Komplizen D er Raiffeisen-Hauptsitz in Zürich ist
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TITEL RAIFFEISEN Die omplizen K Zwanzig Jahre arbeiten sie eng zusammen: Pierin Vincenz im Licht, Beat Stocker im Schatten. Wer ist der Mann, von dem sich der hochfliegende Banker in den Abgrund ziehen liess? von DIRK SCHÜTZ D er Raiffeisen-Hauptsitz in Zürich ist Doch für den Chef war die Diskretion nicht gross genug. Pierin Fotos: Sophie Stieger / 13 Photo, Markus Lamprecht, Montage BILANZ ein schmuckes Gebäude. Edle Vincenz betrieb seine Zürich-Geschäfte lieber 500 Meter entfernt Kunststeinfassade, das Erdge- in einem Herrschaftsgebäude schräg gegenüber vom Kunsthaus. schoss verglast, denkmalgeschützt. «Ich habe da noch so ein kleines Büro», sagte er zu Geschäftspart- Auch die Lage könnte kaum besser nern oft. Auch als er BILANZ im Februar 2015 zu einer grossen sein: Limmatquai 68, weit genug Story empfing, lud er in das barocke Wohnhaus aus dem 18. Jahr- weg von der elitären Bahnhof hundert, das sich vornehm «Vorderer Florhof» nennt. Die In strasse, doch trotzdem zentrums- struktion: «Einfach bei Fides Business Partner läuten.» nah – perfekt für eine Genossen- Es war die Firma von Beat Stocker. schaftsbank, die sich gern volksnah Beat who? Bis zum 28. Februar kannte kaum jemand den gibt. Die letzte Renovation vor 15 Mann aus Bolligen vor den Toren Berns, den eine Männerfreund- Jahren hatte vor allem ein Ziel: Die schaft der ganz speziellen Art mit dem grossen Pierin Vincenz Diskretion zu erhöhen. «In räum- verband. Doch seit die Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsde- lich sorgfältig differenzierten Stu- likte des Kantons Zürich die beiden Männer im prominentesten fen der Diskretion werden unterschiedliche Beratungsmöglich- Kriminalfall der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte keiten angeboten», preisen die Baumeister in klingender wegen «ungetreuer Geschäftsbesorgung» verhaftet hat, taucht DUO FATALE Eine Männerfreundschaft, die in der Untersuchungshaft endete: Der langjährige Architektenprosa ihr Neukonzept an. Stockers Name überall auf. Gemeinsam sitzen sie im Polizei • Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (l.) und sein engster Vertrauter Beat Stocker. 34 BILANZ 04 | 2018 04 | 2018 BILANZ 35
RAIFFEISEN TITEL Was die beiden verband, war selbst langjährigen Weggefährten ein Rätsel: Sie waren wie Zwillingsbrüder – ganz eng verschweisst. stellt hatte und sich jetzt als Zudiener der Staatsanwaltschaft in Derivatetochter O’Connor ersannen junge Finanzakrobaten un- ungewohnter Juniorrolle wiederfindet. Und schliesslich die ge- durchschaubare Produkte und strichen dafür satte Millionen samte Wirtschaft: Der umgängliche Raiffeisen-Vormann, der sym- saläre ein. Da, so gab er freimütig zu, habe er eingesehen, dass er pathische Gegenpol zu den Grossbanken-Kassierern, als Nimmer- nicht zum grossen Investment Banker taugte. Doch zu Hause in satt und Abzocker? Auch du, Pierin? Verheerend. der Schweiz, wo er 1996 bei der Raiffeisen einstieg, da wollte er Was Vincenz und Stocker verband, war selbst langjährigen schon das grosse Rad drehen – und gut verdienen. «Geld ist ein Weggefährten ein Rätsel. «Wie Zwillingsbrüder» seien sie gewesen, Faktor, den es braucht, um den Ehrgeiz zu unterstützen», sagte er «ganz eng verschweisst». Wer in all den Jahren auch nur leichte 2006 zu BILANZ. Im Vergleich zu seinem Ex-Chef Marcel Ospel Kritik an Stocker anbrachte, fand bei Vincenz nie Gehör. «Er war musste er jedoch darben: Der bezog damals 26 Millionen. Vincenz klar sein bester Freund», sagt ein Vincenz-Vertrauter. Und Stocker kam auf kaum mehr als drei, 2010 musste er nach öffentlichen spielte das auch aus: «Er liess keinen Zweifel, dass er ganz eng bei Protesten sogar eine Deckelung auf zwei Millionen