DGAPanalyse - Verbotene Liebe Eine französische Position zur Zukunft der Kernenergie
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DGAPanalyse Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Oktober 2012 N° 14 Verbotene Liebe Eine französische Position zur Zukunft der Kernenergie von Maïté Jauréguy-Naudin
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Zusammenfassung Verbotene Liebe Eine französische Position zur Zukunft der Kernenergie von Maïté Jauréguy-Naudin Frankreich kann auf eine lange Tradition der zivilen Kernenergie zurückblicken. Die Gründung der Atombehörde CEA 1945 versinnbildlicht Frankreichs Wunsch nach energetischer und militärischer Unabhängigkeit nach dem Zweiten Welt- krieg. Lange Zeit konnte sich die Behörde auf einen breiten Konsens unter den Entscheidungsträgern wie in der französischen Bevölkerung stützen. Rechts- wie auch Linksparteien befürworteten die Forschung über militärische und über zivile Nutzung von Atomenergie und sahen im Ausbau der Energiebranche die Chance für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Atomtechnologie als Träger des sozialen Fortschritts, so das Credo, das in Frankreich bis in die 1980er Jahre hinein anhalten sollte. Heute besitzt Frankreich eine Atomindustrie von internationaler Bedeutung: elf der 29 »Atomländer« betreiben ihre Kraftwerke mit französischer Technologie, der französische Energiekonzern Areva ist Weltmarktführer in diesem Bereich. Doch diese Entwicklung bleibt nicht mehr ohne Kritiker. Zu beobachten ist eine poli- tische Trendwende in Frankreich: Forschungsgelder werden gekürzt, Themen der Sicherheit und der langfristigen Finanzierung der Reaktoren rücken verstärkt in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen und führen zu einer Differenzierung der französischen Meinungslandschaft. Die Katastrophe von Fukushima und der Atomenergieausstieg Deutschlands tragen zusätzlich zu einer Verschärfung dieses Trends bei. Zwar ist die Frage nach einem Austritt Frankreichs aus der Atomenergie noch ein gedankliches Novum, doch erheben sich viele Stimmen aus der Grünenpartei und der Zivilbevölkerung und stellen das Atomdogma in Frage. Auch das französische Umweltministerium hat in einer Studie von 2012 den Atomausstieg Frankreichs als mögliches Zukunftsszenario vorgestellt. Doch scheint sich Frankreich, anders als Deutschland, einer strategischen Bedachtsamkeit verschrieben zu haben, die eine realistische zeitliche Programmierung und insbesondere strikte Kosteneffizienz auf dem Weg zu einer neuen Energiepolitik in den Mittelpunkt stellt. Derzeit ist es für Paris noch von erstrangiger Bedeutung, die führende Position auf dem Kernener- giemarkt aufrechtzuerhalten. Als wahrscheinliches Zukunftsszenario gilt ein schrittweises Zurückfahren der Kernenergie mit gleichzeitiger Einführung der erneuerbaren Energien. Wird der europäische Markt in naher Zukunft von den erneuerbaren Energien durchdrun- gen, wird Frankreich die Schaffung einer neuen wirtschaftlichen Grundlage durch erneuerbare Energien ohnehin nicht mehr vermeiden können. Insbesondere die Forschung im Bereich Fotovoltaik und Windenergie wird durch die französische Regierung unterstützt. Ob diese neuen Technologien jedoch zur Schaffung nach- haltiger Arbeitsplätze beitragen werden, bleibt aufgrund der starken Konkurrenz, insbesondere durch chinesische Investoren, fragwürdig. 1
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Summary Forbidden Love A French Point of View about the Future of Nuclear Energy by Maïté Jauréguy-Naudin France has a long tradition of civilian nuclear energy. The foundation of the Atomic Energy Agency CEA in 1945 symbolizes its desire to achieve energetic and military independence after World War II. For a long time, the agency could base its work on a broad consensus among decision-makers and within the French population. Representatives of the political right and left supported research on the military and civilian use of nuclear energy and considered the expansion of the energy branch as a possibility to create new jobs. Nuclear technology as important element for social progress, this was the guiding principle which would persist in France until the 1980s. Today, France is home to a nuclear industry of international importance: eleven of 29 “nuclear states” operate their nuclear power plants with French technology. The French company Areva is the world-market leader in this field. However, this development does not go unnoticed by critics. In France, a new political trend is noticeable: research funds have been reduced, topics with increased focus on secu- rity issues and long-term financing of power plants have moved into the center of public attention and have led to a more critical attitude within French society. The Fukushima catastrophe and Germany’s phase-out of nuclear power have also con- tributed to this trend. The issue of a nuclear phase-out may still constitute a novelty in France, but the