DIE FINANZIALISIERTE WOHNUNGSWIRTSCHAFT IST SOZIALISIERUNGSREIF - Rosa-Luxemburg-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
STANDPUNKTE 5 / 2021 KNUT UNGER DIE FINANZIALISIERTE WOHNUNGSWIRTSCHAFT IST SOZIALISIERUNGSREIF Das Hin und Her um die Übernahme der Deutsche Wohnen SE durch die Vonovia SE1 zeigt einmal mehr, wie sehr die Wohnverhältnisse der Spekulation und den Strukturen der Finanzmärkte unterworfen sind. Mitten in der größten Krise des bezahlbaren Wohnens seit der Nachkriegszeit hängt die Zukunft Hunderttausender Mietwohnungen von den von Aktions- fonds gesetzten Regeln und den spekulativen Kalkülen von Hedgefonds-Manager*innen ab.2 Nicht nur in Berlin kann man sich da fragen: Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit reif für die demokratische Alternative, die Vergesellschaftung des Woh- nungswesens? Was gibt das Grundgesetz dazu her? In welchem Verhältnis steht diese Perspektive der Vergesellschaftung zu Forderungen nach stärkerer Regulierung der Mieten und der Wohnungsbewirtschaftung? FINANZIALISIERUNG ODER SOZIALISIERUNG in den Wohnungsneubau eingestiegen und bietet sich als DES WOHNUNGSWESENS Empfängerin öffentlicher Wohnungsbausubventionen an.11 Der (vorerst gescheiterte) Fusionsversuch der beiden größ- Noch perspektivenreicher für das dauerhafte Renditewachs- ten deutschen Wohnungskonzerne kann als Anzeichen des tum ist der Einstieg in die öffentlich geförderte CO2 -reduzie- Eintritts in eine dritte Phase der Finanzialisierung der unter- rende Bewirtschaftung ganzer Wohngebiete, samt regene- nehmerischen Wohnungswirtschaft verstanden werden. rativen Energien und Mobilität.12 All das ist mit einer dreisten Nach der neoliberalen Deregulierung kam es in den Nuller- Selbstverklärung zur «Innovationsplattform» einer sozialen jahren zum Ausverkauf der ehemals gemeinnützigen Woh- und klimagerechten Wohnungswirtschaft verbunden.13 nungswirtschaft an Private Equity Fonds. Um 2012 wurden Bei börsennotierten Wohnungskonzernen vom Typ der Vo- deren Wohnungsplattform gewinnbringend an die Börse ge- novia handelt es sich weder um «ethische Kapitalanlagen» bracht.3 Jetzt werden einzelne Wohnungskonzerne so groß noch um pure Spekulationsblasen, sondern um systema- ROSA LUXEMBURG STIFTUNG und mächtig, dass der Staat nicht umhinkann, mit ihnen zu tisch durchstrukturierte Vehikel der Finanzindustrie zur lang- kooperieren.4 fristigen Abschöpfung von Einkommen mittels Miete. Je Auch ohne Übernahme der Deutsche Wohnen: Es gab höher die Mieteinnahmen und je niedriger die Kosten der Be- noch nie ein börsennotiertes Wohnungsunternehmen, bei wirtschaftung, desto höher die Dividenden. Je überzeugen- dem so viel Kapital in einer einzigen operativen Plattform ge- der die Aussichten erscheinen, dieses Dividendenwachstum bündelt war wie bei der Vonovia.5 Sie besitzt etwa 30 Pro- auch auf Dauer sichern zu können, desto erfolgreicher ge- zent der etwa 1,2 Millionen Wohnungen, die in Deutschland lingt die Platzierung der Aktien und Anleihen bei den institu für die Zirkulation von Finanzkapital in Form von Mietwoh- tionellen Investoren. Vonovia & Co. sind auf Dauer zu Wachs- nungen direkt zur Verfügung stehen.6 Die Deutsche Wohnen tum und Intensivierung der Mietenextraktion gezwungen, ist bei Weitem nicht das einzige Unternehmen auf der Ein- und das geht nicht ohne eine unterstützende Regulation des kaufsliste von Vonovia-Chef Rolf Buch. Nach Übernahmen Staates. Die Avantgarde der kapitalmarktorientierten Woh- in Österreich und Schweden7 und nach der Schaffung von nungswirtschaft, die vor gut zehn Jahren noch jede gesell- Brückenköpfen in Frankreich8 und den Niederlanden9 führ- schaftliche Verantwortung für die Wohnungsversorgung te der Konzern in diesem Jahr Gespräche mit der irischen von sich wies, bietet sich nun mit viel Tamtam als unverzicht- Regierung über den Einstieg in den dort geplanten sozialen barer Partner für die Lösung der Wohnungs- und Klimakrise Wohnungsbau.10 Wie in Deutschland könnte dieser mit öf- an. Es handelt sich um ein Fallbeispiel für die Durchsetzung fentlichen Darlehen gefördert werden, die auch hier nur zu dessen, was Joseph Vogl als «kapitalistische Regulation» zeitweisen Sozialbindungen führen. Die Vonovia ist auch durch «das Finanzregime» bezeichnet hat.14
Es ist vor allem die Dynamik und Kontrolle über immer vielschichtigen und auch mehrdeutigen Prozess. Sozialisie- mehr Lebensbereiche, öffentliche Funktionen und Zu- rungsreife der Wohnungswirtschaft kann bedeuten, dass die kunftsoptionen durch die Wohnungsfinanzindustrie, die uns Überführung bestimmter Segmente des Immobilieneigen- vor Augen führt, dass eine grundlegende Umkehr nötig ist. tums in Gemeineigentum geeignet und gesellschaftlich er- Egal ob man die soziale Wohnungsfrage, den Klimawandel, wünscht erscheint. Sozialisierungsreife kann man aber auch die Gefahren für die Demokratie oder schlicht die Empörung generell als Handlungsbedarf verstehen, die bestehende Re- über die systematischen Täuschungen durch die Vonovia in gulation der Wohnungswirtschaft neu auszurichten. den Mittelpunkt stellt: Dieser Konzern und mit ihm der ganze von ihm