APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5

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APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
APROPOS
                                     Nr. 155
Den VerkäuferInnen bleibt EUR 1,25

                                       2,E5ur0o

                                                                                             Ihre äuferin
                                                                                               Verk käufer:
                                                                                          p -
                                                                                           o s      r
                                                                                    Ap ro o pos-Ve
                                                                                          pr
                                                                                    Ihr A

                                                                                                               e!
                                                                                                        Dank
                                                                                                 sagt

                PHANTASTISCH
                DIE MACHT DER PHANTASIE
                10 JAHRE HUNGER AUF KUNST UND KULTUR
                YANIS VAROUFAKIS IM INTERVIEW     AUGUST 2016
                                                  APROPOS · Nr. 155 · August 2016
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
2   [INHALT]                                                                                                                                                                                          [EDITORIAL]         3
                                                                              Thema:   PHANTASTISCH                                      SCHREIBWERKSTATT
                                                                                                                                         Platz für Menschen und Themen, die sonst
                                                                                       4    Das Leben ist eine Bühne                     nur am Rande wahrgenommen werden.
                                                                                            Cartoon                                      17    Yvan Odi

      6
                                                                                            Soziale Zahlen                                     Peter
                   Kreativität                                                                                                           18    Andrea
                                                                                       5    Was sehen Sie auf diesem Bild?
                   ist Trumpf
                     wUrsula                                                                                                             19    Luise
                                                                                       6    „Phantasie ist Freiheit“
                    Lindenbauer                                                             Interview mit Elisabeth Auer und             20    Narcista
                    und Elisabeth                                                           Ursula Lindenbauer                           21    Chris
       Auer von der „Schule der
       Phantasie“ im Apropos-                                                          10   Hunger auf mehr
       Titelinterview.                                                                      Kulturpass feiert Jubiläum                   AKTUELL
                                                                                       12   Das Gift in den Köpfen                       22    Schriftsteller trifft Verkäufer
                                                                                            Warum Populismus so gut funktioniert               Christian Lorenz Müller porträtiert                   EDITORIAL

                                                                                                                                                                                                    PHANTASTISCH
                                                                                                                                               Genesa Onica & Răzvan Feraru
                                                                                       14   Hoffentlich einmal unnötig sein
                                                                                            Interview mit Yanis Varoufakis               24    Kultur-Tipps
                                                                                                                                               Was ist los im August
                                                                                       15   Sprachkurs
                                                                                            Kinder lernen durch Vorbilder                25    Gehört & gelesen                                     Liebe Leserinnen und Leser!
                                                                                                                                               Buch- und CD-Tipps zum
                                                                                       16   Besuch im Salzburg Museum                          Nachhören und Nachlesen                              Ich lese gerade ein inspirierendes Buch: „Der                 Lange Zeit hat Verkäuferin und Schreibwerkstatt-

      10
                                                                                            Apropos bei der Landesausstellung                                                                       Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Darin                   Autorin Luise Slamanig mithilfe des Kunst- und
                                                                                                                                         26    Kolumne: Robert Buggler
                                                                                                                                                                                                    beschreibt die amerikanische Schriftstellerin an-             Kulturpasses Theaterstücke, Kabaretts und Kon-
                                                                                                                                               Leserbriefe                                          hand eines 12-Wochen-Programms, wie sich der                  zerte besucht, vor kurzem stand sie selbst auf den
                                                                                                                                                                                                    Zugang zur eigenen Kreativität spielerisch (wieder)           Brettern, die die Welt bedeuten – spielte sie doch
      Kunst und                                                                                                                                                                                     entdecken lässt. Sie schlägt darin unter anderem              unlängst in Reini Tritschers Theaterstück „Hafen
      Kultur für alle                                                                                                                    VERMISCHT                                                  einen wöchentlichen Kreativ-Treff mit sich selbst             der verlorenen Sehnsüchte“ mit. Theatermacher
      Der Kulturpass macht es möglich                                                                                                                                                               vor, um sein inneres Künstler-Kind zu erfreuen.               Tritscher war es auch, der vor zehn Jahren die
                                                                                                                                         27    Straßenzeitungen weltweit
      – seit nunmehr zehn Jahren.                                                                                                                                                                                                                                 Wiener Idee des Kulturpasses nach Salzburg
                                                                                                                                         28    Apropos Kreuzworträtsel                              Auch die Salzburger „Schule der Phantasie“ will               brachte: nämlich Menschen, die sich aufgrund
                                                                                                                                                                                                    ins Reich der Kreativität locken, denn daraus                 finanzieller Engpässe Kultur nicht leisten können,
                                                                                                                                         29    Apropos intern                                       lässt sich viel Energie und Selbstwert schöpfen.              einen kostenfreien und würdevollen Zugang zu
                                                                                                                                                                                                    Apropos-Redakteurin Katrin Schmoll hat sich für               ermöglichen (S. 10/11). Denn auch wer wenig

                                                                                                       22
                                                                                                                                         30    Kolumne: Das erste Mal
                                                                                                                    Begegnung                  Von Bettina Rossbacher                               das Titelinterview mit den Kreativtrainerinnen Eli-           Geld hat, ist salonfähig.
                                                                                                                      Schriftsteller                                                                sabeth Auer und Ursula Lindenbauer getroffen und
                                                                                                                                         31    Chefredaktion intern                                 mit ihnen über gelebte Phantasie, Blockaden und               Das bewies auch die Teilnahme des griechischen
                                                                                                                      Christian Lorenz
                                                                                                        Müller trifft Apropos-                 Leser des Monats                                     unnötigen Leistungsdruck gesprochen (S. 6–9).                 Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis bei der

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                                                                                                        Verkäuferpaar Genesa Onica                                                                                                                                heurigen Straßenzeitungs-Konferenz in Athen.
                                                                                                                                               Impressum
Gefährliches                                                                                            & Răzvan Feraru.                                                                                                                                          Alle Delegierten waren begeistert, einem solch
Schwarz-                                                                                                                                                                                                                                                          exklusiven Vortragenden quasi auf Armeslänge
weiß-Denken                                                                                                                                                                                                                                                       – und auf Augenhöhe – zu begegnen (S. 14/15).
Was hinter dem Erfolg popu-
listischer Parteien steckt.                                                                                                                                                                                                                                       Herzlichst, Ihre

                                                                                                                                         Grundlegende Richtung                                  Preise & Auszeichnungen
                                                                                                                                         Apropos ist ein parteiunabhängiges, soziales           Im März 2009 erhielt Apropos den René-Marcic-
                                                                                                                                         Zeitungsprojekt und hilft seit 1997 Menschen in        Preis für herausragende journalistische Leistungen,
                                                                                                                                         sozialen Schwierigkeiten, sich selbst zu helfen.       2011 den Salzburger Volkskulturpreis & 2012 die

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                                                                                                                                         Die Straßenzeitung wird von professionellen Jour-      Sozialmarie für das Buch „Denk ich an Heimat“ sowie                                             Michaela Gründler
                                                                                                                                         nalistInnen gemacht und von Männern und Frauen         2013 den internationalen Straßenzeitungs-Award                                                        Chefredakteurin
                                                                                                                                         verkauft, die obdachlos, wohnungslos und/oder          in der Kategorie „Weltbester Verkäufer-Beitrag“ für                                   michaela.gruendler@apropos.or.at
                                                                                                                                         langzeitarbeitslos sind.                               das Buch „So viele Wege“. 2014 gewann Apropos
                                                                                                                                         In der Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie die Mög-    den Radiopreis der Stadt Salzburg und die „Rose
                                                                                                                                         lichkeit, ihre Erfahrungen und Anliegen eigenständig   für Menschenrechte“. 2015 erreichte das Apropos-
                                                                                                                                         zu artikulieren. Apropos erscheint monatlich. Die      Kundalini-Yoga das Finale des internationalen
             Querdenker

                                                                                                                 27
                                                                                                                                         VerkäuferInnen kaufen die Zeitung im Vorfeld um        Straßenzeitungs-Awards in der Kategorie „Beste
      Der ehemalige griechi-                                                                                                             1,25 Euro ein und verkaufen sie um 2,50 Euro.          Straßenzeitungsprojekte“.
        sche Finanzminister                                                                                                              Apropos ist dem „Internationalen Netz der Straßen-
                                                                                                                                         zeitungen” (INSP) angeschlossen. Die Charta, die
        Yanis Varoufakis im                                                                                                              1995 in London unterzeichnet wurde, legt fest, dass
                  Interview.                                                           Straßenzeitungen weltweit                         die Straßenzeitungen alle Gewinne zur Unterstützung
                                                                                       Aktuelles aus der Straßenzeitungswelt.            ihrer Verkäuferinnen und Verkäufer verwenden.
                                            APROPOS · Nr. 155 · August 2016                                                                                                                                                     APROPOS · Nr. 155 · August 2016
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
4    [PHANTASTISCH]

                                                                                                                                                                                                WAS SEHEN SIE
Wunsch nach Anerkennung

DAS LEBEN IST EINE BÜHNE
von Katrin Schmoll

S    üchtig nach Anerkennung – das gibt es tatsächlich.
     Schließlich schüttet unser Hirn bei jedem Lob
                                                          Besonders gut lässt sich das im Berufsleben beobachten:
                                                          Stress entsteht Medizinern zufolge vor allem dann,
                                                                                                                                                                                               AUF DIESEM BILD?
oder freundlichen Blick Dopamin und Oxytocin aus,         wenn es eine Kluft gibt zwischen großer Anstrengung                   Soziale Zahlen im August

