Die Vermessung des Metalheads - Doktör Nico Rose - Dr. Nico Rose

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Die Vermessung des Metalheads - Doktör Nico Rose - Dr. Nico Rose
Die Vermessung
des Metalheads
    Doktör Nico Rose
Die Vermessung des Metalheads - Doktör Nico Rose - Dr. Nico Rose
Die Vermessung des Metalheads

Inhalt
Intro                                                      S. 2

Stichprobe                                                 S. 4

Headbanger: eine schrecklich nette Familie                 S. 6

Die Persönlichkeit des Metalheads                          S. 10

Sind Metaller glücklich? Und wenn ja: warum?               S. 16

Was machen Metalheads mit ihrer Musik?                     S. 20

Rettet Metal Leben?                                        S. 23

Outro                                                      S. 25

Literatur                                                  S. 26

Anhang A: die beliebtesten Metalbands                      S. 28

Anhang B: Metalstile nach Präferenz                        S. 29

Impressum, Kontakt, Bildquellen                            S. 30

Anmerkungen                                                S. 32

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Die Vermessung des Metalheads - Doktör Nico Rose - Dr. Nico Rose
Die Vermessung des Metalheads

1) Intro
Eine Studie? Über Metal? Muss das wirklich sein? Ich finde: Ja – verdammt – das muss sein!1
Metal ist eine Macht. Gemäß einer auf Statista abrufbaren Studie hören sieben Millionen
Menschen in Deutschland sehr gerne Metal und Hard Rock. Laut einem Bericht des Deutschen
Musikinformationszentrums (MIZ) könnten es sogar über 25 Prozent der Bevölkerung ab dem
14. Lebensjahr sein – das wären dann noch ein paar Millionen mehr.

Metal ist auch eine Wirtschaftsmacht. Die Alben von deut-
schen Bands (wie Rammstein, Heaven Shall Burn, Hello-            Rund 25 % der Menschen
                                                                  in Deutschland hören
ween) und internationalen Acts (wie Metallica, Iron Maiden,
                                                                     gerne harte Musik.
Amon Amarth) belegen mit schöner Regelmäßigkeit die vor-
dersten Plätze der Albumcharts.2 Daten zeigen, dass Metalheads ihren Lieblingsbands beson-
ders treu sind, auch, was den digitalen Konsum betrifft. Zudem sind Metalkonzerte und -fes-
tivals von herausragender Bedeutung, kulturell wie auch wirtschaftlich. Das Wacken Open Air
Festival (W:O:A) mit seinen bis zu 85.000 Gästen ist da nur die Spitze des Eisbergs.3

Der großen Bedeutung in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht steht allerdings ein
weitgehendes Desinteresse der allgemeinen Öffentlichkeit gegenüber. Metal findet im Radio
nur auf Spartenkanälen statt, im Fernsehen spielt er, wenn überhaupt, ausschließlich in den
dritten Programmen eine Rolle – und das auch nur gelegentlich. Es gibt kein „Festival der
Thrashmusik“ zur Primetime im ZDF. Auch Finanzspritzen für darbende Clubs kommen, wenn,
dann von den Fans selbst, nicht aus der öffentlichen Hand.

Hinzu kommt eine gewisse gesellschaftliche Geringschätzung bis hin zur Ächtung der Musik
und ihrer Fans. Metalheads werden in der Öffentlichkeit gerne als biersaufende, ungepflegte
und grenzdebile Personen dargestellt4 – bisweilen: mit ganz realen Konsequenzen. Der krea-
tive Kopf der beliebten Metalband Debauchery, Thomas Gurrath, wurde 2010 mit juristisch
fragwürdigen Methoden dazu gedrängt, aufgrund seiner musikalischen Aktivitäten sein Lehr-
amtsreferendariat zu beenden. Man forderte ihn auf, seinen Nachnamen zu ändern und der
Musik abzuschwören – dann hätte er weitermachen dürfen. Dieser Vorgang vollzog sich in
Stuttgart, wohlgemerkt, nicht in Teheran oder Peking.

Vor diesem Hintergrund tritt diese Studie an, ein objektiveres Licht auf die Szene zu werfen.
Im Fokus soll der Headbanger (w/m/d) als Person stehen, nicht so sehr die Musik als solche.5
Als den Metal liebender Psychologe6 interessiert mich naturgemäß die Psychologie des Metalfans:

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Die Vermessung des Metalheads

Unterscheidet sich die Persönlichkeit des gemeinen Metallers von Otto Normalverbraucher?
Was machen Metalfans mit ihrer Musik? Was macht die Musik mit ihnen?

Zu diesem Zweck habe ich über 6.000 Headbanger im deutschen Sprachraum befragt.7 Was
vorab gesagt werden darf: Ja, der Metalhead unterscheidet sich von der normalen Bevölke-
rung, durchaus (auch) in einer Weise, die den handelsüblichen Klischees widerspricht.

  ▪   Metalfans sind im Mittel gebildeter als die allgemeine Bevölkerung und auch finanziell
      bessergestellt. Die Szene ist nach wie vor männlich geprägt, aber nicht so drastisch, wie
      es manchmal von außen anmuten mag.
  ▪   Ihre Persönlichkeit unterscheidet sich von normalen Menschen. Zum einen sind Head-
      banger offener gegenüber neuen Erfahrungen, neigen darüber hinaus mehr zu sponta-
      nem Verhalten. Gleichzeitig zeigt sich eine erhöhte Neigung zu Ängsten und Anspan-
      nung. Die Daten lassen vermuten, dass Depressionen in der Population der Metalfans
      eine größere Rolle spielen könnten als in der Allgemeinbevölkerung.
  ▪   Weiterhin steht zu vermuten, dass die Energie der schwermetallischen Musik Metal-
      heads hilft, ihre Emotionen zu regulieren und ein aus ihrer Sicht gutes Leben zu führen.
      Allgemein nimmt die Beschäftigung mit der Musik einen sehr hohen Stellenwert im Le-
      ben der Fans ein. Metal wird über die Zeit zu einem essentiellen Teil der Identität: Man
      hört ihn nicht einfach – man lebt ihn, oft bis zum Tod.

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Die Vermessung des Metalheads

2) Stichprobe
Die Befragung8 fand im September 2021 statt. Das Gros der Teilnehmer wurde via Facebook
gewonnen.9 Knapp 7.000 Personen haben den zugehörigen Link geöffnet. Für die Auswertung
wurden nur Menschen berücksichtigt, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt hatten. Zudem
wurden rund 150 Personen ausgeschlossen, die angaben, dass Metal nicht ihre bevorzugte Mu-
sik sei.10 Somit beruhen die folgenden Aussagen auf Daten von 6.098 Personen.

                  Abb. 1: Geschlecht                                Abb. 2: Alter

                   Mann       Frau     Divers                < 30    30-39     40-49   50+

Von diesen Personen haben sich 3.929 als männlich, 2.145 als weiblich und 24 als divers iden-
tifiziert (Abb. 1). Die Metalszene ist männlich dominiert, aber nicht so stark ausgeprägt, wie
es oft klischeehaft dargestellt wird. Im Mittel haben die Personen 38 Sonnenumrundungen
hinter sich (Abb. 2). Der jüngste Mensch in der Stichprobe ist 14, die älteste Person 72 Jahre alt.

