APROPOS - PHANTASTISCH - 2 , 5
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APROPOS Nr. 155 Den VerkäuferInnen bleibt EUR 1,25 2,E5ur0o Ihre äuferin Verk käufer: p - o s r Ap ro o pos-Ve pr Ihr A e! Dank sagt PHANTASTISCH DIE MACHT DER PHANTASIE 10 JAHRE HUNGER AUF KUNST UND KULTUR YANIS VAROUFAKIS IM INTERVIEW AUGUST 2016 APROPOS · Nr. 155 · August 2016
2 [INHALT] [EDITORIAL] 3 Thema: PHANTASTISCH SCHREIBWERKSTATT Platz für Menschen und Themen, die sonst 4 Das Leben ist eine Bühne nur am Rande wahrgenommen werden. Cartoon 17 Yvan Odi 6 Soziale Zahlen Peter Kreativität 18 Andrea 5 Was sehen Sie auf diesem Bild? ist Trumpf wUrsula 19 Luise 6 „Phantasie ist Freiheit“ Lindenbauer Interview mit Elisabeth Auer und 20 Narcista und Elisabeth Ursula Lindenbauer 21 Chris Auer von der „Schule der Phantasie“ im Apropos- 10 Hunger auf mehr Titelinterview. Kulturpass feiert Jubiläum AKTUELL 12 Das Gift in den Köpfen 22 Schriftsteller trifft Verkäufer Warum Populismus so gut funktioniert Christian Lorenz Müller porträtiert EDITORIAL PHANTASTISCH Genesa Onica & Răzvan Feraru 14 Hoffentlich einmal unnötig sein Interview mit Yanis Varoufakis 24 Kultur-Tipps Was ist los im August 15 Sprachkurs Kinder lernen durch Vorbilder 25 Gehört & gelesen Liebe Leserinnen und Leser! Buch- und CD-Tipps zum 16 Besuch im Salzburg Museum Nachhören und Nachlesen Ich lese gerade ein inspirierendes Buch: „Der Lange Zeit hat Verkäuferin und Schreibwerkstatt- 10 Apropos bei der Landesausstellung Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Darin Autorin Luise Slamanig mithilfe des Kunst- und 26 Kolumne: Robert Buggler beschreibt die amerikanische Schriftstellerin an- Kulturpasses Theaterstücke, Kabaretts und Kon- Leserbriefe hand eines 12-Wochen-Programms, wie sich der zerte besucht, vor kurzem stand sie selbst auf den Zugang zur eigenen Kreativität spielerisch (wieder) Brettern, die die Welt bedeuten – spielte sie doch Kunst und entdecken lässt. Sie schlägt darin unter anderem unlängst in Reini Tritschers Theaterstück „Hafen Kultur für alle VERMISCHT einen wöchentlichen Kreativ-Treff mit sich selbst der verlorenen Sehnsüchte“ mit. Theatermacher Der Kulturpass macht es möglich vor, um sein inneres Künstler-Kind zu erfreuen. Tritscher war es auch, der vor zehn Jahren die 27 Straßenzeitungen weltweit – seit nunmehr zehn Jahren. Wiener Idee des Kulturpasses nach Salzburg 28 Apropos Kreuzworträtsel Auch die Salzburger „Schule der Phantasie“ will brachte: nämlich Menschen, die sich aufgrund ins Reich der Kreativität locken, denn daraus finanzieller Engpässe Kultur nicht leisten können, 29 Apropos intern lässt sich viel Energie und Selbstwert schöpfen. einen kostenfreien und würdevollen Zugang zu Apropos-Redakteurin Katrin Schmoll hat sich für ermöglichen (S. 10/11). Denn auch wer wenig 22 30 Kolumne: Das erste Mal Begegnung Von Bettina Rossbacher das Titelinterview mit den Kreativtrainerinnen Eli- Geld hat, ist salonfähig. Schriftsteller sabeth Auer und Ursula Lindenbauer getroffen und 31 Chefredaktion intern mit ihnen über gelebte Phantasie, Blockaden und Das bewies auch die Teilnahme des griechischen Christian Lorenz Müller trifft Apropos- Leser des Monats unnötigen Leistungsdruck gesprochen (S. 6–9). Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis bei der 12 Verkäuferpaar Genesa Onica heurigen Straßenzeitungs-Konferenz in Athen. Impressum Gefährliches & Răzvan Feraru. Alle Delegierten waren begeistert, einem solch Schwarz- exklusiven Vortragenden quasi auf Armeslänge weiß-Denken – und auf Augenhöhe – zu begegnen (S. 14/15). Was hinter dem Erfolg popu- listischer Parteien steckt. Herzlichst, Ihre Grundlegende Richtung Preise & Auszeichnungen Apropos ist ein parteiunabhängiges, soziales Im März 2009 erhielt Apropos den René-Marcic- Zeitungsprojekt und hilft seit 1997 Menschen in Preis für herausragende journalistische Leistungen, sozialen Schwierigkeiten, sich selbst zu helfen. 2011 den Salzburger Volkskulturpreis & 2012 die 14 Die Straßenzeitung wird von professionellen Jour- Sozialmarie für das Buch „Denk ich an Heimat“ sowie Michaela Gründler nalistInnen gemacht und von Männern und Frauen 2013 den internationalen Straßenzeitungs-Award Chefredakteurin verkauft, die obdachlos, wohnungslos und/oder in der Kategorie „Weltbester Verkäufer-Beitrag“ für michaela.gruendler@apropos.or.at langzeitarbeitslos sind. das Buch „So viele Wege“. 2014 gewann Apropos In der Rubrik „Schreibwerkstatt“ haben sie die Mög- den Radiopreis der Stadt Salzburg und die „Rose lichkeit, ihre Erfahrungen und Anliegen eigenständig für Menschenrechte“. 2015 erreichte das Apropos- zu artikulieren. Apropos erscheint monatlich. Die Kundalini-Yoga das Finale des internationalen Querdenker 27 VerkäuferInnen kaufen die Zeitung im Vorfeld um Straßenzeitungs-Awards in der Kategorie „Beste Der ehemalige griechi- 1,25 Euro ein und verkaufen sie um 2,50 Euro. Straßenzeitungsprojekte“. sche Finanzminister Apropos ist dem „Internationalen Netz der Straßen- zeitungen” (INSP) angeschlossen. Die Charta, die Yanis Varoufakis im 1995 in London unterzeichnet wurde, legt fest, dass Interview. Straßenzeitungen weltweit die Straßenzeitungen alle Gewinne zur Unterstützung Aktuelles aus der Straßenzeitungswelt. ihrer Verkäuferinnen und Verkäufer verwenden. APROPOS · Nr. 155 · August 2016 APROPOS · Nr. 155 · August 2016
4 [PHANTASTISCH] WAS SEHEN SIE Wunsch nach Anerkennung DAS LEBEN IST EINE BÜHNE von Katrin Schmoll S üchtig nach Anerkennung – das gibt es tatsächlich. Schließlich schüttet unser Hirn bei jedem Lob Besonders gut lässt sich das im Berufsleben beobachten: Stress entsteht Medizinern zufolge vor allem dann, AUF DIESEM BILD? oder freundlichen Blick Dopamin und Oxytocin aus, wenn es eine Kluft gibt zwischen großer Anstrengung Soziale Zahlen im August Foto: iStock dadurch fühlen wir uns auf einen Schlag glücklicher, und geringer Anerkennung. Demnach ist der Grund stärker und oftmals geradezu „berauscht“. Neurobio- logische Studien zeigen, dass nichts das Motivations- für ein Burn-out auch nicht zu viel Arbeit, sondern das Gefühl, sich immerzu anzustrengen, ohne etwas Passt schon! system so sehr ankurbelt, wie von anderen gesehen und dafür zu bekommen. sozial anerkannt zu werden. Jedes „Like“ fürs eigene Foto auf sozialen Medien wie Facebook oder Instagram Sind wir der Sucht nach Anerkennung also hilflos schmeichelt der Seele, ein „Wow, tolle neue Friseur“ ausgeliefert? Nicht ganz. An unserer Haltung uns kann uns den Tag versüßen. Je nachdem, wie stark das gegenüber können wir arbeiten und dadurch unser eigene Selbstwertgefühl ausgeprägt ist, lechzen wir Selbstwertgefühl stärken. Das bedeutet konkret: Be- Die ÖsterreicherInnen sind mehr oder weniger nach der Anerkennung der ande- dürfnissen und Ängsten auf den Grund gehen, gnädig sehr zufrieden mit ... ren – dass sie einem egal wäre, kann aber nun wirklich mit sich sein und sich auch mal selber zujubeln, wenn ihrem Sozialleben (62 %) niemand behaupten. Das Bedürfnis nach Bestätigung es grade kein anderer tut.
