Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien

 
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Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
115. Jahrgang · 4 | 2020
                           Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien

                           missionsblätter
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
In diesem Heft
                WELTWEIT
                4 - 5	Flucht nach Ägypten                 8 - 9	P. Reinhard Bottners
                       Eritreische Flüchtlinge in                 Wirken im Keriotal
                       Kairo                               10 -  11	Brücke zwischen
                6 - 7	Lebensrettende Geräte in                      Afrika und Europa
                       Ndanda                              12 -  13 Neues aus der Mission
INHALT

                HEIMAT
                14 - 15	Heilige Ottilia                   22	Wenn mein Herz wandert
                         Die Lichtbringerin                    Fünf Tage im Kloster – und
                16 - 17	Norbert Weber – ein Leben             etwas hat sich verändert
                         für Mönchtum und Mission
                18 - 19	Rund um die Erzabtei
                         Neues aus St. Ottilien

                RUBRIKEN
                20 - 21	Impuls:                           24      Buchtipps
                         Gottes „Zu-Wendung“ –             27      Preisrätsel
                         eine Wende für unser
                                                           28      Termine
                         Leben?
                23	Humorvolles aus dem
                    Kloster
                    Br. Engelbert Wieber

             Titelbild: Festfreude teilen: Kindergartenkinder der Abtei Ndanda bei einem gemeinsamen Mahl.

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Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
Liebe Leserin,
lieber Leser,
wir leben in einer „Wende-Zeit“, so schreibt Erzabt Wolfgang in seinem Impuls
ab Seite 20 dieser Ausgabe. Vieles verändert sich gerade in unserem Leben, im
Zusammenleben mit anderen Menschen – keine Reisen, keine Feste, immer auf
Abstand und mit Maske. Das belastet und bedrückt die Menschen. Wie wird
sich das noch entwickeln? Wie lange wird das so weitergehen? Aber es hat sich
schon einmal alles in dieser Welt geändert – mit dem Kommen Jesu Christi.

Gott ist immer unterwegs mit uns – auf neuen Wegen
Krisenzeiten bieten auch Chancen auf Veränderungen und zu Neuem. So ist
mit der Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien etwas Neues
in der Ordenslandschaft entstanden. Ausgehend von der heiligen Ottilia, deren
1300. Todesjahr wir dieses Jahr eigentlich groß feiern wollten; stark geprägt
vom ersten Erzabt, Norbert Weber, an dessen 150. Geburtstag wir uns dieses

                                                                                                             EDITORIAL
Jahr erinnern.

Jesus Christus ist in diese Welt ­gekommen – als Hoffnungszeichen
für die Menschen
Als Neugeborener musste er mit Maria und Josef nach Ägypten fliehen. Wie
heute auch wieder Menschen aus Eritrea, die ihr Land verlassen auf der Flucht
vor einem Diktator. Sie werden anderswo aufgenommen und Menschen wie
unsere ägyptischen Mitbrüder sorgen für sie.

Und unser Missionsauftrag in dieser Welt endet nie
Es bleiben Spuren, wie sie unser Mitbruder und Missionar, P. Reinhard B    ­ ottner,
in Kenia hinterlassen hat. Es entsteht Neues, wie Br. Jesaja aus s­ einer Tätigkeit
am Hospital im Süden von Tansania berichten kann.
Aufgaben werden neu besetzt, neue Ausrichtungen gegeben, wie wir von
P. Christian Temu, dem neuen Kongregationsprokurator erfahren.
Aber auch in der Heimat, in der und rund um die Erzabtei, gibt es immer wie-
der Erfreuliches und Interessantes zu erzählen.

So wünsche ich Ihnen viel Freude mit den neuen Missionsblättern und trotz
allem, was wir gerade erleben – oder gerade deswegen – besonders ge­segnete
Festtage und den hoffnungsvollen Beginn eines guten neuen Jahres.

Bleiben Sie gesund – und zuversichtlich!

Ihr

                                                                              missionsblätter 4 | 2020   3
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
Flucht nach Ägypten
               Eritreische Flüchtlinge in Kairo                                                             Text: P. Maximilian Musindai OSB
                                                                                                                Übersetzung: Stefanie Merlin

               Seit 1990 kamen immer wieder eritreische Flüchtlinge nach Ägypten, wenn auch nicht
               viele. Im Jahr 2014 stieg die Zahl der Flüchtenden dramatisch an: Als Folge eines notorisch
               repressiven Regimes sahen viele Eritreer keine andere Perspektive, als aus ihrer Heimat zu
               fliehen. Dort ist politische Opposition verboten und die Bewegungsfreiheit im eigenen Land
               sowie die Meinungs- und Religionsfreiheit sind stark einschränkt.

               Die Jugendlichen werden zu unbe-         waltigt. Als sie in Ägypten ankam,       gelassen haben, hat ihren Vater in
               fristetem Militärdienst verpflichtet     blutete sie stark und wurde von den      der Wüste verloren, und sie wissen
               und versuchen verzweifelt, nach Eu-      ägyptischen Behörden gerettet, die       bis heute nicht, wo ihr Vater ist. Wir
               ropa zu fliehen. Und der Weg durch       sie ins Krankenhaus brachten. Die        hoffen weiterhin, dass er am Leben
               Ägypten wurde zur Transitroute. Auf      Folge ihrer Verletzungen ist, dass       ist. Viele schweigen zu den Schwie-
               legalem Weg das Land zu verlassen        sie nicht mehr schwanger werden          rigkeiten und Misshandlungen, de-
               ist kaum möglich, da die eritreischen    kann. Ihre Geschichte steht für viele,   nen sie auf dem Weg nach Kairo
               Behörden die nötigen Ausreisepa-         die ähnliche Schmerzen erdulden          begegnet sind, und zeigen bisweilen
               piere verweigern. Den Flüchtenden        mussten. Wenn sie nach Ägypten           psychische Probleme. Einige versu-
WELTWEIT

               bleibt nur die Option, die Dienste von   einreisen, beantragen sie eine Re-       chen, über das Meer nach Europa zu
               illegalen Schleppern in Anspruch zu      gistrierung beim UNHCR. Als Aus-         gelangen. Vor einigen Jahren haben
               nehmen. Auf dem Weg nach Europa          weispapiere und für die Inanspruch-      wir eine Familie verloren, deren
               sind die Menschenhändler bereit, bei     nahme der von der UNO erbrachten         Vater, Mutter und Sohn versuchten,
               der Überquerung der Grenze zum           Hilfen werden ihnen Identitätskarten     das Meer nach Italien zu überque-
               Ostsudan zu helfen, dann geht es –       ausgehändigt. Eine der großen Her-       ren. Obwohl Ägypten nur Transit-
               meist mit Jeeps – weiter nach Khar-      ausforderungen bei der Einreise nach     land auf dem Weg nach Europa ist,
               tum, durch die Wüste nach Assuan         Kairo ist der riskante Weg durch die     sind viele Familien hier eingesperrt
               und schließlich im Zug nach Kairo.       Wüste und über die Grenzen. Ob-          und haben keine Hoffnung, nach
               In Ägypten angekommen, werden            wohl viele ankommen, sterben oder        Europa zu gelangen. Solche Fami-
               die Flüchtlinge freigelassen und         verschwinden viele andere auf dem        lien haben sich nun entschieden, in
               müssen ihren eigenen Weg finden.         Weg. Wenn sie von den Menschen-          Ägypten zu bleiben, auch wenn es
               Viele verkaufen in ihrer Heimat ihr      händlern in der Wüste ausgesetzt         schwierig ist.
               ganzes Hab und Gut, um die Gebüh-        werden, müssen sie allein den Weg
               ren für die Schlepper aufzubringen,      finden, um sich Nahrung und Unter-       Orden engagieren sich gemein­
               weil sie auf „grünere Weiden“ – Frie-    kunft zu sichern, ohne von den Re-       sam im Dienst der Hoffnung
               den, Finanzen, bessere Bildung und       gierungsbehörden entdeckt zu wer-        Seit wir Missionsbenediktiner in
               Dienstleistungen – außerhalb ihres       den. Die Angst davor, entdeckt und       Kairo sind arbeiten, wir in der Flücht-
               Landes hoffen. Die Reise dorthin ist     wieder zurückgeschickt zu werden,        lingshilfe mit, die von den Combo-
               voller Risiken.                          ist ihr ständiger Begleiter. Wer ohne    ni-Missionaren bereits vor 30 Jahren
                                                        die legalen UNO-Dokumente ange-          ins Leben gerufen wurde. In den
               Misshandelt und mittellos                troffen, wird landet im Gefängnis.       Pfarreien helfen wir den bedürftigen
               Wie mir eine 26-jährige Frau, ich                                                 Familien, Unterkunft und Lebens-
               nenne sie hier „Mariam“, erzählte,       Hier warten weitere Heraus­              mittel zu bekommen, und organisie-
               brauchte sie drei Wochen, um Kairo       forderungen auf die Flüchtenden          ren die Betreuung der Gefangenen.
               zu erreichen. Die drei Wochen wer-       Es gibt viele Familien, die von          Ihnen bringen wir Winterkleidung
               den die dunkelsten Tage in ihrem         verschiedenen Herausforderungen          oder Medikamente ins Gefängnis.
               Leben bleiben. Mariam wurde fast         betroffen sind. Eine der Familien,       Wir sorgen für Bildung und Gesund-
               täglich von den Schleppern verge-        die sich bereits hier in Kairo nieder-   heitsversorgung. Da die Kinder keine

