Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz

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Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
Sommer 2012

Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz

                                                   Herausgegeben
                                                   von der Arbeits-
                                                  gemeinschaft der
                                                    Rudolf Steiner
                                                Schulen in der Schweiz
                                                  www.schulkreis.ch

Erziehung als Kunst                             www.steinerschule.ch

Inkarnationshilfe
Schulkreis 2/12                                                     1
Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
Sanfte Medizin, Bankgeschäfte ohne Gier, Naturkosmetika,                                                            Inhalt
                               kreative Schulen: Die Anthroposophie ist in Basel präsent
                                                                                                                                                  Erziehung als Kunst
                                                                                                                                                  Jörg Undeutsch

                           Das grosse Netzwerk                                                                                                    Rudolf Steiner-Pädagogik als «Erziehungs-Kunst»

                                                                                                                                                  Ingrid Ott
                                                                                                                                                                                                                             4

                                                                                                                                                                                                                                     Herzenswarme
                           der Anthroposophen
                                                                                                                                                  Massvolles Hin- und Herschwingen                                           8
                                                                                                                                                  Über die Bedeutung des Rhythmus in der
                                                                                                                                                  anthroposophischen Pädagogik                                                      Aufmerksamkeit
                                                                                                                                                  Lisbeth Wallmeier/Katrin Kleiber                                                     Liebe Leserin, lieber Leser
                                                                                                                                                  Geschickte Finger – bewegliche Gedanken                                    8
                                                                                                                                                  Betrachtungen über den Handarbeitsunterricht an einer                                Was ist wichtig an der Schule? Dass sie Kindern die «Kulturtechniken»
    Das Goetheanum, das Zen- Die Region Basel ist das Kernland der anthro- die Anthroposophen in der                                                                                                                                   beibringt, dass Kinder lernen, zu lesen, zu schreiben und zu rechnen?
                                                                                                                                                  Rudolf Steiner Schule
    trum der Anthroposophie, posophischen Bewegung für Mensch, Geist und Region Basel sind, zeigt die                                                                                                                                  Dass sie in die Welt der Wissenschaften einführt, in Biologie, Physik,
    steht auf einem historischen Natur. Der Einfluss vieler Institutionen und Tatsache, dass niemand sich                                         Robert Thomas                                                                        Chemie? Dass sie die Kinder und Jugendlichen mit dem Wissensschatz
    Hügel: Hier fand 1499 die             Stiftungen hat sich in der Region verstärkt.               störte, dass eine Anthroposo-                Vertrauen, Fantasie und Mut                                                9         unserer Zeit vertraut macht, ihnen «Allgemeinbildung» vermittelt? Ja,
    blutige Schlacht von Dornach                                                                     phin Basel mitregierte. Zu die-              Die Rudolf Steiner Schulen der Schweiz in der Zukunft                                natürlich – und: nein. Das rein Technische des Rechnens überlassen
    mit rund 4000 Toten statt. Vielleicht war sollen gleich gefördert werden. Nach der ser Integration haben die Steiner-Schulen                                                                                                       wir längst Taschenrechnern, Computern und Smartphones. Was wir am
                                                                                                                                                  Monika Schneider
    es diese Erinnerung, dass Rudolf Steiner Finanz- und Wirtschaftskrise sind auch und in geringerem Masse Heilmittel der                                                                                                             Rechnen lernen, ist eine bestimmte Art logischen Denkens. Und Ge-
                                                                                                                                                  Indentitätsentwicklung in der Adoleszenz                                 10
    (1861–1925), Begründer der spirituellen Steiners Erklärungen zum Finanzwesen anthroposophischen Medizin beigetra-                                                                                                                  schichte ist nicht vor allem Allgemein-Bildung, sondern hilft uns, uns
                                                                                                                                                  Ein Spiegel der Gesellschaft im 21 Jahrhundert?
    anthroposophischen Weltanschauung, topaktuell: Heute wollen Bankkunden gen, die in der Öffentlichkeit schon lange                                                                                                                  selbst zu verorten im Bewusstseinsstrom der Zeit.
    dort anlässlich eines Aufenthalts von Risiken vermeiden und nachhaltig inve- gut bekannt sind. Sonst galten Anthropo-                         Peter Lüthi                                                                          Elf Ausgaben lang hat sich der Schulkreis «Fächern» gewidmet, die
    1912 sehr schlecht schlief. Nach dem stieren. Ethisches Banking ist gefragt.         sophen vielfach als bizarre, vergeistigte                Lebendige Einsicht in das Wesen des ganzen Menschen                      12          (scheinbar) nicht zum «Kerngeschäft» der Schule gehören: Turnen, Eu-
    Aufwachen habe er sich «wie zerhack- Barbara Schneider, ehemalige Basler SP- Gestalten, die vor allem aus Dornach und                         Lehrerbildung oder Lehrerwerden?                                                     rythmie, Theater und Zirkus, Musik; hat sich der Schulkreis mit «Wär-
    tes Fleisch» gefühlt. Trotzdem liess er auf                                          Arlesheim kommen.                                        Henning Kullak-Ublick/rt                                                             mepädagogik» auseinander gesetzt, mit «Beziehungspädagogik» und
    dem «Bluthügel», wie Autor Willy Loch-                                               Neuerdings wollen weitere Institutionen                  Die Waldorfpädagogik ist international                                   14          «Inklusion». Und jedes Mal – unter jedem dieser zunächst einmal un-
    mann in einem Essay schreibt, das erste                                              Kreise ausserhalb der Anthroposophie                     1000 Lehrer aus 50 Ländern treffen sich zur 9. Weltlehrertagung                      gewöhnlicheren Blickwinkeln – hat sich wieder gezeigt: Auch das ist
    Goetheanum aus Holz bauen. Am 31.                                                    ansprechen. So ist die Freie Gemein-                                                                                                          wichtig, ist wesentlich für das Gelingen von «Schule».
    Dezember 1922 wurde es ein Raub der                                                  schaftsbank heute mitten in Basels In-                   Termine                                                                  14          Denn letztlich geht es immer um eines vor allem: «Entwicklungshilfe»
    Flammen, vermutlich war es eine Brand-                                               nerstadt domiziliert. Auch die Ita-Weg-                  Stellenmarkt                                                             15          muss Schule bieten, «Inkarnationshilfe», anthroposophisch gespro-
    stiftung. Tatsache ist, dass Dornach und                                             mann-Klinik ging letztes Jahr neue Wege,                 Fortsetzung der Weiterbildung «Führung in selbstverwal-                              chen. Schule führt junge Menschen zu einem Erleben, einem Er- und
    Arlesheim heute mit dem Goetheanum                                                   als sie beim Basler Bahnhof inmitten                     teten Schulen» im Schuljahr 2011/12                                                  Begreifen ihrer Selbst, zur Beheimatung in sich – und darüber hinaus
    das weltweite Zentrum der Anthroposo-                                                eines weltlichen Einkaufszentrums in                                                                                                          in der Welt, in die sie hineingeboren wurden und in der sie aus ihrem
    phie sind. Dort ist der Sitz der Allgemei-                                           der Markthalle ihr neues Ambulatorium                    Im ersten Jahr zielten die vier Weiterbildungsseminare zur Führung selbst-
                                                                                                                                                                                                                                       Ich heraus tätig werden wollen.
    nen Anthroposophischen Gesellschaft,                                                 einrichtete. Ein Vorläufer dieser neuen                  verwalteter Schulen auf grundlegende Aspekte und «Voraussetzungen und
                                                                                                                                                                                                                                       Dabei helfen keine Programme, dabei hilft nur herzenswarme Aufmerk-
    die gemäss ihren Prinzipien «eine Ver-                                               Welle war der Paracelsus-Zweig der An-                   Impulse» für gelingende Schulführung. In diesem Jahr stand die Analyse
                                                                                                                                                                                                                                       samkeit, die zu Wesensbegegnungen führt, wie Ueli Seiler in seinem
    einigung von Menschen» sein will, «die                                               throposophischen Gesellschaft, der im                    von Erfahrungen und Fallbeispielen im Vordergrund und die Einladung
                                                                                                                                                                                                                                       Auftaktbeitrag geschrieben hat. Wenn wir als Lehrerinnen und Lehrer,
    das seelische Leben im einzelnen Men-                                                Jahr 2000 das ehemalige Kino Scala an                    richtete sich an alle Kolleginnen und Kollegen, die ihre Erfahrungen und
                                                                                                                                                                                                                                       als Eltern, Grosseltern, Onkel und Tanten aus Wesenserkenntnis heraus
    schen und in der menschlichen Gesell-                                                der Freien Strasse in Basel übernahm und                 Fähigkeiten als Konferenzleiter/in austauschen, reflektieren und erweitern
                                                                                                                                                                                                                                       Kinder und Jugendliche begleiten (oder zumindest mit dieser im Sinn)
    schaft auf der Grundlage einer wahren                                                in ein Kulturzentrum verwandelte. Dort                   wollten. Durchgeführt wurden die Module als praxisorientierte «Meister-
                                                                                                                                                                                                                                       – dann wird Erziehung zur Kunst; dann entsteht, was Rudolf Steiner
    Erkenntnis der geistigen Welt pflegen                                                werden anthroposophische Vorträge ge-                    kurse». Die Themen waren: Professionell kommunizieren, Prozesse souverän
                                                                                                                                                                                                                                       forderte: Erziehungs-Kunst.
    wollen». Mit seiner spirituellen Weltan-                                             halten. Die Anthroposophie macht sich                    gestalten, Mut in der kollegialen Zusammenarbeit; Personalentwicklung.
                                                                                                                                                  Krisen kommen sehen, verstehen und bewältigen; Die Kunst der Konferenz-              In diesem Sinne grüsst Sie herzlich
    schauung, den Menschen in seiner Bezie-                                              auch dadurch bemerkbar, dass ehemalige
    hung zum Übersinnlichen zu betrachten,                                               Steiner-Schüler mit der Edith-Maryon-                    und Sitzungsleitung und ihre Klippen; Die Führungsaufgabe «Kraftquellen
    ist Steiner heute vielen Menschen wenig                                              Stiftung der Spekulation mit Grund und                   erkennen, Kraftverschleiss vermeiden, Kräfte stärken». Besucht wurden die
    verständlich.                                                                        Boden den Kampf angesagt haben. Die                      Seminare, die bewusst freitags und nicht samstags stattfanden, von 14 bis                                                                  Jörg Undeutsch
    Handfester sind die unzähligen Instituti- Regierungsrätin wäre gerne in eine der Stiftung hat den Kauf des ehemaligen                         25 Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Schulen. Sehr geschätzt
    onen, Vereine, Kliniken oder Schulen, die kreativen Steiner-Schulen gegangen: Volksbank-Gebäudes im Herzen Basels                             wurde der Ansatz, von den Erfahrungen, Sorgen und Fragen der Teilneh-
                                                                                                                                                                                                                                    Impressum
    anthroposophische Werte vertreten. Mit «Meine Schulzeit war nicht sehr bewe- ermöglicht. Dort sind heute ein beliebtes                        menden auszugehen und dann Lösungsansätze aufzusuchen. Geleitet
                                                                                                                                                                                                                                   SCHULKREIS Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen von: Adliswil, Avrona, Basel, Bern/
    seinen Impulsen zu heute wichtigen The- gend.» Erst als junge Erwachsene ist sie Café, die Freie Gemeinschaftsbank, die                       wurde diese ARGE-Weiterbildung wiederum von Elisabeth Anderegg (St.              Ittigen/Langnau, Biel, Birseck, Genève, Ins, Kreuzlingen, Langenthal, Lausanne, Luzern,
    men hat sich Steiner zumindest als Visio- Anthroposophin geworden und ist heute Redaktionen der «Tageswoche» und der                          Gallen), Immanuel Büttner (Birseck) und Joseph Hess (Schafisheim). Diese         Münchenstein, Muttenz, Pratteln, St. Gallen, Schaan, Schaffhausen, Schafisheim, Scuol,
    när erwiesen. Selbst Schulmediziner set- auch Aktionärin der Naturkosmetik- und Programmzeitung domiziliert. Das Unter-                       Module sollen im nächsten Schuljahr zur Weiterentwicklung der Schulfüh-          Solothurn, Steffisburg, Wetzikon, Wil, Winterthur und Zürich
                                                                                                                                                  rungskultur, wiederum ein Mal im Quartal, fortgesetzt werden.                    Redaktion:
    zen heute auf eine ganzheitliche Medizin, Heilmittelfirma Weleda. Wie integriert nehmen Mitte ist heute ein belieber Treff-                                                                                    I. Büttner/rt   – Robert Thomas, Carmenstr. 49, 8032 Zürich,
    die die Selbstheilungskräfte des Men-                                                punkt in Basel. Die Stiftung Edith Mary-                                                                                                     Tel. 044 262 25 01, Fax 044 262 25 02, rthomas@access.ch
    schen anregen soll. In der Landwirtschaft                                            on hat zusammen mit dem Ehepaar Soi-                                                    Stars, étoiles, Sterne                            – Jörg Undeutsch, Weissenbühlweg 14, 3007 Bern, Tel. 031 312 04 52,
                                                  Diese Seite stellt regelmässig die
                                                                                                                                                                                                                                      undeutsch@sunrise.ch
    hat schon Steiner auf eine biologisch-dy-     pädagogischen und sozialen Im-         ron die Altstadthäuser aus dem 13./14.                                                Eine wunderbare dreisprachige Broschüre
                                                                                                                                                                                                                                   Abos: Marianne Thomas, Carmenstr. 49, 8032 Zürich,
    namische Anbauweise gesetzt, die heute        pulse von R. Steiner im Ausland        Jahrhundert an der St. Johanns-Vorstadt                                               (deutsch, englisch, französisch), die dem           Tel. 044 262 25 01, Fax 044 262 25 02, rthomas@access.ch
    ebenfalls im Trend liegt. Das Gleiche gilt    vor; dieses Mal machen wir eine        ebenfalls gerettet. Ein Restaurant, phi-                                              Falten von Sternen gewidmet ist; einer              Einzelabos: Inland Fr. 36.–, Ausland 30 Euro
    für die Naturkosmetika von Weleda, die        Ausnahme: Wir bleiben in der           losophische Vorträge, ein Architektur-                                                dekorativen Anwendung der Geometrie.                Produktion/inserate: PUBLIFORM Text & Gestaltung Hp. Buholzer, Postfach 630,
    allerdings durch eine starke Konkurrenz       Schweiz und drucken einen Aus-         Seminar, der Rudolf-Steiner-Verlag oder                                               Durch klare Anleitungen wird der Leser              3550 Langnau, 079 263 14 18, info@publiform.ch
    bedrängt werden. Im Bereich der Schu-                                                das Basler Kammerorchester sollen den                    eingeladen, aus buntem Transparentpapier eine wundervolle Vielzahl von                                     erscheint    Redaktionsschluss             www.schulkreis.ch
                                                  zug des Artikels von Iso Ambühl,                                                                                                                                                 Frühling                Ende März      10. Februar                   www.steinerschule.ch
    len hat bereits Steiner betont, wie wich-     der in der Zeitung «Der Sonntag»       letztes Jahr eröffneten «Ackermannshof»                  Sternen zu kreieren, um damit besonders in der Weihnachtszeit die Fen-           Sommer                   Ende Juni     10. Mai                       Auflage: 6000 Ex.
    tig musische Fächer für die Entwicklung       (1. April 2012) publiziert wurde. (rt) zu einem weiteren Treffpunkt machen.                     ster schmücken.                                                                  Herbst            Ende September       10. August
    eines Kindes sind. Kopf, Herz und Hand                                                                            Iso Ambühl/rt               Dom Amat (La lyre d’Alizé: ISBN: 978-2-9700790-0-2)			                      rt   Winter             Ende Dezember       10. November