[PHANTASTISCH] 7 „PHANTASIE Titelinterview Titelinterview mit Elisabeth Auer und Ursula Lindenbauer von Katrin Schmoll Was fanden Sie zuletzt so richtig phantastisch? Bewertung ablaufen und die Kinder sollen einfach Freude daran Elisabeth Auer: Am Muttertag haben mich meine Enkelsöhne haben, ihre Phantasie auszuleben. Wir haben keinen Unterrichts- besucht. Wir sind zusammen in mein Kunstatelier gegangen und plan, sondern können mit den Kindern das tun, was uns selbst IST FREIHEIT“ plötzlich haben sie zu mir gesagt: „Omi, du kannst jetzt einen Freude macht und was wir mit Freude weitergeben können. Kaffee trinken gehen, wir wollen alleine sein.“ Sie haben sich Umgekehrt müssen wir so flexibel sein, dass wir den Kindern selbstständig Farben rausgesucht und tolle Sachen gemalt. Für nicht das aufzwingen, was wir selbst gut finden, sondern ihnen mich war es phantastisch, dass sie sich getraut haben zu sagen, die Freiheit geben, das auszuleben, was ihrer eigenen Phantasie „wir wollen alleine sein und das für uns machen“. Daran sollten entspringt. Nur dadurch entstehen eigene Werke. wir Erwachsene uns ein Beispiel nehmen. Malen, basteln, tanzen, Regenwurmhäuser bauen Sie bieten nicht nur Kurse für Kinder, sondern auch für Erwachsene und an Grashalmen drehen: Die beiden Krea- Ursula Lindenbauer: Ich hab vor kurzem einen Kurs in einer an – wie werden die angenommen? tivtrainerinnen Elisabeth Auer und Ursula Volksschule gehalten, in der die Kinder wirklich kaum zu bändi- Ursula Lindenbauer: Sehr gut. Das Interessante ist, dass über Lindenbauer von der „Schule der Phanta- gen waren. Eines Morgens sind wir schließlich auf den Mönchs- die Kinder oft die Eltern wieder ins Tun kommen. Wenn sie sie“ in Salzburg erzählen im Apropos- berg gegangen und hatten vor, dort mit Ton zu arbeiten. In der sehen, wie viel Freude ihre Kinder beim kreativen Arbeiten haben, Interview, warum Phantasie wichtiger Nacht zuvor hat es geregnet und am Weg nach oben lagen unzäh- entdecken sie dadurch oft selbst ihr inneres Kind wieder. Bei einer ist als Wissen, was uns davon abhält, lige Regenwürmer. Die Kinder Fortbildung war mal ein Atomphysi- kreativ zu sein, und wie man das haben schließlich angefangen, ker dabei, der in Harvard und an vie- „innere Kind“ am besten rauslässt. die Regenwürmer auszubuddeln und aufeinander zu stapeln. Ich Wer keine Luftschlösser len anderen Universitäten gelehrt hat. Während des Seminars hat er zu uns hab daraufhin zu ihnen gesagt: „Warum nehmt ihr nicht den bauen kann, kann auch gesagt: „Das ist das erste Mal, dass ich genau das tue, was mir richtig Spaß Ton und baut damit Häuser für die Würmer?“ Ab dem Zeit- keine Ideen entwickeln.“ macht und mir guttut.“ Wir haben uns verkleidet und ein spontanes Schau- punkt waren sie gar nicht mehr spiel aufgeführt. Es war toll zu sehen, zu halten und bauten ein Regenwurmhaus nach dem anderen. wie er sein inneres Kind rausgelassen hat – das wollte er schon Sie waren so völlig in ihrer eigenen Welt und ich hab mir in dem immer machen, aber hat sich nicht getraut, immerhin ist er ein Moment nur gedacht: „Yeah, genau das ist es!“ renommierter Atomphysiker. Bei uns hat er nicht nur die Erlaub- nis, sondern die Aufforderung dazu bekommen, sich auf kreative Wie sind Sie beide zur „Schule der Phantasie“ gekommen? Art und Weise mit sich selbst zu beschäftigen. Da durfte er dann Bernhard Müller, Photograph Elisabeth Auer: Ich komme ursprünglich aus der Touristikbran- endlich mal ein bisschen spinnen und verrückt sein, das hat ihn www.fokus-design.com che, aber habe schon vor vielen Jahren zu malen begonnen. In total gestärkt. Ich glaube, in dem Moment hat er kapiert, dass er einem meiner Malkurse habe ich Margitta Bukovski kennenge- diese Kreativität dazu verwenden kann, dass es ihm gut geht. lernt, sie ist eine Schülerin von Rudolf Seitz, der in den 1980er- Jahren die „Schule der Phantasie“ in München gegründet hat. Elisabeth Auer: Die Phantasie der Erwachsenen ist durch die Bukovski hat das Konzept nach Salzburg gebracht und wir haben Gesellschaft eingeschränkt. Wir müssen uns an Regeln halten, dort 1991 zusammen die „Schule der Phantasie“ eröffnet. dürfen nichts außerhalb des Rahmens machen, denn das verträgt die Gesellschaft nicht. Man muss so arbeiten, wie es der Chef Ursula Lindenbauer: Ich bin selbstständige Tänzerin und Foto- vorschreibt und kann dabei überhaupt nicht seine Phantasie FOTOS grafin und im Jahr 1997 durch eine Freundin dazugekommen. Als anwenden. Daher gibt es auch von Seiten der Erwachsenen eine sie einen Kurs mal nicht abhalten konnte, bin ich für sie einge- große Nachfrage nach kreativen Kursen. sprungen. Mir hat es auf Anhieb riesigen Spaß gemacht und so hab ich mich schließlich zur Kreativtrainerin ausbilden lassen und Wie lässt sich die eigene Phantasie schulen? bin fix bei der „Schule der Phantasie“ eingestiegen. Ursula Lindenbauer: Jeder Mensch sollte sich daran orientieren, dass er Ressourcen hat, durch die es ihm besser geht – und damit Was ist die Grundidee hinter dem Konzept? sind nicht nur körperliche Ressourcen gemeint, sondern vor allem Elisabeth Auer: Rudolf Seitz hat damals die „Schule der auch die Seelenressourcen. Wenn man Körper, Geist und Seele als Phantasie“ ins Leben gerufen, weil er gemerkt hat, dass Kinder Einheit sieht und sich fragt: „Was brauche ich, damit es mir gut immer mehr ihre Individualität verlieren. Jedes Kind muss das geht?“, dann kann man daraus ganz viel Energie schöpfen. Geht’s gleiche T-Shirt und die gleiche Jeans tragen, schaut die gleiche mir gut, wenn ich draußen in der Natur bin? Geht’s mir gut, wenn Fernsehsendung und hat die gleichen Vorbilder. Selbstgebautes ich in der Wiese sitze und Grashalme drehe oder wenn ich mit hat überhaupt keinen Wert mehr, da muss es schon das neueste Freunden zusammen singe, lache, tanze ... das sind alles Ressour- Spielzeugauto um 60 Euro sein. Wir arbeiten darauf hin, dass der cen. Es geht darum, diese zu fördern. Das ist ganz wesentlich, Selbstwert der Kinder durch die eigene Kreativität gestärkt wird, denn dadurch wird der Selbstwert gestärkt und dadurch kann dass sie stolz darauf sind, aus alten Schachteln eine Burg gebaut man den Mut schöpfen, kreativ zu sein. Vor kurzem habe ich im zu haben, weil das dann ihre Burg ist, die ihre Individualität Auftrag von Akzente und dem Frauenbüro einen Kurs für junge ausdrückt. Seitz hat immer gesagt, die Kreativität der Kinder von Mädchen abgehalten, bei dem es genau darum ging. Sie sollten heute ist förderlich für die Wirtschaft von morgen. Das ist aber Fotos von sich und von den anderen machen und sich so in einem nicht der zentrale Gedanke, das Ganze soll spielerisch ohne geschützten Raum mit sich selbst auseinandersetzen, >> APROPOS · Nr. 155 · August 2016
