Die Illusion des ewigen Aufbruchs - Zur Sozialpsychologie der Krisenbewältigung oder was aus der Pandemie gelernt werden könnte - Forschung Frankfurt
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Die Illusion des ewigen Aufbruchs Zur Sozialpsychologie der Krisenbewältigung oder was aus der Pandemie gelernt werden könnte von Vera King Foto: H.-D. Falkenstein/imageBROKER/Süddeutsche Zeitung Photo Das illusionäre Moment des »ewigen drucksvoll, was Umberto Eco, den Umgang der Aufbruchs« ist durch Corona phasenweise Bevölkerung mit existenziellen Bedrohungen unübersehbar geworden. Doch es mangelt, vor Augen, später als »Massenwahn« bezeich- nen sollte (1989: 932). Manzoni lässt seinen auch mit Blick auf die ökologische Krise, Erzähler vom Beginn der Epidemie berichten: nach wie vor an nachhaltigem Umsteuern. »wer auf der Straße, in Läden, in den Häusern ein Ohne ein massives Umdenken ist zu Wort über die Gefahr fallen ließ, wer die Pest befürchten, dass deren Bedrohungen erwähnte, wurde mit ungläubigem Spott, mit zür- durch ähnliche Mechanismen verdrängt nender Verachtung überhäuft«. Filmgleich wird werden, wie es schon in früheren Krisen spürbar gemacht, wie die Schrecknisse der Pest begleitet und verschlimmert wurden durch der Fall war. Folgenreiche Muster der Bagatellisierung und Verleugnung, die Suche Bagatellisierung und Verleugnung sind nach Sündenböcken und damit verbundene auch literarisch verarbeitet worden am Gewalttaten. An einigen Stellen glaubt man sich Begehrte Jugend: Beispiel des »Schwarzen Todes«. an unsere Gegenwart erinnert: »Hauptsächlich Der Feudalherr Don Rodrigo fiel der Hass auf zwei Ärzte … Und gewiss war es hat ein lüsternes Auge auf seltsam und verdient bemerkt zu werden, dass diese I die junge Lucia geworfen, weshalb sie mit ihrem n seinem berühmten Roman »I Promessi Sposi« beiden Männer, die sich auf alle Weise anstrengten, Bräutigam Renzo fliehen muss. (deutsch: »Die Verlobten«) von 1827 bebil- eine entsetzliche Plage abzuwenden, die sie seit Das Bild zeigt eine Szene aus dert der Schriftsteller Allessandro Manzoni in mehreren Monaten herannahen sahen, von allen Manzonis Roman »I Promessi bewegenden Episoden die Geschichte der Mai- Seiten nur auf Hindernisse stießen, zugleich die Sposi«, der auch ausführlich die Ereignisse um länder Pest um 1630. Das Werk, das als erstes Zielscheibe der Schmähungen waren und Feinden die Mailänder Pest von Beispiel des modernen italienischen Romans des Vaterlandes gleichgestellt wurden.« Auch in 1630 beschreibt. gilt, beschreibt zudem sozialpsychologisch ein- der Coronakrise reicht die Spannbreite des Ver-
Corona als Brennglas haltens von solidarischer besonnener Sorge bis gegen vermeintlich Schuldige übergehen kann. Literatur hin zur Verkennung der Realität, verbunden mit An Hexen glaubt heute zwar kaum noch Blumenberg, Hans : Lebenszeit feindseliger Empörung gegen Fachleute, die jemand, doch Verschwörungsvorstellungen und und Weltzeit, Suhrkamp, schlechte Nachrichten überbringen. teils paranoid-aggressive Phantasmen leben fort. Frankfurt/M. 2001. Manzonis Erzähler ironisiert rückblickend Wütende Anklagen treffen auch diejenigen, die Eco, Umberto: Worte und die unterschiedlichen Phasen und Variationen das Verlorene wiederherstellen sollen und denen Taten. Nachwort zu Manzonis der Wirklichkeitsvermeidung: »Im Anfange also es, selbst wenn sie noch so umsichtig handelten, »Die Verlobten«, Winkler, keine Pest, durchaus keine, um keinen Preis; nur kaum gelingen kann, Ungewissheit und Angst München 1989, 917-938. das Wort auszusprechen ist verpönt; … dann nicht zu beseitigen. Die Erfahrung, dass unter Pande- King, Vera: Ewiger Aufbruch wirkliche Pest; das heißt freilich Pest, aber in einem miebedingungen niemand ganz genau ermes- oder Einbruch einer Illusion, in: Schulze, G. & Kortmann, B. gewissen Sinne; … endlich Pest ohne Zweifel und sen kann, wie es weitergeht, ist schwer zu (Hrsg.), Jenseits von Corona, ohne Widerrede. Aber schon hat sich eine andere ertragen. Und sie trägt dazu bei, dass staatliche Transcript, Bielefeld 2020, Vorstellung damit verbunden, die Vorstellung der Bewältigungsversuche als tyrannische Willkür 117-126. Giftmischerei und Hexerei, welche die durch das erlebt werden. Wenn markante Fehler deutlich King, Vera, Gerisch, Benigna, Wort ausgedrückte Vorstellung von der Pest, die werden und die politische Steuerung auch prak- Rosa, Hartmut (Hrsg.): Lost in sich nicht mehr zurückweisen läßt, verfälscht und tisch immer wieder misslingt, fühlen sich viele Perfection. Zur Optimierung verwirrt.