es einem Umfeld
die sich in der Familie (steigende Schei-    mit vielfältigen Einflüssen, Eindrücken,
dungsraten; vaterlose Erziehung; allein      Prägungen und Normen ausgesetzt,
Erziehende; Kleinstfamilien), im beruf-      muss eine wahre Informationsflut über
lichen Leben (Arbeitslosigkeit) und im       sich ergehen lassen und wird so vor
zwischenmenschlichen Bereich (Gefühl         unlösbare Bewältigungsmöglichkeiten
für Gemeinschaft; Verständnis für den        gestellt.
anderen) zeigen. Hinsichtlich der Erzie-
hung unserer Kinder müssen wir uns die       Die kritiklose Verwendung vieler Medien
Frage gefallen lassen, ob wir ihnen tat-     (Video, Fernsehen, Gameboy, PC etc.)
sächlich noch die Zeit und damit das         begünstigt einen Entfremdungsprozess,
Vertrauen und die Sicherheit vermitteln,     in dem autonome, selbstbewusste,
die sie für eine gesunde Entwicklung in      selbstsichere und verantwortungsbewus-
unserer Gesellschaft brauchen.               ste Menschen nicht gefragt sind. So
                                             scheint letztlich alles machbar und alle
In zunehmendem Maße sind wir um die          Störungen des Lebens leicht behebbar.
mangelnde Eigeninitative von Kindern
besorgt. Viele ziehen es vor, nachzuah-      1.2 Kinder müssen sich bewegen dürfen
men und zu reproduzieren anstatt selbst
zu erfinden und eigene Ideen zu realisie-    Sich seiner sicher werden, sich seiner
ren. Darüber sollten wir jedoch nicht ver-   sicher sein oder Sicherheit entwickeln
wundert sein: Seit ihrer frühesten Kind-     wird nach dem hier vorliegenden Ver-
heit wird ihnen die Eigeninitiative von      ständnis im wesentlichen von unseren
Kindern regelrecht unterdrückt, wird die     Fähigkeiten der Auseinandersetzung mit
Lust am Ausprobieren eigener Aktivitäten     anderen Menschen und den sachlichen
und Möglichkeiten genommen. So machen        Begebenheiten unserer Umwelt sowie der
Kontrollmethoden einen erheblichen Teil      Fähigkeit, soziale und emotionale Bezie-
des täglichen Lebens aus.                    hungen einzugehen, bestimmt.

                                                                                        11
Kapitel I

     • Welche Konsequenzen hat dies für das       • Wenn sich Kinder nicht mehr so bewe-
     Handeln der Erwachsenen? Wie können          gen können wie dies für eine gesunde
     wir eine derart verstandene Sicherheit       Entwicklung notwendig ist, bleibt ihnen
     vermitteln?                                  vieles verschlossen und wir dürfen uns
     • Was ist zu tun, damit wir die natürli-     nicht wundern, wenn sich diese Kinder
     chen und emotionalen Grundlagen einer        auch uns gegenüber zunehmend
     kindgerechten Entwicklung nicht gänzlich     verschließen.
     zerstören?
     • Sind wir uns eigentlich im Klaren, dass,   Kinder erleben und erfahren sich und ihre
     je mehr wir den kindlichen Lebensraum        Umwelt auf diese Weise. Wenn Kindern
     beschneiden, je mehr wir Aktivitäten und     die Freiräume, in denen sie sich bewegen
     Bewegung nur noch an genormten               können, erhalten und (wieder) ermöglicht
     Geräten, in genormten Räumen mit             werden, werden sich diese Kinder mit
     genormten Verhaltensweisen zulassen,         Sicherheit sicherer entwickeln.
     wir die Kinder ihrer, für die gesamte
     Entwicklung notwendige Bewegungswelt         Die motorischen und sensorischen Fähig-
     berauben und sie in ihrem Verhalten und      keiten von Kindern gelten häufig als
     in ihrem Bedürfnis nach Orientierung         Bereiche, die sich – im Gegensatz zur
     eher verunsichern als die notwendige         Kognition – scheinbar "von selbst" ent-
     Sicherheit vermitteln?                       wickeln und somit in pädagogischen

12
Sicherheit und Bewegung – Aspekte einer kindgerechten Erziehung

Einrichtungen nicht gezielt gefördert wer-   in der Nachbarschaft auf, die man für die
den müssen. Dabei wird übersehen, dass       meisten Bewegungsaktivitäten bräuchte.
heute viele Kinder in einer Umgebung         Das Angebot an bewegungsarmen
aufwachsen, in der die normale               Spielen sowie Medien nimmt im
Bewegungsentwicklung stark einge-            Gegenzug permanent zu und wird von
schränkt ist: Wohnungsnahe                   den Kindern auch genutzt: So sind tägli-
Bewegungsräume, die von den Kindern          che Fernseh- und Videozeiten von mehre-
spontan und ohne Begleitung genutzt          ren Stunden bereits bei Vorschulkindern
werden können, stehen dort nicht zur         keine Seltenheit. Es verwundert daher
Verfügung. So kann in Höfen und              nicht, dass die Zeiten, in denen sich
Hausfluren meist nicht gespielt werden       Kinder täglich bewegen, seit Jahren
und der Weg zum nächsten Spielplatz ist      zurückgehen. Bewegte sich ein normales
durch den Straßenverkehr so gefährlich,      Grundschulkind vor 20 Jahren noch rund
dass die Kinder den Platz nur in             35 Stunden in der Woche, so hat sich
Begleitung Erwachsener oder älterer          heute die wöchentliche Bewegungszeit
Geschwister aufsuchen dürfen. Weiterhin      etwa halbiert.
wachsen viele Kinder ohne Gleichaltrige