8 [PHANTASTISCH] [PHANTASTISCH] 9 NAME Elisabeth Auer FREUT SICH über ein NAME Ursula Lindenbauer FREUT SICH über gute STECKBRIEF STECKBRIEF LEBT in Salzburg Lächeln LEBT in Salzburg Kommunikation ARBEITET als Kreativtrainerin ÄRGERT SICH über über- ARBEITET als Kreativtraine- ÄRGERT SICH über TRÄUMT von Freiheit in allen flüssige Vorschriften und rin und Fotografin unnötige Beschränkungen Bereichen, die es nur gibt, Bevormundung TRÄUMT von gelebter Frei- und Frieden auf der ganzen heit und einem respektvol- Welt len Miteinander quasi den Fokus nach innen richten und sein eigenes Foto auch kannst nicht singen“ die Freude an der Sache nehmen und ein oder „Ich bin es mir wert, ein Lied zu singen, weil ich gerade als Spiegelbild seiner selbst und der Gesellschaft erkennen. Das halbes Leben lang verfolgen. In erster Linie bedeutet kreativ zu Lust drauf hab.“ Wenn das in der Balance ist, kann man wahn- Spielen und Ausprobieren als gelebte Kreativität mit sich und den sein, auch mal die Muße haben, gar nichts zu tun, nur dazusitzen sinnig viel schaffen, wenn nicht, blockiert es einen. anderen im geschützten Rahmen kann unheimlich viel bewegen. und in sich hineinzuspüren und zu träumen. Und wenn ich dann Diese Erkenntnis hat sich auch mittlerweile in der Gehirnfor- doch etwas tue, dann mit Freude. Wenn man unter einem großen Kann Kreativität auf Knopfdruck, wie sie in vielen Jobs gefragt ist, schung bewiesen. Leistungsdruck stehe, vergeht die Freude dadurch oft. Dann muss dennoch funktionieren? man sich fragen: Mag ich das noch? Ist mir das nicht zu viel? Ursula Lindenbauer: Wenn du ein kreativer Mensch bist und Elisabeth Auer: Ein kreativer Prozess entwickelt sich weiter, in- Bräuchte ich nicht etwas ganz anderes? Das ist genau die Acht- es schon länger machst, dann ja, und zwar möglicherweise nicht dem man etwas macht und dann sieht, das hätte ich noch anders samkeit, die man durch Kreativität lernen kann. Dieses „Ich bin es nur zum Beispiel in der Werbeagentur, sondern auch daheim machen können, das nächste Mal probiere ich es, so oder so. Es mir wert, mich mal hinzusetzen, nichts zu tun und zu träumen“ am Klo, in der Dusche oder sonst wo. ist, als ob man ein Kapitel nach dem anderen hinzufügen würde. Das zieht dann weite Kreise und plötzlich merkt man, ich will Elisabeth Auer: Es kann einem genauso am Schreibtisch nicht nur basteln, ich will auch malen, ich will Musik hören und was einfallen, man braucht nur Vorgesetzte, die einem sagen: mich dazu bewegen. „Mach Entwürfe, du kriegst keine negative Beurteilung.“ Dazu braucht es Führungskräfte, die einen in die Freiheit führen, Albert Einstein hat einmal gesagt: „Phantasie ist wichtiger denn Fantasie ist Freiheit. Ich arbeite als Maltherapeutin unter als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Stimmen Sie ihm anderem auch mit Schlaganfall-Patienten. Da sind auch mal zu? Menschen dabei, die sagen: „Ich hab jetzt gerade keine Lust Apropos-Redakteurin Katrin Schmoll Ursula Lindenbauer: Absolut. Ein kreativer aufs Malen.“ Ich würde ihnen niemals sagen: „Sie müssen aber!“ unterhielt sich am Mönchsberg mit Mensch hat mehr Lösungsansätze, weil er Ich sage dann höchstens: „Probieren Sie’s, setzen Sie sich her den beiden Kreativtrainerinnen. viel flexibler ist. Kreativität ist ja nichts an- und schauen Sie uns zu und wenn es Ihnen nicht gefällt, bringe deres als die ausgeführte Fantasie. Wenn ich Sie zurück in Ihr Zimmer.“ Es ist unglaublich, wie viele einer keine Luftschlösser bauen oder Leute nach einer Viertelstunde zum Pinsel greifen, weil sie träumen kann, kann er auch keine merken, sie haben die Freiheit. Das, was sie jetzt tun, tun Ideen entwickeln. Viele sogenannte sie aus eigener Überlegung und das Endergebnis wird Spinner, die eine Vision hatten und nicht beurteilt. Es kommen teilweise die verrücktesten sich getraut haben, diese umzuset- Sachen dabei heraus und die Leute zerkugeln sich am zen, hatten damit schlussendlich Erfolg. Das ist auch eine Art von Ende des Kurses oder sie staunen über die von ihnen geschaffenen Kunstwerke. Ich bin es mir wert, dass Selbstwert: Ich bin es mir wert, dass ich träumen darf, dass ich Wie bauen Sie sich persönlich mithilfe von Phanta- ich träumen darf, dass ich mir die Welt ein bisschen ver- rückt anschaue und das auch laut sie an schlechten Tagen wieder auf? Ursula Lindenbauer: Für mich ist Tanzen ein ganz mir die Welt ein bisschen tue. In dem Moment, in dem ich es ausspreche, ist schon etwas in wichtiges Ritual. Selbst wenn ich nach einem langen Arbeitstag total geschafft bin, schleppe ich mich zum verrückt anschauen darf.“ Gang gesetzt. Da können dich die Tanztraining und tanke dadurch ganz viel Energie. anderen für noch so verrückt hal- Danach bin ich zwar müde, aber gleichzeitig innerlich ten, aber es ist deine eigene Vision erfüllt und aufgerichtet. Ich glaube, jeder braucht so und die gilt es dann umzusetzen. seine Rituale. Wenn man beim Frühstück zehn Minuten dasitzt und in die Luft starrt, ist das genauso ein Ritual. Hindert uns die ständige Forderung nach Das sollte man auf keinen Fall unterschätzen oder versu- Leistung daran, kreativ zu sein? chen, sich abzugewöhnen. Ursula Lindenbauer: Dieser Leistungs- Es gibt da auch ein schönes Beispiel von dem Psychoanaly- druck ist eigentlich ein wahnsinniger tiker C. G. Jung. Nachdem seine Frau gestorben ist, hat er Schule der Phantasie INFO Killer. Das fängt schon bei den Volksschul- bei seinem Haus in Lausanne nachts Spaziergänge am Strand kindern an. Sie sitzen den ganzen Tag in der gemacht, weil er nicht schlafen konnte. Schließlich hat er Die „Schule der Phantasie“ ist ein gemeinnüt- ziger Verein, der von Mitgliedern, Sponsoren Schule und sind permanent gefordert, sie haben begonnen mit Steinchen Manderl, Muster und Sandburgen und von der Stadt Salzburg gefördert wird keine Rückzugsgebiete, um zur Ruhe zu kommen, zu bauen. Als er am nächsten Tag zum Strand zurückkehrte, und Kreativkurse für Kinder, Jugendliche und und können sich dadurch überhaupt nicht in andere hi- war natürlich alles vom Wasser weggeschwemmt worden und Erwachsene zu günstigen Preisen anbietet. Das neinfühlen. Dann kommt auch noch die ständige Benotung er hat von vorne begonnen. Dieser Prozess hat ihn befreit von Kursangebot reicht von Malen und Basteln über dazu. Das kennt doch jeder aus der eigenen Schulzeit, dass ei- der Schwere seiner Trauer und er hat wieder Lust am Leben Tanzen bis hin zu Fotografie und Beschäftigung nen Sätze wie „Das ist nicht schön, was du da machst“ oder „Du gewonnen.