« (736) Die Abwehr der Realität soll in ihren Konstrukten bestätigt. Angesichts exis- von Gesellschaft und Psyche, Suhrkamp, Berlin 2021 dabei das Gefühl von Sicherheit und die Selbst- tenzieller Bedrohung können Irrtümer tatsäch- (im Druck). gewissheit schützen, und sei es nur die Vorstel- lich tödlich sein, vor allem aber jene, die die Latour, Bruno: Das terrestri- lung, sich keinesfalls täuschen zu können – Gefahr selbst negieren. sche Manifest, Suhrkamp, selbst um den Preis einer Steigerung der Gefahr, Berlin 2018. wie sie mit der Fehleinschätzung der Risiken Ewiger Aufbruch als Vergänglichkeitsbewältigung Manzoni, Allessandro: verbunden ist. Sozialpsychologische Mechanismen des Umgangs I promessi sposi, deutsch: Auch in der gegenwärtigen Pandemie zeigt mit Epidemien sind teils historisch – oder eben Die Verlobten, Winkler, sich immer wieder, wie das Gefühl der Ohn- literarisch – dokumentiert; darüber hinaus gibt München 1989, mit Illustratio- macht angesichts eines unsichtbaren Virus, das es in der aktuellen Situation ganz neue Qualitä- nen und übersetzt von Ernst Wiegand Junker auf potenziell jeden anderen zur Bedrohung wer- ten. So hat »Corona« nicht nur das gesellschaft- Grundlage der kritischen den lässt und den Alltag einschränkt, in Zorn liche Zusammenleben verändert und vielerlei Ausgabe von 1840, der Roman Bedrohungen, Ängste und Deutungsweisen erschien erstmals 1827. hervor gebracht, sondern auch zeitgenössische Muster des Umgangs mit Vergänglichkeit infrage AUF DEN PUNKT GEBRACHT gestellt. Das Erleben der eigenen Vergänglich- keit wird in der Pandemie nicht allein dadurch • Bagatellisierung, Verleugnung und die als bedrängender empfunden, dass Krankheit aggressive Suche nach Sündenböcken – und Tod viel präsenter sind als in pandemie- diese Verarbeitungsmechanismen freien Zeiten; sie rückt uns auch deshalb stärker beschreibt bereits Allessandro Manzoni zu Leibe, weil durch die Maßnahmen zur in seinem Roman »Die Verlobten« im Pandemiebekämpfung bisherige kulturelle Mus- Zusammenhang der Pest von 1630. ter der Verarbeitung von Vergänglichkeit nicht • Während der Coronapandemie sind mehr funktionieren. ganz ähnliche Strategien zu beobachten Um welche Muster geht es dabei? Gegen- – bis hin zur wütenden Anklage gegen wartskulturen versuchen, so könnte man sagen, diejenigen, die die »schlechten der Unverfügbarkeit von Lebenszeit auf vielen Botschaften« überbringen. Ebenen zu trotzen: indem sie die Ressource • Darüber hinaus stellt die aktuelle Zeit kontrollieren, gewinnen und zu verdichten Pandemie den spätmodernen Umgang suchen. Auch um »mehr von der Welt zu haben«, mit Vergänglichkeit infrage: Verdrän- wie es Blumenberg auf den Punkt brachte gungsmechanismen greifen nicht mehr, (2001: 73), dominiert das Prinzip der Beschleu- wenn überall der Tod lauert. nigung und Steigerung in vielen Dimensionen • Der sogenannte »ewige Aufbruch« der Lebenspraxis (King, Gerisch, Rosa, 2021). verschleiert nicht nur den klassischen Steigerung und Akzeleration erscheinen als un- Generationenkonflikt, sondern nimmt hintergehbare Bedingungen der Wertschöpfung auch wenig Rücksicht auf begrenzte in gegenwärtigen Gesellschaften. Kulturell be- Ressourcen. Dieses Szenario hat Risse günstigen sie eine Art manischer Welterfahrung, bekommen. in der Grenzen, auch die Limitierungen von Selbst • Insofern stellt die Coronakrise eine und Körper, immer nur als vorläufige, zu über- Chance da, dass ein Umdenken im windende erscheinen und Vergänglichkeit gleich- Hinblick der viel bedrohlicheren sam in den Hintergrund rücken kann. Dieses Klimakrise gelingen könnte. Muster lässt sich in der Metapher des »ewigen Aufbruchs« verdichten, die die paradoxe Einheit Forschung Frankfurt | 1.2021 55