schlucken. Vincenz sei», erinnert sich ein hochrangiger Vertreter aus der Das nagte. TATORT: Gruppe. Für die Vincenz-Entourage ist klar, dass Stocker die Pläne ersann: «Vincenz hatte zu viele andere Sachen zu tun.» Ob das AUFBAUER FRUITHOF ZUM VORDEREN mehr als eine Schutzbehauptung für den gefallenen Freund ist, Getroffen hatten sich die beiden Männer erstmals Ende der neun- FLORHOF untersucht jetzt der zuständige Staatsanwalt Marc Jean-Richard- ziger Jahre. Das Kreditkartengeschäft war so attraktiv geworden, In dem noblen Wohnhaus aus dit-Bressel. Wenn er dem Duo persönliche Bereicherung nachwei- dass die Grossbanken es selbst betreiben wollten und aus dem dem 18. Jahrhundert am Z ürcher sen kann, stehen darauf laut Artikel 158 Strafgesetzbuch bis zu fünf dama ligen Bankengemeinschaftswerk Telekurs ausbrachen. Hirschengraben hatte die Fides Jahre Haft. Und die Verurteilten müssen den Schaden begleichen – Plötzlich standen die anderen Banken – Raiffeisen, Kantonalban- Business Partner von Beat Stocker offenbar der Hauptgrund für die drastische Kontensperrung nicht ken, Migros – allein da. Es war ein junger Banker namens Barend (links, als Gast beim World Web Forum) ihren Sitz – Pierin Vincenz nur bei Vincenz selbst, sondern auch bei seiner Frau und den zwei Fruithof, damals für die ZKB tätig, später bei CS und Bär und richtete sich dort ein Büro ein und Töchtern. Die Fallhöhe ist riesig. Der öffentliche Pranger auch. heute Chef des Traktorenbauers Aebi Schmidt, der in ihrem Auf- liess sich fotografieren. Da bleibt die Frage: Wie konnte sich ein so erfahrener Wirt- trag die neue Viseca (für Visa und Eurocard) aufbaute. Fruithof schaftsführer in eine derartige Horrorsituation manövrieren? Ist suchte einen Berater, und er war beeindruckt von Stocker, der der Mann, der gern Schauspieler geworden wäre, ein Banker mit bereits für Telekurs gearbeitet hatte. Am 27. Dezember 1999 Fotos: Sophie Stieger / 13 Photo (1), Markus Lamprecht (1), Dominic Büttner (1), Keystone (2) doppeltem Gesicht? Limiten testete er immer gern aus, etwa wurde die neue Kartenfirma ins Handelsregister eingetragen. • gefängnis im wenig mondänen Zürcher Kreis 4, nur wenige Dealmaker, von Bekannten wahlweise als «extrem clever», wenn er seine gesamte Kollegenkaste vor den Kopf stiess, indem Erster VR-Präsident war Pierin Vincenz, der gerade drei Monate Meter voneinander entfernt, aber ohne Kontakt. Für beide gilt: «streetsmart» oder «gerissen» beschrieben. Draufgängertyp mit er erst im Vorstand der Bankiervereinigung den Beschluss zur zuvor den Raiffeisen-Chefsessel erklommen hatte. Das Kontroll- Isolationshaft in einer Zehn-Quadratmeter-Einzelzelle. Eine Dreitagebart, der schon mal mit Cowboy-Stiefeln in VR-Sitzungen Verteidigung des Bankgeheimnisses mittrug, gremium zählte sechs Banker von den Stunde Freigang auf dem Hof, zweimal duschen pro Woche, dazu stolzierte und sich seine Haare in den letzten Jahren immer länger dann kurz danach öffentlich dagegen schoss. Eignerbanken – und einen Berater: die Verhöre, bei denen die Ermittler die Komplizen gegeneinan- stehen liess. Hochpreisige Karossen, grosse Villen, in zweiter Ehe Den Hahnenkampf mit Nationalbank und Beat Stocker. «Das war schon ko- der auszuspielen versuchen. Beugehaft im wörtlichen Sinn – für verheiratet mit einer alleinerziehenden Frau, die er an einer Finma, notabene seine Aufseher, zelebrierte misch», erinnert sich ein damali- den 58-jährigen Stocker besonders zermürbend: Er soll unter Tankstelle sah, wo er sich ihr Kennzeichen notierte, wie er nicht er genüsslich. «Schub geben» lautete sein ges VR-Mitglied. «Der war einfach Multipler Sklerose leiden, wie mehrere Quellen berichten. ohne Stolz erzählte. Freigeist, kinderlos, Einzelgänger. Lieblingsausdruck, und er galt für alle Le- da – Vincenz wollte ihn.» Es