Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt

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Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Deutscher
                               Umweltpreis

DBU Deutscher Umweltpreis – Die Preisträger 2018

                 2018
  Die Preisträger
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Inhaltsverzeichnis

4     Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung
      Grußwort
5		   Rita Schwarzelühr-Sutter und Alexander Bonde

      Die Preisträger 2018
 6    Prof. Dr. Antje Boetius
18    Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee
      und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld

      DBU Deutscher Umweltpreis
34    Erfurt – liebenswerte Landeshauptstadt Thüringens
38    Deutscher Umweltpreis 2017 appelliert:
      ökologische Belastungsgrenzen der Erde nicht überstrapazieren
43    Motivation verstärkt, nachhaltig zu handeln
46    Die Verleihung des 26. Deutschen Umweltpreises
48    Das Bewerbungs- und Auswahlverfahren des Deutschen Umweltpreises

      Die Preisträger
52    Alle Preisträger im Überblick

      Das Kuratorium
70    der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

      Die Jury
71    zum Deutschen Umweltpreis 2018

      Die Vorschlagsberechtigten
72    für den Deutschen Umweltpreis 2018

74    Impressum
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Programm des Festaktes

Begrüßung       Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin
                im Bundesumweltministerium, Vorsitzende des Kuratoriums der DBU
                Anja Siegesmund, Thüringer Ministerin für Umwelt, Energie und
                Naturschutz

Festrede        Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Musik           GlasBlasSing

Preisträger     Prof. Dr. Antje Boetius, Alfred-Wegener-Institut (AWI)

                Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden,
                Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld,
                Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie
                Bildungs- und Demonstrationszentrum Dezentrale Infrastruktur (BDZ)

Preisübergabe   Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Schlusswort     Alexander Bonde, Generalsekretär der DBU

Moderation      Judith Rakers

Empfang         im Foyer der Messe Erfurt

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Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2018 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) achtet bei der Verleihung des DBU Deutschen Umweltprei-
ses auf eine umweltverträgliche Durchführung und wählt die Veranstaltungsorte nach Umwelt- und
Nachhaltigkeitskriterien aus. Der von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt herausgege-
bene Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen dient dabei als Grundlage.

Beispielhafte Maßnahmen:

  Die Messe Erfurt GmbH wird seit 2014 erfolgreich mit dem Umwelt-Siegel »Green Globe«
  (re-)zertifiziert. Unter den Umweltzertifikaten ist »Green Globe« ein internationales, weltweit aner-
  kanntes Nachhaltigkeitszertifikat der Veranstaltungs- und Tourismusbranche. Der stetige Fortschritt
  im Nachhaltigkeitsmanagement des Unternehmens ist mit mehr als 300 anspruchsvollen Kriterien
  aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft durch die jährliche Re-Zertifizierung nach-
  zuweisen und umfasst zum Beispiel nachhaltige Einkaufsrichtlinien ebenso wie ein Abfallmanage-
  mentsystem oder den Einsatz von Ökostrom und leistungsfähiger, langlebiger und energiesparender
  Veranstaltungstechnik.
  Catering: Bei den verwendeten Speisen und Getränken wird auf regionalen und saisonalen Bezug,
  fairen Handel sowie ökologischen Anbau geachtet.
  Die Hallendächer bieten eine weitere Besonderheit: Als erstes Veranstaltungshaus in Deutschland
  hat die Messe Erfurt GmbH auf ihren Messedächern mehrere Bienenvölker angesiedelt, die Honig aus
  Blütennektar der Region produzieren.
  Umweltfreundliche Mobilität: Die DBU bietet ihren Gästen ein kostengünstiges Veranstaltungsticket
  für die An- und Abreise an (s. www.dbu.de/bahn).
  Ressourcenschutz: Das komplette Bühnenbild besteht aus wiederverwertbaren Materialien inkl.
  der DBU-eigenen Teppichfliesen, sodass Abfälle weitestgehend vermieden werden können. Zudem
  kommt eine energiesparende LED-Wand zum Einsatz.
  Die Messe Erfurt GmbH und ihre Serviceunternehmen schulen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit und für ein soziales Miteinander.

Weitere Infos unter www.dbu.de/umweltpreis

Näheres zum Veranstaltungsticket unter             Die Festveranstaltung zum Deutschen Umweltpreis
www.dbu.de/bahn                                    erfolgt in Kooperation mit
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DBU Deutscher Umweltpreis 2018   5

                                                         Wolf-Michael Hirschfeld, Initiator des Bildungs- und
                                                         Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasser-
                                                         behandlung (BDZ), haben durch ihr Engagement die
                                                         Nutzung der Ressource Wasser in Jordanien auf ein
                                                         neues nachhaltiges Fundament gestellt. Mit ihrer
                                                         Lösung der dezentralen Abwassersysteme, die fle-
Grußwort                                                 xibel angepasst werden können und bestehende
                                                         Systeme ergänzen, wird das Abwasser direkt am
Der Schutz von Klima, Wasser, Luft und Artenvielfalt     Entstehungsort behandelt und kann zum Bewäs-
zählt seit jeher zu den herausragenden Aufgaben der      sern landwirtschaftlicher Flächen genutzt werden.
Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Unsere            Bemerkenswerter Weise gelang dies mit Jordanien
diesjährigen Umweltpreisträgerinnen und -preis­          in einem der wasserärmsten Länder der Erde, das
träger haben zwei wichtige Aspekte des Themas            zudem aktuell unter hohem Migrationsdruck steht.
Wasser in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten gestellt: die
Bedeutung der Ozeane als faszinierender Lebens-          Wir freuen uns außerordentlich, dass Bundes­
raum und Klimaregulator unseres Planeten sowie die       präsident Frank-Walter Steinmeier auch in diesem
Nutzung und Wiederaufbereitung des Elements Was-         Jahr den Deutschen Umweltpreis, Europas höchst­
ser in Form der dezentralen Abwasserbehandlung.          dotierte Umweltauszeichnung, an die Preisträge­
                                                         rinnen und Preisträger übergeben wird.
Prof. Dr. Antje Boetius, Tiefsee- und Polarforscherin
und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts Helm-        Bei der Auswahl der Veranstaltungsorte setzt die
holtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in          DBU bewusst und gezielt auf Einrichtungen, die den
Bremerhaven, zeichnet sich durch ihr außerordent-        Leitfaden des Bundesumweltministeriums sowie
liches Engagement für das fachübergreifende Ver-         des Umweltbundesamtes zu »Green Meetings«
ständnis systemischer Prozesse in den Weltmeeren         weitgehend erfüllen. Als solches gilt das klima­
aus. Zudem vermittelt sie die komplexen Zusammen-        neutrale und umweltzertifizierte Veranstaltungs-
hänge verständlich an breite Zielgruppen. Durch ihre     haus der Messe Erfurt, wo die 26. Verleihung des
Forschung hat Prof. Dr. Boetius die Bedeutung von        Deutschen Umweltpreises stattfinden wird.
Tiefsee-Bakterien für das Weltklima belegt. Methan
wirkt als Treibhausgas 25-mal stärker als Kohlen-        Erfurt als Schauplatz der diesjährigen Umweltpreis-
dioxid. Die Bakterien sorgen dafür, dass nur ein Teil    verleihung ist die vielseitige und lebendige Haupt-
davon aus den Ozeanen in die Atmosphäre entweicht,       stadt des Bundeslandes Thüringen. Hier liegen 9 von
und verhindern so ein schnelleres Aufheizen der          insgesamt 71 Flächen der DBU Naturerbe GmbH und
Erde.                                                    laden naturinteressierte Besucherinnen und Besu-
                                                         cher beispielsweise im Pöllwitzer Wald zum Ken-
Das interdisziplinäre Abwasser-Expertenteam aus          nenlernen einer vielgestaltigen Moorlandschaft ein.
Leipzig mit Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred
van Afferden und Dr. Mi-Yong Lee vom Helmholtz-          Wir heißen Sie in Erfurt herzlich willkommen und
Zentrum für Umweltforschung, Department Umwelt-          freuen uns auf eine informative und inspirierende
und Biotechnologisches Zentrum, sowie Dipl.-Ing.         Festveranstaltung.