Corona als Brennglas Manzoni beschreibt die Erfahrungen des Mailänder Arztes Ludovico Settala während der Pest so: »Als er eines Tages mit der Sänfte seine Krankenbesuche machte, wurde er auf einmal von Leuten umringt, die schrien, er wäre das Oberhaupt derjenigen, die mit aller Gewalt die Pest dahaben wollten (...) die Stadt in Angst und Schrecken ver- Foto: Rue des Archives/RDA/Süddeutsche Zeitung Photo setzen, alles nur, um den Ärzten zu tun zu geben. Immer mehr Menschen liefen zusammen, die Wut steigerte sich (...) das widerfuhr ihm, weil er richtig gesehen hatte, das heißt, wie die Dinge wirklich liegen...« Das klingt fast wie die Beschreibung der Querdenken- Bewegung unserer Zeit. Foto: Florian Boillot/Süddeutsche Zeitung Photo Foto: Florian Boillot/Süddeutsche Zeitung Photo des andauernden Neubeginns und nie enden- ren über die eigene Begrenztheit mit enthalten den Noch-Nicht akzentuiert (King, 2020). sind. Die Art und Weise, wie Vergänglichkeit, Doch in der gegenwärtigen Gesellschaft, der Alter und Begrenztheit verarbeitet werden, sogenannten »späten Moderne«, verändert sich berührt auch das Verhältnis zu den nachfolgen- dieser Zusammenhang. Wenn juveniler Auf- den Generationen. In der Gestaltung der Gene- bruch als Leitbild für alle gilt, ist ein Abwehr- rationenspannung durch die Älteren im Ver- muster, das sich gegen die Jugend richtet, kaum hältnis zu den Jüngeren, den Nachkommen, noch sinnvoll. Ein funktionales Muster besteht spiegelt sich die Art der Verarbeitung von End- indes darin, das Neue nicht mehr abzulehnen, lichkeit. Der Umgang mit Vergänglichkeit und sondern es zu idealisieren. Die Älteren ver- Generationenspannung lässt sich durch einen schreiben sich umfassend der idealisierten Inno- Vergleich veranschaulichen: Im klassischen Gene- vationslogik – und nehmen dabei selbst die Posi- rationenkonflikt, etwa in Vorbehalten gegen- tion des ewigen Aufbruchs und Jungseins ein. über der Jugend oder dem, was sie Neues in die Diese Entwicklung wird von zwei Seiten gestützt Welt bringt, spiegelt sich auch die Abwehr eige- und ist dadurch so wirksam: vom sozialen und ner Begrenztheit. Denn die Jüngeren werden ökonomischen Druck zur Anpassung zum einen die Älteren vital übertrumpfen und überleben. und zum anderen von der Ausblendung von Diese Generationenspannung kann sich in Vergänglichkeit. Dem Anpassungsdruck kann einer Ablehnung der Jugend und des Neuen man sich nur schwer entziehen, und die Nega- ausdrücken, in der Schmerz und Zorn der Älte- tion von Begrenztheit ist zudem attraktiv. So 56 1.2021 | Forschung Frankfurt
Corona als Brennglas wird Jugendlichkeit zu einer Eigenschaft, die grund, die ökologische Krise weiter. Die Versu- auch die dauermobilen, flexiblen, innovativen che ihrer »Bewältigung«, soweit dieser Begriff Älteren für sich beanspruchen. Generationen- überhaupt zutrifft, könnten von partiell immer spannung drückt sich somit in der Spätmoderne wieder aufscheinenden Einsichten profitieren, typischerweise weniger im manifesten Konflikt dass Begrenzungen des ewigen Aufbruchs prak- der Generationen aus als in der Verschleierung tisch möglich sind und im Verhältnis zu den Folge- von Grenzen und Generationsunterschieden. generationen produktiver wären. Denn ohne ein Umdenken ist zu befürchten, dass weiter Krisenverleugnung oder generative Verantwortung versucht wird, die existenziellen Bedrohungen Was mitunter als »Jugendlichkeitsideal« eher der Umweltzerstörung und des Klimawandels verharmlost wird, hat dunkle Kehrseiten. Sieht durch ähnliche Mechanismen der Verdrehung man einmal von der impliziten Altersdiskrimi- der Wirklichkeit zu bagatellisieren, wie es bereits nierung ab, die kulturelle Muster des ewigen Manzoni vor 200 Jahren beschrieben hat. Mit