2                                                                                                                               Schulkreis 2/12   Schulkreis 2/12                                                                                                                                                          3
Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
Sinne – eine analoge, enthüllende, ver-wesen-tli- entwicklungspsychologischer Forschungen ein
                                                                                                                                                                                                chende Reaktion im Betrachter. Wenn Erziehung Paradigmenwechsel. Pädagogische Handlungs-
                                                                                                                                                                                                Kunst sein will, wird auch sie diesem Grundge- konzepte werden überdacht, da realisiert wird,
                                                                                                                                                                                                stus folgen, wird sie «individuumzentriert und dass Kinder keine Belehrungspädagogik brau-
                                                                                                                                                                                                entwicklungsbezogen» sein, wie Rüdiger Grimm chen. Kinder bringen mit dem ersten Atemzug
                                                                                                                                                                                                in der Schulkreis-Ausgabe 3/11 über die Rudolf den Willen mit, sich selber zu bilden. Sie sind
                                                                                                                                                                                                Steiner-Pädagogik schreibt, die nichts weniger motivierte Lernende, hellwach, selbstbewusst,
                                                                                                                                                                                                sein will als Erziehungs-Kunst.                     wissend und haben einen ungeheuren Gestal-
                                                                                                                                                                                                Felix Merz, Rudolf Steiner Schüler in den 60er tungs- und Lernwillen. Sie wollen die Erde, die
                                                                                                                                                                                                und 70er Jahren, Gymnasiallehrer und ehema- Gesellschaft, kennen lernen, sie bewegen und
                                                                                                                                                                                                liger Schulvater, schreibt in Ausgabe 1/11: «Kunst verändern.
                                                                                                                                                                                                heisst für mich in diesem Zusammenhang: als Grundlage jeder verantwortlichen Erziehungstä-
                                                                                                                                                                                                Lehrkraft selbst schöpferisch zu sein und nicht tigkeit ist die Anerkennung des Kindes als gei-
                                                                                                                                                                                                nach vorgegebenen Schemen zu unterrichten. stige Individualität mit eigenen biographischen
                                                                                                                                                                                                Das bezieht sich nicht so sehr auf den Inhalt. Motiven. Die Kindheit verläuft nach eigenen
                                                                                                                                                                                                Sondern darauf, dass ein Lehrer, eine Lehrerin an Entwicklungsgesetzen, die vor fremdbestim-
                                                                                                                                                                                                der Rudolf Steiner Schule sich tief auf die Schü- menden Eingriffen zu schützen ist. Erziehung
                                                                                                                                                                                                lerschaft und ihre Entwicklungssituation einlässt soll zur Selbstfindung des Menschen verhelfen,
                                                                                                                                                                                                – und dadurch «Ein-
                                                                                                                                                                                                gebungen» hat, was
                                                                                                                                                                                                jetzt, in diesem Mo-                    Kunst heisst für mich, dass ein Lehrer,
                                                                                                                                                                                                ment für die Schüler                    eine Lehrerin sich tief auf die Schüler-
                                                                                                                                                                                                notwendig ist. Denn
                                                                                                                                                                                                schlussendlich geht es                schaft     und ihre Entwicklungssituation
                                                                                                                                                                                                nicht darum, dass ein                 einlässt – und dadurch «Eingebungen»
                                                                                                                                                                                                Mensch am Ende sei-                 hat, was jetzt, in diesem Moment für die
                                                                                                                                                                                                ner Schulzeit rechnen
                                                                                                                                                                                                und schreiben kann,
                                                                                                                                                                                                                                                             Schüler notwendig ist.
                                                                                                                                                                                                turnen und singen
                                                                                                                                                                                                und was da alles noch in der Schule getrieben indem sie die Möglichkeit eines kindgemässen
                                                                                                                                                                                                wird. Das kann man dann halt ein wenig bes- Selbsterfahrungsprozesses schafft. Dazu gehört
                                                                                                                                                                                                ser oder schlechter. Aber: Als junger Mensch die im Sinne der Salutogenese die Erfahrung von Ge-
                                                                                                                                                                                                Schule verlassen und einen Rucksack mitneh- borgenheit, Pflege, Rhythmus, Kontinuität, sowie
                                                                                                                                                                                                men zu dürfen, der soweit gefüllt ist, dass der ein sinnesgesättigtes Erleben und Erschliessen
                                                                                                                                                                                                Mensch in die Welt treten kann, selbstständig neuer Lebensfelder, liebevolle Konsequenz und
                                                                                                                                                                                                seine Schritte gemäss seinen Fähigkeiten unter- Grenzsetzung, aber auch besonders zur Nachah-
                                                                                                                                                                                                nehmen kann, das ist ein hohes Gut. Und dies, mung anregendes Handeln und Verhalten seitens
                                                                                                                                                                                                so meine ich zu wissen, wurde mir von meiner des Erziehenden.»