                                                                                                                                                                 Foto: iStock
dadurch fühlen wir uns auf einen Schlag glücklicher,      und geringer Anerkennung. Demnach ist der Grund
stärker und oftmals geradezu „berauscht“. Neurobio-
logische Studien zeigen, dass nichts das Motivations-
                                                          für ein Burn-out auch nicht zu viel Arbeit, sondern
                                                          das Gefühl, sich immerzu anzustrengen, ohne etwas
                                                                                                                               Passt schon!
system so sehr ankurbelt, wie von anderen gesehen und     dafür zu bekommen.
sozial anerkannt zu werden. Jedes „Like“ fürs eigene
Foto auf sozialen Medien wie Facebook oder Instagram      Sind wir der Sucht nach Anerkennung also hilflos
schmeichelt der Seele, ein „Wow, tolle neue Friseur“      ausgeliefert? Nicht ganz. An unserer Haltung uns
kann uns den Tag versüßen. Je nachdem, wie stark das      gegenüber können wir arbeiten und dadurch unser
eigene Selbstwertgefühl ausgeprägt ist, lechzen wir       Selbstwertgefühl stärken. Das bedeutet konkret: Be-             Die ÖsterreicherInnen sind
mehr oder weniger nach der Anerkennung der ande-          dürfnissen und Ängsten auf den Grund gehen, gnädig              sehr zufrieden mit ...
ren – dass sie einem egal wäre, kann aber nun wirklich    mit sich sein und sich auch mal selber zujubeln, wenn           ihrem Sozialleben (62 %)
niemand behaupten. Das Bedürfnis nach Bestätigung         es grade kein anderer tut.
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
[PHANTASTISCH]             7

                              „PHANTASIE
                              Titelinterview                                      Titelinterview mit Elisabeth Auer und Ursula Lindenbauer
                                                                                  von Katrin Schmoll

                                                                                  Was fanden Sie zuletzt so richtig phantastisch?                                          Bewertung ablaufen und die Kinder sollen einfach Freude daran
                                                                                        Elisabeth Auer: Am Muttertag haben mich meine Enkelsöhne                           haben, ihre Phantasie auszuleben. Wir haben keinen Unterrichts-
                                                                                        besucht. Wir sind zusammen in mein Kunstatelier gegangen und                       plan, sondern können mit den Kindern das tun, was uns selbst

                               IST FREIHEIT“
                                                                                        plötzlich haben sie zu mir gesagt: „Omi, du kannst jetzt einen                     Freude macht und was wir mit Freude weitergeben können.
                                                                                        Kaffee trinken gehen, wir wollen alleine sein.“ Sie haben sich                     Umgekehrt müssen wir so flexibel sein, dass wir den Kindern
                                                                                        selbstständig Farben rausgesucht und tolle Sachen gemalt. Für                      nicht das aufzwingen, was wir selbst gut finden, sondern ihnen
                                                                                        mich war es phantastisch, dass sie sich getraut haben zu sagen,                    die Freiheit geben, das auszuleben, was ihrer eigenen Phantasie
                                                                                        „wir wollen alleine sein und das für uns machen“. Daran sollten                    entspringt. Nur dadurch entstehen eigene Werke.
                                                                                        wir Erwachsene uns ein Beispiel nehmen.
                                  Malen, basteln, tanzen, Regenwurmhäuser bauen                                                                                   Sie bieten nicht nur Kurse für Kinder, sondern auch für Erwachsene
                                  und an Grashalmen drehen: Die beiden Krea-               Ursula Lindenbauer: Ich hab vor kurzem einen Kurs in einer             an – wie werden die angenommen?
                                  tivtrainerinnen Elisabeth Auer und Ursula                Volksschule gehalten, in der die Kinder wirklich kaum zu bändi-                Ursula Lindenbauer: Sehr gut. Das Interessante ist, dass über
                                  Lindenbauer von der „Schule der Phanta-                  gen waren. Eines Morgens sind wir schließlich auf den Mönchs-                  die Kinder oft die Eltern wieder ins Tun kommen. Wenn sie
                                  sie“ in Salzburg erzählen im Apropos-                    berg gegangen und hatten vor, dort mit Ton zu arbeiten. In der                 sehen, wie viel Freude ihre Kinder beim kreativen Arbeiten haben,
                                  Interview, warum Phantasie wichtiger                     Nacht zuvor hat es geregnet und am Weg nach oben lagen unzäh-                  entdecken sie dadurch oft selbst ihr inneres Kind wieder. Bei einer
                                  ist als Wissen, was uns davon abhält,                    lige Regenwürmer. Die Kinder                                                                                 Fortbildung war mal ein Atomphysi-
                                  kreativ zu sein, und wie man das                         haben schließlich angefangen,                                                                                ker dabei, der in Harvard und an vie-
                                  „innere Kind“ am besten rauslässt.                       die Regenwürmer auszubuddeln
                                                                                           und aufeinander zu stapeln. Ich
                                                                                                                                    Wer keine Luftschlösser                                             len anderen Universitäten gelehrt hat.
                                                                                                                                                                                                        Während des Seminars hat er zu uns
                                                                                           hab daraufhin zu ihnen gesagt:
                                                                                           „Warum nehmt ihr nicht den
                                                                                                                                    bauen kann, kann auch                                               gesagt: „Das ist das erste Mal, dass ich
                                                                                                                                                                                                        genau das tue, was mir richtig Spaß
                                                                                           Ton und baut damit Häuser für
                                                                                           die Würmer?“ Ab dem Zeit-
                                                                                                                                    keine Ideen entwickeln.“                                            macht und mir guttut.“ Wir haben uns
                                                                                                                                                                                                        verkleidet und ein spontanes Schau-
                                                                                           punkt waren sie gar nicht mehr                                                                               spiel aufgeführt. Es war toll zu sehen,
                                                                                           zu halten und bauten ein Regenwurmhaus nach dem anderen.                       wie er sein inneres Kind rausgelassen hat – das wollte er schon
                                                                                           Sie waren so völlig in ihrer eigenen Welt und ich hab mir in dem               immer machen, aber hat sich nicht getraut, immerhin ist er ein
                                                                                           Moment nur gedacht: „Yeah, genau das ist es!“                                  renommierter Atomphysiker. Bei uns hat er nicht nur die Erlaub-
                                                                                                                                                                          nis, sondern die Aufforderung dazu bekommen, sich auf kreative
                                                                                  Wie sind Sie beide zur „Schule der Phantasie“ gekommen?                                 Art und Weise mit sich selbst zu beschäftigen. Da durfte er dann
Bernhard Müller, Photograph

                                                                                         Elisabeth Auer: Ich komme ursprünglich aus der Touristikbran-                    endlich mal ein bisschen spinnen und verrückt sein, das hat ihn
   www.fokus-design.com

                                                                                         che, aber habe schon vor vielen Jahren zu malen begonnen. In                     total gestärkt. Ich glaube, in dem Moment hat er kapiert, dass er
                                                                                         einem meiner Malkurse habe ich Margitta Bukovski kennenge-                       diese Kreativität dazu verwenden kann, dass es ihm gut geht.
                                                                                         lernt, sie ist eine Schülerin von Rudolf Seitz, der in den 1980er-
                                                                                         Jahren die „Schule der Phantasie“ in München gegründet hat.                       Elisabeth Auer: Die Phantasie der Erwachsenen ist durch die
                                                                                         Bukovski hat das Konzept nach Salzburg gebracht und wir haben                     Gesellschaft eingeschränkt. Wir müssen uns an Regeln halten,
                                                                                         dort 1991 zusammen die „Schule der Phantasie“ eröffnet.                           dürfen nichts außerhalb des Rahmens machen, denn das verträgt
                                                                                                                                                                           die Gesellschaft nicht. Man muss so arbeiten, wie es der Chef
                                                                                           Ursula Lindenbauer: Ich bin selbstständige Tänzerin und Foto-                   vorschreibt und kann dabei überhaupt nicht seine Phantasie
  FOTOS                                                                                    grafin und im Jahr 1997 durch eine Freundin dazugekommen. Als                   anwenden. Daher gibt es auch von Seiten der Erwachsenen eine
                                                                                           sie einen Kurs mal nicht abhalten konnte, bin ich für sie einge-                große Nachfrage nach kreativen Kursen.
                                                                                           sprungen. Mir hat es auf Anhieb riesigen Spaß gemacht und so
                                                                                           hab ich mich schließlich zur Kreativtrainerin ausbilden lassen und     Wie lässt sich die eigene Phantasie schulen?
                                                                                           bin fix bei der „Schule der Phantasie“ eingestiegen.                          Ursula Lindenbauer: Jeder Mensch sollte sich daran orientieren,
                                                                                                                                                                         dass er Ressourcen hat, durch die es ihm besser geht – und damit
                                                                                  Was ist die Grundidee hinter dem Konzept?                                              sind nicht nur körperliche Ressourcen gemeint, sondern vor allem
                                                                                        Elisabeth Auer: Rudolf Seitz hat damals die „Schule der                          auch die Seelenressourcen. Wenn man Körper, Geist und Seele als
                                                                                        Phantasie“ ins Leben gerufen, weil er gemerkt hat, dass Kinder                   Einheit sieht und sich fragt: „Was brauche ich, damit es mir gut
                                                                                        immer mehr ihre Individualität verlieren. Jedes Kind muss das                    geht?“, dann kann man daraus ganz viel Energie schöpfen. Geht’s
                                                                                        gleiche T-Shirt und die gleiche Jeans tragen, schaut die gleiche                 mir gut, wenn ich draußen in der Natur bin? Geht’s mir gut, wenn
                                                                                        Fernsehsendung und hat die gleichen Vorbilder. Selbstgebautes                    ich in der Wiese sitze und Grashalme drehe oder wenn ich mit
                                                                                        hat überhaupt keinen Wert mehr, da muss es schon das neueste                     Freunden zusammen singe, lache, tanze ... das sind alles Ressour-
                                                                                        Spielzeugauto um 60 Euro sein. Wir arbeiten darauf hin, dass der                 cen. Es geht darum, diese zu fördern. Das ist ganz wesentlich,
                                                                                        Selbstwert der Kinder durch die eigene Kreativität gestärkt wird,                denn dadurch wird der Selbstwert gestärkt und dadurch kann
                                                                                        dass sie stolz darauf sind, aus alten Schachteln eine Burg gebaut                man den Mut schöpfen, kreativ zu sein. Vor kurzem habe ich im
                                                                                        zu haben, weil das dann ihre Burg ist, die ihre Individualität                   Auftrag von Akzente und dem Frauenbüro einen Kurs für junge
                                                                                        ausdrückt. Seitz hat immer gesagt, die Kreativität der Kinder von                Mädchen abgehalten, bei dem es genau darum ging. Sie sollten
                                                                                        heute ist förderlich für die Wirtschaft von morgen. Das ist aber                 Fotos von sich und von den anderen machen und sich so in einem
                                                                                        nicht der zentrale Gedanke, das Ganze soll spielerisch ohne                      geschützten Raum mit sich selbst auseinandersetzen,      >>