Die meisten Fans haben in der frühen Jugend zum Metal gefunden (Ø mit 13 bis 14 Jahren),
nicht wenige bekamen den Stoff auch schon mit der Muttermilch verabreicht. Spätberufene
gibt es selten: Wer bis zum 20. Lebensjahr kein Metalhead geworden ist, wird es in aller Regel
auch nicht mehr. Dies korrespondiert mit dem „ersten Kontakt“: Rund 50 Prozent entdecken
ihre Leidenschaft über den Freundeskreis der Jugend. Zusätzlich spielen Eltern und Geschwis-
ter eine gewisse Rolle. Klassische Medien (TV, Radio usw.) sind für die Initiation in die Metal-
szene hingegen so gut wie irrelevant.11

                                           Abb. 3: Bildung

          Haupt-/Realschule    (Fach-)Abitur    Ausbildung     Bachelor o.ä.   Master/Diplom o.ä.

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Die Vermessung des Metalheads

Metal mag zu Beginn eine Musik der Arbeiterklasse ge-
wesen sein.12 Dieses Bild lässt sich jedoch nicht mehr be-     Metalheads sind tendenziell
stätigen. Rund 40 Prozent der Teilnehmer haben min-            hochgebildet und finanziell
                                                                 betrachtet gut situiert.
destens einen Bachelor-Abschluss (Abb. 3),13 was im Ver-
gleich zur allgemeinen Akademikerquote in Deutschland einen hohen Wert darstellt. Das spie-
gelt sich auch im Einkommen der Personen, das im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eben-
falls in der Tendenz überdurchschnittlich ausfällt (Abb. 4).

                             Abb. 4: Bruttoeinkommen p.A. (€)

                < 20.000     bis 40.000    bis 70.000    bis 100.000   > 100.000

Der typische Metalhead besitzt auch im Zeitalter des digitalen Musikkonsums etwa 400 phy-
sische Tonträger, wobei dieser Wert stark schwanken kann. Während manche Fans gar keine
Platten mehr besitzen (weder CDs/DVDs noch Vinyl), geben einige wenige an, bis zu 30.000
Tonträger zu besitzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den in der Szene so wichtigen Band-
Shirts: Rund 40 besitzen die Menschen in dieser Stichprobe im Mittel. Auch hier zeigt sich,
dass einige Fans sich gar nicht daran erfreuen können, während andere ihren Bestand auf bis
zu 1.000 Exemplare schätzen.

Im Durchschnitt besuchen die Teilnehmer pro Jahr acht Konzerte und ein bis zwei Festivals,
wobei die Angaben auch hier sehr stark schwanken. Manche Heavy User gehen in Jahren ohne
Corona-Maßnahmen auf bis zu 200 Konzerte und bis zu zwölf Festivals, einige besuchen indes
gar keine Konzerte. Abgesehen vom Musikkonsum sind Metalheads selbst musikalisch aus-
nehmend aktiv: Rund ein Viertel der Studienteilnehmer gibt an, mindestens ein Instrument
zu spielen. Diese Zahl bewegt sich über dem Bundesschnitt.14 Neun Prozent spielen in mindes-
tens einer eigenen Band. Das wären, abzüglich der Vermutung, dass die eine oder andere Per-
son in der gleichen Band spielen könnte wie andere Studienteilnehmer, geschätzte 500 Com-
bos. Auch das unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung der Metalszene.

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3) Headbanger: eine schrecklich nette Familie
Aus der Perspektive des Outsiders mag die Gemeinschaft der Metalheads wie eine homogene
Masse anmuten: Komische Leute mit (meist) ziemlich langen Haaren, die sich (meist) ziemlich
schwarz anziehen und (meist) ziemlich merkwürdigen Krach hören. Aus der Binnenperspektive
ergibt sich naturgemäß ein differenzierteres Bild. Das beginnt nicht zuletzt bei den musikali-
schen Präferenzen: Alexander Prinz, in der Szene bekannt als „Der dunkle Parabelritter“, hat
für einen YouTube-Beitrag einmal nicht weniger als 400 Subgenres identifiziert. Derart genau
nimmt es diese Studie allerdings nicht.

Dennoch bat ich die Teilnehmer, maximal fünf präferierte Stilrichtungen aus einer Liste von
20 Subgenres auszuwählen. Die Vorlieben wurden einer sogenannten Clusteranalyse unter-
zogen, welche die Menschen in der Stichprobe auf Basis ihrer Ähnlichkeit zu fünf aussagekräf-
tigen und etwa gleichgroßen Gruppen zugeordnet hat. Diese idealtypischen Metalpersonas
werden nun vorgestellt (Abb. 5), hier zunächst im Überblick, von links nach rechts. Darf ich
vorstellen: „Man of War“, „Man in Black“, „Post-Girl & Post-Man“, „Gothic Girl“ und – last not
least – „Rocka Rolla“.15

                           Abb. 5: Fünf idealtypische Metal-Personas

Falls Du Metalhead bist und dich nicht perfekt in einer dieser Personas wiederfindest: Gräme
dich nicht! Es handelt sich bei diesen Beschreibungen um Schablonen – Archetypen, um es
hochgestochen auszudrücken. Vielleicht bist Du in Wirklichkeit ein Mischwesen aus mehreren

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Figuren, vielleicht bist Du auch ganz anders. So ist das, wenn man Statistik auf Menschen los-
lässt: Man trifft meist alle ein wenig, aber keinen so richtig. Auch die Optik ist liebevoll über-
zeichnet und muss auf dich nicht im Geringsten zutreffen. Ich selbst war – zumindest in den
ersten zehn Jahren meines schwermetallischen Lebens – musikalisch betrachtet eindeutig ein
Man of War, später hatte ich einige Jahre einen starken Einschlag in Richtung Gothic Girl. So
ausgesehen habe ich hingegen nie.

Man of War (1.395 Personen)
True, truer, am truesten: Dieser Metal-Typ hört am liebsten klassischen
80er-Metal sowie Power und True Metal – aber auch Thrash und Sym-
phonic Metal drehen sich oft auf seinem Plattenteller. Nichts anfangen
kann dieser Kuttenträger mit „neumodischem Gedöns“ (Alternative und
Nu Metal, Metalcore usw.). Er ist Ø 40 Jahre alt und gehört damit tenden-
ziell zu den älteren Fans. Man of War weist von allen Metal-Typen den
niedrigsten Wert bei einer Persönlichkeitsdimension namens Neurotizis-
                 mus auf (siehe nächstes Kapitel) – er ist damit gewisser-
                 maßen der entspannteste Part der Metal-Community. Es gibt ihn in der
                 männlichen und der weiblichen Variante.16 Wenn er Musikzeitschriften liest,
                 dann mit Vorliebe Rock Hard und Metal Hammer.17

                 Man in Black (1.300 Personen)
                 In League with Satan: Man in Black ist der einzige Typus mit einer klaren Prä-
                 ferenz für Black, Death und Doom Metal. Wie fast alle ist er zudem dem
                 Thrash Metal zugeneigt. Wenn keiner guckt, dürfen es auch mal Iron Maiden
                 oder Dio ein. Nur zu fröhlich sollte es nicht werden: Happy und True Metal à
la Helloween und Sabaton erzeugen bei ihm Würgereiz, aber auch Nu Metal bringt sein Gehirn
zum Schmelzen (und zwar nicht in einem guten Sinn). Man in Black ist Ø 39 Jahre alt und mit
einem Anteil von 77 Prozent der am deutlichsten von Männern geprägte Subtypus. Zudem ist
er mit großem Abstand der Heavy User unter den Metalheads, er lebt seine musikalischen
Leidenschaften am intensivsten aus. Dieser Typus geht am häufigsten auf Konzerte (Ø 11 p.A.)
sowie Festivals und besitzt auch weit überdurchschnittlich viele Tonträger (Ø über 700) und
Band-Shirts (Ø über 60). Etwa jeder dritte Man in Black spielt zudem selbst mindestens ein
Instrument, gerne auch in der eigenen Band (15%). Wenn er Printmagazine liest, dann Deaf
Forever und Legacy.

