DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020

 
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DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
DIGITALISIERUNG DER
INDUSTRIEARBEIT
Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall
DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
DIGITALISIERUNG DER
INDUSTRIEARBEIT
Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall

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DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
Digitalisierung der Industriearbeit

    Impressum

    Verantwortlich:
    IG Metall Vorstand / 2. Vorsitzender
    Ressort Zukunft der Arbeit
    Wilhelm-Leuschner-Str. 79
    60329 Frankfurt

    Redaktion:
    Silke Ernst
    Jochen Faber
    Constanze Kurz
    Irmhild Rogalla
    Christine Thomas
    Julian Wenz
    Yanira Wolf

    Konzeption und Gestaltung:
    made in (www.madein.io)

    Frankfurt am Main, September 2015

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DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
VORWORT

Datenbrillen in der Montage, die Vernetzung von      wicklung. Es gilt zu verhindern, dass sich Formen
Maschinen, Roboter als Arbeitskollegen, Algo-        arbeits- und sozialrechtlich ungeschützter Arbeit
rithmen, die Bürotätigkeiten übernehmen – die        und eine Art „digitales Tagelöhnertum“ (Stich-
umfassende Digitalisierung der Industriearbeit       wort: Crowdsourcing) etablieren. Die Aus- und
hat viele Aspekte.                                   Weiterbildung muss auf die Digitalisierung der
                                                     Arbeitswelt ausgerichtet werden. Genauso wich-
Wenn wir als IG Metall weiterhin für gute Arbeit     tig ist es, den Zugang zu den Bildungsangeboten
in den Fabriken und Büros sorgen wollen, dann        weiter zu öffnen und zu erleichtern. Nur so wer-
müssen wir Antworten auf folgende Fragen             den die Beschäftigten bei der rasanten Verände-
suchen: Welche Auswirkungen hat die Digita-          rung ihrer Arbeit nicht unter die Räder kommen.
lisierung auf Beschäftigung, auf Berufsbilder,       Erforderlich ist auch eine Modernisierung des
Tätigkeitsinhalte und Erwerbsformen? Was heißt       Arbeitsschutzes, die sicherstellt, dass die Be-
in Zukunft „informationelle Selbstbestimmung“,       schäftigten nicht an der „elektronischen Leine“
welche Maßstäbe werden an Datenschutz und            hängen, d.h. nicht immer und überall auf ihre
Datensicherheit angelegt? Und: Wie wird in Be-       Arbeitskraft zugegriffen werden kann. Höchst-
trieben und Gesellschaft Macht ausbalanciert und     grenzen bei der Arbeitszeit und der Schutz
wie sieht die Zukunft der Mitbestimmung aus?         vor psychischen Belastungen sind auch in der
                                                     „Arbeitswelt 4.0“ ein Muss.
Es gilt jetzt, ein Bild zu entwickeln, wie die Ar-
beitswelt der Zukunft aus unserer Sicht ausse-       Kurz: Wir brauchen eine neue und ganzheitliche
hen soll und wie wir uns diesem nähern können.       Humanisierung der Arbeitswelt!

Wir haben Tarifverträge und gesetzliche Mitbe-       Dazu wird die IG Metall einen wesentlichen Beitrag
stimmungsrechte. Es gibt darüber hinaus Be-          leisten. Diese Broschüre beschreibt den Stand der
teiligungsansätze in den Unternehmen und Mit-        Debatte und die wesentlichen Handlungsansätze.
sprachewünsche der Beschäftigten. Darin ste-
cken unserer Meinung nach enorme Chancen.            Herzlichst

Damit aus technischem Fortschritt auch ein
Fortschritt für die Beschäftigten werden kann,
müssen wir die Menschen ermutigen, sich bei
der Gestaltung ihrer Arbeitswelt einzumischen.
                                                     Jörg Hofmann (VB 02)      Christiane Benner (VB 05)
Auch dazu bietet die Digitalisierung neue Mög-
lichkeiten, die wir nutzen sollten.
Was wir dringend brauchen, ist eine arbeits-
bildungs- und sozialpolitische Flankierung der
technischen und arbeitsorganisatorischen Ent-                     Hans-Jürgen Urban (VB 07)

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DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
RASANT!
Sieben Fragen zur Industriearbeit der Zukunft

    Welche Arbeitsplätze werden durch die   Wie werden sich die Arbeitsabläufe,
    Nutzung digitaler Techniken bedroht     beispielsweise die Beziehung zwischen
    und welche können neu entstehen?        Mensch und Maschine, gestalten –
                                            bleiben für Menschen nur gering quali-
                                            fizierte Tätigkeiten übrig oder können
                                            sie mit höherer Qualifikation mehr
                                            Handlungsspielraum nutzen und Ver-
                                            antwortung übernehmen?