ist das vorläufige Finale eines Duos, das sich fast kongenial bensbereiche. Prägend war für den Bünd- Der Zürcher hatte nach ergänzte: Hier der strahlende Volksbanker Vincenz, der in GELD FÜR DEN EHRGEIZ ner, aufgewachsen in Chur und bestückt BWL-Studium bei dem 15 Jahren an der Raiffeisen-Spitze aus dem verschlafenen Genos- Sie sind die Hauptdarsteller eines Dramas, das bislang nur Verlie- mit Lizenziat und Doktorat von der Arbeitsvermittler Adia, senschaftsverbund die drittgrösste Bankengruppe des Landes rer kennt: An erster Stelle die Komplizen selbst, deren Geschäfte HSG, die Zeit beim Bankverein in Chi- der Vorgängerfirma formte und sogar in der härtesten Disziplin, dem sauberen Ab- in jedem Fall anstössig sind, auch wenn die Strafbarkeit schwierig cago Ende der achtziger Jahre: Bei der von Adecco, als Mar- gang, brilliert zu haben schien. Und das mit einer heftigen Lust am nachzuweisen sein wird. Dann die betroffenen Firmen: Raiffeisen keting-Manager be- grossen Auftritt und an der scharfen Provokation, was ihm in dem mit ihrem in die Enge getriebenen Noch-Chef Patrik Gisel, der gonnen und dort in kleinräumigen Land zwangsläufig viele Gegner bescherte, die der 15 Jahre in der Konzernleitung Teil des Systems Vincenz war. Und DIE RAIFFEISEN-CONNECTION Biel Eva Bosshardt ken- Am Anschlag: Vincenz-Nachfolger sinnenfreudige Bergler mit viel Wein und sympathischem Bünd- die Zahlungsverkehr-Firma Aduno, die mit ihrer Anzeige kurz vor nen gelernt. Das Paar hei- Patrik Gisel (M.), VR-Präsident Pascal ner Dialekt («bei den Frauen schon ein kleiner Vorteil») weglachte. Weihnachten das Strafverfahren ins Rollen brachte, damit aber Gantenbein (l.), Vorgänger Johannes ratete und machte sich 1993 Dort der klassische Schattenmann mit dem Allerweltsnamen: unangenehme Fragen bei sich selbst provoziert. Als Verlierer Rüegg-Stürm. in Merzligen bei Biel mit der • Stets im Hintergrund, unabhängig, serieller Firmengründer und steht auch die Finma da, die das Verfahren gegen Vincenz einge- 36 BILANZ 04 | 2018 04 | 2018 BILANZ 37
RAIFFEISEN TITEL So rückte das Duo immer enger zusammen. Stocker war klar der Und damit begann das Drama: Der Commtrain-Deal ist der starke Mann im Viseca-Verwaltungsrat, mandatiert von Vincenz. Auslöser für die Strafanzeige, die Aduno am 21. Dezember bei der Fruithof stimmte die strategischen Schritte zuerst mit ihm ab, und Staatsanwaltschaft einreichte. Allerdings: Es gibt hier keine neuen als er nach drei Jahren Aufbauarbeit zur Raiffeisen wechselte, fuhr Fakten, sondern nur eine neue juristische Bewertung. Denn was Stocker sein Pensum bei Viseca auf mehr als 50 Prozent hoch und damals passierte, hat der Rechtsprofessor Peter Forstmoser 2009 trieb mit Fruithofs Nachfolger, dem Ex-Telekurs-Mann Roberto De in einem 37-seitigen Gutachten bestens dokumentiert, und Nando, die Expansion voran. V iseca war nur als Kartenemittent Aduno-VR-Präsident Pascal Niquille, der im letzten Jahr Vincenz tätig, es fehlten zwei wichtige Bausteine: Das händlerseitige Ab- beerbte, hatte bereits ein Jahr vor der Strafanzeige Einsicht in das wicklungsgeschäft – und die Terminals, also die Hardware. Das Gutachten, wie die «SonntagsZeitung» belegte – dass sich Niquille Händlergeschäft kaufte man von der Cornèr Bank in Lugano und da zunächst via PR-Berater als Aufklärer gerierte, überzeugte nannte es neu Aduno, später auch Namensgeber für die Gruppe. nicht wirklich. Vincenz gründete im Juni 2005 zusammen mit Beat Für die Terminals kam Vincenz mit einer interessanten Idee. Seit Stocker in Zug die I Finance Management AG, am 17. November 2000 sass er auch im Verwaltungsrat der Helvetia-Versicherung, wird das Finanzvehikel über eine Kapitalerhöhung 60-Prozent- Präsident dort war ein gewisser Hans Ulrich Baumberger aus Aktionär der Commtrain. Wohlgemerkt: Anfang 2005 zählte Herisau. Dessen Sohn Christian war einer von drei Gründern der Commtrain nur ein Dutzend Mitarbeiter und war defizitär. Der Commtrain Card Solutions, die Terminals produzierte. Das neue CEO De Nando hielt dann auch nicht viel von der Mini- HSG-Spin-off wurde Anfang 2002 ins Handelsregister firma, die in Wil am Bahnhof residierte: Er war gegen den eingetragen. Etwa ein Jahr später kreuzte Vincenz Kauf. Doch denn trat er nach weniger als zwei Jahren als erstmals mit Baumberger bei Viseca auf und brachte CEO ab. Jetzt hatten Vincenz und Stocker freie Bahn. Ge- die Firma als Kooperationspartner ins Spiel. nau 20 Tage nachdem sie zu Mehrheitsaktionären der Commtrain geworden waren, kürte Vincenz seinen Kom- plizen offi ziell zum CEO der Aduno-Gruppe. Einen JURISTISCHES FLORETT Rechtsprofessor Peter Forstmoser offenen Rekrutierungsprozess gab es nicht. ignorierte in seinem Gutachten Einige Verwaltungsräte forderten, dass den Schattenmann Stocker. Stocker zumindest den VR-Posten • DIE VILLEN ANZEIGE «Man lebt gern gut», lautete das Motto von Pierin Vincenz: Oben rechts seine Villa in Niederteufen, darunter das Ferienhaus in seinem Heimatort Andiast (Ausriss aus der «Schweizer Illustrierten»). Beat Stocker erstand seine Intrum setzt sich für Villa in Bolligen bei Bern im Jahr 2007, als das Geld aus dem Commtrain-Deal auf seinem Konto landete. Er besitzt in Bolligen noch eine zweite Villa, zusammen mit seiner zweiten Ehefrau. In Bolligen sind die Stockers wenig be- kannt – sie leben abgeschirmt. eine gesunde Wirtschaft • Stocker-Bosshardt Consulting AG selbständig. Stockers Chef bei Adia war ein gewisser Walter Lüthi, später Chef der Kochfirma als Generalsekretärin der Stiftung Pro Cavajone, Stocker ging in den Verwaltungsrat und führte die Exkursionen in das abgelegene ein – bei Unternehmen und allen Konsumenten Betty Bossi. Als serieller Unternehmensgründer und Projekt Örtchen, das lange ein Schmugglerhort war. manager war er Vorbild und Ziehvater von Stocker und versorgte Und wer war noch in Brusio? Pierin Vincenz. Er war Verwal- ihn mit Aufträgen. Später kamen auch Mandate aus dem IT- tungsrat des grössten Puschlaver Weinproduzenten Plozza, und Bereich wie Systor, Netcetera oder eben Telekurs hinzu. Es lief das mit einer pikanten Vorgeschichte: Sein Vater, der CVP-Stän- gut: Stocker war schnell, strategisch stark, ein guter Kommunika- derat und spätere Raiffeisen-Präsident Gion Clau Vincenz, hatte tor und kostete einiges weniger als die Branchenriesen McKinsey einst als Volg-Präsident beim Kauf des Weinguts eine Provision Als weltweit führendes Inkassounternehmen Fotos: Paolo Foschini (1), Ex-Press (1), Ausriss: SI oder BCG. von 500 000 Franken kassiert, was in dem Örtchen für grossen Aufruhr sorgte. Doch man hatte sich versöhnt, der Vater hatte bietet Intrum auch Bonitätsauskünfte und CONNECTION INS PUSCHLAV Lüthi war auch Präsident des Papierunternehmens Mühlebach im 300 000 Franken zurückbezahlt und später das Plozza-Präsidium übernommen. Nach seinem Tod war Pierin 1996 nachgerückt. Digital Services an. Mit Leidenschaft und dem Note aargauischen Lupfig und versah Stocker mit einem besonderen Mandat: Teambuilding für das Kader. Stocker entwickelte ein sehr Stockers Projekt fiel genau in die Zeit, in der ihn Vincenz in den Viseca-Verwaltungsrat rief. Ob es hier Absprachen gab, ist unklar. Fokus auf nachhaltige Lösungen entwickeln 5.1 von 6* spezielles Projekt: Entwicklungshilfe für das Puschlav, den süd- Bei seinem Auftraggeber erwähnte Stocker den Namen Vincenz wir uns weiter und setzen uns für Sie ein. lichsten Zipfel Graubündens. Zum 1000-Seelen-Örtchen Brusio nie. Als sicher darf jedoch gelten: Vincenz freute sich über die zählte hoch in den Bergen ein kleiner Weiler namens Cavajone, fremdfinanzierte Aufbauhilfe für seinen Wohlfühlort, zumal der der vom Aussterben bedroht war. Stockers Idee: Die Gründung Plozza-Clan in Cavajone die meisten Einwohner stellte. Darauf einer Stiftung zur Ansiedlung von Zuzüglern. Seine Frau amtete liess sich schon mal mit edlem Plozza-Rebgut anstossen. *Bewertung der Freundlichkeit unserer Beratung von 4 304 Konsumenten mit offenen Inkassofällen im Zeitraum vom 01.05.2017 – 31.12.2017 38 BILANZ 04 | 2018 intrum.ch