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Post-Man & Post-Girl (1.145)
Sie haben den Groove: Post-Man und Post-Girl haben eine klare Präferenz
für Metalcore, Post-Thrash und Groove Metal à la Pantera oder Machine
Head. Auch Nu Metal im Stil von Slipknot und Korn darf es gerne sein,
              ebenso Alternative und Industrial Metal. Auf der anderen
              Seite: Alles, was zu seicht oder über Gebühr melodisch tönt,
              finden sie tendenziell suspekt: Bei True Metal und Hard
              Rock fliegt ihnen vor Lachen der Schmuck aus den Tunneln.
              Dieses Cluster ist Ø 37 Jahre alt und nach Gothic Girl die Un-
              tergruppe mit den meisten Damen (38%). Der Metalhead
              an sich ist etwas introvertierter als der Normalbürger. Post-Man und -Girl ste-
              chen hier leicht heraus: Unter allen Metalpersonas sind sie noch am extrover-
              tiertesten. Wenn sie sich für Printmagazine interessieren, dann für den Metal
              Hammer und Visions.

Gothic Girl (1.136 Personen)
Gothic Girl trägt gern Samt und Seide, mag es düster, aber nicht
zu heftig. Sie hört Folk/Mittelalter, Gothic und Industrial Metal,
doch auch Symphonic und True Metal können aus den Kopfhö-
rern schallen. Auffällig: Mit Thrash Metal kann sie wenig anfan-
gen.18 Gothic Girl ist zudem der einzige Typus, in dem die Anzahl
der Frauen in absoluten Zahlen überwiegt (51%). Aufgrund der
Grundgesamtheit in der Szene gibt es jedoch trotzdem viele Go-
thic Boys. Zudem ist Gothic Girl mit Ø 35 Jahren die jüngste Un-
tergruppe. Auffallend ist zudem, dass sie im Mittel weniger ver-
dient als das Gros der Menschen in der Stichprobe. Das erklärt
sich einerseits durch die Tatsache, dass sie vergleichsweise jung ist, zum anderen auch
dadurch, dass sich einfach am meisten Frauen in dieser Gruppe befinden.19 Zudem ist Gothic
Girl im Mittel am wenigsten glücklich mit ihrem Leben und erlebt relativ viel Anspannung und
Ängste. Von allen Gruppen besitzt sie die wenigsten physischen Tonträger. Wenn sie Musik-
zeitschriften liest, dann meist Gothic, Orkus und Sonic Seducer.

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Die Vermessung des Metalheads

                               Rocka Rolla (1.122 Personen)
                               Welcome to the Old School: Die älteren Vertreter dieses Typus
                               haben Judas Priest live gesehen, als Rob Halford noch Haare
                               auf dem Kopf hatte. Auf seinem Vinyl-Plattenteller rotieren
                               AC/DC, Black Sabbath, Motörhead, Rainbow und Deep Purple
                               (natürlich auch Metallica, aber bitte nur die ersten vier Alben).
                               Mit Ø 42 Jahren ist Rocka Rolla zudem alt genug, um heimlich
                               Hair Metal à la Poison und Mötley Crüe zu goutieren. Düster-
                               Metal löst beim ihm Achselzucken aus, Nu Metal und alles, was
                               auf -core endet, ist für ihn Kinderkacke. Es gibt ihn in männlich
                               und weiblich. Er ist tendenziell der Gutverdiener unter den
Metalheads, was dem fortgeschrittenen Alter geschuldet sein dürfte. In punkto Persönlichkeit
weist er die höchsten Werte für zwei Eigenschaften namens Gewissenhaftigkeit und Verträg-
lichkeit auf. Zudem erlebt Rocka Rolla am meisten positive Emotionen und empfindet sein
Leben am häufigsten als von Sinn erfüllt. Er liest gerne Rolling Stone und Rock Hard.

Im nächsten Abschnitt betrachten wir die Persönlichkeit dieser schrecklich netten Familie
noch eingehender.

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Die Vermessung des Metalheads

4) Die Persönlichkeit des Metalheads
Schauen wir uns nun die Persönlichkeitsmerkmale der Metalfamilie an – im Vergleich unter-
einander wie auch im Kontrast zum Normalbürger. Dafür zunächst etwas Hintergrundinfor-
mation für Nicht-Psychologen: Das in der Wissenschaft wichtigste Konzept zur Beschreibung
menschlicher Persönlichkeit ist das Big Five-Modell.20 Jeder Mensch lässt sich (mehr oder min-
der vollständig) anhand von fünf übergreifenden, zeitstabilen Persönlichkeitseigenschaften
beschreiben. Es geht dabei pro Dimension um die Einordnung auf einem Kontinuum relativ
zu anderen Menschen. Man wird folglich nicht einem Typ zugeordnet. Stattdessen lässt das
Modell viel Raum für Zwischentöne und Tiefenschärfe.21 Zudem sind die Merkmale über viele
Personen hinweg normalverteilt. Das bedeutet: Die meisten Personen innerhalb einer größe-
ren Gruppe von Menschen weisen durchschnittliche Werte auf. Deutlich weniger Personen
haben über- bzw. unterdurchschnittliche Ausprägungen – und extreme Werte sind tatsächlich
recht selten. Konkret geht es nun die folgenden fünf Dimensionen:

  ▪   Offenheit für Erfahrungen: Menschen mit höheren Ausprägungen auf dieser Dimension
      sind tendenziell kreativ, brauchen viel neuen Input und langweilen sich schnell. Sie ha-
      ben oft ein hohes Interesse an Kunst und Musik. Personen mit niedriger Ausprägung sind
      Gewohnheitstiere, mögen es nach Schema F und sind von etwas konventionellerer Natur.
  ▪   Gewissenhaftigkeit: Menschen mit höheren Ausprägungen gehen gerne strukturiert vor
      und sind gut darin, einmal Begonnenes auch durchzuziehen. Sie verhalten sich in der
      Regel zuverlässig und verantwortungsbewusst. Personen mit niedriger Ausprägung nei-
      gen – positiv ausgedrückt – zu spontanem Verhalten und Improvisation, aber eben auch
      zu Unachtsamkeit und (für andere) irritierenden Verhaltensweisen.
  ▪   Extraversion: Menschen mit höheren Ausprägungen sind gesellig, suchen Anbindung an
      Andere, es spendet ihnen Energie. Zudem treten sie oft etwas dominanter auf. Personen
      mit niedriger Ausprägung sind nicht zwingend schüchtern, doch sie brauchen mehr „Me-
      Time“ zwischen sozialen Interaktionen. Sie sind genügsamer, was menschlichen Kontakt
      betrifft, sind sich regelmäßig selbst genug.
  ▪   Verträglichkeit: Menschen mit höheren Ausprägungen sind easy-going und haben ein
      hohes Interesse am Wohlergehen anderer Menschen. Sie zeigen sich oft warmherzig
      und kooperationsbereit. Personen mit niedriger Ausprägung sind streitbarer, misstraui-
      scher und tendenziell wettbewerbsorientierter. Ins Positive gewendet: Sie können gut
      für ihre eigenen Interessen einstehen.
  ▪   Neurotizismus: Menschen mit höheren Ausprägungen neigen in vielen Situationen zu
      Anspannung, sind tendenziell pessimistisch und neigen zur Unsicherheit. Folglich kön-
      nen sie auch mit Stress nicht so gut umgehen. Personen mit niedriger Ausprägung (auch
      emotional stabil genannt) zeigen sich über viele Situationen hinweg gefestigter und wir-
      ken als Folge ausgeglichener und zuversichtlicher.