Rita Schwarzelühr-Sutter,                                Alexander Bonde,
Parlamentarische Staatssekretärin                        Generalsekretär der DBU
Vorsitzende des Kuratoriums der DBU
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Die Preisträger 2018
6      Die Preisträger 2018

                                                                                                             Prof. Dr. Antje Boetius

                                                                                                      Alfred-Wegener-Institut (AWI)

                                                              Es geht darum, das Paradies zu erhalten –
                                                                             Antje Boetius: ein Portrait
                    Ozeane, Vielfalt und das große Ganze sind ihre Themen: Mit unterschiedlichen Schwerpunkten erforscht sie
                    die Biodiversität der Tiefsee, betreibt Wissenschaftskommunikation und initiiert Projekte im Grenzgebiet von
                    Wissenschaft, Kunst und Kultur. Prof. Dr. Antje Boetius, Deutschlands wohl bekannteste Meeresforscherin, ist auf
                    vielen Aktionsfeldern zu Hause – und betreibt sie mit einer Verve, die von großer, ansteckender Begeisterung und
                    einer ganzheitlichen Sicht auf die Dinge getragen ist.

    In ihrer neuen Rolle als Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI)
    fühlt sich Prof. Dr. Antje Boetius sichtlich wohl.
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Die Wissenschaftlerin wurde bereits mit zahlreichen Preisen
ausgezeichnet – zuletzt im Juli 2018 mit dem »Communicator-
Preis« der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des
Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (hier bei ihrem
Festvortrag).

Wie wird eine hochdekorierte, weltweit anerkannte               Sie sagt, wie die Dinge liegen
Tiefsee-Forscherin aufgelegt sein, die für ein Inter-           Das war nicht immer so. »Im wissenschaftlichen
view mit der DBU wertvolle Stunden ihres Urlaubs                Werde­gang wurde ich zunächst dazu erzogen, Neu-
opfert? Zurückhaltend, am Ende etwas schlecht                   tralität zu wahren und auf keinen Fall politische oder
gelaunt? Vom ersten Moment der Begegnung wird                   emotionale Aussagen zu machen«, erinnert sich
klar: Antje Boetius ist bestens aufgelegt und sie               Boetius. Erst relativ spät in ihrem Forscherleben
brennt für »ihre« Tiefsee. Gerade von einem U-Boot-             änderte sich das. »Als 2010 dieser gigantische Unfall
Tauchgang vor den Azoren zurückgekehrt, erzählt                 im Golf von Mexiko mit der Bohrplattform Deep Water
sie: »Wir haben dort unten das Licht ausgemacht und             Horizon passierte, habe ich eine große Wut bekom-
saßen dann im gleißenden Funkeln von tausenden                  men.« Das ausströmende Öl führte zur schwersten
von Würmern und geleeartigen Lebewesen. So viele                Umwelt­  katastrophe dieser Art in der Geschichte.
Lichtblitze gab es da wie Blätter an diesem Baum –              Damals merkte die Wissenschaftlerin, dass ihre kri-
total faszinierend!«                                            tischen, auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden
                                                                Statements gut ankamen. »Inzwischen sage ich, wie
Die Meeresbiologin berichtet so anschaulich und                 die Dinge liegen und mache sehr viel direkte Kommu-
packend von ihren Erlebnissen in 1 000 Meter                    nikation«, ergänzt die Forscherin, »weil ich merke,
Meeres­tiefe, dass man sofort versteht, warum sie               dass ich damit etwas bewirken kann – immerhin
erst vor kurzem den »Communicator-Preis« für ver-               einen Dialog mit vielen verschiedenen Menschen
ständliche Vermittlung ihrer Forschung erhalten hat.            über Wirkungen unseres Handelns und Entscheidun-
Wie kaum eine andere Wissenschaftlerin spielt sie so            gen in Bezug auf die Umwelt.«
virtuos auf der Klaviatur der Wissenschaftskommuni-
kation als sei sie nichts anderes als Forschungsarbeit
mit anderen Mitteln.
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In verschiedenen TV-Formaten ist die Tiefseeforscherin inzwischen ein gern gesehener
Gast: Hier im Gespräch mit »Wetterfrosch« Karsten Schwanke.