                                                                                         13
II         Bewegung als Fundament der kindlichen Entwicklung

     Die Welt der Kinder ist eine Welt des         gewohnheiten haben Folgen: Kinder wei-
     Spiels und der Bewegung. Kinder müssen        sen heute mehr körperliche Auffälligkei-
     sich bewegen können, um sich in unserer       ten auf als noch vor 20 Jahren. So wurden
     Welt zurechtzufinden und sicher zu füh-       in Einschulungsuntersuchungen bei ca.
     len. Nur eine Welt, die Kindern diese         60% der Kinder Haltungsprobleme, bei
     Bewegungsmöglichkeiten zugesteht und          etwa 30% Übergewicht und bei rund
     realisiert, ist eine kindgerechte Welt.       40% Schwächen im Bereich der koordi-
                                                   nativen Fähigkeiten festgestellt. Parallel
     2.1 Zur Bedeutung und Situation der           dazu verschlechterten sich auch die
     Bewegungsentwicklung                          körperlichen Fähigkeiten: Eine 1992
                                                   durchgeführte Untersuchung an Frank-
     Bereits im Mutterleib entwickelt das Kind     furter Grundschulen stellte alarmierende
     Bewegungsfähigkeiten, die es über die         Rückgänge der Fähigkeiten Ausdauer und
     Geburt hinaus immer mehr ausbaut. So          Körperkoordination fest. Diese hängen
     sind die ersten Lebensjahre für die ge-       eindeutig mit der mangelnden Möglich-
     samte kindliche Entwicklung von aus-          keit zu motorischen Handlungen zusam-
     schlaggebender Bedeutung. Kinder wer-         men. In einer weiteren Untersuchung
     den größer und selbstständiger, lernen        zeigte sich, dass z. B. alle Erstklässler aus
     täglich dazu, machen Fortschritte bezüg-      ländlichen Gebieten (die gefahrloser und
     lich ihrer Körpergröße, der Kontrolle ihrer   somit häufig mit dem Fahrrad fahren kön-
     Bewegungen und Wahrnehmungen. Sie             nen) das einhändige Fahren mit gleich-
     gehen, laufen, rennen, hüpfen, springen,      zeitigem Zeichengeben (mit der anderen
     klettern, balancieren, schaukeln und vie-     Hand) beherrschten; in Städten waren
     les andere mehr. Ihre Kraft, Schnelligkeit,   hier nur 25% der Kinder dazu in der Lage.
     Ausdauer, Koordinations- und Orientie-
     rungsfähigkeit bildet sich qualitativ und     Die beschriebenen Probleme stellen zum
     quantitativ immer stärker aus.                einen die langfristige Sicherung der Ge-
                                                   sundheit in Frage: Herz-Kreislauf-Erkran-
     Je optimaler äußere, umweltbedingte Vor-      kungen sowie Wirbelsäulenbeschwerden
     aussetzungen gegeben sind und gestaltet       hängen deutlich mit einem Mangel an
     werden, umso besser wird sich das Kind        Bewegung zusammen. Zum anderen wird
     entwickeln. Oftmals ist es aber gerade        aber auch die normale körperliche Ent-
     diese Umwelt und die Erwachsenen als          wicklung beeinträchtigt: Eine Verbesse-
     (übermächtige) Repräsentanten dieser          rung motorischer Fähigkeiten kann nur
     Umwelt, die kindliche Entwicklungen eher      durch die Belastung des entsprechenden
     bremsen oder gar verhindern. Zivilisa-        Bereichs erfolgen. So verbessert sich
     tionsbedingte Veränderungen der Lebens-       etwa Kraft nur durch die Belastung der

14
Bewegung als Fundament der kindlichen Entwicklung

Muskulatur, Ausdauer durch eine Belas-       Das gewichtigste Argument für eine frühe
tung des Herz-Kreislauf-Apparates. Die       Bewegungsförderung stellen aber sicher
Übungsabhängigkeit gilt insbesondere         die zahlreichen positiven Wechselwirkun-
für die koordinativen Fähigkeiten Körper-    gen zwischen der motorischen bzw. sen-
koordination und Gleichgewicht. Letzte-      sorischen Entwicklung und den Bereichen
res stellt einen komplexen Regelkreis dar,   der Kognition, des Sozialverhaltens und
in dem neben dem eigentlichen Gleich-        des Selbstwertgefühls dar.
gewichtsorgan (Vestibularorgan im Innen-
ohr) auch der Körpersinn und die visuelle    Einen direkten Zusammenhang zwischen
Wahrnehmung eine Rolle spielen und           Motorik und Intelligenz gibt es bei sehr
miteinander koordiniert werden müssen.       jungen Kindern (sensumotorische Phase),
Situationen, in denen der Körper aus         bei denen laut Piaget diese psychischen
seiner stabilen Lage in eine labile gerät    Bereiche noch nicht getrennt sind. Da
und zu stürzen droht, müssen sehr schnell    sprachliche und schriftliche Informatio-
erkannt und durch Ausgleichsbewegun-         nen noch nicht zur Verfügung stehen,
gen korrigiert werden.                       erfolgt jegliche Erkenntnis durch Hand-
                                             lung (= Bewegung). Ein Verständnis von
Die mangelnde Ausbildung vieler körper-      Entfernung kann z. B. nur dann gewonnen
licher Fähigkeiten belastet nicht nur die    werden, wenn Strecken unterschiedlicher
Gesundheit, sie fördert auch das Risiko,     Längen vom Kind selbst zurückgelegt
einen Unfall zu erleiden: Viele Zusam-       werden. Gleiches gilt analog für den Er-
menstöße sind zurückzuführen auf gerin-      werb des Verständnisses von Geschwin-
ge Reaktionsfähigkeit und die Unfähig-       digkeit. Auch die Erkenntnis, dass Ober-
keit, seine eigene Bewegung mit Anderen      flächen unterschiedlich beschaffen sein
abzustimmen. Bei Stürzen fangen sich         können (rauh, glatt, weich), ist nur durch
Kinder oft auf Grund zu geringer Kraft,      eigenes Betasten möglich: „Greifen“
Reaktionsfähigkeit und Körperkoordina-       und „Begreifen“ hängen eben nicht nur
tion nicht mit den Händen ab, sondern        sprachlich zusammen. Auch das Ent-
prallen mit dem Kopf auf. Insbesondere       wickeln des für das Rechnen unverzicht-
im Straßenverkehr spielen auch eine          baren (abstrakten) Zahlbegriffes ist nur
schwache Auge-Körper-Koordination und        durch das Hantieren mit unterschied-
eine schlechte akustische Orientierung       lichen (konkreten) Mengen möglich. Zu-
bei der Entstehung von Unfällen eine         dem ermöglichen motorische Fähigkeiten
Rolle.                                       dem Kind, sich in Situationen zu bege-
                                             ben, die zu einer Förderung der kogniti-
In einer Untersuchung in Frankfurter Kin-    ven Fähigkeiten beitragen. Ein Kind, das
dergärten konnte hier nachgewiesen           klettern kann, erlebt z. B. seine Umge-
werden, dass ein zusätzlich angeleitetes     bung aus einer anderen Sicht als ein
Bewegungsangebot in den Einrichtungen        Kind, das nicht über diese Fähigkeit ver-
(und die damit verbundene Verbesserung       fügt. Obgleich der Zusammenhang zwi-
der motorischen Kompetenz) das Unfall-       schen Kognition und Motorik mit zuneh-
risiko nicht erhöht, sondern deutlich        mendem Alter schwächer wird, ist er im
senkt.                                       Kindergartenalter noch deutlich vorhan-