    Wie muss die betriebliche Mitbestim-    Große Mengen personenbezogener
    mung und Beteiligung der Beschäftig-    Daten werden erhoben, wie kann ein an-
    ten weiterentwickelt werden, um die     gemessener Arbeitnehmerdatenschutz
    neu formierte Arbeitswelt positiv mit   geschaffen werden?
    zu gestalten?

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Wie können die Beschäftigen ihre Quali-    Wenn Arbeitszeit und -ort immer
fikationen stets auf dem aktuellen Stand   flexibler sein können – bringt das mehr
der Anforderungen halten?                  individuelle Entscheidungsfreiheit und
                                           Chancen zur Vereinbarkeit von Arbeit
                                           und Leben oder droht die Entgrenzung
                                           von Arbeit, steigender Leistungsdruck
                                           und mehr körperliche und psychische
                                           Belastung?

Wird aus Belegschaften ein diffuser Mix
von fest Beschäftigten und externen
Kräften – bis hin zur Auslagerung klei-
ner Arbeitsaufgaben an „digitale Tage-
löhner“ („Crowdworking“)?

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Digitalisierung der Industriearbeit

    FÜR HUMANE ARBEIT
    IN DER DIGITALISIERTEN
    INDUSTRIE
    Die digitale Welt ist keine Science-Fiction, wir     Werkstücke und Menschen über das Internet per-
    leben bereits in ihr: Wir lesen auf digitalen Ge-    manent miteinander, Rohlinge manövrieren sich
    räten, bestellen Kleidung online, vergleichen        eigenständig durch die Produktion, Menschen
    Produkte und Preise im Internet, sind mit unseren    und Roboter arbeiten direkt zusammen, Maschi-
    Smartphones ständig miteinander in Verbin-           nen rüsten sich selbstständig um. Unternehmen
    dung. Unser Standardnachschlagewerk ist nicht        sind mit ihren Kunden wie mit ihren Lieferanten
    mehr der gute alte Brockhaus, sondern Google.        vernetzt, betreiben eine gemeinsame Lieferkette,
    Politische Diskussionen finden immer häufiger        teilen sich IT-Infrastrukturen und bieten indivi-
    nicht auf Versammlungen in Gemeindesälen und         dualisierte Dienstleistungen. Die Frage ist, wer in
    Bürgerhäusern statt. Sondern im Internet. Kurz       der digitalisierten Fabrik Tempo und Takt vor-
    gesagt: Wir alle sind längst digitale Konsumenten,   gibt: Der Mensch? Oder die Maschinen? Bislang
    digitale Bürger. Fortschreitende Digitalisierung     ist das noch nicht ausgemacht. Klar ist aber: Die
    aber verändert nicht nur unseren Alltag, unsere      Beschäftigten sehen sich einer schnellen Umwäl-
    Freizeit, die Art, wie wir kommunizieren und kon-    zung ihres Arbeitsalltags gegenüber.
    sumieren. Sie verändert auch die Arbeitswelt und
    damit die Bedingungen, unter denen wir arbeiten.     Klar ist auch: Die IG Metall engagiert sich kraftvoll
    Nach der Erfindung der Dampfmaschine, nach           an der betrieblichen und politischen Gestaltung
    der Entwicklung des Fließbandes und der Einfüh-      von „Industrie 4.0“ - denn:
    rung des Computers stehen wir heute am Beginn
    einer neuen Phase industrieller Entwicklung: In      Gute Arbeit braucht es auch in der zunehmend
    der „Industrie 4.0“ kommunizieren Maschinen,         digitalisierten Arbeitswelt.