                       Mittlerweile ist Antje Boetius gern gesehener Gast in           genwärtig am meisten diskutierten Bedrohungen des
                       vielen TV-Talkshows, hält Vorträge bei ARD-alpha, ist           Meeres wie Plastikmüll, Klimawandel, Tiefseeberg-
                       im Hörfunk, durch Podcasts oder bei youtube präsent             bau oder Überfischung für gleicher­maßen bedeutsam
                       und arbeitet in der Kommunikation besonders gern                und gefährlich, differenziert dann aber: »Bei der Be-
                       mit Kindern. Anfangs sei sie unsicher gewesen, ob               völkerung kommt der Klimawandel momentan nicht
                       ihr das als Wissenschaftlerin nicht negativ ausgelegt           so stark und dramatisch an wie das Thema Plastik-
                       würde. Aber im Gegenteil, ihre Erfahrungen zeigten:             müll. Wir sollten aber gegen einen falschen Reduktio-
                       »Dieses Engagement wird wertgeschätzt und erntet                nismus kämpfen«, betont Boetius. Für sie als langfris-
                       viel Zuspruch.«                                                 tig denkende Wissenschaftlerin sei der Klimawandel
                                                                                       die Bedrohung »Nummer eins«. Es gebe im Ozean de-
                       Ozean ohne Wale                                                 finitiv keine Region mehr, die nicht vom Klimawan-
                       Wahrscheinlich ist das so, weil sie ausgesprochen               del betroffen sei. Der Klimawandel verändere auch
                       authentisch wirkt. Zum Beispiel auf die Frage, was              die Algen und Mikroorganismen, die die oberen Zo-
                       den Wert des Ozeans für sie ausmacht. »Ich habe ei-             nen des Meeres produktiv machen. Nach dem Herab-
                       nen durchaus romantischen Anspruch ans Meer. Es                 sinken bildeten genau jene Organismen die Nahrung
                       geht darum, das Paradies zu erhalten.« Ein Paradies             der Tiefseefauna. Das bedeute: Alles, was sich oben
                       voller Lebensvielfalt, in dem keine Menschen leben,             verändere, habe eine direkte Wirkung auf die ferns-
                       das aber leider schon viele menschliche Eingriffe hat           ten Tiefseetiere. »Das ist ein wichtiges Ergebnis der
                       hinnehmen müssen. »Bei der Fischerei, die ich für die           Erdsystemforschung: Der Klimawandel allein bedeu-
                       Kraft halte, die den Ozean schon am meisten verän-              tet schon, dass wir ein Konzept ‚unberührte Natur‘ für
                       dert hat, ist es so, dass wir uns schon an einen Zu-            künftige Generationen gar nicht mehr anbieten kön-
                       stand gewöhnt haben: einen Ozean ohne Wale und mit              nen«, erläutert die Wissenschaftlerin.
                       immer weniger Fischen und Korallen«, konstatiert
                       die Meeresexpertin ernst. Tatsächlich hält sie die ge-
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Dramatische Entwicklung in der Arktis                   Tiefsee umgepflügt, um die Wirkung zu testen. Auch
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Lässt          nach 26 Jahren haben wir dort keine Heilung fest-
sich der menschengemachte Treibhauseffekt noch          gestellt.« Mit anderen Worten: Sollte die Tiefsee tat-
stoppen oder wenigstens eindämmen? Boetius‘ Ant-        sächlich industriell ausgebeutet werden, um Metalle
wort darauf kommt spontan: »Ja, das halte ich für       zu gewinnen, bedeute das lokal eine langfristige
möglich. Man kann das Optimismus nennen, aber           Zerstörung des Lebensraums am Meeresboden mit
im Grund ist es ein zutiefst verankerter Glauben        all seinen bislang unbekannten Lebensformen. Ein
an die Vernunft des Menschen und an das politisch       Manganknollen wachse sehr langsam und sei häu-
gute Handeln.« Nach einer kurzen Pause ergänzt          fig mehrere Millionen Jahre alt, erklärt die Forsche-
sie allerdings: »Was für uns in den mittleren Breiten   rin. Tiefseebergbau könne daher keine nachhaltige
das 1,5-Gradziel ist, haben die Polarsysteme dabei      Lösung für unseren Bedarf an seltenen Metallen sein,
längst hinter sich gelassen«. Besonders die Arktis      ist sich Boetius sicher.
als Ganzes sei schon weit jenseits dessen, was wir
uns als globales Ziel gesteckt hätten. Die globalen     Dass strenge Regeln zur richtigen Zeit Lösungen für
Klimaziele müssen daher auch mit den regional oft       Umweltbelastungen bringen, ist der Tiefseeforsche-
extremen Wirkungen verknüpft werden, ergänzt die        rin schon deshalb klar, weil sie in den 1970er Jahren
Meeresbiologin. »Wenn man in der Polarregion sieht,     groß geworden ist – einer Zeit, die von Umweltzerstö-
wie die Gletscher und das Meereis schwinden, kann       rung wie Ozonloch, verpesteter Luft und verdreckten
man wirklich das Wort ‚dramatisch‘ verwenden«, sagt     Flüssen geprägt war. »Ich erinnere mich noch sehr
Boetius. Selbst pessimistische Wissenschaftler hät-     gut daran, wie ich mit meinen Geschwistern über
ten vor 20 Jahren nicht gewagt, eine solch extreme      den Nordseestrand gelaufen bin und dann voll Teer­
Entwicklung vorherzusagen. »Die Polarsysteme sind       flecken war.« Resümierend meint sie: »Da stehen wir
wie eine Art Fühler und Warnsignal für den Zustand      doch heute schon viel besser da! Zur rechten Zeit ist
der Erde. Da sind wir tatsächlich weit jenseits vom     Wissen und politisches Handeln zusammen gekom-
1,5-Grad-Ziel, und ich befürchte, dass es schwer bis    men, heute schwimmen wir wieder in unseren Flüs-
unmöglich sein wird, in der Arktis noch den Zustand     sen. Nun müssen wir das Problem des Klimawandels
zu halten, den wir kennen. Das wird nicht nur das       angehen.«
Leben dort betreffen, sondern uns auch ganz andere
Wetterlagen bescheren. Da bin ich dann doch eher        Methan verarbeitende Archaeen und Bakterien
pessimistisch«.                                         Mit dem Kerngebiet ihrer Forschung hat die umtrie-
                                                        bige Wissenschaftlerin viel zum Verständnis der kom-
Auch zum Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee, dem       plexen klimatischen Zusammenhänge auf unserem
sogenannten »Deep sea mining«, hat sie eine klare       Planeten beigetragen. Die von ihr erstmals entdeckte,
Haltung. »Wir brauchen es noch lange nicht, weil        global verbreitete Symbiose aus Archaeen (Urbakte-
wir die Möglichkeiten des Teilerecyclings und der       rien) und Bakterien in der Tiefsee, die vom starken
Wiederverwertung zum Schließen des vollständigen        Treibhausgas Methan leben, hat eine wichtige Funk-
Wertkreislaufs von Metallen an Land ingenieurtech-      tion im natürlichen Kohlenstoffkreislauf. Ohne diese
nisch noch längst nicht ausgeschöpft haben.«            Mikroorganismen wäre das Erdklima ganz anders.
                                                        Selbstkritisch betont sie: »Ist das nicht verrückt? Ein
Schon als Studentin hat Antje Boetius an Projekten      zentraler Prozess im Erdsystem, und wir haben die
mitgearbeitet, die sich mit der Frage beschäftigten,    Vorgänge bis heute nicht vollständig entschlüsselt.«
ob sich der Meeresboden von Eingriffen erholen          Und natürlich wäre sie gern hautnah dabei, wenn dies
kann, bei denen sogenannte Manganknollen geern-         einmal gelingen sollte. Mittlerweile wird weltweit
tet werden, die Spuren wertvoller Metalle enthal-       Forschung an den Erdgas verbrauchenden Mikro­
ten. Heute weiß sie: »Es wurde ein Quadratkilometer     organismen durchgeführt, und Antje Boetius hat sich
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10    Die Preisträger 2018

                                           zunehmend neuen Forschungsfragen gewidmet. Die
                                           Fähigkeit, loslassen und sich anderen Themen öffnen
                                           zu können, hat die Forscherin tatsächlich mehrfach
                                           in ihrer Biografie unter Beweis gestellt. »So etwa alle
                                           fünf bis sieben Jahre muss ich wieder was Neues
                                           anfangen, weil es mir wichtig scheint und Freude
                                           macht, das große Ganze zu sehen«, unterstreicht sie.

                                           Vermutlich rührt das auch daher, dass sie auf ihren
                                           annähernd 50 mehrmonatigen Meeresexpeditio-
                                           nen rund um die Welt mit immer neuen spannen-
                                           den Phäno­menen in Berührung kommt. Über eine
                                           ihrer Expeditionen in die Arktis zur Erforschung
                                           des Gakkel­ rückens, eines untermeerischen Gebir-
                                           ges nördlich von Grönland, sagt sie beispielsweise:
                                           »Damit bin ich nochmal so richtig abgetaucht in diese
                                           Welt des Unbekannten«.

                                           Schlichtere Gemüter mag diese Vielzahl an Eindrü-
                                           cken vielleicht verwirren. Antje Boetius hingegen sieht
                                           in ihnen eine schier unendliche Inspirationsquelle für
                                           neue Projekte und Forschungsideen, die sich letztlich
                                           aus einer »unersättlichen Grundneugierde« speisen.
                                           Die habe sie schon als Kind ausgezeichnet und sie
                                           sei bis heute »nicht weggegangen – auch Menschen
                                           gegenüber«, äußert sie in ihrer mitreißenden Art.

                                           Neugierde ist die eine, Unwissen die andere Trieb-
                                           feder ihres Forschungswillens. Die Meeresbiologin
                                           sagt: »Mich fasziniert, dass wir noch immer so viel
                                           nicht wissen.« Ideen zu neuen Forschungsprojekten
                                           sprudeln nur so aus ihr heraus: »Wenn es um die
                                           Vielfalt des Lebens in der Tiefsee geht, scheint die
                                           Antarktis alles zu toppen.« Warum das so ist, weiß
                                           man nicht«. Antje Boetius treibt daher die Frage um:
                                           Trifft das nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Mik-
                                           roben zu? Liegt es vielleicht daran, dass die Antarktis
                                           der Lebensraum ist, der am längsten gleichförmig
                                           war – länger noch als der Pazifik? Außerdem interes-
                                           siere sie brennend, im Südpazifik eine Kartierung zu
                                           machen, fernab jedweder Zivilisation, Tiefseeberge
                                           und Inseln zu vermessen wie die alten Seefahrer
In den vergangenen Jahren führten sie
                                           einst, nur mit modernster Ausrüstung und Technik.
Expeditionen häufig in die Arktisregion.
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Die Arbeit im Labor ist Antje Boetius ebenso vertraut wie die
Feldforschung.

