Das Magazin des Difu 2/2020 - Deutsches Institut für Urbanistik
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2/2020 Das Magazin des Difu Aus dem Inhalt 4 Standpunkt Krise und Nachhaltigkeit – Mut zur Zukunft 9 Forschung & Publikationen Kommunen erwarten durch Corona weniger Einnahmen 22 Neue Projekte Wie wirken Smart-City- Vorhaben? 26 Veranstaltungen Kommunale Straßen finanzierung – wie weiter?
Editorial Veranstaltungen 24 Veranstaltungsvorschau Standpunkt 25 Jenseits der Kirchturmpolitik – 4 Corona-Krise und Nachhaltigkeit – gemeinsames Handeln ist gefragt Mut zur Zukunft 26 Kommunale Straßenfinanzierung – wie weiter? Forschung & Publikationen 27 Der ÖPNV als Rückgrat der 8 Klimaschutz als wichtigste Verkehrswende Zukunftsaufgabe der Städte 28 Wissen in der Stadt – Chancen, 9 Kommunen erwarten weniger Grenzen, Perspektiven Einnahmen durch Corona-Pandemie 29 Zusammenhalt braucht Räume – 10 Blau-grün-graue Infrastrukturen in Chancen für integrative Wohnformen Kommunen planen und umsetzen 12 Was bewirken die Projekte der Nachrichten & Service BMBF-Zukunftsstadtforschung? 16 Was sind eigentlich SDGs? 13 Geteilte Mobilität in nachhaltigen 17 Veröffentlichungsüberblick Verkehrsentwicklungsplänen 19 Difu-Service für Zuwender 14 NRW-Kommunen erhalten Beratung 20 Difu-Informationsangebote/ bei Klimafolgenanpassung Impressum 15 Wie Städte gesundheitsförderliche 31 Oberhausen – Lebensverhältnisse schaffen können beeindruckender Wandel 21 Das Difu hat seine Online-Aktivitäten 32 Difu-Intern: Abschied und Neubeginn neu ausgerichtet 33 Difu aktiv 34 Neues im Difu-Inter-/Extranet Neue Projekte 35 Difu-Mediennachlese 22 Wie wirken Smart-City-Vorhaben? 22 Agenda 2030 vor Ort 23 Weniger Plastik 23 Schutz vor Bahnlärm
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, die Corona-Krise überschattet das gesellschaftliche Leben – das gilt auch für unsere Arbeit am Difu, und das gilt für das urbane Leben und das soziale Miteinander in unseren Städten. Wir versuchen – wie so viele – unsere Arbeit der veränderten Situation anzupassen. Inwieweit unsere Konzepte für die Städte der Zukunft auch nach der Krise noch Bestand haben werden, Foto: Difu wissen wir nicht. Aber wir versuchen uns bei aller Unsicherheit dieser Aufgabe zu stellen. Es ist vornehmste Aufgabe von Wissenschaft, Ideen und Lösungen unter veränderten Rahmenbedin- gungen zu entwickeln. In Kürze werden Mitarbeiter*innen des Difu in einem digitalen Berichte- Sonderheft erste Gedanken zum Themenkomplex „Städte, Corona, Zukunft“ publizieren. Eine Annäherung an das Thema finden Sie bereits in diesem Berichte-Heft. Dr. Busso Grabow hat einen Standpunkt mit dem Titel „Corona-Krise und Nachhaltigkeit – Mut zur Zukunft“ geschrieben. Es ist kein Zufall, dass diesmal Busso Grabow Autor des Standpunkts ist. Am 30. Juni wird er altersbedingt als kaufmännischer Geschäftsführer aus der Institutsleitung des Difu ausscheiden. Wissend, dass man mit Superlativen nicht inflationär umgehen sollte, trifft die Zuschreibung, dass mit ihm eine Institution die InstitutsIeitung des Difu verlässt, zweifellos zu. Mehr als 35 Jahre am Difu, dienstältester Mitarbeiter, viele Jahre Leiter des Forschungs- bereichs Wirtschaft und Finanzen und seit fast zehn Jahren kaufmännischer Leiter und Ge- schäftsführer. Die biografischen Daten sind beeindruckend, sie werden seiner Leistung für das Difu aber nicht gerecht. Busso Grabow hat das Difu geprägt. In seiner Zeit als kaufmännischer Geschäftsführer musste sich das Difu grundlegend verändern. Es ist zu einem großen Anteil sein Verdienst, dass es dem Institut gelungen ist, seine wissenschaftliche Reputation mit wirtschaftlichem Erfolg zu ver- binden. Sein Reformeifer und seine Lust, Strukturen zu optimieren, sind beeindruckend. Dass er dabei erfolgreich war und noch immer ist, hat viele Gründe. Die wichtigsten sind wohl seine Kreativität, seine überragende Kenntnis der DNA des Instituts und sein Selbstverständnis, Reformprozesse partizipativ und empathisch zu gestalten. Die wissenschaftliche Arbeit hat Busso Grabow auch in den Jahren, in denen er formal „die Seiten gewechselt hat“, nicht losgelassen. Das Thema „Nachhaltigkeit und Stadt“ hat er in verschiedenen Projekten vorangetrieben und dem Institut in der Forschungslandschaft und bei den Städten Reputation verschafft. Wir freuen uns deshalb, dass er dem Difu in diesem For- schungsfeld – bei reduzierter Arbeitszeit – im Rahmen einer Stabsfunktion noch eine gewisse Zeit erhalten bleibt. Ich persönlich habe Busso Grabow eine ganze Menge zu verdanken. Er hat mir geholfen, das Difu zu verstehen – und er hat mir knapp zwei Jahre lang immer kollegiale und freundschaft- liche Zusammenarbeit geschenkt. Nach einem mittlerweile längeren Berufsleben weiß man, dass so etwas nicht selbstverständlich ist. Ab 1. Juli wird Luise Adrian neue kaufmännische Geschäftsführerin des Difu sein. Viele, die das Difu kennen, kennen Luise Adrian. Sie wird sich Ihnen im nächsten Berichte-Heft ausführlich vorstellen. Mein Kollege Prof. Dr. Arno Bunzel und ich freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Luise Adrian in der Leitung des Instituts. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Prof. Dr. Carsten Kühl, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer 3
Standpunkt Berichte 2/2020 Corona-Krise und Nachhaltigkeit – Mut zur Zukunft Corona-Pandemie und Klimanotstand bedeuten auch: Suche nach Lösungen, Wille zum Verändern und Gestalten nachhaltiger Lebenswelten. Politik und Gesellschaft, Kommunen und Wissenschaftseinrichtungen wie das Difu stehen in der Verantwortung. Ursprünglich sollte dies ein Standpunkt darüber Und wir lernen etwas darüber, wie das System werden, wie wir mit den Forderungen der jungen unserer einen Welt funktioniert: Wie Gesundheit, Menschen der Fridays-for-Future-Bewegung um- Klimawandel, sozialer Zusammenhalt und ökono- gehen sollten. Wir, das sind die Verantwortlichen mische Nachhaltigkeit eng zusammenhängen. in Kommunen und Wissenschaft. Es sollte ein Bei- Deutschland kann erzwungenermaßen innerhalb trag über die Rolle von Wissenschaft werden, über vergleichsweise kurzer Zeit noch die Klimaziele die stärkere Übernahme von Verantwortung, über 2020 erreichen – dies als politischen Erfolg zu notwendige Radikalität im Denken und Tun und verzeichnen, wäre mehr als fragwürdig. über Kommunikation von Krisenszenarien zu den Folgen des Klimawandels. Wir stellen zugleich fest, dass die repräsentative Demokratie und ihre Institutionen auf staatlicher Wie irrelevant wäre aber ein Standpunkt in den und kommunaler Ebene handlungsfähig sind, Difu-Berichten im Frühjahr 2020, würde