                                                                                          15
Kapitel II

     den und oft sichtbar. In wissenschaftli-     die ihnen dauerhaft Misserfolg bringen,
     chen Untersuchungen wurde mehrfach           mittel- und langfristig eher meiden und
     belegt, dass Kinder, die an einem reinen     somit von späteren Bewegungsangebo-
     Bewegungsförderungsprogramm teilnah-         ten weniger profitieren.
     men, auch in Intelligenztests besser ab-
     schnitten als solche ohne motorische         Weiterhin sind motorisch geschickte Kin-
     Förderung.                                   der in der Regel weniger ängstlich sowie
                                                  selbstständiger und selbstbewusster als
     Zwischen der Motorik und der Ausbildung      motorisch schwache. Motorisch geschick-
     sozialer Fähigkeiten bestehen ebenfalls      tere Kinder trauen sich vielfältige (auch
     Wechselwirkungen. So existiert zwischen      unbekannte und neue) Bewegungen zu
     der Stellung in der Gruppe und den           auszuprobieren und verbessern dadurch
     motorischen Möglichkeiten der Kinder         ihre motorischen und sensorischen Fähig-
     eine indirekte Beziehung: Kinder mit einer   keiten. Motorisch schwächere Kinder
     schwachen Motorik nehmen innerhalb           meiden hingegen Bewegungsaktivitäten,
     von Kindergruppen häufig Außenseiter-        wodurch sich im Laufe der Zeit der Unter-
     positionen ein, da sie an vielen Gruppen-    schied zwischen den Fähigkeiten der
     aktivitäten nicht teilnehmen können bzw.     Gruppen noch weiter vergrößert.
     ihre Mannschaft in Wettbewerbssituatio-
     nen um den Sieg bringen. Hier ist zu be-     Von motorischer Förderung profitieren
     denken, dass die Motorik gerade im Kin-      aber nicht nur die Kinder selbst, sondern
     dergarten- und frühen Schulalter einen       auch die sie begleitenden PädagogInnen:
     wichtigen Bereich darstellt, in dem sich     Zahlreiche Untersuchungen belegen auch
     Kinder mit anderen vergleichen. Kinder,      hier, dass durch Bewegungsförderung in
     die hier (z. B. beim Wettlaufen oder Rin-    der Gruppe die Kommunikations- und
     gen) permanent anderen Kindern unter-        Kooperationsfähigkeit sowie die Konzen-
     liegen, erleben zusätzliche Kränkungen       trationsfähigkeit steigt. Diese Fähigkei-
     ihres ohnehin schwachen Selbstwert-          ten sind wichtig zur Erreichung weiterrei-
     gefühles. Sie werden diese Bereiche,         chender pädagogischer Ziele.

16
Wahrnehmung als Baustein der kindlichen
III           Entwicklung

Um sich in seiner Umwelt zurechtfinden        ckeln können und seine Bewegungsmög-
zu können, benötigt ein Kind neben den        lichkeiten werden verkümmern. Dies be-
entsprechenden personellen, sachlichen        deutet, dass sich kindliche Bewegungs-
und räumlichen Rahmenbedingungen              möglichkeiten nur dann entwickeln kön-
auch funktionsfähige Sinne.                   nen, wenn das Kind auf die Reize einer
                                              Umgebung aufmerksam wird, sie entspre-
Ein Kind muss sehen, hören, riechen,          chend der bisher gemachten Erfahrungen
tasten, schmecken, seinen Körper viel-        einordnen und vergleichen kann, ihnen
fältig erfahren und im Gleichgewicht          also eine Bedeutung verleiht und sich so
befindlich erleben können. Nur so kann        auf diese konzentrieren kann.
es sich ein immer umfassenderes Bild
von seiner Umgebung machen. Sinnes-           Der Begriff „Wahrnehmung“ wird oft
fähigkeiten können sich nur in der stän-      missverständlich nur auf das Sehen und/
digen Auseinandersetzung, im Erproben         oder Hören bezogen. Wir nehmen unsere
und Erkunden mit den Gegebenheiten            Umwelt und die Empfindungen über
der Umwelt entwickeln. Kinder brauchen        unseren Körper jedoch über viel mehr
in ihren frühen Entwicklungsphasen Anre-      Sinnessysteme wahr.
gungen und Reize vielfältiger Art. In den
ersten sechs Lebensjahren, aber auch in       Es werden 7 Sinne unterschieden:
den ersten Grundschuljahren lernen sie
insbesondere über das motorische und          • Haut- oder Tastsinn
sensorische System besonders effektiv         • Stellungs- oder
und schnell.                                      Bewegungssinn/Tiefensensibilität
                                              •   Gleichgewichtssinn
Erst durch aufmerksames Spielen erfährt       •   Geruchssinn
ein Kind wie „das Auge sieht, das Ohr         •   Geschmackssinn
hört, die Nase riecht, die Haut fühlt, die    •   Gehörsinn
Finger tasten, der Fuß versteht, die Hand     •   Gesichtssinn
begreift, das Gehirn denkt, das Blut pulst,
der Körper schwingt“ (Kükelhaus).             In der Entwicklung der menschlichen
                                              Wahrnehmung spielen der Tastsinn, die
Wahrnehmen schließt immer sensori-            Tiefensensibilität und der Gleichge-
sche, motorische, soziale, emotionale         wichtssinn eine zentrale und elementare
und kognitive Prozesse mit ein und wird       Rolle. Sie sind die Grundlage für alle wei-
somit zu einer Grundfunktionn kindlichen      teren Wahrnehmungsprozesse. Je besser
Lernens. Ohne die Fähigkeiten der Wahr-       diese Basissinne ausgebildet sind und
nehmung wird sich ein Kind nicht entwi-       miteinander kooperieren, um so unkom-