                                                                                                                                                                APROPOS · Nr. 155 · August 2016
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
8    [PHANTASTISCH]                                                                                                                                                                                 [PHANTASTISCH]           9
                                    NAME Elisabeth Auer               FREUT SICH über ein                                                                                                                                                              NAME Ursula Lindenbauer             FREUT SICH über gute

                       STECKBRIEF

                                                                                                                                                                                                                                          STECKBRIEF
                                    LEBT in Salzburg                  Lächeln                                                                                                                                                                          LEBT in Salzburg                    Kommunikation
                                    ARBEITET als Kreativtrainerin     ÄRGERT SICH über über-                                                                                                                                                           ARBEITET als Kreativtraine-         ÄRGERT SICH über
                                    TRÄUMT von Freiheit in allen      flüssige Vorschriften und                                                                                                                                                        rin und Fotografin                  unnötige Beschränkungen
                                    Bereichen, die es nur gibt,       Bevormundung                                                                                                                                                                     TRÄUMT von gelebter Frei-
                                    und Frieden auf der ganzen                                                                                                                                                                                         heit und einem respektvol-
                                    Welt                                                                                                                                                                                                               len Miteinander

       quasi den Fokus nach innen richten und sein eigenes Foto auch                       kannst nicht singen“ die Freude an der Sache nehmen und ein                 oder „Ich bin es mir wert, ein Lied zu singen, weil ich gerade
       als Spiegelbild seiner selbst und der Gesellschaft erkennen. Das                    halbes Leben lang verfolgen. In erster Linie bedeutet kreativ zu            Lust drauf hab.“ Wenn das in der Balance ist, kann man wahn-
       Spielen und Ausprobieren als gelebte Kreativität mit sich und den                   sein, auch mal die Muße haben, gar nichts zu tun, nur dazusitzen            sinnig viel schaffen, wenn nicht, blockiert es einen.
       anderen im geschützten Rahmen kann unheimlich viel bewegen.                         und in sich hineinzuspüren und zu träumen. Und wenn ich dann
       Diese Erkenntnis hat sich auch mittlerweile in der Gehirnfor-                       doch etwas tue, dann mit Freude. Wenn man unter einem großen         Kann Kreativität auf Knopfdruck, wie sie in vielen Jobs gefragt ist,
       schung bewiesen.                                                                    Leistungsdruck stehe, vergeht die Freude dadurch oft. Dann muss      dennoch funktionieren?
                                                                                           man sich fragen: Mag ich das noch? Ist mir das nicht zu viel?              Ursula Lindenbauer: Wenn du ein kreativer Mensch bist und
       Elisabeth Auer: Ein kreativer Prozess entwickelt sich weiter, in-                   Bräuchte ich nicht etwas ganz anderes? Das ist genau die Acht-             es schon länger machst, dann ja, und zwar möglicherweise nicht
       dem man etwas macht und dann sieht, das hätte ich noch anders                       samkeit, die man durch Kreativität lernen kann. Dieses „Ich bin es         nur zum Beispiel in der Werbeagentur, sondern auch daheim
       machen können, das nächste Mal probiere ich es, so oder so. Es                      mir wert, mich mal hinzusetzen, nichts zu tun und zu träumen“              am Klo, in der Dusche oder sonst wo.
       ist, als ob man ein Kapitel nach dem anderen hinzufügen würde.
       Das zieht dann weite Kreise und plötzlich merkt man, ich will                                                                                                   Elisabeth Auer: Es kann einem genauso am Schreibtisch
       nicht nur basteln, ich will auch malen, ich will Musik hören und                                                                                                was einfallen, man braucht nur Vorgesetzte, die einem sagen:
       mich dazu bewegen.                                                                                                                                              „Mach Entwürfe, du kriegst keine negative Beurteilung.“ Dazu
                                                                                                                                                                       braucht es Führungskräfte, die einen in die Freiheit führen,
Albert Einstein hat einmal gesagt: „Phantasie ist wichtiger                                                                                                            denn Fantasie ist Freiheit. Ich arbeite als Maltherapeutin unter
als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Stimmen Sie ihm                                                                                                                 anderem auch mit Schlaganfall-Patienten. Da sind auch mal
zu?                                                                                                                                                                    Menschen dabei, die sagen: „Ich hab jetzt gerade keine Lust
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Apropos-Redakteurin Katrin Schmoll
       Ursula Lindenbauer: Absolut. Ein kreativer                                                                                                                      aufs Malen.“ Ich würde ihnen niemals sagen: „Sie müssen aber!“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  unterhielt sich am Mönchsberg mit
       Mensch hat mehr Lösungsansätze, weil er                                                                                                                         Ich sage dann höchstens: „Probieren Sie’s, setzen Sie sich her                                                             den beiden Kreativtrainerinnen.
       viel flexibler ist. Kreativität ist ja nichts an-                                                                                                               und schauen Sie uns zu und wenn es Ihnen nicht gefällt, bringe
       deres als die ausgeführte Fantasie. Wenn                                                                                                                        ich Sie zurück in Ihr Zimmer.“ Es ist unglaublich, wie viele
       einer keine Luftschlösser bauen oder                                                                                                                              Leute nach einer Viertelstunde zum Pinsel greifen, weil sie
       träumen kann, kann er auch keine                                                                                                                                    merken, sie haben die Freiheit. Das, was sie jetzt tun, tun
       Ideen entwickeln. Viele sogenannte                                                                                                                                   sie aus eigener Überlegung und das Endergebnis wird
       Spinner, die eine Vision hatten und                                                                                                                                   nicht beurteilt. Es kommen teilweise die verrücktesten
       sich getraut haben, diese umzuset-                                                                                                                                     Sachen dabei heraus und die Leute zerkugeln sich am
       zen, hatten damit schlussendlich
       Erfolg. Das ist auch eine Art von
                                                                                                                                                                               Ende des Kurses oder sie staunen über die von ihnen
                                                                                                                                                                                geschaffenen Kunstwerke.
                                                                                                                                                                                                                                                         Ich bin es mir wert, dass
       Selbstwert: Ich bin es mir wert,
       dass ich träumen darf, dass ich                                                                                                                                           Wie bauen Sie sich persönlich mithilfe von Phanta-
                                                                                                                                                                                                                                                        ich träumen darf, dass ich
       mir die Welt ein bisschen ver-
       rückt anschaue und das auch laut
                                                                                                                                                                                 sie an schlechten Tagen wieder auf?
                                                                                                                                                                                 Ursula Lindenbauer: Für mich ist Tanzen ein ganz
                                                                                                                                                                                                                                                         mir die Welt ein bisschen
       tue. In dem Moment, in dem ich
       es ausspreche, ist schon etwas in
                                                                                                                                                                                 wichtiges Ritual. Selbst wenn ich nach einem langen
                                                                                                                                                                                 Arbeitstag total geschafft bin, schleppe ich mich zum
                                                                                                                                                                                                                                                        verrückt anschauen darf.“
       Gang gesetzt. Da können dich die                                                                                                                                         Tanztraining und tanke dadurch ganz viel Energie.
       anderen für noch so verrückt hal-                                                                                                                                        Danach bin ich zwar müde, aber gleichzeitig innerlich
       ten, aber es ist deine eigene Vision                                                                                                                                    erfüllt und aufgerichtet. Ich glaube, jeder braucht so
       und die gilt es dann umzusetzen.                                                                                                                                       seine Rituale. Wenn man beim Frühstück zehn Minuten
                                                                                                                                                                            dasitzt und in die Luft starrt, ist das genauso ein Ritual.
Hindert uns die ständige Forderung nach                                                                                                                                    Das sollte man auf keinen Fall unterschätzen oder versu-
Leistung daran, kreativ zu sein?                                                                                                                                          chen, sich abzugewöhnen.
       Ursula Lindenbauer: Dieser Leistungs-                                                                                                                            Es gibt da auch ein schönes Beispiel von dem Psychoanaly-
       druck ist eigentlich ein wahnsinniger                                                                                                                           tiker C. G. Jung. Nachdem seine Frau gestorben ist, hat er
                                                                                                                                                                                                                                                                                    Schule der Phantasie