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INDUSTRIELLE
                                                     REVOLUTIONEN

                                                                                                               Systeme, Vernetzung
                                                                                                               Cyber-physische
 Wachstum, Komplexität

                                                                                        Automatisierung, IT

                                                        Fließband

                              Produktionsmaschinen

              1785                            1845         1900        1950             1990                  2015

                         1.                                  2.                    3.                         4.
Industrielle                                            Industrielle          Industrielle             Industrielle
 Revolution                                              Revolution            Revolution               Revolution

                                                                                                                                     9
DIGITALISIERUNG DER INDUSTRIEARBEIT - Veränderungen der Arbeit und Handlungsfelder der IG Metall - Arbeit 2020
Digitalisierung der Industriearbeit

 RADIKAL!
 Die Industrie arbeitet immer digitaler –
 Die Wertschöpfungsketten verändern sich

 „Industrie 4.0“ umfasst technisch gesehen eine         Wann und in welchem Umfang sich ein Unter-
 Kombination neuer Entwicklungen in der Mik-            nehmen der Entwicklung anschließt, kann eine
 roelektronik, der Sensorik, der Robotik und der        entscheidende Frage für sein Überleben sein.
 Datenverarbeitung. Komplexe vernetzte Systeme          Neugründungen, Firmen mit hoher Innovations-
 mit eigener Steuerung und interaktiven Bedien-         kultur und Branchen mit direktem Bezug zur
 möglichkeiten gehören dazu. Riesige Datenmen-          Digitalisierung (IT-Sektor, Online-Handel und
 gen können in Echtzeit an verschiedenen Orten          andere mehr) tun sich hier naturgemäß leichter.
 verarbeitet und gespeichert werden - „big data“        Digitalisierung wird damit zur Voraussetzung
 ist hierfür das Stichwort. Der Zugriff auf diese       für den Erhalt und den Ausbau der Wettbe-
 Daten ist durch mobile Geräte und flexible Daten-      werbsfähigkeit. Unternehmen, die sich an der
 netze nicht mehr an einen bestimmten Ort gebun-        Vernetzung entlang der gesamten Lieferkette
 den. In der Entwicklung können Simulationssys-         nicht beteiligen oder diese zu spät realisieren,
 teme innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse liefern.      könnten in Zukunft zunehmend von der wirt-
 In den Unternehmen besteht ein durchgehender           schaftlichen Entwicklung abgehängt werden.
 Datenfluss von der Entwicklung über die Produk-
 tion bis zu Logistik und Service. Dadurch gelingt
 es, Abläufe um ein Vielfaches individueller und        Es braucht:
 schneller zu steuern, als das in der Vergangenheit
 möglich war. Umfassende Digitalisierung macht          •   Eine gute Infrastruktur, also beispielsweise
 allerdings nicht bloß eine unternehmensinterne,            flächendeckende Breitbandverkabelung.
 sondern auch unternehmens- und branchenüber-
 greifende Vernetzung möglich – es entsteht ein         •   Offene, transparente Standards für den
 durchgängiger Informationsfluss zwischen Unter-            Informationsaustausch und seine Technik.
 nehmen und ihren Zulieferern und Dienstleistern.
 Die Unternehmen setzen darauf, mit der Einfüh-         •   Ausreichende Investitionen in die Informations-
 rung und Umsetzung der neuen technologischen               und Telekommunikationsbranche.
 Möglichkeiten ihre Produktivität deutlich zu stei-
 gern. Eine Reihe aktueller Prognosen und Umfra-        Dies muss entsprechende Qualifikationen der
 gen bestätigen diese Erwartung – auch deshalb,         Beschäftigten einschließen. Nur hierdurch
 weil es unter den Bedingungen von Industrie 4.0        werden heute erfolgreiche Industriecluster zu-
 möglich sein wird, nahezu individuelle Produkte        kunftsfähig und es wird vermieden, dass kleine
 herzustellen, die sich viel besser als bisher an den   und mittlere Unternehmen von der Digitalisie-
 Bedürfnissen der Kunden orientieren.                   rung abgekoppelt werden.

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VERTIKALE
WERTSCHÖPFUNG
IM UNTERNEHMEN

HORIZONTALE
WERTSCHÖPFUNGSKETTE
LIEFERANTEN –
KUNDEN –
BEZIEHUNGEN

                       f

                                                     t

HINTERGRUND
Durch Digitalisierung und Vernetzung werden       Materialien, Maschinen und Abläufe aus allen
Geschäftsprozesse immer stärker integriert: Im    Bereichen, egal ob Entwicklung, Montage oder
Unternehmen verbindet der Datenfluss die ein-     Verwaltung, stehen jederzeit zur Verfügung.
zelnen Prozesse vertikal, vom Vertrieb über die   Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg
Produktion bis zur Finanzabteilung. In horizon-   lassen sich die Aktivitäten koordinieren, seien es
talen Wertschöpfungsketten verknüpfen Unter-      Dienstleistung, Produktion oder Service. Schnelle
nehmen ihre Daten mit denen ihrer Lieferanten,    Anpassungen und kundenindividuelle Produkte,
Partner und Kunden. Aktuelle Informationen über   bis hin zur Losgröße 1, werden so möglich.

