DIE ZEITSCHRIF T FÜR AUSLANDSCHWEIZER JANUAR 2011 / NR. 1 - Die Schweiz ist auf die Ausländer angewiesen Muss sich der Bundesrat besser ...
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DIE ZEITSCHRIFT FÜR AUSLANDSCHWEIZER JANUAR 2011 / NR. 1 Die Schweiz ist auf die Ausländer angewiesen Muss sich der Bundesrat besser organisieren? Eishockey: Leidenschaft seit über 100 Jahren
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EDITORIAL I N H A LT 3 Wahljahr und Abschied ist ein wahljahr und somit auch Zahltag für die eidgenössi- 5 2011 schen Parlamentarier: Am 23. Oktober werden National- und Ständerat neu gewählt. Einige Parteien haben den Wahlkampf bereits ein wenig vorgespurt: Die SPS beabsichtigt, sich eher nach links zu verschieben Briefkasten 5 Im Kino: Sennentuntschi und den Kapitalismus zu überwinden, wie an der Delegiertenversammlung beschlossen 7 wurde. Die FDP möchte sich von der Europäischen Union abwenden; und die SVP setzt Urnäscher Silvesterkläuse ebenfalls auf die Themen EU-Beitritt, sowie Bildung und Ausländer. Das lässt die Ver- 8 mutung zu, dass uns ein langer und intensiver Wahlkampf mit Haken und Ösen erwar- Migration schafft Wohlstand – tet. Hinzu kommt, dass die SVP anstelle von Eveline Widmer-Schlumpf unter allen Um- und neue Probleme ständen wieder ein Mitglied ihrer Wahl im Bundesrat haben will. Zur Erinnerung: 12 Widmer-Schlumpf liess sich 2007 anstelle von Christoph Blocher in die Landesregierung CERN: Die Forschungsstadt bei Genf wählen und wurde dafür mit dem Ausschluss aus der Partei bestraft. Sie gehört heute zur 15 Bürgerlich-Demokratischen Partei der Schweiz, die sich nach dem Partei-Rausschmiss Aus dem Bundeshaus von Widmer-Schlumpf von der Schweizerischen Volkspartei abgesplittert hat und heute fünf Nationalräte und einen Ständerat stellt. Die «Schweizer Revue» wird im Septem- Regionalseiten ber in einer Sondernummer ausführlich über die eidgenössischen Wahlen informieren und die zur Wahl stehenden Parteien und ihre Programme vorstellen. 18 Als 1992 das briefliche Stimm- und Wahlrecht für die im Ausland lebenden Schwei- Braucht die Schweiz eine Regierungsreform? zerinnen und Schweizer eingeführt wurde, waren es anfänglich 13 000, die vom aktiven Nein, sagt Politologe Leonhard Neidhart Stimmrecht Gebrauch machten. Bei den eidgenössischen Wahlen 2007 waren bereits 20 111 250, die sich in einem Stimmregister eingetragen hatten, Ende 2009 gar 130 017. Und Die Schweiz hat den längsten Eisenbahn- es sollen noch viel mehr werden, da die Stimmen der Auslandsbürger wichtig und gefragt tunnel der Welt sind. Aus diesem Grund haben wir dieser Nummer einen Flyer für den Eintrag in ein 22 Stimmregister beigelegt für alle, die noch nicht registriert sind. ASO-Informationen Nützen Sie die Gelegenheit, schicken Sie den Talon an Ihre Ver- 24 tretung und beteiligen Sie sich aktiv am politischen Leben der Abstimmung: Ausschaffungs- und Steuer- Schweiz. Damit verhelfen Sie den berechtigten Anliegen der Aus- initiative landsbürger zu mehr Gewicht und Erfolg. Nach sechs Jahren und 32 Ausgaben der «Schweizer Revue» 25 Politik verabschiede ich mich mit diesem Editorial von Ihnen und wende mich altershalber einem neuen Lebensabschnitt und neuen Aufga- 26 Heinz Eckert ben zu. Seit November 2004 durfte ich Sie zusammen mit meinen Seit 100 Jahren wird in der Schweiz Eis- hockey gespielt Redaktionsmitgliedern über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ereignisse in der Schweiz auf dem Laufenden halten und versuchen, für Sie ein lesens- 28 wertes Magazin zu produzieren. Aufgrund der zahlreichen positiven Reaktionen aus Carlos Leal – ein Schweizer Schauspieler in aller Welt gehe ich davon aus, dass unsere Arbeit Ihr Interesse gefunden hat. Ob brief- Hollywood lich, elektronisch oder mündlich, der Dialog mit Ihnen war stets positiv und konstruktiv. 30 Für das grosse Interesse und das Wohlwollen, das Sie unserer Arbeit entgegengebracht Schweizer Banken erzürnen die Ausland- haben, und die vielen wertvollen Anregungen danke ich Ihnen ganz herzlich. schweizer Meiner Nachfolgerin, der erfahrenen Berner Journalistin Barbara Engel, wünsche 31 ich viel Erfolg und Genugtuung als neue Redaktionsleiterin. Und Ihnen, sehr verehrte Echo Leserinnen und Leser der «Schweizer Revue», wünsche ich viel Glück und Zufriedenheit im neuen Jahr. HEINZ ECKERT, CHEFREDAK TOR Zum Titelbild: Was wäre die Schweizer Fussball- Nationalmannschaft ohne Secondos? Xherdan Shaqiri, kosovarischer Herkunft, spielt beim FC Basel und für die Schweiz. (Foto: Schweizerischer SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Fussballverband SFV) IM P R E S S U M : «Schweizer Revue», die Zeitschrift für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, erscheint im 38. Jahrgang in deutscher, französischer, italienischer, englischer und spanischer Sprache in 14 regionalen Ausgaben und einer Gesamtauflage von rund 395 000 Exemplaren. Regionalnachrichten erscheinen viermal im Jahr. ■ R E DA K T I O N : Heinz Eckert (EC), Chefredaktor; Rolf Ribi (RR); René Lenzin (RL); Alain Wey (AW); Jean-François Lichtenstern (JFL), Auslandschweizerdienst EDA, CH-3003 Bern, verant- wortlich für «Aus dem Bundeshaus». Übersetzung: CLS Communication AG ■ GES T ALTUNG: Herzog Design, Zürich ■ P O S T A D R E S S E : Herausgeber/Sitz der Redaktion/Inseraten-Admi- nistration: Auslandschweizer-Organisation, Alpenstrasse 26, CH-3006 Bern, Tel. +41313566110, Fax +41313566101, PC 30-6768-9. Internet: www.revue.ch ■ E - M A I L : revue@aso.ch ■ D RU C K : Swissprinters St. Gallen AG, CH-9001 St.Gallen. ■ ADRESS ÄNDERUNG: Bitte teilen Sie Ihre neue Adresse Ihrer Botschaft oder Ihrem Konsulat mit und schreiben Sie nicht nach Bern. ■ Alle bei einer Schweizer Vertretung immatrikulierten Auslandschweizer erhalten das Magazin gratis. Nichtauslandschweizer können das Magazin für eine jährliche Gebühr abonnie- ren (CH: CHF 30.–/Ausland: CHF 50.–). Abonnenten wird das Magazin manuell aus Bern zugestellt. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 15.11.10
Vorsorgen in Schweizer Franken. Agentur Auslandschweizer Stefan Böni Dorfstrasse 140, 8706 Meilen +41 44 925 39 39, www.swisslife.ch/aso Wir bringen Sie mit einem Klick in die Schweiz. Informationen. News. Reportagen. Analysen. Aus der Schweiz, über die Schweiz. Multimedial, interaktiv und tagesaktuell in 9 Sprachen. Auf der unabhängigen Internetplattform swissinfo.ch
