FRAUEN BEWEGEN - stadtrundbrief der Münchner grünen - Grüne München
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greta stadtrundbrief der Münchner grünen April 2016 WIE FEMINISTISCH SIND DIE GRÜNEN? DA IST NOCH LUFT NACH OBEN HASS UND SEXISTISCHE GEWALTPHANTASIEN IM INTERNET WIE WIR MIT ANGRIFFEN UMGEHEN KÖNNEN FRAUEN BEWEGEN FEMINISMUS UND EMANZIPATION FEMINISMUS UND EMANZIPATION 1
INHALT APRIL 2016 Foto: Andreas Gregor FRAUEN Frauen bewegen? Wen denn, was denn? Die Welt, natürlich. Aber auch: Wozu wollen wir Frauen BEWEGEN denn bewegen? Dazu, die Welt zu bewegen – und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. FEMINISMUS UND EMANZIPATION 3 Editorial 4 Mein Münchenbild 10 Feminismus heute – wer 16 Equal Care – eine sozial- 6 Grüne Jugend braucht das, was soll das politische Aufgabe und wo soll es hinführen? Perspektiven der feministischen 7 Hier schreibt Sarah Wetzel und Lydia Dietrich im Wohlfahrtsstaatsforschung der Vorstand Gespräch über Geschlechterrollen Von Sabrina Schmitt und Frauenrechte Von Gudrun Lux 20 Bericht aus dem Stadtrat 22 Aus den Ortsverbänden 12 Von Terroristinnen 17 Weg mit dem Dreck? und Terroristen Sexistische Gewaltphantasien 24 5 Fragen an … Denken drückt sich in Sprache aus werden im Netz alltäglich. Barbara Epple und Romanus Scholz Von Thomas Rose Wie sollen wir damit umgehen? Von Margarete Bause 25 Pro & Contra Brauchen wir eine strikte 14 Wie feministisch sind 18 Nachgefragt Frauenquote bei den Grünen? die Grünen? Doris Wagner Wir sind weiter als andere Par- 15 Jahre Frauen in der 26 Personalia teien, es ist aber immer noch Luft Bundeswehr: nach oben! Gleichstellung erreicht? Von Katharina Schulze 28 Meldungen Udo Philipp Frauen und Rente: 30 Berichte Landesausschuss 15 5 Gründe, warum Im Alter Almosen? & Stadtversammlungen Feminismus das Leben schöner macht Peter Heilrath Gleichberechtigung im 32 Sonderseite Atomausstieg (Bei Nummer 3 sind wir fast vom Stuhl gekippt!) Filmgeschäft: Warum führen Von Hanna Sammüller-Gradl Frauen selten Regie? 33 Grüner Terminkalender 2 GRETA 04.2016
EDITORIAL Emanzipiert in rosa A usgerechnet am Weltfrauentag hat meine Tochter darauf bestanden, ein rosa Kleid anzuziehen. Es war schon ziemliches Theater, sie davon zu überzeugen, dass unbedingt noch ein Hemdchen drunter muss. Dann brachte mein Mann das Kind im Wunsch-Outfit zur Krippe: Rosa Kleidchen, rosa Gummistiefel- chen, weißes Mützchen mit Blümchen dran. Ich musste lachen: Voll emanzipiert mein Kind! Es entscheidet selbst, was es anziehen will. Das Thema Feminismus und Emanzipation, das wir in diesem Heft in Angriff genommen haben, hat uns manches Kopfzerbrechen bereitet. Was hat es eigentlich mit dem Feminismus auf sich? Das Frauenwahlrecht haben wir hier längst erkämpft, der Emma-Feminismus einer Alice Schwarzer ist Frauen meiner Generation meist zumindest fremd. Irgendwo zwischen Alphamädchen, #aufschrei, #pinkstinks und #ausnahmslos versuchen viele, die Herausforderungen anzugehen, denen Frauen – und Männer – sich seit vielen Jahren in immer neuen Varianten stellen. Gemeinsam mit Lydia Dietrich, Leiterin der Gleichstellungskommission des Stadtrats, und Sarah Wetzel, Sprecherin der LAG Queer und der BAG Lesbenpolitik, habe ich mich auf die Suche nach Ideen, Gedanken und Ansätzen gemacht (Doppelinterview Seite 10 bis 12). Viele Auto- rinnen und Autoren haben weitere, manchmal überraschende, Aspekte beleuchtet. Eine Sonderseite – ein thematischer Text außerhalb unseres Schwerpunkts – ist mir wichtig. Ludwig Hartmann, unser Fraktionsvorsitzender im Landtag, setzt sich gemeinsam mit vielen anderen vehement dafür ein, dass die beiden Reaktoren in Gundremmingen schneller als geplant vom Netz genommen werden; darüber schreibt er für uns (Seite 32). Am 11. März jährte sich der GAU von Fukushima zum fünften Mal. Am 26. April werden es 30 Jahre ein, dass der GAU in Tschernobyl Europa und die Welt erschütterte. Für nicht wenige, die sich bei uns Grünen engagieren, war dieser GAU das „politische Erweckungserlebnis“. Die Gefahren der Atomkraft sind trotz der Kehrtwende Angela Merkels nach Fukushima nicht gebannt. Wir Grüne bleiben dran. Viele gute Ideen und viel Spaß mit GRETA wünscht Euch Für die Redaktion Andreas Gregor, Gudrun Lux, Thorsten Siefarth, Claude Unterleitner P.S.: Ihr erreicht uns jetzt auch unter greta@gruene-muenchen.de FEMINISMUS UND EMANZIPATION 3
München gehört zu den am stärksten versiegelten mit Städten Deutschlands. Diese Versiegelung wird mit dem gegenwärtigen Bauboom noch zunehmen. machen! Obwohl man es in unserer Stadt kaum erwartet, so Was ist Dein Münchenbild? Schick es finden sich doch vereinzelt Flächen, die von der Natur uns mit kurzer Beschrei- zurückerobert werden. Eine dieser Flächen ist das bung an greta@ ehemalige Bahnbetriebswerk München Ost an der gruene-muenchen.de Baumkirchner Straße. Danke! FEMINISMUS UND EMANZIPATION 5
GRÜNE JUGEND MÜNCHEN Frauen, engagiert euch! Von Anne Steuernagel A m 8. März war Frauentag und alle Welt von der Deut- kümmern sich Frauen ehrenamtlich oder unbezahlt um Ange- schen Bahn bis Facebook hat der Hälfte ihrer Nutzer*in- hörige, Notleidende oder Flüchtlinge, nur nicht um ihre eigene nen dazu gratuliert, dass sie dem schlechter bezahlten, Interessenvertretung? Haben gesellschaftliche Stereotypen so mit weniger Macht betrauten und (weltweit) rechtlich eine große Macht über unser Verhalten, dass sich die Mehrheit meist benachteiligten Geschlecht angehören. Gleichzeitig wird der Frauen mit dem status quo zufrieden gibt? der Kampf für Frauenrechte beansprucht von rechtpopulisti- Über die Antworten auf diese Fragen kann ich nur mutma- schen und rechtsradikalen Kreisen, die politisch für rückwärts- ßen, ich könnte überlegen, ob sich Frauen heutzutage nicht mehr gewandte Frauenbilder stehen, um den eigenen Rassismus zu benachteiligt fühlen oder ob sie zufrieden sind mit den Rollen, rechtfertigen. Wenn man heute noch etwas von der Frauenquote die sie innehaben. Schließlich könnte ich es auch auf die allge- hört, dann nur, dass Unternehmen sie verfehlt haben oder dass meine „Politikverdrossenheit“ und ein Gefühl der Machtlosigkeit ein weiteres Unternehmen eine Selbstverpflichtung zu einer schieben. Frauenquote umgeht, indem es von Anfang an festlegt, einen Aber wie die Antworten auf diese Fragen auch lauten mögen, Frauenanteil von 0% erreichen zu wollen. Außerdem werden wir, die GRÜNE JUGEND München, werden uns mit diesem Frauen von der Gesellschaft noch immer regelmäßig ungerecht Ist-Zustand nicht einfach zufriedengeben! Vielmehr bieten wir behandelt – sie werden mit anderen Maßstäben beurteilt als jungen Frauen und Mädchen eine Plattform, um für ihre Über- Männer, geht es nun um ihre Sexualität oder ihre Träume und zeugungen und für eine gleichberechtigte Stellung in der Gesell- Ziele. schaft zu kämpfen. Unser Ziel ist es, mehr Frauen zu motivieren Angesichts solcher Zustände stehe ich ratlos da: Warum sich an der politischen Arbeit und der gesellschaftlichen Debatte springen Frauen nicht in kollektiver Entrüstung auf und fordern zu beteiligen. Nur so können wir Veränderungen bewirken und zu die Rechte ein, die ihnen zustehen? Warum sinkt die Wahlbe- den „Heldinnen unserer eigenen Geschichte“ werden. teiligung auch bei Frauen von Wahltag zu Wahltag und warum 6 GRETA 04.2016