                                                                                                                                                                      Bild: Charlotte Fischer
                                                                                                                                                                                                Schule und ihren Lehrern als Geschenk mit auf
                                                                                                                                                                                                den Weg gegeben.»                                   Zauberwort «Nachahmung»
                                                                                                                                                                                                                                                    «Nachahmung» ist das Zauberwort künstle-
                                                                                                                                                                                                «Inkarnation» anregend begleiten                    rischer Erziehung in den ersten sieben Lebens-

                                                                                                         D
                                                                                                                                                                                                Die Rudolf Steiner Pädagogik begreift die Kinder- jahren. «Nachahmen heisst: hereinschlüpfen,
                                                                                  Jörg Undeutsch                                er Maler und Bildhauer                                          und Jugendentwicklung als «Inkarnation»: Der sich ganz hereingeben in das Wesen der Umge-
                                                                                                                                Michelangelo Buonarroti                                         Mensch ergreift Leib und Seele von innen, macht bung, innerlich mitschwingen. Das kleine Kind
                                                                                                                                (1475-1564), so steht es                                        sie sich zu eigen und gestaltet sie zu einem ganz kann sich noch nicht distanzieren von seiner
                                                                                                                                in «Wikipedia», sah «im                                         individuellen Instrument seines Wirkens und Umgebung, es muss, ob es will oder nicht, in
                                                  Rudolf Steiner-Pädagogik als «Erziehungs-Kunst»                               rohen Marmorblock das                                           Werdens auf Erden. Er macht den ererbten Leib den Stimmungen mitleben. Im Mitschwingen
                                                                                                                                Kunstwerk vorgeformt, es                                        in den ersten drei mal sieben Jahren seines Le- aber bildet es sich seine Organe aus», schreibt

    «Individuumzentriert
                                                                                                         schlummerte als Idee bereits im Stein und musste                                       bens zur Grundlage seiner ureigenen Biografie. Claudia Simcic in der gleichen Ausgabe über
                                                                                                         nur noch aus ihm ‚befreit‘ werden.» Sinngemäss                                         Wie Kindertagesstätte, Kindergarten und Schu- die «Elementarpädagogik» und zitiert Rudolf
                                                                                                         soll er seine Arbeitsweise einmal so beschrieben                                       le diesen Prozess unterstützen können, war das Steiner: «Nur die richtige physische Umgebung
                                                                                                         haben, dass er nur das Überflüssige weghaue,                                           durchgehende Thema der Schulkreis-Schwer- wirkt auf das Kind so, dass seine physischen
                                                                                                         damit das im Stein verborgene, in den Stein ge-

und entwicklungsbezogen»
                                                                                                                                                                                                punktbeiträge seit Herbst 2009. Jedes «Fach», Organe sich in die richtigen Formen prägen.»
                                                                                                         bannte Wesen zur Erscheinung kommen könne:                                             jeder Schul»stoff», alles, was in der Schule ge- Damit das Kind nachahmen könne, brauche es
                                                                                                         «Der Künstler ist nur der Geburtshelfer der Din-                                       tan (und gelassen) wird - sei es «schulisch» im Vorbilder. Alles habe Vorbildcharakter, nicht nur
                                                                                                         ge, die zur Erscheinung drängen.»                                                      engeren Sinne, habe es eher ergänzenden Cha- wir Menschen, auch Formen, Farben, Klänge
                                                                                                         Damit ist meines Erachtens das Grundmotiv jeg-                                         rakter - alles hat in der Rudolf Steiner Schule usw. wirkten bildend auf das kleine Kind. «Ein
                                                                                                         licher Kunst getroffen: Der Künstler macht sicht-                                      das eine Ziel: diesen Inkarnationsprozess anre- nachahmendes Kind ist ein «träumendes» Kind,
                                                                                                         bar, bringt zur Erscheinung und hilft zu vollen-                                       gend zu begleiten, von Anfang an – und bis in und diesem «Träumen» Raum zu geben, ist eine
         Von der «Wärme-Pädagogik» über Beziehungs-, Erlebnis- und Inklusionspädagogik bis hin zu        den, was in dem von ihm bearbeiteten Stoff an                                          die Oberstufe hinein.                               der wichtigen Aufgaben im ersten Jahrsiebt.»
      Theater, Zirkus, Eurythmie und Sport: In den vergangenen elf Ausgaben hat der Schulkreis von       Seelischem, Geistigem, an Wesenhaftem veran-                                           In ihrem Beitrag zur «Elementarpädagogik» Das zweite Element neben der Nachahmung,
      sehr verschiedenen Seiten her auf das «Kerngeschäft» der Schule geblickt. Durch alle Schwer-       lagt ist. Oder er provoziert – eher im Beuysschen                                      schrieb Bettine Mehrtens Moerman in Ausgabe die zweite grosse Inkarnationshilfe in den er-
     punktbeiträge zog sich ein Motiv: «Künstlerisch muss aller Unterricht beschaffen sein» (Rudolf                                                                                             3/10: «Mit dem Aufbruch ins 21. Jahrhundert sten sieben Lebensjahren, ist neben Rhythmus:
    Steiner), Waldorf-Pädagogik will «Erziehungs-Kunst» sein, von Anfang an – und bis zum Schluss.       Jörg Undeutsch ist Vater von sechs Kindern, Waldorflehrer,                             vollzieht sich, in Folge der Erkenntnisse aus Neu- die Bewegung; Bewegung, die innere Sinne rei-
     An dem das Individuum sich zur Freiheit hindurchgerungen hat. Jörg Undeutsch fasst zusammen.        Heimleiter und Schulkreis-Redaktor. Er lebt in Bern.                                   rowissenschaften, der Bildungsforschung und fen lässt, Sinne, die den Menschen in seinem
4                                                                                      Schulkreis 2/12   Schulkreis 2/12                                                                                                                                                                        5
Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
es, sein Ich zu finden                              – Das Curriculum ist entwicklungsbezogen. Un-         Konsequent das einzelne Kind in den Mittel- lichen. In Zwiesprache mit ihm – und nichts
                                                                                                                                                              und frei zu sein, um                                   ter psychologischen Gesichtspunkten berück-        punkt der Betrachtung zu stellen, alles Normie- sonst – wächst das Kunstwerk: reift der junge
                                                                                                                                                              das Ich des anderen                                    sichtigt es die Lerndispositionen der jeweiligen   rende hinter sich zu lassen, das zur Erscheinung Mensch in den Glanz seiner eigenen Freiheit hi-
                                                                                                                                                              wahrzunehmen. Jede                                     kindlichen Lebensaltersentwicklung. Pädago-        kommen zu lassen und dem zur Vollendung zu nein. Dabei mag ein «Lehrplan» hilfreich sein.
                                                                                                                                                              Zirkustätigkeit fördert                                gisch gesehen bezieht es seine Inhalte nicht       verhelfen, was in ihm an Seelischem, Geistigem, Nicht aber, indem ich ihn anwende und umsetze
                                                                                                                                                              das Selbstvertrauen                                    primär von gesellschaftlichen oder wirtschaft-     an Wesenhaftem, an Individuellem wirksam ist – sondern indem er meinen Blick «belehrt», mich
                                                                                                                                                              und das Vertrauen                                      lichen Bedingungen, sondern aus der biogra-        – das ist künstlerische Pädagogik, Pädagogik aufmerksam macht auf die feinen, fast verbor-
                                                                                                                                                              in den anderen. Das                                    phischen Relevanz des Erlebens des Kindes          als Kunst. Was es dazu braucht, beschrieb Ueli genen Seelenregungen meines Gegenübers. Das
                                                                                                                                                              Kind lernt, dass man                                   und Jugendlichen.»                                 Seiler im Auftaktbeitrag zu der kleinen Artikel- Kind braucht (Seelen-)Nahrung, der Jugendliche
                                                                                                                                                              das Gleichgewicht                                   Von Anfang an lag dieser «inklusive» Ansatz           Serie, die der Schulkreis mit diesem Beitrag ab- einen Partner, an dem er sich reiben kann, um
                                                                                                                                                              verlassen muss, um                                  im Zentrum der Rudolf Steiner Schule. Über de-        schliesst, einem Beitrag über «Wärmepädago- sich an ihm selbst zu erziehen. Sich diesem Pro-
                                                                                                                                                              vorwärts zu kommen.                                 ren Entstehungsbedingungen in Stuttgart 1919          gik»: «Aufmerksamkeit ist die Grundlage einer zess zu stellen, ist die Aufgabe von Lehrer und
                                                                                                                                                              Es entwickelt das Ver-                              schrieb Albert Schmelzer in Ausgabe 1/11: «Als        Wärmepädagogik. Aufmerksamkeit der Welt Lehrerinnen, die Erziehung als Kunst begreifen
                                                                                                                                                              trauen, jederzeit sein                              «freie Schule» mit relativer Unabhängigkeit von       gegenüber, Aufmerksamkeit dem Mitmenschen – nicht, um dem Stoff ihren Willen, ihre Ideen
                                                                                                                                                              Gleichgewicht fin-                                  staatlichen Richtlinien in Bezug auf Lehrplan und     gegenüber. Mit der
                                                                                                                                                              den zu können, sei es                               Lehrerauswahl machte sie ernst mit dem Ge-            augenblicklichen Auf-
                                                                                                                                                              auch noch so anstren-                               danken eines sich selbst verwaltenden Geistes-        merksamkeit nehmen                       Konsequent das einzelne Kind in den
                                                                                                                                                              gend.»                                              lebens. Als Schule vor allem für die Kinder der       wir das Wesenhafte –
                                                                                                                                                              Den Leib ergreifen,                                 Angestellten und Arbeiter von Waldorf-Astoria         etwa eines blühenden                   Mittelpunkt der Betrachtung zu stel-
                                                                                                                                                              den Leib verwandeln                                 überbrückte sie den Abgrund zwischen den so-          Kirschbaumes, eines                     len, alles Normierende hinter sich zu
                                                                                                                                                              – dieses Grundmo-                                   zialen Klassen und sorgte für Chancengleichheit       Sonnenuntergangs,                        lassen, das zur Erscheinung kommen
                                                                                                                                                              tiv der ersten sieben                               – auch durch die damals keineswegs übliche Ko-        eines Kindes – wahr.
                                                                                                                                                              Lebensjahre wird in                                 edukation von Jungen und Mädchen.»                    Erst durch innerste
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              zu lassen, was in ihm an Wesenhaftem,
                                                                                                                                                              den zweiten sieben                                  Um wirklich inklusiv zu werden, müsse das in der      Wesensbegegnung,                       an Individuellem wirksam ist – das ist
                                                                                                                                                              Jahren, in der Schu-                                Rudolf Steiner Pädagogik Vorgedachte aber ganz        die eben nur durch                                     künstlerische Pädagogik.
                          Körper verankern, beheimaten. Christian Breme         Mensch werden, der allen auftauchenden Nei-       le, ins Seelische hinein fortgesetzt. Noch einmal                               konsequent zu Ende gedacht (und empfunden)            geistige und seelische
Bild: Charlotte Fischer

