Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
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Inhaltsverzeichnis 4 Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung Grußwort 5 Rita Schwarzelühr-Sutter und Alexander Bonde Die Preisträger 2018 6 Prof. Dr. Antje Boetius 18 Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld DBU Deutscher Umweltpreis 34 Erfurt – liebenswerte Landeshauptstadt Thüringens 38 Deutscher Umweltpreis 2017 appelliert: ökologische Belastungsgrenzen der Erde nicht überstrapazieren 43 Motivation verstärkt, nachhaltig zu handeln 46 Die Verleihung des 26. Deutschen Umweltpreises 48 Das Bewerbungs- und Auswahlverfahren des Deutschen Umweltpreises Die Preisträger 52 Alle Preisträger im Überblick Das Kuratorium 70 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Die Jury 71 zum Deutschen Umweltpreis 2018 Die Vorschlagsberechtigten 72 für den Deutschen Umweltpreis 2018 74 Impressum
Programm des Festaktes Begrüßung Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Vorsitzende des Kuratoriums der DBU Anja Siegesmund, Thüringer Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz Festrede Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Musik GlasBlasSing Preisträger Prof. Dr. Antje Boetius, Alfred-Wegener-Institut (AWI) Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie Bildungs- und Demonstrationszentrum Dezentrale Infrastruktur (BDZ) Preisübergabe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Schlusswort Alexander Bonde, Generalsekretär der DBU Moderation Judith Rakers Empfang im Foyer der Messe Erfurt Twittern Sie Ihre Kommentare unter #uwp18
Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) achtet bei der Verleihung des DBU Deutschen Umweltprei- ses auf eine umweltverträgliche Durchführung und wählt die Veranstaltungsorte nach Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien aus. Der von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt herausgege- bene Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen dient dabei als Grundlage. Beispielhafte Maßnahmen: Die Messe Erfurt GmbH wird seit 2014 erfolgreich mit dem Umwelt-Siegel »Green Globe« (re-)zertifiziert. Unter den Umweltzertifikaten ist »Green Globe« ein internationales, weltweit aner- kanntes Nachhaltigkeitszertifikat der Veranstaltungs- und Tourismusbranche. Der stetige Fortschritt im Nachhaltigkeitsmanagement des Unternehmens ist mit mehr als 300 anspruchsvollen Kriterien aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft durch die jährliche Re-Zertifizierung nach- zuweisen und umfasst zum Beispiel nachhaltige Einkaufsrichtlinien ebenso wie ein Abfallmanage- mentsystem oder den Einsatz von Ökostrom und leistungsfähiger, langlebiger und energiesparender Veranstaltungstechnik. Catering: Bei den verwendeten Speisen und Getränken wird auf regionalen und saisonalen Bezug, fairen Handel sowie ökologischen Anbau geachtet. Die Hallendächer bieten eine weitere Besonderheit: Als erstes Veranstaltungshaus in Deutschland hat die Messe Erfurt GmbH auf ihren Messedächern mehrere Bienenvölker angesiedelt, die Honig aus Blütennektar der Region produzieren. Umweltfreundliche Mobilität: Die DBU bietet ihren Gästen ein kostengünstiges Veranstaltungsticket für die An- und Abreise an (s. www.dbu.de/bahn). Ressourcenschutz: Das komplette Bühnenbild besteht aus wiederverwertbaren Materialien inkl. der DBU-eigenen Teppichfliesen, sodass Abfälle weitestgehend vermieden werden können. Zudem kommt eine energiesparende LED-Wand zum Einsatz. Die Messe Erfurt GmbH und ihre Serviceunternehmen schulen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit und für ein soziales Miteinander. Weitere Infos unter www.dbu.de/umweltpreis Näheres zum Veranstaltungsticket unter Die Festveranstaltung zum Deutschen Umweltpreis www.dbu.de/bahn erfolgt in Kooperation mit
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 5 Wolf-Michael Hirschfeld, Initiator des Bildungs- und Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasser- behandlung (BDZ), haben durch ihr Engagement die Nutzung der Ressource Wasser in Jordanien auf ein neues nachhaltiges Fundament gestellt. Mit ihrer Lösung der dezentralen Abwassersysteme, die fle- Grußwort xibel angepasst werden können und bestehende Systeme ergänzen, wird das Abwasser direkt am Der Schutz von Klima, Wasser, Luft und Artenvielfalt Entstehungsort behandelt und kann zum Bewäs- zählt seit jeher zu den herausragenden Aufgaben der sern landwirtschaftlicher Flächen genutzt werden. Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Unsere Bemerkenswerter Weise gelang dies mit Jordanien diesjährigen Umweltpreisträgerinnen und -preis in einem der wasserärmsten Länder der Erde, das träger haben zwei wichtige Aspekte des Themas zudem aktuell unter hohem Migrationsdruck steht. Wasser in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten gestellt: die Bedeutung der Ozeane als faszinierender Lebens- Wir freuen uns außerordentlich, dass Bundes raum und Klimaregulator unseres Planeten sowie die präsident Frank-Walter Steinmeier auch in diesem Nutzung und Wiederaufbereitung des Elements Was- Jahr den Deutschen Umweltpreis, Europas höchst ser in Form der dezentralen Abwasserbehandlung. dotierte Umweltauszeichnung, an die Preisträge rinnen und Preisträger übergeben wird. Prof. Dr. Antje Boetius, Tiefsee- und Polarforscherin und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helm- Bei der Auswahl der Veranstaltungsorte setzt die holtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in DBU bewusst und gezielt auf Einrichtungen, die den Bremerhaven, zeichnet sich durch ihr außerordent- Leitfaden des Bundesumweltministeriums sowie liches Engagement für das fachübergreifende Ver- des Umweltbundesamtes zu »Green Meetings« ständnis systemischer Prozesse in den Weltmeeren weitgehend erfüllen. Als solches gilt das klima aus. Zudem vermittelt sie die komplexen Zusammen- neutrale und umweltzertifizierte Veranstaltungs- hänge verständlich an breite Zielgruppen. Durch ihre haus der Messe Erfurt, wo die 26. Verleihung des Forschung hat Prof. Dr. Boetius die Bedeutung von Deutschen Umweltpreises stattfinden wird. Tiefsee-Bakterien für das Weltklima belegt. Methan wirkt als Treibhausgas 25-mal stärker als Kohlen- Erfurt als Schauplatz der diesjährigen Umweltpreis- dioxid. Die Bakterien sorgen dafür, dass nur ein Teil verleihung ist die vielseitige und lebendige Haupt- davon aus den Ozeanen in die Atmosphäre entweicht, stadt des Bundeslandes Thüringen. Hier liegen 9 von und verhindern so ein schnelleres Aufheizen der insgesamt 71 Flächen der DBU Naturerbe GmbH und Erde. laden naturinteressierte Besucherinnen und Besu- cher beispielsweise im Pöllwitzer Wald zum Ken- Das interdisziplinäre Abwasser-Expertenteam aus nenlernen einer vielgestaltigen Moorlandschaft ein. Leipzig mit Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden und Dr. Mi-Yong Lee vom Helmholtz- Wir heißen Sie in Erfurt herzlich willkommen und Zentrum für Umweltforschung, Department Umwelt- freuen uns auf eine informative und inspirierende und Biotechnologisches Zentrum, sowie Dipl.-Ing. Festveranstaltung. Rita Schwarzelühr-Sutter, Alexander Bonde, Parlamentarische Staatssekretärin Generalsekretär der DBU Vorsitzende des Kuratoriums der DBU
Die Preisträger 2018 6 Die Preisträger 2018 Prof. Dr. Antje Boetius Alfred-Wegener-Institut (AWI) Es geht darum, das Paradies zu erhalten – Antje Boetius: ein Portrait Ozeane, Vielfalt und das große Ganze sind ihre Themen: Mit unterschiedlichen Schwerpunkten erforscht sie die Biodiversität der Tiefsee, betreibt Wissenschaftskommunikation und initiiert Projekte im Grenzgebiet von Wissenschaft, Kunst und Kultur. Prof. Dr. Antje Boetius, Deutschlands wohl bekannteste Meeresforscherin, ist auf vielen Aktionsfeldern zu Hause – und betreibt sie mit einer Verve, die von großer, ansteckender Begeisterung und einer ganzheitlichen Sicht auf die Dinge getragen ist. In ihrer neuen Rolle als Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) fühlt sich Prof. Dr. Antje Boetius sichtlich wohl.