                                              10
Die Vermessung des Metalheads

Big Five: Persönlichkeit nach Metalpersona
Wie ist es nun um die headbangende Persönlichkeit bestellt? Schauen wir uns dafür zunächst
die Profile der zuvor eingeführten Metalpersonas im Vergleich zueinander an. Die Messung
der Dimensionen erfolgte mittels eines kurzen Fragebogens, der von einem Team um die Psy-
chologieprofessorin Beatrice Rammstedt entwickelt wurde (Skala von 1 bis 5). Ich erinnere
nochmals daran, dass es sich ausschließlich um über viele Personen gemittelte Aussagen han-
delt. Der Mittelwert beschreibt die zentrale Tendenz des jeweiligen Typs. Gleichzeitig ist klar,
dass es in jeder Gruppe „solche und solche“ gibt.

                         Abb. 6: Big Five-Profil nach Metalpersona
  4

 3,8

 3,6

 3,4

 3,2

  3

 2,8

 2,6
          Offenheit     Gewissenhaftigkeit   Extraversion   Verträglichkeit   Neurotizismus

           Man of War        Man in Black        Post-Man      Gothic Girl      Rocka Rolla

Wie sich unschwer erkennen lässt (Abb. 6), liegen die verschiedenen Metal-Personas auf allen
Big Five-Dimensionen recht nah beieinander. Die folgenden Ausführungen sollten daher nicht
überinterpretiert werden. Trotzdem ist ganz links beispielsweise zu erkennen, dass Man in
Black mit seiner Vorliebe für Black und Death Metal bei der Dimension Offenheit ein Stück
weit nach oben heraussticht. Es lässt sich erahnen: Die größere Offenheit der Persönlichkeit
äußert sich korrespondierend in einer Vorliebe für extremere Metal-Varianten: mehr Härte,
Geschwindigkeit, Atonalität usw.

Die Werte für Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit liegen über alle Personas hinweg sehr
nah beieinander. Hier wird es deutlich spannender, wenn wir uns – weiter unten im Bericht –
alle Metalheads mit der Normalbevölkerung vergleichen. Stattdessen möchte ich das Auge
zunächst auf die Dimension Extraversion lenken, bei der es insgesamt die stärksten Abwei-
chungen innerhalb der Gemeinschaft der Metalheads gibt. Es ist zu erkennen, dass Gothic Girl
am introvertiertesten ist, während Post-Man bzw. -Girl und Rocka Rolla ein Stück weit nach

                                                11
Die Vermessung des Metalheads

oben herausstechen. Die Unterschiede sind wie schon erwähnt nicht sehr stark ausgeprägt,
aber es mag durchaus zutreffen, dass Gothic Girls und Boys insgesamt ein wenig verträumter
und in sich gekehrter sind. Die Beobachtung würde zumindest zum etwas softeren und äthe-
rischen Charakter von Gothic und Folk Metal passen.22

Schließlich zeigt ein weiterer Blick auf Abbildung 6, dass Gothic Girl beim Neurotizismus et-
was höhere Werte aufweist als die weiteren Metalpersonas. Dieser Typus neigt folglich etwas
mehr zu Ängstlichkeit und Spannungsgefühlen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass dieser
Umstand direkt mit der musikalischen Präferenz zusammenhängt. Vielmehr dürfte dies der
Tatsache geschuldet sein, dass in dieser Gruppe relativ zu den anderen Metalpersonas viele
Frauen vertreten sind. Diese neigen hier, wie auch in der Allgemeinbevölkerung im Mittel, zu
höheren Ausprägungen auf dieser Dimension im Vergleich zu Männern.23

                        Abb. 7: Big Five-Profil nach Lieblingsband
  4

 3,8

 3,6

 3,4

 3,2

  3

 2,8

 2,6

 2,4
          Offenheit   Gewissenhaftigkeit   Extraversion   Verträglichkeit   Neurotizismus

                      Dream Theater          Rammstein          Böhse Onkelz

Deutlichere Unterschiede lassen sich beobachten, wenn man nicht die Metalpersonas mitei-
nander vergleicht, sondern bewusst die Fans ganz bestimmter Bands kontrastiert (Abb. 7). Ich
habe das exemplarisch einmal mit Menschen getan, die entweder die Progressive Metal-Band
Dream Theater, den „German Exportschlager“ Rammstein oder die Deutschrocker Böhse On-
kelz als ihre absolute Lieblingsband genannt hatten. Deutlich erkennbar ist, dass mit mehr
Offenheit für neue Erfahrungen auch eine Präferenz für komplexere musikalische Struktu-
ren einhergeht. Neben weiteren Differenzen fällt der Unterschied beim Neurotizismus ins
Auge: Während sich die Fans von Dream Theater im Mittel recht entspannt zeigen, weisen
Rammstein-Jünger vergleichsweise hohe Werte auf. Es ist nicht abwegig zu vermuten, dass

                                              12
Die Vermessung des Metalheads

die thematisch – nennen wir es – abseitigen Lyrics den Fans dabei helfen, negative Erfahrun-
gen und die zugehörigen Gefühle zu kanalisieren und: zu neutralisieren.

Big Five: Headbanger vs. Normalos
Spannender als die Differenzen zwischen den verschiedenen Metalheads sind die Persönlich-
keitsunterschiede zwischen selbigen und der nichtmetallisierten Bevölkerung (Abb. 8). Die
Vergleichswerte für die Normalbevölkerung, erhoben mit dem gleichen Befragungsinstru-
ment, habe ich einer Studie der bereits erwähnten Psychologin Beatrice Rammstedt entnom-
men.24 In der Gesamtschau zeigt sich, dass der Metalhead an sich offensichtlich etwas anders
in der Welt ist im Vergleich zum geschätzten Nachbarn, der Lady Gaga, Coldplay oder Ed Shee-
ran goutiert.25 Aber werfen wir einen Blick auf die Details.

                 Abb. 8: Big Five-Profil für Headbanger vs. Normalbevölkerung
 4,3

 3,9

 3,5

 3,1

 2,7

 2,3
          Offenheit    Gewissenhaftigkeit   Extraversion       Verträglichkeit   Neurotizismus

                                     Headbanger            Normalos

Offenheit: Man erkennt links einen gewissen Abstand bei der Offenheit (wie oben erläutert:
wird größer, je extremer bzw. progressiver der metallische Musikgeschmack ausfällt). Vor dem
Hintergrund, dass Metal heutzutage in aller Regel eine komplexe, musikalisch anspruchsvolle
Musik ist, ergibt dieser Befund Sinn.26 Im Vergleich zum Gros der Pop-, Rock- und Schlagermu-
sik ist Metal in seinen verschiedenen Facetten die größere „ästhetische Zumutung“, we ver-
langt dem Hörer mehr ab.27 Das spiegelt sich auch in meiner persönlichen Erfahrung und den
Beschreibungen vieler Fans aus persönlichen Gesprächen: Normale Musik plätschert uns zu
sehr, es gibt diesen „Hier rein, da raus“-Effekt. Und zugegeben, abseits der Musik als solcher:
Sich auf einem Konzert in eine Wall of Death oder einen Circle Pit zu stürzen, ist offensichtlich

                                               13
Die Vermessung des Metalheads

auch eine Art von Lebenserfahrung, die etwas konventionellere Mitbürger nicht unbedingt
regelmäßig anstreben.