Green party and French society have raised their voices and begin to question the dogma of nuclear energy. In a 2012 study the French Ministry of the Environ- ment presented France’s nuclear phase-out as a possible scenario for the future. Unlike Germany, however, France seems to have committed to a strategic caution- ary principle which focuses on a realistic time schedule and especially strict cost efficiency on its way to a new energy policy. France’s top priority at present, how- ever, remains the maintenance of its leading position in the nuclear energy market. A likely scenario could be a gradual reduction of nuclear energy coupled with a simultaneous introduction of renewable energies. If the European energy market is penetrated by renewable energies in the near future, France will need to develop a new economy based on renewable energy. The French government supports research especially in the field of photovoltaic and wind energies. It is questionable, however, whether these new technologies create sustainable jobs in the future due to strong competition, especially from Chinese investors. 2
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Inhalt Sechzig Jahre Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Ein Wettbewerbsvorteil für Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Lange Zeit Konsens zwischen Politik und Wissenschaft … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 … der über die Spaltung der öffentlichen Meinung hinwegtäuschte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Aktuelle Debatten über die französische Energiepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Auf dem Weg zu einem Energiewandel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Die Bedeutung der zeitlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Diese DGAPanalyse erscheint im Rahmen des Deutsch-französischen Zukunftsdialogs, eines Gemeinschaftsprojekts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, des Institut français des relations internationales und der Herausgeber und Redaktion: Claire Demesmay und Katrin Sold Kontakt: Claire Demesmay Die DGAP trägt mit wissenschaftlichen Untersuchungen und Veröffentlichungen zur Bewertung internationaler Entwicklungen und zur Diskussion hierüber bei. Die in den Veröffentlichungen geäußerten Meinungen sind die der Autoren. 4
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Verbotene Liebe Eine französische Position zur Zukunft der Kernenergie von Maïté Jauréguy-Naudin Drei Viertel der französischen Stromproduktion kussion über französische Energiepolitik und wie sind heute nuklearen Ursprungs. Die verstärkte positioniert sich die öffentliche Meinung? Welche Entwicklung der zivilen und militärischen Nut- Energieszenarien lassen sich für die Zukunft ent- zung der Kernenergie begann in den 1950er wickeln und ist eine Energiewende in Frankreich Jahren, als das starke Wirtschaftswachstum einen mit seiner stark vom Atomstrom abhängigen erheblichen Energieverbrauch mit sich brachte. Wirtschafts- und Industriestruktur überhaupt Seither hat sich durch die höhere Energieeffizienz denkbar? Welche möglichen Auswirkungen hätte industrieller Verfahren und durch den Struktur- eine Diversifizierung der Stromproduktion für wandel der Wirtschaft dieses Verhältnis zugunsten die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirt- eines niedrigeren Energiebedarfs zwar verbessert, schaft? Welche Konsequenzen ergeben sich aus doch hat Frankreich, abgesehen von der Wasser- dem Atomausstieg Deutschlands und der aktuellen kraft, nur wenige Möglichkeiten, seinen in ver- europäischen Energiepolitik? schiedenen Szenarien prognostizierten künftigen Energiebedarf zu decken: Es besitzt weder Erdöl noch ausreichende Gas- und Kohlereserven, um Sechzig Jahre Erfahrung mittel- und langfristig seine Energieversorgung sicherzustellen. Es ist also nur logisch, dass es sich Die französische Atomenergiebehörde ������� Commis- für die Stromproduktion vorwiegend der Kern- sariat à l’énergie atomique (CEA) blickt auf eine energie zuwendet. lange wissenschaftliche Tradition zurück. Die im Oktober 1945 gegründete CEA war von Anfang Während in Politik und Wissenschaft lange Zeit an die treibende Kraft der zivilen wie auch mili- Konsens bezüglich der zivilen Nutzung der Kern- tärischen Nutzung der Kernenergie und der fran- energie herrschte, stellen die Katastrophe von zösischen Atomindustrie. Ihre Aufgabe besteht in Fukushima, aber auch der Beschluss Deutschlands, der wissenschaftlichen und technischen Forschung aus der Kernenergie auszusteigen, sowie die euro- mit dem Ziel, anwendungsorientierte Lösungen zur päische Energiepolitik das französische Atom- Nutzung der Atomenergie in den verschiedenen dogma zunehmend in Frage. So wurde während Bereichen von Industrie, Wissenschaft und Ver- des französischen Präsidentschaftswahlkampfs im teidigung zu erarbeiten. Staatspräsident Charles de Mai 2012 eine in dieser Art noch nicht geführte