BRIEFKASTEN GELESEN 5 Rehabilitation «Spiegel» aufgehängt werden, «Sennentuntschi», die Geschichte rund um den Film. Film- Ich bin ein Leser Ihres Maga- damit sich die Damen und abenteuern stehen manchmal zahlreiche Hindernisse im zins, weil meine Frau Schwei- Herren vielleicht wieder daran Weg, bevor der Film schliesslich seinen Weg in die Kinosäle zer Bürgerin ist. Der Artikel erinnern, WEN und WAS sie findet. Der Mystery-Thriller «Sennentuntschi» und sein Re- «Weissgeld» von Lukas Hässig eigentlich vertreten sollten. gisseur Michael Steiner («Grounding – Die letzten Tage der Sennentuntschi, Der Film ist das typische Beispiel einer Eigeninteressen, Narzissmus Swissair», «Mein Name ist Eugen») haben das auf harte Beschönigung, wie sie in der und allgemeine Volksentfrem- Weise erfahren. Dem Spielfilm liegt eine im ganzen deutsch- gegenwärtigen Finanzwelt üb- dung (ohne Ausnahme) sprachigen Alpenraum bekannte Sage vom Sennentuntschi, lich ist. Es mag sein, dass ein herrscht schon seit längerer der Puppe der Alphirten, zugrunde. Bereits 1972 wurde ein solcher Tunnelblick unver- Zeit im Bundesrat. Die Fähig- gleichnamiges, vom Dramatiker Hansjörg Schneider ge- meidlich ist, wenn Fachleute keiten der Bundesräte/innen schriebenes Theaterstück auf die Bühne gebracht, dessen über ihren eigenen engen Wis- wären ja vorhanden, aber eben, Ausstrahlung durch das Deutschschweizer Fernsehen im sensbereich schreiben. Aber das liebe «Ego». Die Medien, Jahr 1981 so viel Protest hervorrief, dass es von den SRG- heutzutage ist es nicht schwie- hauptsächlich an Quoten und Verantwortlichen schliesslich zensiert wurde. In der Ge- rig, einen Schritt zurückzutre- Verkaufszahlen interessiert, schichte geht es um drei Sennen, die sich aus Stroh eine ten und zu sehen, dass nun eine füttern natürlich noch so gerne Puppe basteln, um an ihr ihre sexuellen Begierden zu stillen. Zeit angebrochen ist, die von die Sensationslust des inzwi- Aber die Puppe wird lebendig und rächt sich furchtbar an ihren allen, die das 1972 herausgege- schen der Politik/er überdrüs- Peinigern. bene Buch «Die Grenzen des sigen Volkes. Vom Ausland her Mit einem Budget von 5,5 Millionen Franken scheinen die Zei- Wachstums» gelesen haben, betrachtet kann man über die- chen für die reibungslose Durchführung dieser Superproduktion schon lange erwartet wird. sen «Kindergarten» nur den anfänglich gut zu stehen. Nach Abschluss der Dreharbeiten im Ok- Kurz gesagt: Wir haben das Öl- Kopf schütteln. Die nächste tober 2008 gibt Michael Steiners Firma Kontraproduktion aber be- fördermaximum erreicht, das Stufe, wenn’s so weitergeht: kannt, sie habe kein Geld mehr. Schauspieler und Crew-Mitglieder Zeitalter der billigen Energie amerikanische Verhältnisse. erhalten ihre Löhne nicht. Die Kosten für die Verarbeitung werden ist also vorbei und ohne diese Nein Danke. nicht bezahlt, und das Berner Kopierwerk Schwarzfilm hält das kann unser industrielles System H. BLOCH, CALGARY, KANADA Negativ zurück. Der für die Fertigstellung benötigte Betrag wird nicht funktionieren. Genauso mit 2,8 Millionen Franken angegeben. Ein Gutachten bringt ein wenig kann die Finanzwelt Wie ein Spiegel Loch von einer Million zutage. Die langen Verhandlungen zwischen ohne das Pyramidensystem des Ich habe eben Ihren Artikel dem Bundesamt für Kultur (BAK), dem Schweizer Fernsehen und steten Wachstums funktionie- «Schlechte Kolleginnen und der Zürcher Filmstiftung führen zu keinem Ergebnis. Avventura ren. S. ALLIN, IRL AND Kollegen» gelesen und stimme Films, die französische Tochter von Vega Film, zieht sich zurück, Ihnen von Herzen zu. Es ist ei- weil sie in Frankreich keine Geldgeber finden konnte. Nun wird der Konto bei der BEKB ner der besten Artikel seit Lan- Film plötzlich nur noch von zwei Ländern (Schweiz und Öster- Ich möchte mich bei H. Crab- gem. Manchmal kommt es mir reich) produziert, worauf der europäische Filmfonds Eurimages die tree-Ruggli bedanken, dass sie vor, als ob ein Virus die Welt gesprochenen Beiträge nicht auszahlt. Das BAK zieht sogar in diesen Briefkastenbeitrag über befallen habe. Die meisten Re- Betracht, seine bereits ausbezahlten Subven- die CS-Gebühren geschrieben gierungen scheinen am selben tionen in Höhe von einer Million zurückzufor- hat. Ich habe mich genauso Personenkult zu leiden, anstatt dern. Die Fachwelt und die breite Öffent- über die CS und den Umgang für das Wohl ihres Landes zu- lichkeit verfolgen diesen Zusammenbruch mit ihren Auslandschweizer sammenzuarbeiten. Dies gilt – gleichermassen konsterniert. Kunden geärgert. Ich habe nun wie Sie wohl wissen werden – Im Februar 2010, nach längerem Hin und mein CS-Konto aufgelöst und insbesondere für die USA. Her der Investoren, rettet die Schweizer Toch- habe bei der Berner Kantonal- Herzlichen Dank für diesen ter der deutschen Firma Constantin Film die in bank ein Konto eröffnet. Dort aufschlussreichen Artikel. Hof- Turbulenzen geratene Produktion und stellt wurde ich sehr zu meiner Zu- fen wir, dass die Bundesrätin- die Fertigstellung und Veröffentlichung des friedenheit bedient und kann nen und -räte ihn lesen und Films sicher. Sie schiesst 1,6 Millionen Franken ein, damit die diese Bank den CS-enttäusch- sich bemühen, einen gemein- Löhne und die Schulden von Kontraproduktion bezahlt werden ten Auslandschweizern, die samen Nenner zu finden. können. Im Gegenzug dazu verpflichtet sich Michael Steiner, in einfach nur ein CH-Konto ha- S. SHIMAZU, WASHINGTON, USA den nächsten drei Jahren jährlich einen Film für Constantin ben wollen, sehr empfehlen. Film Schweiz zu drehen. Schliesslich wird «Sennentuntschi» am SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 V. BADER, HAMBURG, DEUTSCHL AND Vielen Dank 23. September 2010 als Eröffnungsfilm des Filmfestivals Zürich Vielen Dank für Ihr Editorial erstmals gezeigt. Die Kritikerinnen und Kritiker sind begeistert, Kindergarten «Schlechte Kolleginnen und und seit dem Deutschschweizer Filmstart am 14. Oktober 2010 Heinz Eckert hat es wirklich Kollegen» in der «Schweizer strömt das Publikum in die Kinosäle. Anfang November verzeich- auf den Punkt gebracht. Der Revue». Sie haben wohl gesagt, nete der Film in der Deutschschweiz bereits über 100 000 Eintritte. Artikel sollte in den Wandel- was gesagt worden musste. So kommt der mit einem Fluch behaftete Film über eine fluchbela- hallen des Bundeshauses als T. WALL ACE, TEXAS, USA dene Schweizer Sage schliesslich doch noch zu Ehre. AL AIN WEY