HIER SCHREIBT DER VORSTAND Fokus: Verkehr und Integration Von Heidi Schiller und Beppo Brem Liebe Freundinnen und Freunde! Gehen wir zurück auf Anfang: Im Januar gingen wir auf Vor- standsklausur. Unser Ziel: Themenschwerpunkte für 2016 erarbeiten und daraus eine Planung fürs erste Halbjahr erstellen für unsere politische Arbeit in München. Gesagt – getan. Ein Südbahnhof Das Ergebnis: 1) Wir konzentrieren uns bis zur Sommerpause auf Veranstaltungen und Aktionen zu Verkehr und Integration. 2) für München? Wir Grüne Kernthemen Umwelt und Energie begleiten uns natürlich immer. 3) Wir wollen Impulse setzen und sichtbar sein im Stadt- diskutieren Chancen und Anforderungen bild, gerade zwischen den Wahlen. So organisierten wir im Februar die Diskussion „Keine Flucht ohne Grund“, die gut besucht war und zu der uns dankbare Zustimmung aus dem Publikum erreichte. Im März folgte die Mahnwache zu Fukushima. Die Staatsregierung meint ja immer noch, Erneuerbare Energien ausbremsen zu müssen, während Fünf-Prozent-Hürde genommen haben. Ein kleines Mosaikstein- das Fracking-Gespenst ungestraft herumgeistern darf. Beide chen für den Erfolg in Sachsen-Anhalt waren auch die Spenden Veranstaltungen waren in der Innenstadt plakatiert, und diese des Kreisverbands München und einzelner Münchner Grüner – Präsenz per Plakat wollen wir bis zu den Sommerferien zeigen. danke allen, die unserer Bitte um Unterstützung gefolgt sind! In den nächsten Wochen und Monaten folgen unter anderem Unklar bleibt, wie sich nun Regierungen bilden können, denn die Veranstaltung „Ein Südbahnhof für München!“ zum Regional- durch erschreckend starke Nationalpopulisten in allen drei Län- bahnhof Poccistraße im Rahmen der Aktionswoche „Vorstadt- dern wird keine Regierungskoalition einfach weitermachen kön- frühling“ des OV Zentral, die Verkehrskonferenz der Region 14 nen. Schon die Ergebnisse der Kommunalwahl in Hessen zuvor und unser Auftritt beim Corso Leopold (wir haben uns etwas Be- haben Euch sicher so erschüttert wie uns. Der – verständlichen sonderes überlegt, also merkt Euch den 11./12. Juni vor). Ihr seht, – Schockstarre müssen wir mit aller Kraft politische Sachlichkeit nicht alles stemmen wir ganz alleine. Das wäre weder machbar entgegensetzen, auch und gerade in den sozialen Medien. Wir noch nötig oder gar klug. Wenn Ihr in Eurem OV etwas plant, das sind überzeugt, dass sich die Rechtspopulisten in den realen „aufs Plakat gehört“, dann sprecht uns an. Wenn es passt, finden Mühen der Parlamente schnell selbst entlarven. wir gerne einen Platz in der Öffentlichkeit für Eure Aktionen. Wir wünschen Euch einen Grünen Frühling! Bestimmt sehen Wie wunderbar Verkehrspolitik laufen kann, hat uns im wir uns beim Kleinen Parteitag, auf der nächsten Stadtversamm- März die Entscheidung in Erlangen gezeigt: Dort haben sich lung Ende April oder bei einer TeaTime. Werft einfach einen Blick 60 Prozent der Wähler*innen für die Stadtumlandbahn, eine auf die Terminliste und zwei oder drei, immer wieder, auf unsere Tram, entschieden. Unterstützt unter anderem von prominenten Internetseite. CSU-Vertretern, wie dem Innenminister und Erlanger Abgeord- neten Joachim Herrmann. Auch Augsburg, ebenfalls CSU-re- Euer Stadtvorstand giert, findet Trams richtig klasse und baut aus, was die Schiene Heidi, Beppo, Wolfgang, Katrin, Gudrun und Alexander hält. Warum die Münchner CSU ihre Tramphobie pflegt – wir wüssten es auch gern. Sei’s drum: Wir arbeiten hier mit einigen Umweltinitiativen und Verkehrsverbänden an einer gemeinsa- men Aktion. Denn gemeinsam geht‘s bekanntlich besser. Mehr als fünfzig Grüne sind zu unserem Münchner Wahl- Der Vorstand Watching am 13. März ins Jennifer Parks am Holzplatz gekom- der Münchner Grünen men. Wir freuen uns über das bärenstarke grüne Ergebnis in Baden-Württemberg und darüber, dass unserer Freundinnen und Freunde in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt jeweils die Wolfgang Leitner, Gudrun Lux, Alexander König, Katrin Habenschaden, Heidi Schil- ler, Hermann „Beppo“ Brem (v.l.) FEMINISMUS UND EMANZIPATION 7
47 Prozent der Grünen im neuen baden-württem- bergischen Landtag sind Frauen. Auf Platz 2 in der gleichmäßigen Verteilung der Geschlechter landet die CDU mit lediglich 17 Pro- zent Frauen. Interessant ist, dass die grüne Frau- enförderung sich offen- bar auch dann noch zeigt, wenn es wie im dortigen Wahlsystem gar keine Quotierungsmöglichkeit gibt. Haben wir Grüne es also geschafft? SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND F eminismus und Emanzipation – wie weit sind wir Grüne, was EMANZIPATION fehlt noch, welche Baustellen RAUEN gibt es in der Gesellschaft und: Ist unsere Idee von Feminismus eigent- lich für alle gültig? Wir haben ein paar Aspekte rund um die Frauenbewegung rausgegriffen und versucht zu beleuch- ten. Erschreckend ist zum Beispiel Margarete Bauses Bericht darüber, wie EWEGEN sie als Politikerin geschlechtsspezifischen Angriffen ausgesetzt ist. Thomas Rose und Katharina Schulze schreiben in ihren Texten durchaus selbstkritisch über den Stand bei uns Grünen – Tom setzt sich dabei mit geschlechtergerechter Sprache auseinander und Katha fragt: Wie femi- nistisch sind wir Grüne eigentlich? Von geschlechtsspezifischer Care-Arbeit über Renten bis zu Frauen in der Regie oder in der Bundeswehr – in diesem Schwer- punkt steckt eine Vielfalt von Themen rund um Feminismus und Emanzipati- on. Erschöpfend ist er wie immer nicht. Was die Frauenbewegung erreicht, was noch erreicht werden muss und wie wir die Dinge anpacken, ist und bleibt in der Diskussion – und im Fluss. SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND EMANZIPATION 9 FEMINISMUS UND EMANZIPATION
FEMINISMUS HEUTE – WER BRAUCHT DAS, WAS SOLL DAS UND WO SOLL ES HINFÜHREN? Sarah Wetzel und Lydia Dietrich im Gespräch über Geschlechterrollen und Frauenrechte Von Gudrun Lux Fotos: Andreas Gregor Lydia, was bedeutet es für Dich, Feministin zu sein? können. Das wird inzwischen ganz anders akzeptiert als vor 30 Lydia: Feministin zu sein bedeutet für mich, eine frauenpoliti- Jahren, als ich angefangen habe, politisch aktiv zu sein. Aber sche Sichtweise einzunehmen, die darauf abzielt, eine absolute natürlich ist da noch eine Menge Luft nach oben. Gleichstellung zu erreichen – in jedem Punkt, in jedem Bereich, Welche Punkte sind es denn für Dich, Sarah, die jetzt konkret ohne Wenn und Aber. angegangen werden müssen? Auch Du bist Feministin, Sarah ... Sarah: Die Gleichstellung auf monetärer Ebene zum Beispiel – Sarah: Ja, definitiv. Ich bin aus Überzeugung Queer-Feministin, der Equal Pay Day fand auch dieses Jahr wieder im März statt. das heißt: Es geht mir nicht nur um die Gleichstellung der Frau – Frauen werden nach wie vor für gleichwertige