Gaulle wurde 1958 Vorsitzender des Beirats und Diskussion über Kernenergie initiiert, in der alle setzte sich für eine beschleunigte Entwicklung der Aspekte, insbesondere die »Kosten« sowie »zeitli- zivilen und militärischen Nutzung der Kernenergie che Abläufe« betrachtet wurden. Zudem hat der ein. Bereits zu einer Zeit, als Erdöl reichlich floss neue französische Präsident, François Hollande, und billig war, bildete die »Beherrschung der Atom- im Gegensatz zu seinem Vorgänger die Absicht energie« das zentrale Element der von De Gaulle bekundet, den Anteil der Kernenergie an der betriebenen Strategie der nationalen Unabhängig- Stromproduktion bis zum Jahr 2022 auf 50 Pro- keit im militärischem wie im energiepolitischen zent zu verringern. Bereich. Ab 1956 wurden die ersten Versuchsreak- toren mit Erfolg getestet, und die CEA entwickelte Aus diesen Entwicklungen ergeben sich wichtige am Standort Marcoule die Graphitgastechnologie. Fragen, die im Folgenden näher beleuchtet werden Das für die Stromproduktion verantwortliche staat- sollen: Welche Aspekte prägen die aktuelle Dis- liche Unternehmen Electricité de France (EdF) 5
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 wurde mit der Umsetzung eines ersten Nuklearpro- Brennstoff und die Aufbereitung der verbrauchten gramms und mit dem Bau von sechs UNGG-Reak- Brennstoffe gewährleistete. Die Cogema recycelte toren (Uranium Naturel Graphite Gaz) beauftragt. das Uran und das Plutonium in ihrer Wiederaufbe- Auch wenn diese Projekte Vorrang hatten, wurde reitungsanlage von La Hague, wodurch die Menge dennoch gleichzeitig auch im Bereich der konkur- anfallender Abfälle reduziert und der Müll effizien- rierenden Leichtwasser- und Schwerwassertechno- ter gelagert werden konnten. Die Gesamtinvestitio- logien geforscht. nen im Kernforschungsbereich in den Jahren 1945 bis 1989 werden auf eine Milliarde Euro pro Jahr Die Entwicklung von Schnellneutronenreaktoren geschätzt.1 Will man diese Schätzungen überprü- gewann ab Ende der 1960er Jahre an Bedeutung, fen, wäre dies mit schwierigen Nachforschungen so dass es in den nachfolgenden zehn Jahren zu verbunden: Die Kernphysik war zwar die wichtigste einer Neuorientierung in der Industrie kam. EdF Entwicklungsachse der theoretischen Physik seit plädierte für die Entwicklung der aus Amerika dem frühen 20. Jahrhundert, doch eine Trennung stammenden Westinghouse-Technologie von zwischen militärischer Forschung und Grundla- Druckwasserreaktoren, die gewöhnliches, als gen- und Anwendungsforschung erweist sich als Leichtwasser bezeichnetes Wasser zur Kühlung schwierig. des Reaktorkerns verwenden, während General de Gaulle zunächst für die Entwicklung von Gra- In den letzten zwanzig Jahren kam es zu Mittelkür- phitgasreaktoren eintrat, die dann schließlich 1969 zungen, während zugleich neue Akteure hinzuka- endgültig eingestellt wurde. In dieser technologi- men. Auch die Forschungsausrichtung änderte sich, schen Auseinandersetzung trat ein neuer Akteur Studien zur Sicherheit und zum Strahlenschutz in Erscheinung: Framatome, ein französisch- prägten in zunehmendem Maße die Projekte. amerikanisches Kernkraftwerksunternehmen, das Neue Einrichtungen wurden mit Forschungsauf- für die Druckwasserreaktoren die Westinghouse- gaben betraut, z. B. die Agence nationale pour la Technologie verwandte. Die von General Electric gestion des déchets radioactifs (ANDRA), die sich entwickelte und in Frankreich von der Compagnie 1991 von der CEA löste, das 2001 geschaffene Générale d’Electricité (seit 1991 Alcatel-Alsthom) unabhängige Institut de Radioprotection et de betriebene Schwerwassertechnologie wurde 1975 Sureté Nucléaire (IRSN) und die 2006 geschaffene aufgegeben, wobei Alsthom in der französischen Behörde Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) zur Atomindustrie auch weiterhin einen wichtigen Sicherung der staatlichen Kontrolle der nuklearen Platz einnahm. EdF entschied sich als einziges Sicherheit und des Strahlenschutzes. Gleichzeitig Unternehmen für die Leichtwasserreaktoren. Die erhöhte die Atomindustrie ihre Forschungs- und CEA fokussierte ihre Forschungen auf die Ent- Entwicklungsinvestitionen beträchtlich. EdF, der wicklung von Schnellen Brütern und begann 1968 wichtigste Akteur auf dem französischen Strom- mit dem Bau des Prototypreaktors Phénix, der markt, investierte seit 2000 durchschnittlich ca. 215 1974 ans Netz ging. Millionen Euro pro Jahr.2 Das durchschnittliche Forschungsbudget des heutigen Weltmarktführers Gleichzeitig verfolgte EdF ein zweites Investiti- Areva, der 2001 aus dem Zusammenschluss von onsprogramm. Internationale Ereignisse wie der COGEMA, FRAMATOME und dem kommerzi- Jom-Kippur-Krieg und die erste Erdölkrise 1973 ellen Zweig von CEA-Industrie hervorgegangen veranlassten Frankreich dazu, sein Kernenergie- war, lag in den Jahren 2000–2010 auf etwa glei- programm in beeindruckender Weise zu beschleu- cher Höhe. Insgesamt erreichten in dem Zeitraum nigen. Von 1977 (Fessenheim) bis 1999 (Civaux) 1990–2000 die Forschungsinvestitionen einen wurden 58 Leichtwasserreaktoren gebaut. Die zu Umfang von einer Milliarde Euro pro Jahr.3 Als Areva gehörende Firma Georges Besse sicherte die 1973 das Programm zur beschleunigten Entwick- Urananreicherung. Zur Beherrschung des Brenn- lung von Atomstrom anlief, betrug der Anteil des stoffkreislaufs schuf die CEA die ������������ Cogema (Com- Atomstroms an der französischen Stromerzeugung pagnie générale des matières nucléaires), welche die gerade einmal acht Prozent, im Jahr 2010 lag er Versorgung der EdF-Kernkraftwerke mit frischem schon bei 74 Prozent. 6