6 BRIEFKASTEN «AUF UND DAV ON» haben DOK-Kameras die Auswanderer in der Schweiz und in Neue Abenteuer von Schweizer Auswanderern ihrer neuen Heimat beobachtet. Die sechsteilige Dokserie «Auf und davon» zeigt den Alltag, die Highlights und die Tiefpunkte Am Freitag, 7. Januar 2011 um 20.55 Uhr startet auf SF1 die im neuen Leben der Auswanderer. Filmmusik und Titelsong zur zweite Staffel der erfolgreichen dokumentarischen Serie über Serie stammen unter anderem von Gölä und Band. Schweizer Auswanderer. Produziert wurde die sechsteilige Serie In der Serie wird der Spagat zwischen Abenteuer und siche- von der Redaktion DOK. rer Existenz sichtbar. Täglich müssen sich die Auswanderer den «Uf u drvo!» – Erneut wagen vier Familien und Paare aus der Herausforderungen des Alltags in fremder Umgebung stellen. Schweiz das Abenteuer und wandern aus. Christine und Her- Mit den unbekannten Gepflogenheiten der neuen Heimat mann Schönbächler ziehen mit ihren Kindern nach Kanada. Ali müssen sich die Helden der Serie «Auf und davon – Die Auswan- und Jennifer Wettstein erhoffen sich mit ihrem Söhnchen Sven derer» ebenso auseinandersetzen wie mit den eigenen finanziel- in Peru ein besseres Leben. Anja Kinsky und Claude Wegmann len Ressourcen. bauen sich in Italien ein Agriturismo. Und Anni Kuhn und Orlando Stamm planen in Bali eine Ferienanlage. Ein Jahr lang Die Serie kann auch im Internet verfolgt werden: www.sf.tv Gut oder schlecht? fällen, was gut und was schlecht Bei uns handelt es sich um vermeiden, also zu sparen. Also Ich bewahre die alten Ausga- ist für das Land? Ich meinerseits zwei «Sparkonten», die meine buchten wir einen Flug und ein ben der «Schweizer Revue» auf, möchte mit meinem sehr be- Frau seit ihrer Kindheit, vom Hotel, um die Kontoverbindung ich horte sie und halte sie in schränkten Wissen ganz be- Vater eröffnet, ca. 30 Jahre hatte. zu löschen. Die Kosten für diese Ehren. Und von Zeit zu Zeit stimmt nicht abstimmen. Der letzte Kontostand war auf «Ferien»: 712 Franken. Wir sind blättere ich eine alte Ausgabe Ich habe immer noch Heim- einem 600 und auf dem zweiten von der CS sehr enttäuscht und durch. Kürzlich habe ich eine weh nach dem Land meiner 1000 Franken, und diente uns hoffen, diese wird sich an ihre aus dem Jahr 2006 überflogen. Kindheit, das ich seit 1985 bei unseren Besuchen in der kleinen Sparer mal gerne zurück- Ein Artikel enthielt eine Art nicht mehr besucht habe. Ich Heimat, um Wechselspesen zu erinnern. T.N.&H. HAVRAN, ÖSTERREICH Jubel über die Aussicht, dass verspüre eine grosse Sehnsucht, Inserat mehr und mehr Ausland- aber ich habe nicht das Gefühl, schweizer an den eidgenössi- ich sei qualifiziert abzustim- schen Wahlen und Abstim- men – weil ich schlicht nicht mungen teilnehmen werden. weiss, was läuft! Nennen Sie Ich bin mir nicht sicher, ob mich «Globi in der Verban- das eine gute Sache ist. Es wäre nung» (seit Januar 1947). für mich unvorstellbar, wenn R. H. TUCKER, HAWAII, USA in der Schweiz wohnhafte Menschen über Angelegenhei- Briefkastenbeitrag zur Credit ten abstimmen, die Honolulu Suisse betreffen! Was wisst ihr über Auch wir haben von der CS die Schlaglöcher in unseren diesen Brief erhalten. Nach te- Strassen, über unsere überfüll- lefonischer Kontaktaufnahme ten Gefängnisse und die De- mit der CS wurde der Inhalt portation der überzähligen Ge- nur bestätigt und ohne Inter- fangenen aufs Festland? Eine esse an einer weiteren Ge- schändliche Sache. schäftsverbindung die Lösung Wie können Leute, die in der durch Kündigung des Kontos Schweiz keine Steuern bezahlen zur Kenntnis genommen. Dies und die Zustände nicht aus eige- kann man allerdings nur per- ner Erfahrung kennen, infor- sönlich bei der CS-Filiale erle- mierte Entscheidungen darüber digen. SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1
GESEHEN 7 Silvesterchlausen. Das Brauchtum der Urnäscher Silvesterkläuse, das seit über 200 Jahren belegt ist, hat sich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte vom Betteln in einfachster Maskierung zu einer kunstvollen Angelegenheit entwickelt. Heute tragen die Kläuse Gewänder und Masken, deren Her- stellung viel Aufwand erfordert. Das Silvesterchlausen findet in ähnlicher Form an zwei Tagen statt, nämlich an Silvester und am 13. Januar. Als Papst Gregor XIII. seine Kalenderreform ein- führte, wollten verschiedene reformierte Kantone nichts von dieser päpstlichen Neuerung wissen und hielten bis ins 18. Jahrhundert am alten Kalender fest, der eine Differenz von 13 Tagen gegen- über dem neuen aufwies. In einzelnen Volkskalendern waren beide Zeitrechnungen nebeneinan- der abgedruckt, und die Kläuse traten an beiden Silvestertagen auf. EC SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Fotos: Rolf A. Stähli, Winterthur
8 EINWANDERUNGSLAND SCHWEIZ Migration schafft Wohlstand – und bringt neue Sorgen den 160 600 Einwanderungen den 86 000 Auswanderungen gegenüber. Das ergibt ei- Die Schweiz ist seit mehr als hundert Jahren ein Einwanderungs- nen positiven Wanderungssaldo von 74 600 land. Mit dem Trendbruch von 2002 nahm die Zuwanderung Personen. 79 000 Ausländer kamen neu als aus dem europäischen Raum massiv zu. Die neuen Migranten Daueraufenthalter in die Schweiz (ein Jahr zuvor waren es sogar 103 000 gewesen, das tragen zum Wohlstand in der Schweiz bei. Aber neue Prob- entpricht der Einwohnerzahl der Stadt Win- leme und Sorgen sind entstanden – beim Wohnungsmarkt, terthur). Der Wanderungssaldo der auslän- im Arbeitsmarkt, bei den Sozialwerken und nicht zuletzt bei dischen Wohnbevölkerung ist seit 1979 im- mer positiv. der gesellschaftlichen Integration. Von Rof Ribi Bei den Schweizer Staatsangehörigen wanderten letztes Jahr 4400 Personen mehr Auf den schönen Schweizer Alpen gibt es ein längsten Einwanderungstradition in Europa» ins Ausland ab als in die Heimat zurück. Der ernstes Problem: Wenn das Vieh im (so der frühere Schweizer Botschafter Alfred Wanderungssaldo der Schweizerinnen und Frühsommer auf die Alpweiden geführt wird, Defago). Schweizer ist seit 1992 negativ. Im Jahr 2009 fehlt es an Melkern, Hirten und Sennen. Die kehrten 22 400 Auslandschweizer in ihr Hei- Arbeit in der einsamen Bergwelt ist hart, der Migration in Zahlen matland zurück, vor allem aus wirtschaftli- Tag dauert lang und der Lohn ist eher karg. Dies sind die wichtigsten Zahlen zur Migra- chen Gründen. Ende des letzten Jahres leb- Und so gab es auch im letzten Sommer auf tion in der Schweiz: Ende 2009 lebten ten 684 974 Schweizer Bürger im Ausland, manchen Alpen zu wenige davon 76,5 Prozent in Männer, die zupackten. Da Westeuropa und Nord- war man froh, dass Deutsche, amerika. Österreicher, Italiener und Polen den heimischen Älp- Entwicklung der lern unter die Arme griffen. Migration Ohne Arbeitskräfte aus dem Überblickt man die letz- Ausland wären die Schwei- ten