Die Wissenschaftlerin wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet – zuletzt im Juli 2018 mit dem »Communicator- Preis« der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (hier bei ihrem Festvortrag). Wie wird eine hochdekorierte, weltweit anerkannte Sie sagt, wie die Dinge liegen Tiefsee-Forscherin aufgelegt sein, die für ein Inter- Das war nicht immer so. »Im wissenschaftlichen view mit der DBU wertvolle Stunden ihres Urlaubs Werdegang wurde ich zunächst dazu erzogen, Neu- opfert? Zurückhaltend, am Ende etwas schlecht tralität zu wahren und auf keinen Fall politische oder gelaunt? Vom ersten Moment der Begegnung wird emotionale Aussagen zu machen«, erinnert sich klar: Antje Boetius ist bestens aufgelegt und sie Boetius. Erst relativ spät in ihrem Forscherleben brennt für »ihre« Tiefsee. Gerade von einem U-Boot- änderte sich das. »Als 2010 dieser gigantische Unfall Tauchgang vor den Azoren zurückgekehrt, erzählt im Golf von Mexiko mit der Bohrplattform Deep Water sie: »Wir haben dort unten das Licht ausgemacht und Horizon passierte, habe ich eine große Wut bekom- saßen dann im gleißenden Funkeln von tausenden men.« Das ausströmende Öl führte zur schwersten von Würmern und geleeartigen Lebewesen. So viele Umwelt katastrophe dieser Art in der Geschichte. Lichtblitze gab es da wie Blätter an diesem Baum – Damals merkte die Wissenschaftlerin, dass ihre kri- total faszinierend!« tischen, auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden Statements gut ankamen. »Inzwischen sage ich, wie Die Meeresbiologin berichtet so anschaulich und die Dinge liegen und mache sehr viel direkte Kommu- packend von ihren Erlebnissen in 1 000 Meter nikation«, ergänzt die Forscherin, »weil ich merke, Meerestiefe, dass man sofort versteht, warum sie dass ich damit etwas bewirken kann – immerhin erst vor kurzem den »Communicator-Preis« für ver- einen Dialog mit vielen verschiedenen Menschen ständliche Vermittlung ihrer Forschung erhalten hat. über Wirkungen unseres Handelns und Entscheidun- Wie kaum eine andere Wissenschaftlerin spielt sie so gen in Bezug auf die Umwelt.« virtuos auf der Klaviatur der Wissenschaftskommuni- kation als sei sie nichts anderes als Forschungsarbeit mit anderen Mitteln.
In verschiedenen TV-Formaten ist die Tiefseeforscherin inzwischen ein gern gesehener Gast: Hier im Gespräch mit »Wetterfrosch« Karsten Schwanke. Mittlerweile ist Antje Boetius gern gesehener Gast in genwärtig am meisten diskutierten Bedrohungen des vielen TV-Talkshows, hält Vorträge bei ARD-alpha, ist Meeres wie Plastikmüll, Klimawandel, Tiefseeberg- im Hörfunk, durch Podcasts oder bei youtube präsent bau oder Überfischung für gleichermaßen bedeutsam und arbeitet in der Kommunikation besonders gern und gefährlich, differenziert dann aber: »Bei der Be- mit Kindern. Anfangs sei sie unsicher gewesen, ob völkerung kommt der Klimawandel momentan nicht ihr das als Wissenschaftlerin nicht negativ ausgelegt so stark und dramatisch an wie das Thema Plastik- würde. Aber im Gegenteil, ihre Erfahrungen zeigten: müll. Wir sollten aber gegen einen falschen Reduktio- »Dieses Engagement wird wertgeschätzt und erntet nismus kämpfen«, betont Boetius. Für sie als langfris- viel Zuspruch.« tig denkende Wissenschaftlerin sei der Klimawandel die Bedrohung »Nummer eins«. Es gebe im Ozean de- Ozean ohne Wale finitiv keine Region mehr, die nicht vom Klimawan- Wahrscheinlich ist das so, weil sie ausgesprochen del betroffen sei. Der Klimawandel verändere auch authentisch wirkt. Zum Beispiel auf die Frage, was die Algen und Mikroorganismen, die die oberen Zo- den Wert des Ozeans für sie ausmacht. »Ich habe ei- nen des Meeres produktiv machen. Nach dem Herab- nen durchaus romantischen Anspruch ans Meer. Es sinken bildeten genau jene Organismen die Nahrung geht darum, das Paradies zu erhalten.« Ein Paradies der Tiefseefauna. Das bedeute: Alles, was sich oben voller Lebensvielfalt, in dem keine Menschen leben, verändere, habe eine direkte Wirkung auf die ferns- das aber leider schon viele menschliche Eingriffe hat ten Tiefseetiere. »Das ist ein wichtiges Ergebnis der hinnehmen müssen. »Bei der Fischerei, die ich für die Erdsystemforschung: Der Klimawandel allein bedeu- Kraft halte, die den Ozean schon am meisten verän- tet schon, dass wir ein Konzept ‚unberührte Natur‘ für dert hat, ist es so, dass wir uns schon an einen Zu- künftige Generationen gar nicht mehr anbieten kön- stand gewöhnt haben: einen Ozean ohne Wale und mit nen«, erläutert die Wissenschaftlerin. immer weniger Fischen und Korallen«, konstatiert die Meeresexpertin ernst. Tatsächlich hält sie die ge-
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 9 Dramatische Entwicklung in der Arktis Tiefsee umgepflügt, um die Wirkung zu testen. Auch Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Lässt nach 26 Jahren haben wir dort keine Heilung fest- sich der menschengemachte Treibhauseffekt noch gestellt.« Mit anderen Worten: Sollte die Tiefsee tat- stoppen oder wenigstens eindämmen? Boetius‘ Ant- sächlich industriell ausgebeutet werden, um Metalle wort darauf kommt spontan: »Ja, das halte ich für zu gewinnen, bedeute das lokal eine langfristige möglich. Man kann das Optimismus nennen, aber Zerstörung des Lebensraums am Meeresboden mit im Grund ist es ein zutiefst verankerter Glauben all seinen bislang unbekannten Lebensformen. Ein an die Vernunft des Menschen und an das politisch Manganknollen wachse sehr langsam und sei häu- gute Handeln.