Arbeit schlech- die auch relevant ist –, sondern es geht auch darum, Sexualität ter bezahlt. Ein Thema, das für mich wichtig ist, sind sexuelle und Identität mitzudenken. Übergriffe. Die Verschärfung des Paragraphen 177 muss akut Lydia, was hat denn die Frauenbewegung schon erreicht? angegangen werden. Lydia: Sehr viel. Es kommt darauf an, wie weit man zurückgeht, Wer ist denn in aller Regel Opfer sexueller Übergriffe? angefangen beim Frauenwahlrecht. In Sachen Gleichstellungs- Sarah: Opfer sind immer noch vor allem vermeintliche Minder- politik hat sich auch in den vergangenen dreißig Jahren viel heiten. Frauen, natürlich, die immer noch als das „schwache getan, ich nenne als Stichpunkte Frauen in Führungspositionen, Geschlecht“ gelten. Die Übergriffe auf sie sind sexuell, aber auch generell im beruflichen Leben, die Vereinbarkeit von Beruf und verbal. Es geht aber natürlich weiter, insbesondere in Berlin hat Familie. Insgesamt ist eine Aufmerksamkeit geschaffen worden sich eine große Dynamik der Aggression gegen schwule Männer dafür, dass Frauen ein eigenständiges Leben führen wollen und entwickelt. Auch Migrant*innen sind häufig betroffen. 10 GRETA 04.2016
Lydia: Frauen sind keine „Minderheiten“! Ich mag diesen Begriff auch im Zusammenhang mit Lesben, Schwulen und transidenten Menschen nicht. Denn wenn man von „Minderheiten“ spricht, ist man schnell dabei, den Eindruck zu erwecken, dass für diese „Es gibt für mich keine Gruppen Sonderrechte gefordert werden. Wir brauchen da mehr Selbstverständlichkeit von Rechten für alle. Übrigens sind in ‚typisch weibliche‘ meiner Erfahrung Frauen auch gerade dann Opfer geworden, wenn sie sehr selbstbewusst auftreten und Rechte für sich in Eigenschaft“ Anspruch nehmen. Das können Männer oft schwer akzeptieren. So werden auch Lesben oft Opfer, weil die für Männer gewohn- te „Anbagger-Schiene“ nicht funktioniert – sie reagieren dann gerne aggressiv. Auch Frauen in Führungspositionen werden oft scheinlich so, dass Frauen in der Tendenz sensibler oder kreativer in einer Weise angegriffen, die Männer so nicht erleben. sind. Aber ich bin definitiv nicht kreativ und ich bin manchmal Sarah: Natürlich geht es nicht um eine zahlenmäßig Minderheit, sensibel und manchmal nicht. Ich bin definitiv der Meinung, dass sondern um die Stigmatisierung eines Geschlechts. mehr Frauen in Führungspositionen müssen, weil einfach 50 „Minderheit“ also als Abgrenzung zur Dominanzgesellschaft? Prozent der Menschen Frauen sind. Ich bin allerdings nicht der Sarah: Genau. Und genau das gilt es zu berichtigen. Für mich Meinung, dass wir das brauchen, weil Frauen dort neue Wege gehört die Dekonstruktion von Geschlecht zu meinem feministi- beschreiten können. Diese Differenzierung zwischen den Ge- schen Ansatz dazu und davon sind wir noch sehr weit entfernt. Lydia, würdest Du denn sagen, Frauen sind die besseren Men- schen? Lydia: Die Frage kann ich schwer beantworten. Ich weiß nichts damit anzufangen ... Ich frage mal anders: Es gibt viele, die sagen, wir bräuchten mehr Frauen in Entscheidungspositionen, weil Frauen voraus- schauender, teamfähiger, kreativer sind ... Lydia: Das ist definitiv so. Frauen sind in der Regel reflektierter. Sie überprüfen oft mehr, bevor sie entscheiden. Das wir ihnen auch oft vorgeworfen. Männer entscheiden schneller. Frauen sprechen sich ab, kommunizieren, lassen andere Meinungen in ihr Denken mit einfließen. Diese stärkere Kommunikation und Reflexion führt sicherlich dazu, dass sie, wenn sie in Führungspo- sitionen sind, eher konsensorientiert sind. Das ist wichtig, macht ihnen aber auch Probleme. Ich halte es aber für den besseren Weg, es so zu machen. schlechtern lehne ich aus voller Überzeugung ab, weil ich glaube, das ist ein Konstrukt. Lydia: Es ist eine Vision zu sagen: Wir brauchen die Auflösung der sozialen Geschlechter. Aber wir haben nunmal einen Status Quo, der begründet sich auf Sozialisation. Wir haben de facto viele Lücken, wenn es um das Thema Gleichberechtigung und Gleichstellung geht. Ich muss anerkennen, dass das so ist, um einen Schritt nach dem anderen machen zu können. Sarah: Da sind wir uns einig. Der Status Quo ist, dass es die Kon- struktion von Geschlechtern, die Zuschreibungen und Tatsachen wie die Unterrepräsentation von Frauen in bestimmten Ämtern oder den Gender Pay Gap gibt. Mein Ansatz ist allerdings, die Differenzierung nicht zu manifestieren, sondern auf die Auflö- sung der sozialen Geschlechterrollen hinzuwirken. Würdet Ihr also sagen, Männer und Frauen unterscheidet per se erstmal nichts? Sarah: Ich schon. Das sind alles Menschen. Sarah: Frauen sind Menschen und Menschen sind alles mögli- Lydia: Ich tu mich schwer damit aufgrund dessen, was ich für che, aber es gibt für mich nichts, was eine „typisch weibliche“ Erfahrungen haben. Rein in der Theorie hat Sarah vollkommen Eigenschaft ist. Das sind für mich Zuschreibungen, die durchaus recht. Aber aus der Praxis heraus tue ich mich schwer, da ein der Sozialisation entsprechend wichtig sind. Derzeit ist es wahr- klares „Ja“ zu sagen. SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND EMANZIPATION 11 FEMINISMUS UND EMANZIPATION
Was bedeutet denn dann das Mutter-Sein? Sarah: Was ich auch nicht von der Hand weisen kann ist, dass es in der Regel Frauen sind, die Kinder bekommen. Es gibt ja auch Transidentitäten. Mutterschaft ist aber tatsächlich eines der Themen, weshalb die Debatte um die Dekonstruktruktion der Geschlechter schwierig ist. Spannend ist aber doch nicht die Frage, wer das Kind bekommt, sondern wie damit weiter umgegangen wird. Unlängst gab es die Debatte darüber, dass Frauen bereuen, ein Kind bekommen zu haben – Regretting mo- Sarah: Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte therhood. Die Debatte hat neue Wege aufgezeigt und die Frauen gelten universal. Es gibt durchaus einen „weißen Feminismus“, weggebracht von dieser gesellschaftlichen Zuschreibung, dass ich kann mich da nicht ausschließen. Ich werde als Frau und eine Mutter immer alles dafür tut, dass das Kind glücklich ist. Lesbe doppelt diskriminiert, aber nicht dreifach als Frau, Lesbe Wir sind da von Gleichstellung noch unglaublich weit entfernt. und Nicht-Weiße. Ich beschäftige mich zur Zeit intensiv mit Tatsächlich gleichberechtigte Beziehungen, in denen sich Mann weltweit unterschiedlichen feministischen Strömungen, etwa dem „Womanismus“ schwarzer Frauen, der sich teilweise als Gegenbewegung zum als westlich empfundenen Feminismus „Den westlichen versteht. Ich glaube aber grundsätzlich, dass wir Feministinnen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen sollten. Den westli- Feminismus können chen Feminismus können wir nicht über alles stellen, auch nicht in der Diskussion um Geflüchtete. wir nicht über alles Lydia: Ich nehme immer wieder teil an Weltkonferenzen zu Frau- enrechten. Selten habe ich so viele Bürgermeisterinnen erlebt wie auf diesen Weltkonferenzen. Und die kommen aus afrika- stellen“ nischen Ländern, aus Indonesien, Indien – nicht aus Deutsch- land. Sie