er sich wenn es darauf ankommt. Die Regierung erhält für nicht auf die größte Herausforderung der letzten ihre Maßnahmen deutlichen Rückhalt in der Be- Jahrzehnte beziehen, die Corona-Pandemie? Wir völkerung, Populisten und Fakten-Leugner verlie- erleben einen Belastungstest der politischen Sys- ren Zuspruch, gesellschaftlicher Zusammenhalt teme und unserer repräsentativen Demokratie, der funktioniert neu und anders. Wir sind verblüfft und Kommunen und ihrer Einrichtungen, der Wirt- positiv überrascht, welche Mittel die Bundesregie- schaftssysteme, des gesellschaftlichen Zusam- rung und die Länder einzusetzen bereit sind, um menhalts, des Funktionierens von Institutionen, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pan- der Verwundbarkeit unseres Landes und der demie und der verordneten Einschränkungen des Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen. wirtschaftlichen Lebens abzumildern, welche zu- sätzlichen Mittel in die Medizinforschung gesteckt Die Bedeutung von Wissenschaft und wissen- werden. Umgekehrt: Gerade erst gab es drama- schaftlicher Politikberatung rückt ins Scheinwerf- tische Kürzungen der Förderung für angewandte erlicht: Die Notwendigkeit, die Wissenschaft bei Energieforschung. Entgegen offizieller Bekennt- allen wichtigen Politikentscheidungen zu konsul- nisse der Bundesregierung zu Klimaschutz und tieren und ihre Aussagen ernst zu nehmen, ist Energiewende hat die Regierungskoalition die deutlicher als je zuvor. Wissenschaftler wie Profes- Finanzmittel für angewandte Energieforschung – sor Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie der nachzulesen unter www.scientists4future.org – für Berliner Charité, werden zu Medienstars. Seine die nächsten drei Jahre drastisch gekürzt. Klima- Podcasts erzielten innerhalb eines Monats mehr und Corona-Krise unterliegen offensichtlich ganz als 15 Millionen Abrufe. Wir lernen, dass die unterschiedlichen politischen Reaktionsmustern. Messlatte für verantwortungsvolles Handeln darin besteht, wie wissenschaftliche Empfehlungen in Wir reiben uns die Augen: Hohe Ordnungsstrafen konsequente Maßnahmen umgesetzt werden. werden in Zeiten der Corona-Krise von vielen akzeptiert und befürwortet. Wir erinnern uns, dass Wir lernen – oder hören erstmals bewusst zu –, selbst moderate Erhöhungen von Flug- oder Ben- Foto: Difu dass menschheitsbedrohende Pandemien wie zinsteuern einen großen Aufschrei vieler Men- Corona, SARS oder Ebola verstärkte Folge der schen erzeugt haben. Zweierlei Maßstab? Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sind, so Prof. Dr. Johannes Vogel, Generaldirektor des Mu- seums für Naturkunde Berlin oder die Forscherin und Nachhaltigkeitspreisträgerin Jane Goodall. Die Vor- und Nachteile der Globalisierung rücken uns wieder ins Bewusstsein: die gegenseitige Abhängigkeit, die Auswirkungen individuellen, Dr. Busso Grabow lokalen, regionalen, nationalen und internationa- +49 30 39001-248 len/globalen Handelns für die ganze Welt. grabow@difu.de 4
Standpunkt Berichte 2/2020 Wir verfolgen täglich die Zahlen der durch das oder unzumutbare Arbeitsbedingungen (SDG 8) Corona-Virus verursachten Sterbefälle in Deutsch- Jahr für Jahr sterben. Die Nachhaltigkeitsziele, land (Stand 19.05.2020: 8007), die das Dashboard denen fünf Kernbotschaften als handlungsleitende des Robert-Koch-Instituts (RKI) ausweist. Das- Prinzipien vorangestellt sind (Mensch, Planet, selbe Institut schätzte in einem Bericht vom Juni Wohlstand, Frieden und Partnerschaft) bedingen 2019 die Zahl Hitzetoter im Sommer 2018 allein einander in vielfacher Hinsicht. Die Ausbreitung in Berlin und Hessen auf mehr als 1.200 (unzuläs- von Pandemien hängt mit dem Schutz natürlicher sigerweise hochgerechnet wären es etwa 10.000 in Deutschland insgesamt). Besonders betroffen: Menschen über 75. Woran liegt es, dass solche Zahlen mit Bedauern zur Kenntnis genommen werden, Maßnahmen zur Reduzierung des CO2- Ausstoßes und notwendige Verhaltensänderun- gen unverändert wenig Akzeptanz finden? Die Antworten dazu sind vergleichsweise einfach: Wenn Ursache-Wirkungs-Beziehungen so offen- sichtlich sind, wie bei Corona, werden auch Ein- bußen, Beeinträchtigungen, sogar gewisse finan- zielle Einschnitte akzeptiert: Abstand halten, So- cial Distancing, Verzicht auf Dienstreisen führen zu sichtbar zurückgehenden Infektionszahlen. Verän- dertes Verhalten von Menschen und Wirtschafts- Ressourcen (SDGs 13, 14, 15) genauso zusam- subjekten in Bezug auf den Klimawandel hat zu- men, wie mit Good Governance, starken Institu- nächst keinerlei sichtbare und spürbare Wirkun- tionen, globalen Partnerschaften sowie resilienten gen. Unsere Gehirne schaffen es nur intellektuell, Städten und Gemeinden (SDGs 11, 16, 17) oder die Gefährdung der eigenen Großeltern aufgrund mit unserer Art zu wirtschaften und unserem des nächsten Hitzesommers mit dem eigenen Konsumverhalten (SDGs 8, 12). CO2-Fußabdruck in Verbindung zu bringen. In das für Sozialverhalten zuständige Frontalhirn schaf- Aus der Vogelperspektive wird deutlich, dass sich fen es diese Zusammenhänge selten. trotz Corona-Krise eigentlich wenig geändert hat, wenn wir die großen Herausforderungen der Die Corona-Pandemie überdeckt gerade die wich- Menschheit in den Blick nehmen. Der „Gesell- tigen Debatten des letzten Jahres: Klimawandel, schaftsvertrag für eine Große Transformation“ zur Klimanotstand, Klimaanpassung, gesellschaftli- Nachhaltigkeit (WBGU 2011) und der „Gesell- cher Zusammenhalt. Wie weit diese Debatten schaftsvertrag für die urbane Transformation“ zur Wirkung in den Köpfen der Stadtspitzen gezeigt Nachhaltigkeit (WBGU 2016) sind unverändert haben, zeigt das aktuelle OB-Barometer des Difu: notwendig, um besseres Leben in den planetaren Noch zu Jahresbeginn sahen die Oberbürger- Grenzen zu ermöglichen. Der normative Kompass meister*innen den Klimawandel als das zentrale für die (urbane) Transformation zur Nachhaltigkeit Zukunftsthema an. Die Fridays-for-Future-Bewe- zeigt stabil in dieselbe Richtung. gung mit ihren Forderungen an Politik, Verwaltung und Wissenschaft, aktiver, konsequenter, wirksa- Wir müssen aber bessere und vielleicht auch an- mer zu werden, zeigte Wirkung. Nun muss sich dere Geschichten erzählen, um möglichst viele zu zeigen, ob daraus auch sichtbare Resultate ent motivieren, den Wandel mitzugestalten. Wir brau- stehen. chen Politiker*innen mit dem Mut, Entscheidun- gen auch trotz großer Unsicherheit zu treffen. Der Allerdings wäre es unverändert zu kurz gedacht, moralische Maßstab von Politik rückt vor dem nur noch Gesundheit und Klimawandel in den Vor- Hintergrund gravierender ethischer Konflikte neu dergrund der gesellschaftlichen und politischen ins Blickfeld. Debatten zu stellen. Die zentralen Herausforderun- gen für die Zukunft unseres Planeten sind wesent- Wir brauchen Sichtweisen, die verschiedene Fach- lich vielfältiger, wie es auch die Globale Agenda und Wissenschaftsdisziplinen noch stärker inte- 2030 mit ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen griert betrachten: Ökonomie, Verhaltenspsycholo- aufzeigt. Um das zu verstehen, muss man nicht gie, Hirnforschung, Soziologie, IT-Expertise und erst die vielen Millionen von Toten heranziehen, viele andere mehr. Und wir brauchen mehr Trans- die durch Armut (SDG 1), Hunger (SDG 2), Ge- disziplinarität: Politik, Management, Umsetzungs- schlechter- und sexuelle Diskriminierung (SDG 5), ebene, Wissenschaft, Unternehmen und Zivilge- verunreinigtes oder verseuchtes Wasser (SDG 6) sellschaft müssen gemeinsam in ‚Reallaboren‘ von 5