                          und Joseph Aschwanden gaben kleinen Kindern           gungen und Begierden gleich folgen muss.»         Christian Breme und Joseph Aschwanden: «Es                                      werden, schliesst Rüdiger Grimm seinen Bei-           Wärme entsteht, kann
                          im Schulkreis 4/09 in ihrem Beitrag über «Be-         Der Gleichgewichtssinn stärkt die Souveränität    ist die Zeit des seelischen Erwachens. An den Er-                               trag über «Inklusionspädagogik», es gelte, «das       die Grundlage zu einer integrierenden Pädago- einzuverleiben, sondern ihn unter ihrer wahrneh-
                          ziehungspädagogik» ein «Handbuch» mit auf             der Seele gegenüber dem Leib. Auch das ist        zählungen der Märchen, der Legenden und Sa-                                     «zwei-Gruppen-Denken» zu überwinden, das die          gik gelegt werden. So einfach ist es! So schwer mend tätigen Begleitung zu sich selbst hin reifen
                          den Weg – mit folgenden vier Empfehlungen:            eine Grundbedingung des sozialen Lebens.»         gen bilden und verfeinern sich die Begriffe für                                 Welt in «Behinderte» und «Nicht-Behinderte»           zu erfüllen ebenfalls.»                           zu lassen: zu Selbst-Bewusstsein, Selbstwertge-
                          1. «Versuche als Erstes deinen Leib zu ergrei-                                                          das Menschsein, für das Mann- und Frausein, für                                 teilen will, anstatt in Menschen unterschied-         Denn immer geht es darum: Mich nicht von fühl und Selbstverwirklichung, hier und heute.
                                                                              Bewegungsdrang Richtung geben                       das, was wir Liebe, Treue, Geduld, Verzicht, Eigen-                             licher Fähigkeiten und Begrenzungen, die ihren        Vorstellungen leiten zu lassen, mein «Wissen»
                            fen, in ihm zu wohnen. Versuche, dich selbst
                            in einem dich ganz umfassenden liebevollen        «Liebevolle Autorität» und künstlerisches Tun im    sucht, Eitelkeit, Zuwendung, Abneigung nennen.                                  je eigenen Beitrag für das eigene Leben und das       an der Garderobe abzugeben – und mich ein-
                            «Gespräch» mit der Umgebung zu empfinden.         engeren Sinne der herkömmlichen Künste sind         Es entwickeln sich daran Gefühlsurteile, ja fast                                soziale Miteinander erbringen.»                       zulassen auf die Begegnung mit dem Wesent-
                            Das kannst du am Besten in der Berührung mit      die Zauberworte für die zweiten sieben, die ei-     ästhetische Urteile. Dem einen strahlt Anerken-
                            der Mutter!» Liebe erfährt der Mensch zuerst      gentlichen Grund-Schuljahre. Daneben gilt es,       nung entgegen: So möchte ich auch werden,
                            über die Haut, durch den Tastsinn. Da kann er     dem Bewegungsdrang Richtung zu geben, das           das andere wird mit Widerwillen abgelehnt. Eine
                            leiblich eine Verbundenheit mit der Welt er-      freie sich bewegen Lassen zu einem bewussteren      bildhafte Psychologie entwickelt sich. Zugleich
                            leben, die später einmal als seelische Liebe-     Üben zu verdichten, zum Beispiel im Sportunter-     eine Moralität. Es folgt mit der Pubertät die Zeit
                            fähigkeit und Verantwortung in Beziehungen        richt. Benz Schaffner in Ausgabe 1/12: «Das Kind    der Visionsbildung, des ersten, ahnungshaften
                            zu den Mitmenschen erscheinen wird.               lernt seine Physis durch die Bewegung kennen.       biografischen Entwurfes.»
                                                                              Es kann erfahren, wie durch beharrliches Üben       Rudolf Steiner Schulen wollen «Entwicklungshil-
                          2. «Versuche dich in dir wohl zu fühlen und das     etwas erreicht wird. Durch das Wiederholen          fe» leisten, nichts eintrichtern, haben keine Er-
                             in dir auftauchende Unwohlsein zu ertragen.      eines Bewegungsablaufs erlebt das Kind mehr         ziehungsziele ausser diesem einen: den jungen
                             Versuche dich ganz zu spüren, denn diese         Sicherheit, es wird in der Sache selbständig.       Menschen zu sich selbst zu führen und ihm We-
                             Wahrnehmung gibt dir Heimat im Leib. Das ist     Durch die Bewegung erfahre ich sehr viel über       sensbegegnungen zu erschliessen mit der Welt,
                             ein Gefühl, das du später als seelische Selb-    mich, als ganzer Mensch. Das Ergreifen meiner       in der er wirksam werden möchte. Das ist eine
                             ständigkeit wieder finden wirst. Du wirst in     selbst in meinem Körper wird in diesem Unter-       im Kern nicht-selektive Pädagogik, in der «Inklu-
                             dir ruhen können. Das ist eine Ausgangslage,     richt zum Wichtigsten. Ich muss in den verschie-    sion» – ein sehr aktuelles Stichwort der pädago-
                             ohne die soziale Beziehungen nicht in Freiheit   densten Situationen lernen, mit mir umzugehen.      gischen Debatte – selbstverständlich sein sollte.
                             begründet werden können.» Wir dürfen von         Im Turnunterricht kann sich das Ich mit seinem      Rüdiger Grimm fast in Ausgabe 3/11 zusammen,
                             der Entfaltung und Entwicklung eines gesun-      Leib verbinden. Dieses «Versuchen», egal wie es     weshalb Rudolf Steiner Schulen «für inklusive
                             den Lebenssinnes sprechen.                       vorerst gelingt, ist für den Turnlehrer das Wert-   Prozesse hervorragend geeignet» sind:
                          3. «Versuche deinen Bewegungssinn durch Tan-        vollste. Er hilft mit und schenkt den Schülern      – «Rudolf Steiner-Schulen sind Einheitsschulen.
                             zen und Springen, Klettern und Schaukeln zu      (Selbst-)Vertrauen.»                                  Sie verweisen auf ein Verständnis gemein-
                             entwickeln. Gelingt dir das, so wirst du spä-    In die gleiche Richtung zielt Sabine Schuster in      samen Lernens ohne normierende und segre-
                             ter eine Beweglichkeit und Geschmeidigkeit       ihrem Beitrag über Theaterpädagogik (in Aus-          gierende Ausleseverfahren.
                             in der Gestaltung von Beziehungen zeigen         gabe 2/11): Auf einer Tonne oder der Gleich-
                             können, weil du ein innerlich reger Mensch       gewichtskugel laufen, auf einem Einrad fahren       – Der Unterricht ist handlungs- und erfahrungs-
                             werden wirst.»                                   - «alle diese Tätigkeiten fordern von jedem Kind      bezogen. Er verläuft vom Tun zum Begreifen
                                                                              ein individuelles Üben. Das Kind muss stunden-        zum Können, vom Bild zum Begriff, vom Ver-
                          4. «Versuche einen Gleichgewichtssinn zu ent-                                                             stehen zum Handeln und zum Aufbau von Er-
                             wickeln. Balanciere über Mauern und Baum-        lang die gleichen Bewegungen wiederholen,
                                                                              um schliesslich die Geräte zu beherrschen und         fahrung und Lebenstüchtigkeit. In seinen viel-
                                                                                                                                                                                        Bild: Charlotte Fischer