                                                                                            17
Kapitel III

     plizierter verläuft auch die Entwicklung     ermöglichen dadurch Anpassungsreaktio-
     eines Kindes. Eine gute Integration dieser   nen an alle Gleichgewichtsveränderungen.
     Sinne wirkt sich also fördernd auf die       Sämtliche Bewegungsformen (Gehen,
     gesamte Entwicklung des Kindes aus.          Laufen, Hüpfen, Springen, Schaukeln etc.)
                                                  reizen diese Gleichgewichtsrezeptoren.
     3.1 Fühlen – Taktile Wahrnehmung             Ohne Gleichgewichtssinn ist keine
                                                  Bewegung möglich!
     Unsere Haut ist bereits von Geburt an das
     größte, schwerste und wichtigste Sinnes-     3.3 Der Bewegungssinn
     organ. Da sich das Nervensystem und die
     Haut aus der gleichen Gewebeschicht          Dieser Sinn hat vielerlei Namen und wird
     bestehen, spielen Berührungsreize eine       auch Spannungssinn, Tiefensensibilität,
     Schlüsselrolle in der Organisation des       Eigenwahrnehmung, kinästhetische
     Gehirns. Körperliche Berührungen wie         Wahrnehmung oder Propriozeption ge-
     Berührungserfahrungen, Zärtlichkeiten,       nannt. Er ist bereits im Mutterleib funk-
     Hautkontakte, Geborgensein, Gehalten-        tionsfähig und vermittelt dem Gehirn über
     werden, das Urvertrauen entwickeln, sind     die Rezeptoren im Gewebe, in den Mus-
     die Basis für alle Schritte in die Welt.     keln, Sehnen, Bändern und Knochen in
     Dabei sind zweierlei Reize zu unterschei-    jedem Augenblick der Bewegung die Stel-
     den: Bei Reizen, die durch die Kleidung      lung der Körperteile zueinander. Ohne
     oder warmes Wasser entstehen, erhält         diese Eigenwahrnehmung wären alle
     das Gehirn keine direkten Informationen,     Bewegungen langsamer, ungeschickter,
     von welcher Stelle auf der Haut dieser       anstrengender oder eingeschränkt.
     Berührungsreiz stammt. Tastreize aus         In Zusammenarbeit vor allem mit dem
     dem Mund-, Hand- und Fingerbereich           optischen Sinn verhilft uns der Bewe-
     sind jedoch äußerst sensibel und werden      gungssinn zu Anpassungen an die jewei-
     zu den höchsten Gehirnregionen weiter-       lige Umwelt.
     geleitet und dort entsprechend verarbei-     Ohne Bewegungssinn keine Körper-
     tet und in Bewegungsreaktionen umge-         orientierung!
     setzt.
     Ohne Haut kann niemand leben!                3.4 Der Geruchssinn

     3.2 Der Gleichgewichtssinn                   Wenn wir von Wahrnehmungsförderung
                                                  sprechen, vergessen wir oft Angebote
     Das Gleichgewichtssystem arbeitet mit        auch im Bereich unseres Geruchsorgans
     allen anderen Sinnessystemen zusam-          zu machen. Offensichtlich ist uns nicht
     men. Das Gleichgewichtsorgan befindet        mehr bewusst, welche Funktion und
     sich in den Bogengängen des Innenohrs.       Qualität der Geruchssinn für unser Wohl-
     Bei jeder Bewegung verändert sich der        befinden und damit auch für unsere
     Flüssigkeitsstand in den Bogengängen,        Entwicklung hat. Gelegentlich taucht die
     wodurch winzige Härchen im Innenohr          Bedeutung in Redewendungen wieder
     berührt werden. Rezeptoren leiten die        auf („Stunk machen“/„ich kann dich
     Informationen an das Gehirn weiter und       nicht mehr riechen“/„von einer Sache

18
Wa h r n e h m u n g a l s B au s t e i n d e r k i n d l i c h e n E n t w i c k lu n g

Wind bekommen“). Gerüche, die wir in                       Schärfegrade von Speisen fühlen bzw.
frühen Jahren erfahren haben, können                       schmecken. Auch hier zeugen Redewen-
sich erst Jahrzehnte später wieder aktu-                   dungen („erbittert sein“/„süß-saures
alisieren.                                                 Lächeln“/„in den sauren Apfel beißen“)
Ohne Geruchssinn würden wir viele                          von der elementaren Sinnhaftigkeit
Genüsse im Leben vermissen!                                dieses Sinnes.
                                                           Ohne Geschmackssinn kommen wir nicht
3.5 Der Geschmackssinn                                     auf den Geschmack!