Standpunkt Berichte 2/2020 der nationalen bis zur lokalen Ebene die Transfor- Ein „Aber“ darf an dieser Stelle nicht fehlen. Ob mation mit Leben füllen. Und nicht zuletzt brau- der Wille zur radikalen Veränderung hin zu mehr chen wir mehr Informationen. Trotz mancher am- Nachhaltigkeit, zur Transformation auf kommuna- bitionierter Projekte (UN- und EU-Indikatorensets, ler Ebene immer ausreichend vorhanden ist, muss der Nationalen Berichtsplattform zu den SDGs, bezweifelt werden. Selbst dort, wo sich Politik zu oder dem SDG-Portal für Kommunen) sind wir den Nachhaltigkeitszielen bekennt, muss gefragt noch weit davon entfernt, mit wirklich validen und werden, ob das ausreicht. Ein Beispiel: Klimanot- aussagekräftigen Indikatoren messen zu können, standskommunen im Klima-Bündnis verpflichten wie es mit der Nachhaltigkeit, mit der Umsetzung sich, ihre CO2-Emissionen alle fünf Jahre um zehn der SDGs in global, national, regional und lokal Prozent zu reduzieren und erheblich in Klimaan- bestellt ist. Man stelle sich vor, es gäbe so etwas passung zu investieren, ein ehrgeiziger Anspruch. wie das Corona-Dashboard für all die mehr oder Der Begriff „Klimanotstand“ wurde übrigens von weniger ausgeprägten, oft lebensbedrohlichen der Fridays-for-Future-Bewegung entlehnt. Zwei- Krankheitssymptome unserer Welt. All diejenigen, fellos leisten die meisten dieser Städte einen die Verantwortung übernehmen müssen und zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur wollen, müssten sich an den Entwicklungszahlen Klimaanpassung und daher ist es nicht nur, wie im Nachhaltigkeits-Dashboard messen lassen. vielfach kritisiert, reine „Symbolpolitik“. Politik und Verwaltung sind sich allerdings bewusst, wie be- Was heißt das für die Kommunen? Politik und grenzt ihre Möglichkeiten sind, notwendige radi- Verwaltung haben in Pandemiezeiten in vielen kale Verhaltensänderungen auf allen Ebenen, in Fällen beispielhaft agiert, sie haben Verantwor- Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu fördern. Ver- tung übernommen, haben meist angemessen und gleicht man die Einschränkungen, Strafandrohun- transparent kommuniziert. Das Zusammenspiel gen, Maßnahmenpakete und Investitionen, die von Bund, Ländern und Kommunen hat – bei derzeit zur Eindämmung der Pandemie getätigt mancher Kritik im Detail – in Zeiten der Krise gut werden, mit den klimabezogenen Aktivitäten, wird funktioniert. Dabei legt die bedrohliche Entwick- deutlich, wie unterschiedlich auch in den Kommu- lung im Zeitraffer erneut ein klassisches Dilemma nen „Notstand“ interpretiert wird. offen: In den Kommunen entscheidet sich, ob die Bewältigung der Corona-Krise gelingt. Gleichzei- Es braucht mehr von vielem: mehr Konsequenz im tig sind sie die aktuell Leidtragenden. Gewerbe- Denken und Tun, mehr Teilhabe und Beteiligung, steuereinnahmen brechen massiv weg, struktur- mehr Kreativität (vgl. Policy-Brief des IASS) und und finanzschwache Städte mit ihren schon heute nicht zuletzt eine bessere Finanzausstattung – stark beschränkten Handlungsmöglichkeiten ste- und das nicht nur, wenn kommunale Institutionen hen vor dem finanziellen Kollaps. Kommunen Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung können kein Geld drucken, sie hängen am Tropf ernst nehmen und mehr Nachhaltigkeit wollen. des staatlichen Finanzsystems. Durch ihre struktu- Die Sorge, dass Bürger*innen nicht mitgehen ist relle Unterfinanzierung ist die kommunale Selbst- unberechtigt, da Umfragen zeigen, dass die Men- verwaltung in vielen Städten und Gemeinden in schen sich oft mutigere Politiker*innen wünschen, Foto: David Ausserhofer Gefahr. So sind die schnellen Forderungen nach etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels oder einem finanziellen Schutzschirm und besserer der Armut in unseren Kommunen. Mut gehört Unterstützung im Gesundheitssektor naheliegend auch dazu, Subsistenz zum Thema machen: In der und berechtigt. Mobilität sind autonome E-SUVs nicht die Lösung, sondern das Problem, die Erhöhung von Raum- Dabei verhält es sich mit der Corona-Krise nicht widerständen kann in Pendlerregionen Wunder viel anders als mit der „Großen Transformation zur wirken. Die Corona bedingten Einschränkungen Foto: David Ausserhofer Nachhaltigkeit“ insgesamt. Die wie ein Mantra können uns vielleicht helfen, die Augen dafür wiederholten Aussagen aus Politik und Wissen- (wieder) zu öffnen. schaft „In den Städten und Gemeinden wird sich entscheiden, ob nachhaltige Entwicklung ein Auch das Difu muss und wird sich und seine Ar- Erfolg wird“ sind genauso wahr wie die Schluss- beit neu hinterfragen: Wie kann es adäquat auf folgerung zwingend ist: Ohne eine neue und bes- die offenen Fragen, die sich durch die aktuelle sere Befähigung der Kommunen, zu Orten der Pandemie-Situation stellen, reagieren? Was be- Transformation werden zu können, werden wir deutet Fridays for Future für ein kommunales auch die nationalen und globalen Nachhaltigkeits- Institut an der Schnittstelle von Wissenschaft und ziele nicht erreichen. Kommunen müssen resilien- Praxis? Gelingt es, die Bezüge zwischen der glo- ter werden (SDG 11!), der Staat muss bessere balen Agenda und den krisenhaften Entwicklun- Katastrophenvorsorge zur Vermeidung von Katas- gen der ‚Jetzt-Zeit‘ überzeugend darzustellen und Dr. Jens Libbe trophenrisiken auf lokaler und regionaler Ebene daraus wissenschaftlich fundierte Schlussfolge- +49 30 39001-115 ermöglichen. rungen abzuleiten? libbe@difu.de 6