10 [PHANTASTISCH] [PHANTASTISCH] 11 NAME Sara Bartl STECKBRIEF Foto: Katrin Benzler FANTASIERT SICH manchmal in die Zukunft HAT HUNGER auf neue Geschichten KUL-TOURT vorzugsweise ins Foto: Sigrid Riepl Theater oder Kino Foto: Wolfgang Lienbacher Menschen, die von Armut betroffen sind, in den be- lenken, dass es zahl- teiligten Institutionen Tickets bekommen. „Wenn eine reiche Menschen gibt, Kultureinrichtung oder Institution Partner von „Hunger die sich Kultur nicht auf Kunst und Kultur“ ist, dann gilt dort grundsätzlich leisten können. Und der Kulturpass. Das heißt, jemand der den Kulturpass darum, stets deutlich hat, kommt dort hin und holt sich eine Karte“, erläutert zu machen, dass in Tritscher. Sachen Armutsbe- Kunst und Kultur als Lebensmittel Und das Projekt wird gut angenommen. Wurden im kämpfung keineswegs HUNGER Jahr 2008 noch knapp weniger als 1.000 Kulturpässe ein Ende erreicht ist. ausgegeben, sind es heute schon mehr als doppelt so Während seit der viele. So wurden in den letzten zehn Jahren Karten im Initiative mehr als Gegenwert von einer halben Million Euro ausgeben. 15.000 Kulturpässe AUF Tritscher, der die künstlerische Leitung des Theater ausgegeben wurden ecce innehat, merkt an: „Ein Theaterabend ist so etwas und das Projekt sogar Vergängliches und diese Aktion, die gibt es jetzt seit zehn auf Schulen erweitert Jahren, und ich weiß nicht, wie viele tausend Menschen wurde, hinterlässt der davon profitiert haben. Das freut mich einfach.“ Erfolg auch einen bit- MEHR teren Beigeschmack. Am ganz normalen Leben teilhaben „Der Erfolg von zehn „Hunger auf Kunst und Kultur“- Jahren ‚Hunger auf Kunst und Kultur‘ ist zu hinterfragen. Initiator Reinhold Tritscher Wie wichtig diese Aktion ist, zeigt ein Blick auf die Er bedeutet, dass sich in der Politik nicht viel getan hat“, Armutsbekämpfung bedeutet mehr als Essen, Klei- Armutsstatistiken. In Salzburg sind 15 Prozent der gibt Robert Buggler zu bedenken. Das – vielleicht auch dung und ein Dach über dem Kopf. Armutsbekämp- Menschen von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung etwas utopische – Ziel, den Kulturpass abzuschaffen, fung heißt auch am Leben teilhaben, zum Beispiel betroffen. Acht Prozent der Salzburger Bevölkerung weil er nicht mehr notwendig ist, bleibt also bestehen. durch Kunst und Kultur. Der Kulturpass macht es geben an, sich keine mit Kosten verbundenen Freizeit- „Ich glaube, dass wir schon immer so ein kleines biss- möglich – seit nunmehr schon zehn Jahren. aktivitäten leisten zu können. Auch Luise bestätigt: „Ich chen den Finger auf dieser Wunde draufhaben. Dieses käme sonst kulturell nirgendwohin. Das kann man sich Nicht-Lockerlassen, das ist für mich auch das Wertvolle Apropos-Verkäuferin Luise (r.) im dann vielleicht einmal leisten, oder sich zum Geburtstag und Wichtige an dieser Aktion“, untermauert Tritscher. Stück „Im Hafen der gestrandeten von Sara Bartl wünschen, aber sonst ist da Feierabend.“ Sehnsüchte“ der von Reinhold Dabei geht es bei Armut nicht nur um Finanzielles. „Irgendwie ist das Leben E Tritscher geleiteten VOLXtheater- werkstatt in der ARGEkultur. s beginnt mit der Vorfreude auf den Abend, und Kultur“ nicht gäbe. Das wäre schon traurig, Robert Buggler von der Salzburger Armutskonferenz der Hinfahrt, dem Ankommen. Ticket weil ich dann viel nicht machen könnte, was erklärt: „Armut hat schon vom Wortstamm immer ja auch ein Theater“ herzeigen, abreißen und hinein. Beobachten, ich so machen kann.“ etwas mit Mangel zu tun. Dabei geht es nicht nur um wie der Raum sich füllt, mit Menschen und den Mangel an Geld, Armut bedeutet immer auch einen Von einem Ende der Aktion will Luise nichts hören. wachsenden Erwartungen. Ein Murmeln „Kultur gehört zur Mangel an sonstigen Ressourcen. Das kann Bildung sein, Sie ist einfach glücklich, dass es „Hunger auf Kunst und hier, eine Begrüßung dort. Dann geht die Wohnraum, gesellschaftliche Anerkennung, Perspektive. Kultur“ gibt, „gerade in Salzburg, wo ohnehin alles so Zuschauerraumbeleuchtung aus, die Bühnen- Armutsbekämpfung“ Nicht nur die Frage ‚Habe ich jetzt 100 Euro mehr oder teuer ist.“ Sie schwärmt von einem Kabarett-Abend, bei beleuchtung an. Der Vorhang öffnet sich und weniger?‘, sondern ‚Welche Lebensmöglichkeiten besitze dem sie so viel gelacht hat, dass sie am nächsten Morgen mit ihm eine andere Welt – auch für Luise, „Hunger auf Kunst und Kultur“ ist eine Initi- ich?“‘ Armut meint also auch einen Mangel an Teilhabe mit einem Bauchmuskelkater aufgewacht ist. Sie meint langjährige Zeitungsverkäuferin und Schreib- ative, deren Ziel es ist, „Menschen, die es sich und Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Erkenntnis war auch, dass ihr schwere oder dramatische Sachen nicht so werkstattautorin von Apropos. Am liebsten geht im Moment selbst nicht leisten können, den es auch, die Tritscher zum Nachdenken brachte: „Mir liegen. „Das habe ich eh schon im echten Leben genug sie ins Rockhouse, ins Jazzit oder zu Kabarett- Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen“, ist einfach bewusst geworden, was das heißt, wenn man erlebt“, fügt sie hinzu und lacht. Veranstaltungen. „Mal abschalten, Spaß haben. erklärt Reinhold Tritscher. Er war es, der die armutsbedingt vom gesellschaftlichen Leben ausge- Und wie sie so erzählt von ihren Kulturerlebnissen, Das tut einfach gut ... und man kommt unter Aktion vor zehn Jahren nach Salzburg holte und schlossen ist.“ fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie unter knis- Leute!“, fügt sie lächelnd hinzu. Luise bezeich- zusammen mit dem Theater ecce, der Salzburger Beide, Buggler und Tritscher, sehen „Hunger auf Kunst ternder Spannung der letzte Satz gesprochen oder die net sich selbst als kulturinteressiert, erzählt von Armutskonferenz, der Laube GmbH und dem und Kultur“ vor allem als eine solidarische Aktion, die letzte Zeile gesungen wird. Wie Applaus folgt, von Luise Blues-Konzerten und Theaterabenden, von Dachverband Salzburger Kulturstätten alles ins einerseits auf individueller Ebene das Teilnehmen an und all den anderen, die zusammen einen Abend geteilt Lesungen und Jazz-Sessions. Sie sagt aber auch, Rollen brachte. kulturellen Prozessen ermöglicht. Gleichzeitig fungiert haben. Schließlich geht der Vorhang zu, eine Nacht zu Hunger auf Kunst & Kultur dass ihr das alles aus eigener finanzieller Kraft Heute sind 74 Kultureinrichtungen im die Initiative aber auch als Fingerzeig, als „Stachel im Ende. „Hunger auf Kunst und Kultur“ geht weiter und INFO Nähere Infos unter: nicht möglich wäre. „Ich würde blöd aus der ganzen Land Salzburg Partner der Initiative. Fleisch der Öffentlichkeit“, wie Buggler sagt. Es geht das Leben bleibt, ganz wie Luise sagt, neben und abseits www.kunsthunger-sbg.at Wäsche schauen, wenn es „Hunger auf Kunst Mit einem sogenannten Kulturpass können genauso darum, Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu der Bühne ein Theater.