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Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
ägyptischen Schulen besuchen können, haben wir mit
den Lehrern unter den Flüchtlingen Unterricht für sie
organisiert. Am wichtigsten ist die Pastoral. Hier treffen
wir Paare und helfen ihnen, die täglichen Anforderungen
des Lebens zu bewältigen. Wir geben auch Kurse, um die
jungen Paare in Fragen des Familienlebens vorzuberei-
ten. Seit fast drei Jahren habe ich eine aktive Rolle in
unserem eritreischen Flüchtlingsapostolat übernommen.
Ich sehe es als meinen Auftrag, zweimal im Monat ihre
Häuser zu besuchen, Messen und kostenlose Beratungs-
dienste anzubieten und ich spüre, dass dies dazu beiträgt,
die Hoffnung unter den Flüchtlingen wieder zu wecken.
Mit dem Aufkommen des Coronavirus wurde fast das
gesamte Flüchtlingsprogramm in die Knie gezwungen.
                                                                                        Nahrungsmittelhilfe für Flüchtlingsfamilien
Dank des Eingreifens der Benediktiner konnten auch die
Versorgung der bedürftigen Flüchtlingsfamilien mit Nah-
rungsmitteln und die Erfüllung anderer Grundbedürfnis-
se als Notmaßnahmen gewährleistet werden.

Die Zukunft unseres Hilfsprojekts
Der Schock durch die Corona-Gesundheitskrise hat uns
die Augen geöffnet. Als die Lage sehr schlecht war, be-
schlossen wir, ein Komitee zu gründen, das sich mit der

                                                                                                                                      WELTWEIT
Zukunft der eritreischen Flüchtlinge in Kairo befasst.
Ich übernahm den Co-Vorsitz. Da wir nun Familien ha-
ben, die sich entschieden haben, in Ägypten zu bleiben,
bedeutet dies, dass dieses Projekt hier bleiben wird. Als
Kirche müssen wir nach Wegen suchen, wie wir hilfs-
bedürftige Flüchtlinge ohne ständige Abhängigkeit von
Spenden unterstützen können. Unser Ziel ist, dass sich
die Hilfsprojekte selbst tragen; dafür ist aber eine Start-
hilfe notwendig, denn alleine schaffen wir es in dieser
schwierigen Zeit nicht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk
unterstützt unser Anliegen mit sehr begrenzten Mitteln,
daher wenden wir uns an unsere Partner und Wohltäter.                                                                    P. Maurus zu
                                                                                                                         Besuch bei
Mit ihrer Hilfe möchten wir die Not der eritreischen
                                                                                                                         eritreischen
Flüchtlinge in Kairo lindern und ihren Familien eine                                                                     Familien in
langfristige Perspektive geben.                                                                                          Kairo

    Flucht nach Ägypten
    Die „Flucht nach Ägypten“ ist kein neuartiges             21, wie Gott sein Volk, die Israeliten, aus
    Phänomen. In der Bibel lesen wir an mehreren              Ägypten in die Freiheit rettete (Flucht aus
    Stellen davon. In Genesis 41, 46-57 rettete               Ägypten). Viele Jahrhunderte später erzählt
    Josef die Ägypter vor der Hungersnot. Durch               Matthäus 2,13-23, wie die Heilige Familie
    seinen landwirtschaftlichen Masterplan                    auf der Suche nach Sicherheit vor politischen
    bewahrt er seine Familie vor der Hungersnot;              Unruhen, Diktatur, Machtmissbrauch und
    später „floh“ die Familie nach Ägypten und                Gewalt gegen unschuldige Zivilisten nach
    ließ sich dort nieder. Als sich die politischen           Ägypten zurückgeführt wurde – eine weitere
    Ver­hältnisse änderten, erzählt Exodus 12-15,             „Flucht nach Ägypten“.

                                                                                              missionsblätter 4 | 2020         5
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
Ein Meilenstein für unsere Patienten
               Lebensrettende Geräte in Ndanda
                                                                                                                       Text: Br. Jesaja Sienz OSB

               Hadija ist 30 Jahre alt und
               schwanger. Am Ende ihrer
               Schwangerschaft entwi-
               ckelte sie eine Komplikati-
               on, die Eklampsie genannt
               wird. Dabei handelt es sich
               um eine Funktionsstörung
               der Plazenta („Mutter­
               kuchen“), die zu Bluthoch-
               druck, Wasseransamm-
               lungen, Krampf­anfällen
               und ­Nierenversagen führt.
               Mithilfe der neuen Geräte
WELTWEIT

               im Hospital Ndanda konnte
               unser Team aus Ärzten und           Gemeinsam Leben retten: Die Freude über den gemeinsamen Erfolg steht den Ärzten und
                                                   PflegerInnen ins Gesicht geschrieben. Der ersten Dialysepatientin konnte geholfen werden.
               Dialysepflegerinnen Hadijas         Nicht im Bild: Die zahlreichen Spender, die die Beschaffung der Dialysegeräte ermöglicht
               Leben retten.                       haben.

               Als Hadija Ende August bei uns ankam, war sie bereits        Vor allem aber haben die Nieren der Patientin ihre
               in kritischem Zustand mit allen genannten Symptomen.         Funktion wieder allmählich aufgenommen. Nach wei-
               In dieser Situation muss zunächst das Baby schnellst-        teren zwei Wochen konnte sie geheilt nach Hause ent-
               möglich zur Welt gebracht werden. Leider war es bereits      lassen werden.
               im Mutterleib verstorben, konnte aber dennoch auf na-        Hadija war die erste Patientin, die in Ndanda mit Hämo-
               türlichem Weg geboren werden.                                dialyse („Blutwäsche“) behandelt wurde.
               In den folgenden Tagen stellten die Nieren der Patientin
               ihre Funktion vollständig ein. Nach zehn Tagen war die
                                                                            Wenige haben eine Krankenversicherung
               Patientin in kritischem Zustand mit Wasseransammlun-
               gen im ganzen Körper. Die Konzentration der Giftstoffe       Die Kosten für eine Dialysesitzung betragen bei uns 60
               im Blut, die normalerweise von den Nieren ausge-             Euro. Das ist ein subventionierter Preis, denn allein die
               schieden werden, war stark angestiegen. Die einzige          Verbrauchsmaterialien für eine Sitzung kosten mehr
               Möglichkeit, das Leben der Mutter zu retten, bestand in      als 60 Euro. Patienten wie Hadija, die sich auch diesen
               einer Dialysebehandlung.                                     Preis nicht leisten können, helfen wir mit unserem So-
               Glücklicherweise hatten wir in unserem Hospital in           zialfonds. Das ist vor allem dann gut möglich, wenn es
               Ndanda kurz zuvor sieben moderne Dialysemaschinen            sich um Patienten handelt, die nur für kurze Zeit Dialyse
               aus Deutschland installiert.                                 benötigen. Patienten mit chronischem Nierenversagen
               Nach fünf Dialysesitzungen hatte sich der Zustand von        brauchen die Dialysebehandlung meist lebenslänglich.
               Hadija fast normalisiert. Das Körpergewicht war von 58       Die Kosten betragen dann pro Jahr etwa 6.000 Euro.
               auf 46 Kilo gesunken – 12 Kilo überschüssige Flüssig-        Weniger als die Hälfte unserer Patienten haben eine
               keit konnten aus dem Körper entfernt werden.                 Krankenversicherung, die diese Kosten übernimmt. Wie
                                                                            wir dieses Problem lösen werden, ist noch nicht klar.