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Ein Wettbewerbsvorteil für Lange Zeit Konsens zwischen Frankreich Politik und Wissenschaft … In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand Die Entscheidung für die zivile Nutzung der Kern- in Frankreich eine Kernindustrie von sowohl nati- energie wurde von den verschiedenen Regierungen onaler als auch internationaler Bedeutung mit den unterstützt und umgesetzt, lange Zeit entsprach sie drei Hauptakteuren CEA (Koordinator der gesam- einem Konsens von Wissenschaft und Politik. Im ten französischen Kernforschung), Areva und EdF. konservativen politischen Lager unterstützten die Diese technologische Entscheidung war für die Parteien eine Entwicklung sowohl der zivilen als französische Wirtschaft von struktureller Bedeu- auch der militärischen Nutzung. Die Kommunis- tung. Areva steht im Bereich der Versorgung der tische Partei, die nach dem Krieg und bis Anfang Kernkraftwerke mit Brennstoff an zweiter Stelle in der 1980er Jahre einen beträchtlichen Teil der fran- der Welt und ist führend im Reaktorbau. Elf der zösischen Wählerschaft auf sich vereinte, sowie die 29 »Atomländer« betreiben ihre Kraftwerke mit wichtigste Arbeitergewerkschaft CGT sahen in der französischer Technologie. EdF ist internationaler friedlichen Nutzung des Atoms eine Möglichkeit, Vorreiter auf dem Gebiet des Betriebs und der zahlreiche Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzei- Instandhaltung von Kraftwerken. Ihr Know-how tig zur Energieunabhängigkeit Frankreichs beizutra- stützt sich auf die Homogenität der französischen gen. In dieser Situation galt die Atomtechnologie Atomindustrie, die innerhalb eines relativ kurzen als Träger des sozialen Fortschritts. Zeitraumes geschaffen wurde, und deren Serienef- fekt zur Wettbewerbsfähigkeit beiträgt. Erst mit den 68er-Protesten organisierten sich in Frankreich, im Zuge der ersten Umweltbewegun- Der Sektor Atomstrom nimmt in der Wirtschaft gen, auch die Atomgegner. Die Kritik am Staat und einen wichtigen Platz ein, denn die umfangreichen an den Technokraten richtete sich auch gegen die Nettostromexporte schlagen in der Handelsbilanz Organisation der Kernenergieproduktion. Viele Frankreichs zu Buche. Auch in sozialer Hinsicht der damaligen Punkte sind auch heute noch aktuell, ist dieser Industriezweig mit seinen 410 000 direk- darunter die Kritik an staatlicher Zentralisierung, ten, indirekten und induzierten Arbeitsplätzen Monopolisierung, dem Gebrauch von Macht durch von Gewicht.4 Mit all diesen Arbeitsplätzen tragen die Eliten, die Infragestellung des technischen die 450 in diesem Bereich agierenden Unterneh- Fortschritts sowie die wachsende Sorge um den men mit zwei Prozent zum BIP bei und machen Umweltschutz. Diese Bewegung blieb jedoch eine zwei Prozent aller französischen Arbeitsplätze aus. marginale Erscheinung. Die überwiegende Mehr- Hinzu kommt der Stromexport, der sich 2010 auf heit der Franzosen betrachtete die Kernenergie 30 TWh belief und nach Angaben der Verwaltung damals als die Energie der Zukunft. Die Bewegung des französischen Staatspräsidenten dem Land Ein- der französischen Atomgegner konnte dennoch nahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro5 beschert zwei wichtige Siege erringen. Nach zahlreichen hat. Demonstrationen beschloss erstens die sozialisti- sche Regierung 1981, ein in Plogoff (Bretagne)7 Schließlich trägt der Anteil des Atomstroms an der geplantes Kernkraftwerk nicht zu bauen. Zweitens gesamten französischen Stromproduktion zu den entschied 1997 Premierminister Lionel Jospin, in guten Ergebnissen Frankreichs in Bezug auf die Übereinstimmung mit einem zwischen der Sozi- Senkung von Treibhausgasemissionen pro Kopf alistischen Partei und den Grünen geschlosse- bei.6 Der französische Strom zählt zu den billigs- nen Abkommen, von dem Projekt Superphénix ten in Europa, außerdem erweist sich der Preis Abstand zu nehmen. Dieses sollte den Prototyp für Atomstrom im Vergleich zu den fossilen Ener- einer neuen Entwicklung der Kernenergie in Rich- gien weniger anfällig für Preisschwankungen. Das tung Schnelle Brüter darstellen und Zeugnis vom ist zweifelsohne ein Wettbewerbsvorteil, den die technologischen Vorsprung Frankreichs auf diesem Industrie und besonders die stromintensiven Unter- Gebiet ablegen. Zu diesem Zeitpunkt bildete sich nehmen zu schätzen wissen. auch das Netzwerk »Réseau Sortir du nucléaire«, 7