Auch dieser Sinnesfunktion wird im All-                    3.6 Der optische Sinn
gemeinen weniger Aufmerksamkeit ge-
schenkt. Uns allen sind jedoch Schlecke-                   Der Sehsinn hat in unserer hochtechni-
reien in der Küche und zu bestimmten                       sierten Welt offensichtlich die Führungs-
Jahreszeiten sehr wohl bekannt und in                      rolle eingenommen. Ständig werden wir
angenehmer Erinnerung. Bei Kindern                         von optischen Reizen aus Werbung, Fern-
spielen „Mundgefühle“ von Geburt an                        sehen und Umwelt geradezu bombar-
eine große Rolle. Sie können neben                         diert. Dabei ist uns nicht bewusst, dass
Wärme, Kälte, Feuchte, Trockenheit,                        der Sehsinn von allen Sinnessystemen
Härtegrad, Schlüpfrigkeit, Öligkeit auch                   bei der Geburt der am wenigsten ausge-

  Sinnesorgan            Sinnestätigkeit               Wahrnehmungsleistung                Begriff

  Augen                  Gesichtssinn                  Sehen                               optische oder
                                                       • hell/dunkel                       visuelle
                                                       • Farben und Formen                 Wahrnehmung

  Ohren                  Hörsinn                       Hören                               akustische
                                                                                           Wahrnehmung

  Haut                   Hautsinn                      Berührung                           taktile
                                                       Druck                               Wahrnehmung
                                                       Schmerz
                                                       Temperatur
                                                       Oberflächenstrukturen

  Mund                   Geschmackssinn                süß/sauer                           gustatorische
  Gaumen                                               bitter/salzig                       Wahrnehmung

  Nase                   Geruchssinn                   angenehm/unangenehm                 olfaktorische
                                                       bekannt/unbekannt                   Wahrnehmung

  Innenohr               Gleichgewichtssinn            Lage des Körpers im Raum            vestibuläre
                         Lagesinn                                                          Wahrnehmung

  Bänder, Sehnen,        Tiefensensibilität            Lage und Stellung der               kinästhetische oder
  Muskeln, Gelenke                                     Gliedmaßen zueinander               propriozeptive
                                                                                           Wahrnehmung

                                                                                                                 19
Kapitel III

     bildete ist, im Laufe der ersten Wochen      auch ein stets individueller und selekti-
     und Monate aber eine rasante Entwick-        ver Prozess.
     lung durchläuft.
     Ohne genügend Anreize zum optischen          Jean Ayres hat in ihrem Buch „Bausteine
     Wahrnehmen verkümmert der Sehsinn!           der kindlichen Entwicklung“ sehr an-
                                                  schaulich und verständlich dargelegt,
     3.7 Der akustische Sinn                      dass die taktile, vestibuläre und proprio-
                                                  zeptive Wahrnehmung die grundlegenden
     Bereits im Mutterleib kann das unge-         menschlichen Wahrnehmungsleistungen
     borene Kind Töne und Geräusche unter-        sind, auf deren Basis alle anderen Sinnes-
     scheiden und darauf reagieren. Eine          und Wahrnehmungsleistungen sich erst
     ungestörte Hörfähigkeit ist die Voraus-      entwickeln können. Leider sind diese
     setzung zum Sprechenlernen und gerade        Zusammenhänge und die sich daraus für
     in unserer stets Lärm produzierenden         die Entwicklungsförderung von Kindern
     Umwelt (ständige Musikberieselung,           abzuleitenden Maßnahmen noch sehr
     Verkehrslärm, Lärm in Kindergruppen)         wenig bekannt. Viele gutgemeinte
     nicht selbstverständlich. Damit sich das     Förderansätze sind deshalb unwirksam
     Hören in der frühen Kindheit adäquat         und bringen Kinder in deren Entwicklung
     entwickeln kann, muss das Kind eine Viel-    nur kurzfristig, aber nicht dauerhaft
     falt von lauten/leisen Geräuschen, Wor-      voran. Zudem werden Kinder bereits in
     ten, Klängen, Rhythmen erfahren.             frühem Lebensalter zu sehr auf audiovi-
     Ohne Hörsinn ist das Leben langweilig!       suelle Wahrnehmungsleistungen fixiert.
                                                  Hören und Sehen stehen so sehr im
     Analog zur Bedeutung der Bewegung für        Vordergrund, dass es notwendig und reiz-
     die kindliche Entwicklung ist auch die       voll ist, andere Sinne verstärkt zu aktivie-
     Entwicklung der Wahrnehmung als ganz-        ren. Wenn der andere nicht nur sehend
     heitlicher Prozess zu verstehen. Auch hier   oder hörend, sondern auch fühlend oder
     sind die permanenten Wechselwirkungen        riechend erkannt wird, entstehen neue,
     zwischen der eigentlichen Sinnesleis-        vielgerichtete und (ent-) spannende
     tung, den momentanen emotionalen Be-         Wahrnehmungen. Diese schaffen gerade
     findlichkeiten, der sozialen Umgebung        bei entwicklungsverzögerten Kindern die
     (Personen und Räume), der Motivation         Voraussetzungen, um die sozial-emotio-
     und der Aufmerksamkeitsspanne zu be-         nale und kognitive Entwicklung zu för-
     rücksichtigen. Insofern ist Wahrnehmung      dern.

20
IV               Psychomotorik – Persönlichkeitsentwicklung
                 über Bewegung und Wahrnehmung

Individualität, Einmaligkeit und Einzig-          nicht in einen motorischen, sozialen,
artigkeit sind Begriffe, mit denen die            emotionalen, kognitiven, sprachlichen
Fähigkeiten und Fertigkeiten eines jeden          oder senso-motorischen Menschen auf-
Menschen beschrieben werden können.               teilen, sondern müssen ihn in seiner
Wenn wir in dieser Broschüre von „Mehr            ganzheitlichen Erscheinungs- und Hand-
Sicherheit durch Bewegung“ sprechen,              lungsweise verstehen.
dann müssen wir stets das Individuelle
des einzelnen Menschen in den Blick-              Das unten stehende Schaubild soll diese
punkt unserer Überlegungen stellen.               Ganzheitlichkeit des Menschen verdeut-
Diesen Menschen können und dürfen wir             lichen. Hier werden auf der Basis von

                                        äh    ig k e ite n
                                n   gsf                        de
                         d   lu                                       s
                                            WAHRNEHMEN
                     n