                                                                                                   11
Digitalisierung der Industriearbeit

 Was heißt das für die Beschäftigung?

 In der digitalen Ökonomie werden sich auch          Digitalisierung industrieller Arbeit und Produktion
 die Tätigkeitsprofile und Qualifikationsanfor-      ein zentraler Innovations-und Wachstumstreiber
 derungen der Beschäftigten verändern: Alte          der Zukunft ist. Effizienzgewinne und Produk-
 Abgrenzungen zwischen Produktions-, Ver-            tivitätssteigerungen werden vor allem durch
 waltungs-, Dienstleistungs- und Wissensar-          eine deutlich erhöhte Flexibilität sowie Indivi-
 beit lösen sich auf. Die Anteile von Dienstleis-    dualisierungsmöglichkeiten von Produkten und
 tungs- und Wissensarbeit werden zunehmen.           Dienstleistungen und damit einer noch besse-
 Die Produkte eines Unternehmens können              ren Kundenorientierung erwartet. Die größte
 vielfältiger werden: Neben industriellen Gütern,    Gefahr für Arbeitsplätze in den deutschen
 etwa Autos oder Werkzeugmaschinen, können           Industriebranchen wäre es daher, wenn inno-
 zusätzlich auch damit verbundene Dienstleis-        vationsschwache, kleine und mittelständische
 tungen und Fachwissen verkauft werden. Eine         Unternehmen Möglichkeiten des vernetzten, di-
 der zentralen Fragen lautet: Kann Industrie         gitalisierten Wirtschaftens nicht nutzen und aus
 4.0 zu einem Jobmotor werden? Können neue           den Wertschöpfungsketten herausfielen. Darum
 Geschäftsmodelle entwickelt und nachhaltig          müssen die kleinen und mittleren Unternehmen
 verankert werden? Die Voraussetzungen dafür         sich verstärkt auf ihre eigene Innovationskraft
 sind gegeben: Die deutsche Industrie als „Fabrik-   besinnen und Strategien zur Digitalisierung
 ausrüster der Welt“ sowie eine hohe Innovati-       ihrer Geschäftsprozesse entwickeln. Außerdem
 onsfähigkeit (beispielsweise im Maschinen- und      muss eine aktive Industriepolitik Rahmenbedin-
 Anlagenbau) könnten neue Beschäftigungspers-        gungen so gestalten, dass kleine und mittlere
 pektiven eröffnen. Die aktuellen Prognosen und      Unternehmen die Umbrüche, die durch die Digi-
 Umfragen lassen keinen Zweifel daran, dass die      talisierung entstehen, auch bewältigen können.

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PROGNOSEN:
  BESCHÄFTIGUNGSEFFEKTE DURCH INDUSTRIE 4.0
  Die digitale Jobvernichtung hat begonnen, das Ende der Arbeit steht bevor: Zumindest, wenn man
  den Forscher Carl B. Frey und Michael Osborne von der Universität Oxford glaubt. Sie prognostizie-
  ren: Durch Automatisierung könnten bis 2035 in den USA 47%, also fast die Hälfte aller Arbeits-
  plätze, verloren gehen. Für Europa soll es sogar noch schlimmer kommen: Im Durchschnitt seien
  in der Europäischen Union 54% aller Arbeitsplätze gefährdet. In einer aktuellen Expertise für das
  Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde die Studie von Frey und Osborne für deutsche
  Verhältnisse geprüft. Ergebnis ist: Etwa 12% der Beschäftigten in Deutschland führen Tätigkeiten
  aus, die automatisiert werden könnten. Aber: Alle diese Zahlen beschreiben ausschließlich die Aus-
  wirkungen des Einsatzes von Technik auf bestehende Arbeitsplätze. Andere Effekte, wie die Not-
  wendigkeit neuer Tätigkeiten oder die Entstehung ganz neuer Unternehmen und Geschäftsfelder
  sind dabei nicht berücksichtigt.