Gewissenhaftigkeit: Das größte Delta zwischen Metalheads und Normalos ergibt sich bei der
Gewissenhaftigkeit. Zeigt es sich hier, das Bild vom ungepflegten und leicht asozialen Metal-
fan? Nun, was soll ich sagen: ja … schon … ein wenig. Zur Ehrenrettung der schwermetallischen
Community sollte festgehalten werden, dass der Unterschied zur Vergleichsgruppe etwas
überdimensioniert anmutet, da letztgenannte deutlich mehr Frauen und ältere Personen ent-
hält. Doch selbst, wenn man das gedanklich herausrechnet (zur Erläuterung: s. Anmerkung Nr.
24), bleibt immer noch eine ordentliche Lücke. Ich
denke, hier spiegelt sich in erster Linie das – ich         Metalheads sind offene Men-
möchte sagen – „dionysische Element“ der Metal-          schen, die einerseits zu unkon-
                                                           trolliertem Verhalten neigen,
szene, ein gewisser Hang zur Ausschweifung: Man
                                                         andererseits aber auch etwas
trinkt gerne ein oder zwei über den Durst,28 lässt es      ängstlicher unterwegs sind.
im Moshpit krachen – und auch die ein oder andere
„Sportzigarette“ habe ich auf Festivals schon olfaktorisch vernommen. Heißt das nun, dass
Metalheads chaotisch sind oder gar zu Delinquenz neigen?29 Eher nicht. Die Statistiken der
Polizei beispielweise zum W:O:A legen regelmäßig nah, dass der gemeine Headbanger eher
selten mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Vielleicht liegt hier das Geheimnis: Das Spontane,
Unkontrollierte wird in die Musik gebannt: „Breaking the Law“ ist angesagt, aber innerhalb
der Musik, nicht im richtigen Leben. Zuletzt sei angemerkt: Viele Studien legen nah, dass Men-
schen mit niedrigen Werten bei der Gewissenhaftigkeit statistisch betrachtet eine etwas hö-
here Anfälligkeit für Depressionen haben. Das Thema wird weiter unten im Bericht noch aus-
führlicher thematisiert.

Extraversion: Der Metalhead zeigt sich insgesamt ein wenig introvertierter als der Normalo,
doch der Unterschied ist nicht stark ausgeprägt und sollte folglich auch nicht überinterpretiert
werden. Grundsätzlich glaube ich aufgrund von persönlichen Erfahrungen und Beobachtun-
gen, dass die Daten ein valides Bild zeichnen. Es ist nicht so, dass der Metalhead per se Einzel-
gänger wäre. Aber ich kenne viele Fans, denen – so es die Lebenssituation erlaubt – ein paar
Tage mit sich alleine (und dem richtigen Krach auf den Ohren) überhaupt nichts ausmachen.

Verträglichkeit: Ähnlich wie bei der vorigen Dimension zeigt sich ein leichter Unterschied, der
jedoch aufgrund des Vergleichs der unterschiedlichen Stichproben wiederum übertrieben
ausfällt (Erläuterung s. Anmerkung Nr. 24). Der Metalfan ist im Vergleich zu Otto Normalver-
braucher weniger umgänglich, aber weder ein ausgeprägter Streithammel noch besonders

                                               14
Die Vermessung des Metalheads

antisozial. Persönlich habe ich auf Konzerten eher die Erfahrung gemacht, dass der Homo Me-
tallicus ein recht freundlicher und fürsorglicher Geselle ist. Man findet schnell neue Bekannte
(vor allem, wenn man Bier dabeihat). Fairerweise: An diesem Punkt bin ich sicherlich nicht
ganz objektiv.

Neurotizismus: Auch bei der fünften und letzten der Big Five-Dimensionen ergibt sich ein Un-
terschied zwischen der allgemeinen Bevölkerung und der schwermetallischen Population: Der
Metalhead legt etwas weniger emotionale Stabilität an den Tag, neigt also im Mittel zu mehr
Anspannung und Ängsten. Der Unterschied wird vermutlich noch untertrieben dargestellt, da
in der Gruppe der Headbanger weniger Frauen vorhanden sind als in der Vergleichsgruppe
(zur Erläuterung: s. Anmerkung Nr. 24). Es sei nochmals in Erinnerung gerufen, dass es sich um
Durchschnittswerte handelt, die nichts über den Einzelfall aussagen. Trotzdem hat der Befund
eine gewisse Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass frühere Studien für hohe Neurotizis-
mus-Werte eine erhöhte Anfälligkeit für Depressionen und ähnliche Leiden nahelegen. Auch
abseits solcher klinischen Begriffe erleben Menschen mit entsprechender Inklination im Mittel
typischerweise weniger positive Emotionen und beschreiben ihr Leben als weniger glücklich.

Auf das Thema Depressionen komme ich weiter unten nochmals zurück. Vorher schauen wir
eingehend an, wie es um das psychische Wohlbefinden der Metalcommunity bestellt ist. Sind
Metalfans – Gott bewahre – glücklich?

                                              15
Die Vermessung des Metalheads

5) Sind Metaller glücklich? Und wenn ja: warum?
Dies ist nun ein Thema, das mich in meiner „normalen“ Arbeit umtreibt: psychologisches
Wohlbefinden – a.k.a. Glück. Ich beschäftige mich regelmäßig mit der sogenannten Positiven
Psychologie. Diese trägt ihren Namen nicht, weil sie „besser“ wäre als andere Spielarten der
Psychologie, sondern weil sie sich im Schwerpunkt mit positiven Phänomenen des Lebens be-
schäftigt. Es geht – basierend auf empirischen Untersuchungen – um die Frage, was ein gutes
Leben ausmacht, unter welcher Umständen Menschen ihr Dasein als zufriedenstellend und
sinnerfüllt empfinden. Plakativ ausgedrückt: Positive Psychologen versuchen, unterschiedli-
che Bausteine des Glücks zu beschreiben. Das aktuell wichtigste Modell dazu ist unter dem
Akronym PERMA (auf Englisch) bekannt. Demzufolge gibt es fünf übergreifende psychologi-
sche Dimensionen des gelingenden Lebens. Die Idee ist, dass Menschen diese Aspekte intuitiv
anstreben, wenn sie gesund sind und ausreichend Kontrolle über ihre Lebensumstände haben.

  ▪   Positive Emotions: Wir streben nach positiven Gefühlen wie Dankbarkeit, Zuversicht,
      Stolz usw.
  ▪   Engagement: Wir streben nach Energetisierung, intrinsischer Motivation, dem Kultivie-
      ren von Interessen und Leidenschaften.
  ▪   Relationships: Wir streben nach gelingenden Beziehungen in Form von Intimität,
      Freundschaft, Fürsorge usw.
  ▪   Meaning: Wir streben nach Sinnerleben, im Leben an sich, aber auch in verschiedenen
      Teilbereichen, z.B. nach Sinn in der Arbeit.
  ▪   Accomplishment: Wir streben danach, für uns stimmige Ziele zu finden und zu erreichen.

Die PERMA-Elemente können, ähnlich wie die Big Five-Dimensionen im vorigen Abschnitt, mit-
tels eines kurzen Fragebogens erfasst werden. Ich nutze dazu die frei zugängliche Version ei-
nes Teams um den Psychologen Martin Wammerl (Skala von 0 bis 10). In Abbildung 9 auf der
folgenden Seite finden sich die PERMA-Profile für die fünf Metalpersonas. Zusätzlich zu den
einzelnen Dimensionen wird der Wert über alle Bereiche hinweg abgebildet (PERMA gesamt).
Wie schon zuvor gilt: Es handelt sich um Durchschnittswerte über eine jeweils vierstellige An-
zahl von Personen hinweg. Der Einzelfall kann erheblich davon abweichen.