12 [PHANTASTISCH] [PHANTASTISCH] 13 NAME Robin Kraska MUSS SICH regelmäßig der STECKBRIEF Foto: Privat Was hinter dem Erfolg populistischer Parteien steckt HAT Journalistik in Magdeburg Fantasie hingeben, wenn der DAS GIFT IN DEN KÖPFEN studiert Alltag zu mächtig wird VERMISST aus seiner Zeit in HÄLT ES mit Erich Kästner: Salzburg vor allem den Dialekt Nur wer erwachsen wird und und die Berge Kind bleibt, ist ein Mensch! Nach dem Zweiten Weltkrieg war sich die Menschheit einig: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Seitdem leben wir in einem friedlichen Europa, die Gespens- ter von damals schienen für immer beerdigt. Doch die Stunde der Demagogen schlägt wieder – mit teils erschreckenden Parallelen zu früher. von Robin Kraska S ie strahlen mit weißem Lächeln um die Wette, tragen mal Anzug und Schlips oder kommen ganz bodenständig daher. würden vor allem von ihnen erhoben. Und natürlich wird Volkes Wille auch nur von ihnen wirklich akzeptiert. „Populis- tische Politiker inszenieren sich häufig als Diener des Volkes. rigoros marxistisch – den Populismus haben mit- nichten nur die Neuen Rechten für sich gepachtet. Besonders in Südeuropa fischen linke Bewegungen heraus ist noch gut schimpfen und können blumige Versprechen gemacht werden. In Regierungsverant- wortung sähe die Lage dann plötzlich ganz anders Typen zum Anpacken, nah an der Basis Einige lehnen es sogar ab, als Politiker bezeichnet zu werden. im Stimmenteich. Bei ihnen ist es weniger das aus. „Viele populistische Parteien in Europa eint und immer zum Wohle der Massen. Vielmehr sehen sie sich als Protagonisten einer Bewegung Fremde als vielmehr Politiker und Wirtschaftselite, ihre Konzeptlosigkeit für die Zeit nach der Da ließ sich ein Jörg Haider hemds- für die einfachen Leute“, beschreibt Stainer-Hämmerle das denen die Schuld an der Finanzmisere zugeschoben Wahl. Wenn dann die Wahlversprechen nicht ärmelig im Kornfeld ablichten und Selbstverständnis. Unten das gebeutelte Volk, oben die Clique wird. Andere Zielscheibe, gleiches Prinzip. Und in eingehalten werden können, sind sie bei ihren buhlt die FPÖ auf Plakaten duzend der Herrschenden. Zum Beispiel. Aber Schubladendenken Westeuropa, Skandinavien, zunehmend auch den Wählern ganz schnell entzaubert.“ Und um die Wählergunst. Nichts mehr und Populismus sind immer Topf und Deckel. Staaten des ehemaligen Ostblocks dienen nunmehr dann? „Die Politikverdrossenheit steigt mit kultähnlichen Führern in Die Triebfeder, die den Populisten in die Hände spielt, ist Flüchtlinge und Muslime als neue, gemeinsame weiter an, quer durch die Bevölkerung.“ Uniform, das Martialische von Angst. „In einer Welt, die zunehmend unübersichtlich und Projektionsfläche für Schuldzuweisungen. Ein verheerender Effekt. Sie appelliert damals ist längst überkommen. bedrohlich scheint, suchen immer mehr Menschen nach einer Doch wo verläuft die Grenze zwischen populis- vor allem an junge Wähler, hinter die Heute zählt der Mainstream. klaren Struktur und Verlässlichkeit“, sagt die Politologin weiter. tisch und extrem? „Den Rechtsextremen ist gemein, Kulissen zu blicken und Versprechen kri- Populismus. Nur wenige Schlag- In Verbindung mit der Furcht vor sozialem Abstieg erhalten dass sie den demokratischen Parlamentarismus ganz tisch zu hinterfragen. Denn Populisten wörter aus dem Politikrepertoire die Akteure immer größeren Zuspruch. Ein Klima, das sie einfach abschaffen wollen“, sagt Stainer-Hämmerle. würden zwar nicht selten gute Fragen sind so prominent vertreten geschickt für sich zu nutzen wissen und wenn nötig emotional „Diese Bestrebungen sind im populistischen Lager stellen, so Stainer-Hämmerle, wie dieses. Im Populis- aufbauschen. Differenzierung, sachliche Auseinandersetzung? momentan nicht erkennbar.“ Die Expertin attestiert „aber ihre Antworten darauf sind mus steckt populus, Nicht unbedingt erforderlich, oft auch gar nicht gewollt. den Populisten Europas aber auch schlicht mangeln- immer falsch.“
14 [PHANTASTISCH] [PHANTASTISCH] 15 AUTORIN Christina LEITET seit No- HOFFENTLICH EINMAL STECKBRIEF Foto: Privat Repolust vember 2011 mit BERUF Bibliothe- großem Erfolg und karin, Journalistin, viel Spaß auf beiden Seiten den Apropos- UNNÖTIG SEIN Sprachlehrerin, Fotografin & Autorin Sprachkurs WOHNORT Salzburg Seine überzeugende Analyse der europäischen Finanzpolitik hat den eloquenten Hitzkopf Yanis Varoufakis zum Helden der Linken gemacht. Bei der Straßenzeitungskonferenz in Athen sprach der ehemalige Finanzminister Griechenlands vor 120 Delegierten aus 30 Ländern. Im Exklusiv-Interview mit Laura Kelly vom Internationalen Straßenzeitungsnetzwerk (INSP) erzählt er von der Sinnhaftigkeit von Straßenzeitungen und Grundeinkommen sowie über sein ambivalentes Verhältnis zur EU. Apropos-Sprachkurs Dennoch sind Sie ein Befürworter der Europäischen Union KINDER LERNEN Fotos: Dimitri_Koutsomytis und haben sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt. Varoufakis: Ich bemühe mich in dieser Debatte um einen nuancierten Standpunkt. Diese Szenarien, nach denen DURCH VORBILDER Großbritannien ein Drittel seines Vermögens verlieren, dass die Hauspreise ins Bodenlose fallen ... Nichts davon wird eintreten. Andererseits argumentieren die Befürwor- von Christina Repolust ter eines Austritts zu Recht, dass die demokratische Sou- veränität weitgehend aufgegeben wurde zugunsten eines undemokratischen – oder vielmehr antidemokratischen – Zirkels von Bürokraten und Institutionen. Niemand hat I n ganz, ganz professionellen Deutsch- kursen sitzen Kinder nicht neben ihren Müttern. Aber es ist heiß und es dass ihre Eltern sich beim Lernen mühen, ist das nicht nur in der Hitze des heurigen Sommers ein Vorteil. Alle hier wollen, durch den Austritt jedoch viel zu gewinnen, seine Folgen ist Sommer und David ist bereits bei dass es ihren Kindern einmal besser geht, werden Europa teuer zu stehen kommen. seiner Mutter Elena in Salzburg: David sie sollen, im Gegensatz zu ihnen, richtig soll, wenn er im Herbst in die Schule gern lernen. „Karotte“, „Hase“ und ja, Sie können die Wut der Menschen auf die EU also verste- kommt, gut lernen. Das meinen Mama richtig, „Pferd“. Eigentlich doch profes- Ex-Finanzminister Yanis hen? und alle Tanten, denn irgendwie scheinen sionell, denn David wiederholt mit den Varoufakis bei der Straßen- von Laura Kelly Varoufakis: Letztes Jahr brachte die EU das griechische meine Teilnehmerinnen von Donnerstag Frauen und gibt eigentlich das Tempo zeitungskonferenz in Athen. Mit freundlicher Genehmigung des INSP News Service, www.insp.ngo Bankensystem zum Erliegen, um der Regierung Kürzun- zu Donnerstag immer noch intensiver vor: Der, der es besser haben soll, lernt gen aufzuerlegen. Beim Staatsstreich 1967 wurden Panzer verwandt zu sein. Außerdem sind sie unbekümmert, ist stolz aufs Gelernte. Wie erlebten Sie die internationale Straßenzeitungs-Konferenz? Unlängst hat die Schweiz über einen Labor-Versuch abgestimmt: die eingesetzt, bei dem vom Vorjahr Banken. Es gibt keinen beleidigt, eingeschnappt, wenn ich mir Am nächsten Donnerstag beginne ich: Yanis Varoufakis: Die Diskussionen, dieses Geben und Nehmen Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens. Die Mehrheit hat größeren Übergriff auf ein Land als den, seine Banken zu einfach nicht merken kann, wer wessen „Wir wiederholen die Wörter, denkt an und die positive Energie empfand ich als fabelhaft. Es steckt zu- sich dagegen entschieden. Ist ein Grundeinkommen zu utopisch? schließen. Cousine ist. David freut sich, dass er die David, der war wirklich schnell!“