« Nach einer kurzen Pause ergänzt fig mehrere Millionen Jahre alt, erklärt die Forsche- sie allerdings: »Was für uns in den mittleren Breiten rin. Tiefseebergbau könne daher keine nachhaltige das 1,5-Gradziel ist, haben die Polarsysteme dabei Lösung für unseren Bedarf an seltenen Metallen sein, längst hinter sich gelassen«. Besonders die Arktis ist sich Boetius sicher. als Ganzes sei schon weit jenseits dessen, was wir uns als globales Ziel gesteckt hätten. Die globalen Dass strenge Regeln zur richtigen Zeit Lösungen für Klimaziele müssen daher auch mit den regional oft Umweltbelastungen bringen, ist der Tiefseeforsche- extremen Wirkungen verknüpft werden, ergänzt die rin schon deshalb klar, weil sie in den 1970er Jahren Meeresbiologin. »Wenn man in der Polarregion sieht, groß geworden ist – einer Zeit, die von Umweltzerstö- wie die Gletscher und das Meereis schwinden, kann rung wie Ozonloch, verpesteter Luft und verdreckten man wirklich das Wort ‚dramatisch‘ verwenden«, sagt Flüssen geprägt war. »Ich erinnere mich noch sehr Boetius. Selbst pessimistische Wissenschaftler hät- gut daran, wie ich mit meinen Geschwistern über ten vor 20 Jahren nicht gewagt, eine solch extreme den Nordseestrand gelaufen bin und dann voll Teer Entwicklung vorherzusagen. »Die Polarsysteme sind flecken war.« Resümierend meint sie: »Da stehen wir wie eine Art Fühler und Warnsignal für den Zustand doch heute schon viel besser da! Zur rechten Zeit ist der Erde. Da sind wir tatsächlich weit jenseits vom Wissen und politisches Handeln zusammen gekom- 1,5-Grad-Ziel, und ich befürchte, dass es schwer bis men, heute schwimmen wir wieder in unseren Flüs- unmöglich sein wird, in der Arktis noch den Zustand sen. Nun müssen wir das Problem des Klimawandels zu halten, den wir kennen. Das wird nicht nur das angehen.« Leben dort betreffen, sondern uns auch ganz andere Wetterlagen bescheren. Da bin ich dann doch eher Methan verarbeitende Archaeen und Bakterien pessimistisch«. Mit dem Kerngebiet ihrer Forschung hat die umtrie- bige Wissenschaftlerin viel zum Verständnis der kom- Auch zum Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee, dem plexen klimatischen Zusammenhänge auf unserem sogenannten »Deep sea mining«, hat sie eine klare Planeten beigetragen. Die von ihr erstmals entdeckte, Haltung. »Wir brauchen es noch lange nicht, weil global verbreitete Symbiose aus Archaeen (Urbakte- wir die Möglichkeiten des Teilerecyclings und der rien) und Bakterien in der Tiefsee, die vom starken Wiederverwertung zum Schließen des vollständigen Treibhausgas Methan leben, hat eine wichtige Funk- Wertkreislaufs von Metallen an Land ingenieurtech- tion im natürlichen Kohlenstoffkreislauf. Ohne diese nisch noch längst nicht ausgeschöpft haben.« Mikroorganismen wäre das Erdklima ganz anders. Selbstkritisch betont sie: »Ist das nicht verrückt? Ein Schon als Studentin hat Antje Boetius an Projekten zentraler Prozess im Erdsystem, und wir haben die mitgearbeitet, die sich mit der Frage beschäftigten, Vorgänge bis heute nicht vollständig entschlüsselt.« ob sich der Meeresboden von Eingriffen erholen Und natürlich wäre sie gern hautnah dabei, wenn dies kann, bei denen sogenannte Manganknollen geern- einmal gelingen sollte. Mittlerweile wird weltweit tet werden, die Spuren wertvoller Metalle enthal- Forschung an den Erdgas verbrauchenden Mikro ten. Heute weiß sie: »Es wurde ein Quadratkilometer organismen durchgeführt, und Antje Boetius hat sich
10 Die Preisträger 2018 zunehmend neuen Forschungsfragen gewidmet. Die Fähigkeit, loslassen und sich anderen Themen öffnen zu können, hat die Forscherin tatsächlich mehrfach in ihrer Biografie unter Beweis gestellt. »So etwa alle fünf bis sieben Jahre muss ich wieder was Neues anfangen, weil es mir wichtig scheint und Freude macht, das große Ganze zu sehen«, unterstreicht sie. Vermutlich rührt das auch daher, dass sie auf ihren annähernd 50 mehrmonatigen Meeresexpeditio- nen rund um die Welt mit immer neuen spannen- den Phänomenen in Berührung kommt. Über eine ihrer Expeditionen in die Arktis zur Erforschung des Gakkel rückens, eines untermeerischen Gebir- ges nördlich von Grönland, sagt sie beispielsweise: »Damit bin ich nochmal so richtig abgetaucht in diese Welt des Unbekannten«. Schlichtere Gemüter mag diese Vielzahl an Eindrü- cken vielleicht verwirren. Antje Boetius hingegen sieht in ihnen eine schier unendliche Inspirationsquelle für neue Projekte und Forschungsideen, die sich letztlich aus einer »unersättlichen Grundneugierde« speisen. Die habe sie schon als Kind ausgezeichnet und sie sei bis heute »nicht weggegangen – auch Menschen gegenüber«, äußert sie in ihrer mitreißenden Art. Neugierde ist die eine, Unwissen die andere Trieb- feder ihres Forschungswillens. Die Meeresbiologin sagt: »Mich fasziniert, dass wir noch immer so viel nicht wissen.« Ideen zu neuen Forschungsprojekten sprudeln nur so aus ihr heraus: »Wenn es um die Vielfalt des Lebens in der Tiefsee geht, scheint die Antarktis alles zu toppen.« Warum das so ist, weiß man nicht«. Antje Boetius treibt daher die Frage um: Trifft das nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Mik- roben zu? Liegt es vielleicht daran, dass die Antarktis der Lebensraum ist, der am längsten gleichförmig war – länger noch als der Pazifik? Außerdem interes- siere sie brennend, im Südpazifik eine Kartierung zu machen, fernab jedweder Zivilisation, Tiefseeberge und Inseln zu vermessen wie die alten Seefahrer In den vergangenen Jahren führten sie einst, nur mit modernster Ausrüstung und Technik. Expeditionen häufig in die Arktisregion.