RAIFFEISEN TITEL Je 1,7 Millionen Franken strichen Vincenz und Stocker mit dem Commtrain-Deal ein. Stocker kaufte sich eine Villa, Vincenz ein Motorboot. Die bis dahin nicht beleuchtete Rolle Stockers ist dann auch ffengelegt haben, ist zwar ein absolutes No-Go, aber noch kein o überhaupt erst der Auslöser für das Strafverfahren. Denn dass die Straftatbestand: Das wird es erst durch eine nachgewiesene per- von Aduno nach der Bekanntgabe des Finma-Enforcement-Ver- sönliche Bereicherung. fahrens mandatierte Kanzlei Baumgartner Mächler genug Stoff für eine Strafanzeige sieht, hat vor allem einen Grund: Sie kann MILLIONEN FÜR BERATUNG offenbar beweisen, dass Stocker das Geschäft stark gepusht und Dass der Deal ein heisser Ritt war, muss den Komplizen spätestens den Preis in die Höhe getrieben hat. Damit wäre der Tatbestand zwei Jahre nach dem Verkauf klar geworden sein, als die «Sonn- der persönlichen Bereicherung erfüllt. tagsZeitung» 2009 zu dem Thema recherchierte. Vincenz liess UNTERSUCHUNGSHAFT Die Anwälte wollen so das Forstmoser-Gutachten aushebeln: daraufhin die Gutachten überhaupt erst erstellen, doch es kam zu IM KREIS 4 Es entlastet Vincenz nur, weil es ihn hinsichtlich des Kaufs als «völlig passiv» darstellt. Es gebe «keine Anhaltspunkte, dass er keinem Artikel. Ein Jahr später trat Stocker als Aduno-CEO zu- rück: Er wolle sich wieder mehr unternehmerischen Tätigkeiten Am 28. Februar wurden Beat Stocker und Pierin Vincenz ins aktiv auf den Verkauf einwirkte». Nur: Das musste er ja auch widmen, liess er verlauten. Eigentlich ein idealer Zeitpunkt, um Zürcher Polizeigefängnis im Kreis 4 eingeliefert: Zehn Quadrat meter Isolationszelle, zweimal duschen pro Woche, eine Stunde nicht, wenn es Stocker tat. Dass der CEO die andere Hälfte der die Zusammenarbeit zu beenden. Doch das Gegenteil war der Freigang auf dem Hof. Die Urlaubszeiten sind da in weiter Ferne: Mehrheitsbeteiligung hielt, wird in dem Gutachten jedoch nicht Fall: Sie wurde noch enger. Der Commtrain-Deal wirkte wie eine Beat Stocker beim Sonnenbaden, Pierin Vincenz auf seinem thematisiert. Es war ja nicht Teil von Forstmosers Aufgabenstel- Ursünde, die sie noch fester zusammenschweisste. Für Vincenz Cranchi-Boot, das er sich im Jahr der Commtrain-Übernahme gönnte lung, denn die lautete, «das Verhalten von Herrn Vincenz auf war das Risiko grösser: Nach Ausbruch der Finanzkrise positio- (Ausriss aus der «Schweizer Illustrierten»). Es liegt vor seinem Ferienhaus in Carabietta am Lago di Lugano. potentielle Interessenkonflikte zu überprüfen», wie Forstmoser nierte er sich als volkstümlicher Gegenpol zu den Grossbanken- gleich im ersten Satz festhält. Die Dynamik Stocker-Vincenz blen- Versagern. Wenn die Commtrain-Details ans Licht kämen, wäre det das Gutachten damit komplett aus: Nur durch diese sehr enge das für sein Image verheerend. Das wusste Stocker. Auslegung kann es Vincenz strafrechtlich exkulpieren – feinstes Um von der grossen Raiffeisen-Expansion unter Vincenz zu juristisches Florett. Vincenz belohnte Forstmoser 2012 mit dem profitieren, brauchte er eine Beratungsfirma mit grösserer Bug- VR-Präsidium bei der Raiffeisen-Beteiligung Leonteq, dotiert mit welle. Er gründete die Fides Business Partner, als Juniorpartner zuletzt 330 000 Franken. Die Staatsanwaltschaft folgt hier offen- war der heutige FCZ-Vizepräsident René Steiner an