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Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
Von Januar bis August dieses Jahres sind in unserem         Computertomograf wird benötigt
Hospital 16 Menschen an akutem oder chronischem
                                                            Das nächste wichtige Projekt wird die Installation eines
Nierenversagen verstorben. Das Durchschnittsalter die-
                                                            Computertomografen sein. Die Computertomografie
ser Patienten lag bei nur 48 Jahren. Wahrscheinlich
                                                            (CT) ist immer dann indiziert, wenn eine Diagnose mit
hätten fast alle dieser Patienten mit Dialysebehandlung
                                                            konventionellem Röntgen und Ultraschall nicht gesi-
überlebt.
                                                            chert werden kann.
Bislang gab es im gesamten Süden von Tansania keine
                                                            Beispielsweise bei Patienten nach Unfällen: Es kommt
Einrichtung, die Hämodialyse anbietet. Die Verfügbar-
                                                            häufig vor, dass Kinder oder Erwachsene beim Ernten
keit der Dialyse in Ndanda ist daher nicht nur ein Fort-
                                                            von Kokosnüssen abrutschen und herunterfallen. Üb-
schritt für unser Hospital, sondern auch ein Meilenstein
                                                            licherweise klettern die Einheimischen ohne Hilfsmit-
in der Entwicklung der Gesundheitsversorgung der
                                                            tel auf die etwa zehn Meter hohen Palmen. Wenn sie
ganzen Region!
                                                            den Sturz überleben, dann haben sie meist ein Schä-
Die Dialysestation ist im gleichen Gebäude wie die neue
                                                            del-Hirn-Trauma. Eine Computertomografie ist dann
Intensivstation (ICU) und die Baby-Intensiv (NICU) un-
                                                            notwendig, um eine Hirnblutung nachzuweisen oder
tergebracht. Auch diese Stationen werden inzwischen
                                                            auszuschließen.
genutzt. Die Sauerstoffproduktionsanlage, über die wir
                                                            Auch für viele andere Fälle, wie bei Patienten mit
in der vorletzten Ausgabe der Missionsblätter berichtet
                                                            Schlaganfall oder mit Tumoren, ist die Computertomo-
hatten, ist installiert und versorgt die (Baby-)Inten-
                                                            grafie entscheidend, um eine korrekte Diagnose stellen
sivstation, die Dialyse, den Operationsbereich und die
                                                            zu können.
Geburtsabteilung mit Sauerstoff. Drei Beatmungsgeräte
                                                            Die CT ist bislang im Süden von Tansania – das heißt in
sind auf der Intensivstation installiert und zwei Inkuba-
                                                            einem Umkreis von 500 Kilometern um unser Hospital
toren auf der NICU. Unsere Ärzte und Krankenschwes-
                                                            – nicht verfügbar.

                                                                                                                              WELTWEIT
tern erhalten ihre Ausbildung von erfahrenen Fachleu-
                                                            Die Gesamtkosten dieses Projektes liegen bei etwa
ten aus Deutschland, zum Teil über Onlinevideos.
                                                            300.000 Euro. Aktuell fehlen uns noch rund 45.000
So können wir schwerkranke Babys, Kinder und Er-
                                                            Euro. Wir hoffen, dass wir den Vertrag mit dem loka-
wachsene auf hohem medizinischem Niveau versorgen.
                                                            len Vertreter der Firma Siemens noch in diesem Jahr
Dies gilt auch für Patienten mit Covid-19. Im Juni und
                                                            unterschreiben können – es wäre ein großartiges Weih-
im Juli hatten wir eine Welle von Erkrankten mit dieser
                                                            nachtsgeschenk für unser Hospital ...
Diagnose. Aktuell (Oktober 2020) sehen wir weiterhin
                                                            Ebenso wie die Dialyse wird die Computertomografie
einzelne Fälle.
                                                            einerseits einen Schritt in der Entwicklung des Hospitals
Sie, liebe Leserinnen und Leser der Missionsblätter, ha-
                                                            markieren, andererseits aber auch eine Aufwertung der
ben mit Ihren Spenden entscheidend dazu beigetragen,
                                                            Gesundheitsversorgung des gesamten ländlichen Sü-
dass wir das Projekt so kurzfristig umsetzen konnten!
                                                            dens von Tansania.
Dafür danken wir Ihnen herzlich!

 Die neue Sauerstoffproduktionsanlage

                                                                                               missionsblätter 4 | 2020   7
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
P. Reinhard Bottners
               Wirken im Keriotal
               Er hat das Keriotal geprägt wie kein anderer                                                 P. Reinhard Bottner OSB †

               Im September 1961 stieß ich in St. Ottilien als einer, der von außen kam, auf die in neun J­ ahren
               gewachsene Gemeinschaft der Ottilianer Seminaristen. Reinhard Bottner wurde mir von den
               ­Kameraden als „das stille Wässerlein“ vorgestellt, der freundlich lächelnd mit uns lebte, und es
                hieß über ihn, dass er immer wieder für Überraschungen gut gewesen sei.
                                                                                                                  Text: P. Pius Mühlbacher OSB

               Die Eltern Franz Xaver und Vikto-         Aufbauarbeit in Kenia                      mat regelmäßig Kleiderpakete, bis
               ria führten eine Landwirtschaft und         Am 2. Januar 1972 flüchtete er zu        die Regierung von Kenia dies verbot,
               waren aktiv in Kirche und Gemeinde          einem befreundeten Priester nach         um der heimischen Textil-Industrie
               tätig, der Vater auch als Bürger-           Australien, besuchte dann seine          nicht den Markt zu verderben. Er
               meister der Gemeinde Stötten am             Tante in Südamerika und landete          setzte diese Kleider als Zahlungsmit-
               Auerberg. Still und freundlich blieb        schließlich in unserer Abtei in New-     tel für die Marakwet-Arbeiter ein,
WELTWEIT

               Frater Reinhard auch im Kloster. Er         ton. Von dort aus schickte ihn Erzabt    die mit ihren Hacken und Schaufeln
               absolvierte sein Studium in St. Ot-         Suso nach Eldoret in Kenia, die noch     eine Straße bauten, die sich von
               tilien und München. Zusammen mit            junge Mission mit ihrem Zentrum          Dorf zu Dorf über die Hügel hinzog.
               fünf weiteren Diakonen wurde er am          in Chesongoch im Keriotal. Nach
               13. August 1967 zum Priester ge-            einer Zeit zum Eingewöhnen mit           Straßen, Schulen, Kirchen und
               weiht. Er wurde zunächst als Präfekt        dem Studium der neuen Sprache des        Pfarreien gehen auf ihn zurück
               im Internat in Ettal, dann in Fiecht        Kalenchin in Eldoret wurde er dem        Seine „Kleiderstraße“ verband mit
               in Österreich eingesetzt. Am 21. Juni       Senior der Gruppe, P. Lucas Anger-       der Zeit alle wichtigen Siedlungen
               1970 wurde er in die Mission im Zu-         maier, als Kaplan zugewiesen, der        und erschloss ein wunderschönes,
               luland ausgesandt, wo er zielstrebig        auf den Cherangani Hills in Chesoi       aber abgelegenes Gebiet, 1000 bis
               den Kontakt mit den Zulus suchte,           eine Pfarrei aufzubauen begonnen         1500 Meter über dem Keriotal mit
               was ihm wegen der herrschenden              hatte. Von diesem erfahrenen Alt-        oft einmaligen Ausblicken hinab ins
               Apartheidpolitik zum Verhängnis             missionar übernahm er manche gute        Tal. Er half den Dörfern, Schulen zu
               wurde. Bald war die Geheimpolizei           Tradition und erhielt auch gleich        bauen, damit die Kinder Unterricht
               hinter ihm her und setzte ihn unter         sein eigenes Gebiet zugewiesen, wo       erhielten. Meist hatten die Einheimi-
               Druck, das Land zu verlassen.               er frei schaffen konnte, im Norden       schen den Platz einzuebnen und die
                                                                             der Pfarrei. Mit       Wände zu errichten, bevor Reinhard
                                                                             den Jahren arbei-      dann das Wellblech stiftete, das er
                                                                             tete er sich immer     oft mit seinem Landrover von der
                                                                             mehr in das noch       Stadt Eldoret heranschaffte. Ähnlich
                                                                             unberührte hügeli-     gefragt war seine Hilfe beim Bau
                                                                             ge Gebiet vor, das     von Krankenstationen in den entle-
                                                                             er in weiten Fuß-      genen Dörfern und sein Beitrag zum
                                                                             märschen erkun-        Schulgeld der vielen Kinder, denen
                                                                             dete und nach und      er im Laufe der Jahre eine fundierte
                                                                             nach     erschloss.    Ausbildung ermöglichte. Jedes wich-
                                                                             Über einige Jahre      tige Dorf erhielt auch eine Kirche,
                P. Reinhard sorgte für Bildung im Keriotal und               hin erhielt P. Rein-   nachdem sich anfangs die Christen
                errichtete zahlreiche Schulen                                hard aus der Hei-      unter markanten Bäumen zur Messe