Jahrzehnte, zeigt die zer Alpen nicht zu bewirt- schweizerische Migrations- schaften. politik im Zeitraffer dieses Was für die hiesige Alp- Bild: Nach dem Zweiten wirtschaft gilt, trifft im Weltkrieg bis in die Sechzi- Kern auf die ganze Volks- gerjahre führte die gute wirtschaft zu. Seit mehr als Wirtschaftsentwicklung zu hundert Jahren tragen Aus- einem Mangel an Arbeits- länder massgeblich zum kräften. Vor allem aus Werk- und Bildungsplatz Italien kamen Saisonarbei- Schweiz bei. Es waren viele ter für jeweils neun Monate italienische Arbeiter, die in grosser Zahl ins Land. Ende des 19. Jahrhunderts Ende der Fünfzigerjahre die grossen Tunnels in un- wurde der Familiennach- seren Alpen bauten. Und es zug erleichtert. Der Anteil Foto: aus «Il lungo addio – Der lange Abschied», Hrsg. Dieter Bachmann, Limmat Verlag, Zürich, 2003 waren viele deutsche Arbei- der ausländischen Wohn- ter, Industrielle und Künst- Junger Gastarbeiter aus Italien in den frühen Sechzigerjahren. bevölkerung stieg von sechs ler, die im neuen schweize- Prozent im Jahr 1950 auf rischen Bundesstaat ab 1850 das 7,78 Millionen Personen als ständige Wohn- 13,6 Prozent 1963. Wachsende Überfrem- wirtschaftliche und kulturelle Leben mit- bevölkerung in der Schweiz, davon 1,71 Mil- dungsängste kamen auf, die Schwarzenbach- prägten (wie Heinrich Nestlé und Georg lionen oder rund 22 Prozent Ausländer. Das Initiative «gegen die Überfremdung» wurde Wander, Walter Boveri und Rudolf Diesel, waren insgesamt 84 000 Personen oder 1,1 1970 nur knapp verworfen. Fortan und bis Georg Büchner oder Richard Wagner). Bis Prozent mehr als im Vorjahr (im Jahr 2008 in die Neunzigerjahre wurde die Einwande- gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die waren es sogar 1,4 Prozent mehr gewesen). rung vor allem mit Kontingenten gesteuert. SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Schweiz ein klassisches Auswanderungsland Das sind deutlich höhere Zuwachsraten als Dennoch nahm der Anteil der Ausländer gewesen. Tausende von jungen Landsleuten im übrigen Europa; sie bedeuten hochge- weiter zu (Saisonarbeiter wurden zu Jahres- wanderten damals vor allem nach Nord- und rechnet eine Verdoppelung der Bevölke- aufenthaltern, der Nachzug der Familien Südamerika aus. Mit der Volkszählung von rungszahl alle 50 bis 60 Jahre. Die massge- wurde erleichtert). 1880 kam der Umschwung: Die Schweiz war bende Grösse ist der Wanderungssaldo, also Zu Beginn der Neunzigerjahre änderte die zum Einwanderungsland geworden. «Neben der Unterschied zwischen der Zuwanderung Migrationspolitik mit dem Drei-Kreise-Mo- Frankreich ist die Schweiz das Land mit der und der Abwanderung. Im Jahr 2009 stan- dell ihren Kurs. Massgebend war nun die
9 Herkunft der Einwanderer: der innere Kreis übermässiger Zunahme der Einwanderung» nungsmacher einig: Ausländische Arbeits- mit Staatsangehören aus der Europäischen bis 2014 ausgehandelt, welche neue Kontin- kräfte haben bis heute wesentlich zum Wohl- Union (EU) und der Europäischen Freihan- gente erlauben würde. Und auch das gilt für stand in der Schweiz beigetragen. Früher delsassoziation (Efta), der zweite Kreis mit alle EU- und Efta-Bürger weiterhin: In der waren es die Migranten aus dem Süden, wel- Bürgern aus Australien, Kanada, Neuseeland Eidgenossenschaft bleiben darf nur, wer ei- che die bei Schweizern unbeliebten Arbei- und den USA sowie der dritte Kreis mit An- nen Arbeitsvertrag mit einem Schweizer Un- ten erledigten (in der Bauwirtschaft und gehörigen aller anderen Staaten. Ziel war, ternehmen vorweisen kann. Landwirtschaft, in der Industrie und im die Einreise aus dem ersten und allenfalls aus Eines hat sich mit der Einführung der Per- Gastgewerbe). Heute sind es gut ausgebil- dem zweiten Kreis zu Lasten des dritten sonenfreizügigkeit in Europa grundlegend dete neue Zuwanderer aus dem Norden und Kreises zu begünstigen. Ende der Neunziger- verändert: Die Migranten stammen heute zu Westen, welche Spitzenplätze in der Wirt- jahre wandelte sich die Migrationspolitik 70 Prozent aus der Europäischen Union. schaft und Wissenschaft belegen. «Wenn wir zum heutigen dualen System: Die Bilatera- Und 60 Prozent aller neuen Zuwanderer be- die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft len Verträge I mit der Europäischen Union sitzen einen Hochschulabschluss (das sind aufrechterhalten wollen, brauchen wir in Zu- brachten den freien Personenverkehr mit doppelt so viele wie unter den Schweizern kunft noch mehr ausländische Arbeitskräfte», dem damaligen europäischen Raum (15 EU- selbst). Diesen neuen Trend bestätigt das sagte Francis Matthey, früherer SP-Politi- Staaten, Efta-Länder) und eine nur noch be- Bundesamt für Migration: «Seit 2002 sind ker und amtierender Präsident der Eidge- schränkte Zuwanderung aus allen anderen mehrheitlich gut bis sehr gut qualifizierte Ar- nössischen Kommission für Migrationsfra- Ländern. Ziel der neuen Migrationspolitik beitskräfte in die Schweiz eingewandert.» gen. «Die Schweiz ist mit Blick auf die ist es, qualifizierte Arbeitskräfte nach den Markant war die Zuwanderung bei akademi- Geburtenrate und die demografische Ent- Wünschen der Wirtschaft wicklung und wegen des ins Land zu holen. Im Jahr Mangels an Fachkräften auf 2005 stimmte das Schwei- die Zuwanderer aus der Eu- zervolk der Erweiterung ropäischen Union angewie- des Abkommens auf zehn sen», erklärte Bundesrätin neue EU-Mitgliedstaaten Doris Leuthard. zu. Und 2009 beschloss das «Am Wirtschaftsstandort Volk die Fortführung der Schweiz sind Wissen und Personenfreizügigkeit mit Ideen gefragt. Dank der Zu- der EU und ihre Ausdeh- wanderung hat das Land ei- nung auf Bulgarien und nen Leistungsstand erreicht, Rumänien. der mit dem eigenen Humankapital nicht mög- Trendbruch lich gewesen wäre», schreibt in der Zuwanderung die Fachzeitschrift «Der Das Jahr 2002 bedeutete Arbeitsmarkt». Für Boris im Rückblick einen wahren Zürcher von der neolibe- Trendbruch: Fortan nahm ralen Denkfabrik «Avenir die Zuwanderung aus dem Suisse» zählt die Schweiz zu europäischen Raum stark den am meisten globalisier- zu, und entsprechend ging ten Ländern der Welt. der Zuzug aus den übrigen «Dank ihrer Offenheit ge- Ländern zurück. Seit 2006 genüber den Produktions- wanderten durchschnitt- Der aus dem Libanon stammende Nicolas Hayek rettete die Schweizer Uhrenindustrie. faktoren Arbeit und Kapital lich 6 000 EU-Bürger je- verfügt sie über eine Leis- den Monat in die Schweiz ein, auch in den schen Berufen (wie Wissenschaftlern, Ärz- tungsfähigkeit, die mit einheimischen Ar- Jahren der wirtschaftlichen