                                       WELCHE AUSWIRKUNGEN ERWARTEN SIE VON
                                       INDUSTRIE 4.0 AUF DIE DEUTSCHE WIRTSCHAFT
                                       IM ALLGEMEINEN?
Andere Studien, mit anderen Frage-
stellungen, kommen daher auch zu
ganz anderen Ergebnissen:
                                                                                  trifft zu             trifft eher zu        trifft eher nicht zu        trifft nicht zu
So sind bei einer Umfrage der
Staufen AG unter 140 deutschen
Industrieunternehmen aus dem                           Die Zahl einfacher
                                                                                              33                          39                              25             3
Maschinen- und Anlagenbau, der                    Arbeitsplätze nimmt ab

Elektro- und Automobilindustrie                     Die Zahl qualifizierter
                                                                                              35                                   50                          13        2
sowie der Luftfahrt immerhin fast                 Arbeitsplätze nimmt zu

40% der Befragten der Meinung,
                                         Unterm Strich steigt die Gesamt-
dass die Gesamtzahl der Beschäf-         zahl der Beschäftigten in der BRD
                                                                                  7                32                                   51                          10

tigten eher steigen wird. Sogar 85%
meinen, dass die Zahl qualifizierter                          (in Prozent)    0       10       20       30       40      50       60         70      80        90     100
Arbeitsplätze zunehmen wird.

                                                                                                                                                                             13
Digitalisierung der Industriearbeit

 INDUSTRIE 4.0 SORGT FÜR WACHSTUM
 DER BESCHÄFTIGUNG IN DER INDUSTRIE

                                                      Ähnliches prognostiziert auch die Unterneh-
                           6%                         mensberatung BCG aufgrund der Auswertung
                                                      von statistischen Daten:

                                                      In den nächsten zehn Jahren wird, so die Studie,
                                                      die Beschäftigung in der verarbeitenden Indust-
                                                      rie aufgrund von Industrie 4.0 Entwicklungen
                                                      und -Anwendungen um insgesamt 6% steigen.
                                                      Aber auch hier ist klar: Qualifizierte Beschäf-
                                                      tigte, vor allem solche mit Kompetenzen in IT,
                                                      Software-Entwicklung, Mechatronik und ähnli-
                                                      chem, werden, überproportional gefragt sein.

 Quellen:
 Frey, C.B., Osborne, M.A.: The Future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation?
 Oxford Martin Programme on the Impacts of Future Technology, 2013. http://www.oxfordmartin.ox.ac.
 uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf
 Bonin, H. u.a.: Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland. Mannheim: ZEW,
 2015. www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb-455.pdf
 Staufen AG (Hrsg.): Deutscher "Industrie 4.0" Index. Auf dem Weg zur Fabrik der Zukunft. Next step
 Roboterfabrik? Köngen: Staufen AG, 2014. http://www.staufen.ag/fileadmin/hq/survey/STAUFEN-stu-
 die-deutscher-industrie-4.0-index-2014.pdf
 Rüßmann, M. u.a.: Industry 4.0. The Future of Productivity and Growth in Manufacturing Industries.
 München: BCG, 2015. Kurzfassung (engl.: https://www.bcgperspectives.com/content/articles/enginee-
 red_products_project_business_industry_40_future_productivity_growth_manufacturing_indu stries/

14
RASANT!
Industriearbeit im Wandel – Risiken und Chancen
für die Beschäftigten

Über die Anzahl der künftigen Arbeitsplätze,       Vergangenheit konnte Arbeitsplatzverlust, der
darüber, ob es mehr oder weniger als heute         durch Rationalisierung erzeugt wurde, immer
sein werden, gibt es bislang nur Schätzungen.      wieder aufgefangen werden: Wachstum, das
Pessimistische Prognosen gehen davon aus,          durch neue Produkte, industrielle Dienstleis-
dass in naher Zukunft fast jeder zweite Beruf –    tungen und Geschäftsmodelle (z. B. Service,
zumindest mit seinem heutigen Qualifikations-      Finanzdienstleistungen) erarbeitet wurde,
profil – automatisiert werden könnte. Klar ist:    ermöglichte es, neue Stellen zu schaffen. Eine
Die Digitalisierung wird nicht nur die Produkti-   zuverlässige Vorhersage, ob dies auch unter
on verändern, sondern sich auch auf Logistik,      den Bedingungen fortschreitender Digitalisie-
Qualitätssicherung, Instandhaltung, Manage-        rung möglich sein wird, gibt es bislang nicht.
ment, Verwaltung und Entwicklung auswirken.        Sehr wahrscheinlich ist aber, dass hunderttau-
Von daher spricht einiges dafür, dass sich         sende Arbeitsplätze gefährdet sind, wenn die
die Beschäftigtenstrukturen in den kommenden       deutsche Industrie nicht zum Investitionstrei-
Jahren erheblich verändern werden. In der          ber einer digitalen Arbeitswelt wird.