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 das heute in der öffentlichen Debatte sehr präsent und 52 Prozent sprechen sich dagegen aus. Diese ist. Umfragen fanden jedoch vor Fukushima statt, und der Reaktorunfall von Tschernobyl war schon etwas in Vergessenheit geraten. Die Ergebnisse … der über die Spaltung der des Eurobarometers 2010 zeigten auf europäischer öffentlichen Meinung hinweg- Ebene im Vergleich zu den vier Jahre zuvor durch- geführten Befragungen ein deutliches Ansteigen täuschte (+8 Prozent) der Zahl der »Verteidiger«9 der Kern- kraft. 2006 war die insgesamt positive Einstellung Ohne einer Antwort auf die Frage, ob die Kern- der Bevölkerung zur Kernenergie durchaus mit der energie für die Stromproduktion unabdingbar ist der deutschen Nachbarn vergleichbar, während oder nicht, vorgreifen zu wollen, kann man fest- danach die Meinungen in Frankreich und Deutsch- halten, dass sich die Experten über drei positive land stark divergierten. Nach Fukushima schwäch- Aspekte der Kernenergie einig sind: Es handelt ten sich diese Divergenzen deutlich ab, was das sich um eine kohlenstoffarme Energie, die ihren nächste Eurobarometer sicher belegen wird. Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leistet, sie trägt zur Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit Die öffentliche Meinung scheint also nicht auszu- der Energiepreise bei und sie ermöglicht es, die reichen, um energiepolitische Entscheidungen eines Energieimporte aus fossilen Energieträgern gering Landes erklären zu können. Entscheidend ist, wie zu halten. Während die öffentliche Meinung das das politische und soziale System die Forderungen letztgenannte Argument, das sich aus dem Kontext auf der Ebene der Entscheidungsträger artikuliert, der 1970er Jahre ergab, durchaus angenommen hat, eine Frage, die sich natürlich auch in Demokratien will sie die beiden erstgenannten Argumente nicht stellt. Hier spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, wahrhaben, obwohl sie für die Festlegung der Ener- darunter die Struktur der politischen Parteien, giepolitik auch auf europäischer Ebene von grund- eventuelle Wahlbündnisse und -abkommen sowie legender Bedeutung sind. Das Eurobarometer die Stellung der wichtigsten organisierten Gruppen, 20108 zeigt, dass die Menschen in Frankreich und insbesondere der Gewerkschaften und NGOs, die in Deutschland in Bezug auf die Bewertung dieser sich in der Energiepolitik sehr stark engagieren. Kriterien ebenfalls geteilter Meinung sind. Auf die Frage »Leistet die Kernenergie einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel?« antwor- Aktuelle Debatten über die ten 43 Prozent der Franzosen und 48 Prozent der französische Energiepolitik Deutschen mit »Ja«, während 40 Prozent bzw. 45 Prozent mit »Nein« antworten, obwohl drei Viertel der französischen und ein Viertel der deutschen Nach dem Schock, den die Katastrophe von Fuku- Stromproduktion aus Kernkraftwerken stammt. shima ausgelöst hatte, und nach dem Beschluss Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und der Stabilität Deutschlands, sich aus der Kernenergie zurückzu- der Strompreise weisen ähnliche Antworten auf. ziehen, erhoben sich in Frankreich viele Stimmen aus den Reihen der Grünen Partei und der NGOs, Stellt man dagegen Fragen nach der Zukunft der die das Atomdogma in Frage stellten. Das deutsche Kernenergie, gehen die Antworten laut Eurobaro- Beispiel hat die Zivilgesellschaft zum Nachdenken meter 2010 weit auseinander. Während 57 Prozent gebracht: Wenn die Deutschen das machen, warum der Franzosen für eine Erhöhung (12 Prozent) nicht wir auch? Die Auswirkungen dieser aufkom- bzw. eine Beibehaltung (45 Prozent) des Anteils menden Zweifel an der französischen Atompolitik der Kernenergie am Energiemix sind und sich 37 gehen über die Frage des Ablösens einer Energie- Prozent für eine Reduzierung aussprechen, befür- quelle durch eine andere hinaus. In dieser Ausein- worten 44 Prozent der Deutschen die Kernenergie andersetzung von bisher nicht gekannter Intensität (7 Prozent sind für eine Erhöhung, 37 Prozent geht es nicht so sehr um die Erneuerung der Kern- für eine Beibehaltung des gegenwärtigen Anteils) kraftwerke als vielmehr um die Verlängerung von 8