haben zum Teil andere Themen, beispielsweise ist die Gesundheitsvorsorge, insbesondere rund um Geburten, sehr wichtig und da erreichen diese Frauen sehr viel. Da ist eine Ent- wicklung in Gange, die vielleicht dazu führt, dass wir irgendwann und Frau gleichviel und gleichintensiv um ein Kind kümmern, merken, dass wir einiges nachzuholen haben. sind echt selten. Nach wie vor ist es in der Regel so, dass der Mann arbeiten geht und die Frau zu Hause bleibt. Lydia: Aus den Unterschieden kann man eben nicht ableiten, dass eine Frau, die dieses oder jenes nicht tut, eine „schlechte Mutter“ sei. Umgekehrt gibt es bei Männern andere Zuschrei- bungen. So wird angenommen, dass Fürsorge für Kinder nicht im Lydia Dietrich gleichen Maße vorhanden sei, wie bei Müttern. Männer, die ei- nen anderen Weg gehen und Verantwortung für Kinder überneh- Jahrgang 1960, ist seit 2002 grüne Stadträtin und men, sind häufig mit Vorurteilen, Abwertungen und Nachteilen seit 2006 Vorsitzende der Stadtratskommission im Arbeitsleben und im sozialen Umfeld konfrontiert. Da muss zur Gleichstellung von Frauen. Sie hat als Kran- sich noch ganz viel tun. Die Stadt hat allerdings mit dem Ausbau kenschwester und Mitarbeiterin bei Landtags- von Betreuungsangeboten schon viel getan, damit Frauen und abgeordneten gearbeitet. Im Stadtrat vertritt sie Männer Berufs- und Familienleben verbinden können. uns im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft, im Lydia, Du hast Dich dafür stark gemacht, dass weibliche Ge- Gesundheitsausschuss und im Verwaltungs- und flüchtete in München separat untergebracht werden. Warum? Personalausschuss. Lydia: Wir wissen, dass geflüchtete Frauen häufig sexuelle Gewalt erlebt haben. In den Unterkünften sind besonders Frauen nicht geschützt, manche gehen nachts nicht zur Toilette aus realer oder gefühlter Gefahr vor Übergriffen. Deshalb brauchen Sarah Wetzel sie einen Schutzraum und eine entsprechende Betreuung. Die Regierung von Oberbayern wollte das nicht, denn sie meinte, Jahrgang 1986, ist seit 2013 Sprecherin der Lan- die Frauen müssten in den männerdominierten Unterkünften desarbeitsgemeinschaft (LAG) Queer der bayeri- befriedend wirken. Im Januar wurde in der Rosenheimer Straße schen Grünen und seit 2016 Sprecherin der grünen aber dann doch eine Unterkunft nur für Frauen eröffnet, darüber Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Lesbenpolitik. bin ich sehr froh. Sie studierte Medientechnik, Politik und Soziolo- Mit den Geflüchteten kommen diverse Kulturen hier her. Ist gie und engagiert sich insbesondere im Bereich Feminismus eigentlich ein westlich-europäisches Konzept oder Queerpolitik, und Feminismus und konkret zu den lässt es sich auf andere Kulturen übertragen? Schwerpunkten Gesellschaft und Bildung. 12 GRETA 04.2016
Von Terroristinnen und Terroristen SPRACHE SCHAFFT DENKEN UND SPRACHE IST VERRÄTERISCH, DENN UMGEKEHRT GILT: DENKEN DRÜCKT SICH IN SPRACHE AUS Von Thomas Rose Rache ist selten eine A n einer Ampel steht ein Auto. Die findet Google etwa 4,4 Frau sitzt am Steuer, ihr Mann daneben. Als die Ampel auf grün Millionen Treffer und neun Mal so viele (39,4 Mio.) für gute Ratgeberin schaltet, sagt der Mann: „Es den einzelnen Begriff „Bür- ist grün“. So beginnen Ehedramen. Was ger“. Bei Arbeitnehmerinnen meint er damit? Soll die Frau losfahren, und Arbeitnehmern ist das nachlässigt und Terroristinnen unter den soll sie „endlich“ losfahren? Was erlaubt Verhältnis 1:35. Sucht man nach „Ter- Teppich kehrt, drückt damit auch aus: Für er sich eigentlich? roristinnen und Terroristen“ steigt das mich sind Frauen die besseren Men- Der Psychologe und Kommunikati- Verhältnis auf 1:50 an und „Straftäter“ schen. Sie sitzen seltener im Gefängnis onswissenschaftler Friedemann Schulz findet man 300-mal häufiger als „Straftä- und führen weniger Kriege. So klingt die von Thun hat solche und ähnliche Situa- terinnen und Straftäter“. Auch in grünen Rache der Frau gegenüber dem Mann: Ihr tionen analysiert und daraus eine Theorie Texten, etwa in der letzten GRETA, ist das seid die Populisten, wir die Guten. Rache entwickelt, die als Kommunikationsquad- Verhältnis nicht ausgeglichen. Da wird ist aber selten eine gute Ratgeberin. Wer rat bekannt ist. Demnach kann alles, was im selben Text der Genderstar verwendet sie ausübt, macht sich selbst unnötig gesagt wird, auf vier Arten verstanden (Politiker*innen), nur um kurz später von klein. Sie mag verständlich sein, schade werden: In jeder Aussage steckt eine „den Terroristen“ zu sprechen. In einem ist sie trotzdem. Vielleicht geht diese Information, die für sich genommen ohne anderen Text werden „Rechtsterroristen“ Interpretation auch zu weit, denn vieles Wertung ist. Dass die Ampel gerade auf genannt, als ob es Beate Zschäpe nie ist einfach eingeübte Kommunikation, die grün gesprungen ist, mag interessant sein gegeben hätte. Und bei Rechtspopulisten nicht mehr hinterfragt wird. Wie sonst für jemanden, der sich gerade nach den (Google-Verhältnis 1:2.600) übersieht kämen Peinlichkeiten wie „Liebe Mitglie- Kindern auf der Rücksitzbank umgedreht selbst die GRETA geflissentlich Frauke derinnen und Mitglieder“ zustande, bei hat. Daneben verbindet jede Aussage Petry und Erika Steinbach. denen der Sender oder die Senderin nicht auch einen Appell und fordert zu etwas Warum nutzen selbst reflektierte Grü- für eine Sekunde nachgedacht haben auf: Fahr bitte los! Mit jeder Aussage ne keine geschlechtergerechte Sprache kann? Genau dieses Nachdenken ist beim vermittelt man zusätzlich etwas über im negativen Zusammenhang? Zwar sind „miteinander reden“ aber so wichtig. sich selbst: Der Beifahrer hat es eilig und unter den Kriminellen deutlich weniger Die Frau an der Ampel hat sich üb- möchte weiter – das ist die Selbstoffen- Frauen als Männer, aber das ist in vielen rigens dazu entschieden, ausschließlich barungsebene. Zu allem kommt noch die Bereichen so. Es gibt weniger Manage- auf dem Informationsohr zu hören und Beziehungsebene. Man stelle sich vor, rinnen als Manager und dennoch nutzen antwortet: „Dankeschön. Ich fahre los.“ dass statt des Ehemanns der 17-jährige Grüne gerne die doppelte Nennung. Sie Das Schöne an der Kommunikation ist, Sohn daneben säße. Würde er denselben verbinden damit den Appell: Denkt die dass man sich frei entscheiden kann, wie Satz genauso sagen? Zumindest würde Frauen mit und nehmt wahr, dass es auch man eine Botschaft aufnimmt. Manchmal seine Mutter vermutlich anders reagieren. Frauen in der genannten Gruppe gibt! wenigstens. Die Schwierigkeit im Alltag besteht Durch das explizite Nennen der weibli- darin, dass jede Botschaft immer Anteile chen Form soll die männliche Dominanz von allen vier Ebenen besitzt – mal mehr aufgebrochen und Raum für Weiblichkeit und mal weniger. Und dass das, was von geschaffen werden. Aber meist nur im einer Senderin zum Beispiel als Selbstof- positiven Umfeld. Thomas Rose fenbarung gemeint ist, auf der Appellebe- Das Kommunikationsquadrat zeigt Diplom-Pädagoge ne verstanden wird. auf, dass wir bei allem, was wir sagen, 2011 bis 2015 Mitglied des Sucht man im Internet nach dem ein Stück von uns selbst offenbaren. Wer Stadtvorstandes Begriffspaar „Bürgerinnen und Bürger“, Rechtspopulistinnen sprachlich ver- SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND EMANZIPATION 13 FEMINISMUS UND EMANZIPATION