angeführte wohnungswirtschaftliche Sektor muss DAS BERLINER SIGNAL dringend unter gesellschaftliche Kontrolle gebracht werden. Die Berliner Initiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» Anders gesagt: Die finanzialisierte Wohnungswirtschaft ist hat die vergesellschaftende Enteignung der Wohnungen sozialisierungsreif. großer Eigentümer zu einer basisbewegenden und realpoli- tischen Option auf Landesebene gemacht. Bei einem Erfolg SOZIALISIERUNGSREIFE? dieser Initiative könnte zumindest in Berlin ein Teil der Fol- Als es nach der Novemberrevolution 1918 zu starken gesell- gen der Deregulierungen und Privatisierungen vergangener schaftlichen Bewegungen für die «sofortige Sozialisierung» Jahrzehnte rückgängig gemacht werden. In Berlin könnte ei- der Großindustrie, insbesondere des Bergbaus, kam, wurde ne starke gemeinwirtschaftliche Basis für ein leistungsfähi- von Vertretern der Mehrheitssozialdemokratie gern mit vul ges und soziales Wohnungswesen geschaffen werden, das gärmarxistischen Formeln bestritten, dass die Entwicklung den Finanzmärkten relativ entzogen wäre. der Produktivkräfte für einen derartigen Schritt «reif» sei. 15 Sollte es bei der Abstimmung am 26. September 2021 zu In der radikalen Linken wurde diese Rhetorik umgekehrt, einem Votum für die Vergesellschaftung kommen, wird die die Sozialisierung wurde zur Voraussetzung der Produktivi- eigentliche Auseinandersetzung aber erst beginnen. Die Ver- tätssteigerung erklärt. In der «Sozialisierungs-Kommission gesellschaftungsidee muss sich gegen den seit Jahrzehnten über die Neuregelung des Wohnungswesens»16 ging es, wie in den Köpfen, Parteien, Behörden und Gesetzen verankerten schon der Name sagt, um ein breites Spektrum all dessen, neoliberalen Mainstream durchsetzen. Teile der Regierung was man auch als Regulation der Vermietung und Förderung setzen lieber auf Deals mit den Konzernen als auf deren Ab- des Wohnungsbaus bezeichnen könnte, allerdings immer schaffung. Hauseigentümerverbände, die globale Finanzlob- unter Einschluss der Option einer gemeinwirtschaftlichen by und die neoliberalen Parteien laufen in den Medien Sturm. Organisationsform. Später in der Weimarer Republik entwi- Sie werden alles versuchen, das Vorhaben vor den Verfas- ckelte sich eine differenziertere Diskussion dazu, welche Be- sungsgerichten zu Fall zu bringen, so, wie es ihnen beim Ber- triebe für eine Vergesellschaftung geeignet seien und wie sie liner Mietendeckel schon gelungen ist. Sie werden im Be- jeweils organisiert werden sollte. Der bekannte Wohnungs- darfsfall sicherlich auch noch das europäische Beihilferecht, reformer Klaus Novy meinte in den utopiekritisch werdenden die Kapitalverkehrsfreiheit, den internationalen Investitions- 1970er Jahren, sinnvoller als von «Sozialisierungsreife» sei schutz und überhaupt den drohenden Niedergang Deutsch- es von «Bedingungen», «Voraussetzungen» oder «Ansatz- lands als Finanzstandort ins Feld führen. Und sie werden Ent- punkten» der Sozialisierung zu sprechen.17 Dabei geht aller- schädigungen einfordern, die für sie noch lukrativer sind als dings die Dimension des gesellschaftlichen Bedürfnisses die Fortsetzung der jetzigen Geschäfte. und Begehrens nach sozialisierender Umgestaltung ebenso Um den eröffneten, voraussichtlich langen Kampf um das verloren wie die Tatsache, dass die Entwicklung des Kapita- Wohnungswesen durchzuhalten, braucht es auf jeden Fall lismus zwar nicht mit teleologischer Notwendigkeit auf seine auch außerhalb Berlins Kampagnen und Konzepte, und zu- sozialisierende Aufhebung hinausläuft, sehr wohl aber der nächst vor allem: einen viel breiteren Diskurs über die Zie- Akkumulationsprozess des Kapitals die Frage nach seiner so- le und Strategie der Vergesellschaftung des Wohnungswe- zialisierenden Aneignung auf immer wieder neuem Niveau sens in Deutschland und darüber hinaus. Diese Diskussion aufwirft. darf sich nicht von Vornherein auf einen bestimmten Sek- Aktualisieren wir den Begriff Sozialisierungsreife und wen- tor der Wohnungswirtschaft beschränken. Wenn alle Woh- den ihn auf die heutige Wohnungsfrage an, so lassen sich die nungen finanzmarktorientierter Großvermieter in Deutsch- folgenden Argumente identifizieren: 1. Die Vergesellschaf- land vergesellschaftet würden, würde das immerhin gut tung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft könnte fünf Prozent des Mietwohnungsbestandes ausmachen. In die Abschöpfung von Mieten für private Renditen beenden. einigen Städten und Regionen – Berlin, Dresden, Kiel, das 2. Die Mieten könnten reduziert oder für den gemeinwirt- Ruhgebiet usw. – auch wesentlich mehr. Für eine reale Ver- schaftlichen Neubau verwendet werden. 3. Die bei den Groß- gesellschaftung fehlen aber die Rahmenbedingungen wie vermietern angehäuften knappen Güter Wohnung, Boden geeignete Auffangträger, in dieser Größe erprobte nicht-ren- und Baukapazität würden für die gesellschaftliche Bedarfsde- diteorientierte Steuerungsmodelle, an Gemeinwohlzielen ckung umverteilt bzw. umorganisiert. 