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 deren Laufzeiten in einem von den Sicherheitsbe- eine Zunahme der Treibhausgasemissionen in den hörden als vernünftig beurteilten Rahmen. nächsten fünfzehn Jahren. Der im Januar 2012 vom Rechnungshof veröf- Im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Energie fentlichte Bericht10 enthält die von ihm ermit- und Transport wurde eine Kommission eingesetzt, telten Gesamtkosten für die Kernindustrie. Für deren Aufgabe es ist, die verschiedenen für Frank- die vergangenen Kosten (Forschung, Bau von reich möglichen Energieszenarien für den Zeitraum Kernkraftwerken) und die gegenwärtigen Kosten bis 2050 zu analysieren. Die von ihr angefertigte (Betrieb und Instandhaltung) war dies eine relativ Studie12 enthält vier verschiedene Möglichkeiten leichte Übung. Die Zukunft hingegen ist wesentlich zum Ausbau des Stromangebots in Frankreich: schwerer einzuschätzen. Ein umstrittenes Thema Verlängerung der Laufzeiten der Kraftwerke, ist offensichtlich der Rückbau der Kraftwerke, für beschleunigter Übergang zur dritten (bzw. vierten) den der Rechnungshof empfiehlt, in den gegenwär- Reaktorgeneration, schrittweises Zurückfahren der tigen Einschätzungen größte Zurückhaltung walten Kernenergie und schließlich vollständige Rückzug zu lassen, insbesondere wenn es um Vergleiche aus der atomaren Stromproduktion. Allein der mit anderen Ländern oder um den zu veranschla- Gedanke eines Ausstiegs aus der Kernenergie ist in genden Zeitraum geht. Größere Unsicherheiten Frankreich ein Novum, das deutlich zeigt, dass die gibt es dagegen bei der Ermittlung der Kosten für Katastrophe von Fukushima die Dinge in Bewe- die langfristige Lagerung des radioaktiven Abfalls. gung gebracht hat. Eine der Lehren dieses Berichts Nach Meinung des Rechnungshofes werden diese ist, dass es viele Möglichkeiten gibt, wenn nur Kosten unterschätzt und falsch veranschlagt. Er rät ausreichend Zeit besteht. Die Kosten und die zeit- zu einer realistischen Einschätzung der Kosten für lichen Vorgaben sind die wichtigsten Determinan- die geologische Tiefenlagerung des Abfalls. ten der Energiepolitik (oder sollten es zumindest sein). Die acht von der Kommission formulierten Zum Thema Sicherheit erwähnt der Bericht die Empfehlungen legen die Betonung auf die Ener- nach der Katastrophe von Fukushima vorgenom- gieeffizienz: Es gelte, »den sparsamen Umgang menen zusätzlichen Sicherheitsbewertungen,11 mit Energie und die Energieeffizienz zu einem welche die ASN durchgeführt hat. Auch weist er großen nationalen Anliegen« zu machen. Experten auf die Notwendigkeit hin, zusätzliche Kosten mahnen jedoch, die Entwicklung in Richtung der einzuplanen. vierten Generatorgeneration fortzuführen und so die Zukunft der Atomindustrie zu bewahren. Die Um sich diesen Herausforderungen stellen zu Zukunft des französischen Energiemixes kann können, müssen die Betreiber und Konstrukteure ihrer Ansicht nach nur gewährleistet werden, wenn der Kernkraftwerke umfangreiche Investitionen beträchtliche Anstrengungen zur Energieeinspa- tätigen. Diese Schlussfolgerungen scheinen so rung unternommen und die Laufzeiten der Kern- manche These der Kernkraftgegner zu bestä- kraftwerke verlängert werden. tigen. Die erwarteten Investitionen werden die Kostenaufteilung auf die wichtigsten Bereiche der Diese Laufzeitverlängerung, die eventuell mit Atomindustrie zwar nicht verändern, sie dienen dem Bau neuer Kraftwerke einhergeht, ist eine jedoch als Argument für die Erhaltung der ältesten, Notwendigkeit, um den gegenwärtigen Anteil der schon amortisierten Kraftwerke und gegen einen Kernenergie an der französischen Stromproduk- zu raschen Ausstieg aus der Kernenergie. Ein sol- tion aufrechtzuerhalten. Neue Projekte können cher übereilter Ausstieg würde die Kosten um ein wahrscheinlich nur an den vorhandenen Standorten Vielfaches erhöhen, was sich auch auf die Strom- entstehen. Angesichts starker lokaler Widerstände preise auswirkt. Denn die Folgen wären ein Rück- gegen jegliche Art von Infrastrukturprojekten wen- bau der Kraftwerke, umfangreiche Gasimporte, den sich die Widerstandsbewegungen auch gegen ein steigender CO2-Preis auf dem europäischen neue Atomprojekte, so dass sie nur in Regionen Markt, eine verstärkte Entwicklung der noch teuer mit stark von Atomstrom abhängigen Wirtschafts- gehandelten erneuerbaren Energien und natürlich und Industriestrukturen akzeptiert werden. 9
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Hinzu kommt, dass der Bau des EPR-Reaktors erneuerbaren Energien nur schlecht mit einer so (European Pressurized Reactor) von Flamanville wenig flexiblen Energiequelle zu vereinbaren wäre. in der Basse-Normandie auf mehrere Hindernisse Dann könnten die französischen und europäischen stößt. Dabei sollte dieser Reaktor zum Prototyp Umweltschützer leicht mit dem Finger auf die der dritten Reaktorgeneration werden, die mit dem französische Atominsel zeigen. Die französische Ziel entwickelt wurde, die Leistung zu steigern Atomstrategie kommt also nicht umhin, über die und die Sicherheit der Anlagen zu erhöhen. Die Diversifizierung ihrer Stromerzeugungsquellen ursprünglich für 2012 vorgesehene Inbetriebnahme nachzudenken. wurde auf 2016 verschoben, und die anfangs mit 3,3 Milliarden Euro veranschlagten Gesamtkos- Paradoxerweise ist Frankreich das Opfer des indus- ten wurden nach einer Neubewertung auf sechs triellen Erfolgs seiner Energiepolitik. Die neuen Milliarden erhöht. Seit der Errichtung des letzten Technologien kommen nur schwer gegen diesen Kernkraftwerks von Civaux sind zwanzig Jahre starken und höchst wettbewerbsfähigen