                             stämme. Es wird dich später seelisch im                                                                fältigen und komplexen Möglichkeiten kann
                             Gleichgewicht halten. Du wirst als ein Ich       zu einer Freiheit in der Bewegung zu kommen,
                                                                              die von einem ruhenden Zentrum ausgeht. Sich          methodologisch für alle Kinder der richtige
                             der Meister sein in deinem Leib und nicht ein                                                          Ansatzpunkt gewonnen werden.
                                                                              zentrieren, das eigene Zentrum zu finden erlaubt
                          6                                                                                                                                          Schulkreis 2/12                              Schulkreis 2/12                                                                                                                                      7
Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
Über die Bedeutung des Rhythmus in der anthroposophischen Pädagogik                                                                                                         Die Rudolf Steiner Schulen der Schweiz in der Zukunft!

                             Massvolles Hin- und Herschwingen                                                                                                                                     Vertrauen, Fantasie und Mut
Was bedeutet es nun, im Rhythmus zu sein? Als       Das Fremdwörterlexikon bietet ei-                  daraus ergebenden Konsequenzen: Atemlo-             Diese Fragestellung ist nachvollziehbar und le-       Wie sieht aus der Sicht der Koor-                    verlangt nach neuen, auch spirituellen Werten,
nicht näher umschriebener Ausspruch klingt «im      nige hilfreiche Erklärungen, um das                sigkeit, Schlafmangel oder unrhythmische Es-        gitim, kann aber nicht beantwortet werden. Wie        dinationsstelle der Rudolf Steiner                   die es unserer Gesellschaft erlauben, die einsei-
Rhythmus sein» zuerst einmal positiv, einladend,    Wort «R hythmus » besser zu ver-                   senszeiten gefährden unsere körperliche und         die Welt in zehn oder fünfzehn Jahren aussehen        Schulen in der Schweiz die Zukunft                   tige Ökonomisierung zu überwinden durch die
gesund, Kräfte sparend. Eigentlich müssten wir      stehen. «Rhythmus» leitet sich vom                 seelische Gesundheit. Der Erwachsene hat die        wird, weiss sicher niemand. Prognosen sind oft        dieser Schulen und deren Pädagogik                   Weiterentwicklung von humanistisch, nachhal-
                                                    griechischen Tätigkeitswort «flies-                                                                                                                          aus? Was kann man heute dazu sa-
nur im Rhythmus sein und alles würde leichter                                                          Möglichkeit, einiges zu individualisieren oder      sehr einseitig und lebensfremd. «Denn es kann                                                              tig und solidarisch geprägten Lebensmodellen.
                                                    sen » ab und bedeutet G leichmass,                                                                                                                           gen und feststellen? Wie sollte sich
gehen. Wer oder was stört uns dabei? Wir ken-       gleichmässig gegliederte Bewegung,                 auszugleichen. Dauerhaft herauslösen aus dem        zum Beispiel sein, dass man durch die beson-          diese Pädagogik in nächster Zukunft                  In diesem Sinn könnte die anthroposophische
nen über die oben genannten Beispiele hinaus        periodisch wiederkehrender Wechsel,                Bedürfnis des Lebendigen nach Rhythmus kann         dere Art von Lehrerschaft und Kinderschaft, die                   entwickeln?                              Pädagogik erneut zu einem wichtigen Impuls-
noch viele andere Polaritäten, zwischen denen       regelmässige Wiederkehr natürlicher                er sich aber nicht. Er wird unweigerlich Schaden    man, sagen wir, im Jahre 1920 vor sich hat, ganz                                                           geber für die Zukunft werden.» Wie schaffen
rhythmische Bewegung im Idealfall stattfindet:      Vorgänge wie etwa Ebbe und Flut.                   nehmen. Rhythmus wirkt heilend und wird dem-        anders vorgehen muss als bei der Lehrerschaft         Schule die Bedürfnisse der Kinder, der Jugend-       wir es, erneut Impulsgeber zu werden? Kreati-
Geburt und Tod, Einatmen und Ausatmen, Be-          R hythmus ist aber eigentlich die                  entsprechend auch therapeutisch eingesetzt.         und Schülerschaft, die man im Jahre 1924 vor          lichen, der Eltern und der Lehrkräfte spiegelt und   vität, Erneuerungsprozesse, Durchsetzungskraft
wegung und Ruhe, Wachen und Schlafen oder           Bewegung, die zwischen Polaritäten                 Das Kind ist – je jünger, desto mehr – vollkom-     sich hat. » (Rudolf Steiner in Oxford, 1922, GA       wenn danach immer wieder gefragt und gesucht         sind gefragt. Die Kommunikation zwischen «Im-
                                                    stattfindet. Also weniger der eine
Wärme und Kälte.                                                                                       men abhängig vom gesunden Empfinden der             305). Diese Aussage zeigt eindeutig, dass Speku-      wird, dann entsteht eine Lerngemeinschaft, die       pulsgeber» und der heutigen Gesellschaft muss
                                                    oder andere Zustand am Ende der
                                                    Bewegung, sondern der Weg dazwi-                   verantwortlichen erwachsenen Person für den         lationen zu nichts führen. Soziale Entwicklungen      dasjenige generiert, was die Waldorfpädagogik        sich wandeln, viel mehr auf Dialog setzen, um
Schlaf- und Atemrhythmus                                                                               lebenserhaltenden, heilmachenden, Kräfte auf-       sind Resultate von individuellen Wechselwir-          braucht: Vertrauen, Fantasie und Mut. Eltern         fruchtbar zu werden.
                                                    schen. Das Dynamische, der Wechsel,
Rudolf Steiner gab im November 1918 den ers-        das sich Verändernde, sich Bildende                bauenden Rhythmus des Lebendigen. Erschüt-          kungen zwischen Menschen in einer ganz be-            fühlen sich angesprochen, SchülerInnen fühlen
ten Lehrern der neu gegründeten Waldorfschule                  und Vergehende.                         ternde Berichte über die Konsequenzen des Ent-      stimmten Zeit. Die Steinerschulen 2024 werden         sich ernst genommen und haben Freude am Ler-         Auf den Punkt gebracht
in Stuttgart sein Werk «Allgemeine Menschen-                                                           zugs dieser lebenswichtigen Fürsorge kennen         das Ergebnis dieser Wechselwirkung sein; was          nen, Lehrkräfte erleben täglich die Begeisterung     Erziehungskunst, soziale, gesuchte Gemein-
kunde» zur Hand. Hier fasste er zusammen, was       Rudolf Steiner Schule. In unserer modernen Welt    wir zur Genüge. Das Wissen um die Wichtigkeit       die zivile und politische Gesellschaft zulässt, ge-   des Unterrichtens. Solche Schulgemeinschaften        schaften und eine aufgeklärte Zivilgesellschaft
er als Grundwissen für Lehrer und Erzieherinnen     wird es immer wichtiger, auf einen gesunden        der Rhythmen des Lebens ist heute nicht mehr        hört auch dazu. Was wir aber beschreiben kön-         sind unumgänglich und stehen in der Bildungs-        sind meines Erachtens die Voraussetzungen für
als unabdingbar ansah. Darin wird als grundle-      Rhythmus zu achten. Guter Rhythmus, das heisst     selbstverständlich. Da ist manches verloren ge-     nen, sind die Voraussetzungen, die erfüllt wer-       landschaft Schweiz als wahre Alternative da. Das     die Zukunft der Rudolf Steiner Schulen in der
gende Forderung angesprochen, dass die er-          massvolles Hin- und Herschwingen zwischen          gangen und vieles wird neu erforscht. Im Sinne      den müssen, damit diese Schulen sich entfalten        konstruktive, schnelle Anpassungsvermögen der        Schweiz. Eltern haben einen sicheren Instinkt
ziehende Person die Aufgabe hat, dem Kind           Polaritäten, verleiht uns Kraft. Wir alle kennen   einer heilsamen Erziehung ist die gemeinsame        und weiterentwickeln können. Ich möchte drei          Schulorganisation an Probleme macht sie leben-       für Gleichgewicht. Der Ruf unserer Zeit nach
einen gesunden Schlaf- und Atemrhythmus zu          das gute Lebensgefühl, wenn unser Schlaf- und      Aufgabe aller für die Kinder verantwortlichen       Voraussetzungen nennen.                               dig und dialogfähig; diese Form der Selbstver-       Transparenz, Dialogfähigkeit und Orientierung
ermöglichen.                                        Wachrhythmus im Gleichgewicht ist.                 erwachsenen Personen, deren Entwicklung so                                                                waltung ist sicher zukunftsträchtig.                 bestimmt die Zukunft der Bildung. Waldorfpä-
Auch heute noch bildet dieses Werk die wesentli-                                                       zu unterstützen, dass der dem Lebendigen in-        Die Erziehungskunst wird praktiziert                                                                       dagogik ist eine Pädagogik der offenen Türen,
che Grundlage der Lehrerbildung im anthroposo-      Bedürfnis des Lebendigen                           newohnende Rhythmus seine guten Kräfte ent-         Wie werden die Lehrkräfte in der Lage sein, die       Die zivile Gesellschaft übernimmt mehr               dadurch entsteht mehr Authentizität und Aus-
phischen Sinn, also im Sinn der Pädagogik einer     Und wir alle kennen das Gegenteil und die sich     wickeln kann.                          Ingrid Ott   zahlreichen Anregungen von Rudolf Steiner in-         Verantwortung                                        tausch. Die Möglichkeit, als Eltern zu verfolgen,
                                                                                                                                                           dividuell umzusetzen? Das Studium der päda-           Unsere Mainstream-Gesellschaft neigt dazu, das       was die Heranwachsenden erleben und mit zu