Aufbruchs mit sich bringt, der Grenzen, auch dem Unterschied, dass die Gefährdungen, die die der Lebenszeit, verhüllt, lässt sich auch ein durch Umwelt- und Klimaveränderungen ent- latent aggressives Ausblenden der Zukunft der stehen, schleichender spürbar werden und Nachkommen durch eine radikale Gegenwarts- zugleich global langfristig wirksamer sind als die orientierung konstatieren. Man könnte sagen: Folgen des Schwarzen Todes. In Anlehnung an Hier und jetzt und unmittelbar wird die Welt Manzonis Beschreibung der Stadien der Pest- verbraucht, ohne Rücksicht auf das, was danach verleugnung hieße es dann etwa: »Im Anfang kommt. Folgerichtig dominieren Produktions- also keine ökologische Krise, allein das Wort auszu- formen, die auf kurzfristige Steigerung ausge- sprechen ist verpönt; dann richtet und nicht nachhaltig sind, anstatt auf nicht wirklich folgenreicher eine generative Logik (Latour, 2000) umzustel- ›Klimawandel‹, sondern nur len, die den Nachkommen ökologisch eine natürliche Klimaverände- Zukunft über die Lebenszeit der Älteren hinaus rung; schließlich ›Umwelt- ermöglicht. Diese destruktive Dimension des zerstörung‹ ohne Zweifel illusionären ewigen Aufbruchs ist zwar spürbar, und ohne Widerrede. Aber aber er wirkt als ein zähes hegemoniales kultu- alsbald verbinden sich relles Muster – nicht nur aufgrund der ökono- andere Vorstellungen, etwa mischen Eigenlogiken, sondern auch durch den die Sündenböcke der Krise, »Benefit«, den das Ausblenden von Begrenzt- die dann wahlweise gebrand- heit und Endlichkeit mit sich bringt. markt oder geopfert wer- Die Coronakrise führte nun allerdings zu- den…«. Dem gälte es, soweit mindest phasenweise zur Erschütterung dieser möglich, in generativer Abwehrmuster. Bilder der Vergänglichkeit und Verantwortung entgegen Die Autorin des Todes sind nähergerückt. Das Leben im zuwirken. Vera King, Jahrgang 1960, ist Professorin für Modus des Aufbruchs, der fortwährenden Dring- Soziologie und psychoanalytische Sozialpsycho- lichkeiten, der Steigerungsbemühungen und der logie an der Goethe-Universität und geschäfts- Dauermobilität wurde im »Lockdown« in vielen führende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts. Bereichen unterbrochen. Altersunterschiede und Sie erforscht psychische Folgen gesellschaft Generationendifferenz sind auf kaum unüber- lichen Wandels insbesondere im Kontext von sehbare Weise hervorgetreten. Denn nicht nur Digitalisierung, Beschleunigung und Optimie- sind die an Jahren Jüngeren weniger gefährdet rung sowie mit Blick auf Generationenverhält- als die – wie juvenil auch immer wirkenden – nisse und Generativität. King ist unter anderem Älteren. Zudem fordern eben die Älteren in der Sprecherin des Verbundprojekts »Das ver Pandemie nun jene Rücksicht ein, die sie – zwar messene Leben« sowie des Promotionskollegs nicht unbedingt als Einzelne, aber in einem am SFI, sie leitet ein Teilprojekt der DFG- Forschungsgruppe »Medizin und die Zeitstruktur übergreifenden generationalen Sinne – gegen- des guten Lebens« und ist als Principal Investi über den Nachkommen und deren Zukunftsbe- gator am Forschungscluster »ConTrust – dingungen haben vermissen lassen. Zumindest Vertrauen im Konflikt« beteiligt. 2021 erscheint insofern, als die ökologische Krise auch als Aus- »Lost in Perfection. Zur Optimierung von druck einer Ignoranz der Älteren gegenüber den Gesellschaft und Psyche«, hrsg. von V. King, Jüngeren verstehbar ist. B. Gerisch & H. Rosa, sowie in »WestEnd. So hat das illusionäre Muster des »ewigen Zeitschrift für kritische Sozialforschung« der Aufbruchs« als kulturelles Muster der Verarbei- gemeinsam mit F. Sutterlüty herausgegebene tung und Abwehr von Vergänglichkeit durch Schwerpunkt »Destruktivität und Regression Corona phasenweise Risse bekommen: normativ, im Rechtspopulismus«. lebenspraktisch und im psychosozialen Sinne. king@soz.uni-frankfurt.de Zugleich schwelt, nur scheinbar im Hinter- Forschung Frankfurt | 1.2021 57
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