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 11 Die Arbeit im Labor ist Antje Boetius ebenso vertraut wie die Feldforschung. Neue Aufgaben als Direktorin Fakt aber ist auch, dass Boetius ihr Engagement in der In ihrer neuen Funktion als Direktorin des Alfred- Wissenschaftskommunikation, wo sie beispielsweise Wegener-Instituts (AWI) aber gibt es viele neue Ar- in vorderster Front bei »Wissenschaft im Dialog« ak- beitsschwerpunkte. Als Wissenschaftsmanagerin tiv ist, keineswegs zurückfahren will. Ebenso wenig wird sie mit der Einwerbung, Koordination und Über- wie ihren Einsatz im Grenzbereich von Wissenschaft, wachung von Projekten zu tun haben, die andere Kunst und Kultur, den sie für ein unterschätztes Feld durchführen. Deshalb ergänzt sie: »Wie viel Zeit ich hält. Gerne veranstaltet sie zum Beispiel Lesungen für Expeditionen und eigene Forschungsprojekte ha- mit Schauspielern und Musikern oder engagiert sich ben werde, weiß ich noch nicht, denn: Vorstand eines beim neuen Filmfestival »Silbersalz – future science Helmholtz-Zentrums zu sein, füllt einen schon ganz media« in Halle an der Saale. und gar aus« – und: »Der mutigste Neuanfang in mei- nem bisherigen Leben war, jetzt Institutsdirektorin zu Bleibt die Frage, woher sie die Kraft nimmt, all dies zu werden.« leisten. Antje Boetius bleibt auch hier keine Antwort
12 Die Preisträger 2014 Viele Jahre ihres Lebens hat die in Bremen lebende Meeresbiologin auf Forschungs- schiffen verbracht. schuldig. Zum einen habe sie die mütterliche Linie ge- Freuen, Lachen oder um Sorgen und Nöte mit auf netisch mit »dicken, fetten Akkus« ausgestattet. Au- zufangen. ßerdem liebe sie Reisen, Musik, Essen und erfreue sich eines tollen Netzwerks aus Freunden weltweit. Von Elternseite hat sie übrigens auch ihr Interesse »Wenn ich einen Abend in eine andere Welt eintrete an philosophisch/ethischen Fragen mitbekommen. und mich gut unterhalte, bin ich am nächsten Morgen Beide Eltern haben in Frankfurt Germanistik studiert, wieder frisch«, erklärt sie. Dann ist da auch noch der der Vater war Schüler von Theodor W. Adorno und ist Familienmensch Antje Boetius: Mit Mutter, Geschwis- heute ein angesehener Schriftsteller. Schon als Kind tern und Lebensgefährte sei immer jemand da – zum war sie Leseratte und hat Bücher meterweise ver-
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 13 Zur Person Prof. Dr. Antje Boetius ist am 5. März 1967 in Frankfurt/Main geboren. Seit November 2017 ist sie Direktorin am Alfred- Wegener-Institut (AWI) – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Bereits seit Ende 2008 lei- tet sie die Helmholtz-Max-Planck-Brückengruppe für Tiefsee ökologie und -technologie am AWI. Außerdem ist sie Professo- rin für Geomikrobiologie im Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen und Vizedirektorin des MARUM (Center of Marine and Environmental Sciences) der Universität Bre- men. Seit Mai 2010 ist die Meeresbiologin zudem als externes wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft tätig. Antje Boetius wirkt ferner in zahlreichen namhaften Gremien mit. So ist sie seit 2015 Vorsitzende des Lenkungsausschus- ses der Initiative »Wissenschaft im Dialog« und sitzt im Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Leibniz- Gemeinschaft. Darüber hinaus wurde sie zum Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Aka- demie der Wissenschaften und Literatur Mainz und des Wissen- schaftsrates Deutschlands gewählt. schlungen. So erklärt sich wohl auch ihre ganzheit- In den vergangenen Jahren wurde die Meeresforscherin liche Weltsicht, die sie anlässlich der Verleihung des bereits mehrfach ausgezeichnet. So erhielt sie unter anderem Communicator-Preises wie folgt formulierte: »Mir ist 2009 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen For- wichtig, dass wir verstehen, dass das Wissen, For- schungsgemeinschaft, 2011 den Advanced Grant des Europäi- schen und Entdecken ein Teil der Frage ist: Wer sind schen Forschungsrates, 2017 die Copernicus-Medaille und die wir Menschen, wo wollen wir hin, wie wollen wir in Karl-Friedrich-Gauß-Medaille der Braunschweigischen Wissen- Zukunft mit der Erde und den Meeren leben.« schaftlichen Gesellschaft sowie in diesem Jahr den Communi- cator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes.
Die Preisträger 2014 14 Die Preisträger 2018 Forscherin und Wissenschaftsmanagerin Leitthema der Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Meeresboden zwei Drittel der Erde ausmacht und Antje Boetius war und ist die Rolle des Meeresbo- seine Artenvielfalt die an Land bei weitem übertrifft. dens und seiner Bewohner im Ökosystem Tiefsee so- Den vorläufigen Höhepunkt ihrer beruflichen Karrie- wie die damit verbundenen Rückwirkungen auf Kli- re markiert die Position als Direktorin am berühmten maentwicklung und Biodiversität unseres Planeten. Alfred-Wegener-Institut (AWI), die sie seit Ende 2017 Ein gigantisches Thema, wenn man weiß, dass der bekleidet. Schon als Kind ist Antje Boetius vom Ozean fasziniert. Zurück nach Deutschland Sie verschlingt Abenteurerromane wie Die Schatzin- Schnell ist klar, dass sie auch promovieren will. sel und will Piratin werden. Die Liebe zum Meer hat Inhaltlich soll es weiter um den Meeresboden gehen. sie von ihrem Großvater, der Anfang der 1930er Jahre Wo aber soll ihre Doktorarbeit entstehen? Der Surf- in der Antarktis als Walfänger unterwegs war. So strand in San Diego und die einmalige Forschungs verwundert es nicht, dass sie 1986 direkt nach dem atmosphäre an den US-amerikanischen Instituten Abitur von Süddeutschland nach Hamburg geht, um üben einen großen Reiz auf sie aus. Boetius aber ent- dort Meeresbiologie zu studieren. Schon im Grund- scheidet sich für Deutschland. Das Alfred-Wegener- studium macht sie ihre erste kleine Schiffsreise, die Institut (AWI) in Bremerhaven galt schon damals als sie endgültig davon überzeugt: Sie gehört auf ein erste Adresse für Tiefsee-Mikrobiologie. Forschungsschiff. Im Hauptstudium ab 1989 kann sie sich endlich auf die Meeresforschung konzentrieren. Für ihre Doktorarbeit ist Antje Boetius 1993 erstmals Unter anderem besucht sie die Tiefsee-Vorlesung von mit dem deutschen Forschungsschiff »Polarstern« Prof. Dr. Hjalmar Thiel. unterwegs. In der Laptewsee nördlich von Sibirien nimmt sie Proben aus der eisbedeckten Tiefsee und Der bekannte Tiefseeforscher erkennt ihr Talent und untersucht, wie Bakterien am Meeresboden auf Nah- empfiehlt ihr, sich für ein Austauschprogramm am rungsmangel reagieren. Heute sind diese Daten inso- renommierten Scripps-Institut für Ozeanografie in fern von unschätzbarem Wert, als sie für die inzwi- den USA zu bewerben. Boetius erhält den Platz in San schen eisfreie Region als Referenzwert dienen, will Diego und arbeitet von 1989 bis 1990 an einem der man die Frage beantworten, wie arktische Bakterien- bekanntesten Meeresforschungsinstitute der Welt gemeinschaften auf den Klimawandel reagieren. als Laborassistentin – noch bevor sie das Diplom in der Tasche hat. Die Diplomarbeit folgt kurze Zeit Als Postdoc geht Antje Boetius zunächst an das Ins- später; darin fasst sie die Ergebnisse von mehreren titut für Ostseeforschung in Warnemünde. Mehrere Forschungsfahrten und Meeres-Expeditionen zusam- Forschungsexpeditionen auf den Forschungsschif- men. fen »Sonne« und »Meteor« in den Indischen Ozean und das Arabische Meer fallen in diese Zeit Mitte der 1990er Jahre.