Neue Aufgaben als Direktorin                                    Fakt aber ist auch, dass Boetius ihr Engagement in der
In ihrer neuen Funktion als Direktorin des Alfred-              Wissenschaftskommunikation, wo sie beispielsweise
Wegener-Instituts (AWI) aber gibt es viele neue Ar-             in vorderster Front bei »Wissenschaft im Dialog« ak-
beitsschwerpunkte. Als Wissenschaftsmanagerin                   tiv ist, keineswegs zurückfahren will. Ebenso wenig
wird sie mit der Einwerbung, Koordination und Über-             wie ihren Einsatz im Grenzbereich von Wissenschaft,
wachung von Projekten zu tun haben, die andere                  Kunst und Kultur, den sie für ein unterschätztes Feld
durchführen. Deshalb ergänzt sie: »Wie viel Zeit ich            hält. Gerne veranstaltet sie zum Beispiel Lesungen
für Expeditionen und eigene Forschungsprojekte ha-              mit Schauspielern und Musikern oder engagiert sich
ben werde, weiß ich noch nicht, denn: Vorstand eines            beim neuen Filmfestival »Silbersalz – future science
Helmholtz-Zentrums zu sein, füllt einen schon ganz              media« in Halle an der Saale.
und gar aus« – und: »Der mutigste Neuanfang in mei-
nem bisherigen Leben war, jetzt Institutsdirektorin zu          Bleibt die Frage, woher sie die Kraft nimmt, all dies zu
werden.«                                                        leisten. Antje Boetius bleibt auch hier keine Antwort
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Viele Jahre ihres Lebens hat die in Bremen lebende Meeresbiologin auf Forschungs-
schiffen verbracht.

                       schuldig. Zum einen habe sie die mütterliche Linie ge-       Freuen, Lachen oder um Sorgen und Nöte mit auf­
                       netisch mit »dicken, fetten Akkus« ausgestattet. Au-         zufangen.
                       ßerdem liebe sie Reisen, Musik, Essen und erfreue
                       sich eines tollen Netzwerks aus Freunden weltweit.           Von Elternseite hat sie übrigens auch ihr Interesse
                       »Wenn ich einen Abend in eine andere Welt eintrete           an philosophisch/ethischen Fragen mitbekommen.
                       und mich gut unterhalte, bin ich am nächsten Morgen          Beide Eltern haben in Frankfurt Germanistik studiert,
                       wieder frisch«, erklärt sie. Dann ist da auch noch der       der Vater war Schüler von Theodor W. Adorno und ist
                       Familienmensch Antje Boetius: Mit Mutter, Geschwis-          heute ein angesehener Schriftsteller. Schon als Kind
                       tern und Lebensgefährte sei immer jemand da – zum            war sie Leseratte und hat Bücher meterweise ver-
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                                                         Zur Person

                                                         Prof. Dr. Antje Boetius ist am 5. März 1967 in Frankfurt/Main
                                                         geboren. Seit November 2017 ist sie Direktorin am Alfred-
                                                         Wegener-Institut (AWI) – Helmholtz-Zentrum für Polar- und
                                                         Meeresforschung in Bremerhaven. Bereits seit Ende 2008 lei-
                                                         tet sie die Helmholtz-Max-Planck-Brückengruppe für Tiefsee­
                                                         ökologie und -technologie am AWI. Außerdem ist sie Professo-
                                                         rin für Geo­mikrobiologie im Fachbereich Geowissenschaften
                                                         der Uni­versität Bremen und Vizedirektorin des MARUM (Center
                                                         of Marine and Environmental Sciences) der Universität Bre-
                                                         men. Seit Mai 2010 ist die Meeresbiologin zudem als externes
                                                         wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft tätig.
                                                         Antje Boetius wirkt ferner in zahlreichen namhaften Gremien
                                                         mit. So ist sie seit 2015 Vorsitzende des Lenkungsausschus-
                                                         ses der Initiative »Wissenschaft im Dialog« und sitzt im Senat
                                                         der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Leibniz-
                                                         Gemeinschaft. Darüber hinaus wurde sie zum Mitglied der
                                                         Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Aka-
                                                         demie der Wissenschaften und Literatur Mainz und des Wissen-
                                                         schaftsrates Deutschlands gewählt.

schlungen. So erklärt sich wohl auch ihre ganzheit-      In den vergangenen Jahren wurde die Meeresforscherin
liche Weltsicht, die sie anlässlich der Verleihung des   bereits mehrfach ausgezeichnet. So erhielt sie unter anderem
Communicator-Preises wie folgt formulierte: »Mir ist     2009 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen For-
wichtig, dass wir verstehen, dass das Wissen, For-       schungsgemeinschaft, 2011 den Advanced Grant des Europäi-
schen und Entdecken ein Teil der Frage ist: Wer sind     schen Forschungsrates, 2017 die Copernicus-Medaille und die
wir Menschen, wo wollen wir hin, wie wollen wir in       Karl-Friedrich-Gauß-Medaille der Braunschweigischen Wissen-
Zukunft mit der Erde und den Meeren leben.«              schaftlichen Gesellschaft sowie in diesem Jahr den Communi-
                                                         cator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des
                                                         Stifterverbandes.
Die Preisträger 2014

14   Die Preisträger 2018

                                                      Forscherin und Wissenschaftsmanagerin

                      Leitthema der Forschungsarbeiten von Prof. Dr.           Meeres­boden zwei Drittel der Erde ausmacht und
                      Antje Boetius war und ist die Rolle des Meeresbo-        seine Artenvielfalt die an Land bei weitem übertrifft.
                      dens und seiner Bewohner im Ökosystem Tiefsee so-        Den vorläufigen Höhepunkt ihrer beruflichen Karrie-
                      wie die damit verbundenen Rückwirkungen auf Kli-         re markiert die Position als Direktorin am berühmten
                      maentwicklung und Biodiversität unseres Planeten.        Alfred-Wegener-Institut (AWI), die sie seit Ende 2017
                      Ein gigantisches Thema, wenn man weiß, dass der          bekleidet.

                      Schon als Kind ist Antje Boetius vom Ozean fasziniert.   Zurück nach Deutschland
                      Sie verschlingt Abenteurerromane wie Die Schatzin-       Schnell ist klar, dass sie auch promovieren will.
                      sel und will Piratin werden. Die Liebe zum Meer hat      Inhaltlich soll es weiter um den Meeresboden gehen.
                      sie von ihrem Großvater, der Anfang der 1930er Jahre     Wo aber soll ihre Doktorarbeit entstehen? Der Surf-
                      in der Antarktis als Walfänger unterwegs war. So         strand in San Diego und die einmalige Forschungs­
                      verwundert es nicht, dass sie 1986 direkt nach dem       atmosphäre an den US-amerikanischen Instituten
                      Abitur von Süddeutschland nach Hamburg geht, um          üben einen großen Reiz auf sie aus. Boetius aber ent-
                      dort Meeresbiologie zu studieren. Schon im Grund-        scheidet sich für Deutschland. Das Alfred-Wegener-
                      studium macht sie ihre erste kleine Schiffsreise, die    Institut (AWI) in Bremerhaven galt schon damals als
                      sie endgültig davon überzeugt: Sie gehört auf ein        erste Adresse für Tiefsee-Mikrobiologie.
                      Forschungsschiff. Im Hauptstudium ab 1989 kann sie
                      sich endlich auf die Meeresforschung konzentrieren.      Für ihre Doktorarbeit ist Antje Boetius 1993 erstmals
                      Unter anderem besucht sie die Tiefsee-Vorlesung von      mit dem deutschen Forschungsschiff »Polarstern«
                      Prof. Dr. Hjalmar Thiel.                                 unterwegs. In der Laptewsee nördlich von Sibirien
                                                                               nimmt sie Proben aus der eisbedeckten Tiefsee und
                      Der bekannte Tiefseeforscher erkennt ihr Talent und      untersucht, wie Bakterien am Meeresboden auf Nah-
                      empfiehlt ihr, sich für ein Austauschprogramm am         rungsmangel reagieren. Heute sind diese Daten inso-
                      renommierten Scripps-Institut für Ozeanografie in        fern von unschätzbarem Wert, als sie für die inzwi-
                      den USA zu bewerben. Boetius erhält den Platz in San     schen eisfreie Region als Referenzwert dienen, will
                      Diego und arbeitet von 1989 bis 1990 an einem der        man die Frage beantworten, wie arktische Bakterien-
                      bekanntesten Meeresforschungsinstitute der Welt          gemeinschaften auf den Klimawandel reagieren.
                      als Laborassistentin – noch bevor sie das Diplom
                      in der Tasche hat. Die Diplomarbeit folgt kurze Zeit     Als Postdoc geht Antje Boetius zunächst an das Ins-
                      später; darin fasst sie die Ergebnisse von mehreren      titut für Ostseeforschung in Warnemünde. Mehrere
                      Forschungsfahrten und Meeres-Expeditionen zusam-         Forschungsexpeditionen auf den Forschungsschif-
                      men.                                                     fen »Sonne« und »Meteor« in den Indischen Ozean
                                                                               und das Arabische Meer fallen in diese Zeit Mitte der
                                                                               1990er Jahre.
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Als Forscherin war Antje Boetius schon auf fast allen Weltmee-
ren im Einsatz: Damit ihr möglichst viele Daten ins Netz gehen,
bedarf es einer akribischen Expeditionsvorbereitung.