4. An die Stelle weiterer orientierte Manager*innen, in vielen Städten auch die enga- Machtansammlung und Markbeherrschung bei den rendi- gierten Zivilgesellschaften und nicht zuletzt ein Bewertungs- teorientierten Konzernen würde eine demokratische Verfas- und Entschädigungsgesetz, das nicht darauf hinausläuft, sung der Wohnungsgemeinwirtschaft treten. 5. Das frust- dass die Anleger*innen von Vonovia & Co. am Ende zu den rierende Konzernkommando über den Wohnalltag könnte Gewinner*innen werden und die Mieter*innen jahrzehnte- durch Mitbestimmung und Selbstorganisation überwunden lang die Schulden der Übernahme abbezahlen. werden. 6. Dabei müsste auf den mit der Betriebsgröße ver- Die vergesellschaftende Enteignung kann also als isolier- bundenen Effizienzgewinn nicht verzichtet werden. te Maßnahme kaum funktionieren. Neben konkreten Vorstö- Reale Vergesellschaftung ist nie als ein einmaliger Akt vor- ßen wie in Berlin brauchen wir eine bundesweite Program- stellbar. In der Praxis geht es immer um einen langwierigen, matik, in der unterschiedliche Instrumente und Experimente 2
mit ihren diversen Handlungsebenen, Akteuren, Zeithorizon- Hier kommt die Vergesellschaftung eines Wohnungswirt- ten und Realisierungschancen zu einem vielstimmigen Pro- schaftsbereiches im Sinne von Artikel 15 GG ins Spiel. Da zess zusammenfließen können. auch diese zu Eingriffen in das Eigentumsrecht führt, bedarf sie der Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit. DIE VERFASSUNG DES WOHNENS Die Eigentumsgarantie ist ein elementares Grundrecht. Sie NEU V ERHANDELN ist aber weder statisch noch unbestimmt oder grenzenlos. In Artikel 15 Grundgesetz (GG) heißt es, dass Grund und Das Eigentum existiert nach Artikel 14 GG nur im Rahmen Boden, Naturschätze und Produktionsmittel «zum Zwecke seiner gesetzlich regulierten Inhalts- und Schrankenbestim- der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Aus- mungen, und diese sind einem historischen Wandel unter- maß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder ei- worfen. Artikel 15 GG fügt diesen Bestimmungen im Falle ne andere Form der Gemeinwirtschaft überführt werden» von Immobilien die Möglichkeit eines Wechsels der Eigen- können. Der Artikel war 1949 nach intensiven Verhandlun- tums- oder Wirtschaftsform hinzu. Dieser Wechsel ist aber gen im Kraft getreten.18 Bei der Vergesellschaftung im Sin- nur dann verhältnismäßig, wenn sie besser als regulatori- ne von Artikel 15 GG handelt es sich um einen Zweck, der sche Maßnahmen mit geringerer Eingriffstiefe dazu geeig- sowohl durch die Überführung von Privateigentum in Ge- net sind, das Recht auf eine angemessene Wohnung durch- meineigentum (enteignende Vergesellschaftung) als auch zusetzen. Und zudem muss es zu einem Interessenausgleich durch eine Transformation in andere Formen der Gemein- kommen, für den im Falle der enteignenden Vergesellschaf- wirtschaft, die nicht unbedingt eine Enteignung vorausset- tung ausdrücklich eine Entschädigung vorgeschrieben ist. zen, erreicht werden kann. Anders als die Enteignung nach Diese kann jedoch, anders als bei der Enteignung nach Arti- Artikel 14 GG muss die Vergesellschaftung nicht aus einer kel 14 GG, unterhalb der Verkehrswerte liegen.22 spezifischen Notwendigkeit in einem spezifischen Allge- Die Forderung nach Wohnungsvergesellschaftung, ins- meininteresse erfolgen. Es handelt sich um eine Option des besondere in ihrer enteignenden Variante, würde ohne Er- Gesetzgebers im Rahmen des hinsichtlich der Wirtschafts- wägung möglicher Änderungen der Inhalts- und Schranken- verfassung grundsätzlich «neutralen» Grundgesetzes.19 Da bestimmung des Eigentums zu einer Fehlbewertung ihrer die Ausübung dieser Option jedoch zu Einschränkungen Zulässigkeit führen. Im Rahmen einer Sozialisierungsstrate- von Grundrechten führen kann, insbesondere des Eigen- gie müssen alle das Wohnen betreffenden Rechtsverhältnis- tumsrechts, muss sie gleichwohl legitim, geeignet und ver- se auf ihre Gemeinwohlwirkung überprüft werden. hältnismäßig sein. Zur Legitimation der Wohnungsvergesellschaftung kann DIALEKTIK DER MIETWOHNUNG man sich auf das Menschrecht auf eine angemessene Woh- Die verfassungsrechtlichen Festschreibungen der Sozial- nung berufen. Der deutsche Staat ist aufgrund des völker- pflichtigkeit des Eigentums und der Vergesellschaftungsop- rechtsverbindlichen Internationalen Pakts über wirtschaft- tion erfolgten historisch in Reaktion auf die Krisen- und Kata- liche, soziale und kulturelle Rechte20 dazu verpflichtet, sich strophenerfahrungen des entfalteten Industriekapitalismus darum zu kümmern, dass jeder Mensch über eine für ihn be- des 19. und 20. Jahrhunderts. Dieser basiert bekanntlich zahlbare, sichere, zugängliche und gesunde Wohnung ver- auf Warenproduktion und dem Privateigentum an Produk- fügt. Das Grundgesetz erwähnt zwar nicht ausdrücklich ein tionsmitteln und Land. Die Wohnung ist unter diesen Be- Recht auf Wohnung, aber die garantierten Grundrechte müs- dingungen ebenso eine Ware wie andere Güter, auch wenn sen angesichts der Wohnungskrise konsequenter im Lichte sie Besonderheiten aufweist. Dazu gehören ihre Immobi- des Menschenrechts interpretiert werden. Dem kommt ent- lität, ihre hohen Erstellungskosten, ihre