Standpunkt Berichte 2/2020 Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Das Institut forscht und berät seit vielen Jahren zu Nachhaltigkeit, Transformation, Zukunftsstadt, Smart City, Klimaschutz und Klimaanpassung oder gesellschaftlichem Zusammenhalt. Wissen über Folgeabschätzungen, Wirkungsforschung und Transformationsnotwendigkeiten ist in großer Breite vorhanden. Für den Umgang mit Pande- mien, dem Klimawandel und der Großen Transfor- mation gilt es, wirkungsvolle Hebel zu erforschen. Dafür brauchen wir auch im Difu die verschie- densten Wissenschaftsdisziplinen. Wo solche Fachkenntnisse im Difu nicht vorhanden sind, müssen sie durch Kooperationen erschlossen werden. seiner besonderen Rolle ist dabei mittendrin. Wir – die Kommunen und das Difu – dürfen und sollen Eine zentrale Forderung der Fridays-for-Future- sogar Lust haben, hier mitgestalten zu können: Bewegung ist „Hört auf die Wissenschaft!“. Dabei „Mut zur Zukunft“. Gleichzeitig müssen wir weg wird verkannt, dass Wissenschaft – und damit von Weltuntergangsszenarien, die noch nie Lust auch das Difu – zwar viele fundierte Antworten auf Veränderung gebracht haben. Sie führen eher Zum Weiterlesen geben kann, aber nicht den normativen und ethi- zur Schockstarre und der Einstellung „ist ja eh WBGU (Wissenschaftlicher schen Kompass vorgeben sollte. Um Politik, Ver- alles egal“. Die Psycholog*innen wissen: Panik ist Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderun- waltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ihre Ent- schlecht, ein gewisses Maß an Angst ist gut. gen) (Hrsg.) (2016): Haupt- scheidungen zu erleichtern, gilt auch für das Difu, Angst führt zu starker Aufmerksamkeits- und gutachten. Der Umzug der in jeder Hinsicht den Komparativ zu leben: Es Leistungssteigerung, schärft die Sinne und führt Menschheit: die transforma- muss radikaler werden im Denken und in der zu Lösungswillen und einem der Bedrohungs- tive Kraft der Städte, Berlin Formulierung von Erkenntnissen, kreativer in der situation angemessenen Verhalten. www.bit.ly/2VhMwn3 Erarbeitung von Lösungen, es muss die besseren „Geschichten“ erzählen, es muss aktiver formulie- Gerade in Zeiten der Corona-Krise gelingt es, Vereinte Nationen (Hrsg.) ren und Akteur*innen benennen, es muss noch Menschen trotz vieler Einbußen mitzunehmen. (2017): Ziele für nachhaltige stärker interdisziplinär und transdisziplinär for- Wenn wir es darüber hinaus jetzt noch fertigbrin- Entwicklung. Bericht 2017, schen, es muss sich mit seiner Forschung konse- gen, positive Aspekte der Veränderung zu vermit- New York. quenter in den normativen Rahmen der nachhalti- teln, wie z.B. den Gewinn von „Qualitätszeit“, das www.bit.ly/2ZuEYjw gen Entwicklung, der globalen Agenda 2030 und zeitweise Verlassen des Hamsterrads, den Gewinn Uwe Schneidewind (2018): der New Urban Agenda einordnen. Der Maßstab an Lebensqualität durch soziales Miteinander, Die Große Transformation. für Wissensaufbereitung und -transfer im Institut dann birgt das große Chancen für die Zukunft. Eine Einführung in die Kunst wird also sein, wie es gelingt, mit den wissen- gesellschaftlichen Wandels. schaftlichen Erkenntnissen Gehör zu finden, bei Wenn nur ein Teil dessen, was durch die Notwen- Verantwortungsträger*innen in Politik und Verwal- digkeiten der Corona-Krise innerhalb weniger Deutsches Institut für Ur- tung, in der Fachöffentlichkeit und der allgemei- Monate an Veränderungen passiert ist, auch nach banistik (Bearb.) u. Rat für nen Öffentlichkeit. dem Abklingen der Krisenerscheinungen in nach- Nachhaltige Entwicklung haltigeres Handeln umgesetzt worden ist, – bei (Hrsg.) (2011): Städte für ein Der Umgang mit aktuellen Krisen ist auch eine allen tragischen Folgen der Pandemie – so hat die nachhaltiges Deutschland. Frage der Sichtweise. Die Corona-Krise und der Krise auch neue Chancen hervorgebracht: Ent- Gemeinsam mit Bund und Ländern für eine zukunftsfä- Klimawandel haben nicht nur eine Seite des Be- schleunigung, Rückfahren des Konsums und Ein- hige Entwicklung, Berlin. drohlichen und Unabänderlichen. Sie haben auch schränkung der Produktion manch überflüssiger www.difu.de/7605 die Seite der aktiven Auseinandersetzung, der Produkte, Stärkung regionaler Wirtschaftskreis- Suche nach Lösungen, des Verändern- und Ge- läufe, Verzicht auf Dienstreisen und Ersatz durch IASS Potsdam: Prozesse staltenwollens. In Bezug auf die notwendige Große virtuelle Meetings, Stärkung des Gesundheitssys- für gerechte Zukunftsge- Transformation spricht Uwe Schneidewind von der tems und der Resilienz von Infrastrukturen und staltung: Empfehlungen für „Zukunftskunst“ und meint damit die Kompetenz, vieles andere mehr. Bleibt die Hoffnung, dass das die Reaktion auf Fridays for „das Zusammenspiel von technologischen, öko- nicht reines Wunschdenken ist. Future nomischen, politisch-institutionellen und kulturel- www.bit.ly/2zae7OB len Dynamiken in Prozessen der Großen Transfor- Am Ende ist es nun doch ein Beitrag über die mation zu verstehen und sie für das Projekt einer Rolle von Wissenschaft geworden, über die stär- Was sind eigentlich SDGs? www.difu.de/15237 Nachhaltigen Entwicklung fruchtbar zu machen“. kere Übernahme von Verantwortung auf allen Ebenen, über notwendige Radikalität im Denken Dabei geht es um kreative Prozesse. Wenn wir es und Tun und über Kommunikation von Krisensze- www.scientists4future.org/ positiv sehen, heißt es, dass wir die Generation narien – trotz, nein, gerade wegen Corona. sind, die den Wandel bewirken kann: Das Difu in 7
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Klimaschutz als wichtigste Zukunftsaufgabe der Städte Städteumfrage „OB-Barometer 2020“ von Anfang des Jahres zeigt, welche kommunal politischen Themen aus Sicht der Stadtspitzen künftig an Bedeutung gewinnen und wo es großen Finanzierungsbedarf gibt. Der Schutz des Klimas und die Anpassung an die Zukunftsrelevanz beimessen, sind die Schaffung Folgen des Klimawandels werden für die Städte bezahlbaren Wohnraums, die Finanzlage der an Bedeutung zunehmen. Das ist eines der Er- Städte und die Stärkung der Wirtschaft. gebnisse der im Januar und Februar 2020 vom Deutschen Institut für Urbanistik durchgeführ- Die Stadtspitzen sind sich einig, dass mit den ten Befragung der (Ober-)Bürgermeister*innen künftigen Herausforderungen der Städte ein hoher großer deutscher Städte. Knapp zwei Drittel der Finanzierungsbedarf verbunden ist. Dies gilt Befragten nennen den Klimaschutz als wichtiges besonders für die Themen Mobilität und Klima- kommunales Zukunftsthema. Damit hat sich die schutz. Knapp 90 Prozent derjenigen, für die dies Zahl der Bürgermeister*innen, die diesem kom- zentrale Zukunftsthemen sind, gehen davon aus, munalpolitischen Handlungsfeld einen Bedeu- hier große oder sehr große Investitionen tätigen zu tungszuwachs zuschreiben, im Vergleich zum Vor- müssen. Ähnlich ist dies in den Bereichen Digita- jahr