Rezession. «Die ten, Hochschullehrern), bei Technikern und beitskräften allein nicht gestützt werden Schweiz hat die Kontrolle über ihre Aussen- Ingenieuren und allgemein bei den Füh- kann.» grenzen verloren. Sie ist ausländerpolitisch rungskräften in Unternehmungen. «Die Der Standort Schweiz weist für den Zür- nicht mehr handlungsfähig», schrieb der Einwanderung verschiebt sich in Richtung cher Universitätsprofessor Beat Hotz-Hart «Weltwoche»-Chefredaktor. Stimmt diese Hochqualifizierte. Das entspricht den Be- heute in der Hochschullehre, in Forschung SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Aussage? Gegenüber den 15 «alten» EU- dürfnissen der Wirtschaft» (stellt eine Cre- und Entwicklung, bei Führungskräften und Staaten gab es bis Mitte 2007 Kontingente, dit-Suisse-Studie fest). Verwaltungsräten der Wirtschaft einen und für die acht «neuen» EU-Staaten gelten «ausserordentlich hohen Grad der Interna- solche Begrenzungen bis 2011 (und noch län- Beitrag zum Wohlstand tionalisierung» auf. Die damit verbundene ger für Bulgarien und Rumänien). Zudem Bei der ganzen Diskussion um die Zuwande- weltweite Vernetzung sei ein «enormer Vor- Foto: Keystone haben die Schweizer Diplomaten gegenüber rung aus dem Ausland sind sich linke und teil im internationalen Wettbewerb». Die Brüssel eine besondere Schutzklausel «bei rechte, progressive und konservative Mei- hohe Internationalisierung im Spitzenmana-
10 EINWANDERUNGSLAND SCHWEIZ gement schweizerischer Unternehmen be- migration bringe nicht nur Arbeitskräfte ins Sozialtransfers «die Defizite in der Auslän- legt eine Erhebung der spezialisierten Guido Land, sondern auch Konsumenten und Mie- derintegration und bei der Berufsbildung». Schilling AG in den 121 Firmen mit der gröss- ter, was das Wachstum der Binnenwirtschaft Mangelnde berufliche Ausbildung führe ten Anzahl Mitarbeitender: 44 Prozent der begünstige und neue Arbeitsplätze schaffe. hauptsächlich zu Arbeitslosigkeit und zum Topmanager in der Schweiz sind Ausländer – Und der Einfluss auf die Löhne? Das Fa- Bezug von Leistungen der Sozialhilfe und der davon zu 31 Prozent aus Deutschland (auf der zit des zuständigen Staatssekretariats im Sozialversicherungen. Stufe CEO gar zu 43 Prozent), zunehmend Bundeshaus: Lohnsenkende Folgen für Er- Die heutigen Soziallasten haben auch ei- gefolgt von US-Amerikanern und Briten. werbstätige mit tiefen und mittleren Ein- nen geschichtlichen Hintergrund: Die bis ins kommen sind nicht festzustellen. Bei den Jahr 2002 eingewanderten Saisonarbeiter Neue Probleme, neue Sorgen hochqualifizierten Arbeitskräften hat die aus Südeuropa und später aus dem Balkan Zuwanderung schafft Wohlstand – und neue Zuwanderung einen dämpfenden Effekt auf waren überwiegend Ungelernte. Die Schweiz Sorgen und Probleme. Auf dem Wohnungs- die Löhne, deutlich stärker bei den Auslän- hat sie als billige Arbeitskräfte ins Land ge- markt stösst die starke Einwanderung auf den dern als bei den Schweizern. Dass der Druck holt. Dies bestätigt Alain du Bois-Reymond, begrenzten Faktor Boden, und das mit Fol- auf die Löhne nicht stärker ausfällt, hat mit der Direktor des Bundesamtes für Migra- gen für die Preise von Wohneigentum und «flankierenden Massnahmen» zur Personen- tion: «Der hohe Anteil von Ausländern bei Mieten. Die Migration ausländischer Ar- freizügigkeit in Europa zu tun. Diese sorgen der Arbeitslosen- und bei der Invalidenver- beitskräfte war in den letzten vier Jahren der dafür, dass die schweizerischen Lohn- und sicherung ist eine Altlast aus der Zeit des Sai- stärkste Antrieb für den Wohnungsbau (stel- Arbeitsbedingungen in allen Branchen und sonnier-Statuts.» Francis Matthey von der len die Immobilienberater Wüest & Partner Regionen des Landes eingehalten werden. Kommission für Migrationsfragen nennt fest). «An einigen Hotspots weitere Gründe: Die auslän- im Raum Genf oder Zürich dische Bevölkerung ist jün- spielt der Markt verrückt.» ger und weniger gut ausge- Vor allem bei Luxusobjek- bildet, viele Migranten ten führe dies zu Preisen arbeiten in Sektoren mit be- «jenseits der Realität». Was sonderem Invaliditätsrisiko die lokale Bauwirtschaft und in konjunkturabhängi- und die Immobilienhändler gen Branchen. freut, hat Folgen für die an- Die Migration begünstigt sässigen Bewohner. «Woh- aber auch die Sozialwerke: nungsknappheit und Preis- «Durch die Zuwanderung steigerungen erhöhen den von mehrheitlich jüngeren ökonomischen Druck auf Arbeitnehmern wird bei der die sozial benachteiligten Alters- und bei der Invali- Bevölkerungsschichten, denversicherung das Ver- wodurch im Umfeld der hältnis zwischen Aktiven grossen Städte das Armuts- und Rentnern verbessert. risiko steigt», heisst es in Damit tragen die Einwande- der Studie «Immigration rer zur Finanzierung von 2030» der Zürcher Kanto- AHV und IV bei» (so die nalbank. «Neue Zürcher Zeitung»). Verdrängen die meist Bei der AHV allein kommen gut qualifizierten neuen rund 20 Prozent aller Lohn- Zuwanderer die einheimi- Die besten Schweizer Fussballer sind gebürtige Ausländer: Yakin, Barnetta, Behrami, beiträge von EU-Bürgern, Fernandes (v.l.) schen Erwerbstätigen (mit die aber nur 15 Prozent der und ohne Schweizer Pass) Leistungen beziehen. Übri- vom Arbeitsmarkt? «Eine Verdrängung von Folgen für die Sozialwerke? gens: Anspruch auf eine AHV-Vollrente in einheimischen Arbeitskräften findet kaum Belasten oder entlasten die Immigranten un- der Schweiz besteht nach 44 Beitragsjahren, statt», sagte Direktor Serge Gaillard vom sere Sozialwerke und den Staat? 42 Prozent wer nur ein Jahr bei uns gearbeitet hat, be- Staatssekretariat für Wirtschaft. «Entgegen der Arbeitslosen sind Ausländer, 44 Prozent kommt also nur 1/44 der Vollrente … von Befürchtungen verdrängen die Zuwan- der Empfänger von Sozialhilfe sind Auslän- Dennoch gibt es offene Fragen wie diese: Fotos: Schweizerischer Fussballverband SFV SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 derer die Schweizer gesamthaft nicht aus der (zusammen mit eingebürgerten Perso- Warum beziehen 10 Prozent der Türken im dem Arbeitsmarkt», hält das Fachorgan «Der nen gar 60 Prozent), und 37 Prozent der Alter von 30 bis 39 Jahren eine IV-Rente, Arbeitsmarkt» fest; eine gewisse Verdrän- Renten der Invalidenversicherung gehen an und nur etwa 2 Prozent der Schweizer? gung finde allenfalls beim Mittelstand statt. Ausländer. Und das bei einem ausländischen Warum ist jeder dritte Türke oder frühere Konjunkturforscher nehmen an, dass die Ar- Anteil an der Wohnbevölkerung von 22 Pro- Jugoslawe im Alter von 50 bis 59 Jahren über beitslosigkeit durch die Zuwanderung kaum zent. Der frühere Preisüberwacher Rudolf die Sozialversicherung schon frühpensio- oder nur sehr schwach gestiegen ist. Die Im- Strahm nennt als wichtigste Ursache dieses niert, und nur 9 Prozent der Schweizer (wie