                                                                                                                                                           gogischen und anthroposophischen Vorträge ist         individuelle Denken zu unterbinden oder zu rela-     gestalten, stärkt – wie längst wissenschaft-
                       Betrachtungen über den Handarbeits-Unterricht an einer Rudolf Steiner Schule                                                        eine Fundgrube für die Entwicklung einer päda-        tivieren; dieser Strom nimmt an Kraft zu. Gelingt    lich nachgewiesen wurde — die Lernkraft und
                                                                                                                                                           gogischen Grundhaltung, die das Kind und den          es, das kritische und aufgeklärte Denken scho-       den Schulerfolg aller SchülerInnen. Jenseits der
                    Geschickte Finger – bewegliche Gedanken                                                                                                Jugendlichen stützt und fördert. Diese ethische,
                                                                                                                                                           spirituelle und intellektuelle Haltung setzt sich
                                                                                                                                                                                                                 nungslos und konsequent weiter zu hinterfragen,
                                                                                                                                                                                                                 um eigene Verantwortung frei zu übernehmen?
                                                                                                                                                                                                                                                                      grossen Bildungsanstalten mit standardisierten
                                                                                                                                                                                                                                                                      Normen und Quoten ist die Waldorf- oder Ru-
                                                                                                                                                           mit der Praxis auseinander, um die gewonnenen         Emanzipierte Menschen schaffen immer die frei-       dolf Steiner Schule die Schule, die auf das Leben
In der Handarbeit übt das Kind koordinierte         Stricken, häkeln, sticken, nähen –                 geführt. Sie erleben, dass durch das Auf- und       Einsichten pädagogisch umzusetzen. Schüler-           en Räume von Zukunftswerkstätten. Frau Dr.           vorbereitet und nicht auf Ausgedachtes hinführt.
feinmotorische Bewegungsabläufe ein, erfühlt        muss das heute noch sein ? I n der                 Abnehmen von Maschen dem Gestrickten eine           Innen brauchen gute und kompetente Lehrer-            Yvonne Gilly, Nationalrätin, beantwortete kürz-      Eine Schattenseite darf nicht verdrängt werden:
die Eigenarten der verschiedenen Materialien,       neueren Gehirnforschung wird den                   Form gegeben werden kann, dass Hülle gebil-         Innen. Die Erziehungskunst als Kunst der Praxis       lich die Frage (Schulkreis: Frühling 2012): Wie      Die Hürde der Finanzierung wirkt immer wieder
lernt Harmonien und Formen und Farben er-           Sinneserfahrungen und dem eigenen                  det wird.                                           verlangt viel und harte Arbeit, um wirklich frucht-   beurteilen Sie den sozialen, pädagogischen Bei-      hemmend auf eine Elternschaft, welche diese
                                                    praktischen Tun eine grosse Bedeu-
kennen. Das Begreifen der Welt durch schöpfe-                                                          Das Thema der sechsten Klasse ist das Nähen         bar zu werden; ein lebenslanges, individuelles        trag der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz?:     Qualität sucht aber nicht in der Lage ist, sie zu
                                                    tung für das L ernen beigemessen .
rische Eigentätigkeit ist durch nichts anderes zu   Diese fördern die Voraussetzung für                von Puppen und Tieren. Es gilt, den Puppen ei-      Lernen der Lehrkräfte wird durch das Kollegium        «Ihr Wert ist unschätzbar. Die anthroposophische     finanzieren; dieser Schultypus sollte wie in an-
ersetzen. Fingerfertigkeit, die das Kind sich in    differenziertes Sprechen und bewegli-              nen «seelischen Ausdruck» zu geben oder beim        der Schule ermöglicht und gefördert. Gegenwär-        Pädagogik hat das öffentliche Bildungswesen          deren europäischen demokratischen Ländern,
der Handarbeit erwirbt, wirkt sich in seiner ge-    ches Denken. Flinke Finger und flinke              Tier etwas typisch Wesenhaftes sichtbar zu ma-      tig und zukünftig Heranwachsende sind auf diese       durch ihre Impulse mitgeprägt. Die heutige Zeit      allgemein zugänglicher werden (Bildungsgut-
samten Entwicklung aus. Mit jeder feinen Be-        Gedanken verleihen Lebenssicherheit.               chen. Das Muster der Puppe oder des Tieres wird     Pädagogik angewiesen, da die                                                                                                schein, freie Schulwahl, Spen-
wegung wird das Gehirn differenziert geformt.                                                          ausgeschnitten, die einzelnen Teile werden mit      gesellschaftlichen und globa-                                                                                               den, Mäzenat, ...) ohne dabei
Je geschickter das Kind seine Finger bewegen        Sticken, Nähen und anderes mehr. Etwas Neu-        kleinen Stichen zusammengenäht. Die Formen          len Herausforderungen immer                                                                                                 auf ihre Selbstbestimmung zu
kann, desto lebendiger und geschmeidiger wer-       es beginnt in der vierten Klasse mit dem Kreuz-    werden durch Stopfen modelliert. Das erfordert      komplexer werden. Die Zukunft                                                                                               verzichten, denn hierin liegt ihr
den seine Gedanken.                                 stich. Die Kinder müssen sich bei dieser Arbeit    viel Aufmerksamkeit und Überlegung. Mit allen       erwartet kreative Menschen,                                                                                                 Erfolgsgeheimnis.
                                                    räumlich zurechtfinden, im Oben und Unten, im      kindlichen Gefühlskräften arbeiten die Buben        die mit dem Leben selbständig                                                                                                                Robert Thomas
Willenskräfte entfalten                             Rechts und Links, im Hinten und Vorne. Das ist     und Mädchen so an ihren Puppen oder an ih-          umgehen können. Diese päda-                                                                                                Dieser Artikel wurde für die Schulmit-
Sich nur mit einer Sache beschäftigen und dazu      eine Herausforderung, da alle Kreuzstiche in der   ren Tieren.                                         gogische Kunst ist die Quelle                                                                                              teilung der Rudolf Steiner Schule Plat-
noch stillsitzen, das fällt den Kindern heute       gleichen Richtung stehen müssen. Jedes Kreuz       In der siebten Klasse lernen die Kinder die Näh-                                                                                                                               tenstrasse verfasst und im Sommer
                                                                                                                                                           der Resilienz; die Widerstands-
                                                                                                                                                                                                                                                                                      publiziert.
schwer. So wird im Handarbeitsunterricht auch       wird zuerst zu Ende gestickt, bevor das nächs-     maschine zu gebrauchen. Sie nähen zum Beispiel      fähigkeit des Menschen wird
der Durchhaltewille ausgebildet und gestärkt.       te beginnt. Zudem besteht die Aufgabe darin,       Topflappen, Taschen und Gegenstände, die man        altersgemäss und systematisch
Durch das künstlerische Gestalten und durch         eine freie Form symmetrisch zu gestalten. Diese    im Alltag gebrauchen kann.                          geübt; eine gute Schule ist der
die Arbeit am Objekt wachsen Ausdauer und           Arbeit macht die Kinder wach und gibt ihnen        In der achten Klasse schneidern sie sich ein        Lern-Ort, an dem diese Fähig-
Konzentration, Genauigkeit und Phantasie. Auch      Halt. Sie fördert durch das wiederholende Bilden   Kleidungsstück. Eine anspruchsvolle Herausfor-      keit mit Nachdruck veranlagt
der Schönheitssinn wird entwickelt. Das gleich-     der Überkreuzung ihre Konzentrationsfähigkeit.     derung, die zugleich ein sichtbares Zeugnis der     werden muss.
mässige, rhythmische Arbeiten hilft Willenskräf-                                                       erworbenen Fähigkeiten bedeutet.Der Handar-
te zu entfalten.                                    Form geben, Hülle bilden                           beitsunterricht begleitet die Schülerinnen und      Die Steinerschulen sind
In den ersten drei Schuljahren lernen die Kinder    Anhand des Sockenstrickens in der fünften Klas-    Schüler bis in die achte Klasse.                    echte Lerngemeinschaften
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Mit freundlicher Genehmigung der Rudolf
verschiedene Techniken kennen: Stricken, Häkeln,    se werden die Kinder in das Dreidimensionale                   Lisbeth Wallmeier und Katrin Kleiber    Wenn die Sozialgestalt der                                                                                                 Steiner Nachlassverwaltung