Wie feministisch sind die Grünen? WIR SIND WEITER ALS ANDERE PARTEIEN, ES IST ABER IMMER NOCH LUFT NACH OBEN! Von Katharina Schulze E in wesentliches Ziel (der Grünen) nes Frauenmentoring durchgeführt und ist die Verwirklichung der Rechte in Tandems gearbeitet, viel diskutiert und und Interessen von Frauen.“ So frauenpolitische Aktionen entwickelt. steht es in unserem Frauenstatut. Als Stadtvorsitzende war mir das The- Der Anspruch stimmt. Man kann es auch ma sehr wichtig. Der März war immer der Thema Gleichstellung und Frauenförde- so formulieren: Wir sind weiter als andere „still
5 Gründe, warum Feminismus das Leben schöner macht (BEI NUMMER 3 SIND WIR FAST VOM STUHL GEKIPPT!) Von Hanna Sammüller-Gradl benkutterkapitänin doch nichts für mich ein Recht auf meinen Körper. Und ein ist, bin ich trotzdem glücklicher als mit feucht-fröhliches Tinder-Date macht einer aufgezwungenen Rolle als Hausfrau. mich nicht zum Freiwild. Und umgekehrt. 1. Meine Speckröllchen gehören mir! Dank Feminismus gehört mein Körper mir und nicht der öffentlichen Debatte. Wenn ich Lust auf tonnenweise Chips, Scho- kolade und Eis habe, spüle ich diese mit 3. Better be Binge- watching! 5. Zusammen sind wir weniger allein Feminismus verbindet. Zusammen mit Freude noch mit einem kühlen Bierchen Dank Feminismus und der Forderung anderen kämpfe ich für meine Rechte, runter. Ich bin mehr als mein Körper. Go nach authentischeren Heldinnen zieht diskutiere über unsere gesellschaftlichen fuck yourself, Bikinifigur! die Filmindustrie nach und beglückt uns Bedingungen und lache über so manch mit Serien wie „Orange is the new black“, krudes Rollenbild. Wir tauschen uns on- „Homeland“ oder „Two broke girls“. Danke line, auf Demos, in Mentoring-Program- Feminismus, dass du unsere verregneten men und an der Kloschlange aus. Wir Wochenenden gerettet hast! unterstützen uns gegenseitig. Und dabei stellen wir fest: Wir sind mit unseren Zielen, Träumen und auch Ängsten nicht allein. In unserer durchoptimierten Welt sollen Frauen klaglos Kinder, Körper und Karriere im Griff haben. Wie erhellend ist da das Gespräch mit der vermeintlichen 2. Mein Jodeldiplom und ich Egal wie dumm meine Entscheidungen Superwoman, die uns von ihrem ge- scheiterten Start-up erzählt. Niemand ist perfekt – und das ist auch gut so. 4. sind – es bleiben meine. Amerikanische Studien haben ergeben: Die Konse- My body, my rules, quenzen einer Entscheidung sind für my pleasure Menschen weit einfacher zu akzeptieren, Oben, unten, rechts, links, hinten, vorne wenn die Entscheidung selbst getroffen oder auch gar nicht. Was mit meinem Hanna wurde. Ich entscheide, wie ich mir das Körper passiert oder auch nicht entschei- Sammüller-Gradl Geld für meinen Lebensstil organisiere. de ich. Und zwar bei jeder Gelegenheit „Emanzepanze“, Juristin und grünes Basismitglied, Wenn mir nach dreimonatiger Seekrank- neu. Weder ein Eheversprechen noch ehem. Stadtvorsitzende heit einleuchtet, dass der Beruf als Krab- eine ausgegebene Taxifahrt begründen OV Haidhausen SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND EMANZIPATION 15 FEMINISMUS UND EMANZIPATION
Equal Care – eine sozialpolitische Aufgabe PERSPEKTIVEN DER FEMINISTISCHEN WOHLFAHRTSSTAATSFORSCHUNG Von Sabrina Schmitt D er 29. Februar 2016 wurde von tigte ihre wöchentliche Arbeitszeit für einigen Initiativen zum Equal maximal zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden Care Day ausgerufen. Der Tag soll reduzieren, wenn sie einen pflegebe- verdeutlichen, dass Care-Arbeit, dürftigen Angehörigen in häuslicher also Sorge-Tätigkeiten wie beispielsweise Umgebung pflegen. Auf den ersten Blick Kinderbetreuung und die Pflege alter und erscheint das Gesetz den gut 70 Prozent kranker Menschen, gesamtgesellschaft- pflegenden Frauen* eine Perspektive auf lich betrachtet immer noch implizit oder einen beruflichen Wiedereinstieg und explizit Frauen* zugewiesen wird. Die damit bessere Chancen auf Arbeitsmarkt- Gründe hierfür sind, wie die feministische partizipation in Lewis Sinne zu ermögli- Wohlfahrtsstaatsforschung gezeigt hat, chen. Aus der feministischen Wohlfahrts- Foto: Birgit Erbe auch in vergeschlechtlichten Sozialpoliti- staatforschung wissen wir jedoch, dass ken zu finden. die Nutzung solcher Maßnahmen oft Schon Anfang der neunziger Jah- nach einer Geschlechterbias und nach re wies Jane Lewis in ihrem Artikel dem sozialem Status erfolgt. In Bezug auf „Gender and Welfare Regimes: Further das Familienpflegezeitgesetz würde das Die ausgeführten Überlegungen zu Thoughts“ darauf hin, dass sozialpoliti- bedeuten, dass die geschaffenen Anreize Effekten des Familienpflegezeitgesetzes sche Maßnahmen in Europa nach dem entweder überwiegend von Vollzeit-er- auf Geschlechtergerechtigkeit können männlichen Ernährermodell konzipiert werbstätigen pflegenden Männern problemlos auf andere sozialpolitische sind und Care-Arbeit in die Familie (und genutzt werden oder nur von denjenigen Gesetzgebungen, wie beispielsweise das damit an Frauen*) delegiert wird. Diese Angehörigen, die während und nach der Betreuungsgeld, übertragen werden. So familialistische Politik führt nach Lewis zu Pflegephase problemlos zu einem nied- wird mit Blick auf Lewis Analyse deutlich, Strukturen der Geschlechterungleichheit, rigeren Gehalt arbeiten können. So wird dass dem deutschen Wohlfahrtsstaats- die Frauen in der Arbeitsmarktpartizipa- das Gesetz zwar unter Umständen die modell und seinen Sozialpolitiken trotz tion und damit in ihren sozialen Rechten Arbeitsmarktpartizipation von einzelnen zahlreicher Reformen nach wie vor eine beschneidet. Sie kommt letztlich zu dem gut verdienenden pflegenden Frauen (und vergeschlechtliche Arbeitsteilung zu Schluss, dass geschlechtergerechte Männern) verbessern, für den Großteil der Grunde liegt. Um das zu ändern, muss Sozialpolitik „de-familialisierend“ wirken pflegenden Frauen wird es jedoch keine Care-Arbeit als gesamtgesellschaftliche muss. Sie muss also so strukturiert sein, Entlastung von Care-Arbeit in häuslichen Aufgabe und nicht nur als sozialstaatlich dass Frauen* von familialer Care-Arbeit Pflegearrangements zur Folge haben. Die subventionierter Liebesdienst in der Fami- und die Familie als Ort der Daseinsvorsor- familialisierende Wirkung des Gesetzes lie gesehen werden. Und dazu sind leider ge entlastet werden. wird auch auf wohlfahrtsstaatlicher noch viele Aktionen und Equal Care Days Wie steht es heute, mehr als zwan- Ebene deutlich. Denn das Familienpfle- notwendig. zig Jahre nach Lewis’ Analyse, mit der gezeitgesetz hat zum Ziel, die (wesent- geschlechtergerechten Sozialpolitik in lich kostengünstigere) häusliche Pflege Deutschland? Betrachten wir doch exem- gegenüber der institutionellen Pflege zu plarisch das 2015 in Kraft getretene Fami- stärken. Damit delegiert es Care an die lienpflegezeitgesetz. Mit dem Anspruch, private, häusliche Sphäre und verstärkt Sabrina Schmitt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf eine vergeschlechtlichte Arbeitstei- Frauenakademie München zu verbessern, schafft das Gesetz einen lung im Wohlfahrtsstaat, die Care als wissensch. Mitarbeiterin Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit. Aufgabe der Familie und nicht der öffent- ForGenderCare OV Haidhausen Auf dessen Grundlage können Beschäf- lichen Daseinsvorsorge versteht. 16 GRETA 04.2016