Damals kommen auch neue molekularbiologische                      Niemand weiß zum damaligen Zeitpunkt, wovon sich
Techniken auf, mit denen die Verwandtschaftsver-                  die reichhaltige Tierwelt aus Würmern, Muscheln und
hältnisse von Bakterien aus deren Erbgut abgeleitet               unbekannten Bakterien ernährt, die dort lebt. Denn
werden können. Auch die Meeresbiologen nutzen                     bislang ist kein Organismus bekannt, der Methan
diese Methoden, um die Vielfalt der Tiefsee-Mikroor-              abbauen und daraus Energie gewinnen kann. Es gibt
ganismen, deren Verteilung und Aktivität zu bestim-               allerdings die Vermutung, dass Organismen aus dem
men. Boetius wechselt deshalb 1999 ans Bremer                     Reich der Archaeen (Urbakterien) Methan nutzen
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, um                  könnten.
diese neuen Techniken besser kennen und anwenden
zu lernen.                                                        Anlässlich einer Expedition des Instituts GEOMAR
                                                                  mit dem Forschungsschiff »Sonne« im Jahr 2000
Forschungsinteresse: Gashydrat                                    zu einem großen Hydratvorkommen im nordöstli-
Etwa um dieselbe Zeit geraten die großen Methanvor-               chen Pazifik nimmt Antje Boetius verschiedene Sedi-
kommen der Ozeane mehr und mehr ins Forschungs-                   mentproben genauer unter die Lupe. Sie stellt dabei
interesse der Meeresbiologen. Methanhydrat, auch                  erstaunt fest, dass immer zwei Zelltypen aneinander
Gashydrat genannt, ist eine feste, eisähnliche Ver-               festgewachsen scheinen: Bakterien, die Schwefel­
bindung zwischen Meerwasser und Methan, die sich                  verbindungen verarbeiten, und Mikroben aus dem
in großer Tiefe bei niedrigen Temperaturen bildet.                Reich der Archaeen. Sollte es sich also um eine
Die Preisträger 2018

Expeditionen mit dem Forschungs-U-Boot gehören zu
den Lieblingsbeschäftigungen der Tiefseeforscherin.

                       Kooperation zwischen beiden handeln? Die Hypo-            Und jahrzehntelang galt es als großes Rätsel der
                       these, die sich bestätigen ließ, lautete: Das Methan im   Meeres­ forschung, wie und warum das Methan im
                       Meeresboden wird von beiden Organismen gemein-            Ozean gebunden bleibt und damit ein noch rasante-
                       sam genutzt. Die Bakterien verschaffen den Archaeen       res Ansteigen des menschengemachten Treibhaus­
                       die richtigen energetischen Bedingungen für die           effekts verhindert.
                       Methanatmung und profitieren im Gegenzug von
                       deren Abbau­produkten. Symbiosen dieser Art sind          Internationaler Durchbruch
                       im Tier- und Pflanzen­reich zwar keine Ausnahme.          Noch als Postdoktorandin kann die Meeresbiologin
                       Für die Nutzung von Methan durch Mikroorganismen          am Max-Planck-Institut ein großes Projekt zur Erfor-
                       unter sauerstofffreien Bedingungen aber waren sie         schung der Mikrobenwelt auf Hydraten starten, das
                       komplettes Neuland und eine wissenschaftliche Sen-        vom Bundesforschungsministerium gefördert wird.
                       sation.                                                   An ihm beteiligen sich alle Abteilungen des Bremer
                                                                                 Instituts. Weitere Projekte und eine Veröffentlichung
                       Die dazugehörige Veröffentlichung im angesehe-            in »Science« folgen. Damit gelingt Antje Boetius der
                       nen Fachmagazin »Nature« noch aus demselben               internationale wissenschaftliche Durchbruch, noch
                       Jahr gehört bis heute zu den meistzitierten Arbeiten      bevor sie eine Professur innehat. Die folgt im Jahr
                       von Antje Boetius. Das überrascht nicht, wenn man         2001, als sie an der Vorgängerin der Jacobs Uni­versity
                       weiß, dass Methan zu den stärksten Treibhaus­gasen        (damals International University Bremen) Professorin
                       zählt. Es gibt riesige Vorkommen davon im Meer.           wird. 2008 baut Boetius die Brückengruppe zwischen
DBU Deutscher Umweltpreis 2018   17

dem Max-Planck-Institut und dem Alfred-Wegener-           2014 folgte die nächste Arktis-Expedition zu einem
Institut auf und erhält 2009 eine Professur für Geo-      ganz anderen Thema. Diesmal war die Forscherin mit
mikrobiologie an der Universität Bremen. Neben Pro-       einem Team unterwegs, um den Gakkelrücken nörd-
jekten zur Erforschung extremer Lebensräume in der        lich von Grönland zu erkunden. Hier wurden an ei-
Tiefsee und der Funktion des Methanabbaus treten          nem Seeberg heiße Quellen und besondere Lebens-
nun wichtige Fragen der Vorsorgeforschung. Wann           gemeinschaften vermutet – vier Kilometer unter dem
erholt sich der Meeresboden nach der Entnahme von         Eis. Seit Jahren gab es Hinweise auf starken Hitze-
Manganknollen? Wie reagieren mikrobielle Ökosys-          ausstoß und Rauchfahnen im Meer, aber keine Bil-
teme auf Sauerstoffmangel oder Überdüngung? Was           der von diesem Ereignis. Diese gelangen dem Team
geschieht, wenn das Meer versauert??                      um Antje Boetius am letzten Tag der Expedition. Mit
                                                          Hilfe von Unterwasserrobotern entstanden Aufnah-
Seit 2004 ist die Bremer Wissenschaftlerin zudem          men von sogenannten Schwarzen Rauchern, kleinen
regelmäßig als Fahrtleiterin auf Forschungsschiffen       Schloten, die von fremdartigen Gärten aus weißen
unterwegs. Sie koordiniert die wissenschaftlichen         Glasschwämmen umgeben sind. Einzigartige Bilder
Aufgaben an Bord und stimmt die Forschungsarbeit          und Beobachtungen, deren wissenschaftliche Veröf-
mit dem Kapitän und der Mannschaft ab. In dieser          fentlichung noch aussteht.
Funktion ist sie von früh bis spät im Einsatz, denn die
Expeditionen sind teuer, und das Schiff arbeitet rund     Direktorin am AWI
um die Uhr. Bei ihren mittlerweile fast 50 Forschungs-    Seit November 2017 ist Antje Boetius nun Direkto-
reisen hat Antje Boetius viele Jahre ihres Lebens an      rin des AWI in Bremerhaven, einer der renommier-
Bord von Forschungsschiffen verbracht und war auf         testen Meeresforschungseinrichtungen der Welt. Der
nahezu allen Weltmeeren unterwegs.                        vorläufige Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere. Ihr
                                                          neues Betätigungsfeld als Wissenschaftsmanagerin
Polarregion im Fokus                                      verlagert sich damit vom Meeresboden zum Schreib-
In den vergangenen Jahren konzentrierte sich ihr For-     und Verhandlungstisch in Büros und Konferenzsälen.
schungsinteresse jedoch vor allem auf die arktische       Nach eigenem Bekunden hat ihr das erste Jahr am
Region. Als sie 2012 dort war, schmolz das arktische      AWI viel Spaß gemacht. Und sie wäre nicht die um-
Meereis stärker, als Forscher es je zuvor beobach-        triebige Wissenschaftlerin vergangener Tage, hätte
tet hatten. Meeresalgen konnten unter diesen Bedin-       sie nicht auch für ihren neuen Job viele interessante
gungen besonders gut wachsen, bildeten tangartige,        Pläne im Kopf: Sie will die Polarforschung durch neue
dichte Wälder und sanken in faustgroßen Klumpen zu        Technologien wie Unterwasser-Robotik und autono-
Boden. Der sonst eher wüstenartige Grund der zent-        me Umweltsensorik voranbringen, die Zusammen-
ralen Arktis war nun mit einem Algenteppich bedeckt.      arbeit mit asiatischen Ländern ver­stärken und auch
Die Messungen der Forscherin zeigten, dass vor al-        nationale Aufgaben unterstützen: Daten aus Meeren
lem Bakterien die Nahrung verwerten. Diese bisher         und Polarregionen mit anderen Daten des Erdsys-
unbekannte und unerwartete Reaktion des arktischen        tems vernetzen und ihren Zugang und die Auswer-
Ökosystems auf die Eisschmelze konnte das Team            tung erheblich verbessern. So könnten nicht nur Bil-
um Antje Boetius beobachten, messen und exakt wis-        der aus der Tiefsee und von den gefrorenen Regionen
senschaftlich beschreiben. Das Manuskript dazu ent-       der Erde schneller zur Verfügung gestellt werden,
stand noch an Bord, wurde versandt und bereits 2013       sondern auch der »Sound der Meere« und ihrer Le-
in »Science« veröffentlicht. Bis heute ist es die ein-    bewesen.
zige abgeschlossene Veröffentlichung eines solchen
saisonalen Events in der Arktis.