mehr als verdreifacht. Zukünftige Umfragen lisierung und Schaffung von bezahlbarem Wohn- werden zeigen, wie stark dieses Ergebnis durch raum: Hier halten immerhin noch rund drei Viertel die Proteste der ‚Fridays for Future‘-Bewegung der Stadtspitzen, die Digitalisierung und Wohnen beeinflusst war. Über die Hälfte der Befragten unter den wichtigsten Zukunftsthemen der Städte sieht ferner einen wachsenden Handlungsbedarf sehen, den künftigen Finanzierungsbedarf in im Bereich Mobilität. Das Thema, das bereits im diesen Politikfeldern für hoch oder sehr hoch. Vorjahr auf Platz zwei der Zukunftsthemen lag, hat damit für die Stadtspitzen nochmals an Be- Die Umfrage wurde durchgeführt, bevor die deutung gewonnen. Das mag auch damit zu tun Corona-Pandemie in Deutschland andere The- haben, dass urbane Mobilität ein wesentlicher men in den Hintergrund drängte. Auch wenn Aspekt des kommunalen Klimaschutzes ist. Das in den Städten nach dem Ausnahmezustand TOP-Zukunftsthema der beiden Vorjahre, die Di- wieder ein Stück weit Normalität eingekehrt gitalisierung, liegt in der Befragung auf Platz drei sein sollte, wird der Blick der politisch Entschei- www.difu.de/12580 der wichtigsten kommunalpolitischen Zukunfts- dungstragenden auf die kommunale Welt ein an- themen. Gut ein Drittel der Befragten geht davon derer sein. Deswegen wird das Difu sich mit der aus, dass die Digitalisierung in den nächsten fünf Veröffentlichung der ausführlicheren Ergebnisse Jahren für die Städte an Bedeutung gewinnen des OB-Barometers 2020 noch etwas Zeit lassen Annegret Hoch wird. Weitere kommunalpolitische Themen, denen und hat hier den Fokus nur auf den kleinen +49 30 39001-198 die Bürgermeister*innen eine besonders hohe Ausschnitt „Zukunftsfragen“ gerichtet. hoch@difu.de 8
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Kommunen erwarten weniger Einnahmen durch Corona-Pandemie Eine vom Difu im Auftrag der KfW-Bankengruppe durchgeführte Blitzbefragung unter den Kämmereien der Kommunen zeigt, dass die Städte und Gemeinden einen deutlichen Einbruch ihrer Einnahmen und Investitionen erwarten. Die Corona-Krise bildet für die Haushalte Personalausgaben werden hingegen steigen und der Kommunen eine deutliche Zäsur. Dies ist aus Sicht der Kämmereien die Haushalte subs- das Ergebnis einer Blitzbefragung unter 200 tanziell belasten. Es ist aber vor allem der deutli- Kommunen, die vom Difu im Auftrag der KfW che Anstieg der Sozialausgaben, der rund 70 Pro- Bankengruppe Ende April als Ergänzung zum zent der Kämmereien Sorgen bereitet. Auf diese KfW-Kommunalpanel durchgeführt wurde. Statt sich abzeichnenden Herausforderungen reagiert mit Haushaltsüberschüssen und sinkender Ver- laut Difu-Befragung rund ein Viertel der Kommu- schuldung rechnen die meisten Kommunen nun nen mit Haushaltssperren. Ein Drittel bereitet be- mit einem Einnahmeeinbruch, wachsenden Aus- reits Nachtragshaushalte vor, um die finanziellen gaben und einer erneut ansteigenden Verschul- Folgen der Krise abzufangen. Dies dürfte bei ähn- dung. 90 Prozent der befragten Kämmereien lich vielen Kommunen auch über eine höhere Ver- blicken mit Sorgen auf das laufende Haushalts- schuldung erfolgen. In 63 Prozent der Kommunen jahr. Für 2021 erwarten sogar acht von zehn werden zudem Konsolidierungsmaßnahmen ge- Kommunen eine Verschlechterung der Finanzen. plant. Im Ergebnis geht jede dritte Kommune von sinkenden oder stark sinkenden Investitionsaus- gaben im laufenden Jahr sowie für die Folgejahre ab 2021 aus. Bereits in der Vergangenheit haben die Kommunen erhebliche Investitionsrückstände aufgebaut, wie sie jährlich vom Difu im Rahmen des KfW-Kommunalpanels ermittelt werden. Im Foto: Christine Grabarse, Difu Jahr 2018 betrug dieser rund 138 Mrd. Euro. Der sich abzeichnende Investitionsverzicht in einem Teil der Kommunen infolge der Verwer- fungen in den städtischen Haushalten kann durchaus als ein Warnsignal gelten. Denn wenn die Kommunen jetzt nicht finanziell in die Lage Die aktuelle Befragung zu den haushaltspoli- versetzt werden, steigende Sozialausgaben zu tischen Folgen der Corona-Pandemie ist zwar bedienen, wird die Investitionstätigkeit leiden und nicht repräsentativ, gibt jedoch einen belastbaren die regionalen Disparitäten zwischen finanzstär- Eindruck, wie stark die Kommunen betroffen sind. keren und strukturschwachen Kommunen wieder Auf der Einnahmenseite erwarten 42 Prozent deutlich zunehmen. Dabei besteht angesichts der der Städte und Gemeinden einen starken Rück- vielerorts maroden Infrastrukturen jetzt eigent- gang, weitere 53 Prozent gehen von tendenziell lich eine ideale Gelegenheit, die Transformation sinkenden Einnahmen aus. Hauptursache sind der Kommunen hin zu grünen und nachhaltigen wegbrechende Steuereinnahmen, die von 63 Technologien zu forcieren. Prozent der kommunalen Haushälter*innen pro- gnostiziert werden. Fast jede vierte Kommune Hoffnung macht, dass immerhin 26 Prozent erwartet zudem sinkende Einnahmen aus eigener der Kommunen steigende Investitionen in den wirtschaftlicher Tätigkeit. Auch über das lau- nächsten Jahren für möglich halten, wenn Bund www.difu.de/15407 fende Jahr hinaus wird die Krise spürbare Effekte und Länder Unterstützungsmaßnahmen auf den haben: Ein Viertel der Kämmereien geht auch für Weg bringen – vor allem finanzielle Entlastungen, 2021 von stark rückläufigen Einnahmen aus. die von 49 Prozent der befragten Kämmereien als notwendige Voraussetzung zur Krisenbewäl- Elisabeth Krone Mit Blick auf die Ausgabenseite sind die Kom- tigung angesehen wird. Jede zweite Kommune +49 20 39001-223 krone@difu.de munen ebenfalls pessimistisch: Sowohl für das erwartet, dass es zu einer Verschiebung von Jahr 2020 als auch für die Folgejahre rechnet Investitionen innerhalb der Haushalte zugunsten Dr. Henrik Scheller jede zweite Kommune mit steigenden Ausgaben „systemrelevanter“ Bereiche wie der Gesund- +49 20 39001-295 in allen relevanten Haushaltsbereichen. Einzige heitsversorgung oder dem Katastrophenschutz in scheller@difu.de Ausnahme bilden die Investitionen. Sach- und den Kommunen kommen dürfte. 9