11 eine Studie festhält)? Ist es angemessen, dass haben ihre eigenen Netzwerke und leben in Ausländer das Schweizer Bürgerrecht, am zum Beispiel ein Deutscher nach einem ein- Communities, sprechen Englisch und schi- meisten aus dem Balkan, aus Italien und zigen Arbeitstag die volle Arbeitslosenhilfe cken ihren Nachwuchs in internationale Deutschland. Die Einbürgerungspraxis in erhält, sofern er in seinem Herkunftsland ge- Schulen. Es ist aber unbestritten, dass es für der Schweiz gilt im internationalen Ver- nügend lange Sozialversicherung bezahlt die «chancengleiche Teilhabe der ausländi- gleich nach wie vor als streng. Dennoch hat? schen Bevölkerung am wirtschaftlichen, fordern Rechtspolitiker weitere Verschär- Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen sozialen und kulturellen Leben» (so der Bun- fungen – keinen Schweizer Pass bei Arbeits- zur Frage, wie viel die Ausländer an die So- desrat) noch viel zu tun gibt. Ja, es gebe losigkeit oder bei einem Strafregistereintrag zialversicherungen bezahlen und wie viel Überfremdungsängste in der Bevölkerung, (wie das Überfahren eines Rotlichts im Sozialleistungen sie beziehen (den sogenann- bestätigte Zürichs Stadtpräsidentin Corinne Strassenverkehr). ten Netto-Transfersaldo). Dabei werden Mauch. Deshalb sei es «absolut zentral, auch ihre Steuerleistungen berücksichtigt dass wir eine aktive Integrationspolitik be- Die kulturelle Dimension und der Umstand, dass ein anderer Staat ihre treiben». Im Oktober wurde Melinda Nadj Abonji auf Ausbildung finanziert hat. Die gründliche Die höchste Stufe der Integration ist die der Frankfurter Buchmesse mit dem Deut- Immigrations-Studie der Zürcher Kantonal- Einbürgerung, also die Erteilung des schen Buchpreis ausgezeichnet. Und im No- bank kommt für alle Personen im Erwerbsal- Schweizer Bürgerrechts. Wer seit zwölf Jah- vember erhielt die Autorin auch noch den ter (Schweizer und Ausländer) zu einem po- ren in der Schweiz wohnhaft ist, kann ein Schweizer Buchpreis. Die 42-jährige Schrift- sitiven Saldo (also mehr Einzahlungen als Gesuch um Einbürgerung stellen. Der Bund stellerin stammt aus Senta in der Vojvodina, Bezüge). Dieser liegt bei Personen mit aus- klärt nur zwei Fragen ab – ob der Kandidat einer autonomen ungarischen Provinz in ländischem Pass etwas Serbien, und lebt mit ihrer tiefer als bei Schweizern, Familie in Zürich. Ihr preis- was mit den niedrigeren gekrönter Roman «Tauben Einkommen der Ausländer fliegen auf» berichtet von zusammenhängt. Anders einer Familie, die Anfang gesagt: Mit Einbezug der der Siebzigerjahre aus der Steuern sind die zugewan- Vojvodina in die Schweiz derten Ausländer aus staat- kommt. Den letztjährigen licher Sicht «rentabel». Schweizer Buchpreis hatte die Autorin Ilma Rakusa Integration mit slowenisch-ungarischen und Einbürgerung Wurzeln gewonnen. Ihr au- «Man hat Arbeitskräfte ge- tobiografisches Werk rufen, und es kommen «Mehr Meer» schildert po- Menschen.» Dieser be- etisch die Beobachtungen rühmte Satz des Schrift- einer Eingereisten über ihre stellers Max Frisch von neue Heimat. 1965 zielt auf die soziale In- «Die deutschsprachige Li- tegration der ausländischen teratur hat in den letzten Arbeitskräfte in unsere Ge- Jahrzehnten von Immigran- sellschaft. Die Schweiz mit ten und Secondos wesentli- ihrer grossen Zahl an Aus- che Impulse erhalten», ländern hat seit den Sech- schreibt der Literaturkriti- zigerjahren zweifellos eine Die Schweiz zieht auch viele reiche Ausländer an: Popstar Phil Collins wohnt seit vie- ker Manfred Papst. Immi- len Jahren in der Nähe von Genf. eindrückliche Integrations- gration hat nicht nur eine leistung erbracht. Seit ei- ökonomische und soziale nem halben Jahrhundert schüren indes nati- die Rechtsordnung einhält und ob er ein Si- Dimension, sondern – zum Glück für unser onal-konservative Kreise immer wieder das cherheitsrisiko darstellt. Weitere Kriterien Land – auch eine kulturelle. politische Feuer mit der Ausländerfrage. Die überlässt der Bund den Kantonen und Ge- politische Rechte will nicht anerkennen, dass meinden, etwa die Vertrautheit mit den hie- die Schweiz ein Einwanderungsland ist, und sigen Lebensgewohnheiten, den Leumund, DOKUMENTATION SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 verlangt Assimilation statt Integration. Die die sprachliche Verständigung, die finan- Credit Suisse, Economic Research: Schweizer Migrati- onspolitik. Erfahrungen und Aussichten, Zürich, 2008 politische Linke verklärt den Multikultura- zielle Eigenverantwortung. Daniel Müller-Jentsch: Die neue Zuwanderung. Die lismus oft in naiver Weise und verkennt die Waren es im Jahr 1990 noch 8658 Einbür- Schweiz zwischen Brain-Gain und Überfremdungs- angst. Avenir Suisse und Verlag Neue Zürcher Zeitung, alltäglichen Probleme des Zusammenlebens gerungen gewesen und zehn Jahre später Zürich, 2008 (namentlich in den Schulen). 28 700, stieg diese Zahl in den letzten fünf Zürcher Kantonalbank: Immigration 2030. Szenarien Foto: Keystone für die Zürcher Wirtschaft und Gesellschaft, Zürich, Am wenigsten Sorgen bereitet die Integ- Jahren bis auf 46 711 im Jahr 2006 massiv an. 2010 ration der neuen ausländischen Eliten – sie 2009 erhielten 43 440 Ausländerinnen und Dokumentationszentrum: www.doku-zug.ch
12 CERN – DAS ZENTRUM FÜR KERNFORSCHUNG IN GENF Das Experiment der Superlative werden nächstes Jahr die Protonen aufein- ander krachen. Mit dem ATLAS-Detektor Der kälteste Ort im Universum und der grösste Teilchen- wollen die Physiker das sogenannte Higgs- beschleuniger der Erde befinden sich nordwestlich von Genf. Teilchen nachweisen – es existiert heute nur Besuch in einer Parallelwelt, der Europäischen Organisation in der Theorie – von dem man sich ver- spricht, dass es erklärt, warum die Teilchen für Kernforschung CERN. Von Joel Frei eine Masse haben. Die Physiker Die Gebäude des Forschungszentrums be- Hundert Meter unter der Erde führen enge Nebendetektor soll unter anderem Licht in finden sich zu einem guten Teil auf franzö- Gänge durch ein Gewirr aus Rohrleitungen, eines der letzten Rätsel der Antimaterie sischem Territorium. Die Grenze verläuft Kabeln und Schläuchen. Der Physiker Niko bringen: Warum wurde beim Urknall nicht mitten durch das Forschungsgelände. Phy- Neufeld grinst schelmisch: «Es ist hier ein alle