                                                          Der Beitrag basiert in Teilen auf dem Artikel »Der Tiefsee auf den Grund gehen«
                                                          von Tim Schröder aus MaxPlanckForschung Spezial16 – mit freundlicher Geneh-
                                                          migung des Autors.
18    Die Preisträger 2018

                                                                                   Prof. Dr. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden,
                                                                                 Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld
                                                                                          Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ),
                                                                     Bildungs- und Demonstrationszentrum Dezentrale Infrastruktur (BDZ)

                             Leipziger Forschergruppe verbessert Abwassersituation
                                                                     in Jordanien
                         Die Arbeiten von Prof. Roland A. Müller, Dr. Manfred van Afferden, Dr. Mi-Yong Lee und Wolf-Michael Hirschfeld
                         markieren einen Paradigmenwechsel in der Abwasserwirtschaft Jordaniens, einem der wasserärmsten Länder
                         der Welt. Dezentrale Kläranlagen, die auch im Verbund betrieben werden können, politisch administrative
                         Rahmenbedingungen, ein Software-basiertes Erschließungswerkzeug sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen
                         bilden den Vierklang dieses Konzepts. 2016 hat das jordanische Kabinett dieser Idee mit seinen Beschlüssen den
                         Weg für ein neues Abwassermanagement geebnet. Es eint zentral und dezentral betriebene Kläranlagen in einem
                         Verbundsystem und strahlt weit über die Grenzen Jordaniens in die gesamte Region aus.

                                                                                    Prof. Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfor-
                                                                                    schung (UFZ) erzählt, wie 2006 alles begann: »Auf
                                                                                    einer unserer ersten Reisen nach Jordanien besuch-
                                                                                    ten Manfred van Afferden und ich Dörfer, in denen
                                                                                    das Abwasser in den Straßen floss. Jedes Haus hatte
                                                                                    nur eine Grube zur Versickerung – mit allen nega-
                                                                                    tiven Folgen für Trinkwasser und Gesundheit. Wir
                                                                                    waren uns von Beginn an einig, dass dieser Missstand
                                                                                    nicht nur durch den Bau neuer Technologien behoben
                                                                                    werden kann, sondern ein systematisches Vorgehen
                                                                                    verlangt. So gab es keine Wartungsfirmen, und die
                                                                                    ländlichen Regionen wurden von der Politik wenig
                                                                                    berücksichtigt.«

                                                                                    »Da mussten wir eben dickere Bretter bohren«,
                                                                                    betont Dr. van Afferden, »um das Problem ganz-
                                                                                    heitlich anzugehen. Also ein Forschungsansatz aus
Starkes Quartett – das Leipziger Abwasserexperten-Team                              einem Guss, aber mit Experten aus unterschiedlichen
mit (v. l.): Dr. Manfred van Afferden, Prof. Dr. Roland A. Müller,                  Disziplinen.«
Dr. Mi-Yong Lee und Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld
                                                                                    Ab 2010 ergänzte dann die Volkswirtschaftlerin
                                                                                    Dr. Mi-Yong Lee das Team: »Gleich während
                                                                                    meiner ersten Projektreise mit beiden Kollegen nach
                                                                                    Jordanien haben wir intensiv mit lokalen Akteuren
                                                                                    und    Ministeriumsvertretern    gesprochen     und
DBU Deutscher Umweltpreis 2018   19

                                                           Prof. Dr. Roland A. Müller: Umweltbiotechnologe

verschiedene Kläranlagen besucht«, sagt die enga-        dabei war ein Gespräch mit der jordanischen Staats­
gierte Forscherin südkoreanischer Abstammung.            sekretärin des Wasserministeriums, so erinnert
Und weiter: »Nach der einen Woche war für uns drei       sich Prof. Müller, in dem intensiv über die notwen-
eigentlich klar: Das könnte etwas Gutes werden. Spä-     digen Komponenten der vorgesehenen dezentralen
ter bin ich dann nach Jordanien gegangen und war         Abwasser­systemlösungen diskutiert wurde. Man war
dort drei Jahre als Büroleiterin im Wasserministe-       sich schnell einig, dass Jordanien hierfür eine nati-
rium in Amman.«                                          onale Lösung benötigte. Ergebnis des Austausches
                                                         war der gemeinsame Wunsch zur Bildung eines natio­
Frau im Männerministerium                                nalen Implementierungskomitees (NICE), das gezielt
Von der ersten Reise an ließ Mi-Yong Lee die Begeis-     Rahmenbedingungen schaffen sollte. Mit der Zeit ent-
terung für das Projekt nicht mehr los. Dabei war der     stand eine Vertrauensbasis gepaart mit fachlicher
Einstieg für sie alles andere als leicht. Prof. Müller   Expertise, und man entwickelte dann ein Gefühl dafür,
erinnert sich: »Das war schon eine besondere Situ-       wie es gehen könnte.
ation für sie dort als Frau im Männerministerium!«
Aber Lee habe die Situation schnell erkannt und ge-      BDZ in Europa einzigartig
meistert. Van Afferden ergänzt: »Wichtig war es, sich    Eine andere Persönlichkeit, mit der Prof. Müller früh
auf die andere Kultur und die anderen Regeln, die vor    zusammengearbeitet hat, war Dipl.-Ing. Wolf-Michael
Ort herrschen, zunächst einmal einzulassen. Offen zu     Hirschfeld. Beide kannten sich bereits aus der Zu-
sein für das andere Tempo dort, die andere Art und       sammenarbeit beim Bildungs- und Demonstrations-
Weise, Dinge zu besprechen, andere Entscheidungs-        zentrum (BDZ) in Leipzig. Das auch von der Deutschen
wege und vieles mehr.«                                   Bundesstiftung Umwelt (DBU) unterstützte BDZ setz-
                                                         te sich schon ab 2002 erfolgreich für die Verbrei-
Nach zahlreichen Versuchen gelang es den Wissen­         tung von dezentralen Abwasseranlagen in Deutsch-
schaftlern, das Interesse der jordanischen Ent-          land ein. Müller wörtlich: »Michael Hirschfeld hat
scheidungsträger zu wecken. Zentraler Meilenstein        unsere Arbeiten im Nahen Osten durch sein Denken in
20    Die Preisträger 2018