Langlebigkeit, die gegen, dass das Bundesverfassungsgericht das Besitzrecht eingeschränkte Reproduzierbarkeit und ihre Beleihbarkeit, an der Mietwohnung dem Recht auf Eigentum gleichgestellt alles Eigenschaften, die sie für die Nutzung als Wertspei- hat.21 Im Falle der Mietwohnung muss es demnach zu einem cher akkumulierten Kapitals besonders tauglich machen. Interessenausgleich zwischen zwei Rechtssubjekten kom- In der Mietwohnung liegt zudem unmittelbar «Leihkapital men, die beide mit dem Freiheitsrecht auf Eigentum ausge- in Warenform»23 vor. Die Nutzung der Mietwohnung als Fi- stattet sind. nanzanlage ist also keine ihr übergestülpte Entartung, sie ist Artikel 14 Abs. 2 GG verpflichtet die Rechtssubjekte zu in ihrem spezifischen Warencharakter angelegt, auch wenn einem Gebrauch des Eigentums, der zugleich dem Allge- sich diese Eigenschaft unter den gegenwärtigen Bedingun- meinwohl dient. Diese Sozialpflichtigkeit rechtfertigt seit gen des globalen Finanzmarktkapitalismus besonders stark Langem Eingriffe in das Immobilieneigentum, zum Beispiel entfaltet. durch das Planungs- und Mietrecht. Der aktuelle Entwick- Ökonomie und Geschichte der Mietwohnverhältnisse sind lungstand dieser Eingriffe versagt aber offensichtlich bei der geprägt von dem Widerspruch zwischen dem Charakter der Lösung der bestehenden Wohnungskrise. Um das Recht auf Wohnung als einem lebensnotwendigen Gut einerseits und Wohnung und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums durch- ihrem Charakter als global handelbare Finanzanlage anderer- zusetzen, sind heute ergänzend zum Zivilrecht öffentlich- seits. Dieser widersprüchliche Charakter der Ware Wohnung rechtliche Regulationen für gemeinwohlverträgliche Miet schließt einen «naturwüchsigen» Ausgleich zwischen An- oberwerte, Grundätze der Wohnungsbewirtschaftung und gebot und Bedarf aus. Produktion, Verteilung und Finanzie- der Wohnungsüberlassung erforderlich. rung der Ware Mietwohnung sind stets reguliert. Schon dass Insoweit diese Regulationen nicht ausreichen, kommen in Grundstücke und die darauf errichteten Gebäude gehandelt, Einzelfällen als letztes Mittel auch Enteignungen gemäß Arti- beliehen und verliehen werden, beruht auf der rechtlich ko- kel 14 GG in Betracht. Eine bundesweite gesetzliche Grund- dierten Grundeigentumsfiktion der bürgerlichen Gesell- lage dafür gibt es aber nicht. Und insofern die Wohnungs- schaft.24 In diesen Code muss immer wieder regulativ einge- krise Ausdruck eines grundsätzlichen «Marktversagens» ist, griffen werden, um die Reproduktion von Gesellschaft und 3 wäre eine spezifische Enteignung auch nicht zielführend. Kapital zu sichern.
In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstand die Erfüllung der Rechte zukünftiger Generationen auf ein Wohnungspolitik aus Notstandseingriffen in die Privatauto- gutes Wohnen unmöglich macht. nomie. In zahlreichen Ländern kam es zu zunächst tempo- Es geht heute nicht mehr lediglich darum, Fehlentwicklun- rär angelegten Mietenstoppmaßnahmen, deren baldige Ab- gen des liberalistisch gefassten Grundeigentums unter Beru- schaffung dann an der unveränderten Wohnungsnot und fung auf die Sozialpflichtigkeit gelegentlich einzuschränken starken Protesten scheiterte.25 Das knappe Gut Wohnung oder durch öffentliche Förderung auszugleichen. Es geht musste durch eine öffentliche Zwangsbewirtschaftung zu- auch nicht nur darum, in einem Teilsegment des Wohnungs- geteilt werden, da trotz der Bemühungen um den gemein- marktes die Grundeigentümer auszutauschen. Es geht dar- nützigen Wohnungsbau keine Bedarfsdeckung erreicht um, die Inhaltsbestimmungen des Eigentums an Wohnim- werden konnte. Diese Wohnungsnotstandspolitik wurde im mobilien neu zu bestimmen, und zwar in Übereinstimmung Zuge des Wirtschaftswachstums nach dem Krieg in die Pha- mit dem Menschenrecht auf Wohnung und den Rechten der se fordistisch regulierter Massenproduktion übergeleitet. Erde. Da, wo privatnütziger Finanzmarkt war, soll gemein- Durch starke Eigenheimförderung und die Einbindung des nütziges Wohnungswesen werden. Wohnungsbaus in die durch Staat und Banken koordinierten industriellen Wachstumsschübe sollte die Wohnungsfrage SOZIALISIERENDE REGULATION in absehbarer Zeit den staatlich gepushten «Marktkräften» Die erforderliche Politik «sozialisierender Regulation» be- überlassen werden. Öffentlich-rechtliche Mietpreisbindun- trifft das ganze Feld des Wohnungswesens und der sozia- gen und Wohnungsbewirtschaftungen wurden stückwei- len Raumentwicklung: Bodennutzung, Preisbestimmungen, se abgeschafft und durch das marktorientierte Vergleichs- Verteilung und Bewirtschaftung. Sozialisierend und nicht mietensystem sowie das zivile Mietrecht ersetzt. Ab den nur übergreifend ist sie zu nennen, weil jeder ernstgemein- 1980er Jahren erfolgte dann der neoliberale Abbau der for- te Versuch, Symptome der Systemkrise zu bekämpfen, den distischen Wohnungsregulation, vor allem der Wohnungs- Bedarf nach weitergehenden Marktregulationen nach sich gemeinnützigkeit (1990) und der Zuständigkeit des Bundes zieht. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Idee eines «Mieten- für die Wohnungsbauförderung (Föderalismusreformen). deckels». Das «Wohnungswesen», das zuvor als ein spezifischer staat- Unter den Bedingungen einer von der Produktion weit- licher Aufgabenbereich galt, wurde damit fast vollständig in gehend entkoppelten Immobilienpreisentwicklung ist nicht Eigentumsförderung und finanzkapitalistische «Wohnungs- mehr vorstellbar, dass die Bezahlbarkeit dauerhaft allein wirtschaft» aufgelöst. durch ein an die Marktpreisentwicklungen gekoppeltes Nach der Jahrtausendwende wurden große Teile der ehe- Vergleichsmietensystem («Mietspiegel») gesichert werden mals gemeinnützigen unternehmerischen Wohnungswirt- kann. Die Alternative zu dieser Situation ist die dauerhafte schaft an Private Equity Fonds verkauft. Diesen gelang es Festsetzung von lokalen Miethöchstwerten oder anderen Anfang der 2010er Jahre, ihre Wohnungsunternehmen an Formen drastischer Mietpreiskontrollen, die die Mietrenditen die Börse zu bringen. Seitdem erfolgt ein umfassender Kon- zwangsläufig beschränken. Soweit dies gelingt, folgt daraus zentrations- und Intensivierungsprozess bei der Abschöp- eine geringere Investitionsneigung des Kapitals in Neubau fung der Mieten für die Finanzanleger. Heute handelt es sich und die Erneuerung des Wohnungsbestandes. Dem ersten bei der Wohnungsfrage um den auf erweiterter Stufenleiter Problem müsste mit der Schaffung geförderter gemeinnützi- der finanzkapitalistischen Akkumulation entfalteten systemi- ger Wohnungsbauträger, dem zweiten mit Instandhaltungs- schen Widerspruch der Wohnung zwischen Bedarfsgut und verpflichtungen entgegengewirkt werden. Finanzanlage. Dieser Widerspruch lässt sich nicht durch eine Der Gesetzgeber müsste regeln, dass ein Teil der Miete flexible kapitalistische Regulation im Sinne einer vorüberge- verbindlich in die Instandhaltung fließt oder dafür konkurs- henden und räumlich begrenzten Beschränkung des Eigen- sicher zurückbehalten werden muss. Damit aber würde sich tumsmissbrauchs («Mietenstopp») oder einer Stimulation die Frage stellen, wer die Einhaltung dieser Regelung effi industrieller Massenproduktion («Bauen, bauen, bauen») zient kontrolliert. Eine Lösung wäre die Einrichtung flächen- überwinden. Die Mietenpolitik der heutigen dritten Genera deckender elektronischer Wohnungsregister, in denen die tion kommt um die Frage nach einer Neubestimmung von Verfügungsberechtigten ihre Instandhaltungsabrechnun- Inhalt und Schranken des Grundeigentums, nach einer so- gen regelmäßig veröffentlichen. Diese Wohnungsregister zialisierenden Regulation der Wohnungswirtschaft nicht he- könnten auch die entscheidende Instanz zur Regulierung der rum. Kurzzeitvermietung, zur Kontrolle von Zweckentfremdungen und Leerstand und zur Feststellung von Überschreitungen MENSCHENRECHT AUF WOHNUNG UND von Miethöchstwerten darstellen. Sie könnten eine Grundla- DIE RECHTE DER ERDE ge für die öffentliche Wohnungsvermittlung und den Ausbau Kämpfe um die Rechte auf Wohnung und Stadt werden zu kommunaler Belegungsrechte sein. Auf diese Weise könnte Treibern erweiterter Regulationsanforderungen an das Im- die gesamte Mietwohnungsbewirtschaftung öffentlich regu- mobilienkapital. Die Erfüllung dieser Rechte muss jedoch in- liert und von den Mieterschaften mitbestimmt werden, oh- nerhalb der Belastungsgrenzen der Erde erfolgen. Eine Lö- ne dass eine Enteignung der Grundeigentümer erforderlich sung der Wohnungskrisen durch ein bloßes Bauen, bauen, wäre. Die Frage ist nur, wie viele der bisherigen Finanzinves- bauen» verbietet sich schon deshalb. Die Beschränkung der toren dann noch Interesse an diesem Geschäftsfeld hätten. natürlichen Ressourcen radikalisiert die soziale Wohnungs- frage als Verteilungsfrage. Das Bundesverfassungsgericht DIE NEUE WOHNUNGSGEMEINWIRTSCHAFT hat in seinem Urteil zum Klimaschutz den Verfassungsrang Wenn die private Investitionsneigung infolge wirksamer der intergenerationellen Gerechtigkeit hervorgehoben.26 Die Regulation abnimmt, wächst der Bedarf an nicht-rendite bedeutet auch: Der Staat muss sich darum kümmern, dass orientierten Akteuren. Zugleich wird aber auch die Überfüh- der Verbrauch natürlicher Ressourcen für das Wohnen nicht rung der Wohnungen in gemeinnützige oder gemeinwirt- 4
schaftliche Trägerschaft kostengünstiger. Durch den Ausbau Grundstock für eine gemeinwirtschaftliches Wohnungs- kommunaler Vorkaufsrechte, eine Reform der Immobilien- wesen mit weit über einer Million Wohnungen gelegt wer- bewertung sowie durch eine gerechte Besteuerung von Im- den. Konzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen und LEG mobilientransaktionen und durch Steuererleichterungen bei benötigen nicht einmal die Hälfte der Mieteinnahmen zur Verkauf an Gemeinnützige könnte dieser Trend gestützt wer- Deckung der laufenden Kosten. Weit über ein Drittel der den. Die dazu erforderliche bundesweite Auffangstruktur Mieteinnahmen fließt an die Anleger*innen.28 Durch die Ver- existiert zurzeit allerdings nicht. Sie müsste erst geschaffen gesellschaftung könnten die Mieten gesenkt werden. Dem werden. Zwei Möglichkeiten kommen dabei infrage: die ge- gemeinwirtschaftlichen Wohnungswesen