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 16 17 BESUCH IM Schreibwerkstatt-Autor Yvan Odi Die Fantasie kennt keine Grenzen SALZBURG MUSEUM Überall Grenzen! Wo das Auge auch hinblickt, entdeckt es eingeschränkte Möglichkeiten. über den Grenzen hinaus eine, sagen wir mal, eine Übergrenze? Möglichkeiten, die nie da zu sein scheinen, Was wäre das denn dann bitte? Danke für diese weil es eben Grenzen gibt. Woher kommen die- wunderbare Frage. se Grenzen, und möchte die Frage überhaupt Nun, so einfach wird das wohl nicht zu beant- eine Antwort haben? worten sein, doch auf einen Versuch wollen In unserer schönen Stadt Salzburg gibt es wir es ankommen lassen. Eine Übergrenze ist AUTOR YVAN ODI auch in jedem Winkel einen Balken vor unse- eine Grenze außerhalb der normalen Grenze. schreibt regelmäßig für ren Augen. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Sie ist leider auch eine Grenze, aber dafür Apropos Die Straße ist übersät mit lauter weißen eine größere. Diese grenzüberschreitende Strichen auf ihrem Asphalt und es ist auch Sache geht so lange weiter, bis wir zum Ende sehr notwendig. Die Verkehrsteilnehmer dieser kleinen feinen Geschichte kommen. sollten wissen, wann sie wo wie fahren, gehen Wenn jemand geglaubt hätte, jetzt ist plötz- oder rollen sollen. Wäre das nicht so, käme lich alles aus, dann wäre das auch wiederum ein heilloses Durcheinander zum Vorschein. eine Grenze. Doch genug damit. Ein mittleres Chaos sozusagen. Damit alle Die Fantasie ist hier diese wunderbare, Teilnehmenden am Verkehr die richtige Spur erfrischende Lösung. In der Fantasie können erwischen, braucht es Hinweise. Fährt, geht die Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr oder rollt jemand irgendwohin, kennt sich fliegen. keiner aus und die Straßenverkehrsordnung Nur fliegen ist schöner, sollten diejenigen wäre außer Kraft. Doch gerade diese ermög- gesagt haben, die am Boden durch einen un- licht es mit ihren Orientierungshinweisen, verschuldeten Unfall zerstört waren. Geflo- die Kurve noch so lala zu kratzen. gen wird heutzutage von zu Hause aus durchs Das Apropos-Verkäuferteam von Verkäuferin Luise Grenzen also helfen im Straßenverkehr seine Internet. Die Lichtgeschwindigkeit ermög- und Kunstvermittlerin Nadja al Masri (2.v.r.), die durch Linie nie zu verlassen. Somit wird folgen- licht jemandem von Itzling einem anderen in das Museum führte. Es war eine interessante Führung. Alle im Museum sind. Salzburg war früher schweren Unfällen vorgebeugt. Aigen schöne Wörter ins Ohr zu hauchen, ohne haben begeistert zugehört, als die Kunst- bei den Bayern und war schon immer ein Sind Grenzen wirklich so wichtig, wie wir in dass einer der beiden seinen Hintern bewegen vermittlerin Nadja geredet hat. Die ru- eigenes Volk. Mir gefällt es auch, dass wir unserem Beispiel Straßenverkehr sehr schön muss. Diese Wörter sind überall nachzulesen, mänischen Verkäufer hatten wieder ihre von Apropos immer wieder eingeladen veranschaulichen wollten, oder aber gibt es denn in der Fantasie ist alles möglich. Kinder dabei, die auch sehr interessiert werden, denn in der Gemeinschaft macht Fantasiert’s ruhig weiter.
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 18 19 Verkäuferin Andrea Verkäuferin Luise Die Traditionelle Jureks Reise mit dem Chinesische Medizin Tretroller Die Pflanze ist unsere Seele, die Feinheit heit braucht. Würde die Nahrungsindustrie Jurek Milewski ist nicht nur Schau- Frühlingsklassiker des Radsports, ihres Stoffwechsels entspricht auch unserer dieses Erzeugnis endlich anerkennen, wäre spieler, sondern auch ein alter Hase im Paris–Roubaix. 255 Kilometer inklusive Empfindsamkeit. Die Naturhaftigkeit ist der viel getan für eine ganze Nation. Auch Qigong Radrennsport. Er dachte, er befinde sich 53 Kilometer Kopfsteinpflaster. Das war VERKÄUFERIN ANDREA VERKÄUFERIN LUISE üblichen chemischen Therapie immer vorzu- ist bei vielen unheilbaren Erkrankungen schon in der Sportpension, aber wie so ein Rekord letztes Jahr im April, da hat immer ihren Fotoappa- hat Jurek Milewski beim ziehen, da unsere Seele auch aus den natür- eine Bereicherung: Es führt zur Revitalisie- Theaterspielen kennen- oft kommt es unverhofft. Ein alter Freund haben wir Appetit auf längere Distanzen rat dabei lichen Körpervorgängen Energie gewinnt. Der rung durch Körperhaltung und die Anwendung gelernt verkaufte ihm einen Tretroller, der nicht bekommen. Dieses Jahr zu Pfingsten ist es chinesische Arzt fragt nach der Umgebung von Atemtechniken. Beim Tao der Selbsthei- nur als Kinderspielzeug, sondern auch uns geglückt, Österreich an der breites- und den Lebensumständen des Menschen, den lung nach Dr. Stephen T. Chang finden sich als sehr flottes und umweltfreundliches ten Stelle (400,05 km) binnen 24 Stunden Arbeitsbedingungen, der Ernährung und der die acht Säulen der medizinischen Selbsthei- Verkehrsmittel zu gebrauchen ist. Damit zu durchqueren. Teilgenommen an diesem Familie, dem Klima und dem Aufenthalt des lung: 1. Die Logik und der Sinn des Lebens: musste er nicht mehr im Stau stehen und Rennrekord haben Jurek Milewski, Guido Körpers. Die Ursache der Krankheit ist wich- Die Richtlinien des Einzelnen und der Gruppe merkte, dass es auch für seinen Körper Pfeifermann, David Pazek, Zdenek Valeuta tig. Die Traditionelle Chinesische Medizin gründen auf den verborgenen Gesetzen des gut war: keine Rückenprobleme, keine und Eleonor Geskany. Wir haben den bishe- ist eine uralte Weisheit, die immer wieder Universums, die gesellschaftliche Entwick- Poschmerzen oder Knieprobleme, kein rigen österreichischen 24-Stunden-Rekord aufgeschrieben und verbessert wurde. Es ist lung und das individuelle Wohlergehen sind Sattel, der drückt. Der Roller ist auch verbessert“, erzählte er mir. Jurek muss- das Wissen um die Naturgesetze. In der Pflan- vordergründig. 2. Die Revitalisierung: In- als Therapie nach Unfällen geeignet. te sich vor Anstrengung übergeben, aber ze sind normalerweise alle Stoffe enthalten, nere Übungen heilen und lindern, sie fördern Marlies Schild etwa hat sich nach ihrem er war überglücklich.