Materie, die mit der Antimaterie in Kon- siker, die ihr Büro in Frankreich haben, es- bisschen wie in einem Harry-Potter-Film – takt kam, vernichtet? Warum blieb ein klei- sen in der Kantine zu Mittag, die sich in der man weiss nie so recht, wo die verschlunge- ner Rest Materie übrig, welcher unser Uni- Schweiz befindet. Da kann es den Physikern nen Wege enden.» Neufeld ist einer der 7000 versum bilden sollte? aus aller Welt, die am CERN forschen, schon Wissenschaftler am CERN, dem grössten mal passieren, dass sie vergessen, in welchem Forschungszentrum für Teilchenphysik der Der Teilchenbeschleuniger Land sie sich befinden. Das Klischee des ver- Welt. Hier werden Antworten auf die ganz Der neue, leistungsfähigere Teilchenbe- gesslichen Professors bestätigt sich im grossen Fragen gesucht: Woher kommen schleuniger LHC (Large Hadron Collider) CERN-Land: Da soll doch ein allzu passio- wir? Warum diese Welt und nicht eine an- wird im ringförmigen Tunnel des alten Be- nierter Physiker an Skorbut erkrankt sein, da dere? Wie hat sich das Universum entwi- schleunigers gebaut. Dieser unterirdische er zu sehr an seine Experimente dachte und ckelt? Das «Labor für die Welt» – Forscher Speicherring kann einen Umfang von stol- nicht an gesunde Ernährung. Tourführerin aus über 80 Ländern arbeiten hier – hat die zen 27 Kilometern aufweisen und reicht weit Sophie Tesauri schreitet zu einer Halle auf Dimension einer kleinen Stadt. ins benachbarte französische Staatsgebiet hi- französischem Territorium voran. Auf einer nein. Im LHC werden Protonen auf an- Wiese nebenan grasen friedlich Schafe. Die Das Labyrinth nähernde Lichtgeschwindigkeit beschleunigt Halle ist heruntergekommen, die schäbigen Die Strassen des CERN tragen Namen be- und in beide Richtungen im Kreis herumge- Toiletten sind aussen am Gebäude angebaut. kannter Physiker. Heisenberg, Curie, Ein- schossen. Dabei prallen sie unweigerlich auf- «Das Geld wird für die Forschung verwen- stein. Die Physikerstadt beherbergt eine ei- einander; aus diesen Zusammenstössen ent- det – mein Büro weist beispielsweise keine gene Post, eine Bank, ein Reisebüro und stehen neue Teilchen. Die Detektoren am Doppelverglasung auf», lacht Tesauri. einen Theatersaal. Das CERN steht auch im Ring des Teilchenbeschleunigers erfassen Energiebedarf einer Stadt in nichts nach: diese Zusammenstösse und erzeugen eine Die Grenzen der Wissenschaft Die Forschungsstätte verschlingt einen Datenlawine, welche die Physiker dann aus- Im Innern der Halle stellt der Physiker Zehntel der Elektrizität des Kantons Genf. werten können. Unzählige extrem leistungs- Michael Doser ein Antimaterie-Experiment Das Budget des gigantischen Labors beläuft fähige Magnete halten die Protonen auf vor, bei dem er vor einigen Jahren mitge- sich auf rund eine Milliarde Franken. Zum ihrer Kreisbahn. Um ihre volle Leistung aus- forscht hat. Dem Forscherteam war es ge- Vergleich: Der Finanzhaushalt des CERN ist zuschöpfen, werden diese auf minus 271 lungen, ein Anti-Wasserstoff-Atom künst- höher als das Bruttoinlandsprodukt des zen- Grad Celsius heruntergekühlt – so kalt wird lich zu erzeugen. Das Gespräch mit Doser tralafrikanischen Staats Burundi. es sonst nirgends im Universum. Bei ihren gleitet in die unbekannte Welt der Metaphy- Neufeld dringt weiter ins Labyrinth vor Experimenten stellen die Forscher den phy- sik ab: Auf die Frage, ob die Physik jemals er- und geht durch einen Gang voran, der durch sikalischen Urzustand des Universums nach, klären kann, was zeitlich vor dem Urknall riesige Stahlbetonblöcke führt. «Jetzt kom- als die Welt eine Billionstelsekunde alt war. war, meint er, dass es nach dem heutigen men wir – wie wir das nennen – auf die Wenn man den Eifer der Physiker und das Stand der Wissenschaft sinnlos sei, danach schlechte Seite.» Was wie ein filmreifer Strahlen auf ihren Gesichtern sieht, glaubt Fragen zu stellen, «denn Zeit ist erst mit dem Schlagabtausch zwischen Gut und Böse tönt, man, sie reisten gleich selber mit in die Ver- Urknall entstanden und wir wissen noch ist dann doch in die nüchterne Welt der Wis- gangenheit, mit ihrer Detektor-Zeitma- nicht, was Zeit bedeutet». Dieser Genera- senschaften einzuordnen. Die Betonblöcke schine. tion von Physikern wird es, wie Doser meint, schützen Mensch und Elektronik – die sich Ein riesiger Koloss aus Metall hängt in ei- nicht gelingen, die Rätsel der Gravitation SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 auf der «guten» Seite befinden – vor der ner Kaverne, zu der man nur durch einen und der Zeit zu lösen. Die Forscher können Strahlung verirrter Teilchen. Der Gang schmalen Durchgang gelangt. Der ATLAS- es sich nicht erklären, warum wir an der Erde durch die Betonblöcke führt schliesslich zu Detektor ist der grösste der sechs Detekto- kleben. Und Zeit bleibt ein abstrakter Be- einer unwirklich erscheinenden Riesenma- ren am Ring und stellt das Kernstück des griff. Doch er glaubt an die kommende Ge- schine. Es ist einer der sechs Detektoren am neuen Teilchenbeschleunigers dar. Die Ar- neration Physiker: «Ich glaube an den Erfin- Ring des weltweit grössten Teilchenbe- beiter, die an ihm herumturnen, sehen wie dungsgeist der Menschen. Man wird neue schleunigers, der sogenannte LHCb. Dieser Zwerge aus. Im Zentrum dieses Apparats Fragen haben und neue Hilfsmittel erfinden,
13 um diese Fragen zu beantworten». Wie man «Es passiert sicher nichts Gefährliches» es aus Science-Fiction-Filmen kennt, glaubt er, dass der Mensch seine Intelligenz einmal Was bringt die milliardenteure Forschung am CERN? Welche künstlich erweitern kann und so auch einmal Erkenntnisse erhoffen sich die Physiker in Genf von ihrer wissen wird, was vor dem Urknall war. «Zei- Arbeit? Der Berner Physiker Peter Jenni arbeitet seit 1980 am gen, wie alles zusammenpasst und dass das Universum gar nicht anders hätte sein kön- CERN und beantwortet Fragen zu seiner Tätigkeit. nen, das ist das Ziel der Physik», so Doser. Die Fragen stellte Joel Frei. Das CERN bei Genf besuchen heisst ein- tauchen in eine Parallelwelt. Was ist Wirk- lichkeit, was Metaphysik? Am Ende der Was war für Sie der bewegendste Moment in Führung durch die Welt der Grundlagenfor- ihrer Karriere als Physiker? schung bleiben viele unbeantwortete Fragen. Es gibt drei Momente, die mir ganz beson- Die wichtigste: Was machen die 7000 Wis- ders wichtig waren. Das war zu Beginn der senschaftler in diesem Labyrinth aus grauen 80er-Jahre, als wir am Proton-Antiproton- Gebäuden, Detektorenkavernen und Tun- beschleuniger Experimente durchführten nels eigentlich wirklich? und die W- und Z-Bosonen (Übermittler der schwachen Wechselwirkung) gefunden haben. Das war die grosse Entdeckung am CERN. Ein grosser Moment war 1995, als Bild unten: Das CERN in Genf hat die Dimensionen einer kleinen Stadt und ist der Arbeitsplatz Peter Jenni arbeitet seit 1980 als Physiker für Forscher aus 80 Ländern. beim CERN. SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Foto: Keystone/CERN