                                                                          M
             Ha

                                                                          en

                           „ICH und meine
                                                                              sc he

                                                         LERNEN und
        s ozia l e

                         MATERIALE UMWELT“                 DENKEN
                                                                          n i n Ra

                     ICH und MEIN                              MEINE
                                        PSYCHOMOTORIK
                        KÖRPER                                SPRACHE
                  nd

                         FÜHLEN und                „ICH und ANDERE”
                u

                          ERLEBEN                  SOZIALES ERLEBEN
                                                                                   u
             le

                                                                          m
         e l

                                             BEWEGEN                un
                         u       d                              d
                             ivi     In d
                                                       Zeit

                                                                                            21
Kapitel IV

     „Bewegung und Wahrnehmung“ alle Per-        Was bedeutet das nun im Detail?
     sönlichkeits- und Verhaltensanteile des
     Menschen theoretisch zwar als „eigene“      • Welche weiteren Ziele verfolgt die
     Bereiche gesehen, die in der Realität           Psychomotorik?
     jedoch stets untereinander und mitein-      • Welche inhaltlichen Möglichkeiten
     ander zu einem „großen Ganzen“ verbun-          eröffnet die Psychomotorik?
     den sind.                                   •   Welche didaktisch-methodische Frage-
                                                     stellungen wirft die Psychomotorik
     Zwei einfache Beispiele sollen dies ver-        auf?
     deutlichen:                                 •   Welche pädagogische Haltung, welches
                                                     Menschenbild steckt in bzw. hinter der
     Unsere Bewegungsaktivitäten haben               Psychomotorik?
     immer etwas mit dem „Sozialen Erleben“
     einer Gruppe/der Mitspieler, mit unseren    4.1 Intentionen der Psychomotorik
     Einstellungen/Gefühlen zu Anderen, mit
     der Wahrnehmung der Anderen, mit der        Psychomotorik meint mehr als in den
     aktuellen Situation, in der ich Anderen     beiden Wortstämmen Psyche/Gefühl und
     begegne, mit der Intensität, mit der ich    Motorik/Bewegung zunächst zum Aus-
     mich mit Anderen verständige, zu tun.       druck kommt. Sie versteht sich als ein an
     Meine sprachlichen Aktivitäten haben        der Persönlichkeit des Menschen orien-
     immer etwas mit meiner Wahrnehmungs-        tierter Prozess, in welchem die Anteile
     fähigkeit, meinen fein- und grobmotori-     des Sich-Bewegens und Bewegt-Werdens,
     schen Bewegungen (Sprache ist die           des Wahrnehmens, des Fühlens, des
     höchst komplizierteste und umfassend-       Denkens, des aktiven Tuns, des Sprechens
     ste feinmotorische Handlung), meiner        und Denkens in sozialen Bezügen auf
     direkten sozialen Umgebung, meiner Auf-     das Engste miteinander verflochten sind.
     merksamkeitsfähigkeit, meiner Selbst-       Wie die Entwicklung der Psychomotorik
     sicherheit und damit mit meinem Gefühls-    der letzten 20 Jahre in der BRD jedoch
     zustand zu tun (vgl. Kapitel 2.1).          zeigt, besteht hinsichlich eines klaren
                                                 und einheitlichen Verständnisses von
     Eigene langjährige Erfahrungen in der       Psychomotorik keine Übereinstimmung.
     pädagogischen Arbeit mit behinderten/
     nichtbehinderten Kindern, schulischen,      Hinsichtlich der hier diskutierten Thema-
     vor- und außerschulischen Gruppen,          tik lässt sich festhalten, dass die kon-
     bestärken mich in der Annahme, dass die     kreten, beobachtbaren Tätigkeiten und
     Psychomotorik als der Ansatz zu begrei-     Aktivitäten der Kinder den Ausgangs-
     fen ist, der über vielfältige Bewegungs-    punkt dieses Lernprozesses bilden. Die
     und Wahrnehmungsförderung den gan-          aktive Auseinandersetzung und der han-
     zen Menschen mit all seinen Fähigkeiten     delnde Umgang mit seinem Körper, mit
     und Fertigkeiten erreichen will und kann.   sich selbst, mit Personen und Materialien
     Dabei geht es in erster Linie um die        der Umgebung schafft Erfahrungs- und
     Weiterentwicklung der individuellen         Handlungsspielräume. Die kindliche
     Persönlichkeit.                             Wahrnehmung spielt hierbei eine zentrale