Bord. Ihr Büro sichtlich der Argumentation der Aduno-Anwälte, sonst hätte sie schlug die Firma am Zürcher Hirschengraben gegenüber vom kein Strafverfahren eröffnet. Einfach wird die Beweisführung Kunsthaus auf. Vincenz richtete sich hier ein Büro ein und liess dennoch nicht: Mehr als zehn Jahre nach dem Kauf zu beweisen, sich sogar für eine BILANZ-Story fotografieren (siehe Seite 36). dass der Preis für ein Mini-Start-up überzogen Mehr als 500 000 Franken soll er Stocker zwischen 2011 und 2015 • abgeben solle. Doch Vincenz beschwichtigte – das Doppelman- Wer war das Mastermind hinter dem Deal? Die genaue Aufga- war, ist ein extrem sportliches Unterfangen, pro Jahr an Beratungshonoraren gezahlt dat sei interimistisch (Stocker blieb dann fünf Jahre). «Die beiden benteilung kennen nur die beiden, und interessant wird sein, ob zumal die Firma gar nicht mehr existiert: haben, manchmal sollen die jährlichen klebten ganz eng zusammen, man schaute nicht in sie hinein», die Einzelhaft ihre Komplizenschaft aufbricht. Doch es spricht Zwei Jahre nach Kauf wurde Commtrain, von Zahlungen sogar eine Million überstie- erinnert sich ein damaliger Verwaltungsrat. viel dafür, dass die Umsetzung bei Stocker lag: Er bewegte sich Aduno-Managern intern als «Schrott» gen haben. Vincenz rechtfertigte die seit Jahren im KMU-Umfeld, er liebte die schnellen Deals, und er tituliert, sang- und klanglos integriert. üppigen Ausschüttungen damit, dass er ABSOLUTES NO-GO hatte grosse Erfahrung bei Beteiligungen von Minifirmen. Vincenz Aber das war damals angeblich nicht nur einen kleinen Stab habe und Und siehe da: Kurz darauf beauftragte der Aduno-Verwaltungsrat dagegen hatte einen Bankkoloss zu leiten und war nie wirklich ein absehbar – immerhin hat Aduno- deshalb externe Unterstützung be- gemäss Forstmoser-Gutachten «eine Task Force unter der Leitung Mann der Details. Stocker hatte all die Jahre ordentlich, aber nicht Finanzchef Conrad Auerbach, nötige. Er soll dafür extra einen des CEO der Aduno-Gruppe, die Möglichkeit der Akquisition von opulent verdient. Hinter ihm lag auch die Scheidung von seiner schon damals dabei und in die Ver- separaten Budgetposten gehabt Fotos: Keystone (2), Ex-Press (1), Ausriss: SI 100 Prozent» der Commtrain zu prüfen. Das heisst: Der CEO, der ersten Frau – sie stieg aus der Firma aus, heute lebt sie als Malerin handlungen involviert, den Preis haben. Das Vier-Augen-Prinzip, die eine Hälfte der Mehrheitsbeteiligung hält, prüft für den Präsi- in Australien. Im Jahr 2007, in dem die 1,7 Millionen flossen, kaufte abgesegnet. Und dass Vincenz und bei grösseren Zahlungsströmen denten, der die andere Hälfte hält, die Übernahme – ohne die sich Stocker an der Eisengasse in Bolligen eine schöne Villa, in der Stocker ihre Beteiligung nicht eigentlich Pflicht, galt offenbar anderen Verwaltungsräte über ihre Beteiligung zu informieren und er heute noch wohnt. Und auch Vincenz gönnte sich etwas: Ein nicht. Wer sollte ihn bremsen? in den Ausstand zu treten. Im Börsenjargon nennt man das Front Motorboot des italienischen Edelbauers Cranchi, das er später Der schwache VR-Präsident running. Im August 2006 wurde der Kauf für einen «angemesse- stolz in der «Schweizer Illustrierten» präsentierte – unweit von GEGENSPIELER Johannes Rüegg-Stürm? Oder Finma-Chef Mark Branson, Staats- nen Preis» (gemäss Forstmoser-Gutachten, das sich wiederum auf seinem Ferienhaus in Carabietta am Lago di Lugano. Auch hier sein Vize Gisel, den er über all anwalt Marc Jean-Richard-dit- eine Expertise des Professors Claudio Loderer bezieht) von 7 waren die Bande eng: Bevor Stocker sein neues Haus in Bolligen Bressel, Aduno-Präsident Pascal die Jahre allein dadurch gefügig Millionen Franken besiegelt, Stocker und Vincenz streichen nach bezog, war er 2007 einige Monate in Porza oberhalb von Lugano Niquille (v.l.). machte, dass er ihm seine • Abzug der Kapitalerhöhung je 1,7 Millionen Franken Gewinn ein. gemeldet – zehn Fahrminuten vom Vincenz-Anwesen entfernt. 40 BILANZ 04 | 2018 04 | 2018 BILANZ 41