                                                                                                    15
Digitalisierung der Industriearbeit

 DEMOGRAFISCHER WANDEL:
 WENIGER, ÄLTER, BUNTER

 Weniger, älter, bunter – diese drei Worte skiz-   heute deutlich besseren Zugang zu Qualifizie-
 zieren, wie sich die Erwerbstätigenstruktur in    rungsmöglichkeiten haben. Auch müssen be-
 Deutschland in den kommenden Jahren und           lastende Tätigkeiten weiter abgebaut werden.
 Jahrzehnten verändern wird. Der vor uns ste-      Der Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähig-
 hende Schub der Digitalisierung wird dem-         keit erfahrener Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
 nach auf einen Arbeitsmarkt treffen, aus dem      nehmer sowie die Stärkung von IT-Kompetenzen
 die großen geburtenstarken Jahrgänge zuneh-       der Berufseinsteiger sind wichtige Bausteine,
 mend ausscheiden werden (die sogenannten          um für alle Beschäftigten faire Teilhabechancen
 „Babyboomer“). Gleichzeitig werden vergleichs-    an der Arbeitswelt von morgen sicherzustellen.
 weise weniger Berufseinsteiger nachrücken.        Dies ist auch eine staatliche Aufgabe, die insbe-
 Unter den Bedingungen fortschreitender Di-        sondere das Bildungs- und Sozialsystem betrifft.
 gitalisierung wird der Wandel der Arbeitswelt     Die Herausforderung besteht darin, den Schutz
 schneller kommen als wir es von früheren In-      und die Förderung der Beschäftigten unter den
 novationswellen her kennen. Darum müssen die      Bedingungen der Digitalisierung weiterzuentwi-
 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits        ckeln und neu zu organisieren.

16
»Der verstärkte Einsatz von Robotern
                                bedeutet, dass wir in einem oder zwei
                                Jahrzehnten weniger Mitarbeiter in
                                Deutschland haben werden. Der Glücks-
                                fall, dass die Babyboomer in Rente ge-
                                hen, erlaubt es uns, ergonomisch un-
                                günstige Arbeitsplätze abzubauen und
                                zu automatisieren, ohne Mitarbeiter
                                zu entlassen«

                                – Dr. Horst Neumann (Volkswagen AG)

DIE BABYBOOMER GEHEN IN DEN RUHESTAND –
DAS ARBEITSKRÄFTE-ANGEBOT SINKT

                                                    Geburten in Deutschland
                                                    pro Jahr

                                                                              17
Digitalisierung der Industriearbeit

 WIE WIR IN ZUKUNFT ARBEITEN WERDEN –
 WER HAT DAS SAGEN: MENSCH ODER MASCHINE?

 Eine Arbeitswelt, die vermehrt von der Vernet-     Modell die schweren, belastenden und monoto-
 zung intelligenter Geräte, Maschinen und Anla-     nen Arbeiten aus. Da durch die Vernetzung eine
 gen geprägt ist, birgt Chancen wie Risiken.        enge Anbindung des Menschen an die Maschi-
 Viele Niedriglohnjobs sind die eine Möglichkeit,   nen und Fabrikabläufe entfällt, können bislang
 in der für die Menschen nur Resttätigkeiten        starre Arbeitsstrukturen aufgebrochen werden.
 bleiben, die Maschinen nicht wirtschaftlich er-    Dies könnte neue Freiräume für die Gestaltung
 füllen können. In diesem Szenario steuert eine     der Arbeitsorganisation eröffnen und damit
 kleine Zahl Hochqualifizierter den Betrieb und     selbstbestimmteres Arbeiten sowie eine besse-
 die Weiterentwicklung der Technik und Abläufe.     re Vereinbarkeit von Arbeit und Leben möglich
 Als Gegenentwurf dazu kann die digitale Ar-        machen. Welches Szenario Realität wird, hängt
 beitswelt jedoch auch so gestaltet werden, dass    von der betrieblichen Gestaltung und der Einmi-
 den Beschäftigten Innovations-, Steuerungs- und    schung der Betriebsräte und Gewerkschaften ab.
 Regulierungstätigkeiten übertragen werden.         Nötig für gute Arbeit im Unternehmen 4.0 ist
 Die Maschinen führen in diesem alternativen        die soziale Gestaltung der technischen Abläufe.