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 15 Als Forscherin war Antje Boetius schon auf fast allen Weltmee- ren im Einsatz: Damit ihr möglichst viele Daten ins Netz gehen, bedarf es einer akribischen Expeditionsvorbereitung. Damals kommen auch neue molekularbiologische Niemand weiß zum damaligen Zeitpunkt, wovon sich Techniken auf, mit denen die Verwandtschaftsver- die reichhaltige Tierwelt aus Würmern, Muscheln und hältnisse von Bakterien aus deren Erbgut abgeleitet unbekannten Bakterien ernährt, die dort lebt. Denn werden können. Auch die Meeresbiologen nutzen bislang ist kein Organismus bekannt, der Methan diese Methoden, um die Vielfalt der Tiefsee-Mikroor- abbauen und daraus Energie gewinnen kann. Es gibt ganismen, deren Verteilung und Aktivität zu bestim- allerdings die Vermutung, dass Organismen aus dem men. Boetius wechselt deshalb 1999 ans Bremer Reich der Archaeen (Urbakterien) Methan nutzen Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, um könnten. diese neuen Techniken besser kennen und anwenden zu lernen. Anlässlich einer Expedition des Instituts GEOMAR mit dem Forschungsschiff »Sonne« im Jahr 2000 Forschungsinteresse: Gashydrat zu einem großen Hydratvorkommen im nordöstli- Etwa um dieselbe Zeit geraten die großen Methanvor- chen Pazifik nimmt Antje Boetius verschiedene Sedi- kommen der Ozeane mehr und mehr ins Forschungs- mentproben genauer unter die Lupe. Sie stellt dabei interesse der Meeresbiologen. Methanhydrat, auch erstaunt fest, dass immer zwei Zelltypen aneinander Gashydrat genannt, ist eine feste, eisähnliche Ver- festgewachsen scheinen: Bakterien, die Schwefel bindung zwischen Meerwasser und Methan, die sich verbindungen verarbeiten, und Mikroben aus dem in großer Tiefe bei niedrigen Temperaturen bildet. Reich der Archaeen. Sollte es sich also um eine
Die Preisträger 2018 Expeditionen mit dem Forschungs-U-Boot gehören zu den Lieblingsbeschäftigungen der Tiefseeforscherin. Kooperation zwischen beiden handeln? Die Hypo- Und jahrzehntelang galt es als großes Rätsel der these, die sich bestätigen ließ, lautete: Das Methan im Meeres forschung, wie und warum das Methan im Meeresboden wird von beiden Organismen gemein- Ozean gebunden bleibt und damit ein noch rasante- sam genutzt. Die Bakterien verschaffen den Archaeen res Ansteigen des menschengemachten Treibhaus die richtigen energetischen Bedingungen für die effekts verhindert. Methanatmung und profitieren im Gegenzug von deren Abbauprodukten. Symbiosen dieser Art sind Internationaler Durchbruch im Tier- und Pflanzenreich zwar keine Ausnahme. Noch als Postdoktorandin kann die Meeresbiologin Für die Nutzung von Methan durch Mikroorganismen am Max-Planck-Institut ein großes Projekt zur Erfor- unter sauerstofffreien Bedingungen aber waren sie schung der Mikrobenwelt auf Hydraten starten, das komplettes Neuland und eine wissenschaftliche Sen- vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. sation. An ihm beteiligen sich alle Abteilungen des Bremer Instituts. Weitere Projekte und eine Veröffentlichung Die dazugehörige Veröffentlichung im angesehe- in »Science« folgen. Damit gelingt Antje Boetius der nen Fachmagazin »Nature« noch aus demselben internationale wissenschaftliche Durchbruch, noch Jahr gehört bis heute zu den meistzitierten Arbeiten bevor sie eine Professur innehat. Die folgt im Jahr von Antje Boetius. Das überrascht nicht, wenn man 2001, als sie an der Vorgängerin der Jacobs University weiß, dass Methan zu den stärksten Treibhausgasen (damals International University Bremen) Professorin zählt. Es gibt riesige Vorkommen davon im Meer. wird. 2008 baut Boetius die Brückengruppe zwischen
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 17 dem Max-Planck-Institut und dem Alfred-Wegener- 2014 folgte die nächste Arktis-Expedition zu einem Institut auf und erhält 2009 eine Professur für Geo- ganz anderen Thema. Diesmal war die Forscherin mit mikrobiologie an der Universität Bremen. Neben Pro- einem Team unterwegs, um den Gakkelrücken nörd- jekten zur Erforschung extremer Lebensräume in der lich von Grönland zu erkunden. Hier wurden an ei- Tiefsee und der Funktion des Methanabbaus treten nem Seeberg heiße Quellen und besondere Lebens- nun wichtige Fragen der Vorsorgeforschung. Wann gemeinschaften vermutet – vier Kilometer unter dem erholt sich der Meeresboden nach der Entnahme von Eis. Seit Jahren gab es Hinweise auf starken Hitze- Manganknollen? Wie reagieren mikrobielle Ökosys- ausstoß und Rauchfahnen im Meer, aber keine Bil- teme auf Sauerstoffmangel oder Überdüngung? Was der von diesem Ereignis. Diese gelangen dem Team geschieht, wenn das Meer versauert?? um Antje Boetius am letzten Tag der Expedition. Mit Hilfe von Unterwasserrobotern entstanden Aufnah- Seit 2004 ist die Bremer Wissenschaftlerin zudem men von sogenannten Schwarzen Rauchern, kleinen regelmäßig als Fahrtleiterin auf Forschungsschiffen Schloten, die von fremdartigen Gärten aus weißen unterwegs. Sie koordiniert die wissenschaftlichen Glasschwämmen umgeben sind. Einzigartige Bilder Aufgaben an Bord und stimmt die Forschungsarbeit und Beobachtungen, deren wissenschaftliche Veröf- mit dem Kapitän und der Mannschaft ab. In dieser fentlichung noch aussteht. Funktion ist sie von früh bis spät im Einsatz, denn die Expeditionen sind teuer, und das Schiff arbeitet rund Direktorin am AWI um die Uhr. Bei ihren mittlerweile fast 50 Forschungs- Seit November 2017 ist Antje Boetius nun Direkto- reisen hat Antje Boetius viele Jahre ihres Lebens an rin des AWI in Bremerhaven, einer der renommier- Bord von Forschungsschiffen verbracht und war auf testen Meeresforschungseinrichtungen der Welt. Der nahezu allen Weltmeeren unterwegs. vorläufige Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere. Ihr neues Betätigungsfeld als Wissenschaftsmanagerin Polarregion im Fokus verlagert sich damit vom Meeresboden zum Schreib- In den vergangenen Jahren konzentrierte sich ihr For- und Verhandlungstisch in Büros und Konferenzsälen. schungsinteresse jedoch vor allem auf die arktische Nach eigenem Bekunden hat ihr das erste Jahr am Region. Als sie 2012 dort war, schmolz das arktische AWI viel Spaß gemacht. Und sie wäre nicht die um- Meereis stärker, als Forscher es je zuvor beobach- triebige Wissenschaftlerin vergangener Tage, hätte tet hatten. Meeresalgen konnten unter diesen Bedin- sie nicht auch für ihren neuen Job viele interessante gungen besonders gut wachsen, bildeten tangartige, Pläne im Kopf: Sie will die Polarforschung durch neue dichte Wälder und sanken in faustgroßen Klumpen zu Technologien wie Unterwasser-Robotik und autono- Boden. Der sonst eher wüstenartige Grund der zent- me Umweltsensorik voranbringen, die Zusammen- ralen Arktis war nun mit einem Algenteppich bedeckt. arbeit mit asiatischen Ländern verstärken und auch Die Messungen der Forscherin zeigten, dass vor al- nationale Aufgaben unterstützen: Daten aus Meeren lem Bakterien die Nahrung verwerten. Diese bisher und Polarregionen mit anderen Daten des Erdsys- unbekannte und unerwartete Reaktion des arktischen tems vernetzen und ihren Zugang und die Auswer- Ökosystems auf die Eisschmelze konnte das Team tung erheblich verbessern. So könnten nicht nur Bil- um Antje Boetius beobachten, messen und exakt wis- der aus der Tiefsee und von den gefrorenen Regionen senschaftlich beschreiben. Das Manuskript dazu ent- der Erde schneller zur Verfügung gestellt werden, stand noch an Bord, wurde versandt und bereits 2013 sondern auch der »Sound der Meere« und ihrer Le- in »Science« veröffentlicht. Bis heute ist es die ein- bewesen. zige abgeschlossene Veröffentlichung eines solchen saisonalen Events in der Arktis. Der Beitrag basiert in Teilen auf dem Artikel »Der Tiefsee auf den Grund gehen« von Tim Schröder aus MaxPlanckForschung Spezial16 – mit freundlicher Geneh- migung des Autors.