[SCHREIBWERKSTATT] [SCHREIBWERKSTATT] 20 21 von Schreibwerkstattautorin Narcista von Schreibwerkstattautor Chris Ritzer Rindsbraten oder: Plastisch und bombastisch Der verhinderte Kartoffelsalat Abends als Hubert und Gabi von der komplett sicher. „Da hast du recht. Es würde auch kein rumä- Wir treten ein ins Reich der Phantasie – es geben kann – denn viele sind gleich, aber Kuchenmesse heimkamen, war ihnen vom nischer Dieb, sei es nun ein Einzeltäter oder eine Bande, sich ist ein wunderbares Reich, das eigentlich manche halt noch gleicher (George Orwell, vielen Tortenprobieren schlecht gewor- den Aufwand antun, um unsere Tomaten über die rumänische nur jener beurteilen kann, der jemals ein The animal farm, ein Spezi von Leopold Kohr den. Auf der Messe hatten sie überlegt, Grenze zu bringen, um sie dann unterpreisig auf den dortigen Korallenriff gesehen hat. Am besten vor der im Übrigen ... beides sehr visionäre Männer). ob sie der Tante Lili nicht auch einmal Märkten zu verscherbeln.“ „Das rentiert sich doch nicht“, war Insel Sinai – mehr Farben, mehr Leben kann „I’m a dreamer, but I’m not the only one ...“, SCHREIBWERKSTATT- AUTOR CHRIS RITZER wie den anderen einen selbstgebackenen Hubert ganz aufgebracht. „Und da …“, Hubert wanderte durch den man sich kaum vorstellen. Dort hilft alles sang John Lennon – und wer überhaupt nicht AUTORIN NARCISTA plant sein erstes eigenes Kuchen bereiten sollten, und sich durch Garten, „die Zitronenmelisse …“ Gabi war erschüttert, denn sie jedem, aber leider sterben sie auch zuhauf … mehr von einer besseren Welt träumt, der ist weiß, dass man immer Buch von dem träumt, was man sämtliche Torten gegessen. Jetzt fühlte wollte ein ganz spezielles Huhn ummantelt mit Zitronenmelisse Schuld ist die Erwärmung und die Versülzung auch schon gestorben – nur zu viel träumen nicht hat sich der Magen beider unheimlich schwer zubereiten und das zum Geburtstag von Lili, dem Tantchen. und 1.000 andere Dinge, die wir sowieso nur ist halt auch verdammt ungesund. Realitäten an. „Ich kann meinen Bauch kaum mehr Oder war’s Bruder Karl? „Die Zitronenmelisse gibt es nicht erahnen können. sind zwar auch immer nur ein Teil, oftmals tragen“, beschwerte sich Hubert, „der ist so vollgefüllt, als überall, den Schnittlauch, den kriege ich beim ABC, und den Dinge, die man kaum weiß und die doch nur sogar ein sehr kleiner Teil der Wahrheit, wenn ich fünf Bier getrunken hätte.“ „Ja, Bier bläht auf“, ächz- Salat überall in jedem Supermarkt, aber die Zitronenmelisse, logisch sind … die Ausflüsse der Antipabypil- aber sind eben da und konkret. te Gabi. „Und außerdem macht es dich betrunken.“ „Bier macht die nicht! Geh zur Polizei und zeig den Diebstahl an!“, befahl le landen genauso im Meer wie die Millionen Wer die Realität verweigert, landet schnell jeden betrunken, wenn er zu viel davon trinkt.“ „Kannst du dich Gabi energisch ihrem Mann. Es war die Zitronenmelisse, die sie Plastiksackerl, die nie wirklich endgültig in der Klapse, außer er hat sehr viel Geld erinnern“, schnatterte Gabi, „als du …“ „Also hör mal“, vertei- so in Aufruhr brachte. „Was koche ich der Tante Lili nun, und entsorgt werden können. In Afrika gibt’s und ein Privatheer – beides kommt bei Otto digte sich Hubert, denn er wusste, was nun kommen würde. „Mein dem Bruder Hans?“ „Dem Karl wolltest du das Huhn auftischen“, eine Stadt, die lebt angeblich ohne Plastik. Normalverbraucher eh selten vor. Ausrutscher, als ich stockbetrunken da am … das ist zwanzig korrigierte Hubert seine Frau. „Es ist vollkommen egal, ob nun Ich kanns mir nicht vorstellen, bevor ich es Jahre her und immer noch hältst du mir meine Schandtat vor.“ Karl, Hans oder Lili das Huhn gegessen hätte. Unser Garten ist nicht gesehen habe. Das, was die Phantasie vermag, ist ungeachtet „Das war so eine Blamage auf dem Hochzeitsfest von der Nichte weg, fortgetragen, abgeerntet. Und ich bin es leid, nochmals „Plastic is fantastic“ hats geheißen, als aller Pragmatiker ganz arg viel, denn es von Tante Lili, wie du da rumgetorkelt bist und ihr Hochzeits- drei Monate anzupflanzen und besorgt bei jedem Regenguss einige Chemiker die Formel für den Kunst- zeigt uns auf, was grundsätzlich möglich ist kleid besudelt hast, das war wirklich gemein.“ „Na hör mal, ich über mein Gemüse zu wachen. Wir haben schon das Ungeziefer, stoff erfunden haben. Es hilft auch, keine und vor allem wie es möglich sein könnte. Dass war betrunken. Stockbetrunken!“ „Genau deshalb, hättest du der die Parasiten und das Unkraut am Hals, jetzt noch Salat- und Frage, aber es schadet in unvorstellbaren davon nur ein kleiner Teil in der Realität Hanni gar im nüchternen Zustand ihr Hochzeitskleid besudelt, Tomatenräuber, das geht eindeutig zu weit!“ „Du hast voll- Dimensionen. landet, ist Faktum, aber wie viel, das hängt ich hätte dich sofort verlassen!“ Und Hubert lachte: „Nach kommen recht!“ Und Hubert rief die Polizei an. „Ja, hallo … Zurück zur Phantasie – dies leuchtende Reich dann doch in erster Linie von unserer Tat- zwanzig Jahren stehst du aber immer noch vor mir und dudelst hier … bei uns ist eingebr…, nein, Salat und Gemüse geraubt irgendwo angesiedelt im menschlichen Hirn kraft ab. Deshalb gilt überall und allzeit: Es mir deine Predigten vor. Es kann schön anstrengend werden, ich worden.“ Der Beamte wiederholte den Text: „Salat und Gemüse.“ – es ist etwas wunderbar jungfräuliches, gibt nichts Gutes, außer man tut es! > Fortsetzung folgt ... APROPOS · Nr. 155 · August 2016 APROPOS · Nr. 155 · August 2016
[PORTRÄT-SERIE] [PORTRÄT-SERIE] 22 23 WILDE JAGD AUTOR Christian Lorenz Müller HÖRT am liebsten Lesungen im STECKBRIEF BUCHTIPP Roman LEBT in Parsch auf der alten Literaturhaus Rennbahn FREUT SICH über gute Texte, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010 SCHREIBT Gedichte und hat die in seiner Schreibwerkstatt 19,90 Euro gerade ein dickes Romanmanu- vorgelesen werden skript beendet ÄRGERT SICH über Aufgebla- Müller betreibt zusammen mit Stefan B. Findeisl LIEST gerade Viktor Jerofejews sene, die nicht merken, dass Schriftsteller trifft Verkäufer die textgespräche, eine frei zugängliche Literatur- „Der gute Stalin“, eine Art sie nicht reden, sondern dass werkstatt. Doppelbiographie ihnen nur heiße Luft entweicht ZWEI VERKAUFTE ZEITUNGEN www.argekultur.at/service/workshops.aspx BEDEUTEN EINE DUSCHE sondern auch für die Eltern und und die jüngeren tabu, und Hochzeitsfeste, Geschwister: Genesa hat sieben, Răzvan fünf Brüder die früher über drei Tage und Schwestern. Trotzdem haben die beiden in