           8   missionsblätter 4 | 2020
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
versammelt und um eine Kirche ge-         Süden, 60 Kilometer vor Eldoret, an      Eine auf Selbstständigkeit
beten hatten. Die vielen Kirchen, die     der Teerstraße gelegen, einen Neuan-    ­angelegte Ortskirche
er im Lauf der Jahre baute, waren         fang zu machen. Es war wieder eine      Er hatte mittlerweile aufgehört, an
meist auf einer Anhöhe errichtet und      traumhaft schöne Hügellandschaft        einzelne Schüler Schulgelder zu zah-
in solider Stahlkonstruktion gebaut,      mit viel Urwald und teilweise dicht     len; stattdessen errichtet er Schulen
die er wieder in mühsamen Fahrten         besiedelt, die P. Reinhard dazu ver-    und verpflichtet sie, zehn Prozent
von Eldoret heranschaffte. Durch          anlasste, gleich zwei Pfarreien nach    der Schulgelder an die jeweilige
die Stahlkonstruktion hat er recht        dem bewährten Muster aufzubauen,        Pfarrei abzuführen, was bei genü-
bemerkenswerte Kirchen hinterlas-         die später von einheimischen Pries-     gender Schülerzahl eine nicht zu
sen. Wie er es von P. Lucas gelernt       tern übernommen werden konnten:         unterschätzende Einnahme für die
hatte, hatte er über Karteikarten stets   Kamwosor oben an der Teerstraße         Pfarrei bedeutet, die damit finan-
einen genauen Überblick über seine        und, auf halber Höhe am Abhang          ziell auf eigene Füße kommt. Dies,
Christen, der auch dem Katechisten        zum Keriofluss, Kapichei.               so dachte P. Reinhard, sollte es den
half, den einzelnen Familien nachzu-                                              einheimischen Priestern erleichtern,
gehen. Er selbst besuchte regelmäßig                                              in seinem Sinn weiterzuarbeiten und
alle Außenposten und alle Schulen                                                 ohne den Rückhalt von Wohltätern
in seinem Gebiet und führte so feste                                              in Deutschland Entwicklungshilfe zu
Traditionen des kirchlichen Lebens                                                leisten. Dieses Projekt trieb ihn dazu
ein. Ein sichtbares Ergebnis dieser                                               an, 2017 nicht die gebuchte Hüftope-
Pionierarbeit war die Tatsache, dass                                              ration machen zu lassen, sondern
eine Parlamentarierin aus seinem                                                  Hals über Kopf nach Kenia zurück-
Gebiet, der P. Reinhard das Schul-        Jede Pfarrei erhielt eine geräumige     zukehren und dort weiterzuarbeiten.
geld bezahlt hatte, sich Jahre später     Kirche; dazu ein Pfarrhaus, Pfarr-      Gesundheitliche Probleme nötigten

                                                                                                                                WELTWEIT
dafür einsetzte, dass die Regierung       halle, Gästehaus, Kindergarten und      ihn, zur Behandlung ins Mater Mi-
seine „Kleiderstraße“ übernahm und        eine Angestelltenwohnung. Mit ihm       sericordiae Hospital nach Nairobi zu
mit nur wenigen Korrekturen in der        umgezogen war auch sein bewährter       gehen, wo neben seiner Herzschwä-
Trassenführung als Allwetterstras-        Katechist aus Embobut, der ihm half,    che auch eine akute Nierenschwäche
se ausbauen und sogar teeren ließ.        die Pfarreien auch nach innen hin       eine Behandlung in der Heimat an-
Wenn man 1975 nur über Chesoi             auszubauen und die traditionellen       geraten lassen schien. Davor hat ihn
(Pfarrei von P. Lucas) bis Kapchebao      Werte und die überlieferte Religion     am 29. September 2020 der plötzlich
fahren konnte, erreichte man 1980         in den neuen christlichen Glauben       eingetretene Tod bewahrt. Das „stille
schon Embobut, auf 2500 Metern            überzuführen.                           Wässerlein“ hat aufgehört zu fließen
Höhe gelegen – eine Fahrt, die von        Neben Ausbau und Förderung von          und ist auf Kenias Boden „versi-
Eldoret her meist vier Stunden dau-       Schulen und Kindergärten fasste         ckert“, nachdem es beeindruckende
erte. Jetzt konnte man dieselbe Stre-     er hoch oben in den Urwäldern           Spuren hinterlassen hat.
cke in eineinhalb Stunden zurückle-       saubere Quellen, baute große Was-       Mit dem Abschied von P. Reinhard
gen und Taxiunternehmer verbanden         sertanks und leitete in Plastikrohren   geht eine Epoche benediktinischer
nun die abgelegene Gegend mit der         das saubere Trinkwasser zu den          Missionsarbeit im Keriotal zu Ende.
Kreisstadt. Als ich noch Prior in         Dörfern und Schulen. Seine treuen       Sie dauerte von November 1971
Nairobi war, bat der Bischof von El-      Wohltäter, die er regelmäßig mit        bis September 2020. Trotz allem
doret, ob P. Reinhard nicht an einem      lebendig geschriebenen Rundbriefen      „Menscheln“ und mancher charak-
anderen Ort eine Pfarrei aufbauen         über seine Arbeit unterrichtete und     terlichen Eigenarten eines jeden der
könne, wo es bis dahin noch keine         denen er für ihre Gaben dankte, hat-    Missionare kann man neidlos an-
Katholiken gab, am südlichen Ende         ten es ihm ermöglicht.                  erkennen, dass enorm viel Gutes
des Keriotals. P. Reinhard lehnte da-     Zuletzt hatte er noch eine drit-        erwachsen ist zum Vorteil einer
mals ab, weil er noch andere Pläne        te Pfarrei im gleichen Gebiet auf-      sehr abgelegenen, fast vergessenen
verfolgen wollte, nachdem er gerade       gebaut. Der Wunschtraum unseres         Gegend. Die Kirche und der christ-
ein Gymnasium nahe Embobut zu             langjährigen Bischofs von Eldoret,      liche Glaube haben tiefe Wurzeln
errichten geholfen hatte. Es brauchte     Cornelius Arap Korir, ist damit in      geschlagen und die Entwicklung
noch zehn Jahre und einen weiteren        Erfüllung gegangen: die katholische     hat einen großen Schritt nach vor-
Überfall auf ihn, bis er bereit war,      Kirche in dieser entlegenen Gegend      ne gemacht. Man kann nur sagen:
„sein“ Embobut aufzugeben und im          aufblühen zu lassen.                    Dank sei Gott! Und Ehre sei Gott!

                                                                                                 missionsblätter 4 | 2020   9
Missionsblätter - Das Magazin der Missionsbenediktiner von St. Ottilien - Erzabtei St. Ottilien
Brücke zwischen
                Afrika und Europa                                                                   Text: Joachim Rogosch, „Ruf in die Zeit“,
                                                                                                                        Ausgabe Okt. 2020

                P. Christian Temu ist neuer Missionsprokurator
                der Kongregation der Missionsbenediktiner

                Wechsel in der Führungsebene der Missionsbenediktiner: P. Christian Temu OSB ist neuer
                Missionsprokurator der Kongregation St. Ottilien. Er folgt damit auf Anastasius Reiser OSB.
                P. Christian ist der erste Verantwortliche in dieser Position, der aus Afrika stammt.

                P. Christian wurde 1970 in einem Dorf am Fuß des Ki-      Seine Aufgabe: „Mission Officer“. So wird die Position in
                limandscharo im Norden von Tansania geboren. Er hat       Tansania benannt. Die „Mission“: „Eine Brücke zu sein
                nach dem Abitur die Weisheit der Welt studiert: Philo-    zwischen den Missionsklöstern in Afrika und den Klös-
                sophie, von Platon über Kants „Kritik der reinen Ver-     tern in Europa“. Missioniert der oberste Mission Officer
                nunft“, Hegel und Kierkegaard bis Wittgenstein. An-       auch? „Kommt darauf an, was Mission heißt“, antwortet
                schließend schrieb er eine Arbeit über den Beitrag der    P. Christian. „Er macht es möglich, dass missionarische
WELTWEIT

                zeitgenössischen afrikanischen Philosophen zur Lösung     Tätigkeiten der Kongregation realisiert werden können.
                der Probleme. Danach trat er ins Kloster ein: In Ndan-    Und in diesem Sinn ist er Missionar!“
                da, bei den Benediktinern, im Süden Tansanias. Die
                weiteren Stationen: Theologiestudium, Priesterweihe;      „Mission“, „Missionar“ – schwierige Begriffe. „Früher
                erster nicht europäischer Pfarrer in seiner Gemeinde      dachte man bei uns in Afrika, dass Missionare Men-
                in Tansania; von 2008 bis 2012 Kongrega­tionssekretär     schen sind, die aus Europa kommen und uns die Frohe
                in St. Ottilien; Ausbildung zum geistlichen Begleiter;    Botschaft bringen.“ So beschreibt es P. Christian. „In
                Leiter des Bildungs- und Exerzitienhauses „Zakeo“ in      den vergangenen Jahren ist klar geworden, dass Missi-
                Ndanda; und jetzt: Missionsprokurator der Kongre­         on heißt: für andere Menschen da sein. Für Menschen,
                gation.                                                   die uns brauchen. Jesus war für die Menschen da. Er
                                                                          wurde vom Vater ,ausgesendet‘, das heißt, er bekam
                Die neue Aufgabe nimmt er an „im Vertrauen auf Gott       eine ,Mission‘: Uns die Liebe seines Vaters mitteilen.
                und im Vertrauen auf meine Mitbrüder, die mich dabei      Wenn wir uns Christen nennen, dann machen wir das
                unterstützen werden, wie ich jedenfalls hoffe“.           Gleiche, was Christus gemacht hat: für die Menschen
                                                                          da sein.“ Das kann im Ausland sein, aber auch in der
                                                                          heimischen Umgebung.