Weg mit dem Dreck? SEXISTISCHE GEWALTPHANTASIEN WERDEN IM NETZ ALLTÄGLICH. WIE SOLLEN WIR DAMIT UMGEHEN? Von Margarete Bause S oll man darüber reden oder es und dem politisch entgegenzutreten. Das den krassesten Fällen Anzeige erstattet. einfach ignorieren? Soll man sich ist gut so! Denn Hatespeech ist nicht nur Aber was macht das mit Frauen, was über den Hass öffentlich empö- ein individueller Angriff auf eine einzelne macht das mit mir? Der erste Impuls ist: ren oder ihn abgebrüht an sich Person, sondern ein Anschlag auf unsere Ekel. Der zweite: Weg mit dem Dreck, abtropfen lassen? Das sind Fragen, die Grundwerte und unsere Demokratie. sofort löschen, ignorieren, keine Zeit sich im Moment viele stellen. Soll man Claudia Roth ist gegen die übelsten Ver- und Energie darauf verschwenden. Aber der Hatespeech im Netz durch öffentliche hetzungen vor Gericht gegangen, Katrin das Gift ist in der Welt und lässt sich Skandalisierung eine noch größere Auf- Göring-Eckardt hat in einem vielbeach- nicht so einfach ungeschehen machen. teten Video einiges von dem Müll, der sie Deshalb ist meine Strategie mittlerweile: täglich erreicht, vorgelesen und deutlich Ich akzeptiere den Ekel und schaue mir Ich akzeptiere gemacht, dass sie sich davon nicht ein- schüchtern lässt. Gerade bei Frauen – und darauf den Ekelerreger genau an. Gezielt gehe ich auf die Seite des Verfassers, sehe mir sein Profil an, informiere mich über seine den Ekel und kommt es mir hier an – kommt noch eine weitere, besonders widerwärtige Dimen- Person, seine Posts, seine Bildsprache. Aus dem anonymen virtuellen Angreifer schaue mir den sion dazu: hier toben sich die Giftspritzer mit ihren sexuellen Gewaltphantasien wird so ein realer Mann. Gegen diesen Mann kann frau vorgehen: ihn outen, ihn Ekelerreger aus. Jede von uns, die in der Öffentlichkeit blockieren, ihn anzeigen. Und dabei fällt steht, kann zuhauf Beispiele nennen. Ei- auf: Meist tauchen dieselben Namen und nige Einblicke von meiner Facebookseite: Gesichter auf, es sind gar nicht so viele genau an „Hoffentlich erfährt die Dame auch mal eine schöne Massenvergewaltigung von und sie sind nicht anonym. Mein Fazit: Wir Frauen sollten über diesem Pack. Das Problem ist nur, diese sexistische Hass-Attacken offen und merksamkeit und Bühne geben? Tut man Gutmenschen sind so hässlich, da geht selbstbewusst sprechen, wir sollten sie den Hetzern damit vielleicht noch einen keiner bei …“ schreibt ein Marc Warne- nicht ignorieren oder verschweigen. Am Gefallen? Oder gibt man die übelsten Dro- cke. Ein Herbert Wiese postet ein Video, besten ist es mit wachem Auge zu agieren hungen und Beleidigungen an die Polizei in dem eine halbnackte Frau von einem – dann kann man auch besser kämpfen! weiter, löscht sie und schweigt ansonsten Mann ausgepeitscht wird. Und das: „Die über den ekelhaften Dreck, der sich auf sollte auf ein Drehkreuz und geöffnet der eigenen Facebookseite ergießt? werden. So eine friegide kuh.“ (Recht- Mittlerweile entscheiden sich immer schreibfehler im Original). Rene Balzer, mehr Leute dafür, offensiv mit den der Verfasser dieser infamen Gewaltphan- Margarete Bause Attacken umzugehen und machen die Ge- tasie, posiert auf seinem Profilbild mit Fraktionsvorsitzende Landtag waltphantasien und Morddrohungen im einer Maschinenpistole. Klar – das wird Mitglied der Richter- Netz publik, um so über das Ausmaß der alles sofort gelöscht, vorher als Beweis Wahl-Kommission OV Schwabing Enthemmung und Verrohung aufzuklären gesichert, der Verfasser blockiert und in SCHWERPUNKT FEMINISMUS UND EMANZIPATION 17 FEMINISMUS UND EMANZIPATION
NACHGEFRAGT Doris Wagner, MdB, Udo Philipp, Peter Heilrath, Verteidigungsausschuss: Rentenkommission des Filmproduzent: 15 Jahre Frauen in der Bundesvorstandes: Gleichberechtigung im Bundeswehr: Frauen und Rente: Filmgeschäft: Warum füh- Gleichstellung erreicht? Im Alter Almosen? ren Frauen selten Regie? D F R urch den Schlamm robben und ast zwei Drittel aller heute berufs- egisseurinnen haben es tatsäch- Panzer fahren? Das ist doch tätigen Frauen werden eine Rente lich bisher schwerer als Regisseu- nichts für Frauen! So will es das unter 700 Euro beziehen. Armut re, sich am Markt durchzusetzen. traditionelle Rollenbild. Und tat- im Alter ist vorprogrammiert. Es ist nicht so einfach zu sagen, sächlich: Auch 15 Jahre nach der Öffnung Kein Industrieland hat ein so niedriges wieso das so ist, aber wenn man sich die der Bundeswehr für Frauen liegt der Rentenniveau wie wir. Im Durchschnitt Zahlen ansieht, kann man eine systema- Anteil der Soldatinnen am militärischen der OECD ist die Rente um 73% höher als tische Benachteiligung nicht leugnen. Personal nur bei knapp elf Prozent – ohne bei uns. Nur wer 45 Jahre lang mehr als Die ist sicher nicht programmatisch, aber den Sanitätsdienst wären es sogar nur 1.800 Euro brutto verdient, kann im Alter mindestens unbewusst. Während an sieben. Die Zahl der Frauen, die derzeit der Sozialhilfe entkommen. den Filmhochschulen in Deutschland 42 den Rang einer Generalin bekleiden, lässt Frauen sind doppelt betroffen: Sie Prozent der Regieabsolvent*innen Frauen sich an genau zwei Fingern abzählen. verdienen viel weniger und können meist sind, gingen in den letzten zehn Jahren Der Hauptgrund für diese mäßige nicht 45 Jahre lang arbeiten. Kein Prob- nur 15 Prozent der Fernsehregieaufträge Bilanz besteht in der noch immer sehr lem, sagt die Bundesregierung. Die meis- an Regisseurinnen. Bei der ARD hat man männlich geprägten Kultur der Bundes- ten Frauen sind schließlich verheiratet. das Problem schon erkannt, das ZDF, bei wehr: Die Leistung von Frauen wird oft Außerdem gibt es die Grundsicherung im dem einige Sendeplätze eine regelrecht nicht anerkannt. Beurteilungen, Beförde- Alter. Ein vornehmes Wort für Sozialhilfe. frauenfreie Zone sind, tut sich da beson- rungen, ja selbst die Bekleidung orientie- Frauen sollen trotz beträchtlicher Lebens- ders schwer. Viele Frauen können noch im ren sich – zumindest inoffiziell – häufig leistungen (Job, Kinder, Alterspflege) von beschützten Umfeld des Debütfilms ihre an der Beschaffenheit des männlichen Almosen leben? Ein Schande! ersten Projekte realisieren. Wenn dann Körpers. Teilzeitarbeit bedeutet meist Die Rente muss Frauen ermöglichen, aber die Budgets steigen, werden ihnen das Aus für die Karriere. Sexismus im im Alter auf eigenen Füßen zu stehen. Wir Chancen oft verwehrt. Ich