                                                                                                                                                                                                                                                                         INFO
       Killer. Das fängt schon bei den Volksschul-                                                                                                                     bei seinem Haus in Lausanne nachts Spaziergänge am Strand
       kindern an. Sie sitzen den ganzen Tag in der                                                                                                                    gemacht, weil er nicht schlafen konnte. Schließlich hat er                                                   Die „Schule der Phantasie“ ist ein gemeinnüt-
                                                                                                                                                                                                                                                                                    ziger Verein, der von Mitgliedern, Sponsoren
       Schule und sind permanent gefordert, sie haben                                                                                                                  begonnen mit Steinchen Manderl, Muster und Sandburgen
                                                                                                                                                                                                                                                                                    und von der Stadt Salzburg gefördert wird
       keine Rückzugsgebiete, um zur Ruhe zu kommen,                                                                                                                   zu bauen. Als er am nächsten Tag zum Strand zurückkehrte,                                                    und Kreativkurse für Kinder, Jugendliche und
       und können sich dadurch überhaupt nicht in andere hi-                                                                                                           war natürlich alles vom Wasser weggeschwemmt worden und                                                      Erwachsene zu günstigen Preisen anbietet. Das
       neinfühlen. Dann kommt auch noch die ständige Benotung                                                                                                          er hat von vorne begonnen. Dieser Prozess hat ihn befreit von                                                Kursangebot reicht von Malen und Basteln über
       dazu. Das kennt doch jeder aus der eigenen Schulzeit, dass ei-                                                                                                  der Schwere seiner Trauer und er hat wieder Lust am Leben                                                    Tanzen bis hin zu Fotografie und Beschäftigung
       nen Sätze wie „Das ist nicht schön, was du da machst“ oder „Du                                                                                                  gewonnen.
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
10   [PHANTASTISCH]                                                                                                                                                                                                           [PHANTASTISCH]             11
                                                                                                                                                                                                              NAME Sara Bartl

                                                                                                                                                                                                 STECKBRIEF
                                                                                                                                                                          Foto: Katrin Benzler
                                                                                                                                                                                                              FANTASIERT SICH
                                                                                                                                                                                                              manchmal in die Zukunft
                                                                                                                                                                                                              HAT HUNGER
                                                                                                                                                                                                              auf neue Geschichten
                                                                                                                                                                                                              KUL-TOURT
                                                                                                                                                                                                              vorzugsweise ins

                                                                                               Foto: Sigrid Riepl
                                                                                                                                                                                                              Theater oder Kino

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Foto: Wolfgang Lienbacher
                                                                                                                                                                              Menschen, die von Armut betroffen sind, in den be-            lenken, dass es zahl-
                                                                                                                                                                              teiligten Institutionen Tickets bekommen. „Wenn eine          reiche Menschen gibt,
                                                                                                                                                                              Kultureinrichtung oder Institution Partner von „Hunger        die sich Kultur nicht
                                                                                                                                                                              auf Kunst und Kultur“ ist, dann gilt dort grundsätzlich       leisten können. Und
                                                                                                                                                                              der Kulturpass. Das heißt, jemand der den Kulturpass          darum, stets deutlich
                                                                                                                                                                              hat, kommt dort hin und holt sich eine Karte“, erläutert      zu machen, dass in
                                                                                                                                                                              Tritscher.                                                    Sachen Armutsbe-
                                                                                                                    Kunst und Kultur als Lebensmittel                            Und das Projekt wird gut angenommen. Wurden im             kämpfung keineswegs

                                                                                                                    HUNGER
                                                                                                                                                                              Jahr 2008 noch knapp weniger als 1.000 Kulturpässe            ein Ende erreicht ist.
                                                                                                                                                                              ausgegeben, sind es heute schon mehr als doppelt so              Während seit der
                                                                                                                                                                              viele. So wurden in den letzten zehn Jahren Karten im         Initiative mehr als
                                                                                                                                                                              Gegenwert von einer halben Million Euro ausgeben.             15.000 Kulturpässe

                                                                                                                    AUF
                                                                                                                                                                              Tritscher, der die künstlerische Leitung des Theater          ausgegeben wurden
                                                                                                                                                                              ecce innehat, merkt an: „Ein Theaterabend ist so etwas        und das Projekt sogar
                                                                                                                                                                              Vergängliches und diese Aktion, die gibt es jetzt seit zehn   auf Schulen erweitert
                                                                                                                                                                              Jahren, und ich weiß nicht, wie viele tausend Menschen        wurde, hinterlässt der
                                                                                                                                                                              davon profitiert haben. Das freut mich einfach.“              Erfolg auch einen bit-

                                                                                                                    MEHR
                                                                                                                                                                                                                                            teren Beigeschmack.
                                                                                                                                                                              Am ganz normalen Leben teilhaben                              „Der Erfolg von zehn
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           „Hunger auf Kunst und Kultur“-
                                                                                                                                                                                                                                            Jahren ‚Hunger auf Kunst und Kultur‘ ist zu hinterfragen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Initiator Reinhold Tritscher
                                                                                                                                                                              Wie wichtig diese Aktion ist, zeigt ein Blick auf die         Er bedeutet, dass sich in der Politik nicht viel getan hat“,
                                                                                                                    Armutsbekämpfung bedeutet mehr als Essen, Klei-           Armutsstatistiken. In Salzburg sind 15 Prozent der            gibt Robert Buggler zu bedenken. Das – vielleicht auch
                                                                                                                    dung und ein Dach über dem Kopf. Armutsbekämp-            Menschen von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung              etwas utopische – Ziel, den Kulturpass abzuschaffen,
                                                                                                                    fung heißt auch am Leben teilhaben, zum Beispiel          betroffen. Acht Prozent der Salzburger Bevölkerung            weil er nicht mehr notwendig ist, bleibt also bestehen.
                                                                                                                    durch Kunst und Kultur. Der Kulturpass macht es           geben an, sich keine mit Kosten verbundenen Freizeit-         „Ich glaube, dass wir schon immer so ein kleines biss-
                                                                                                                    möglich – seit nunmehr schon zehn Jahren.                 aktivitäten leisten zu können. Auch Luise bestätigt: „Ich     chen den Finger auf dieser Wunde draufhaben. Dieses
                                                                                                                                                                              käme sonst kulturell nirgendwohin. Das kann man sich          Nicht-Lockerlassen, das ist für mich auch das Wertvolle
Apropos-Verkäuferin Luise (r.) im                                                                                                                                             dann vielleicht einmal leisten, oder sich zum Geburtstag      und Wichtige an dieser Aktion“, untermauert Tritscher.
Stück „Im Hafen der gestrandeten
                                                    von Sara Bartl                                                                                                            wünschen, aber sonst ist da Feierabend.“
Sehnsüchte“ der von Reinhold
                                                                                                                                                                                 Dabei geht es bei Armut nicht nur um Finanzielles.         „Irgendwie ist das Leben
                                                   E
Tritscher geleiteten VOLXtheater-
werkstatt in der ARGEkultur.                             s beginnt mit der Vorfreude auf den Abend,                    und Kultur“ nicht gäbe. Das wäre schon traurig,        Robert Buggler von der Salzburger Armutskonferenz
                                                         der Hinfahrt, dem Ankommen. Ticket                            weil ich dann viel nicht machen könnte, was            erklärt: „Armut hat schon vom Wortstamm immer
                                                                                                                                                                                                                                            ja auch ein Theater“
                                                    herzeigen, abreißen und hinein. Beobachten,                        ich so machen kann.“                                   etwas mit Mangel zu tun. Dabei geht es nicht nur um
                                                    wie der Raum sich füllt, mit Menschen und                                                                                 den Mangel an Geld, Armut bedeutet immer auch einen           Von einem Ende der Aktion will Luise nichts hören.
                                                    wachsenden Erwartungen. Ein Murmeln                                „Kultur gehört zur                                     Mangel an sonstigen Ressourcen. Das kann Bildung sein,        Sie ist einfach glücklich, dass es „Hunger auf Kunst und
                                                    hier, eine Begrüßung dort. Dann geht die                                                                                  Wohnraum, gesellschaftliche Anerkennung, Perspektive.         Kultur“ gibt, „gerade in Salzburg, wo ohnehin alles so
                                                    Zuschauerraumbeleuchtung aus, die Bühnen-
                                                                                                                       Armutsbekämpfung“                                      Nicht nur die Frage ‚Habe ich jetzt 100 Euro mehr oder        teuer ist.“ Sie schwärmt von einem Kabarett-Abend, bei
                                                    beleuchtung an. Der Vorhang öffnet sich und                                                                               weniger?‘, sondern ‚Welche Lebensmöglichkeiten besitze        dem sie so viel gelacht hat, dass sie am nächsten Morgen
                                                    mit ihm eine andere Welt – auch für Luise,                         „Hunger auf Kunst und Kultur“ ist eine Initi-          ich?“‘ Armut meint also auch einen Mangel an Teilhabe         mit einem Bauchmuskelkater aufgewacht ist. Sie meint
                                                    langjährige Zeitungsverkäuferin und Schreib-                       ative, deren Ziel es ist, „Menschen, die es sich       und Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Erkenntnis war            auch, dass ihr schwere oder dramatische Sachen nicht so
                                                    werkstattautorin von Apropos. Am liebsten geht                     im Moment selbst nicht leisten können, den             es auch, die Tritscher zum Nachdenken brachte: „Mir           liegen. „Das habe ich eh schon im echten Leben genug
                                                    sie ins Rockhouse, ins Jazzit oder zu Kabarett-                    Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen“,            ist einfach bewusst geworden, was das heißt, wenn man         erlebt“, fügt sie hinzu und lacht.
                                                    Veranstaltungen. „Mal abschalten, Spaß haben.                      erklärt Reinhold Tritscher. Er war es, der die         armutsbedingt vom gesellschaftlichen Leben ausge-                Und wie sie so erzählt von ihren Kulturerlebnissen,
                                                    Das tut einfach gut ... und man kommt unter                        Aktion vor zehn Jahren nach Salzburg holte und         schlossen ist.“                                               fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie unter knis-
                                                    Leute!“, fügt sie lächelnd hinzu. Luise bezeich-                   zusammen mit dem Theater ecce, der Salzburger             Beide, Buggler und Tritscher, sehen „Hunger auf Kunst      ternder Spannung der letzte Satz gesprochen oder die
                                                    net sich selbst als kulturinteressiert, erzählt von                Armutskonferenz, der Laube GmbH und dem                und Kultur“ vor allem als eine solidarische Aktion, die       letzte Zeile gesungen wird. Wie Applaus folgt, von Luise
                                                    Blues-Konzerten und Theaterabenden, von                            Dachverband Salzburger Kulturstätten alles ins         einerseits auf individueller Ebene das Teilnehmen an          und all den anderen, die zusammen einen Abend geteilt
                                                    Lesungen und Jazz-Sessions. Sie sagt aber auch,                    Rollen brachte.                                        kulturellen Prozessen ermöglicht. Gleichzeitig fungiert       haben. Schließlich geht der Vorhang zu, eine Nacht zu
       Hunger auf Kunst & Kultur                    dass ihr das alles aus eigener finanzieller Kraft                     Heute sind 74 Kultureinrichtungen im                die Initiative aber auch als Fingerzeig, als „Stachel im      Ende. „Hunger auf Kunst und Kultur“ geht weiter und
INFO