                  P. Christian Temu OSB
                  Kongregationsprokurator

                  Jahrgang 1970,                Theologiestudium bis 2004 und Priesterweihe
                  aufgewachsen am Fuß des       anschließend Stadtpfarrer in Mtwara
                  Kilimandscharo, Tansania      2008-2012 Kongregationssekretär in St. Ottilien
                  Philosophiestudium            2012-2014 Studium Pastoraltheologie in
                  1997 Klostereintritt in                  Birmingham (UK)
                        der Abtei Ndanda        2015-2020 Hausleiter im Zakeo Spiritual Center,
                  1999 Profess                              Exerzitien- und Gästehaus der Abtei Ndanda

           10   missionsblätter 4 | 2020
Eine ungebührliche Einmischung in fremde Kulturen                 gen gibt in den Gottesdiensten: Weil ich glaube, dass
sieht er damit nicht verbunden. „Wenn wir das Chris-              Eucharistie etwas Lebendiges ist. Eucharistie macht uns
tentum anschauen: Worum geht es? Ist das etwas Grie-              lebendig! Diese Lebendigkeit sollen wir auch zum Aus-
chisches? Ist das etwas Römisches? Etwas Bayerisches?“            druck bringen!“
Entscheidend ist für ihn: „Wie kann das Evangelium
mit unseren Kulturen so ins Gespräch kommen, dass                 P. Christian war in den vergangenen fünf Jahren Lei-
die guten Werte in unseren Kulturen vom christlichen              ter des geistlichen Zentrums „Zakeo“ in Ndanda. Da
Glauben verbessert werden?“                                       hat er erfahren: „Das Wichtigste für mich bei solchen
                                                                  Meetings: Dass wir zusammenkommen!“ Vor allem
P. Christian Temu ist gut vorbereitet auf seine Aufgabe.          zum Verhältnis zu den Muslimen in seinem Land gab
Von 2008 bis 2012 war er bereits Sekretär der Missi-              es eine Reihe von gemeinsamen Veranstaltungen, die
onsprokura der Kongregation in St. Ottilien. Er weiß,             ihm am Herzen lagen. Das Problem war: „Wir haben
welche Aufgaben auf ihn zukommen. Aus dieser Zeit                 Angst voreinander. Es heißt immer nur: ,Die Muslime
weiß er auch Stärken und Schwächen der verschiedenen              sind schlecht!’, ,Die Christen sind die Bösen!’ Wir wer-
Lebensarten einzuschätzen. Seine Erfahrung: „Die Deut-            fen immer Steine aufeinander, aber nur von fern! Wir
schen sind ernsthaft. Sie machen alles genau, arbeiten            sprechen nicht miteinander. Und dabei ist genau das
viel, es gibt keine Verspätung, außer bei der Bahn, aber          wichtig!“ Da ist er auch stolz darauf, dass es gelungen
nicht immer ... Außerdem sind sie sehr kompetent und              ist, ein Miteinander zu schaffen. Das gilt auch für den
sie haben einen Plan für alles, für die kommenden                 Kontakt mit Europa. Netzwerke bilden! Das will er auch
50 Jahre!“ Da muss er selber lachen. Er weiß, dass das            von seiner neuen Position aus weiter fördern. Netzwer-
auch Klischees sind. Ernsthaft fügt er an, was er seinen          ke mit jungen Schulabgängern, die Afrika besuchen:
Gesprächspartnern in Afrika über seine Europa-Erfah-              „Die Welt braucht einander, wir brauchen einander!“
rungen gesagt hat: „Wenn wir in Tansania etwas Gutes

                                                                                                                                          WELTWEIT
erreichen wollen, müssen wir auch mehr planen! Dann               Seine Hoffnung für die Zukunft: „Dass alle Menschen in
müssen wir auch unsere Zeit besser nutzen!“                       Deutschland, die uns bisher auf unserer Reise begleitet
                                                                  haben, einmal zu uns kommen und sich anschauen,
Umgekehrt gefällt ihm auch vieles an der Lockerheit               was ihr Einsatz, ihre Freundschaft, vielleicht auch ihre
seiner Heimat. Im Gottesdienst zum Beispiel. „Ich würde           Spende bewirkt haben. Damit sie sehen, wie ihre Hilfe,
mir wünschen, dass es in Deutschland mehr Lebendig-               ihre Unterstützung die Kirche und die Mission in Afrika
keit, Freude, vielleicht auch ein bisschen Bewegun-               nach vorne gebracht hat!“

 Kommt zu uns und schaut euch an, was euer Einsatz, eure Freundschaft, eure Spende bei uns bewirkt haben!“
 P. Christian Temu (Bildmitte mit offenen Händen) an seiner bisherigen Wirkungsstätte: dem geistlichen Zentrum „Zakeo“ in Ndanda.
 Dort in der Mission, wie in der Welt überhaupt, gilt für den neuen Missionsprokurator der Kongregation St. Ottilien:
 „Wir brauchen Netzwerke! Wir brauchen einander!“

                                                                                                          missionsblätter 4 | 2020   11
Neues aus der Mission
                                                  Porträts und Projekte

     Bewegte Tage in Kenia

     EIN KLOSTER WIRD ABTEI
     1972 kamen die Missionsbenediktiner nach Kenia. In
     Tansania hatte die Übergabe der Mission an den ein-
     heimischen Klerus begonnen, und einige jüngere Patres
     suchten nach neuen Aufgaben. Ein paar Jahre später
     gründeten sie ein Kloster in Nairobi – dem wichtigsten                      Abtpräses Jeremias Schröder OSB mit dem
     Zentrum Ostafrikas. Das Kloster zog später aufs Land                        neuen Abt von Tigoni, John Baptist Imai OSB
     nach Tigoni, 20 Kilometer vor der Stadt. Die europä-
     ischen Gründer, P. Johannes und P. Pius, rekrutieren
     junge Männer aus Uganda und Kenia, und allmählich         Br. Bruno Epuret, sind heute auch verantwortlich für die
     entstand ein stattliches Priorat mit großer Landwirt-     Neugründung in Ägypten und helfen anderen Klöstern
     schaft, Teeplantage und Gästehaus. In der Tradition der   aus. Pater Winfried Yego ist in der Kongregations­
     Missionsbenediktiner übernahmen sie Verantwortung         leitung in St. Ottilien tätig. Die Zeit schien reif, um die-
     für eine große Stadtpfarrei mit Schulen und Kindergär-    ses Kloster endlich zur Abtei zu erheben – der Vollform
     ten und entwickelten ein Bibelzentrum an den Ausläu-      eines Benediktinerklosters.
     fern des Mount Kenia. 2005 starteten die Mönche die       Am 21. September 2020 war es soweit: Der Abtpräses
     Erstmission bei den Dassenech, einem Nomadenvolk im       vollzog die Erhebung zur Abtei in einem schlichten
     Norden des Landes.                                        Festakt während der Vesper am Fest des Evangelisten
     Das Wachstum von Tigoni war nicht ungetrübt. In den       Matthäus. Am nächsten Tag begann die erste Abtswahl.
     über 40 Jahren der Klostergeschichte gab es auch Rück-    Von den rund 50 Mönchen der Gemeinschaft waren
     schläge. Die spannungsreiche und manchmal auch ge-        26 wahlberechtigt und entschieden sich schließlich
     walttätige Geschichte des Landes spiegelte sich auch in   für Pater John Baptist Imai OSB, der zuvor schon fast
     der Entwicklung des Klosters. Aber allmählich erlangte    sechs Jahre lang als Prior das Kloster geleitet hatte. Das
     die seit vielen Jahren ganz afrikanische Gemeinschaft –   spricht für Kontinuität!
     nur noch ein Deutscher, P. Florian von Bayern, lebt       Tigoni ist das einzige Mönchskloster in Kenia. Als Abtei
     dort, in der Dassenech-Mission – die lang ersehnte Sta-   wird das Kloster in Zukunft wohl eine noch größere
     bilität. Mönche aus Tigoni, P. Maximilian Musindai und    Rolle spielen. Die Brüder haben guten Nachwuchs und
                                                                                     noch viele Pläne. Sie planen weitere
                                                                                     Gründungen und die Missionsbe-
                                                                                     nediktiner sind zuversichtlich, dass
                                                                                     die jüngste Abtei unseres Ordens die
                                                                                     Sendung der Missionsbenediktiner
                                                                                     in Kenia und auch in anderen Län-
                                                                                     dern weitertragen wird.
                                                                                     Abtpräses Jeremias Schröder OSB

                                                                                    Die Wurzeln der Abtei Tigoni reichen
                                                                                    in das Jahr 1972 zurück. Das gute und
                                                                                    ­nachhaltige Wachstum der Benediktiner­
                                                                                     gemeinschaft ermöglichte jetzt die
                                                                                     ­Erhebung zur Abtei. Im Beisein des neuen
                                                                                      Abts und der Gemeinschaft begießt Abt­
                                                                                      präses ­Jeremias den aus diesem Anlass
                                                                                      gepflanzten Baum.