Dr. Mi-Yong Lee: Volkswirtin

                        Systemlösungen, und so Probleme zu meistern, sehr       Klärtechnik ins deutsche Regelwerk übernommen
                        geprägt«. Hirschfeld, der Netzwerker im Team, ist       »Wir brauchen reale Beispiele – sozusagen zum
                        ein Mann aus ursächsischem Schrot und Korn. Seine       Anfassen. Da helfen keine Berichte oder schöne
                        langjährigen Erfahrungen beim »Haus der Umwelt«         Fotos, man braucht Infrastrukturen und den Nach-
                        in Leipzig sowie beim BDZ, beide von Hirschfeld ins     weis, dass es wirklich funktioniert. Nur so lassen
                        Leben gerufen, kamen dem Jordanienprojekt sehr          sich lokale Verantwortliche, Nutzer und Betroffene
                        zugute. Das BDZ sei in Europa bis heute einzigartig,    überzeugen«, erläutert van Afferden. »In Fuheis,
                        betont Hirschfeld. Ziel sei es gewesen, eine Vereini-   Jordanien, haben wir schon früh eine Forschungs-
                        gung zu schaffen, die den gesamtdeutschen Bestand       und Demonstrationsanlage mit realen Technologien
                        an Herstellern von dezentralen Abwassertechnologi-      gebaut. In Deutschland entwickeln und forschen wir
                        en umfasst. Im BDZ sind rund 60 Firmen vertreten,       im realen Maßstab an den Infrastrukturen des UFZ
                        die allesamt in Konkurrenz zueinander standen. »Das     und BDZ.«
                        ist wie Flöhe hüten«, sagt Hirschfeld, »und es gelang
                        nur mit Fingerspitzengefühl und Diplomatie, diese       Sehr deutlich wird dies am Beispiel zweier Behand-
                        Firmen zusammenzuschmieden.«                            lungsverfahren zur naturnahen Reinigung von
                                                                                Abwasser – horizontal und vertikal belüftete Boden-
                        Ein weiteres Ziel sei die Bildung und Ausbildung        filter. Diese wurden in und für Jordanien weiterent-
                        unterschiedlicher Zielgruppen, ergänzt Müller. Das      wickelt und anschließend in das Regelwerk der Deut-
                        sei bereits in Deutschland und auch ich den neuen       schen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser
                        Zielregionen, aber insbesondere in Jordanien ein        und Abfall e. V. (DWA) übernommen. Aktuell wird auch
                        besonderer Fokus der Arbeiten des BDZ. »Insofern        an einer jordanischen Norm zur Zertifizierung dezen-
                        ist Jordanien inzwischen zu einem Musterbeispiel für    traler Abwassertechnologien gearbeitet – als wichti-
                        Deutschland geworden«, betont Hirschfeld mit Nach-      ger Beitrag zur Qualitätssicherung.
                        druck.
DBU Deutscher Umweltpreis 2018   21

                                                            Dr. Manfred van Afferden: Umweltbiotechnologe

Van Afferden: »Nach der Frage der Funktion kommt          Modellbeispiel für Hilfe zur Selbsthilfe
natürlich sofort die Frage der Kosten. Wir brau-          Erschwerend komme die aktuelle Situation als
chen bezahlbare und konkurrenzfähige Lösungen.            Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Syrien und Afrika
Daher haben wir für die Entscheidungsträger das           hinzu. Gegenwärtig stehe der arabische Staat in
computergestützte Planungs- und Entscheidungs-            Vorder­asien unter einem gewaltigen Migrationsdruck.
tool »ALLOWS« entwickelt, das für unterschiedliche        Zu Beginn der Projektarbeiten lebten rund 5,5 Millio-
Grade der Dezentralisierung technologische, aber          nen Menschen in Jordanien. Heute sind es fast 10 Mil-
vor allem ökonomische Indikatoren generiert. Dieses       lionen – davon über 2 Millionen Flüchtlinge und davon
Tool kommt jetzt auch bei Projekten anderer Länder        wiederum etwa 1 Million allein aus Syrien. Auch die
zum Einsatz.« Van Afferden begeistert: »Es ist einfach    jordanische Bevölkerung selbst wachse stark, sagt
schön, wenn man sieht, wie die Dinge schließlich in       Müller, das Wasserproblem verschärfe sich dadurch
der Praxis ankommen.«                                     natürlich. »Wir haben das Projekt allerdings nicht
                                                          gemacht, um vorrangig in Sachen Flüchtlingshilfe
Jordanien ist inzwischen durch das Engagement des         etwas zu tun«, betont Müller. Es handle sich vielmehr
gesamten Expertenteams zu einem Muster­beispiel in        um ein Modellbeispiel für die regionale Verbesse-
Sachen dezentraler Abwasserwirtschaft avanciert.          rung der Lebensbedingungen – auch und gerade in
Von den geologischen und klima­tischen Verhältnis-        Trocken­gebieten. Seine Kollegin Lee ergänzt: »Wenn
sen her sei es durchaus als modellhaft anzusehen,         man etwas in den Flüchtlingscamps tun will, hat man
sagt Roland A. Müller, weil es wie große Teile der        es mit der UNO-Flüchtlingshilfe zu tun. Dort herr-
arabischen Halbinsel Karstböden besitze, durch die        schen ganz andere Regeln als in Jordanien selbst«.
das unbehandelte Abwasser nahezu ungefiltert ins          Und: Viele Flüchtlinge lebten gar nicht in den Camps,
Grundwasser gelange. Auch das semiaride Klima sei         sondern mittlerweile verteilt im ganzen Land, womit
für die Region typisch und führte letztlich zur trauri-   ein weiterer Druck auf die knappen Wasser­ressourcen
gen Spitzenstellung des Königreichs als einem der         entstanden sei.
wasserärmsten Länder der Erde.
Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld: Ingenieur

                        Man habe daher von vornherein versucht, die oberste      tatsächlich so, dass bei den ersten Sitzungen manche
                        politische Ebene in Jordanien miteinzubinden. Das        wütend rausgelaufen sind. Ich habe teilweise richtig
                        dafür verantwortliche Gremium NICE – für: National       Panik geschoben!« Was aus deutscher Sicht ziemlich
                        Implementation Committee for Effective Decentra-         emotional gewirkt habe, meint die Volkswirtschaftle-
                        lized Wastewater Management in Jordan – leistete         rin heute rückblickend, sei für jordanische Verhält-
                        hier entscheidende Pionierarbeit. Es besteht sowohl      nisse völlig normal gewesen.
                        aus jordanischen Entscheidungsträgern als auch aus
                        Vertretern von Universitäten und Nichtregierungsor-      Gab es noch andere Probleme? Mi-Yong Lee bestätigt:
                        ganisationen. Ein Prinzip von Wolf-Michael Hirschfeld,   »Teilweise herrschte in Jordanien die Haltung vor:
                        erinnert sich Müller gerne, war für die Gründung des     Da kommen irgendwelche Ausländer und wollen uns
                        Gremiums wesentlich: »Man muss auch potenzielle          erzählen, was wir machen sollen. Diesen Eindruck
                        Kritiker an einen Tisch holen, damit man mit ihnen ins   wollten wir auf alle Fälle vermeiden«. »Zum Glück«,
                        Gespräch kommt«.                                         sagt Lee, »war aber relativ schnell klargestellt: Ihr
                                                                                 entscheidet, was ihr machen wollt. Wir unterstützen
                        Überzeugungsarbeit war nötig                             euch mit Know-how und als neutrale Experten!« Eine
                        Anfangs war es nicht leicht, die zuständigen Ministe-    gewisse Hürde stellte auch die Tatsache dar, ergänzt
                        rien und Behörden von der Notwendigkeit eines sol-       sie, dass Abwasser und alles, was damit zu tun habe,
                        chen Gremiums zu überzeugen. Mi-Yong Lee berich-         in Jordanien kulturell als »unrein« gelte.
                        tet: »Der Rücklauf auf das erste Einladungsschreiben
                        des Wasserministeriums lag bei nur 30 Prozent. Wir       »Neben der Technik war auch viel Know-how-Trans-
                        haben dann alle Ministerien persönlich besucht und       fer und Überzeugungsarbeit nötig«, sagt van Afferden,
                        von der Sache überzeugt.« Schließlich kam es nach        »das reicht vom Verschweißen von Dichtungsbahnen,
                        längerer Vorbereitungszeit zum ersten gemein­            über die Wartung der Anlagen bis zur Vor-Ort-Analyse
                        samen Treffen des NICE-Gremiums. Dort aber lief          des Abwassers. Wenn Hauseigentümer die Belüftung
                        es zunächst auch nicht nach Plan. Lee: »Es war           einer Kläranlage abstellen, um Strom zu sparen, kann
DBU Deutscher Umweltpreis 2018   23