Energie- vergangen. Zu den Problemen, die im Zusam- zweig an. Außerdem ist die Kernenergie für die menhang mit einem Bauprojekt dieses Ausmaßes französische Wirtschaft, ihr Ingenieurwesen, ihr entstehen, kommt der Kompetenz- und Wissens- Innovationssystem und ihre Entscheidungsprozesse verlust einer inzwischen pensionierten Generation von struktureller Bedeutung, was jede Kritik oder von Ingenieuren hinzu, von denen nun einige in Infragestellung erschwert. Eine gewisse Angepasst- aller Eile zurückgeholt wurden. Der gegenwärtig in heit im Denken und in den Vorstellungen könnten Finnland in Bau befindliche EPR hat mit ähnlichen dabei durchaus diese uneingeschränkte Vorrang- Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Bau eines zweiten stellung befördert und die Einbeziehung der neu französischen EPR Penly in der Haute-Normandie entstandenen Technologien verzögert haben. Die wurde auf Eis gelegt. Während Nicolas Sarkozy Entwicklung eines »intelligenten Netzes« (smart den Bau dieses Reaktors noch befürwortet hatte, grid) könnte die Nutzung der diskontinuierlichen hat der neue Präsident, François Hollande, seine Energien in der Tat erleichtern, wenn Informatik- Absicht bekundet, den Anteil der Kernenergie an instrumente zur Optimierung der Stromerzeugung der Stromproduktion auf 50 Prozent bis zum Jahr und -weiterleitung zum Einsatz kommen. Unter 2022 zu verringern, was einem mit den deutschen diesen Voraussetzungen könnten die regenerativen Anstrengungen durchaus vergleichbaren Kraftakt Energien zu einer glaubwürdigen Alternative wer- entspricht. den, um einen Teil der Kernenergie zu ersetzen. Die reichliche Verfügbarkeit billigen Stroms hatte im Übrigen auch kontraproduktive Folgen, indem Auf dem Weg zu einem z. B. verstärkt Elektroheizungen betrieben wurden, Energiewandel? ohne für die Gebäude entsprechenden Wärme- schutz vorzusehen oder für eine Politik des sparsa- men Stromverbrauchs zu sorgen. Jede Kälteperiode Die französische Energiestrategie muss die Ent- ist für das französische Stromversorgungssystem scheidungen der anderen europäischen Länder ein Härtetest, bei dem die Netzbetreiber in den einbeziehen. Die deutsche Haltung könnte hierbei Risikoregionen an das Verantwortungsbewusstsein für die französische Energiepolitik schwerwiegende der privaten Stromabnehmer appellieren,13 um die Folgen haben. Berlin wird sich mit Nachdruck für Spitzenzeiten zu überstehen. die Einrichtung grüner Korridore einsetzen, die einen Transport der in Deutschland produzierten Um den spezifischen Charakteristika der franzö- regenerativen Energie durch ganz Europa ermög- sischen Wirtschaft Rechnung zu tragen, müssen lichen werden. In einer solchen Konstellation parallel zur Entwicklung der neuen Technologien wäre der französische Atomstrom, der mittelfristig nachhaltige Arbeitsplätze entlang der gesamten für die Stabilität des europäischen Netzes unab- Wertschöpfungskette geschaffen werden. Ob die dingbar ist, nach 2025 noch weniger gesichert, da Onshore-Windkraftanlagen und die Fotovoltaik dann die starke Durchdringung des Marktes mit diesen Kriterien entsprechen, ist angesichts der 10
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 Unsicherheit der in diesen Bereichen geschaffenen der Führung von EDF Energies Nouvelles (EDF- Arbeitsplätze schwer zu sagen. Der Markt hat seine EN), das zweite mit GDF Suez an der Spitze und Perspektiven anderswo als in Europa, nämlich in schließlich ein von dem spanischen Unternehmen den Schwellenländern mit ihrem Wirtschaftspoten- Iberdrola angeführtes Konsortium. GdF Suez hat zial und in den Vereinigten Staaten, und im Falle sich gemeinsam mit Siemens um den Standort einer Neubelebung des europäischen Marktes ist Saint-Brieux und mit Areva um drei Standorte in mit der Exportstrategie der chinesischen Unter- der Normandie beworben. Das spanische Unter- nehmen zu rechnen: Die chinesische Firma Sino- nehmen Iberdrola und Areva kandidieren gemein- vel, die gegenwärtige Nummer Zwei im Bereich sam ebenfalls für Saint-Brieux, und Alstom hat Windenergie in der Welt, erhält Aufträge in Europa sich mit EdF-EN zusammen getan. Eine zweite und wird in einem Zeitraum von fünf Jahren ent- Ausschreibung folgte im April 2012. Die Offshore- sprechend einem mit dem Entwickler Mainstream Windenergie ist noch teuer, und sie macht den Renewable Power (MRP) im Juli 2011 abgeschlos- Bau von Leitungen notwendig, um den erzeugten senen Vertrag in Windparks in Irland investieren, Strom zu den Abnehmern zu transportieren. Die die eine Leistung von bis zu 1 GW erbringen. MRP Verbesserung der Energieeffizienz besonders in hat inzwischen ein Büro in China eröffnet, damit Gebäuden – sie machen 42 Prozent des Energie- die chinesischen Hersteller das Unternehmen bei verbrauchs in Frankreich aus – kann ebenfalls eine der Entwicklung der geplanten 16 GW-Leistung Quelle zur Schaffung ganz unterschiedlicher und an Sonnen- und Windenergie unterstützen. In der nicht exportierbarer Arbeitsplätze