12   missionsblätter 4 | 2020
RÜCKKEHR NACH MOSAMBIK

Br. Baltasar, Br. Elia, Abt Placidus, Br. Bernardo vor dem Aufbruch nach Mosambik

Nach dem Überfall auf die Missi-              Zunächst werden die drei Missions-      Schritt. Wir sind zuversichtlich, dass
onsstation in Mosambik (siehe Mbl             benediktiner aus der Abtei Ndanda       es nur eine Frage der Zeit ist, bis die
2/2020) bereiten sich unsere Mit-             unter anderem ihre Sprachkennt-         Situation vor Ort wieder stabiler ist.
brüder aus der Abtei Ndanda auf die           nisse vertiefen: Br. Elia Singano ist   Durch den Überfall auf die Klos-
Wiederaufnahme ihrer missionari-              Maurer. Er wird weiter Portugiesisch    terneugründung in N'nango in
schen Arbeit in Mosambik vor. Man             lernen und in Zukunft für die Bau-      Nord-Mosambik im Mai und die
kann mit Gewissheit sagen, dass die           arbeiten nach N'nango zurückkeh-        fluchtartige Rückkehr der Grün-
„Missionskerze“ in Mosambik trotz             ren. Br. Baltasar Mhile wird neben      dungsmannschaft wurde die Auf-
des beunruhigenden „Windes“ im-               Sprachkursen einen Kurs in Be-          bauarbeit dort unterbrochen. Im Mai
mer noch brennt. Diese Mission ist            schaffungsstudien belegen. In Zu-       und Juni kam es im Norden Mo-
nach wie vor eine der wichtigsten             kunft soll er in unserem künftigen      sambiks zu weiteren Unruhen. Seit
Verpflichtungen der Gemeinschaft              Krankenhaus im Einkauf arbeiten.        August hat es nun keine größeren
in Ndanda. Um dieser Hoffnung                 Br. Bernardo Lutego ist ausgebil-       Angriffe mehr gegeben. Das Gefühl
und diesem Engagement Ausdruck                deter Betriebs- und Finanzverwal-       der Unsicherheit liegt jedoch nach
zu verleihen, wurde am 15. Oktober            ter. Er hat bereits drei Jahre in der   wie vor in der Luft, und viele Dorf-
2020 eine Gruppe von drei Brüdern             Krankenhausverwaltung von Ndan-         bewohner haben immer noch Angst,
aus Ndanda nach Nampula in Mo-                da gearbeitet. Er wird einen Kurs       in ihre Häuser zurückzukehren. Die
sambik entsandt, um sich intensiv             in Krankenhausverwaltung an einer       Regierungssoldaten führen in den
auf die Entwicklung der Mission               Universität in Nampula belegen,         betroffenen Gebieten militärische
vorzubereiten. Inzwischen nehmen              um sich auf seine Arbeit als mögli-     Operationen gegen islamistische Mi-
auch die Pläne für den Bau eines              cher zukünftiger Leiter der Kranken-    lizen durch – seit Kurzem sogar in
Krankenhauses im Norden Mosam-                hausverwaltung von N'nango vor-         Zusammenarbeit mit den Soldaten
biks konkrete Formen an.                      zubereiten. Die Sicherheitslage im      im Nachbarland Tansania.
                                              Norden verbessert sich Schritt für                   P. Christian Temu OSB

                                                                                                      missionsblätter 4 | 2020   13
1300
                                                                                                                    JAHRE

              Heilige Ottilia
              Die Lichtbringerin

              Am 13. Dezember feiern wir den Gedenktag der
              hl. Ottilia. Vor 1300 Jahren starb die Äbtissin im Elsass.
              Als Namensgeberin für das Klosterdorf St. Ottilien und
              für die Kongregation der Missionsbenediktiner wurde
              ihr Name in viele außereuropäische Länder getragen.
              Sie ist zudem Fürsprecherin der Blinden und der Winzer.                  Leben der heiligen Odilia,
                                                                                       eingeführt von Anselm Grün, 14,95 Euro
              Bei Augen-, Ohren- und Kopfleiden vertrauen Menschen
                                                                                       Leseprobe und Onlinebestellung möglich:
              auf ihre Hilfe.                                                          www.eos-verlag.de/leben-der-hl-odilia/

              Obwohl mehr als ein Jahr­tausend zwischen uns und der besonderen
              Ordensfrau liegen, gibt es viele A ­ spekte ihres Lebens, die so ­
              zeitlos aktuell sind, dass sie ihr Licht bis in unsere Zeit werfen:
              Ottilia e­ rmutigt uns zu ­handeln, damit die Welt heller wird.
HEIMAT

                     P. Anselm Grün OSB                 Ottilias Rolle in der Kirche
                         schreibt darüber               Den Tod der hl. Odilia erzählt die Legende in einer eigenartigen Wei-
                                                        se. Zunächst stirbt Odilia allein, während die Schwestern die Psalmen
                    im Vorwort des Buchs                singen. Doch als die Schwestern die Äbtissin tot vorfinden, bitten
               „Leben der heiligen Odilia“              sie Gott, dass er sie nochmals zum Leben erwecken möge, damit sie
                                                        richtig von ihr Abschied nehmen können. So kommt Odilia nochmals
                                (EOS Verlag, 2020):
                                                        zum Leben und richtet eine Ansprache an ihre Schwestern. Und sie
                                                        lässt sich den Kelch reichen, in dem der Leib und das Blut des Herrn
                                                        aufbewahrt wurde. Die Kommentare zu dieser Stelle lassen darauf
                                                        schließen, dass die Äbtissin in ihrem Kloster offensichtlich Funktio-
                                                        nen ausgeübt hat, die später ausdrücklich den Priestern vorbehalten
                                                        waren. Insofern ist Odilia eine Vorreiterin für die Bewegung der
                                                        Frauen, die für die Diakoninnenweihe und später vielleicht auch für
                                                        die Priesterweihe der Frauen eintreten. Eine Kommentatorin meint,
                                                        dass Anfang des 6. Jahrhunderts katholische Frauen in Nordgallien
                                                        und Irland an der Seite männlicher Priester zelebrieren konnten.
                                                        Sie waren gleichsam Konzelebrantinnen. Die Äbtissinnen hörten im
                                                        7. Jahrhundert auch in ihrem Konvent die Beichte. Die Konvente
                                                        waren also unabhängig von Priestern. In Nummer 16 der Lebensbe-
                                                        schreibung steht, dass Odilia gottesfürchtige Männer aufgenommen
                                                        hat und einige von ihnen zu Priestern weihen ließ. Die Äbtissin kann
                                                        offensichtlich entscheiden, wer zum Priester geweiht werden soll. So
                                                        ist dieser alte Text der Vita der hl. Odilia zugleich ein ganz moderner
                                                        Text, gleichsam ein Sprengstoff in der Diskussion, ob nur Männer
                                                        oder auch Frauen die Priesterweihe erhalten können und welche
                                                        Rollen Männer und Frauen in der Kirche spielen können und sollen.

         14   missionsblätter 4 | 2020
Der Tod der
hl. Ottilia,
Wandteppich
aus dem Kloster
St. Etienne,
Straßburg

                                                                                                                              HEIMAT
Ottilia und Lucia                                          Licht für andere sein
Noch zwei andere Bilder sind mir bei der Beschrei-         Jesus sagt uns zu, dass wir wie er Licht für die Welt sein
bung des Todes der hl. Odilia wichtig. Odilia sagt den     sollen. Odilia und Lucia zeigen uns zwei Möglichkeiten,
Schwestern, die sie durch ihr Gebet wieder zum Leben       wie wir Licht in der Welt sein können. Einmal sind
zurückgeholt haben, dass sie durch Gottes Gnade der        wir Licht, wenn in der Taufe unsere Augen geöffnet
Jungfrau Lucia beigesellt war. Der Gedenktag der hl.       werden und wir in allem das Licht Christi sehen. Das
Lucia wird ja einen Tag nach dem Fest der hl. Odilia       entspricht der Deutung des Lukasevangeliums. Lukas
gefeiert. Im Norden ist Lucia die Lichtbringerin. Odilia   deutet das Wort Jesu, dass wir unser Licht leuchten las-
und Lucia sind die beiden Lichtbringerinnen in der         sen sollen, mehr auf der mystischen Ebene. Wenn unser
Adventszeit. Dabei haben beide jeweils eine andere         Auge einfach ist, ohne Nebenabsichten, dann wird der
Symbolik. Odilia wird durch die Taufe sehend. Lucia        ganze Leib zum Licht. Wenn wir alles in uns vom Licht
bringt das Licht des Heiligen Geistes in die Dunkelheit    Christi durchdringen lassen, dann strahlen wir durch
der Menschen. Der Heilige Geist, so erzählt die Legende    unser Sein dieses Licht in unsere Umwelt hinein aus
der hl. Lucia, macht sie von innen her hell und gibt ihr   (vgl. Lukas 11,33–36). Das Bild der Lichtbringerin Lucia
eine Kraft, dass niemand sie von der Stelle bewegen        entspricht mehr der Deutung des Matthäus. Im Mat-
kann. Das ist ein schönes Bild menschlicher Selbst-        thäusevangelium heißt es: „So soll euer Licht vor den
werdung. Wenn wir vom Heiligen Geist erhellt werden,       Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen
dann geht von uns Licht aus auf unsere Umgebung.           und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matthäus 5,16)
Und wenn der Hl. Geist uns durchdringt, dann kann          Matthäus bezieht unser Lichtsein auf unser Tun. So
uns nichts von der Stelle bewegen. Das hat nichts mit      steht Lucia, an deren Fest man brennende Kerzen auf
Sturheit und Unbeweglichkeit zu tun. Vielmehr gibt der     dem Kopf trägt, dafür, dass wir durch unser Denken
Hl. Geist offensichtlich eine Standfestigkeit, die nicht   und Handeln Licht in die Welt bringen. Odilia dagegen
so leicht erschüttert wird. Solche Standfestigkeit täte    ermutigt uns, nicht nur durch unsere Botschaft, sondern
uns heute gut.                                             durch unser ganzes Sein Licht in die Welt zu bringen.
                                                           Indem wir das Licht Christi immer tiefer in uns eindrin-
                                                           gen lassen, werden wir selbst zum Licht für andere.