8                                                                                                                                       Schulkreis 2/12    Schulkreis 2/12                                                                                                                                                 9
Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
Ein Spiegel der Gesellschaft im 21.Jahrhundert?                     Da sich im Laufe des Lebens immer neue Aufga-          nem ethischen Thema,
                                                                                                                                                                  ben und Herausforderungen stellen und auch der         so dass Jugendliche

        Identitätsentwicklung
                                                                                                                                                                  erwachsene Mensch sich weiterentwickelt, ist er        lernen, ihre eigene
                                                                                                                                                                  auch immer wieder aufgerufen, seine Entschei-          Position zu finden, zu
                                                                                                                                                                  dungen zu prüfen und zur Passung zu bringen.           artikulieren und einer
                                                                                                                                                                  So erhält Identitätsentwicklung nicht nur eine         anderen Position ge-
                                                                                                                                                                  innere Dimension sondern auch eine äussere             genüber abzugrenzen.

            in der Adoleszenz
                                                                                                                                                                  Dimension und bezeichnet somit einen lebens-           In Gruppenarbeiten
                                                                                                                                                                  langen Prozess. Die Frage «Wer bin ich» und die        können Lernprozes-
                                                                                                                                                                  damit verbundene Arbeit kann je nach Entwick-          se selber gesteuert,
                                                                                                                                                                  lungsgang somit eine lebenslange Baustelle dar-        ergänzt, erwägt und
                                                                                                                                                                  stellen, die in einen neuen Bewusstseinszustand        gestaltet werden. Frei-
                                                                                                                                                                  mündet, mit dem sich der Mensch im 21. Jahr-           heit in Grenzen wird
                                                                                                                                                                  hundert identifiziert. Hier stellt sich mir wiederum   so gegenüber gren-
                                                         Was ist dieser neue Zeitgeist, der uns erfasst, indem er alte Autorität, Hie-                            die Frage: Ist es dieser heutige Zeitgeist, der uns    zenloser Freiheit für
                                                       rarchie in Frage stellt, Trug und Schein aufdeckt und rebellisch, jugendlich                               dorthin führt und sind es v.a. die Jugendlichen,       die Gruppenmitglie-
                                                      kritisch neue Formen im Umgang mit Geld, Politik, Spiritualität fordert? Ruft                               die diesen Ruf am deutlichsten hören?                  der einsichtig prak-
                                                      dieser Zeitgeist auf, sich auf die Suche nach einer neuen Identität zu machen?                                                                                     tiziert.
                                                                                                                                                                  Jugendsprache – ein Mittel zur
                                                                                                                                                                  Identitätsfindung                                      Ruft der neue
Viele Ereignisse im öffentlichen Leben öffnen          welche durch Interaktion zwischen Mensch              geboten, damit nicht etwas, das noch nicht an                                                               Zeitgeist auch den
                                                                                                                                                                  Heckenschneider, ratzen, zugetackert, Dreh-
in frappanter Weise die Augen. So musste der           und Umwelt hervorgerufen werden. In dieser            seinem Platz ist, beschädigt wird.                                                                          erwachsenen
                                                                                                                                                                  stuhlpilot – das sind Ausdrücke heutiger Ju-
deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu         Übergangsphase stellen sich dem Jugendlichen                                                                                                                      Menschen auf,
                                                                                                                                                                  gendlicher und erscheinen mittlerweile auch im
Gutenberg zu seinen Fehlern stehen, nachdem            verschiedene Aufgaben. Um sie lösen zu kön-           Grenzen ausloten                                                                                            sich zu einer
                                                                                                                                                                  Langenscheidt Wörterbuch «Jugendsprache Hä?
Plagiate eine unbequeme Wahrheit ans Tages-            nen, schöpft er aus personalen sowie sozialen         Jugendliche legen oft ein riskantes Verhalten an                                                            neuen Identität
                                                                                                                                                                  2012» Eine Sprache, die sich also stetig weiter-
licht brachten. Ein Doktortitel kann also nicht        Ressourcen und erarbeitet sich zusätzlich neue        den Tag, das Eltern oder Lehrer dazu animieren                                                              zu entwickeln?
                                                                                                                                                                  entwickelt und doch recht witzig, ja hie und da
nur erworben sondern auch verloren werden, je          Kompetenzen. Erfolgreich durchlebt und abge-          kann zu intervenieren. Doch auch dieses Ver-         auch recht einfallsreich sich präsentiert. Das in      Anders ausgedrückt
nachdem ob der Verfasser sich als würdig oder          schlossen hat ein Jugendlicher diese Phase, wenn      halten dient zur Positionierung des suchenden        Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch. Hier         könnte man auch
unwürdig erweist. Nachdem das Volk in den              er selbständig geworden ist, sich aber mit der        Ichs oder eben der sich entwickelnden Identität.     nur von Sprachverfremdung oder Sprachver-              fragen, ob sich die
arabischen Ländern Mitspracherecht, Demokra-           Familie noch verbunden fühlt. Ein jugendlicher        Riskantes Verhalten (sensation seeking) kann im      wahrlosung zu sprechen, ginge am Thema vorbei.         menschliche Gesell-
tie und Gerechtigkeit fordert, wird ein Umden-         Mensch, der mit 16 von zuhause auszieht, weil         Bereich Ernährung, Strafe, Verschuldung auf-         Vielmehr ist auch hier Sprache identitätsstiftend      schaft in so etwas
ken auch in der Politik deutlich und notwendig.        er es nicht mehr aushält, praktiziert daher nicht     treten. Jugendliche gehen Risiken ein als Mit-       und klar abgrenzend gegenüber einer Erwach-            wie einer adoleszen-
Vertuschen, weghören, schönreden, Wahlen               eine erfolgsversprechende Strategie.                  tel zur Selbstdarstellung oder auch als Mittel       senenwelt. Ein Schmunzeln kann ich mir jedoch          ten Phase befindet.
manipulieren - all das passt nicht mehr zu die-        Eine dieser Aufgaben besteht nun in der Ent-          zur Opposition. Auch kann es den individuellen       nicht verwehren, hat doch bereits Mani Matter          Ich würde das auf-
sem neuen Geist, der jüngst auch in Moskau die         wicklung einer eigenen Identität. Ziel ist es eine    Freiheitsgrad darstellen oder eine Kompensati-       zu seiner Zeit mit «Löu u blöde Siech, Glünggi u       grund des Vergleichs mit der jugendlichen Ado-      das Herumbasteln an der Sprache identitätsstif-