18 Die Preisträger 2018 Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Bildungs- und Demonstrationszentrum Dezentrale Infrastruktur (BDZ) Leipziger Forschergruppe verbessert Abwassersituation in Jordanien Die Arbeiten von Prof. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee und Wolf-Michael Hirschfeld markieren einen Paradigmenwechsel in der Abwasserwirtschaft Jordaniens, einem der wasserärmsten Länder der Welt. Dezentrale Kläranlagen, die auch im Verbund betrieben werden können, politisch administrative Rahmenbedingungen, ein Software-basiertes Erschließungswerkzeug sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bilden den Vierklang dieses Konzepts. 2016 hat das jordanische Kabinett dieser Idee mit seinen Beschlüssen den Weg für ein neues Abwassermanagement geebnet. Es eint zentral und dezentral betriebene Kläranlagen in einem Verbundsystem und strahlt weit über die Grenzen Jordaniens in die gesamte Region aus. Prof. Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfor- schung (UFZ) erzählt, wie 2006 alles begann: »Auf einer unserer ersten Reisen nach Jordanien besuch- ten Manfred van Afferden und ich Dörfer, in denen das Abwasser in den Straßen floss. Jedes Haus hatte nur eine Grube zur Versickerung – mit allen nega- tiven Folgen für Trinkwasser und Gesundheit. Wir waren uns von Beginn an einig, dass dieser Missstand nicht nur durch den Bau neuer Technologien behoben werden kann, sondern ein systematisches Vorgehen verlangt. So gab es keine Wartungsfirmen, und die ländlichen Regionen wurden von der Politik wenig berücksichtigt.« »Da mussten wir eben dickere Bretter bohren«, betont Dr. van Afferden, »um das Problem ganz- heitlich anzugehen. Also ein Forschungsansatz aus Starkes Quartett – das Leipziger Abwasserexperten-Team einem Guss, aber mit Experten aus unterschiedlichen mit (v. l.): Dr. Manfred van Afferden, Prof. Dr. Roland A. Müller, Disziplinen.« Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld Ab 2010 ergänzte dann die Volkswirtschaftlerin Dr. Mi-Yong Lee das Team: »Gleich während meiner ersten Projektreise mit beiden Kollegen nach Jordanien haben wir intensiv mit lokalen Akteuren und Ministeriumsvertretern gesprochen und
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 19 Prof. Dr. Roland A. Müller: Umweltbiotechnologe verschiedene Kläranlagen besucht«, sagt die enga- dabei war ein Gespräch mit der jordanischen Staats gierte Forscherin südkoreanischer Abstammung. sekretärin des Wasserministeriums, so erinnert Und weiter: »Nach der einen Woche war für uns drei sich Prof. Müller, in dem intensiv über die notwen- eigentlich klar: Das könnte etwas Gutes werden. Spä- digen Komponenten der vorgesehenen dezentralen ter bin ich dann nach Jordanien gegangen und war Abwassersystemlösungen diskutiert wurde. Man war dort drei Jahre als Büroleiterin im Wasserministe- sich schnell einig, dass Jordanien hierfür eine nati- rium in Amman.« onale Lösung benötigte. Ergebnis des Austausches war der gemeinsame Wunsch zur Bildung eines natio Frau im Männerministerium nalen Implementierungskomitees (NICE), das gezielt Von der ersten Reise an ließ Mi-Yong Lee die Begeis- Rahmenbedingungen schaffen sollte. Mit der Zeit ent- terung für das Projekt nicht mehr los. Dabei war der stand eine Vertrauensbasis gepaart mit fachlicher Einstieg für sie alles andere als leicht. Prof. Müller Expertise, und man entwickelte dann ein Gefühl dafür, erinnert sich: »Das war schon eine besondere Situ- wie es gehen könnte. ation für sie dort als Frau im Männerministerium!« Aber Lee habe die Situation schnell erkannt und ge- BDZ in Europa einzigartig meistert. Van Afferden ergänzt: »Wichtig war es, sich Eine andere Persönlichkeit, mit der Prof. Müller früh auf die andere Kultur und die anderen Regeln, die vor zusammengearbeitet hat, war Dipl.-Ing. Wolf-Michael Ort herrschen, zunächst einmal einzulassen. Offen zu Hirschfeld. Beide kannten sich bereits aus der Zu- sein für das andere Tempo dort, die andere Art und sammenarbeit beim Bildungs- und Demonstrations- Weise, Dinge zu besprechen, andere Entscheidungs- zentrum (BDZ) in Leipzig. Das auch von der Deutschen wege und vieles mehr.« Bundesstiftung Umwelt (DBU) unterstützte BDZ setz- te sich schon ab 2002 erfolgreich für die Verbrei- Nach zahlreichen Versuchen gelang es den Wissen tung von dezentralen Abwasseranlagen in Deutsch- schaftlern, das Interesse der jordanischen Ent- land ein. Müller wörtlich: »Michael Hirschfeld hat scheidungsträger zu wecken. Zentraler Meilenstein unsere Arbeiten im Nahen Osten durch sein Denken in
20 Die Preisträger 2018 Dr. Mi-Yong Lee: Volkswirtin Systemlösungen, und so Probleme zu meistern, sehr Klärtechnik ins deutsche Regelwerk übernommen geprägt«. Hirschfeld, der Netzwerker im Team, ist »Wir brauchen reale Beispiele – sozusagen zum ein Mann aus ursächsischem Schrot und Korn. Seine Anfassen. Da helfen keine Berichte oder schöne langjährigen Erfahrungen beim »Haus der Umwelt« Fotos, man braucht Infrastrukturen und den Nach- in Leipzig sowie beim BDZ, beide von Hirschfeld ins weis, dass es wirklich funktioniert. Nur so lassen Leben gerufen, kamen dem Jordanienprojekt sehr sich lokale Verantwortliche, Nutzer und Betroffene zugute. Das BDZ sei in Europa bis heute einzigartig, überzeugen«, erläutert van Afferden. »In Fuheis, betont Hirschfeld. Ziel sei es gewesen, eine Vereini- Jordanien, haben wir schon früh eine Forschungs- gung zu schaffen, die den gesamtdeutschen Bestand und Demonstrationsanlage mit realen Technologien an Herstellern von dezentralen Abwassertechnologi- gebaut. In Deutschland entwickeln und forschen wir en umfasst. Im BDZ sind rund 60 Firmen vertreten, im realen Maßstab an den Infrastrukturen des UFZ die allesamt in Konkurrenz zueinander standen. »Das und BDZ.« ist wie Flöhe hüten«, sagt Hirschfeld, »und es gelang nur mit Fingerspitzengefühl und Diplomatie, diese Sehr deutlich wird dies am Beispiel zweier Behand- Firmen zusammenzuschmieden.« lungsverfahren zur naturnahen Reinigung von Abwasser – horizontal und vertikal belüftete Boden- Ein weiteres Ziel sei die Bildung und Ausbildung filter. Diese wurden in und für Jordanien weiterent- unterschiedlicher Zielgruppen, ergänzt Müller. Das wickelt und anschließend in das Regelwerk der Deut- sei bereits in Deutschland und auch ich den neuen schen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser Zielregionen, aber insbesondere in Jordanien ein und Abfall e. V. (DWA) übernommen. Aktuell wird auch besonderer Fokus der Arbeiten des BDZ. »Insofern an einer jordanischen Norm zur Zertifizierung dezen- ist Jordanien inzwischen zu einem Musterbeispiel für traler Abwassertechnologien gearbeitet – als wichti- Deutschland geworden«, betont Hirschfeld mit Nach- ger Beitrag zur Qualitätssicherung. druck.