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Blau-grün-graue Infrastrukturen in Kommunen planen und umsetzen Die vernetzte Planung und Umsetzung blau-grün-grauer Infrastrukturen unterstützt die Klimaanpassung in den Kommunen. Eine neue Veröffentlichung des Forschungsverbunds netWORKS zeigt, worauf dabei geachtet werden muss. Die Auswirkungen des Klimawandels haben einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität in Städten und ihre Ver- und Entsorgungssysteme. Starkregen, Überflutung, Hitze- und Trockenperi- oden werden sich allein durch angepasste techni- sche Lösungen und Maßnahmen der Infrastruktu- ren nicht bewältigen lassen. Daher werden für die Klimaanpassung in Kommunen auch blaue und grüne Infrastrukturen – wie (urbane) Gewässer, Grünflächen oder Gründächer – in den Blick ge- nommen. Die Vernetzung und das Zusammenspiel von blauen, grünen und grauen Infrastrukturen eröffnen vielfältige und zusätzliche Optionen bei der Anpassung der Kommunen an den Klima- Daher ging es im Forschungsvorhaben zunächst wandel. Blaue und grüne Infrastrukturen erfüllen darum, kommunale Planungsprozesse auf ge- zahlreiche Ökosystemleistungen, die in einer kli- eignete Anpassungen hin zu prüfen und eine magerechten Stadtentwicklung genutzt werden Verständigung über Leitlinien der Infrastruktur können: Grüne Infrastrukturen können als Puffer entwicklung und Klimaanpassung herzustellen. In bei Starkregen bzw. Überflutung dienen. Zugleich Zusammenarbeit mit den beiden Partnerstädten sind diese Infrastrukturen so zu gestalten und zu Berlin und Norderstedt wurde im Rahmen laufen- bewirtschaften, dass sie ihre Leistungen auch bei der städtebaulicher Planungsprozesse untersucht, Hitze und Trockenheit optimal erbringen können. wie vernetzte blau-grün-graue Infrastrukturen Denn in Hitze- und Trockenperioden müssen in der Planung verankert werden können. Dabei grüne Infrastrukturen bewässert werden, um z.B. wurden in ausgewählten Transformationsräumen die erwünschte Kühlleistung zu erbringen. Machbarkeitsstudien gekoppelter Infrastrukturen partizipativ erarbeitet. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, In der vom Difu und dem ISOE gemeinsam her- das Kompetenzzentrum Wasser Berlin und die ausgegebene Publikation „Blau-grün-graue Inf- Berliner Wasserbetriebe haben im Forschungs- rastrukturen vernetzt planen und umsetzen. Ein vorhaben netWORKS 4 gemeinsam die Möglich- Beitrag zur Klimaanpassung in Kommunen“ wer- keiten der Kopplung zwischen den drei Infrastruk- den die Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben tursystemen identifiziert und beschrieben. Dabei netWORKS 4 gebündelt präsentiert. wurden auch erste Bewertungen vorgenommen und geprüft, wie und wo Kopplung von blauen, Das Projekt netWORKS 4 wurde vom Bundes grünen und grauen Infrastrukturen zu einer klima- ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) angepassten und klimagerechteren Stadt- und in der Fördermaßnahme „Nachhaltige Transfor- Infrastrukturentwicklung beitragen kann. mation urbaner Räume“ des Förderschwerpunkts www.bit.ly/2Sp5Hd0 Sozial-ökologische Forschung gefördert. For- www.networks-group.de Die Vernetzung bzw. Kopplung dieser drei Infra- schungs- und Projektpartner waren das ISOE strukturen erfordern veränderte Verfahren und – Institut für sozial-ökologische Forschung, das Prozesse zur integrierten Planung der Stadt und Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das Kom- ihrer (Wasser-)Infrastrukturen: Bisher fehlen noch petenzzentrum Wasser Berlin, die Berliner Was- Dipl.-Soz. Jan Trapp die notwendigen Verfahren, mit denen eine Pla- serbetriebe, die Senatsverwaltung für Umwelt, +49 30 39001-210 nung und Umsetzung gekoppelter Infrastrukturen Verkehr und Klimaschutz Berlin und die Senats- trapp@difu.de – unter Berücksichtigung der vielfältigen Wech- verwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Dr.-Ing. selbezüge zum städtischen Raum – im Zuge der Berlin sowie die Stadt Norderstedt und Ramboll Martina Winker, ISOE Infrastruktur- und Stadtplanung erfolgen können. Studio Dreiseitl. +49 69 7076919-53 winker@isoe.de 10
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Was bewirken die Projekte der BMBF-Zukunftsstadtforschung? Das Difu untersuchte mit weiteren Forschungspartnern BMBF-Forschungsinitiativen auf ihre Wirkungen. Unterschiedliche Informationsformate unterstützen Kommunen, Medien und Projekt-Mitwirkende bei der Verwertung der Forschungsergebnisse. Seit über zwei Jahren begleitet das Deutsche Ins- Broschürenreihe: Fokus*Zukunftsstadt titut für Urbanistik (Difu) die Aktivitäten des Bun- Die neue Broschürenreihe „Fokus*Zukunftsstadt“ desministeriums für Forschung und Technologie bietet Reportagen zu den Fokusthemen. O-Töne (BMBF) rund um die „Leitinitiative Zukunftsstadt“ und Geschichten sind darin anhand ausgewählter sowie die Fördermaßnahme „Nachhaltige Trans- Projekte im Sinne des „Storytelling“ aufbereitet. formation urbaner Räume“. An der Schnittstelle Die Broschüren richten sich an die Zukunfts- zwischen Forschung und Praxis trägt das Institut stadt-Community, Kommunen, Verbände und im „Synthese- und Vernetzungsprojekt Zukunfts- Medien. Das Material kann besonders für Journa- stadt (SynVer*Z)“ innovative projektübergreifende list*innen hilfreich sein, wenn sie über BMBF- Ergebnisse und Lösungsstrategien in die Kommu- Forschungsprojekte berichten möchten. In der nen. Dabei wird eine Systematisierung entwickelt, ersten im März 2020 erschienenen Broschüre mit der die angestrebten, möglichst realen Wir- „Produktion in der Zukunftsstadt“ werden bei- kungen von Förderprojekten – also die Wirkungen spielsweise die Projekte „ProUrban“ und „Bottrop der BMBF-Forschungsinitiativen – erfasst und 2018plus“ vorgestellt, die in Reallaboren zur urba- kategorisiert werden können. nen Produktion und Ökonomie forschen. Werkstattbericht zu Wirkungen transdisziplinärer Stadtforschung Im SynVer*Z-Projekt werden die angestrebten Foto: Screenshot der SynVer*Z-Website (Ausschnitt) Wirkungen der Projekte rund um die „Leitinitiative Zukunftsstadt“ analysiert. Zwischenergebnisse wurden in einem Werkstattbericht dokumentiert, den das „ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung“ erstellte. Darin werden die verschie- denen Wirkungsdimensionen, -felder und -formen jeweils beschrieben. Zudem gibt es eine Übersicht zu den Häufigkeiten der verschiedenen angestreb- ten Wirkungsarten in den analysierten Projekten. Der Werkstattbericht soll den Projektmitarbei- ter*innen ein Feedback zu den angestrebten gesellschaftlichen Wirkungen ihrer jeweiligen Um die spannenden Aktivitäten der vielen unter Forschungsprojekte geben. Dadurch können sie dem Dach der „Leitinitiative Zukunftsstadt“ wir- ihre Projektergebnisse besser einordnen und www.bit.ly/2xebbPX kenden Projekte sichtbar zu machen, wurden reflektieren. www.bit.ly/2WawLh7 verschiedene Informations- und Unterstützungs- www.bit.ly/2QDVCaZ formate entwickelt, die auf der SynVer*Z-Website Zudem wurde im Werkstattbericht für jedes der online zur Verfügung stehen. Dazu gehören Video- 48 Projekte ein angepasstes Projektprofil erstellt. clips, Broschüren und ein Werkstattbericht: Darin sind die