       Nähere Infos unter:                          nicht möglich wäre. „Ich würde blöd aus der                        ganzen Land Salzburg Partner der Initiative.           Fleisch der Öffentlichkeit“, wie Buggler sagt. Es geht        das Leben bleibt, ganz wie Luise sagt, neben und abseits
           www.kunsthunger-sbg.at                   Wäsche schauen, wenn es „Hunger auf Kunst                          Mit einem sogenannten Kulturpass können                genauso darum, Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu             der Bühne ein Theater.
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
12      [PHANTASTISCH]                                                                                                                                                                                                       [PHANTASTISCH]             13
                                                                                                                                                                                                                                                                          NAME Robin Kraska                MUSS SICH regelmäßig der

                                                                                                                                                                                                                                                             STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                                                            Foto: Privat
Was hinter dem Erfolg populistischer Parteien steckt                                                                                                                                                                                                                      HAT Journalistik in Magdeburg    Fantasie hingeben, wenn der

DAS GIFT IN DEN KÖPFEN
                                                                                                                                                                                                                                                                          studiert                         Alltag zu mächtig wird
                                                                                                                                                                                                                                                                          VERMISST aus seiner Zeit in      HÄLT ES mit Erich Kästner:
                                                                                                                                                                                                                                                                          Salzburg vor allem den Dialekt   Nur wer erwachsen wird und
                                                                                                                                                                                                                                                                          und die Berge                    Kind bleibt, ist ein Mensch!

                                Nach dem Zweiten Weltkrieg war sich die Menschheit einig: Nie wieder Krieg, nie
                                wieder Faschismus. Seitdem leben wir in einem friedlichen Europa, die Gespens-
                                ter von damals schienen für immer beerdigt. Doch die Stunde der Demagogen
                                schlägt wieder – mit teils erschreckenden Parallelen zu früher.

                                  von Robin Kraska

                                S   ie strahlen mit weißem Lächeln um die
                                    Wette, tragen mal Anzug und Schlips
                                   oder kommen ganz bodenständig daher.
                                                                                  würden vor allem von ihnen erhoben. Und natürlich wird
                                                                                  Volkes Wille auch nur von ihnen wirklich akzeptiert. „Populis-
                                                                                  tische Politiker inszenieren sich häufig als Diener des Volkes.
                                                                                                                                                       rigoros marxistisch – den Populismus haben mit-
                                                                                                                                                       nichten nur die Neuen Rechten für sich gepachtet.
                                                                                                                                                       Besonders in Südeuropa fischen linke Bewegungen
                                                                                                                                                                                                                 heraus ist noch gut schimpfen und können blumige
                                                                                                                                                                                                                 Versprechen gemacht werden. In Regierungsverant-
                                                                                                                                                                                                                 wortung sähe die Lage dann plötzlich ganz anders
                                     Typen zum Anpacken, nah an der Basis         Einige lehnen es sogar ab, als Politiker bezeichnet zu werden.       im Stimmenteich. Bei ihnen ist es weniger das             aus. „Viele populistische Parteien in Europa eint
                                       und immer zum Wohle der Massen.            Vielmehr sehen sie sich als Protagonisten einer Bewegung             Fremde als vielmehr Politiker und Wirtschaftselite,       ihre Konzeptlosigkeit für die Zeit nach der
                                         Da ließ sich ein Jörg Haider hemds-      für die einfachen Leute“, beschreibt Stainer-Hämmerle das            denen die Schuld an der Finanzmisere zugeschoben          Wahl. Wenn dann die Wahlversprechen nicht
                                          ärmelig im Kornfeld ablichten und       Selbstverständnis. Unten das gebeutelte Volk, oben die Clique        wird. Andere Zielscheibe, gleiches Prinzip. Und in        eingehalten werden können, sind sie bei ihren
                                           buhlt die FPÖ auf Plakaten duzend      der Herrschenden. Zum Beispiel. Aber Schubladendenken                Westeuropa, Skandinavien, zunehmend auch den              Wählern ganz schnell entzaubert.“ Und
                                            um die Wählergunst. Nichts mehr       und Populismus sind immer Topf und Deckel.                           Staaten des ehemaligen Ostblocks dienen nunmehr           dann? „Die Politikverdrossenheit steigt
                                             mit kultähnlichen Führern in            Die Triebfeder, die den Populisten in die Hände spielt, ist       Flüchtlinge und Muslime als neue, gemeinsame              weiter an, quer durch die Bevölkerung.“
                                             Uniform, das Martialische von        Angst. „In einer Welt, die zunehmend unübersichtlich und             Projektionsfläche für Schuldzuweisungen.                  Ein verheerender Effekt. Sie appelliert
                                             damals ist längst überkommen.        bedrohlich scheint, suchen immer mehr Menschen nach einer               Doch wo verläuft die Grenze zwischen populis-          vor allem an junge Wähler, hinter die
                                             Heute zählt der Mainstream.          klaren Struktur und Verlässlichkeit“, sagt die Politologin weiter.   tisch und extrem? „Den Rechtsextremen ist gemein,         Kulissen zu blicken und Versprechen kri-
                                              Populismus. Nur wenige Schlag-      In Verbindung mit der Furcht vor sozialem Abstieg erhalten           dass sie den demokratischen Parlamentarismus ganz         tisch zu hinterfragen. Denn Populisten
                                             wörter aus dem Politikrepertoire     die Akteure immer größeren Zuspruch. Ein Klima, das sie              einfach abschaffen wollen“, sagt Stainer-Hämmerle.        würden zwar nicht selten gute Fragen
                                                sind so prominent vertreten       geschickt für sich zu nutzen wissen und wenn nötig emotional         „Diese Bestrebungen sind im populistischen Lager          stellen, so Stainer-Hämmerle,
                                                    wie dieses. Im Populis-       aufbauschen. Differenzierung, sachliche Auseinandersetzung?          momentan nicht erkennbar.“ Die Expertin attestiert        „aber ihre Antworten darauf sind
                                                       mus steckt populus,        Nicht unbedingt erforderlich, oft auch gar nicht gewollt.            den Populisten Europas aber auch schlicht mangeln-        immer falsch.“
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
14      [PHANTASTISCH]                                                                                                                                                                                              [PHANTASTISCH]              15
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         AUTORIN Christina      LEITET seit No-

                                  HOFFENTLICH EINMAL

                                                                                                                                                                                                                                                                                            STECKBRIEF
                                                                                                                                                                                                                                                                     Foto: Privat
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Repolust               vember 2011 mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         BERUF Bibliothe-       großem Erfolg und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         karin, Journalistin,   viel Spaß auf beiden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Seiten den Apropos-

                                     UNNÖTIG SEIN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Sprachlehrerin,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Fotografin & Autorin   Sprachkurs
                                                                                                                                                                                                                                                                                                         WOHNORT Salzburg

                         Seine überzeugende Analyse der europäischen Finanzpolitik hat den eloquenten Hitzkopf Yanis Varoufakis zum Helden der
                          Linken gemacht. Bei der Straßenzeitungskonferenz in Athen sprach der ehemalige Finanzminister Griechenlands vor 120
                       Delegierten aus 30 Ländern. Im Exklusiv-Interview mit Laura Kelly vom Internationalen Straßenzeitungsnetzwerk (INSP) erzählt
                           er von der Sinnhaftigkeit von Straßenzeitungen und Grundeinkommen sowie über sein ambivalentes Verhältnis zur EU.                                                                                                        Apropos-Sprachkurs