                                                                                              missionsblätter 4 | 2020   15
Norbert Weber – ein Leben
              für Mönchtum und Mission
              Zum 150. Geburtstag des ersten Erzabtes von St. Ottilien                                               Abtswappen

              Eine der großen Gestalten in der Geschichte der (Erz-)Abtei St. Ottilien, des Zentrums
              der Missions­benediktiner, war Norbert Weber, der als erster Abt des Klosters und
              damit auch als Generalsuperior, wie es damals hieß, achtundzwanzig Jahre lang die
              Geschicke von Abtei und Kongregation lenkte.                                                      Text: Dr. Sigrid C. Albert

                                                                                              war die Entwicklung der Kongregati-
                                                                                              on in Deutschland bzw. in Bayern. In
                                                                                              Bayern bestanden zwei Filialklöster
                                                                                              St. Ottiliens, nämlich St. Ludwig und
                                                                                              Schweiklberg, die beide im Dezem-
                                                                                              ber 1906 zu Konventualprioraten
                                                                                              erhoben worden waren. Abt Norbert
HEIMAT

                                                                                              Weber dachte aber an eine weitere
                                                                                              Konsolidierung. Da das Priorat St.
                                                                                              Ludwig aufgrund seiner Lage keine
                                                                                              weiteren Ausdehnungsmöglichkei-
                                                                         Norbert Weber        ten besaß, kaufte man (wohl auf
                                                                         in seinem Büro       Betreiben Abt Norberts) das Gelän-
                                                                                              de der ehemaligen Abtei Münster-
              Norbert Weber (mit Taufnamen Jo-       übertragen: unter anderem lehrte         schwarzach und verlegte 1913 das
              sef) wurde am 20. Dezember 1870        er im Seminar von St. Ottilien, übte     Priorat St. Ludwig dorthin. Beim
              in Langweid (Diözese Augsburg)         das Amt des Zelators aus und war         Priorat Schweiklberg bestanden sol-
              geboren. Der sehr begabte Josef        in der Seelsorge tätig. Recht schnell    che Schwierigkeiten nicht. Daraufhin
              besuchte – wie sein Bruder – das       wurde er zum Mitglied des Seniorats      unternahm Abt Norbert den nächs-
              Gymnasium in Dillingen und trat        gewählt. Im August 1900 wurde er         ten schon vorgeplanten Schritt, um
              nach dem Abitur in das große Dil-      Subprior. Als nach etwas turbulen-       die Kongregation zu festigen und ihr
              linger Seminar ein, um Priester zu     ten Zeiten sich die innere Lage St.      Ansehen nach außen zu stärken. Er
              werden. Im Dillinger Seminar kam       Ottiliens stabilisiert hatte und das     sandte nämlich im Februar 1914 eine
              er mit Studenten aus St. Ottilien in   Kloster Ende 1902 zur Abtei erhoben      Petition an die Religiosenkongregati-
              Kontakt, was entscheidend für sei-     worden war, wählten die Mönche am        on nach Rom, in der er um die Erhe-
              nen weiteren Lebensweg war. Denn       18. Dezember 1902 P. Norbert Weber       bung der beiden Priorate zu Abteien
              der Gedanke an die Mission ließ        zu ihrem ersten Abt. Die feierliche      bat. Dieser Bitte wurde Anfang März
              ihn nicht mehr los. Daher trat er      Abtsweihe, die ihm der Augsburger        1914 stattgegeben. Durch die Zu-
              nach seiner Priesterweihe im Som-      Bischof Maximilian von Lingg spen-       stimmung der bayerischen Regierung
              mer 1895 in St. Ottilien ein, legte    dete, empfing er am 1. Februar 1903      entstand eine „bayerische Kongre-
              dort 1896 seine Gelübde ab und er-     in der Klosterkirche von St. Ottilien.   gation des Benediktinerordens“ und
              hielt den monastischen Namen Nor-      Von Anfang seiner Amtszeit an war        St. Ottilien wurde als Hauptsitz die-
              bert. Wegen seiner vielfältigen Be-    Abt Norbert darauf bedacht, Abtei        ser Kongregation zur Erzabtei. Von
              gabungen wurden P. Norbert sofort      und Kongregation planvoll auszu-         diesem Zeitpunkt an führte Norbert
              mehrere unterschiedliche Aufgaben      bauen. Von nicht geringer Bedeutung      Weber den Titel „Erzabt“.

         16   missionsblätter 4 | 2020
N. Weber tauft 1912 Aussätzige im Heim bei Kwiro

                                                              tutionen sowie eine     am 1. Februar 1928 mit großen Fei-
                                                              sehr umfangreiche       erlichkeiten begangen wurde. Aber
                                                              Korrespondenz über      wo viel Licht ist, ist auch Schatten.
                                                              vielfältige Fragen,     Erzabt Norbert setzte sehr viel in
                                                              um nur einige Dinge     Bewegung, konsolidierte und erwei-
                                                              zu nennen. Hinzu        terte, aber es gelang natürlich nicht
                                                              kamen die ausge-        alles. Und wer viel tut, handelt sich
                                                              dehnten Reisen im       auch Kritik ein. Wegen der großen
                                                              Dienste von Kong-       Arbeitslast und wegen bestimmter
                                                              regation und Missi-     charakterlicher Anlagen führte Nor-
                                                              on, zu denen auch       bert Weber schließlich die Erzabtei
 Erzabt Norbert Weber tauft 1912 Aussätzige im Heim bei Kwiro seine Visitationsrei-   nicht mehr so straff, wie es einige
                                                              sen vor allem nach      Kongregationsmitglieder wünschten
 Zur Zeit des Erzabtes Norbert dehn- Ostafrika und Korea gehörten. All                und erwarteten, was zu manchen
 te sich außerdem die Ottilianische das brachte hohe Verantwortung                    inneren Verwerfungen führte.
 Kongregation mit ihrer Missionsauf- und große Arbeitslast mit sich.                  Ende der zwanziger Jahre wurde St.
 gabe weit aus. Dabei ergriff Weber Norbert Weber zeigte schon früh ein               Ottilien von großen Problemen er-
 ihm gebotene Gelegenheiten (wie in künstlerisches Talent und eine Nei-               schüttert, die eng mit einer bedeuten-
 Korea 1909 und 1922), musste aber gung zum künstlerischen Ausdruck.                  den Schuldenlast (durch den Kauf des
 auch oft auf die politischen Umstän- Dies wird in seinen vielen Zeichnun-            Waldgutes Tragöß verursacht), aber
 de reagieren. Durch seine Vorge- gen und Aquarellen deutlich. Als                    auch mit inneren Schwierigkeiten zu-
 hensweise legte er für die allmählich technisch interessierter Mensch fand           sammenhingen. Diese Probleme hat-
 weltweit agierende Kongregation er aber auch Möglichkeiten in Foto-                  ten schon das Fest des Abtsjubiläums
 eine gute und stabile Grundlage. So grafie und Film. In seinen ostafrika-            etwas überschattet. Letztendlich sah