jeweils im Projekt gesehenen Wir- kungsarten genannt und individuell beschrieben. Dr. Jens Libbe Videoclips: SynVer*Z im Gespräch All dies wird in einem übersichtlichen Wirkungs- +49 30 39001-115 Seit 2019 stellen Mitarbeiter*innen aus For- schema dargestellt. Darüber hinaus sollen die libbe@difu.de schungsprojekten der BMBF-Leitinitiative Zu- Projektmitarbeiter*innen auch beim Aufbau von kunftsstadt unter der Rubrik „Im Gespräch*Z“ Wirkungspotenzialen unterstützt werden. Der Dr. Lena Bendlin ihre Arbeitsergebnisse vor. Die Filmclips eröffnen Bericht schließt daher mit einer Handreichung zur +49 30 39001-222 bendlin@difu.de einen Einblick in Hintergründe, Vorgehensweisen Wirkungsreflexion und zur Unterstützung bei der und Ergebnisse der Arbeiten in unterschiedlichen Wirkungsverstärkung. Ziel des Selbstreflexions- Robert Riechel Städten. Das Angebot richtet sich vorrangig an die tools ist es, die Teilnehmenden dabei zu unterstüt- +49 30 39001-211 „Zukunftsstadt-Forschungscommunity“, Kommu- zen, potenzielle und tatsächliche Wirkungen wäh- riechel@difu.de nen, Verbände und Medien. rend des Projektverlaufs im Blick zu behalten. 12
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Geteilte Mobilität in nachhaltigen Verkehrsentwicklungsplänen Ein vom Difu erstellter Leitfaden informiert über neue Mobilitätsformen und -technolo gien. Er beschreibt ihre Merkmale und erläutert, wie diese in Planwerken verankert werden können und welche Potenziale und Handlungserfordernisse für Kommunen entstehen. Foto: Wulf-Holger Arndt, Difu Der vom Difu im Rahmen des EU-Projekts CIVITAS- Bei der Nutzung des öffentlichen Raums haben PROSPERITY erstellte Themenleitfaden für die Kommunen eine wichtige Gestaltungsfunktion. Integration von Angeboten geteilter Mobilität in Geteilte Mobilität sollte daher in diesem Zusam- nachhaltige urbane Verkehrsentwicklungspläne menhang diskutiert und in Verkehrsentwicklungs- „SUMP“ liegt nun auch in deutscher Sprache vor. pläne bzw. SUMP integriert werden. Integrierte Konzepte, die neue Mobilitätsdienstleistungen Städte und ihre Umlandgemeinden sind beson- gezielt und strukturiert als Alternative zum Pkw- ders stark durch individuellen Verkehr, aber auch Besitz berücksichtigen und damit den Bedarf an durch Güter- und Dienstleistungsverkehr geprägt Pkw-Stellplätzen reduzieren, sind wichtiger denn und belastet: Sie stehen vor der Herausforderung, je. Sie gehören zu den Schlüsselfaktoren, um die Negativfolgen des Verkehrs zu minimieren. künftige Mobilität nachhaltig zu gestalten. Dabei Dies betrifft vor allem den Ausstoß schädlicher sind acht Prinzipien des SUMP-Konzepts zu be- Klimagase, Feinstaub- und Stickoxidbelastungen achten, die im Leitfaden erläutert werden. sowie Verkehrslärm. Zu den Negativenfolgen zählt auch die hohe Flächeninanspruchnahme durch Die Einbindung des Themas geteilte Mobilität den Motorisierten Individualverkehr (MIV). Vor kann als „PULL-Faktor“ auch ein wichtiger Bau- allem der ruhende Verkehr belegt öffentliche stein für die Förderung des Umweltverbunds sein. Flächen im Übermaß. Allen neuen Mobilitätsoptionen sollte gemeinsam sein, dass weniger Fahrten im „eigenen“, privaten Neue multimodale Mobilitätsoptionen bieten den Pkw durchgeführt werden. So kann durch die ver Kommunen potenziell die Chance, fließenden änderte Verkehrsmittelwahl ein aktiver Beitrag zum und ruhenden Pkw-Verkehr durch neue Ange- Klima- und Umweltschutz geleistet werden – für bote zurückzudrängen und teilweise auch den Kommunen ein zentrales Anliegen. Auch Schritte Wirtschaftsverkehr zu reduzieren. Die Kommunen zur Integration von Sharing-Systemen in die nach- sehen sich dadurch aber auch mit diversen Her- haltige städtische Mobilitätsplanung werden im ausforderungen konfrontiert – insbesondere, was Leitfaden beschrieben. www.difu.de/13383 die Regelungen für die Nutzung des öffentlichen www.difu.de/11815 Raums angeht: Der Großteil neuer Angebote wird Der kostenfreie Leitfaden stellt außerdem alle von privatwirtschaftlichen Firmen bereitgestellt, Mobilitätsoptionen vor, die für sämtliche Bevöl die sich selbst als Mobilitätsdienstleister verste- kerungsgruppen potenziell zugänglich sind: Dr.-Ing. hen. Sie bieten die Nutzung ihrer Verkehrsmittel öffentliche Fahrradverleihsysteme, E-Tretroller Wulf-Holger Arndt wie Fahrräder, E-Tretroller, E-Motorroller und Elek- (E-Scooter-Sharing), E-Motorroller-Sharing, (E-) +49 30 39001-252 tro- und herkömmliche Pkw digital und kosten- Carsharing , Mitfahrgelegenheiten (Ride-Sharing arndt@difu.de pflichtig im öffentlichen (!) Raum an. und Ride-Hailing) und die Frachtmitnahme. 13
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 NRW-Kommunen erhalten Beratung bei Klimafolgenanpassung Neue Online-Veröffentlichung bietet Hintergrundinformationen zu Klimafolgen in Nordrhein-Westfalen und stellt Handlungsoptionen im Bereich Klimafolgenanpassung kombiniert mit Praxisbeispielen anschaulich vor. Intensive Dachbegrünung Foto: Optigrün als Maßnahme zur Anpas- sung an den Klimawandel auf dem „Dortmunder U“ Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Viele Berei- und vermittelt einen Einblick, welche Maßnahmen, che des täglichen Lebens sind inzwischen von den Prozesse und Potenziale zur Verstetigung der Auswirkungen betroffen. Auch Nordrhein-West- Klimafolgenanpassung als Querschnittsaufgabe falen wurde in den vergangenen Jahren stark mit anwendbar sind. Die Publikation regt beispielhaft dem Anstieg der globalen Durchschnittstempe- zu Möglichkeiten einer klimaresilienten Gestaltung ratur und den daraus resultierenden Extremwet- von Städten und Gemeinden in Nordrhein-West- terbedingungen konfrontiert. Zentrale Akteure falen an. Ein strategischer Ausbau grüner und im Umgang mit Starkregen, Trockenheit und blauer Infrastrukturen sowie die Entsiegelung Hitzewellen sind die Kommunen. Doch welche von stadteigenem Grundeigentum sind nicht nur Maßnahmen sind überhaupt machbar? Wo kann für die Klimavorsorge dienlich, sie steigern auch kommunale Verwaltung eingreifen? Und wie kön- die regionale Attraktivität und Lebensqualität der nen zukunftsfähige Projekte entwickelt werden? Kommunen. Im Rahmen der „Kommunalberatung Klimafol- Das in Köln ansässige Team berät die Kommunen genanpassung NRW“ unterstützt das Deutsche zur Initiierung, Durchführung und finanziellen För- Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag des Um- derung von Maßnahmen – per Telefon, E-Mail und weltministeriums NRW Städte, Gemeinden und vor Ort. Mit Vorträgen wendet es sich zusätzlich Kreise in Nordrhein-Westfalen dabei, in der Klima- an kommunalpolitische Gremien, für die auch We- www.bit.ly/3cP6bB6 vorsorge aktiv zu werden. Ziel der Kommunalbe- binare angeboten werden. ratung ist es, Wissen zur Klimafolgenanpassung in Kommunalpolitik und -verwaltung aufzubauen Zusätzlich bietet ein zentrales Internetportal spezi- und die Umsetzung von integrierten Klimaanpas- ell für nordrhein-westfälische Kommunen umfas- Anna-Kristin Jolk sungskonzepten und -maßnahmen vorzubereiten. sende Informationen, Praxisbeispiele, Termine und +49 30 39001-133 einen aktuellen Überblick über die sich ständig jolk@difu.de Eine im Rahmen dieser Beratung neu entstandene verändernde Förderlandschaft. Ein vierteljährlich Ulrike Vorwerk Broschüre „Klimawandel in Kommunen – jetzt erscheinender Newsletter informiert Kommunen +49 221 340308-17 vorsorgen und gestalten!“ zeigt, wie sich der Kli- und weitere interessierte Akteure kontinuierlich vorwerk@difu.de mawandel gegenwärtig auf Kommunen auswirkt über aktuelle Entwicklungen. 14