sein. Diese neue, Fotovoltaik ist China schon jetzt führend in der noch sehr handwerklich betriebene und zu stark Welt. In diesen beiden Bereichen – Windenergie segmentierte Branche zu organisieren, ist eine echte und Fotovoltaik – gehen die Marktanteile der euro- Herausforderung. päischen Unternehmen immer weiter zurück, auch wenn sie in diesem expandierenden Markt noch immer satte Gewinne erzielen. Die europäischen Die Bedeutung der zeitlichen Länder haben Unternehmen hoch subventioniert, Vorgaben die sich konsequent den Forderungen des Mark- tes unterwerfen und die neu geschaffenen grünen Arbeitsplätze auslagern oder streichen. So kommt Von Energiewende zu sprechen heißt, die zeitlichen es, dass trotz gut gefüllter Auftragsbücher das im Vorgaben zu berücksichtigen. Die Weiterentwick- Bereich Windenergie an erster Stelle in der Welt lung des Stromerzeugungssystems muss einem ver- stehende dänische Unternehmen Vestas den Abbau nunftorientierten Szenario folgen. Die Geschwin- und die Auslagerung von Arbeitsplätzen ankündigt. digkeit, mit der sich die erneuerbaren Energien Diese Arbeitsplätze sollten jedoch genauer betrach- entwickeln, die Netzerweiterung und die Laufzeiten tet werden: Windturbinen und Fotovoltaikpanels der Kraftwerke folgen unterschiedlichen zeitlichen sind kaum wartungsintensiv und die Branche Vorgaben. Der Kampf gegen den Klimawandel schafft nur wenige qualifizierte Stellen. dagegen erfordert Sofortmaßnahmen von nach- haltiger Wirkung. Deutschland setzt hierbei auf Ein ausreichender Markt könnte die Entstehung die Energiewende. Diese wird dazu führen, dass einer neuen Technologie im Offshore-Windenergie- leistungsfähige Unternehmen in allen Energieberei- bereich rechtfertigen. Mehrere französische Unter- chen, außer dem Bereich der Kernenergie, entste- nehmen sind bereit, sich dieser Herausforderung zu hen werden. Ob diese Strategie dem Kampf gegen stellen: EdF, Areva, Alstom, GdF Suez und Vinci den Klimawandel zugute kommt, ist nicht sicher. bringen sich in Stellung, um an den Ausschreibun- Das hängt vor allem von einer höheren Energieeffi- gen der französischen Regierung teilzunehmen. zienz und dem sparsamen Umgang mit Energie ab, Die Ergebnisse der ersten Ausschreibung zu fünf deren zeitlicher Horizont für die zu erwartenden Standorten vor der Atlantik-Küste und im Ärmel- Gewinne sehr hypothetisch ist. Frankreich muss kanal wurden im April 2012 bekannt gegeben. Drei diese Entwicklungen berücksichtigen und seine Konsortien hatten sich positioniert: das erste unter Energie- und Industriepolitik so ausrichten, dass 11
DGAPanalyse 14 | Oktober 2012 seine Position auf dem Gebiet der Kernenergie ökonomisch und sozial verträglichen Preis erfolgen. erhalten bleibt, denn sie ist nach wie vor ein Wett- Geschieht dies nicht, besteht die große Gefahr, bewerbsvorteil auf dem Weltmarkt. dass Entscheidungsträger und Investoren die weit in die Zukunft reichenden Konsequenzen des Kli- Gleichzeitig muss es neue technologische Grund- mawandels schlicht ignorieren, und dass nicht mehr lagen schaffen. Letztendlich wird es zu einer Erhö- verstanden wird, warum ein europäischer Energie- hung der Stromkosten und der Emissionen von markt gebildet werden soll. Doch das Nebeneinan- Treibhausgas kommen, wenn es nicht gelingt, sich der der verschiedenen nationalen Energiepolitiken auf europäischer Ebene und zwischen den Mit- und die europäischen Verpflichtungen treiben die gliedstaaten über eine gemeinsame Vorgehensweise, Energiekosten signifikant in die Höhe. welche die spezifischen Besonderheiten jedes Lan- des berücksichtigt, zu einigen. Denn die Schaffung Maïté Jauréguy-Naudin leitet das Energie-Zentrum einer neuen emissionsarmen Stromproduktion (Centre Énergie) des Instituts für internationale und eines europäischen Netzes, das den Strom Beziehungen, Institut français des relations interna- aus Energiequellen mit niedrigem CO2-Gehalt tionales (Ifri), Paris; zu transportieren in der Lage ist, muss zu einem Übersetzung: ECHOO Konferenzdolmetschen. Anmerkungen 1 Vgl. Cour des Comptes, Die Kosten der Kernenergie. bei starker Kälte zu Netzproblemen führt. Öffentlicher thematischer Bericht, 31.1.2012, . 3 Vgl. ebd. 9 Die Zahl umfasst sowohl Stimmen für eine Beibehaltung 4 Vgl. Pricewaterhouse Coopers, Le poids socio-économique des Anteils am Energiemix als auch für eine Erhöhung de l’électronucléaire en France, Mai 2011, . 11 Autorité de Sûreté nucléaire, Évaluations com- 5 Vgl. Présidence de la République, Politique énergétique plémentaires de sûreté, Dezember 2011, . 6 2008 betrugen in Frankreich die Emissionen pro Kopf 12 Vgl. Jacques Percebois & Claude Mandil, Rapport Energies 6 t CO2eq, in Dänemark 9,1 t CO2eq, in Deutschland 10 t 2050, 13.2.2012, . 7 Die Bretagne ist bis heute eine Region, die mehr Strom 13 Vgl. die von RTE in der Bretagne lancierte Initiative verbraucht als sie selbst produzieren kann, was besonders eco-watt. 12
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