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 21 Dr. Manfred van Afferden: Umweltbiotechnologe Van Afferden: »Nach der Frage der Funktion kommt Modellbeispiel für Hilfe zur Selbsthilfe natürlich sofort die Frage der Kosten. Wir brau- Erschwerend komme die aktuelle Situation als chen bezahlbare und konkurrenzfähige Lösungen. Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Syrien und Afrika Daher haben wir für die Entscheidungsträger das hinzu. Gegenwärtig stehe der arabische Staat in computergestützte Planungs- und Entscheidungs- Vorderasien unter einem gewaltigen Migrationsdruck. tool »ALLOWS« entwickelt, das für unterschiedliche Zu Beginn der Projektarbeiten lebten rund 5,5 Millio- Grade der Dezentralisierung technologische, aber nen Menschen in Jordanien. Heute sind es fast 10 Mil- vor allem ökonomische Indikatoren generiert. Dieses lionen – davon über 2 Millionen Flüchtlinge und davon Tool kommt jetzt auch bei Projekten anderer Länder wiederum etwa 1 Million allein aus Syrien. Auch die zum Einsatz.« Van Afferden begeistert: »Es ist einfach jordanische Bevölkerung selbst wachse stark, sagt schön, wenn man sieht, wie die Dinge schließlich in Müller, das Wasserproblem verschärfe sich dadurch der Praxis ankommen.« natürlich. »Wir haben das Projekt allerdings nicht gemacht, um vorrangig in Sachen Flüchtlingshilfe Jordanien ist inzwischen durch das Engagement des etwas zu tun«, betont Müller. Es handle sich vielmehr gesamten Expertenteams zu einem Musterbeispiel in um ein Modellbeispiel für die regionale Verbesse- Sachen dezentraler Abwasserwirtschaft avanciert. rung der Lebensbedingungen – auch und gerade in Von den geologischen und klimatischen Verhältnis- Trockengebieten. Seine Kollegin Lee ergänzt: »Wenn sen her sei es durchaus als modellhaft anzusehen, man etwas in den Flüchtlingscamps tun will, hat man sagt Roland A. Müller, weil es wie große Teile der es mit der UNO-Flüchtlingshilfe zu tun. Dort herr- arabischen Halbinsel Karstböden besitze, durch die schen ganz andere Regeln als in Jordanien selbst«. das unbehandelte Abwasser nahezu ungefiltert ins Und: Viele Flüchtlinge lebten gar nicht in den Camps, Grundwasser gelange. Auch das semiaride Klima sei sondern mittlerweile verteilt im ganzen Land, womit für die Region typisch und führte letztlich zur trauri- ein weiterer Druck auf die knappen Wasserressourcen gen Spitzenstellung des Königreichs als einem der entstanden sei. wasserärmsten Länder der Erde.
Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld: Ingenieur Man habe daher von vornherein versucht, die oberste tatsächlich so, dass bei den ersten Sitzungen manche politische Ebene in Jordanien miteinzubinden. Das wütend rausgelaufen sind. Ich habe teilweise richtig dafür verantwortliche Gremium NICE – für: National Panik geschoben!« Was aus deutscher Sicht ziemlich Implementation Committee for Effective Decentra- emotional gewirkt habe, meint die Volkswirtschaftle- lized Wastewater Management in Jordan – leistete rin heute rückblickend, sei für jordanische Verhält- hier entscheidende Pionierarbeit. Es besteht sowohl nisse völlig normal gewesen. aus jordanischen Entscheidungsträgern als auch aus Vertretern von Universitäten und Nichtregierungsor- Gab es noch andere Probleme? Mi-Yong Lee bestätigt: ganisationen. Ein Prinzip von Wolf-Michael Hirschfeld, »Teilweise herrschte in Jordanien die Haltung vor: erinnert sich Müller gerne, war für die Gründung des Da kommen irgendwelche Ausländer und wollen uns Gremiums wesentlich: »Man muss auch potenzielle erzählen, was wir machen sollen. Diesen Eindruck Kritiker an einen Tisch holen, damit man mit ihnen ins wollten wir auf alle Fälle vermeiden«. »Zum Glück«, Gespräch kommt«. sagt Lee, »war aber relativ schnell klargestellt: Ihr entscheidet, was ihr machen wollt. Wir unterstützen Überzeugungsarbeit war nötig euch mit Know-how und als neutrale Experten!« Eine Anfangs war es nicht leicht, die zuständigen Ministe- gewisse Hürde stellte auch die Tatsache dar, ergänzt rien und Behörden von der Notwendigkeit eines sol- sie, dass Abwasser und alles, was damit zu tun habe, chen Gremiums zu überzeugen. Mi-Yong Lee berich- in Jordanien kulturell als »unrein« gelte. tet: »Der Rücklauf auf das erste Einladungsschreiben des Wasserministeriums lag bei nur 30 Prozent. Wir »Neben der Technik war auch viel Know-how-Trans- haben dann alle Ministerien persönlich besucht und fer und Überzeugungsarbeit nötig«, sagt van Afferden, von der Sache überzeugt.« Schließlich kam es nach »das reicht vom Verschweißen von Dichtungsbahnen, längerer Vorbereitungszeit zum ersten gemein über die Wartung der Anlagen bis zur Vor-Ort-Analyse samen Treffen des NICE-Gremiums. Dort aber lief des Abwassers. Wenn Hauseigentümer die Belüftung es zunächst auch nicht nach Plan. Lee: »Es war einer Kläranlage abstellen, um Strom zu sparen, kann
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 23 das natürlich nicht funktionieren – hier musste man Interdisziplinäre Arbeit als Motor des Erfolges aufklären und überzeugen...« Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg des Projekts ist sicher auch in der gut funktionierenden Team Von wieder anderen Schwierigkeiten berichtet arbeit des Forschergremiums zu sehen. Lee meint Prof. Müller. »Da unser Sonntag in Jordanien auf dazu: »Meinungen gelten bei uns etwas, und man einen Werktag fällt, haben wir nicht selten am Sonn- darf sie auch bringen«. Man sei im interdisziplinär tag dienstliche Anrufe aus Jordanien erhalten. Wenn zusammen gesetzten Team durchaus nicht immer ein Staatssekretär am Sonntag anruft, muss man sich einer Meinung. Aber es werde sachbezogen und im halt darauf einlassen«, sagt der Teamsprecher, das Sinne des Projekts stets um die beste Lösung gerun- gehöre dann einfach zum Geschäft. Man müsse auch gen. damit leben, dass manche in Deutschland selbstver- ständliche Dinge in Jordanien anders funktionierten, Dieser von der Wissenschaftlerin beschriebene Team ergänzt er. Dazu gehöre, dass man Improvisation als geist ist auch während des Gesprächs in Leipzig ein wesentliches Element des Projektmanagements atmosphärisch spürbar: Hier arbeitet eine aus gleich- akzeptiere. berechtigten Mitgliedern zusammengesetzte Grup- pe mit Freude an einer gemeinsamen, großen Idee – Der Erfolg des Projekts belegt: Es scheint auch ohne Jordanien und seine Nachbarstaaten im Sinne der deutsche Gründlichkeit zu gehen. Ohne die entspre- Nachhaltigkeit zu einem besseren Ort in Sachen chende Motivation der Teammitglieder aus Leipzig Abwassermanagement zu machen. aber ginge es nicht. Woraus beziehen die Umweltfor- scherinnen und -forscher sie? Mi-Yong Lee antwortet Und wie geht es weiter? »Wir erhoffen uns ein stei- spontan: »Wir sind echt überzeugt von ‚dezentral‘!