könnten dauer- winnbeschränkte gemeinnützige Wohnungswirtschaft oder haft Einnahmen zufließen, die für den sozialen Neubau ein- die renditefreie Wohnungsgemeinwirtschaft. gesetzt werden könnten. Die Überführung so vieler Immo- Gemeinnützig nennt man traditionell Organisationen, die bilien in gemeinwirtschaftliche Trägerstrukturen würde mit überwiegend einem anerkannten, gesellschaftlich nütz- einem Schlag große Kapazitäten für die Durchsetzung von lichen Zweck dienen, sich und ihr Vermögen dauerhaft an Klimaneutralität im Wohnungsbestand schaffen. diesen Zweck binden, ihre wirtschaftlichen Überschüsse Wie die Initiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» bis auf einen begrenzten Anteil nur für diesen Zweck ein- aufgezeigt hat, ist die Entschädigung für die Vergesellschaf- setzen und bei überprüfbarer Einhaltung dieser Vorschrif- tung schon auf Landesebene mithilfe von Anleihen gut finan- ten steuerliche und andere öffentliche Vergünstigungen zierbar. Niedrige Mieten können allerdings nur dann durch- erhalten. So war es bei der alten Wohnungsgemeinnützig- gesetzt werden, wenn die Entschädigungssumme sehr weit keit und so sollte es – ergänzt um Bestimmungen zur inter- unter den aktuellen Verkehrswerten bleibt. Und auch dann nen Demokratie und Transparenz – eigentlich auch bei der noch werden die Wohnungen auf viele Jahre hinaus mit «neuen Wohnungsgemeinnützigkeit» sein, einer Zielvorstel- Schulden für den Rückerwerb von Wohnungen belastet sein, lung, die vor etwa zehn Jahren von Mieterorganisationen deren Erstellungskosten die Mieter*innen schon längst ab- und Wohnungsreformer*innen wieder aufgebracht wurde. gezahlt haben. Inzwischen fordert auch eine Reihe von Gewerkschaften, Bei einer Vergesellschaftung auf Bundesebene gäbe es Wohlfahrtsverbänden und Parteien eine «neue Wohnungs- größere Spielräume. Es könnte für alle Formen der Verge- gemeinnützigkeit». Nur was darunter verstanden wird, ist sellschaftung (auch z. B. über die Wahrnehmung von Vor- mitunter nebulös geworden. kaufsrechten durch die Kommunen) eine eigene Bewer- So setzten zum Beispiel die Grünen schon seit Jahren tungsgrundlage geschaffen werden, die sich an sozialen den Begriff ein, um eine Art aufgestockte soziale Objekt- Zielwerten orientiert und berücksichtigt, dass die Höhe von förderung zu beschreiben. Einem Gesetzentwurf aus dem Aktienkursen nicht unter den grundgesetzlichen Eigentums- Jahr 2020 zufolge soll die Wohnungsgemeinnützigkeit auf schutz fällt. Bei heutigen Leitzinsen und nach den ohnehin «angespannte Wohnungsmärkte» beschränkt werden. 27 geforderten Veränderungen der Schuldenbremse kann die Damit wird der Grungedanke, flächendeckend ein Woh- Entschädigung dann günstig aus Staatsanleihen finanziert nungssegment zu schaffen, in dem die Akteure ohne Pro- werden. So ließe sich auf einen Schlag eine leistungsfähi- fitorientierung wirtschaften, untergraben. Sollte es zu einer ge Wohnungsgemeinwirtschaft mit Hunderttausenden von solchen «Wohnungsgemeinnützigkeit light» kommen, wer- Wohnungen bei einem geringen Verschuldungsgrad schaf- den sicherlich auch Vonovia & Co. bald mit «gemeinnützi- fen. gem Wohnungsbau» aufwarten, um ihre Sozialbilanz zu ver- Eine entschlossene sozialisierende Regulation des gesam- bessern und in den Genuss zusätzlicher Fördermittel und ten Wohnungswesens und die Vergesellschaftung großen Grundstücke zu kommen. Die praktische Wirksamkeit des Immobilienbesitzes würde nicht nur die Voraussetzungen Wohnungsgemeinnützigkeitskonzepts ist allerdings schon dafür verbessern, jedem Menschen ein sicheres Zuhause zu deshalb begrenzt, weil es kaum kommunale und genossen- geben und unsere Städte klimagerecht umzubauen. Sie wür- schaftliche Wohnungsunternehmen gibt, die freiwillig dau- de auch das Eigentum derjenigen schützen, die es auf eine erhafte Sozialbindungen eingehen wollen. Weise gebrauchen, die in Übereinstimmung mit Artikel 14 Es gibt andererseits auch Genossenschaften und vor al- GG zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient. Dieser Ge- lem Miethäusersyndikate, die schon jetzt auch im strengen danke kann vielleicht ein Ausgangspukt dafür sein, die Idee Sinne gemeinnützige Regeln einhalten, ohne dafür geför- der vergesellschaftenden Regulation des Wohnungswe- dert zu werden. Um der begrifflichen Schärfe willen sollten sens nicht nur bei einer Minderheit zu verbreiten, sondern wir diese Akteure gemeinwirtschaftlich nennen. In einem als gegenhegemoniales Projekt auszubauen. Zu einer nach- «Wohnungsvergesellschaftungsgesetz» könnten sie ge- haltigen Vergesellschaftungsstrategie wird es aber wohl erst stärkt werden, ohne ihre Autonomie aufzuheben. Das Gesetz kommen, wenn die Bewohner*innen den Widerstand gegen könnte auch Regelungen dafür schaffen, die kommunale die finanzregulierte Wohnungswirtschaft in ihren Alltag inte- Wohnungswirtschaft in die renditefreie Wohnungsgemein- grieren und sich für ihre Interessen und die praktische Wie- wirtschaft zu überführen. deraneignung des Raums organisieren. SOZIALISIERUNG DER WOHNUNGSKONZERNE Knut Unger ist Sprecher des MieterInnenvereins Witten Im Vergleich dazu wäre die Enteignung und Vergesellschaf- (Mitglied im Deutschen Mieterbund NRW) und tung der Immobilien von privaten Großkonzernen gemäß von MieterAKTIONärIn – Plattform kritischer Artikel 15 GG ein D-Zug. Auf direktem Wege könnte ein Immobilienaktionär*innen. 5