TITEL RAIFFEISEN • Nachfolge in Aussicht stellte? Hier gibt es für den neuen VR- verschaffen. Aber da lief er auf. Fünf Jahre sprudelte der Geld- tungssystem ersann, das den Gründern eine Mindestzahlung von gerechtfertigt in die Höhe getrieben haben. Es droht ein heisser Präsidenten Pascal Gantenbein einiges aufzuarbeiten. fluss, bis Vincenz-Nachfolger Gisel die Zahlungen stoppte. 40 Millionen zusicherte, wenn sie nach einer gewissen Frist ihre Justizkrimi, über dem der Fall Oskar Holenweger hängt: Der Was leistete Stocker für das viele Geld? «Beratungsdienstleis- Doch es gab noch eine andere Pipeline. Mit seiner zweiten 40-Prozent-Beteiligung an die Raiffeisen verkauften. Dafür soll frühere Vontobel-Chef sass Ende 2003 fast sieben Wochen wegen tungen im Rahmen der Diversifikationsstrategie», lautete die for- Frau Madeleine gründete Stocker parallel zur Fides Business Part- Stocker als stiller Teilhaber von Etter und Wüst mit einem Drittel Geldwäscherei-Verdachts in Untersuchungshaft. Nach sieben male Vorgabe. Ein Projekt war etwa die Begleitung der Akquisi ner die Beratungsfirma KMU Businesspartner. Hier war er wieder beteiligt worden sein. Die 40 Millionen flossen im Sommer 2015, Jahren wurde er freigesprochen. Sein Anwalt: Lorenz Erni – er tionsstrategie der neu lancierten Asset-Management-Gruppe in seinem Element: Unreguliert und weit unter dem Radar irgend- kurz vor dem Raiffeisen-Abgang von Vincenz. Stocker wiederum steht jetzt auch an der Seite von Vincenz. Der Satz «Es gilt die TCMG, die der frühere Clariden- und Bär-Banker Beat Wittmann welcher Börsenauflagen. Und hier nimmt die Saga der zweiten soll ihm einen Teil davon weitergeleitet haben. Unschuldsvermutung» ist da mehr als eine Floskel. Das Duo Vin- für die Raiffeisen aufbaute. Stocker wurde hier von Raiffeisen ins heiklen Firmenbeteiligung ihren Anfang: Investnet. Die Anfänge cenz-Stocker hat zweifellos alle Best-Practice-Regeln atomisiert. M&A-Komitee entsandt, neben Wittmann waren auch Raiffeisen- stammen noch aus Stockers Aduno-Zeit. Raiffeisen hatte 2008 das SINGENDER STAATSANWALT Doch daraus eine Straftat nachzuweisen, wird nicht einfach. Finanzchef Marcel Zoller und die Rechtschefin und Vincenz- Kleinkredit- und Leasing-Geschäft unter Stockers Führung in die Doch all das ist noch Spekulation. Fakt ist nur, dass die Staats Der Druck lastet also auf Ernis grossem Gegenspieler: Marc Gattin Nadja Ceregato dabei. Das Gremium suchte nach Kauf Aduno-Tochter Cashgate eingebracht. Übrig geblieben war ein anwaltschaft am 28. Februar Raiffeisen über die verdeckten Treu- Jean-Richard-dit-Bressel. Der Zürcher Staatsanwalt für Wirt- kandidaten, allerdings ohne Entscheidungsbefugnis (die lag beim leerer Mantel, die Raiffeisen-Leasing AG. Sie wurde umbenannt in handverhältnisse informierte und neben Stocker und Vincenz schaftsdelikte ist eine vielschichtige Persönlichkeit. 2010 reichte Verwaltungsrat). «Gebraucht wurde Stocker nicht wirklich», be- KMU Capital, auch dabei soll Stocker die treibende Kraft gewesen auch gegen Etter und Wüst sowie gegen den anwaltlichen Stocker- er beim Schweizer Fernsehen unter dem Namen Jean-Marc als tont ein Beteiligter. Sein formales Mandat bei TCMG war auch sein. Die Idee war, eine KMU-Investmentplattform in grossem Stil Vincenz-Intimus Beat Barthold ein Strafverfahren einleitete. Be- einer von 327 Bewerbern ein Lied für den European Song Contest entsprechend schwammig: «Allgmeine Consulting-Dienstleistun- hochzuziehen. Doch es fehlte an geeigneten Firmenkandidaten. legt ist auch eine Zahlung von 2,9 Millionen Franken der Bank