                                                                                                                                                                                   Dennoch sind Sie ein Befürworter der Europäischen Union          KINDER LERNEN

                                                                                                                                                      Fotos: Dimitri_Koutsomytis
                                                                                                                                                                                   und haben sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU
                                                                                                                                                                                   eingesetzt.
                                                                                                                                                                                      Varoufakis: Ich bemühe mich in dieser Debatte um einen
                                                                                                                                                                                      nuancierten Standpunkt. Diese Szenarien, nach denen
                                                                                                                                                                                                                                                    DURCH VORBILDER
                                                                                                                                                                                      Großbritannien ein Drittel seines Vermögens verlieren,
                                                                                                                                                                                      dass die Hauspreise ins Bodenlose fallen ... Nichts davon
                                                                                                                                                                                      wird eintreten. Andererseits argumentieren die Befürwor-      von Christina Repolust
                                                                                                                                                                                      ter eines Austritts zu Recht, dass die demokratische Sou-
                                                                                                                                                                                      veränität weitgehend aufgegeben wurde zugunsten eines
                                                                                                                                                                                      undemokratischen – oder vielmehr antidemokratischen
                                                                                                                                                                                      – Zirkels von Bürokraten und Institutionen. Niemand hat
                                                                                                                                                                                                                                                    I  n ganz, ganz professionellen Deutsch-
                                                                                                                                                                                                                                                       kursen sitzen Kinder nicht neben
                                                                                                                                                                                                                                                    ihren Müttern. Aber es ist heiß und es
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            dass ihre Eltern sich beim Lernen mühen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            ist das nicht nur in der Hitze des heurigen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Sommers ein Vorteil. Alle hier wollen,
                                                                                                                                                                                      durch den Austritt jedoch viel zu gewinnen, seine Folgen      ist Sommer und David ist bereits bei                    dass es ihren Kindern einmal besser geht,
                                                                                                                                                                                      werden Europa teuer zu stehen kommen.                         seiner Mutter Elena in Salzburg: David                  sie sollen, im Gegensatz zu ihnen, richtig
                                                                                                                                                                                                                                                    soll, wenn er im Herbst in die Schule                   gern lernen. „Karotte“, „Hase“ und ja,
                                                                                                                                                                                   Sie können die Wut der Menschen auf die EU also verste-          kommt, gut lernen. Das meinen Mama                      richtig, „Pferd“. Eigentlich doch profes-
                                                                                                                             Ex-Finanzminister Yanis
                                                                                                                                                                                   hen?                                                             und alle Tanten, denn irgendwie scheinen                sionell, denn David wiederholt mit den
                                                                                                                             Varoufakis bei der Straßen-
von Laura Kelly                                                                                                                                                                        Varoufakis: Letztes Jahr brachte die EU das griechische      meine Teilnehmerinnen von Donnerstag                    Frauen und gibt eigentlich das Tempo
                                                                                                                             zeitungskonferenz in Athen.
Mit freundlicher Genehmigung des INSP News Service, www.insp.ngo                                                                                                                       Bankensystem zum Erliegen, um der Regierung Kürzun-          zu Donnerstag immer noch intensiver                     vor: Der, der es besser haben soll, lernt
                                                                                                                                                                                       gen aufzuerlegen. Beim Staatsstreich 1967 wurden Panzer      verwandt zu sein. Außerdem sind sie                     unbekümmert, ist stolz aufs Gelernte.
Wie erlebten Sie die internationale Straßenzeitungs-Konferenz?                     Unlängst hat die Schweiz über einen Labor-Versuch abgestimmt: die                                   eingesetzt, bei dem vom Vorjahr Banken. Es gibt keinen       beleidigt, eingeschnappt, wenn ich mir                  Am nächsten Donnerstag beginne ich:
  Yanis Varoufakis: Die Diskussionen, dieses Geben und Nehmen                      Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens. Die Mehrheit hat                                      größeren Übergriff auf ein Land als den, seine Banken zu     einfach nicht merken kann, wer wessen                   „Wir wiederholen die Wörter, denkt an
  und die positive Energie empfand ich als fabelhaft. Es steckt zu-                sich dagegen entschieden. Ist ein Grundeinkommen zu utopisch?                                       schließen.                                                   Cousine ist. David freut sich, dass er die              David, der war wirklich schnell!“
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
[SCHREIBWERKSTATT]                                                                                                                                                              [SCHREIBWERKSTATT]
                                              16                                                                                                                                                                                                                          17

                                            BESUCH IM
                                                                                                                                                                                                    Schreibwerkstatt-Autor Yvan Odi

                                                                                                                                                                                                    Die Fantasie kennt keine Grenzen
                                            SALZBURG MUSEUM                                                                                                                                         Überall Grenzen! Wo das Auge auch hinblickt,
                                                                                                                                                                                                    entdeckt es eingeschränkte Möglichkeiten.
                                                                                                                                                                                                                                                          über den Grenzen hinaus eine, sagen wir mal,
                                                                                                                                                                                                                                                          eine Übergrenze?
                                                                                                                                                                                                    Möglichkeiten, die nie da zu sein scheinen,           Was wäre das denn dann bitte? Danke für diese
                                                                                                                                                                                                    weil es eben Grenzen gibt. Woher kommen die-          wunderbare Frage.
                                                                                                                                                                                                    se Grenzen, und möchte die Frage überhaupt            Nun, so einfach wird das wohl nicht zu beant-
                                                                                                                                                                                                    eine Antwort haben?                                   worten sein, doch auf einen Versuch wollen
                                                                                                                                                                                                    In unserer schönen Stadt Salzburg gibt es             wir es ankommen lassen. Eine Übergrenze ist
                                                                                                                                                                       AUTOR YVAN ODI
                                                                                                                                                                                                    auch in jedem Winkel einen Balken vor unse-           eine Grenze außerhalb der normalen Grenze.
                                                                                                                                                                       schreibt regelmäßig für
                                                                                                                                                                                                    ren Augen. Zum Beispiel im Straßenverkehr.            Sie ist leider auch eine Grenze, aber dafür
                                                                                                                                                                       Apropos
                                                                                                                                                                                                    Die Straße ist übersät mit lauter weißen              eine größere. Diese grenzüberschreitende
                                                                                                                                                                                                    Strichen auf ihrem Asphalt und es ist auch            Sache geht so lange weiter, bis wir zum Ende
                                                                                                                                                                                                    sehr notwendig. Die Verkehrsteilnehmer                dieser kleinen feinen Geschichte kommen.
                                                                                                                                                                                                    sollten wissen, wann sie wo wie fahren, gehen         Wenn jemand geglaubt hätte, jetzt ist plötz-
                                                                                                                                                                                                    oder rollen sollen. Wäre das nicht so, käme           lich alles aus, dann wäre das auch wiederum
                                                                                                                                                                                                    ein heilloses Durcheinander zum Vorschein.            eine Grenze. Doch genug damit.
                                                                                                                                                                                                    Ein mittleres Chaos sozusagen. Damit alle             Die Fantasie ist hier diese wunderbare,
                                                                                                                                                                                                    Teilnehmenden am Verkehr die richtige Spur            erfrischende Lösung. In der Fantasie können
                                                                                                                                                                                                    erwischen, braucht es Hinweise. Fährt, geht           die Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr
                                                                                                                                                                                                    oder rollt jemand irgendwohin, kennt sich             fliegen.
                                                                                                                                                                                                    keiner aus und die Straßenverkehrsordnung             Nur fliegen ist schöner, sollten diejenigen
                                                                                                                                                                                                    wäre außer Kraft. Doch gerade diese ermög-            gesagt haben, die am Boden durch einen un-
                                                                                                                                                                                                    licht es mit ihren Orientierungshinweisen,            verschuldeten Unfall zerstört waren. Geflo-
                                                                                                                                                                                                    die Kurve noch so lala zu kratzen.                    gen wird heutzutage von zu Hause aus durchs
Das Apropos-Verkäuferteam
                                                                            von Verkäuferin Luise                                                                                                   Grenzen also helfen im Straßenverkehr seine           Internet. Die Lichtgeschwindigkeit ermög-
und Kunstvermittlerin Nadja
al Masri (2.v.r.), die durch                                                                                                                                                                        Linie nie zu verlassen. Somit wird folgen-            licht jemandem von Itzling einem anderen in
das Museum führte.                                                          Es war eine interessante Führung. Alle       im Museum sind. Salzburg war früher                                        schweren Unfällen vorgebeugt.                         Aigen schöne Wörter ins Ohr zu hauchen, ohne
                                                                            haben begeistert zugehört, als die Kunst-    bei den Bayern und war schon immer ein                                     Sind Grenzen wirklich so wichtig, wie wir in          dass einer der beiden seinen Hintern bewegen
                                                                            vermittlerin Nadja geredet hat. Die ru-      eigenes Volk. Mir gefällt es auch, dass wir                                unserem Beispiel Straßenverkehr sehr schön            muss. Diese Wörter sind überall nachzulesen,
                                                                            mänischen Verkäufer hatten wieder ihre       von Apropos immer wieder eingeladen                                        veranschaulichen wollten, oder aber gibt es           denn in der Fantasie ist alles möglich.
                                                                            Kinder dabei, die auch sehr interessiert     werden, denn in der Gemeinschaft macht                                                                                           Fantasiert’s ruhig weiter.
APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
[SCHREIBWERKSTATT]                                                                                                                          [SCHREIBWERKSTATT]
                                                      18                                                                                                                                                                                                 19
                               Verkäuferin Andrea                                                                                                                                   Verkäuferin Luise

                               Die Traditionelle                                                                                                                                    Jureks Reise mit dem
                               Chinesische Medizin                                                                                                                                  Tretroller
                                Die Pflanze ist unsere Seele, die Feinheit                                heit braucht. Würde die Nahrungsindustrie                                 Jurek Milewski ist nicht nur Schau-             Frühlingsklassiker des Radsports,
                                ihres Stoffwechsels entspricht auch unserer                               dieses Erzeugnis endlich anerkennen, wäre                                 spieler, sondern auch ein alter Hase im         Paris–Roubaix. 255 Kilometer inklusive
                                Empfindsamkeit. Die Naturhaftigkeit ist der                               viel getan für eine ganze Nation. Auch Qigong                             Radrennsport. Er dachte, er befinde sich        53 Kilometer Kopfsteinpflaster. Das war
VERKÄUFERIN ANDREA                                                                                                                                        VERKÄUFERIN LUISE
                                üblichen chemischen Therapie immer vorzu-                                 ist bei vielen unheilbaren Erkrankungen                                   schon in der Sportpension, aber wie so          ein Rekord letztes Jahr im April, da
hat immer ihren Fotoappa-                                                                                                                                 hat Jurek Milewski beim
                                ziehen, da unsere Seele auch aus den natür-                               eine Bereicherung: Es führt zur Revitalisie-    Theaterspielen kennen-    oft kommt es unverhofft. Ein alter Freund       haben wir Appetit auf längere Distanzen
rat dabei
                                lichen Körpervorgängen Energie gewinnt. Der                               rung durch Körperhaltung und die Anwendung      gelernt                   verkaufte ihm einen Tretroller, der nicht       bekommen. Dieses Jahr zu Pfingsten ist es
                                chinesische Arzt fragt nach der Umgebung                                  von Atemtechniken. Beim Tao der Selbsthei-                                nur als Kinderspielzeug, sondern auch           uns geglückt, Österreich an der breites-
                                und den Lebensumständen des Menschen, den                                 lung nach Dr. Stephen T. Chang finden sich                                als sehr flottes und umweltfreundliches         ten Stelle (400,05 km) binnen 24 Stunden
                                Arbeitsbedingungen, der Ernährung und der                                 die acht Säulen der medizinischen Selbsthei-                              Verkehrsmittel zu gebrauchen ist. Damit         zu durchqueren. Teilgenommen an diesem
                                Familie, dem Klima und dem Aufenthalt des                                 lung: 1. Die Logik und der Sinn des Lebens:                               musste er nicht mehr im Stau stehen und         Rennrekord haben Jurek Milewski, Guido
                                Körpers. Die Ursache der Krankheit ist wich-                              Die Richtlinien des Einzelnen und der Gruppe                              merkte, dass es auch für seinen Körper          Pfeifermann, David Pazek, Zdenek Valeuta
                                tig. Die Traditionelle Chinesische Medizin                                gründen auf den verborgenen Gesetzen des                                  gut war: keine Rückenprobleme, keine            und Eleonor Geskany. Wir haben den bishe-
                                ist eine uralte Weisheit, die immer wieder                                Universums, die gesellschaftliche Entwick-                                Poschmerzen oder Knieprobleme, kein             rigen österreichischen 24-Stunden-Rekord
                                aufgeschrieben und verbessert wurde. Es ist                               lung und das individuelle Wohlergehen sind                                Sattel, der drückt. Der Roller ist auch         verbessert“, erzählte er mir. Jurek muss-
                                das Wissen um die Naturgesetze. In der Pflan-                             vordergründig. 2. Die Revitalisierung: In-                                als Therapie nach Unfällen geeignet.            te sich vor Anstrengung übergeben, aber
                                ze sind normalerweise alle Stoffe enthalten,                              nere Übungen heilen und lindern, sie fördern                              Marlies Schild etwa hat sich nach ihrem         er war überglücklich.
[SCHREIBWERKSTATT]                                                                                                   [SCHREIBWERKSTATT]
                                                                                   20                                                                                                                                                              21
                      von Schreibwerkstattautorin Narcista                                                                                                                   von Schreibwerkstattautor Chris Ritzer