                                                                                                                                     HEIMAT
 wurden zum Beispiel auch Grün- nischen Jahren wandte er sich wei-                    sich Erzabt Norbert dadurch veran-
 dungen in Südafrika, in Nord- und terhin dem Gestalten von Skulpturen                lasst, sich mit der Wahl des Coadju-
 Südamerika und auf den Philippinen (Holz und Ton) zu. Die schriftstelle-             tors P. Chrysostomus Schmid im Juni
 vorgenommen. Viele der Gründun- rische Begabung, die Erzabt Norbert                  1930 zunächst aus der Leitung der
 gen hatten lange Bestand, etliche bis hatte, setzte er vor allem für die Pro-        Erzabtei zurückzuziehen und schließ-
 heute. Einige der Gründungen muss- pagierung der Mission, die Erläute-               lich im April 1931 auch das Amt
 ten aber nach kürzerer oder längerer rung der missionarischen Ziele und              des Generalsuperiors niederzulegen.
 Zeit wieder aufgegeben werden, da Methoden sowie die Beschreibung                    Norbert Weber begab sich danach
 die Gegebenheiten letztendlich nicht der Missionsgebiete ein, die der Otti-          nach Ostafrika, um dort den Rest sei-
 günstig waren.                               lianischen Kongregation übertragen      nes Lebens zu verbringen. Er wohnte
 Das Amt des Erzabtes von St. Otti- waren. Erzabt Norbert war auch                    hauptsächlich in Litembo, richtete
 lien, das bis 2012 mit dem Amt des ein begehrter Redner auf Missions-                sich auf dieser Station auch ein Ate-
 Generalsuperiors in Personalunion kongressen und -versammlungen.                     lier ein und widmete sich besonders
 verbunden war, brachte für Norbert Die meisten seiner Reden wurden                   seiner künstlerischen Tätigkeit. Er ar-
 Weber eine Fülle verschiedenster veröffentlicht. Für seine Verdienste                beitete jedoch ebenso durch Firmun-
 Aufgaben und Arbeiten mit sich. um die Missionswissenschaft ver-                     gen, Messen, Abhalten von Exerziti-
 Dazu gehörten vor allem die Leitung lieh ihm die theologische Fakultät               en und Seelsorge im Missionsgebiet
 der Abtei und des Konvents, der sich der Ludwig-Maximilians-Universität              mit. In Ostafrika konnte er 1946 auch
 im Laufe der Amtszeit Norbert We- München die Ehrendoktorwürde.                      sein Goldenes Professjubiläum feiern.
 bers stetig vergrößerte, die Leitung                                                 Noch einmal kam Norbert Weber
 der gesamten Kongregation und die Licht und Schatten                                 1952 zu seinem Goldenen Abtsjubi-
 Sorge um den Missionseinsatz der Erzabt Norbert genoss innerhalb                     läum, von seinem Nachfolger einge-
 Patres und Brüder, die Sorge um den und außerhalb der Kongregation ein               laden, kurz nach Deutschland zurück.
 Erhalt und den Ausbau der Missions- sehr hohes Ansehen und konnte in                 Es zog ihn aber schnell wieder nach
 gebiete, die Vorbereitung und Lei- seiner Amtszeit sehr viele Erfolge                Afrika, das er sehr liebte. Erzabt Nor-
 tung der regelmäßig abzuhaltenden verzeichnen. Ein äußerer Höhepunkt                 bert Weber starb am 3. April 1956
 Generalkapitel, die Verantwortung der Amtszeit Norbert Webers war                    in Litembo und ist auf dem Friedhof
 für die Ausarbeitung der Konsti- sein Silbernes Abtsjubiläum, das                    von Peramiho beigesetzt.

                                                                                                     missionsblätter 4 | 2020   17
Rund um die Erzabtei
                                                    Neues aus Sankt Ottilien

     OBSTWOCHE ZU ERNTEDANK

     Geste der Dankbarkeit: Br. Markus und Br. Alto bringen Obstkörbe in die Klosterbetriebe, hier bei den Mitarbeiterinnen der Schneiderei

     Kurz nach dem Erntedankfest haben sich Br. Markus                    Von der Schreinerei in die Druckerei, vom Klosterladen
     Weiß (Klosterverwaltung) und Br. Alto Schmid (Klos-                  in die Wäscherei und Schneiderei – einen Vormittag
     tergärtnerei) auf den Weg durch die Klosterbetriebe ge-              hat es gedauert, bis Br. Markus und Br. Alto das Obst
     macht, um sich bei den Mitarbeitern für ihre Arbeit und              und den Dank in allen Betrieben überbracht hatten. In
     Engagement „in diesen nicht immer einfachen Zeiten                   St. Ottilien arbeiten in den verschiedensten Arbeitsbe-
     der Coronakrise“ zu bedanken. Aus der eigenen Ernte                  reichen 130 Angestellte.
     brachte Br. Alto, der für den traditionsreichen Obstbau              Die Idee für die Obstwoche im Betrieb entstand aus der
     in der Erzabtei verantwortlich ist, jeweils eine Schale              Zusammenarbeit zwischen der Klosterverwaltung, der
     mit frischen Äpfeln und Birnen als gesunde Brotzeit                  Mitarbeitervertretung und dem Betrieblichen Gesund-
     mit.                                                                 heitsmanagement in der Erzabtei.  Stefanie Merlin

                                                                          MEDIENTIPP

                                                                          Über die Bedeutung des hl. Benedikt für die Entwicklung
                                                                          Europas hat sich Andreas Pehl mit Abt Notker und dem
                                                                          italienischen Journalisten und Autor Paolo Rumiz unter-
                                                                          halten. Daraus ist ein interessantes Hörstück entstanden,
                                                                          das zum Nachhören in der Mediathek des Bayerischen
                                                                          Rundfunks zu finden ist:
                                                                          Das Netzwerk des Benedikt – Wie Europa von einem
                                                                          Heiligen lernen kann

                                                                              www.br.de/radio/bayern2/programmkalender/
                                                                               ausstrahlung-2238704.html

18   missionsblätter 4 | 2020
ERNTEZEIT IM KLOSTERGARTEN

Im Herbst verlangen 1600 Apfel-        Das kann an der Sorte liegen. „Fast           bekommen sie von Br. Alto noch
bäume auf dem Klostergelände Br.       30 verschiedene Sorten gibt es in             ein großes Lob für ihren fleißigen
Alto und Br. Nikolaus eine Menge       den Gärten rund ums Kloster“, weiß            Einsatz und sie erfahren, dass die
Handarbeit ab. Dabei helfen ihnen      Br. Alto, der in St. Ottilien für den         von ihnen aufgesammelten Äpfel
einige Mitbrüder, aber auch Schü-      Obstbau und die Brennerei verant-             in der nächsten Woche zu Saft ge-
lerinnen und Schüler der fünften       wortlich ist. Gedüngt werden die              presst werden. Aus einem Teil macht
und sechsten Klassen des Rhaba-        Bäume aber lediglich von den Hin-             Br. Alto anschließend Apfelmost.
nus-Maurus-Gymnasiums haben            terlassenschaften der Gänse, die un-          Andere Sorten werden direkt vom
in ihrer Religionsstunde mit ange-     ter den Bäumen weiden und gleich-             Baum gepflückt und kommen bis in
packt. In fünf Minuten sind sie vom    zeitig das Gras kurzhalten.                   den Winter beim Mittagessen in der
Klassenzimmer hergelaufen. „Hier                                                     Schule oder im Kloster als Tafelobst
lernen meine Schüler mit Freude        Einen besonders großen, roten Apfel           auf den Tisch. Br. Altos persönli-
und ganz praktisch, was die Klos-      haben die Schüler zum Mitnehmen               cher Favorit ist übrigens der Topaz
terregel des hl. Benedikt ausmacht,    ausgesucht: „Den bringen wir un-              – wegen seines feinsäuerlichen Ge-
nämlich ein ausgewogener Lebens-       serer Deutschlehrerin mit.“ Bevor             schmacks und der handlichen Grö-
rhythmus aus Gebet, (Hand-)Arbeit      sie zur Deutschstunde zurücklaufen            ße, wie er sagt.  Stefanie Merlin
und Lesung (Lernen)“, davon ist
Latein- und Religionslehrer Gerhard
Tieschky überzeugt. Ungewöhnlich
für seine Zeit – der hl. Benedikt
lebte in der Spätantike – wertete
er in seiner Regel, die bis heute in
den Benediktinerklöstern gilt, die
Handarbeit wesentlich auf. Körper-
liche Arbeit war im 6. Jahrhundert
eigentlich eine Sache der Sklaven,
das heißt der unfreien Menschen.
Benedikt wusste, dass die Arbeit
mit den eigenen Händen für jeden
Menschen sinnstiftend ist und „Mü-
ßiggang der Seele Feind ist“.

Seit einigen Jahren kommt Gerhard
Tieschky mit seinen Schülern zu Br.
Alto in den Klostergarten. Neben-
bei lernen die Kinder einiges über
die Schöpfung, die sie umgibt und
ernährt. Und sie erleben, dass ihr
erfahrener Lehrer hier auch ein Ler-
nender ist, wenn er sich beim An-
blick der großen Mostäpfel fragend
an Br. Alto wendet: „Warum sind
eure Äpfel hier so groß und die in
meinem Garten daheim so klein?“         Von links: Br. Nikolaus, Br. Alto und Gerhard Tieschky (Latein- und Religionslehrer
                                        am RMG) mit Schülerinnen der 5a

                                                                                                       missionsblätter 4 | 2020   19
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