den hinweg zelebriert worden letzten fünf Jahren, in denen sie halb in Salzburg, halb seien, gehörten auch zum in Pitești gelebt haben, so viel gespart, dass sie sich Sündenkatalog. Man vor kurzem ein Grundstück haben kaufen können. hüte sich also, seinem Sie wünschen sich nichts so sehr als ein eigenes Haus, Apropos-Verkäufer an- denn noch hausen sie, wenn sie in Rumänien sind, stelle von 2,50 Euro eine sehr beengt bei Genesas Eltern. Flasche Bier oder ein paar Zigaretten zuzustecken. Ihr Daheim, das ist ein Dorf in der Nähe von Pitești, Es könnte sein, dass er und Pitești ist eigentlich keine arme Stadt, zumindest oder sie nach weit stren- nicht für rumänische Verhältnisse. Dort werden all geren Moralvorstellungen die günstigen Dacias gebaut, die Europa von dem lebt als man selbst. Aufschwung künden, den die rumänische Wirtschaft in den letzten Jahren genommen hat. In Pitești gibt Vielleicht hat es mit ihrer es auch eine Raffinerie der Petrom, des größten ru- Religion zu tun, dass Răzvan und Genesa darum mänischen Erdölkonzerns, der übrigens zur OMV bemüht sind, als Rumänen und nicht als Roma gehört. Zu kommunistischen Zeiten war Răzvans wahrgenommen zu werden, vielleicht ist ihnen auch Dem jungen Paar machte Vater in der Autofabrik beschäftigt, aber nach der nur das leicht Anrüchige, Lottrige, das jene umweht, das Gespräch sichtlich Spaß. politischen Wende wurde er wie alle ungelernten die unter den Salzburger Brücken schlafen, peinlich. Arbeiter entlassen. Als Răzvan mit siebzehn aus der Als Apropos-Verkäufer stehen sie ganz oben in der von Christian Lorenz Müller Schule kam, zog er gemeinsam mit seinem Vater von Hierarchie der Straße. Anders als früher, als sie billig Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof und verdingte sich gemachte Heftchen aus Wien an den Mann oder die W Dolmetscherin Doris Welther, Răzvan, Genesa, ann haben Sie das letzte Mal im stützung gut brauchen kann, gilt es doch wenn sie in einer gut ausgestatteten Wohnung um einen Tagelohn auf Baustellen, im Wald oder Frau zu bringen suchten, vertreiben sie heute ein an- Sohn Daniel Santiago und Christian Lorenz Auto übernachtet? Während einer nicht nur, Geschäft zu machen, sondern sich leben. Wie viel Disziplin muss es Genesa und auf den Feldern. Nichts würde er lieber tun, als hier sprechend aufgemachtes Blatt, hinter dem ein sehr Müller bei ihrem Treffen im Café Haidenthaler. Urlaubsreise in ihrer Jugendzeit vielleicht, als auch um Daniel Santiago zu kümmern. Der Răzvan kosten, nach zahllosen Nächten auf in Salzburg eine ordentliche Arbeit anzunehmen, aktiver, bestens vernetzter Verein steht. Wer nichts das Geld knapp und Abenteuerlust vorhan- jüngere Sohn des rumänischen Paars ist nun finsteren Parkplätzen noch derart adrett aus- aber wer stellt schon jemanden ein, der samt seiner zu verkaufen hat, versucht einem Musikinstrument Kunden aus Wirtschaft, Politik, Theater und Kunst gemeinsam den war? Haben Sie sich am Morgen neben zwei Jahre alt, ein aufgewecktes, lebendiges zusehen wie bei unserem Gespräch in einem Familie im Auto wohnt? Und wer gibt jemandem, Töne zu entlocken, und denen, die kein Akkordeon, Andreas Hauch arbeitet seit fast 25 Jahren als Fotograf mit an guten Bildern. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch. dem Fahrzeug die Zähne geputzt und den Kind, das nicht den ganzen Tag in einem Café in der Linzer Gasse? Da gibt es keinen der keine Arbeit hat, eine Wohnung? keine Blockflöte oder Gitarre besitzen, bleibt nur Gaskocher angezündet, um sich Kaffee zu Einkaufswagen sitzen will und sich schon Drei-Tage-Bart und kein zerknittertes Leib- noch das Betteln. machen? Haben Sie vielleicht romantisch- gar nicht mit den Süßigkeiten ruhigstellen chen, ja nicht einmal ungewaschenes Haar. Genesa und Răzvan sind Mitte zwanzig, ein Alter, in unbeschwerte Erinnerungen an derartige lässt, die ihm Genesas Stammkundinnen Die beiden legen viel Wert auf ihr Äußeres, dem so manche junge Österreicher noch nicht einmal Gefragt, was das sympathische Verkäuferpaar sich für Nächte, weil sie danach ans Meer oder in manchmal zustecken. Die Nacht verbringt allein schon weil sie das Gefühl haben, ihren realisiert haben, dass man den Eltern nicht ewig auf die Zukunft wünscht, meint Genesa bescheiden, dass eine schöne Stadt gefahren sind? der Bub auf der Rückbank des erwähnten Kunden dies schuldig zu sein. Zur Körper- der Tasche liegen kann, von ernsthaften Gedanken sie für sich selbst nicht mehr viel erwarteten. „Wir Autos, und es geschieht immer wieder, dass pflege steuern sie regelmäßig Raststätten an eine Familiengründung ganz zu schweigen. Wie leben für die Kinder. Wir möchten ein Haus bauen, Wenn Genesa und Răzvan in Salzburg der Kinderschlaf durch die Polizei gestört für Lkw-Fahrer an, wo eine Dusche 2,50 selbstverständlich nehme ich an, dass die beiden und unsere Kinder sollen eine gute Ausbildung be- sind, schlafen sie jede Nacht im Auto, zwei wird, denn Übernachten im Wagen wird in Euro kostet, also doppelt so viel, wie sie pro schon seit Jahren verheiratet sind und frage, gängige kommen.“ Aber einen Wunsch haben sie dann doch Monate lang. Am Morgen geht es nicht zum Österreich nicht toleriert. Es kann vorkom- verkaufter Zeitung einnehmen. Um die 20, Klischees über Romatrauungen im Kopf, wie lange noch: Hier in Salzburg nicht mehr im Auto schlafen Mail: fotohauch@gmx.at Sightseeing oder zum Baden, sondern zur men, dass binnen weniger Stunden mehrmals 30 Stück kann Genesa an einem Werktag denn Hochzeitsfeste bei ihnen im Dorf dauern zu müssen. „Im Winter ist es doch sehr hart, besonders Arbeit. Apropos zu verkaufen ist kein Ho- der Standplatz gewechselt werden muss. Dies verkaufen, samstags manchmal mehr. Trotz- würden. „Ein gutes Essen ist in Ordnung“, antwortet für die Kleinen“, sagt Răzvan. „Ein Dach über dem nigschlecken, weht einem doch dabei nicht bedenke, wer sich einmal einem schlecht dem lässt sich nicht wirklich ausrechnen, was Răzvan. „Aber wir feiern nicht so lange. Wir sind Kopf wäre gut, ein Stall oder ein Abbruchhaus, das immer ein laues Lüftchen um die Ohren, gelaunten, unausgeschlafenen Apropos- dem jungen Paar nach einem zweimonatigen evangelikale Christen.“ Es stellt sich heraus, dass sich genügt schon. Strom und fließend Wasser brauchen im realen wie im übertragenen Sinne. So ist Verkäufer gegenübersieht und im ersten Aufenthalt in Österreich in etwa übrig bleibt. etwa die Hälfte der Leute in ihrer Gegend zu einer wir nicht unbedingt.“
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