Es zeigt sich, dass es Unterschiede zwischen den Metalpersonas gibt. Sie sind jedoch erneut
nicht stark ausgeprägt – man sollte die Differenzen nicht überinterpretieren (zumal es beim
PERMA-Profil um eine Skala mit elf Stufen geht, nicht nur um fünf wie bei den Big Five. Es fällt
spontan ins Auge, dass Gothic Girl wiederum etwas anders in der Welt ist als andere Metal-

                                               16
Die Vermessung des Metalheads

Personas. Sie weist die niedrigsten Werte für positive Emotionen, Sinnerleben, Zielerreichung
und den Gesamtwert auf. Auch hier sollte man bei der Interpretation berücksichtigen, dass es
sich um die jüngste Subgruppe der Metal-Familie handelt, was die Werte im Vergleich etwas
nach unten drückt (das PERMA steigt in der Tendenz mit zunehmendem Alter).

                             Abb. 9: PERMA-Profil nach Metalpersona

 7,5

 7,1

 6,7

 6,3
       Positive Emotions   Engagement   Relationships        Meaning    Accomplishment PERMA gesamt

             Man of War          Man in Black           Post-Man       Gothic Girl    Rocka Rolla

Trotzdem: Es zeigt sich ein gut erkennbares Delta zu allen anderen Gruppen vor allem bei den
Positiven Emotionen. Hier spiegelt sich einerseits der ebenfalls niedrigere Wert für Extraver-
sion und andererseits der höhere Wert für Neurotizismus aus Abbildung 6 wider. Beide Fak-
toren stehen in engem Zusammenhang mit der Gefühlslage von Menschen.

Kann man daraus folgern, dass der Genuss von Gothic und Folk Metal traurig(er) macht? Eher
nicht. Wahrscheinlicher ist, dass Menschen mit etwas gedämpfter Gefühlslage sich per se
stärker zu entsprechender Musik hingezogen fühlen, was sich auch in vorigen Studien gezeigt
hat. Zudem deutet eine aktuelle Untersuchung an, dass wir Musik bevorzugen, wenn wir eine
Übereinstimmung zwischen der (zur Schau gestellten) Persona der Künstler und unserer ei-
genen Persönlichkeit wahrnehmen. Es gilt: Gleich und gleich gesellt sich gern. Wenn wir selbst
ein wenig häufiger Trübsal blasen und ein bestimmter Künstler uns darin ähnlich ist (oder zu-
mindest: den Anschein erweckt), dann spüren wir eine tiefere Verbindung. Wenn wir eher der
Typ Honigkuchenpferd sind, dann bevorzugen wir auch Künstler oder Gruppen mit einer sol-
chen Ausstrahlung.

                                                    17
Die Vermessung des Metalheads

Schauen wir uns nun wieder den Unterschied zwischen Metalheads und Otto Normalverbrau-
cher an. Die Vergleichswerte habe ich der bereits erwähnten Studie mit deutschsprachigen
Teilnehmern um den Psychologen Martin Wammerl entnommen. Hierbei ist zu berücksichti-
gen, dass diese Vergleichsstichprobe im Mittel etwa zehn Jahre jünger ist als die Metalstich-
probe, was den Vergleich etwas verzerren dürfte (wie berichtet: ältere Menschen weisen im
Mittel etwas höhere PERMA-Werte auf).

                      Abb. 10: PERMA-Profil für Headbanger vs. Normalos
 7,6

 7,2

 6,8

 6,4
       Positive Emotions   Engagement   Relationships   Meaning     Accomplishment PERMA gesamt

                                        Headbanger       Normalos

Das Fazit für diese Auswertung könnte lauten: „Wie sie sehen, sehen sie nix.“ Bis auf den As-
pekt der Zielerreichung liegen die Metalheads beim psychischen Wohlbefinden leicht über der
allgemeinen Bevölkerung (dieser würde weiter verschwinden, schaute man sich nur die jün-
geren Metalfans an) – aber die Abstände sind statistisch nicht wirklich bedeutsam. Lediglich
bei der Dimension Engagement zeigt sich ein etwas größeres Delta: Die Headbanger sind im
Mittel etwas energetisierter und kommen häufiger in den Flow als der Normalbürger. Diesen
Punkt finde ich persönlich allerdings hochspannend. Um das nachvollziehen zu können, hier
einmal die drei Fragen aus dem zugehörigen Fragebogen:

  ▪    Wie oft sind sie ganz in dem versunken, was sie gerade tun?
  ▪    In welchem Maß können sie sich für Dinge interessieren und begeistern?
  ▪    Wie oft vergessen sie die Zeit, während Sie etwas tun, das sie genießen?

Ich begebe mich hier in den Bereich der Spekulation, aber es steht zumindest zu vermuten,
dass sich hier die besondere Leidenschaft der Metalheads für ihre Musik offenbart. Persönlich
kenne ich jedenfalls kaum Metaller, die ihre Musik „einfach so“ hören. Für viele Menschen ist
Metal mindestens ein ausgewachsenes Hobby, für nicht wenige eine echte Leidenschaft, für

                                                   18
Die Vermessung des Metalheads

die viel Zeit und auch Geld draufgeht. Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und
sagen: Viele Headbanger – und da zähle ich mich explizit dazu – spüren, dass die Musik ein
wichtiger Teil ihrer ureigenen Identität ist, etwas, das sie in ihrem Wesenskern ausmacht.
Dazu mehr im nächsten Kapitel.

Zuvor möchte ich noch darauf eingehen, warum die zuvor getätigte Aussage („Wie sie sehen,
sehen sie nix“) eigentlich falsch ist. Manchmal ist das Spannende an Daten, dass man etwas
sieht. Und manchmal ist das eigentlich Faszinierende, dass man nichts sieht, obwohl man
eigentlich etwas sehen sollte. Ich rufe dazu nochmals die Unterschiede bei den Big-Five-Di-
mensionen in Erinnerung: Der gemeine Headbanger ist spürbar weniger gewissenhaft, etwas
introvertierter und auch weniger emotional stabil als der Normalbürger. Genau diese Kombi-
nation von Persönlichkeitsdimensionen hatte in bisherigen Studien eine recht hohe Vorhersa-
gekraft für die Entstehung von Depressionen. Das bedeutet im Umkehrschluss, etwas plakativ
ausgedrückt: Der Headbanger als solcher scheint (im Mittel) glücklicher zu sein, als er sein
sollte – zumindest, was die Ausgangslage der Persönlichkeit betrifft. Ich kann hier wie erläu-
tert nur spekulieren, aber: Vielleicht ist die Musik ein wichtiger Schlüssel dazu?

Um das weiter zu explorieren, schauen wir uns im folgenden Teil an, was genau die Fans mit
ihrer Musik machen – bzw., was die Musik mit ihnen macht.

                                              19
Die Vermessung des Metalheads

6) Was machen Metalheads mit ihrer Musik?
Nachdem wir uns bereits mit der Persönlichkeit und dem psychischen Wohlbefinden des ge-
meinen Headbangers auseinandergesetzt haben, soll es hier um die Frage gehen, wie genau
der Metalfan seine Musik nutzt. Die Idee ist, dass wir die Musik nicht (ausschließlich) um ihrer
selbst willen konsumieren, sondern – mehr oder weniger bewusst – verschiedene psycholo-
gischen Vorteile aus der Beschäftigung mit ihr ziehen.

Zu diesem Zweck habe ich den Menschen in der Stichprobe insgesamt 26 Aussagen vorgelegt
und sie gebeten, den Grad ihrer Zustimmung zu signalisieren (Skala von 1 bis 5). Diese wird in
Abbildung 11 in absteigender Rangfolge präsentiert.