das natürlich nicht funktionieren – hier musste man    Interdisziplinäre Arbeit als Motor des Erfolges
aufklären und überzeugen...«                           Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg des Projekts
                                                       ist sicher auch in der gut funktionierenden Team­
Von wieder anderen Schwierigkeiten berichtet           arbeit des Forschergremiums zu sehen. Lee meint
Prof. Müller. »Da unser Sonntag in Jordanien auf       dazu: »Meinungen gelten bei uns etwas, und man
einen Werktag fällt, haben wir nicht selten am Sonn-   darf sie auch bringen«. Man sei im interdisziplinär
tag dienstliche Anrufe aus Jordanien erhalten. Wenn    zusammen­  gesetzten Team durchaus nicht immer
ein Staatssekretär am Sonntag anruft, muss man sich    einer Meinung. Aber es werde sachbezogen und im
halt darauf einlassen«, sagt der Teamsprecher, das     Sinne des Projekts stets um die beste Lösung gerun-
gehöre dann einfach zum Geschäft. Man müsse auch       gen.
damit leben, dass manche in Deutschland selbstver-
ständliche Dinge in Jordanien anders funktionierten,   Dieser von der Wissenschaftlerin beschriebene Team­
ergänzt er. Dazu gehöre, dass man Improvisation als    geist ist auch während des Gesprächs in Leipzig
ein wesentliches Element des Projektmanagements        atmosphärisch spürbar: Hier arbeitet eine aus gleich-
akzeptiere.                                            berechtigten Mitgliedern zusammengesetzte Grup-
                                                       pe mit Freude an einer gemeinsamen, großen Idee –
Der Erfolg des Projekts belegt: Es scheint auch ohne   Jordanien und seine Nachbarstaaten im Sinne der
deutsche Gründlichkeit zu gehen. Ohne die entspre-     Nach­haltigkeit zu einem besseren Ort in Sachen
chende Motivation der Teammitglieder aus Leipzig       Abwassermanagement zu machen.
aber ginge es nicht. Woraus beziehen die Umweltfor-
scherinnen und -forscher sie? Mi-Yong Lee antwortet    Und wie geht es weiter? »Wir erhoffen uns ein stei-
spontan: »Wir sind echt überzeugt von ‚dezentral‘!«    gendes Interesse an der Umsetzung dezentra-
Und Prof. Müller fügt hinzu: »Wir hatten immer das     ler System­  lösungen im Nahen Osten«, skizziert
Gefühl, dass unsere Arbeiten in der Region und von     Prof. Müller zuversichtlich die künftige Entwicklung.
den betroffenen Menschen gebraucht werden. Es ist      Es bestehe ein großes Interesse daran, gemeinsam
manchmal wichtig, dass ausgetretene Wege der Ent-      mit der Politik, internationalen Investoren und Geber-
scheidungsfindung verlassen werden, um neue Din-       organisationen wie beispielsweise der Weltbank
ge auszuprobieren und umzusetzen.« Und genau hier      weitere Umsetzungen fachlich zu begleiten. »Auch
hätten Wissenschaftler als »ehrliche Makler« das       sehen wir national und international in der zukünfti-
Mandat, unabhängige Lösungsvorschläge zu entwi-        gen Gestaltung unserer Städte große Potenziale für
ckeln, betont Müller. Schön zu sehen war es auch,      dezentrale Infrastrukturen«, gibt der Wissenschaftler
ergänzt van Afferden, welchen großen Zuspruch          als übergeordneten Ausblick für weitere erfolgreiche
das Bildungsprojekt »Water Fun« erhalten habe.         Engagements.
»Man kann den Aspekt der praktischen Bildung nicht
hoch genug einschätzen. Wir haben nach dem Motto
‚Schüler von heute verändern die Welt von morgen‘
mit dem BDZ eine Unterrichtsreihe für Grund­schulen
in Jordanien entwickelt. Sie vermittelt mit konkre-
ten Experimenten und zu geringen Kosten wichtige
Aspekte rund ums Thema Wasser wie: Verbrauch,
Verschmutzung, Behandlung und Wiederverwendung.
Damit haben wir bisher etwa 5 000 Grundschüler in
Jordanien und Palästina erreicht.«
24    DBUPreisträger
      Die Deutscher Umweltpreis
                     2018       2018

Wasser ist in Jordanien ein rares und äußerst
kostbares Gut. Hier: ein vertrocknetes Flussbett
DBU Deutscher Umweltpreis 2018   25

Zur Person                                                    Zur Person

Prof. Dr. Roland Arno Müller ist am 14. Juli 1963 in Jülich   Dr. Mi-Yong Lee ist am 23. Dezember 1970 in Köln geboren.
geboren. Der Umweltbiotechnologe leitet das Depart-           Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe »Steuerung und Innova-
ment Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ) am          tion« im Department UBZ am UFZ. Von 2012 bis 2015 war
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.       sie UFZ-Büroleiterin im jordanischen Wasserministerium in
Seit 2013 ist er Honorarprofessor für Integriertes Abwas-     Amman. Hierfür erhielt sie 2016 den UFZ-Wissenstransfer-
ser-Ressourcen Management in der Fakultät Bauwesen            preis. Lee erhielt 1997 ihr Diplom in Volkswirtschaftslehre
der HTWK Leipzig. Zwischen 1984 und 1990 absolvierte          an der Universität Heidelberg. Dort war sie von 1998 bis
Professor Müller sein Studium der technischen Mikrobio-       2003 bei Prof. Malte Faber als wissenschaftliche Mitarbeite-
logie an der Technischen Universität Braunschweig (Carolo     rin tätig und promovierte 2004 bei PD Dr. Reiner Manstetten.
Wilhelmina), an der er 1994 auch promovierte. Er war Grün-    Von 2005 bis 2007 war sie Post-Doc-Stipendiatin der Deut-
dungsmitglied des BDZ e. V. und ist heute stellvertretender   schen Forschungsgemeinschaft an der Universität Tübin-
Vorstandsvorsitzender. Der Umweltbiotechnologe erhielt        gen. Lee hat den Ruf auf eine Professur für Nachhaltigkeit
mehrere Auszeichnungen, darunter die UFZ-Preise sowohl        mit ökonomischer Ausrichtung der Hochschule Bochum
für Technologie- als auch für Wissenstransfer, den Hugo-      angenommen und wird diese zum Sommer­semester 2019
Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-       antreten.
Anhalt und den IQ-Innovationspreis Mitteldeutschland.

Zur Person                                                    Zur Person

Dr. Manfred van Afferden ist am 1. Dezember 1960 in           Dipl.-Ing. Wolf-Michael Hirschfeld, geboren am 24. Juni
Keppeln geboren. Er leitet die Arbeitsgruppe »Dezen­          1948 in Leipzig, ist Initiator und Ehrenmitglied des Bildungs-
trales Abwassermanagement« und ist Stellvertreter des         und Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasser­
Departmentleiters im UBZ. Nach seinem Studium an der          behandlung BDZ e.V. in Leipzig. Hirschfeld erlangte 1971
Ruhr-Universität Bochum war er als Umweltbiotechnologe        das Diplom in Verfahrenstechnik an der TH Merseburg.
Laborleiter in der Deutschen Montan Technologie (DMT) in      Nach der Wende war er in verschiedenen Positionen in
Essen und promovierte 1991 an der Universität Bonn. Von       der freien Wirtschaft tätig, gründete 1993 das »Haus der
1993 bis 1998 war er stellvertretender Geschäftsführer der    Umwelt e. V.« in Leipzig und war dessen geschäftsführen-
Umweltagentur GmbH in Bochum. Danach arbeitete er bis         der Vorstandsvorsitzender. Im Jahr 2002 erfolgte durch
2005 als deutscher Experte am staatlichen Mexikanischen       ihn die Gründung des BDZ. Hirschfeld war dort bis 2013
Wasserinstitut (IMTA). Dr. van Afferden erhielt mehrere       ebenfalls geschäftsführender Vorstandsvorsitzender. Seit
Auszeichnungen, darunter den Hugo-Junkers-Preis für           diesem Jahr weilt Hirschfeld im Ruhestand. 2003 erhielt er
Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt, den IQ-          den B.A.U.M.-Umweltpreis für sein Lebenswerk im Bereich
Innovationspreis Mitteldeutschland sowie die UFZ-Preise       Umweltkommunikation.
sowohl für Technologie- als auch für Wissenstransfer.
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