22
P s yc h om oto r i k

Rolle. Das Kind entnimmt und erfährt           erproben und weiterentwickeln wird (vgl.
über seine Sinne Informationen aus der         Zimmer, 1987).
Außenwelt, strukturiert und integriert
diese in sein Tun. Durch diese tätige Aus-     4.2 Mögliche Inhalte der Psychomotorik
einandersetzung mit der Umwelt macht
sich das Kind seine Welt zu eigen. Dem         Entsprechend dieser Zielvorstellung von
hier vorgestellten Verständnis von Psy-        Psychomotorik können nun Inhalte und
chomotorik liegt also das Ziel der Verbes-     Themenstellungen entwickelt werden, die
serung der kindlichen Handlungsfähig-          eine Eigendynamik beinhalten, das heißt
keit zugrunde. Dies beinhaltet eine Erzie-     stets veränderbar und ergänzbar sind.
hung zur:                                      Der Übersicht halber und zum besseren
                                               strukturellen Verständnis werden im
• weitestmöglichen Selbstständigkeit           Folgenden vier Basisbereiche näher
• Lebenstüchtigkeit                            erläutert, wie sie in der Psychomotorik
• Hinführung zum eigenen Ich über den          immer wieder in gegenseitiger Verknüp-
    Körper                                     fung und Überlappung zu Tage treten:
• Mitbestimmung im Sinne von
    gemeinsamer Planung                        • Körpererfahrungen
•   Eigeninitiative                            • Wahrnehmungserfahrungen
•   Spontaneität                               • Sozial-emotionale Erfahrungen
•   Kreativität                                • Materialerfahrungen
Je mehr das Kind demnach in die Lage           4.2.1 Körpererfahrung
versetzt wird, sich spielerisch-bewegend
mit sich selbst und seiner direkten Um-        • Seinen Körper taktil, optisch, akustisch,
gebung auseinander zusetzen, diese                im Gleichgewicht befindlich erleben.
erlebnismäßig zu erfahren und zu erfas-        • An- und Entspannung erleben.
sen, eigenständig experimentieren und          • Körperhaltungen erspüren und nach-
ausprobieren kann und individuelle                vollziehen.
Lösungsmöglichkeiten entwickelt, umso          • Körperteile benennen und zeigen
selbstständiger und aktiver wird es sich         können, Körperpositionen nachlegen.
als Person entwickeln können.                  • Sich in Rollenspielen pantomimisch,
                                                 gestisch-mimisch ausdrücken können.
Anregungsreiche, vielfältige Bewegungs-,       • Grundmuster der Fortbewegung
Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Erfah-              kennenlernen.
rungsmöglichkeiten begünstigen und             • Grundmuster der Handgeschicklichkeit
steuern die Ausbildung der Handlungs-            erfahren und erlernen.
fähigkeit. Bezogen auf entsprechende An-
gebote in Kindergarten und Grundschule         4.2.2 Wahrnehmungserfahrung
bedeutet dies, dass dem Kind breit ange-
legte Bewegungs- und Wahrnehmungs-             • Sich intensiv auf isolierte Sinnesreize
muster angeboten werden müssen, die               (optisch, akustisch, taktil, kinästhe-
es in immer wieder neuen Situationen              tisch etc.) konzentrieren können.

                                                                                             23
Kapitel IV

     • Motorisch schnell und situationsange-       • Mit anderen kooperieren und kommu-
       messen auf Reize reagieren können.              nizieren können.
     • Personen und Materialien vielfältig         •   Mit anderen wetteifern können.
       wahrnehmen können.                          •   Tänzerische Bewegungsformen.
     • Sich mit allen Sinnen am eigenen            •   Kreative Bewegungsformen.
       Körper und im Raum orientieren              •   Feste und Feiern.
       können.
     • Die natürliche Umgebung mit allen           4.2.4 Materialerfahrung
       Sinnen erleben und erfahren können.
                                                   • Geräte und Materialien mit allen
     4.2.3 Sozial-emotionale Erfahrung               Sinnen wahrnehmen und erfahren
                                                     können.
     • Sich selbst in seinen Gefühlen und          • Kleingeräte experimentierend kennen-
       Ausdrucksmöglichkeiten kennenlernen           lernen.
       (Spiele, Geschichten. etc.).                • Großgeräte in neuen Situationszusam-
     • Kontakte zu Gruppenmitgliedern knüp-          menhängen kennenlernen. (Wie kön-
       fen, Beziehungen eingehen und auf-            nen Kinder Turngeräte, Turnbänke,
       bauen können                                  Barren, Reck, Sprossenwand als attrak-
     • Auf andere Rücksicht nehmen, mit-             tive Geräte erfahren?)
       fühlen können.                              • Alltagsmaterialien und Gebrauchs-
     • Mit anderen spielen, Spiele entwickeln.       gegenstände als Anlass zu Bewegung

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    und Wahrnehmung kennenlernen und           licher Entwicklung schaffen und deren
    erfahren.                                  Verhalten im Sinne eines Vorbildcharak-
•   Neue Geräte kennen lernen (Rollbrett,      ters für das Kind sichtbar und transparent
    Pedalo, Trampolin, Therapiekreisel         sind. Sie sind es, die die Grundlage für
    etc.).                                     kindliche Entwicklung bilden:
•   Natürliche Räume (Wald, Wiese, Sand
    etc.) und Naturmaterialien kennen          • durch Beispiel gebendes Verhalten
    lernen.                                        (Einstellungen, Verhaltensgewohn-
•   Sich im Wasser orientieren lernen.             heiten, Beobachtungs- und Nachah-
•   Bewegungslandschaften, Bewegungs-              mungslernen);
    baustellen errichten.                      •   durch die Verbindung von Zuneigung
                                                   und Festigkeit/Konsequenz;
4.3 Methodische Fragestellungen                •   durch das Eintreten für den eigenen
                                                   Standpunkt;
4.3.1 Zur Person der/des Erziehenden           •   durch Übertragen von Aufgaben an das
                                                   Kind und Ermutigung zum Handeln;
Wenn hier die Rolle der pädagogischen          •   durch Respekt, Verständnis und
Fachkräfte im erzieherischen Prozess               Achtung der kindlichen Persönlichkeit;
angesprochen wird, dann geht es nicht          •   durch Rat und Tat;
um konkrete, didaktisch-methodische            •   durch das Gefühl der Zusammen-
Anweisungen oder gar um eine Rezepto-              gehörigkeit.
logie. Wichtig erscheint die Frage, wie
pädagogische Fachkräfte Förderangebote         Pädagogische Fachkräfte müssen wissen,
und Entwicklungsreize für Kinder erleb-        dass Kinder gerne in die Verantwortung
nisreich und motivations-fördernd initiie-     für ihr eigenes Tun genommen werden
ren können. Dabei wird die eigene Rolle,       wollen. Kinder müssen selbstständig Ent-
das eigene Verhalten zum Gegenstand            scheidungen treffen dürfen. Sie spüren
pädagogischer Überlegungen und Refle-          Befriedigung, die aus ihrer Anstrengung
xionen. Wenn wir Kinder zu handlungs-          für den Anderen entsteht und gewinnen
fähigen Personen erziehen wollen, gilt es      Vertrauen in das eigene Können.
Situationen zu schaffen, die zur Entwick-
lung von Selbstständigkeit, Eigenaktivi-       Nur auf dieser Basis ist es möglich, Kin-
tät und Neugierverhalten beitragen. Zu         dern das Gefühl des Angenommenseins
strenge und direktive Verhaltensweisen,        und der Selbstsicherheit zu vermitteln.
zu fest strukturierte Bewegungseinhei-         Dementsprechend müssen Kinder die
ten, die der individuellen Entwicklung         Möglichkeit haben, sich entsprechend
keinen bzw. zu wenig Raum lassen, soll-        ihres Bewegungsentwicklungsniveaus
ten – so sinnvoll sie im Einzelfall auch       selbstständig und aktiv zu betätigen und
sein mögen – vermieden werden.                 ihnen dafür ausreichend Zeit zur Verfü-
                                               gung zu stellen. Dann werden sie auch
Psychomotorisch-handelnde Menschen             nicht ungeschickt und ihre Bewegungen
verstehen sich als Weichensteller, die die     unsicher.
Bedingungen und Voraussetzungen kind-