                               Abb. 11: Nutzung und Wirkung von Metal

        Genuss der Atmosphäre auf Konzerten
                   M. macht "einfach glücklich"
     Wertschätzung der Vielfältigkeit der Musik
                            M. spendet Energie
            M. ist Ausdruck von Lebensfreude
                      M. hilft beim Entspannen
                      M. hilft, Frust abzubauen
    Augenhöhe (auf Konzerten sind alle gleich)
       Wertschätzung musikalischer Exzellenz
        M. vermittelt Ausbruch aus dem Alltag
              M. ist Teil der ureigenen Identität
               M. vermittelt Gefühl der Freiheit
                  M. vermittelt inneren Frieden
   Gefühl, Teil einer großen Gemeinschaft sein
       Wertschätzung des Kleidungsstils im M.
       M. transportiert das authentische Selbst
          M. hilft beim Umgang mit Traurigkeit
       M. ermöglicht Loslassen von sich selbst
                M. vermittelt Gefühl von Stärke
               Wertschätzung der Texte im M.
  M. ermöglicht Ausleben d. rebellischen Seite
             M. hilft beim Umgang mit Ängsten
 M. ermöglicht Anders-Sein als im norm. Leben
                         M. vermittelt Tradition
      M. ermöglicht Umgang mit "dem Bösen"
        M. vermittelt Gefühl von Sinn im Leben

                                                    2    2,5   3       3,5   4    4,5       5

                                                        20
Die Vermessung des Metalheads

Um ein wenig Ordnung in die Liste zu bringen, habe ich die Aussagen der Studienteilnehmer
einer sogenannten Faktorenanalyse unterzogen. Diese fasst die Antworten anhand ihrer Ähn-
lichkeit über die Personen hinweg zu Sinneinheiten höherer Ordnung zusammen. Im Ergebnis
zeigen sich fünf Faktoren, die in der Auflistung jeweils zusammengehörig markiert wurden.

Emotion: Der erste Faktor (einfarbig schwarze Balken) vereint sieben Aussagen, in denen es
um das Hervorrufen oder Abdämpfen von Emotionen geht. Zudem geht es, etwas weiter ge-
fasst, um den Aspekt der Energetisierung. Unter den sieben Aussagen mit der stärksten Zu-
stimmung finden sich vier aus eben diesem Bereich – das unterstreicht die relative Wichtigkeit
dieser Dimension. Offensichtlich nutzen Headbanger ihre Musik, mal mehr, mal weniger in-
tentional, um ihre Emotionen zu regulieren. Negative Stimmungen werden im Rahmen der
Möglichkeiten neutralisiert, positive Stimmung und Lebenskraft heraufbeschworen.

Relation: Der zweite Faktor (weiße Balken mit Punkten) umfasst vier Aussagen, die das Einge-
bundensein in die Gemeinschaft der Metalheads thematisieren. Mit der Top-Nennung sowie
drei Aussagen unter den ersten acht kommt diesem Faktor ebenfalls große Bedeutung zu. Eine
wichtige Rolle spielt das gemeinsame Konzerterlebnis: das Zelebrieren der Musik und der
Musiker, das Aufgehen in der Masse, die besondere Form von Lebensfreude, die durch die
Teilnahme an dieser ritualisierten Handlung generiert wird. Zudem zeigt sich ein egalitäres
Element: Metal erscheint als Gleichmacher. Als Fan auf dem Konzert zählt nicht, wer oder was
du im richtigen Leben bist. Im Zeichen der Pommesgabel wird dein sozialer Status verwischt.
Es zählt nur, wie hart du die Musik feierst.
                                                                Für viele Fans wird Metal
Expression: Der dritte Faktor (dunkelgraue einfarbige     über die Zeit zu einem wichtigen
                                                         Teil ihrer ureigenen Identität –
Balken) beinhaltet fünf Aussagen, in denen es um
                                                         und bleibt es oft ein Leben lang.
den Ausdruck oder die Bestätigung der eigenen
Identität geht, vier davon befinden sich in punkto relativer Wichtigkeit im Mittelfeld. Metal
vermittelt ein Gefühl der Freiheit, auch der Freiheit, „ich selbst“ zu sein. Zudem beinhaltet
dieser Faktor die Liebe zu schwermetallischen Outfits. Ich kann die folgende Aussage nicht
belegen, weil ich keine vergleichbaren Daten kenne. Doch ich vermute, dass dieser Faktor bei
Metalheads stärker ausgeprägt ist als bei Fans anderer Musikrichtungen – insbesondere für
Menschen, die bereits ihrer Teenagerzeit entwachsen sind. Das würde auch zu folgender Be-
obachtung passen: Metalheads diskutieren recht häufig und leidenschaftlich untereinander:
Wer ist die beste Band, der beste Gitarrist oder Drummer, das beste Album der Band XYZ? Es
streitet sich umso leidenschaftlicher, je enger der Streitgegenstand mit der eigenen Persönlich-
keit verknüpft ist.

                                               21
Die Vermessung des Metalheads

Expertise: Der vierte Faktor mit drei Aussagen (schwarz-weiß gestreifte Balken) thematisiert
die Wertschätzung der Musik und ihrer verschiedenen Qualitäten. Metalfans schätzen die
große Vielfalt der Musik und die Exzellenz der Musiker. Die bestmögliche Beherrschung der
Instrumente stellt ein hohes Gut dar, die Musik sollte auf der Bühne möglichst originalgetreu
reproduziert werden, Einspielungen vom Band sind tendenziell verpönt. Weniger wichtig hin-
gegen ist den Studienteilnehmern die lyrische Ebene der Musik.

Transzendenz: Der letzte Faktor (hellgraue einfarbige Balken) vereint sieben Aussagen, die sich
thematisch mit Begriffen wie Transzendenz und Selbsterweiterung beschreiben lassen. Es
geht darum, dass die Beschäftigung mit der Musik dabei behilflich sein kann, sich ein Stück
weit vom normalen Selbst zu lösen bzw. dieses zu modifizieren – und auch: dem Alltag zu
entfliehen. Mit der Thematik des Bösen sowie der Sinnfrage tauchen hier außerdem meta-
physische Aspekte der Existenz auf. Das Gros dieser Aussagen tummelt sich in puncto relativer
Wichtigkeit jedoch im unteren Drittel. Dieser Faktor ist also von nachrangiger Bedeutung.

Im letzten datenbasierten Teil dieses Berichts wenden wir uns einer sehr persönlichen Frage
zu: Rettet der Metal Leben?

                                              22
Die Vermessung des Metalheads

7) Rettet Metal Leben?
Dem Metal wurde in den vergangenen fünfzig Jahren so einiges angedichtet. Die für Normal-
bürger verstörende Musik inklusive des Spiels mit (manchmal) okkulter oder gewalttätiger
Symbolik ruft seit jeher Gegner auf den Plan, die Metal aus Plattenläden, Konzerthallen und
der Gesellschaft an sich verbannen wollen. 1985 erstellte beispielsweise das „Parents Music
Resource Center“ (PMRC) in den USA30 eine Liste von 15 (aus ihrer Sicht) jugendgefährdenden
Musikstücken, die als Filthy 15 bekannt wurden. Darauf befinden sich Songs von Black Sab-
bath, Judas Priest und W.A.S.P. – allerdings auch: von Madonna und Prince. Der Teufel lauert
wirklich überall. Und seien wir ehrlich: Solche Skandale fördern den Absatz von Musik meistens
eher, als dass sie ihm schaden.