« gendes Interesse an der Umsetzung dezentra- Und Prof. Müller fügt hinzu: »Wir hatten immer das ler System lösungen im Nahen Osten«, skizziert Gefühl, dass unsere Arbeiten in der Region und von Prof. Müller zuversichtlich die künftige Entwicklung. den betroffenen Menschen gebraucht werden. Es ist Es bestehe ein großes Interesse daran, gemeinsam manchmal wichtig, dass ausgetretene Wege der Ent- mit der Politik, internationalen Investoren und Geber- scheidungsfindung verlassen werden, um neue Din- organisationen wie beispielsweise der Weltbank ge auszuprobieren und umzusetzen.« Und genau hier weitere Umsetzungen fachlich zu begleiten. »Auch hätten Wissenschaftler als »ehrliche Makler« das sehen wir national und international in der zukünfti- Mandat, unabhängige Lösungsvorschläge zu entwi- gen Gestaltung unserer Städte große Potenziale für ckeln, betont Müller. Schön zu sehen war es auch, dezentrale Infrastrukturen«, gibt der Wissenschaftler ergänzt van Afferden, welchen großen Zuspruch als übergeordneten Ausblick für weitere erfolgreiche das Bildungsprojekt »Water Fun« erhalten habe. Engagements. »Man kann den Aspekt der praktischen Bildung nicht hoch genug einschätzen. Wir haben nach dem Motto ‚Schüler von heute verändern die Welt von morgen‘ mit dem BDZ eine Unterrichtsreihe für Grundschulen in Jordanien entwickelt. Sie vermittelt mit konkre- ten Experimenten und zu geringen Kosten wichtige Aspekte rund ums Thema Wasser wie: Verbrauch, Verschmutzung, Behandlung und Wiederverwendung. Damit haben wir bisher etwa 5 000 Grundschüler in Jordanien und Palästina erreicht.«
24 DBUPreisträger Die Deutscher Umweltpreis 2018 2018 Wasser ist in Jordanien ein rares und äußerst kostbares Gut. Hier: ein vertrocknetes Flussbett
DBU Deutscher Umweltpreis 2018 25 Zur Person Zur Person Prof. Dr. Roland Arno Müller ist am 14. Juli 1963 in Jülich Dr. Mi-Yong Lee ist am 23. Dezember 1970 in Köln geboren. geboren. Der Umweltbiotechnologe leitet das Depart- Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe »Steuerung und Innova- ment Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ) am tion« im Department UBZ am UFZ. Von 2012 bis 2015 war Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. sie UFZ-Büroleiterin im jordanischen Wasserministerium in Seit 2013 ist er Honorarprofessor für Integriertes Abwas- Amman. Hierfür erhielt sie 2016 den UFZ-Wissenstransfer- ser-Ressourcen Management in der Fakultät Bauwesen preis. Lee erhielt 1997 ihr Diplom in Volkswirtschaftslehre der HTWK Leipzig. Zwischen 1984 und 1990 absolvierte an der Universität Heidelberg. Dort war sie von 1998 bis Professor Müller sein Studium der technischen Mikrobio- 2003 bei Prof. Malte Faber als wissenschaftliche Mitarbeite- logie an der Technischen Universität Braunschweig (Carolo rin tätig und promovierte 2004 bei PD Dr. Reiner Manstetten. Wilhelmina), an der er 1994 auch promovierte. Er war Grün- Von 2005 bis 2007 war sie Post-Doc-Stipendiatin der Deut- dungsmitglied des BDZ e. V. und ist heute stellvertretender schen Forschungsgemeinschaft an der Universität Tübin- Vorstandsvorsitzender. Der Umweltbiotechnologe erhielt gen. Lee hat den Ruf auf eine Professur für Nachhaltigkeit mehrere Auszeichnungen, darunter die UFZ-Preise sowohl mit ökonomischer Ausrichtung der Hochschule Bochum für Technologie- als auch für Wissenstransfer, den Hugo- angenommen und wird diese zum Sommersemester 2019 Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen- antreten. Anhalt und den IQ-Innovationspreis Mitteldeutschland. Zur Person Zur Person Dr. Manfred van Afferden ist am 1. Dezember 1960 in Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld, geboren am 24. Juni Keppeln geboren. Er leitet die Arbeitsgruppe »Dezen 1948 in Leipzig, ist Initiator und Ehrenmitglied des Bildungs- trales Abwassermanagement« und ist Stellvertreter des und Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasser Departmentleiters im UBZ. Nach seinem Studium an der behandlung BDZ e.V. in Leipzig. Hirschfeld erlangte 1971 Ruhr-Universität Bochum war er als Umweltbiotechnologe das Diplom in Verfahrenstechnik an der TH Merseburg. Laborleiter in der Deutschen Montan Technologie (DMT) in Nach der Wende war er in verschiedenen Positionen in Essen und promovierte 1991 an der Universität Bonn. Von der freien Wirtschaft tätig, gründete 1993 das »Haus der 1993 bis 1998 war er stellvertretender Geschäftsführer der Umwelt e. V.« in Leipzig und war dessen geschäftsführen- Umweltagentur GmbH in Bochum. Danach arbeitete er bis der Vorstandsvorsitzender. Im Jahr 2002 erfolgte durch 2005 als deutscher Experte am staatlichen Mexikanischen ihn die Gründung des BDZ. Hirschfeld war dort bis 2013 Wasserinstitut (IMTA). Dr. van Afferden erhielt mehrere ebenfalls geschäftsführender Vorstandsvorsitzender. Seit Auszeichnungen, darunter den Hugo-Junkers-Preis für diesem Jahr weilt Hirschfeld im Ruhestand. 2003 erhielt er Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt, den IQ- den B.A.U.M.-Umweltpreis für sein Lebenswerk im Bereich Innovationspreis Mitteldeutschland sowie die UFZ-Preise Umweltkommunikation. sowohl für Technologie- als auch für Wissenstransfer.
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