bin normaler- täglichen Umgang bleibt ein Problem. müssen daher das Rentenniveau für Ge- weise sehr vorsichtig mit Quoten, aber Konkrete Zielvereinbarungen für Frauen ringverdiener*innen gezielt anheben, so als Impuls, um verharzte Strukturen zu in Führungspositionen, ein Mentor*in- dass jede Frau, die den größten Teil ihres durchbrechen, können sie auf jeden Fall nenprogramm und familienfreundlichere Lebens gearbeitet, Kinder erzogen oder helfen – und das sollte hier der Fall sein. Arbeitsbedingungen sollen dies nun än- andere Menschen gepflegt hat, im Alter Insbesondere glaube ich auch an den not- dern und mehr Frauen für die Streitkräfte eine ausreichende Rente bekommt. Ohne wendigen Effekt auf die Erzählkultur: Der begeistern. Aus der Frauenforschung Bedürftigkeitsprüfung und ohne Konfis- Blick auf Geschichten sollte die sozialen wissen wir aber: Geschlechtergerecht zierung privater Ersparnisse. Für Verheira- Strukturen eines Landes wiederspiegeln wird ein Unternehmen oder eine Organi- tete sollten die Rentenansprüche addiert können. Deswegen unterstütze ich die sation erst, wenn der Anteil der Frauen an und jeweils zur Hälfte an die Ehepartner Initiative „Pro Quote Regie“ in der sich der Belegschaft mindestens 30 Prozent ausgezahlt werden, damit Frauen im Alter Filmemacherinnen zusammengeschlos- erreicht. Bis dahin ist es noch ein weiter nicht ihren Ehemann um ein Taschengeld sen haben. Weg. bitten müssen. 18 GRETA 04.2016
Veranstaltungen Februar 2016 Zwischen Orient Der frühere israelische Premierminister Ehud Barak Mit: bezeichnete den Staat Israel einst als „Villa im Prof. Dr. Johannes Becke und Okzident Dschungel“ – aber seit der Gründung des Staates Ben-Gurion-Lehrstuhl für Israel- und Nahoststudien Wohin geht die durch aschkenasische Juden hat sich Israel in vieler- Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg israelische Gesellschaft? lei Hinsicht an seine Nachbarstaaten angepasst: Das orientalische Judentum gewinnt kulturell wie politisch an Einfluss, Religion und Staat scheinen zunehmend — Montag, 04.04.16, 19.00 Uhr verflochten. Der Vortrag diskutiert die unterschiedli- — München Herzog-Wilhelm-Str. 24 chen Einflüsse auf die israelische Gesellschaft sowie — 8,- Euro/ erm. 7,- Euro ihre Auswirkungen auf die mögliche Erneuerung eines regionalen Friedensprozesses. Die EU im Palästina erhält so hohe Summen an Hilfsgeldern wie Mit: kaum eine andere Region der Welt. Ihr Zweck: Hilfe Rudolf Rogg Nahostkonflikt beim Aufbau eines unabhängigen Staates. Doch ein ehem. Leiter der Gesellschaft für internationale Was kann internationale Zusammenar- Staat Palästina ist ferner denn je, und die Situation in Zusammenarbeit in Ramallah, seit Oktober 2015 beit nach dem Scheitern der bisherigen den besetzten Gebieten spitzt sich katastrophal zu. in der Eschborner GIZ-Zentrale Friedensbemühungen (noch) bewirken? Die EU und ihre Mitgliedsländer engagieren sich mit hohen finanziellen Beiträgen. Was ist der Effekt? Rudolf Rogg war sieben Jahre lang Leiter der Ge- — Mittwoch, 06.04.16, 19.00 Uhr sellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in — München, Herzog-Wilhelm-Str. 24 Ramallah und hat die Prozesse vor Ort mitverfolgt. — 8,- Euro/ erm. 7,- Euro Welche Einschätzung hat er heute? Welche Pro- grammansätze werden angesichts der erodierenden Gesamtsituation verfolgt? Der Kampf um Strom Die Energiewende will nicht so richtig in Gang Mit: kommen, denn Atomausstieg allein reicht nicht. Seit Prof. Dr. Claudia Kemfert Die wirtschaftlichen Chancen einer Angela Merkel mit der »Energiewende« den Turbo Energieökonomin, Leiterin der Abteilung Energie, klugen Energiewende ein- und die Atomkraftwerke ausschaltete, herrscht Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für in puncto Energieversorgung Chaos. Das Erneuer- Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, Autorin von bare-Energien-Gesetz soll erst abgeschafft werden, Kampf um Strom. Mythen Macht und Monopole — Donnerstag, 07.04.16, 19.00 Uhr dann wieder nicht, Offshore-Windparks werden — München, Herzog-Wilhelm-Str. 24 mit viel Wind gestartet, dann gestoppt. Stromnetze Moderation: — 8,- Euro/ erm. 7,- Euro werden geplant, aber nicht gebaut. Lobbyisten unter- Jutta Höcht-Stöhr schiedlichster Herkunft beherrschen die Diskussion. Leiterin der Evangelischen Stadtakademie Doch die Zeit drängt. Wie könnte die Energiewende München und in Deutschland wieder Fahrt aufnehmen? Dr. Manuel Schneider oekom e.V. und Münchner Forum Nachhaltigkeit Klimaflucht Stärker als die derzeitigen regionalen Kriege und Mit: Konflikte wird in Zukunft der Klimawandel ganze Dr. Hermann E. Ott Länder und Regionen unbewohnbar machen. Senior Adviser globale Nachhaltigkeits- und Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass in Wohlfahrtsstrategien, Wuppertal Institut für Klima, — Donnerstag, 28.04.16, 19.00 Uhr den nächsten Jahrzehnten 250 bis 300 Millionen Umwelt, Energie — München, Orange-Bar, Klimaflüchtlinge aus ihrer Heimat vertrieben werden. Zirkus-Krone-Str.10, 6. Stock Welche Szenarien gibt es heute? Hat der Klimagip- — Eintritt frei fel in Paris Entscheidendes daran geändert? Oder braucht es neue Verfahren und neue diplomatische Initiativen, um die Pioniere einer effektiven Klimapoli- tik zusammen zu bringen? Petra Kelly Stiftung, Reichenbachstraße 3a, 80469 München, Tel: 089/ 24 2 67 30 info@petra-kelly-stiftung.de, www.petrakellystiftung.de
BERICHT AUS DEM STADTRAT Von Markus Viellvoye Neue Mobilität: Schluss mit Privilegien für Autos Eine Synthese der Planungen von Wohn- raum und Mobilität war der Inhalt eines Pressegesprächs, zu dem Paul Bickelba- cher und Herbert Danner Anfang Februar eingeladen hatten. Neben großräumigen Mobilitätskonzepten, die den Autoverkehr nicht mehr in der gewohnten Weise privi- legieren, präsentierten die grünen Stadt- räte vor allem eine Neubewertung des Stellplatzbedarfs und eine mutige Reform der Stellplatzsatzung, wodurch Flächen und Gelder frei werden können – beides äußerst knappe und wertvolle Güter für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums in München. „Alle Investitionen für eine Stadt der einen höherem Anteil autoreduzierten werden (etwa für die vertraglich geregelte kurzen Wege und einen guten Umwelt- beziehungsweise autofreien Wohnens zu Nutzung von ÖPNV-Zeitkarten oder den verbund sind gute Investitionen in den generieren. Kauf von Lastenrädern oder E-Bikes) – Klimaschutz und die Lebensqualität – Der zweite Schwerpunkt der Anträge anstatt wie bisher in einen anonymen denn die besten Klimaschutzmaßnahmen lag auf der Reduzierung von Stellplätzen Topf zu wandern, der irgendwo in der bleiben Stückwerk, wenn die Bewohner und damit einhergehender Flächen- bzw. Region ausgegeben wird. lange Wege mit dem Auto zurücklegen Kostenersparnis. Paul Bickelbacher: „Die Außerdem sollen in großen städti- müssen,“ beschreibt Herbert Danner die Münchner Stellplatzsatzung ist nicht schen Siedlungsgebieten die erforder- Zielrichtung eines achtteiligen Antrags- mehr zeitgemäß. Sie treibt die Baukosten lichen Stellplätze zukünftig in Gemein- pakets, das bei diesem Anlass vorgestellt in die Höhe und produziert Stellplätze, die schafts-Tiefgaragen errichtet werden wurde. niemand braucht. Das wird insbesondere – womöglich betrieben von der Park&Ri- Um in neu geplanten Baugebieten die beim Bau von gefördertem Wohnen deut- de-GmbH. Voraussetzungen für eine zukunftsfähige lich, dessen Bewohner sich keineswegs Mobilität zu schaffen, setzen die Grünen alle ein Auto leisten wollen oder können. auf umfassende Mobilitätskonzepte. Bis- Nicht umsonst klagen auch die städti- her wird in den Bebauungsplänen meist schen Wohnungsbaugesellschaften über Ereignisse von Köln, Kon- der unbefriedigende Status Quo im Viertel den Zwang, grundsätzlich für jede Woh- sequenzen in München im Wesentlichen fortgeschrieben. „Sind nung einen Stellplatz bauen zu müssen. die nächsten Knoten noch leistungsfä- Bis zu 50 Prozent Leerstand findet man in Durch die Berichterstattung zu den hig?