Bär ein. Er wurde zwar nicht erwählt, aber hat damit zumindest be- gen». Hier stiess der frühere Marketing-Manager dann auch erst- Da nutzte Vincenz sein Kontaktnetz. Der frühere Valora-Chef von Stocker auf das Raiffeisen-Konto von Vincenz in Lugano aus wiesen, dass er eines mit Vincenz gemeinsam hat: Auch er trägt mals fachlich an seine Grenzen. Mit der Akquisition der Privat- Peter Wüst hatte zusammen mit dem Ex-UBS-Mann Andreas Etter dem Sommer 2015 – mit dieser Information hatte das Internet das Unterhalter-Gen in sich. bank Notenstein kam auch der Asset Manager 1741 an Bord, und 2009 die Investnet AG gegründet und suchte nach Kapitalgebern, portal «Inside Paradeplatz» im Juli 2016 die ganze Affäre über- Doch dem lange hochfliegenden Bankchef dürfte derzeit kaum für die Integration in die Asset-Management-Gruppe erstellte die in KMU investieren wollten. Schnell fand man sich: Wüst und haupt erst ins Rollen gebracht. Stocker habe ihm ein Darlehen für nach Show zumute sein, genauso wenig wie seinem Kompagnon Stocker ein Gutachten. Das schlug hohe Wellen: Nicht nur, weil es Etter brachten das Know-how, die Raiffeisen das Kapital. De facto einen Hauskauf im Tessin gewährt, lautete stets die Begründung Stocker. Bei BILANZ-Redaktionsschluss befanden sie sich bereits 1741 aus Sicht der Notenstein-Verantwortlichen zu tief bewertete. legte man 2012 die Firmen zusammen: Raiffeisen hielt neu je 60 von Vincenz, was auf den ersten Blick wenig überzeugend klang: vier Wochen in Untersuchungshaft. Vor allem war es auch handwerklich nicht auf dem nötigen Prozent an KMU Capital und Investnet, Etter und Wüst hielten je Er hatte dort seit mehr als zehn Jahren ein Ferienhaus. Allerdings Und so konnten sie nicht miterleben, wie drei Wochen nach Niveau. In der grossen Finanzwelt hatte Stocker eben nie gearbei- 40 Prozent. Die Parallelen zu Commtrain waren offensichtlich: bestätigen andere Interessenten offenbar, dass Vincenz damals ihrer Inhaftierung von einem Patrizierhaus am Hirschengraben tet. Bei der Due Diligence der fünf TCMG-Akquisitionen, alle im Wieder handelte es sich um eine Firma aus der Ostschweiz, wie- wirklich für ein Haus geboten hat. 28 in Zürich ein Türschild abgeschraubt wurde. Fides Business regulierten Bereich, war er nicht involviert, und auch bei Noten- der war Vincenz der Anreisser – und wieder war Stocker der Auch hier gilt: Allein eine verdeckte Beteiligung ist noch kein Partner verlegte ihren Sitz vom Vorderen Florhof ins Seefeld. Die steins Kauf der La Roche Privatbank blieb er aussen vor. Vincenz Umsetzer im Hintergrund. Welche Rolle er genau spielte, wird Straftatbestand. Die Ermittler müssen beweisen, dass persönliche Schaltzentrale von Pierin Vincenz und Beat Stocker existiert nicht soll versucht haben, ihm im Raiffeisen-Bereich andere Aufträge zu untersucht. Der Verdacht ist, dass er ein sehr sportliches Bewer- Bereicherung vorliegt, etwa, indem die Beteiligten den Preis un- mehr. Das Spiel ist aus. • ANZEIGE ANZEIGE Gerne beraten wir Sie in einem persönlichen Gespräch! Nadja Barthel M.A., Programmleiterin Tel. +41 (0)71 224 7501, Email: unternehmerschule@unisg.ch Je komm tzt www.unternehmerschule.unisg.ch/amp ission sfre inves tieren i Refresher für erfahrene Führungskräfte mit grosser Führungserfahrung Advanced Management Program Auf dem Executive Campus der Universität St. Gallen (20-29 Tage): Sozial- und Persönlichkeitskompetenz | Unternehmensentwicklungs- kompetenz „Das Advanced Management Program begeistert in höchstem Masse und führt gekonnt zur nicht immer nur ‘schmerz freien’ Selbstreflexion. Heraus- ragende Dozierende aus der Praxis sowie die perfekte Organisation und DAS BESTE DER SCHWEIZ VEREINT: Durchführung in stilvoller Umgebung, begeistern nachhaltig. 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