                                                                                            25
Kapitel IV

     • Wir müssen die Bedingungen schaffen,        Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Ver-
         den Rest machen die Kinder (fast)         haltensbereich fördernd entgegenwir-
         alleine.                                  ken.
     •   Wir müssen uns die Zeit nehmen und
         Kindern Zeit lassen. Schauen wir den    In dem Maße, in dem wir als Erwachsene
         Kindern in ihren Bewegungen und         und Erziehende dem Kind Helfer werden,
         Tätigkeiten doch einmal aufmerksam      Ratschläge erteilen und Interesse an sei-
         zu.                                     nem Gesamtverhalten zeigen, Mitspieler
     •   Beobachten wir doch einmal, mit wel-    werden, Initiator und Beobachter sind,
         chen Bewegungsaktivitäten die Kinder    werden wir gleichsam zum „Motor“ der
         ihre Zeit verbringen, welche Bewe-      kindlichen Entwicklung. Dem Kind wird so
         gungsformen sie ausführen und welche    die eigene Auseinandersetzung mit Be-
         Körperhaltungen sie einnehmen, wie      wegungssituationen, Personen und Gerä-
         lange sie sich darin/damit aufhalten,   ten ermöglicht. Gleichzeitig erfährt es
         welche Bewegungskontakte sie ein-       aber auch Grenzen und wird an das Ein-
         gehen!                                  halten von Regeln im zwischenmensch-
     •   Unsere Aufgabe ist es, den Wert und     lichen Bereich herangeführt.
         die Bedeutung dieser Bewegungen zu
         erkennen. Darauf aufbauend können       Erzieherischen Möglichkeiten und Ein-
         wir motorische Fähigkeiten erst ent-    flussnahmen sind immer Grenzen ge-
         wickeln und Fehlentwicklungen im        setzt. Selbst dann, wenn die individuelle

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Kindheitsentwicklung „harmonisch“ ver-              Arbeitstempo ermöglichen. Lasst den
läuft, ist dies noch keine Gewähr für spä-          Kindern Zeit, ihre Welt zu erkunden!
teres Lebensglück.                              •   Selbständiges Lernen muss möglich
                                                    sein.
Es erhöht allerdings die Wahrscheinlich-        •   Soziales Lernen mit- und voneinander
keit, auch unter schwierigen Zeit- und              in verschieden großen Gruppen muss
Lebensumständen zu selbstsicheren und               möglich sein.
selbstbewussten Menschen heranzu-               •   Neugierde am Geschehen und an der
wachsen.                                            Sache wecken (lustige Geschichten,
                                                    Erlebnisse, farbenfrohe Materialien
4.3.2 Zur Bedeutsamkeit der Motivation              etc.).
                                                •   Inhalte vermitteln, die an lebens-
„Wahrnehmen heißt Bewegen –                         bedeutsame Erfahrungen erinnern,
Bewegen heißt Wahrnehmen –                          anknüpfen oder aber in absehbarer
Bewegen heißt Tun –                                 Zeit bedeutungsvoll werden können
Tun heißt Lernen –                                  (Ferien, Urlaub, Geburtstag etc.).
Lernen heißt Bewegen“.                          •   Einen persönlichen Bezug über
                                                    Gespräche zum Thema fördern oder
Je besser und vielfältiger sich Kinder also         durch Veränderungen von Geräten/
bewegen können, je besser sie sich da-              Anordnungen ermöglichen (Fotos,
durch in ihrem persönlichen Umfeld zu-              Arbeitsaufträge etc.).
rechtfinden, desto motivierter und enga-        •   Der spielerische Umgang mit Objekten
gierter wird Lernen stattfinden.                    oder in gemeinsamen Aktionen (z. B.
                                                    Rollenspielen) kann Kinder emotional
Je mehr Kinder in vorhandenen Angebo-               einstimmen und einen direkten Bezug
ten einen persönlichen Sinn entdecken               zur eigenen Befindlichkeit (sich wohl-
und eine individuelle Ansprache erfahren,           fühlen/nicht wohlfühlen) herstellen.
umso eher werden sie diese Angebote             •   Um Materialien/Geräte vielfältig über
für sich entdecken und eine zunehmend               die Sinne und aktives Tun erfahrbar zu
aktive Rolle übernehmen.                            machen, können zunächst einzelne und
                                                    isolierte, später miteinander gekoppel-
Was und wie können wir Kinder also zu               te Wahrnehmungsübungen angeboten
mehr Bewegung motivieren?                           werden.

• Das Kind muss an persönlich bedeut-           Kinder lernen vornehmlich auf der Ebene
    samen Aufgaben lernen können                des konkreten Tuns. Kinder können
    (aktuelle, persönliche Begebenheiten;       nichts mit Inhalten anfangen, die sie also
    Phantasien; Geschichten und Erzählun-       nicht selbst erfahren und erlebt haben.
    gen; Erlebnisse).                           Deshalb ist das Spiel, die Bewegung im
•   Aktives Bewegen und handelndes              Spiel, das Wahrnehmen vielfältiger Dinge
    Lernen müssen möglichst viele Sinne         und Personen zentraler Inhalt des kind-
    miteinbeziehen.                             lichen Handelns und pädagogischer För-
•   Bewegen und Lernen muss ein eigenes         derung.

                                                                                              27
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