“ und „braucht es einen zusätzlichen den Tiefgaragen der GWG und Gewofag. sexuellen Übergriffen in der Silvester- Bus?“ – das sind meist die wesentlichen Dieses nutzlos investierte Geld fehlt bei nacht in Köln und in anderen deutschen Fragen, die beantwortet werden. Nötig Sanierung und Neubau von Wohnungen. Städten hat das Thema „Gleichstellung“ wäre es aber, Ziele zu einem möglichen Wir Grüne haben daher beantragt, in der öffentlichen Debatte plötzlich eine umweltverträglichen Modal-Split zu die Stellplatzsatzung so zu überarbeiten, ungeahnte Konjunktur erlangt – beför- formulieren, die Maßnahmen an neuen dass Stellplätze entweder gar nicht oder dert vor allem von Protagonisten, die Mobilitätszielen zu orientieren und auch in deutlich reduzierter Anzahl gebaut wer- bisher nicht gerade als Vorkämpfer für die umliegenden Quartiere mit einzube- den müssen, wenn Mobilitätskonzepte die Rechte der Frauen aufgefallen sind. ziehen. Die Mobilitätskonzepte haben vorliegen. Die erforderliche Stellplatzab- Frauen wurden hemmungslos instru- das Ziel, die Nahmobilität zu fördern, den löse muss dabei zweckgebunden vor Ort mentalisiert, um altbekannte Vorurteile öffentlichen Nahverkehr zu verbessern, für nachhaltige Mobilitätsoptionen der gegen Menschen anderer Herkunft und Mobilitätsstationen einzurichten und Bewohnerinnen und Bewohner eingesetzt anderer Hautfarbe zu bekräftigen. Dass 20 GRETA 04.2016
die öffentliche Aufmerksamkeit sich auf sowohl die Frauenhäuser als auch die Diese Institution wurde auch nach dem „Sex-Gangster“ oder einen „Sex-Mob“ spezifischen Münchner Präventionsange- Zweiten Weltkrieg in Form der sogenann- konzentriert, verschleiert und verharmlost bote dem Bedarf entsprechend auszubau- ten Landfahrerstelle weitergeführt, bis sie das Ausmaß der sexuellen Gewalt in un- en und auszustatten. Dazu gehört auch erst 1970 wegen Grundgesetzwidrigkeit serer Gesellschaft. Die weit überwiegende eine umfassende Aufklärungsarbeit in aufgelöst wurde. Zahl einschlägiger Verbrechen findet im den Schulen, in den Integrationskursen häuslichen Kontext statt. Sexuelle Gewalt und den Flüchtlingsunterkünften. Auch an Frauen ist alltäglich in Deutschland. im Münchner Nachtleben und insbeson- Interfraktioneller Antrag: Sicherlich: Es wäre ein Fehler, die Augen dere auf der Wiesn besteht Handlungs- Münchner Lesbenzentrum davor zu verschließen, dass Menschen bedarf, Aufklärungs- und Schutzmaßnah- aus bestimmten soziokulturellen Prä- men sind deutlich zu verstärken. Darüber Vor rund zehn Jahren haben Lydia Dietrich gungen ihrer Herkunftsgesellschaften hinaus braucht auch die Stadt München und Thomas Niederbühl damit begonnen, sexistische Frauenbilder und patriarchale ein Konzept, wie sexistische Werbung im sich für ein öffentlich gefördertes Lesben- Verhaltensmuster mitbringen. Dennoch öffentlichen Raum unterbunden werden zentrum einzusetzen. Anfangs fanden sie ist Gewalt gegen Frauen als gesamtge- kann – wenigstens den schlimmsten kaum Gehör, doch Schritt für Schritt wur- sellschaftliches Phänomen zu begreifen Entgleisungen, die nicht auch noch mit den die Widerstände überwunden und – daraus sind die notwendigen Schlüsse öffentlichen Aufträgen belohnt werden nun gibt es einen fraktionsübergreifenden zu ziehen. dürfen! Konsens: In einem gemeinsamen Antrag Neben der nur auf Bundesebene forderten CSU, SPD, Die Grünen – rosa zu verwirklichenden Reform des Straf- liste, ÖDP/Linke und FTB die Einrich- rechts hat auch die Kommunalpolitik der sexuellen Gewalt gegen Frauen und den Ein Denkmal für Sinti und tung eines Lesbenzentrums, mit dessen ihr zugrunde liegenden Einstellungen ent- Roma in München Konzeption das Sozialreferat beauftragt werden soll. Lydia Dietrich: „In München fehlte bis- In München soll ein Denkmal zur Erinne- her eine Begegnungsstätte für lesbische rung an Geschichte und Verfolgung der Sinti und Sinti und Roma in München entstehen. Fraktionsvorsitzender Florian Roth hat Frauen, die nach wie vor massiv von Dis- kriminierung und Ausgrenzungen betrof- fen sind. Lesbisches Leben in München Roma waren dazu einen Wettbewerb für ein Kunst- werk im öffentlichen Raum beantragt. ist kaum sichtbar, daher ist es wichtig, dass lesbische Frauen einen Ort haben, in München Auch einen passenden Ort gibt es schon: an dem sie sich austauschen, beraten und Den Sinti-Roma-Platz im Stadtbezirk gegenseitig unterstützen können.“ Schwanthalerhöhe, wo der Bezirksaus- jahrhundertelang Thomas Niederbühl: „Gerade das schuss sich bereits mehrmals einstimmig Sub-Schwulenzentrum zeigt, wie eine für ein solches Denkmal ausgesprochen zentrale Verknüpfung von psychosozi- Opfer hat. Die Schwanthalerhöhe hat einen alen Projekten, Selbsthilfe, Kultur und engen Bezug zu dieser Volksgruppe, Kommunikation die schwule Szene stärkt denn viele alteingesessene Münchner und die Stadt bereichert. In der lesbischen Sintifamilien waren auf dem ehemaligen Community bestand da für mich immer Pferdemarkt am Lindengarten in der eine Lücke, die jetzt endlich geschlos- Kazmairstraße oder in verschiedenen sen wird. Damit setzt eine Mehrheit im gegenwirken. Ein von Lydia Dietrich und Funktionen auf dem Oktoberfest tätig. Stadtrat ein deutliches Zeichen, lesbische Dominik Krause erarbeitetes Antragspa- Sinti und Roma waren in München Bürgerinnen gleich zu behandeln.“ ket benennt einige Handlungsfelder: Opfer einer langen Verfolgungsgeschich- München hat zwar ein breites Ange- te, die nicht erst mit der NS-Gewaltherr- bot an Präventions- und Hilfsmaßnah- schaft begann – und auch nicht mit ihr men. Doch die Wartelisten für einen Platz endete. In München wurde bereits 1899 IMPRESSUM im Frauenhaus zeigen, dass das Angebot in der Polizeizentrale der reichsweit erste Herausgegeben von der Stadtratsfraktion den tatsächlichen Bedarf nicht decken ‚Nachrichtendienst für die Sicherheits- Bündnis 90/Die Grünen – rosa liste kann. Daher ist es dringend an der Zeit, polizei in Bezug auf Zigeuner‘ gegründet. gruene-fraktion-muenchen.de 21
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