1 SE ist eine Rechtsform für Aktiengesellschaften, die es ihnen ermöglicht, ihre Geschäfts- Siehe auch Macho, Andreas/Finkenzeller, Karin: Die Sorgen des Imperators. Der Woh- tätigkeit in verschiedenen europäischen Ländern mit einem einheitlichen Regelwerk zu nungskonzern Vonovia expandiert in ganz Europa, in: Wirtschaftswoche, 24.8.2020, unter: betreiben. 2 Der Vonovia-Vorstandvorsitzende Rolf Buch machte nach dem Scheitern der www.wiwo.de/my/unternehmen/dienstleister/vonovia-die-sorgen-des-impera- Übernahme zwei Faktoren dafür verantwortlich, dass bis zum Stichtag am 21. Juli 2021 tors/26110710.html. 10 Kapila, Lois: Should Private Finance Play Any Part in the Roll Out die erforderliche Quote von 50 Prozent der Aktien nicht erreicht wurde: Etwa 20 Prozent of Cost-Rental Homes in Ireland?, in: Dublin Inquirer, 30.6.2021, unter: dublininquirer. der Aktien der Deutsche Wohnen werden von passiven Indexfonds gehalten (darunter com/2021/06/30/should-private-finance-play-any-part-in-the-roll-out-of-cost-rental-ho- BlackRock), die aufgrund ihres Geschäftsmodells keine Übernahmeangebote annehmen mes-in-ireland. 11 Die Anfänge waren äußerst bescheiden und bestanden vor allem aus können. Und außerdem haben Hedge-Fonds auf ein Scheitern des Übernahme-Coups Aufstockungen bestehender Gebäude. Nach der Übernahme mehrerer Developer nimmt spekuliert. Die Fusion ist demnach nicht an zweifelhaften wohnungs- und finanzwirtschaft- das Baugeschäft des Konzerns aber an Fahrt auf. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland, lichen Perspektiven der neuen Vermietungsgiganten gescheitert, sondern an Eigengesetz- Österreich und Schweden 646 Einheiten für den Verkauf und insgesamt 1.442 eigene lichkeiten der Anlegersphäre. Siehe hierzu auch Herz, Carsten/Leitel, Kerstin: Fusion zwi- Wohneinheiten fertiggestellt. In der Pipeline sollen über 10.000 Wohnungen sein (Quelle: schen Vonovia und Deutscher Wohnen vor dem Aus – Was das für Mieter und Anleger Vonovia Geschäftsbericht 2020). Es handelt auch weiterhin oft um «Nachverdichtungen« bedeutet, in: Handelsblatt, 25.7.2021, unter: www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/ auf bereits vorhandenen Grundstücken. Aber auch an größeren Neubaumaßnahmen ist immobilien-fusion-zwischen-vonovia-und-deutscher-wohnen-vor-dem-aus-was-das-fuer- Vonovia beteiligt. Häufig sind die neuen Wohnungen gehobene Eigentumsobjekte und mieter-und-anleger-bedeutet/27443488.html. 3 Siehe Unger, Knut: Der große Ausverkauf. teurer als der Bestand. Schon aufgrund kommunaler Auflagen muss die Vonovia aber auch Die Finanzialisierung der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Deutschland, öffentlich geförderte Wohnungen errichten. Sie ermöglichen Umzüge älterer Mieter*innen in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 95, 2013, S. 24–35; ders.: Mieterhöhungsma- in kleine Wohnungen und damit erhöhte Mieteinnahmen aus den freigezogenen neuen schinen: Zur Finanzialisierung und Industrialisierung der unternehmerischen Wohnungs- Einheiten. 12 MieterAKTIONärIn: Klimawechsel bei der Vonovia?, 4.3.2021, unter: mie- wirtschaft, in: PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft 191, 2018, S. 205–225. teraktionärin.de/bilanzpressekonferenz-klimawechsel-bei-der-vonovia/. 13 Siehe Vonovia Zur Finanzialisierung und dem Aufstieg der Wohnungs AGs in Deutschland siehe auch: SE: Geschäftsbericht 2020, unter: reports.vonovia.de/2020/geschaeftsbericht/. 14 Vogl, Metzger, Philipp P.: Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Woh- Joseph: Kapital und Ressentiment, München 2021. Mehr als 100 Jahre zuvor nannte Ru- nungsmarktes, Münster 2020. 4 Exemplarisch für diese Tendenz war die Begleitung der dolf Hilferding (Das Finanzkapital, Frankfurt a. M. 1968) eine ähnliche Tendenz «organisier- Fusionsanbahnung durch den regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. Sie- ten Kapitalismus», was Lenin in «Monopolkapitalismus» übersetzte (Der Imperialismus als he Gerhardt, Sebastian: Ein wohlkalkulierter Coup, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, höchstes Stadium des Kapitalismus, Lenin: Werke, Bd. 22, Berlin 1960). Wie wir an dem 26.5.2021, unter: www.rosalux.de/news/id/44371/ein-wohlkalkulierter-coup?cHash=83a Scheitern der Fusion der beiden Wohnungskonzerne sehen, haben die heutigen Konzen- 5053f775af62b200ca93e9ed2936c; Unger, Knut: Die Fusion (der Täuscher). Vonovias «Zu- trationsprozesse in der deutschen Vermietungswirtschaft die Konkurrenz auf den Finanz- kunfts- und Sozialpakt Wohnen» im Faktencheck, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, anlagemärkten aber noch lange nicht außer Kraft gesetzt, und dafür, dass die Vonovia nach 1.6.2021, unter: www.rosalux.de/news/id/44404/die-fusion-der-taeuscher. 5 Zum Ende anderen Wohnungsmärkten ausgreift, ist heute auch keine imperialistische Kolonisierung des ersten Quartals 2021 betrug die Marktkapitalisierung der Vonovia 33 Milliarden Euro. erforderlich. 