Forschung & Publikationen Berichte 2/2020 Wie Städte gesundheitsförderliche Lebensverhältnisse schaffen können Vom Abbau sozialräumlicher Konzentration von Armut bis zur nachhaltigen Gestaltung von Infrastrukturen: Fachleute aus den Bereichen Gesundheit und Stadtentwicklung geben Empfehlungen für eine gesundheitsfördernde Stadtentwicklung Wie sollte eine gesundheitsfördernde und Menschen – unabhängig von ihrem Einkommens-, gleichzeitig nachhaltige Stadt- und Quartiers Bildungs- und Sozialstatus – aktiv an Planungs- entwicklung aussehen? Dieser Frage ging die und Entscheidungsprozessen beteiligen können. am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) ange- siedelte „Arbeitsgruppe Gesundheitsfördernde Da all diese Aufgaben nicht allein vom Gesund- Gemeinde- und Stadtentwicklung“ (AGGSE) nach. heitssektor bewältigt werden können, sind auch Die Diskussionsergebnisse der bundesweit und die Bereiche Stadtentwicklung und Stadtplanung, inter- sowie transdisziplinär zusammengesetzten Umwelt und Grün, Verkehr und Mobilität gefragt, Arbeitsgruppe wurden als „Empfehlungen für eine die örtlichen Lebensverhältnisse zu verbessern gesundheitsfördernde und nachhaltige Stadtent- und zur Gesundheit beizutragen. Hierfür sind wicklung“ in Form von fünf Thesen veröffentlicht. übergreifende Strategien und Maßnahmen nötig. Das Gesunde-Städte-Netzwerk, das Städtebau Sollen in Kommunen gesundheitsförderliche förderprogramm Soziale Stadt sowie die Strategie Lebensverhältnisse geschaffen werden, so ist es Umweltgerechtigkeit sind hierfür gute Beispiele. eine zentrale Aufgabe der Kommunalpolitik, die ansteigende Konzentration von Armut in einzel- Aufgabe der Kommunen ist es, ihre sozialen, tech- nen Stadtteilen abzubauen. Denn die räumliche nischen und grünen Infrastrukturen zukunftsfähig Konzentration verstärkt Negativauswirkungen und nachhaltig zu entwickeln. Diese Infrastruktu- von Armut und ist nachweislich mit einer ver- ren tragen dazu bei, dass alle Menschen in einer gleichsweise schlechteren gesundheitlichen Lage Kommune gesund und ökologisch verträglich verknüpft. Gleichzeitig ist laut AGGSE darauf zu leben können. Die Kommunen haben hierbei einen achten, die vor allem in sozial benachteiligten Ge- eigenen großen Gestaltungsspielraum. Damit sie bieten oft schlechte und gesundheitsbelastende diesen nutzen können, müssen die finanziellen Umweltqualität durch Maßnahmen der Lärmver- Ressourcen der Kommunen dauerhaft und konti- meidung, Luftreinhaltung und besseren Grünver- nuierlich gestärkt werden. sorgung zu verbessern und damit für mehr Um- weltgerechtigkeit zu sorgen. Ein Beitrag hierzu ist Gesundheitsfördernde Politik in den Städten darf die Priorisierung des Fuß-, Rad- und öffentlichen jedoch keine „Kirchturmpolitik“ sein. Sie muss Verkehrs und die Reduzierung des motorisierten global denken, um im lokalen Handeln auch glo- Individual- und Güterverkehrs. Wichtig sind auch balisierten Herausforderungen gerecht zu wer- www.bit.ly/332YL9f der Erhalt und die Entwicklung urbaner Grün- den. Diese finden ihren Ausdruck unter anderem und Freiräume als Orte der Bewegung, Erholung, in einer veränderten globalen Verbreitung von Naturerfahrung und sozialen Begegnung. Solche lebensbedrohlichen Infektionen sowie im weltwei- Dipl.-Ing. Räume erfüllen für Städte zudem wesentliche ten Klimawandel und seinen Folgen. Die Städte Christa Böhme bioklimatische und ökologische Funktionen. Und sollten sich künftig in globalen Bündnissen für +49 30 39001-291 schließlich gehört zu einer nachhaltigen gesund- eine nachhaltige Politik der Gesundheitsförderung boehme@difu.de heitsfördernden Stadtentwicklung, dass sich alle einsetzen. 15
Was sind eigentlich ...? SDGs Begriffe aus der kommunalen Szene, einfach erklärt Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) sind die aktuellen globalen Ziele der Vereinten Nationen (UN) für eine nachhaltige Entwicklung. Die SDGs wurden im September 2015 in New York als Kernstück der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ verab- schiedet und von allen UN-Mitgliedstaaten unterzeichnet. Als Basis dienten die zuvor ver- öffentlichten „Millenniums-Entwicklungsziele“ und die „Nachhaltigkeitsagenda“, die im Zuge des Rio-Prozesses verabschiedet wurde. Die Agenda 2030 ist der erste umfassende politische Zielkatalog der UN, in dem sozi- ale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung ausgewogen benannt werden und der sich gleichermaßen an Industrienationen, Schwellen- und Ent- wicklungsländer richtet. Die 17 SDGs wurden in 169 Zielvorgaben bzw. Unterziele konkre- tisiert. Sie beziehen sich auf inhaltliche Ziele oder gehen auf mögliche Umsetzungswege mit finanziellen oder strukturellen Maßnah- men ein. ———————————————————————— „Das Erreichen der 17 Ziele für eine nachhal- tige Entwicklung (SDGs) kann nur im Zusam- menspiel mit den Kommunen gelingen.“ ———————————————————————— Die Agenda 2030 ist in erster Linie ein Staa- tenvertrag. Jedoch werden mit ihr auch die Kommunen angesprochen: Über alle 17 Ziele hinweg in Zielvorgaben, die schließlich (auch) auf der lokalen Ebene umgesetzt werden müssen, und besonders mit dem SDG 11 für „Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstands- fähig und nachhaltig gestalten“. In der Präambel werden die 17 Ziele als inte- griert und unteilbar kommuniziert. In Deutschland sind bislang mehr als 140 Städte, Gemeinden und Kreise dem „Club der Agenda 2030-Kommunen“ beigetreten und haben sich mittels Ratsbeschluss zu den SDGs bekannt, die SDGs in lokale Zielverein- barungen integriert oder bereits ein umfas- sendes SDG-Monitoring aufgebaut. Weitere Begriffe online: www.difu.de/6189 16
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