14 CERN – DAS ZENTRUM FÜR KERNFORSCHUNG IN GENF das ATLAS-Projekt genehmigt wurde. Und ten könnte. Aber es gibt Folgetheorien der schen, dass er die Naturgesetze verstehen natürlich die ersten Kollisionen im LHC, am String-Theorie, die Voraussagen über neue möchte; dies unterscheidet uns unter ande- 23. November 2009, ein ganz spezieller Mo- hypothetische Teilchen machen, zum Bei- rem von Tieren. Ein anderer Aspekt ist, dass ment nach zwanzig Jahren Entwicklungs- spiel die Supersymmetrietheorie. Diese The- es viele positive Anwendungen der am arbeit. orie ist sehr spannend, da hier der LHC zum CERN entwickelten Technologien gibt. Im Tragen kommt und dank ihr Forschungsre- Bereich der Medizin beispielsweise, und das Gibt es schon konkrete Erkenntnisse, welche sultate in der Suche nach der mysteriösen World Wide Web wurde am CERN entwi- dank des neuen Teilchenbeschleunigers LHC dunklen Materie erzielt werden könnten. ckelt. Aber vielleicht noch wichtiger ist die gewonnen werden konnten? Der Schweizer Physiker Fritz Zwicky hat Ausbildung von vielen jungen Leuten in Spit- Ja, es gibt schon mehrere Publikationen schon in den 1930er-Jahren beobachtet, dass zentechnologien, aber auch ganz einfach, in- zum Standardmodell in der Physik. Noch nie die sichtbare Materie allein nicht erklären dem hier international zusammengearbeitet wurde dieses bei so hohen Energien getestet. kann, wie Galaxien zusammenhalten. Es wird. Wir sind uns schon bewusst, dass Spit- Wir sehen, dass sich dieses Modell im muss da noch eine andere Materie existieren, zenforschung viel Geld kostet, und es ist Grossen und Ganzen so verhält, wie wir das die grundlegend anders aufgebaut sein muss. wichtig, dass eine Kontrolle des Energiever- erwarteten. Und wir haben auch schon Neu- Man sieht von der dunklen Materie keine brauchs sowie ein Qualitätsmanagement land beschritten; man kann beispielsweise Sterne, aber sicher ist: Es gibt viel davon, viel durchgeführt wird. schon gewisse hypothetische Teilchen aus- mehr als die Materie, aus der die Sterne ge- schliessen. Wir können dank der hohen formt sind. Die dunkle Materie ist eines der Was sagen Sie zu Menschen, die befürchten, Energie, mit der wir arbeiten, mehr Erkennt- Hauptmysterien in Physik und Kosmologie. dass der LHC ein Schwarzes Loch entstehen nisse sammeln als unsere Konkurrenz am Te- lässt? vatron-Beschleuniger bei Chicago. Wir ha- Wie stehen Sie zum Vorwurf, dass die Grund- Was am LHC passiert, kommt in der Na- ben zwar noch nichts Exotisches gefunden, lagenforschung am CERN zu viel Geld, näm- tur schon seit vielen Milliarden Jahren vor: sind aber weiter vorangekommen als bisher. lich 1 Milliarde Franken pro Jahr, und zu Zusammenstösse von Teilchen geschehen im Natürlich erhoffen wir uns vom LHC viele viel Energie, 10 Prozent der Elektrizität des Universum ausserdem noch mit viel höherer neue Erkenntnisse in den kommenden Jahr- Kantons Genf, verschlingt? Energie. Wir sind alle noch da, diese Gefahr zehnten. Die Grundlagenforschung ist wichtig für besteht wirklich nicht und ist unbegründet. den technischen Fortschritt der Menschheit. Das CERN hat die Warnungen ernst genom- Zu den Symmetrietheorien gehört auch die so- Wir leben alle mit technischen Errungen- men und Expertenberichte machen lassen, genannte String-Theorie, in der auch am schaften. Als Forscher über Elektrizität und die aufgrund von Wahrscheinlichkeitsrech- CERN geforscht wird. Wird dank ihr bald Magnetismus geforscht haben, konnte nie- nungen Entwarnung gaben. Diese Frage kam die «Weltformel» gefunden? mand vorhersehen, welche Bedeutung diese oft vor, aber seit der LHC in Betrieb ist, (lacht). Da ist noch ein langer Weg vor uns. Forschung gewinnen würde. Grundlagenfor- wurde es ruhig um dieses Thema, weil nichts Die String-Theorie macht nicht klare Aus- schung ist ein Motor für den Fortschritt. Es passiert ist. sagen darüber, was man am LHC beobach- gehört zu den Grundeigenschaften des Men- GLOSSAR Standardmodell Es wird im Standardmodell der seitig zerstören. Beim Urknall Weltformel Dieses Modell der Elementarteil- Elementarteilchenphysik vorher- wurden riesige Mengen von Mate- Auch als «Theory of Everything» chenphysik ist eine physikalische gesagt. rie und Antimaterie so vernichtet, bekannt, versucht diese Theorie Theorie, welche die bekannten es ging aber ein kleiner Rest an der Physik und Mathematik alle Elementarteilchen beschreibt so- Dunkle Materie Materie hervor, unsere heutige bekannten physikalischen Phäno- wie die Wechselwirkungen zwi- Hypothetische Form von Materie, Welt. mene ganzheitlich zu erklären schen diesen. Das Modell be- welche nicht gesehen werden und zu verknüpfen. Ein einziges schreibt drei verschiedene Arten kann, da sie kein Licht aussendet String-Theorie Modell soll alle grundlegenden von Wechselwirkungen; starke oder reflektiert. Dunkle Materie Hypothetische physikalische Mo- Wechselwirkungen der Natur er- Wechselwirkung, schwache Wech- steht in einer gravitativen Wech- delle; welche versuchen, alle bis- klären. selwirkung und elektromagneti- selwirkung mit sichtbarer Materie. her beobachteten Fundamental- sche Wechselwirkung. kräfte der Physik einheitlich zu Schwarzes Loch Antimaterie erklären. Insbesondere versucht Ein astronomisches Objekt, das SC HWEIZE R RE VUE Januar 2011 / Nr. 1 Higgs-Teilchen Materie, die aus Antiteilchen auf- diese Theorie, die Gravitations- eine so grosse Gravitation auf- Benannt nach dem schottischen gebaut ist, die Gegenstücke «un- theorie mit der Quantentheorie weist, dass sogar Licht von ihm Physiker Peter Higgs, ist dieses serer» Materie, aus der die Welt zu verbinden. Die Theorie geht eingesaugt wird. Die Raumzeit bis jetzt nur in der Theorie exis- besteht. Antimaterie ist bei uns über das Standardmodell hinaus, wird in ihm so stark verzerrt, dass tierende Teilchen wichtig, um die sehr kurzlebig, weil beim Aufein- ist aber bisher nie praktisch ge- nichts von innerhalb nach ausser- Masse von Teilchen zu erklären. andertreffen eines Teilchen-Anti- testet worden. halb des Lochs gelangen kann. teilchen-Paares sich beide gegen-
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