15 Das passende Marx-Zitat lautet: «Eine Gesellschaftsformation geht nie Der Unternehmenswert (Net Asset Value) betrug 36 Milliarden Euro. Der «Verkehrswert» unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhe- (Fair Value) der Immobilien belief sich auf 60 Milliarden Euro. Die Vonovia besaß 415.000 re Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedin- Wohnungen. Quelle: Quartalsberichte der Vonovia SE, unter: investoren.vonovia.de. 6 Der gungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.» (Marx, Gesamtbestand der deutschen Wohnungen börsennotierter Unternehmen beträgt nach Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, Berlin 1952, S. 9) 16 Verhandlungen meiner Übersicht etwa 950.000 Wohnungen. Zusammen mit den Beständen von Fonds der Sozialisierungs-Kommission über die Neuregelung des Wohnungswesens, Berlin sind es nach meiner Schätzung mindestens 1,2 Millionen Wohnungen, die sich direkt im 1921. 17 Novy, Klaus: Strategien der Sozialisierung. Die Diskussion der Wirtschaftsreform Eigentum von Kaptalanlagevehikeln befinden. Selberverständlich nehmen Finanzmarktak- in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M./New York 1978. 18 Brückner, Martin Lars: So- teure darüber hinaus über Kredite, den Grundstückshandel, das Development, die Ratin- zialisierung in Deutschland, München 2013. 19 Hömig, Dieter: Grundgesetz für die Bun- gagenturen und Technologien Einfluss auf die Wohnungsmärkte. 7 Die Vonovia besitzt derepublik Deutschland, Baden-Baden 2013, Artikel 15, Rn.1. 20 Artikel 11.1 des Interna- in Österreich durch Übernahmen von Conwert SE (2017) und BUWOG AG (2018) knapp tional Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1966) unter: ohchr.org/EN/ 22.000 Mietwohnungen. Mit der BUWOG AG hatte sie zugleich einen größeren Developer ProfessionalInterest/Pages/CESCR.aspx; General comment No. 4: The right to adequate erworben. In Schweden kaufte die Vonovia im Jahr 2018 das börsennotierte Wohnungs- housing (1991), unter: tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download. unternehmen Victoria Park und im Jahr 2019 Hembla von dem Vermögensverwalter Black- aspx?symbolno=INT/CESCR/GEC/4759&Lang=en. 21 BVerfGE 89, 1: «Der Eigentums- stone. Mit über 38.000 Wohnungen in Schweden gilt Vonovia als Marktführer der privaten schutz des Mieters unterscheidet sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermie- Wohnungswirtschaft. Sie ist in wichtigen Gremien vertreten, die auch Einfluss auf die ters und Eigentümers.» 22 Hömig: Grundgesetz, Art. 15, Rn. 6. 23 Brede, Helmut/Ko- Wohnungspolitik haben. 8 In Frankreich ist die Vonovia SE im Jahr 2017 eine Partner- haupt, Bernhard/Kujath, Hans-Joachim: Ökonomische und politische Determinanten der schaft mit dem Großvermieter SNI eingegangen, die vor allem dem «Wissensaustausch» Wohnungsversorgung, Frankfurt a. M. 1975. 24 Siehe u. a. Pistor, Katharina: Der Code dienen soll, aber sicher auch der Erkundung von Möglichkeiten eines Markteintritts dient. des Kapitals, Berlin 2020. 25 Dies war schon in den 1920er Jahren ein globales Phänomen. Vonovia hofft auf eine Liberalisierung des Investitionszugangs zu dem riesigen öffentlichen Siehe Fogelson, Robert M.: The Great Rent Wars, New York 1917–1929, New Haven 2013; Wohnungsbestand in Frankreich. Siehe Vonovia: Nach Corona bessere Chancen für Frank- Grant, Andrew: Revolution in the Street: Women, Workers, and Urban Protest in Veracruz, reich-Einstieg, in: Die Welt, 16.6.2020, unter: www.welt.de/regionales/nrw/artic- 1870–1927, Lanham 2001. 26 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, le209664763/Vonovia-Nach-Corona-bessere-Chancen-fuer-Frankreich-Einstieg.ht- 1 BvR 2656/18: «Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Kli- ml. 9 Im Jahr 2020 ist Vonovia mit 2,6 Prozent in den niederländischen Vesteda maneutralität rechtzeitig einzuleiten.» 27 Bundestagsdrucksache 19/17307, 20.2.2020, Residential Fund eingestiegen. Auch hier geht es der Vonovia um die Schaffung einer Aus- unter: dserver.bundestag.de/btd/19/173/1917307.pdf. 28 MieterAKTIONärIn: Vonovia & gangsposition für die Wahrnehmung von Aufkaufgelegenheiten. Siehe Vonovia SE: Vono- LEG: Von jedem Euro Miete sollen 37–41 Cent als Dividende an die Aktionäre ausgeschüt- via steigt bei niederländischer Vesteda ein, Pressemitteilung vom 26.6.2020, unter: presse. tet werden, 10.3.2020, unter: mieteraktionärin.de/vonovia-leg-von-jedem-euro-miete-sol- vonovia.de/de-de/aktuelles/200626-vonovia-erwirbt-anteil-an-niederlaendischer-vesteda. len-37-41-cent-als-dividende-an-die-aktionaere-ausgeschuettet-werden/. IMPRESSUM STANDPUNKTE 5/2021 erscheint online und wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung V. i. S. d. P.: Alrun Kaune-Nüßlein Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de ISSN 1867-3171 Redaktionsschluss: Juli 2021 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Satz/Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kostenlos abgegeben und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
Sie können auch lesen