                      Rindsbraten oder:                                                                                                                                      Plastisch und bombastisch
                      Der verhinderte Kartoffelsalat
                        Abends als Hubert und Gabi von der                    komplett sicher. „Da hast du recht. Es würde auch kein rumä-                                   Wir treten ein ins Reich der Phantasie – es           geben kann – denn viele sind gleich, aber
                        Kuchenmesse heimkamen, war ihnen vom                  nischer Dieb, sei es nun ein Einzeltäter oder eine Bande, sich                                 ist ein wunderbares Reich, das eigentlich             manche halt noch gleicher (George Orwell,
                        vielen Tortenprobieren schlecht gewor-                den Aufwand antun, um unsere Tomaten über die rumänische                                       nur jener beurteilen kann, der jemals ein             The animal farm, ein Spezi von Leopold Kohr
                        den. Auf der Messe hatten sie überlegt,               Grenze zu bringen, um sie dann unterpreisig auf den dortigen                                   Korallenriff gesehen hat. Am besten vor der           im Übrigen ... beides sehr visionäre Männer).
                        ob sie der Tante Lili nicht auch einmal               Märkten zu verscherbeln.“ „Das rentiert sich doch nicht“, war                                  Insel Sinai – mehr Farben, mehr Leben kann            „I’m a dreamer, but I’m not the only one ...“,
SCHREIBWERKSTATT-                                                                                                                                AUTOR CHRIS RITZER
                        wie den anderen einen selbstgebackenen                Hubert ganz aufgebracht. „Und da …“, Hubert wanderte durch den                                 man sich kaum vorstellen. Dort hilft alles            sang John Lennon – und wer überhaupt nicht
AUTORIN NARCISTA                                                                                                                                 plant sein erstes eigenes
                        Kuchen bereiten sollten, und sich durch               Garten, „die Zitronenmelisse …“ Gabi war erschüttert, denn sie                                 jedem, aber leider sterben sie auch zuhauf …          mehr von einer besseren Welt träumt, der ist
weiß, dass man immer                                                                                                                             Buch
von dem träumt, was man sämtliche Torten gegessen. Jetzt fühlte               wollte ein ganz spezielles Huhn ummantelt mit Zitronenmelisse                                  Schuld ist die Erwärmung und die Versülzung           auch schon gestorben – nur zu viel träumen
nicht hat               sich der Magen beider unheimlich schwer               zubereiten und das zum Geburtstag von Lili, dem Tantchen.                                      und 1.000 andere Dinge, die wir sowieso nur           ist halt auch verdammt ungesund. Realitäten
                        an. „Ich kann meinen Bauch kaum mehr                  Oder war’s Bruder Karl? „Die Zitronenmelisse gibt es nicht                                     erahnen können.                                       sind zwar auch immer nur ein Teil, oftmals
tragen“, beschwerte sich Hubert, „der ist so vollgefüllt, als                 überall, den Schnittlauch, den kriege ich beim ABC, und den                                    Dinge, die man kaum weiß und die doch nur             sogar ein sehr kleiner Teil der Wahrheit,
wenn ich fünf Bier getrunken hätte.“ „Ja, Bier bläht auf“, ächz-              Salat überall in jedem Supermarkt, aber die Zitronenmelisse,                                   logisch sind … die Ausflüsse der Antipabypil-         aber sind eben da und konkret.
te Gabi. „Und außerdem macht es dich betrunken.“ „Bier macht                  die nicht! Geh zur Polizei und zeig den Diebstahl an!“, befahl                                 le landen genauso im Meer wie die Millionen           Wer die Realität verweigert, landet schnell
jeden betrunken, wenn er zu viel davon trinkt.“ „Kannst du dich               Gabi energisch ihrem Mann. Es war die Zitronenmelisse, die sie                                 Plastiksackerl, die nie wirklich endgültig            in der Klapse, außer er hat sehr viel Geld
erinnern“, schnatterte Gabi, „als du …“ „Also hör mal“, vertei-               so in Aufruhr brachte. „Was koche ich der Tante Lili nun, und                                  entsorgt werden können. In Afrika gibt’s              und ein Privatheer – beides kommt bei Otto
digte sich Hubert, denn er wusste, was nun kommen würde. „Mein                dem Bruder Hans?“ „Dem Karl wolltest du das Huhn auftischen“,                                  eine Stadt, die lebt angeblich ohne Plastik.          Normalverbraucher eh selten vor.
Ausrutscher, als ich stockbetrunken da am … das ist zwanzig                   korrigierte Hubert seine Frau. „Es ist vollkommen egal, ob nun                                 Ich kanns mir nicht vorstellen, bevor ich es
Jahre her und immer noch hältst du mir meine Schandtat vor.“                  Karl, Hans oder Lili das Huhn gegessen hätte. Unser Garten ist                                 nicht gesehen habe.                                   Das, was die Phantasie vermag, ist ungeachtet
„Das war so eine Blamage auf dem Hochzeitsfest von der Nichte                 weg, fortgetragen, abgeerntet. Und ich bin es leid, nochmals                                   „Plastic is fantastic“ hats geheißen, als             aller Pragmatiker ganz arg viel, denn es
von Tante Lili, wie du da rumgetorkelt bist und ihr Hochzeits-                drei Monate anzupflanzen und besorgt bei jedem Regenguss                                       einige Chemiker die Formel für den Kunst-             zeigt uns auf, was grundsätzlich möglich ist
kleid besudelt hast, das war wirklich gemein.“ „Na hör mal, ich               über mein Gemüse zu wachen. Wir haben schon das Ungeziefer,                                    stoff erfunden haben. Es hilft auch, keine            und vor allem wie es möglich sein könnte. Dass
war betrunken. Stockbetrunken!“ „Genau deshalb, hättest du der                die Parasiten und das Unkraut am Hals, jetzt noch Salat- und                                   Frage, aber es schadet in unvorstellbaren             davon nur ein kleiner Teil in der Realität
Hanni gar im nüchternen Zustand ihr Hochzeitskleid besudelt,                  Tomatenräuber, das geht eindeutig zu weit!“ „Du hast voll-                                     Dimensionen.                                          landet, ist Faktum, aber wie viel, das hängt
ich hätte dich sofort verlassen!“ Und Hubert lachte: „Nach                    kommen recht!“ Und Hubert rief die Polizei an. „Ja, hallo …                                    Zurück zur Phantasie – dies leuchtende Reich          dann doch in erster Linie von unserer Tat-
zwanzig Jahren stehst du aber immer noch vor mir und dudelst                  hier … bei uns ist eingebr…, nein, Salat und Gemüse geraubt                                    irgendwo angesiedelt im menschlichen Hirn             kraft ab. Deshalb gilt überall und allzeit: Es
mir deine Predigten vor. Es kann schön anstrengend werden, ich                worden.“ Der Beamte wiederholte den Text: „Salat und Gemüse.“                                  – es ist etwas wunderbar jungfräuliches,              gibt nichts Gutes, außer man tut es! > Fortsetzung folgt ...
                                            APROPOS · Nr. 155 · August 2016                                                                                                                                      APROPOS · Nr. 155 · August 2016
[PORTRÄT-SERIE]                                                                                                                                                                                  [PORTRÄT-SERIE]
                                                                                              22                                                                                                                                                                                                                                           23
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                               STECKBRIEF
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Rennbahn                          FREUT SICH über gute Texte,
                                                                                                                                                                 Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010                                                                                                                    SCHREIBT Gedichte und hat         die in seiner Schreibwerkstatt
                                                                                                                                                                 19,90 Euro                                                                                                                                                 gerade ein dickes Romanmanu-      vorgelesen werden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            skript beendet                    ÄRGERT SICH über Aufgebla-
                                                                                                                                                                 Müller betreibt zusammen mit Stefan B. Findeisl                                                                                                            LIEST gerade Viktor Jerofejews    sene, die nicht merken, dass
   Schriftsteller trifft Verkäufer                                                                                                                               die textgespräche, eine frei zugängliche Literatur-                                                                                                        „Der gute Stalin“, eine Art       sie nicht reden, sondern dass
                                                                                                                                                                 werkstatt.                                                                                                                                                 Doppelbiographie                  ihnen nur heiße Luft entweicht