Menschen auf die Strassen trieb. Die Forderung         eigene Lebenskohärenz, eigene Strukturen zu           onshandlung sein, um schwierige Situationen zu       Sürmu» nicht nur Anerkennung geerntet. Weite-          leszenz, den ich hier aufgezeigt habe, bejahen.     tend für Jugendliche sein kann, ist es bereits für
nach Neuwahlen, Demokratie, getragen von ei-           schaffen, ein Beziehungsnetz aufzubauen in            meistern. Hier sind nun die Erwachsenen gefragt,     re Merkmale und Potentiale der Jugendsprache           Gesellschaftlich gesehen befinden wir uns in ei-    die Erwachsenenwelt. Englische Wörter sind be-
nem Wunsch und Bedürfnis nach menschlicher             dem Anerkennung, Zugehörigkeit und gemein-            Stellung zu beziehen. Tun sie das nicht, werden      sind Integration von Fremdwörtern z.B. «mir gö         ner Umbruchstimmung, wirtschaftlich gesehen         reits «verlinkt» mit dem deutschen Wortschatz.
und politischer Verantwortung wird laut geäus-         same Interessen zählen. Gelingen können die-          sie von den Jugendlichen nicht ernst genommen.       ga shoppe» oder Verwendung von Mundart im              betreten wir eine Baustelle. Alte Werte werden      Risikoverhalten als ein Suchen nach einer neuen
sert, neue Ideologien wollen umgesetzt werden          se Bemühungen, indem der/die jugendliche Er-          Obwohl es für den Erwachsenen unbequem ist,          schriftlichen Bereich, begleitet von inszenierten      abgelehnt, neue sind noch nicht etabliert. Die      Identität ist v.a. im ökologischen Bereich erschre-
und nicht Träger von erstarrten Tabus sein.            wachsene seinen/ihren Körper akzeptieren lernt,       diese Grenze zu spielen, ist es ein notwendiges      Begrüssungsritualen. Bei diesem Herumbasteln           Kommunikation über das Internet nimmt glo-          ckend deutlich sichtbar. Die Gletscher schmelzen,
Als Oberstufenlehrerin beobachtete ich im letz-        d.h. auch Veränderungen annimmt, er/sie eine          Übel, damit dort eine Auseinandersetzung ent-        an Sprache gilt auch hier: Eintritt für Erwachse-      bale Formen an, wir suchen neue Peergroups,         der CO2-Gehalt steigt, Atomkatastrophen wer-
ten Jahr viele Ähnlichkeiten zwischen der Ent-         Rolle annimmt, einen Freundeskreis aufbaut,           steht. Studien zeigen, dass in Familien, in de-      ne strengstens verboten…                               die den Familienrahmen sprengen. Wir fordern        den real und doch wird nur langsam etwas an
wicklung des Jugendlichen und dem jetzt neu            zwischen intimen und freundschaftlichen Kon-          nen solche Grenzen nicht thematisiert werden,                                                               Reziprozität von Machthabern, Offenlegung von       der umweltzerstörenden menschlichen Verhal-
aufbrechenden gesellschaftlichen Zeitgeist, der        takten unterscheidet, sich die Zukunft vorstellt      in denen Alkohol und Drogenmissbrauch oder           Die Rolle des Erwachsenen                              geheimen Machenschaften und wir wollen nicht        tensweise geändert. Investment Banking ist ein
auch mich berührt.                                     hinsichtlich Beruf, Familie, Weltanschauung und       Harmoniesucht herrschen, und in denen keine          Angesichts dieser Abgrenzung, was durchaus in-         von Strukturen kontrolliert werden, sondern sel-    Spiel mit dem Risiko und ruft nach Sanktionen
Die Entwicklung des Jugendlichen ist geprägt           auch ein Bewusstsein über die eigenen Wün-            Auseinandersetzung stattfindet, der Ablösungs-       nerhalb der Identitätsentwicklung des Jugendli-        ber neue menschlichere schaffen. Der Mensch         statt nach staatlichen Zuschüssen. Ich denke,
von Ablösung, Unsicherheit und individueller           sche vergegenwärtigt. Da die Zukunftsperspek-         prozess erschwert ist.                               chen Sinn macht, kann ein Zusammenleben mit            im 21. Jahrhundert baut das WWW weiter aus,         dass nicht nur Jugendliche mit Risikoverhalten
Identitätsentwicklung. Der Jugendliche von heu-        tive und Weltsicht noch am Entstehen ist, ist                                                              Jugendlichen in diesem Alter schwierig sein.           ein weltweites Beziehungsnetz, in dem Anerken-      die Grenzen ihrer Identität abtasten, sondern
te spiegelt vielleicht deshalb gerade diese gesell-    auch die Abgrenzung gegenüber den Eltern so           Identitätsentwicklung – ein lebens-                  Die Jugendlichen sind so sehr mit ihrer eigenen        nung oder gemeinsame Interessen ausgetauscht        auch der moderne Mensch im 21. Jahrhundert.
schaftliche Umbruchstimmung am deutlichsten            wichtig. Ihr Urteil ist daher nicht in erster Linie   langer Prozess?                                      Identitätssuche beschäftigt, dass man mit Recht        und geteilt werden. Sicherlich werden die moder-    Die Frage bleibt. Schaffen wir es erwachsen zu
wieder, da er sie selbst entwicklungsbedingt           gefragt. Ein gesunder Jugendlicher investiert         Nach James E. Marcia (1980) durchläuft der           auch vom sog. Jugendegoismus spricht. Verant-          nen Kommunikationsmittel noch über die «mag         werden und dem Ruf des neuen Zeitgeistes zu
durchmacht. Auf dieses Suchen nach einer pas-          immer weniger Emotionen, Zeit und Aufwand             Mensch vier Stufen der Identität. Von der über-      wortung seitens der Erwachsenen abgeben an             ich – mag ich nicht» Stufe hinauswachsen, doch      folgen? Können erwachsen gewordene Men-
senden Identität möchte ich im Folgenden näher         in die Familie, da er sich ja auch nicht mehr mit     nommenen Identität, in welcher ein Kind bei-         eine jüngere Generation geht also gar nicht.           im Kern ist doch hier ein Bedürfnis nach inter-     schen den Rahmen neu definieren, der gebraucht
eingehen, und dann weiter den Bogen spannen            deren Werten identifiziert, dafür immer mehr in       spielsweise die von Bezugspersonen vorgelebte        Wo liegen dann die Aufgaben der Erwachsenen            nationaler Kommunikation bereits angelegt. Alte     wird, nicht nur um gesprengt zu werden, sondern
zu den ihn umgebenden gesellschaftlichen Hin-          eigene Freundschaften und den Aufbau von Be-          Handlungsart ungefragt nachahmt oder über-           und Lehrpersonen in diesem Ablösungsprozess?           politische Strukturen werden brüchig, neue sind     auch um als Orientierungshilfe zu dienen? Immer
tergründen.                                            ziehungen. Obwohl Jugendliche eigentlich keine        nimmt, dann die diffuse Identität, in welcher        Jugendliche schätzen es, wenn sie in ihren ei-         noch nicht da, und doch wird der Wunsch nach        mehr wird auch in religiösen Belangen ein Ruf
                                                       Lust haben, den Eltern gegenüber dies zu proto-       noch keine Krise stattgefunden hat und auch          genen Bemühungen unterstützt werden, mehr              Kohärenz, d.h. nach Passung auch mit einem          nach mehr Spiritualität hörbar, der die Grenzen
Identitätsentwicklung in der                           kollieren, verlangen sie Reziprozität und wollen      noch keine eigenen Werte festgelegt worden           Verantwortung übertragen bekommen und auch             neuen spirituellen Weltbild bereits sichtbar. Wie   der Kirchendogmatik oder Religionszugehörig-
Adoleszenz                                             auf keinen Fall kontrolliert werden. Nicht nur        sind, dann die kritische Identität, in welcher der   Gelegenheit erhalten, Arbeitsprozesse selber           Jugendliche sich auf persönliche und soziale Res-   keit nicht ungefragt akzeptiert. Als angehende
Adoleszenz wird als eine Phase des Übergangs           Jugendliche lösen sich von den Eltern, auch El-       Jugendliche sich in Zeiten der Krise zurechtfinden   zu strukturieren. In einer wertschätzenden Ge-         sourcen stützen und auch bereit sind, neue Kom-     Philosophie-und Religionslehrerin beschäftigen
zwischen Kindheit und Erwachsenenalter be-             tern lösen sich von ihren Kindern und erhalten        lernt, und schliesslich die erarbeitete Identität,   sprächskultur, wo jeder zu Wort kommt und sei-         petenzen zu erlernen, ist auch der Erwachsene       und begleiten mich diese Fragen in der Arbeit
zeichnet und als solche beinhaltet sie Entwick-        so mehr Zeit, ihren eigenen Interessen nachzu-        in welcher der jugendliche Erwachsene Entschei-      ne Meinung äussern darf, werden verschiedene           hierzu aufgefordert. Es entstehen Patchworkfa-      und bilden immer auch Arbeitshypothesen in
lung. Veränderungen werden einerseits durch            gehen. Ein neues Identitätsbewusstsein ist da         dungen geprüft hat, Begründungen aufgrund ei-        Standpunkte gegeneinander abgewägt. Im Un-             milien, in welchen Verantwortung familienüber-      meiner Forschungsarbeit mit Jugendlichen.
Wachstum und Reifung hervorgerufen, ande-              beiderseits am Entstehen und eigentlich noch          gener Erfahrungen getroffen und Krisen erfolg-       terricht macht es daher Sinn, wenn pro und con-        greifend geteilt wird, Weltoffenheit hinsichtlich   Monika Schneider (Mutter, Wissenschaftlerin, Oberstufen-
rerseits sind sie Ergebnisse von Lernvorgängen,        eine Baustelle. Das heisst grösste Vorsicht ist       reich bewältigt hat.                                 tra Diskussionen ermöglicht werden z.B. zu ei-         religiöser Toleranz und Partnerschaften. So wie     lehrerin, Mitglied des Berufsverbandes Lehrer Bern)

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Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz Inkarnationshilfe Erziehung als Kunst - Die Zeitschrift der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
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