Deutlich schlimmer wird es, wenn Bands vorsätzlich mit dem Freitod von Menschen in Ver-
bindung gebracht werden. Beispielsweise wurden Judas Priest 1990 von den Eltern zweier
junger Männer verklagt, die sich Jahre zuvor, angeblich aufgrund von unterschwelligen Bot-
schaften in der Musik, das Leben genommen hatten.31 Ähnliches widerfuhr Ozzy Osbourne
rund zehn Jahre zuvor. Beide Verfahren endeten mit einem Freispruch. Als Vater zweier Kinder
kann ich nachvollziehen, dass Eltern nach einem Schuldigen – oder zumindest: einem Grund –
für ein solch schreckliches Ereignis suchen. Einfache Erklärungen führen allerdings selten in
die richtige Richtung.

Ich bewege mich nun erneut im Bereich der Spekulation, aber: Meine Vermutung lautet, dass
Metal – anstatt sie in diese Richtung zu treiben – über Jahrzehnte viele junge Menschen vor
dem Suizid bewahrt hat. Einer davon bin ich. Um Weihnachten 1994, während eines Auslands-
jahrs in den USA, war ich nicht mehr weit weg davon, mir das Leben zu nehmen.32 Eine Sache,
die mir durch diese Zeit geholfen hat, war eine Unmenge an Sport. Die andere, so glaube ich,
war die Musik. Es mag pathetisch klingen, aber: Ich
                                                             Ich gehe davon aus, dass
bin fest davon überzeugt, dass Metal damals mein
                                                          Metal manchen Menschen hilft,
Leben gerettet hat.33                                     ihre Depressionen zu mildern.

Aufgrund dieser persönlichen Episode treibt mich die Frage nach der Verbindung von Metal
und Suizidprävention um. In diesem Sinne habe ich die Menschen in der Metalstudie gebeten,
ihre Zustimmung zu der folgenden Aussage auf einer Fünferskala zu signalisieren: Metal hat
mir mindestens einmal das Leben gerettet. Rund 40 Prozent der Personen haben dieser Aus-
sage zugestimmt (21,2%: „trifft zu“; 18,6%: „trifft voll und ganz zu“).34 Bedeutet das nun, all
diese rund 2.200 Personen hätten sich ohne den Konsum von Metal das Leben genommen?

                                               23
Die Vermessung des Metalheads

Natürlich nicht. Viele Menschen haben diese Aussage vermutlich im übertragenen Sinn ver-
standen und entsprechend beantwortet. Doch die Zahlen lassen zumindest erahnen, welche
Kraft und Bedeutung diese besondere Musik im Leben von (jungen) Menschen entfalten
kann.

Rufen wir uns dazu nochmals die Erkenntnisse aus dem vorigen Abschnitt ins Gedächtnis. Eine
der wesentlichen psychologischen Funktionen von Metal ist die Emotionsregulation. Er
macht die Fans „einfach glücklich“, „spendet Energie“ und hilft dabei „Frust“ abzubauen und
„Entspannung“ zu finden. Das ist vielleicht das große Geheimnis dieser Musik: Sie wirkt be-
ruhigend und ausgleichend auf den Homo Metallicus. Ich kann objektiv durchaus nachvoll-
ziehen, dass manche Personen Metal als aggressiv und aufwühlend empfinden. Für den Head-
banger hat die Musik in ihrer Wirkung, abseits des akuten Konzerterlebnisses, jedoch offenbar
eher den Effekt einer Kanne Kamillentee.35

Abschließend ist mir wichtig, nochmals das Folgende zu betonen, damit ich auf keinen Fall
missverstanden werde im Hinblick auf die Erkenntnisse in den vorigen Kapiteln: Kaum jemand
wird allein und automatisch depressiv aufgrund der persönlichen Konstitution. Eher geht die
heutige Wissenschaft von einem Schlüssel-Schloss-Prinzip aus: Manche Menschen haben auf
Basis ihres Erbguts (und ggfs. frühkindlicher) Erfahrungen eine höhere Anfälligkeit für Depres-
sionen und Angststörungen als andere (das Schloss), aber es braucht in aller Regel zusätzliche
Stressoren (Schlüssel); sprich: stark belastende Lebensereignisse, die die Abwärtsspirale in
Gang setzen.36

Vielleicht hilft Dir hier das folgende Bild: Manche Menschen stehen von Natur aus etwas näher
an diesem tiefen Loch, in das wir alle unter unglückseligen Umständen hineinfallen können,
andere stehen spürbar weiter entfernt. Für die Letztgenannten braucht es somit einen deut-
lich stärkeren Schubser, um tatsächlich hineinzufallen. Doch ganz gleich, wo wir individuell
stehen mögen: Ich bin fest davon überzeugt, dass Metal in all seinen verschiedenen Spielarten
den Menschen Kraft spendet, sie weg von diesem Loch zieht – und hin zum Leben.

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Die Vermessung des Metalheads

8) Outro
Was haben wir gelernt? Haben wir überhaupt etwas gelernt, verdammt? Ich denke: ja. Wie
immer bei solchen Studien gilt: Ich habe versucht, einen bestimmten Ausschnitt der Wirklich-
keit empirisch zu beschreiben. Es ist eher unwahrscheinlich, dass dabei völlig bahnbrechende
Erkenntnisse zutage gefördert werden, denn die Menschen haben auch vorher auch schon
hingeschaut und hingespürt. Wenn Du also nach dem Lesen sagst: „So what, das wusste ich
alles schon…“ – dann ist das prinzipiell eine gute Sache.

Trotzdem glaube ich, dass diese Studie einige wirklich interessante Punkte zutage gefördert
oder empirisch bekräftigt hat. Einige davon mögen zumindest außerhalb der Metalszene das
eine oder andere Klischee entkräften:

  ▪   Das Bild vom Metalhead als „langhaariger Bombenleger“ konnte nicht komplett wider-
      legt werden – aber immerhin sind wir tendenziell hochgebildete und gutverdienende
      (langhaarige) Bombenleger.
  ▪   Es gibt nicht den Metalhead – wir sind, musikalisch betrachtet und auch in punkto Per-
      sönlichkeit, ein ziemlich diverser Haufen.
  ▪   Im Gegensatz zu den Emotionen, die zumeist in der Musik transportiert werden, ist der
      gemeine Metaller ein recht glücklicher Mensch. Zumindest ist er nicht unglücklicher als
      Otto Normalverbraucher. Das wiederum ist aufschlussreich, weil die Analyse der Per-
      sönlichkeitsprofile andeutet, dass Metaller im Mittel „etwas mehr dafür tun müssen“,
      um ein glückliches Leben zu führen.
  ▪   Neben dem Genuss der Musik an sich scheint das (gezielte) Management der eigenen
      Emotionen der wichtigste Beweggrund für den Konsum von Metal zu sein. Es bestätigt
      sich ein kathartischer Effekt: Die Musik mag oft aggressiv oder traurig daherkommen.
      In ihrer Wirkung ist sie (für den Fan) hingegen ausgleichend bzw. stimmungsaufhellend.
  ▪   Viele Headbanger beschreiben, dass Metal schon einmal ihr Leben gerettet habe. Ich
      kann nicht mit Sicherheit sagen, wie ernst den Studienteilnehmern diese Aussage ist. Ich
      sehe aber – auch im Hinblick auf meine eigene Lebensgeschichte – keinen Anlass, diese
      Aussagen nicht ernst zu nehmen.

Für den Augenblick sage ich: Herzlichen Dank für Dein Interesse – and don't forget to rock 'n' roll!

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Die Vermessung des Metalheads

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