   ZWEI VERKAUFTE ZEITUNGEN
                                                                                                                                                                     www.argekultur.at/service/workshops.aspx

   BEDEUTEN EINE DUSCHE
                                                                                                                                                                                                                       sondern auch für die Eltern und und die jüngeren           tabu, und Hochzeitsfeste,
                                                                                                                                                                                                                       Geschwister: Genesa hat sieben, Răzvan fünf Brüder         die früher über drei Tage
                                                                                                                                                                                                                       und Schwestern. Trotzdem haben die beiden in den           hinweg zelebriert worden
                                                                                                                                                                                                                       letzten fünf Jahren, in denen sie halb in Salzburg, halb   seien, gehörten auch zum
                                                                                                                                                                                                                       in Pitești gelebt haben, so viel gespart, dass sie sich    Sündenkatalog. Man
                                                                                                                                                                                                                       vor kurzem ein Grundstück haben kaufen können.             hüte sich also, seinem
                                                                                                                                                                                                                       Sie wünschen sich nichts so sehr als ein eigenes Haus,     Apropos-Verkäufer an-
                                                                                                                                                                                                                       denn noch hausen sie, wenn sie in Rumänien sind,           stelle von 2,50 Euro eine
                                                                                                                                                                                                                       sehr beengt bei Genesas Eltern.                            Flasche Bier oder ein paar
                                                                                                                                                                                                                                                                                  Zigaretten zuzustecken.
                                                                                                                                                                                                                       Ihr Daheim, das ist ein Dorf in der Nähe von Pitești,      Es könnte sein, dass er
                                                                                                                                                                                                                       und Pitești ist eigentlich keine arme Stadt, zumindest     oder sie nach weit stren-
                                                                                                                                                                                                                       nicht für rumänische Verhältnisse. Dort werden all         geren Moralvorstellungen
                                                                                                                                                                                                                       die günstigen Dacias gebaut, die Europa von dem            lebt als man selbst.
                                                                                                                                                                                                                       Aufschwung künden, den die rumänische Wirtschaft
                                                                                                                                                                                                                       in den letzten Jahren genommen hat. In Pitești gibt        Vielleicht hat es mit ihrer
                                                                                                                                                                                                                       es auch eine Raffinerie der Petrom, des größten ru-        Religion zu tun, dass Răzvan und Genesa darum
                                                                                                                                                                                                                       mänischen Erdölkonzerns, der übrigens zur OMV              bemüht sind, als Rumänen und nicht als Roma
                                                                                                                                                                                                                       gehört. Zu kommunistischen Zeiten war Răzvans              wahrgenommen zu werden, vielleicht ist ihnen auch
                                                                                                                                                                                        Dem jungen Paar machte         Vater in der Autofabrik beschäftigt, aber nach der         nur das leicht Anrüchige, Lottrige, das jene umweht,
                                                                                                                                                                                        das Gespräch sichtlich Spaß.   politischen Wende wurde er wie alle ungelernten            die unter den Salzburger Brücken schlafen, peinlich.
                                                                                                                                                                                                                       Arbeiter entlassen. Als Răzvan mit siebzehn aus der        Als Apropos-Verkäufer stehen sie ganz oben in der
                                                              von Christian Lorenz Müller                                                                                                                              Schule kam, zog er gemeinsam mit seinem Vater von          Hierarchie der Straße. Anders als früher, als sie billig
                                                                                                                                                                                                                       Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof und verdingte sich            gemachte Heftchen aus Wien an den Mann oder die

                                                              W
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dolmetscherin Doris Welther, Răzvan, Genesa,
                                                                      ann haben Sie das letzte Mal im             stützung gut brauchen kann, gilt es doch       wenn sie in einer gut ausgestatteten Wohnung          um einen Tagelohn auf Baustellen, im Wald oder             Frau zu bringen suchten, vertreiben sie heute ein an-               Sohn Daniel Santiago und Christian Lorenz
                                                                      Auto übernachtet? Während einer             nicht nur, Geschäft zu machen, sondern sich    leben. Wie viel Disziplin muss es Genesa und          auf den Feldern. Nichts würde er lieber tun, als hier      sprechend aufgemachtes Blatt, hinter dem ein sehr                   Müller bei ihrem Treffen im Café Haidenthaler.
                                                              Urlaubsreise in ihrer Jugendzeit vielleicht, als    auch um Daniel Santiago zu kümmern. Der        Răzvan kosten, nach zahllosen Nächten auf             in Salzburg eine ordentliche Arbeit anzunehmen,            aktiver, bestens vernetzter Verein steht. Wer nichts
                                                              das Geld knapp und Abenteuerlust vorhan-            jüngere Sohn des rumänischen Paars ist nun     finsteren Parkplätzen noch derart adrett aus-         aber wer stellt schon jemanden ein, der samt seiner        zu verkaufen hat, versucht einem Musikinstrument
Kunden aus Wirtschaft, Politik, Theater und Kunst gemeinsam

                                                              den war? Haben Sie sich am Morgen neben             zwei Jahre alt, ein aufgewecktes, lebendiges   zusehen wie bei unserem Gespräch in einem             Familie im Auto wohnt? Und wer gibt jemandem,              Töne zu entlocken, und denen, die kein Akkordeon,
Andreas Hauch arbeitet seit fast 25 Jahren als Fotograf mit

an guten Bildern. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch.

                                                              dem Fahrzeug die Zähne geputzt und den              Kind, das nicht den ganzen Tag in einem        Café in der Linzer Gasse? Da gibt es keinen           der keine Arbeit hat, eine Wohnung?                        keine Blockflöte oder Gitarre besitzen, bleibt nur
                                                              Gaskocher angezündet, um sich Kaffee zu             Einkaufswagen sitzen will und sich schon       Drei-Tage-Bart und kein zerknittertes Leib-                                                                      noch das Betteln.
                                                              machen? Haben Sie vielleicht romantisch-            gar nicht mit den Süßigkeiten ruhigstellen     chen, ja nicht einmal ungewaschenes Haar.             Genesa und Răzvan sind Mitte zwanzig, ein Alter, in
                                                              unbeschwerte Erinnerungen an derartige              lässt, die ihm Genesas Stammkundinnen          Die beiden legen viel Wert auf ihr Äußeres,           dem so manche junge Österreicher noch nicht einmal         Gefragt, was das sympathische Verkäuferpaar sich für
                                                              Nächte, weil sie danach ans Meer oder in            manchmal zustecken. Die Nacht verbringt        allein schon weil sie das Gefühl haben, ihren         realisiert haben, dass man den Eltern nicht ewig auf       die Zukunft wünscht, meint Genesa bescheiden, dass
                                                              eine schöne Stadt gefahren sind?                    der Bub auf der Rückbank des erwähnten         Kunden dies schuldig zu sein. Zur Körper-             der Tasche liegen kann, von ernsthaften Gedanken           sie für sich selbst nicht mehr viel erwarteten. „Wir
                                                                                                                  Autos, und es geschieht immer wieder, dass     pflege steuern sie regelmäßig Raststätten             an eine Familiengründung ganz zu schweigen. Wie            leben für die Kinder. Wir möchten ein Haus bauen,
                                                              Wenn Genesa und Răzvan in Salzburg                  der Kinderschlaf durch die Polizei gestört     für Lkw-Fahrer an, wo eine Dusche 2,50                selbstverständlich nehme ich an, dass die beiden           und unsere Kinder sollen eine gute Ausbildung be-
                                                              sind, schlafen sie jede Nacht im Auto, zwei         wird, denn Übernachten im Wagen wird in        Euro kostet, also doppelt so viel, wie sie pro        schon seit Jahren verheiratet sind und frage, gängige      kommen.“ Aber einen Wunsch haben sie dann doch
                                                              Monate lang. Am Morgen geht es nicht zum            Österreich nicht toleriert. Es kann vorkom-    verkaufter Zeitung einnehmen. Um die 20,              Klischees über Romatrauungen im Kopf, wie lange            noch: Hier in Salzburg nicht mehr im Auto schlafen
Mail: fotohauch@gmx.at

                                                              Sightseeing oder zum Baden, sondern zur             men, dass binnen weniger Stunden mehrmals      30 Stück kann Genesa an einem Werktag                 denn Hochzeitsfeste bei ihnen im Dorf dauern               zu müssen. „Im Winter ist es doch sehr hart, besonders
                                                              Arbeit. Apropos zu verkaufen ist kein Ho-           der Standplatz gewechselt werden muss. Dies    verkaufen, samstags manchmal mehr. Trotz-             würden. „Ein gutes Essen ist in Ordnung“, antwortet        für die Kleinen“, sagt Răzvan. „Ein Dach über dem
                                                              nigschlecken, weht einem doch dabei nicht           bedenke, wer sich einmal einem schlecht        dem lässt sich nicht wirklich ausrechnen, was         Răzvan. „Aber wir feiern nicht so lange. Wir sind          Kopf wäre gut, ein Stall oder ein Abbruchhaus, das
                                                              immer ein laues Lüftchen um die Ohren,              gelaunten, unausgeschlafenen Apropos-          dem jungen Paar nach einem zweimonatigen              evangelikale Christen.“ Es stellt sich heraus, dass sich   genügt schon. Strom und fließend Wasser brauchen
                                                              im realen wie im übertragenen Sinne. So ist         Verkäufer gegenübersieht und im ersten         Aufenthalt in Österreich in etwa übrig bleibt.        etwa die Hälfte der Leute in ihrer Gegend zu einer         wir nicht unbedingt.“
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