18
TECHNIK

                                                                    Tec
                                                                        h
                                                                      nik
                                                                         ges
                                                                            tal
                                             ng

                                                                                tun
                                            klu

                                                                                    g
                                         wic

                                                                                 ,H
                                                                                   um
                                      ent

                                                                                        an-
                                        s
                                    zes

                                                                                         Ma
                                 Pro

                                                                                          chi
                                                                                              ne-
                               und

                                                   BETEILIGUNGS-

                                                                                               Int
                                                    ORIENTIERTE
                           kt-

                                                                                                  erf
                                                  GESTALTUNG UND
                           du

                                                                                                     ace
                         Pro

                                                   ENTWICKLUNG

                                                                                                     s/I
                                                                                                         nte
                                                                                                             ra
                                                                                                           cti
                                                                                                             on

                                     Lernen – Kompetenzentwicklung – Qualifizierung

    ORGANISATIONEN                                                                                                MENSCHEN

HINTERGRUND

Um die Chancen der Industrie 4.0 für besse-                    Prozesse – dafür braucht es qualifizierte, moti-
re Arbeitsbedingungen realisieren zu können,                   vierte und selbständig agierende Beschäftigte,
ist eine umfassende Gestaltungsperspektive                     die ihre Arbeit selbstorganisiert und kooperativ
gefragt. Das bedeutet: Bei der Einführung von                  vollziehen können. Arbeit muss lernförderlich
Industrie 4.0-Lösungen dürfen die Gestaltungs-                 gestaltet werden, um Beschäftigte zu fähigen
fragen der Arbeitsorganisation, der Weiter-                    Steuerern der digitalen Prozesse zu machen. Die
bildung sowie der Technik und Software nicht                   Stärkung von Qualifizierung, von Mitsprache-
isoliert behandelt werden. Stattdessen müssen                  und Mitwirkungsmöglichkeiten der Beschäftig-
sie zusammen – als soziotechnisches System –                   ten und Betriebsräte und die Erweiterung von
gedacht und umgesetzt werden. Industrie 4.0                    Handlungsspielräumen ist Voraussetzung für das
steht für komplexe, flexible, anpassungsfähige                 Gelingen des Projekts Industrie 4.0.

                                                                                                                             19
Digitalisierung der Industriearbeit

 PROGNOSEN ZUR DIGITALEN                             Arbeit wird flexibler:
 INDUSTRIEARBEIT: FLEXIBEL,
                                                     Arbeit ist weniger an Zeit und Ort gebunden –
 OPTIMIERT, FRAGMENTIERT?                            Stichwort „Home Office“. Dadurch können neue
                                                     Freiräume entstehen, durch die sich beispiels-
                                                     weise private und berufliche Interessen besser
 Arbeit wird beschleunigt:                           vereinbaren lassen. Die alte Trennung von Ar-
                                                     beit und Leben wird damit tendenziell in Frage
 Durch Vernetzung können räumliche und zeit-         gestellt. Hierdurch entstehen jedoch auch neue
 liche Schranken überwunden, Informationen in        Anforderungen, dem Schutzbedürfnis der Be-
 Echtzeit bereitgestellt und in die Leistungssteu-   schäftigten zu entsprechen – die immer weitere
 erung übertragen werden. Die Ankopplung der         Entgrenzung von Arbeit und Leben wird von
 Arbeit an Märkte und deren wechselnde Bedin-        vielen auch als Belastung erfahren.
 gungen wird enger. Schnelle Kommunikation und
 verzahnte Produktionsabläufe ziehen Anfor-          Ansprüche an Arbeit werden individueller:
 derungen an immer schnelles Handelns nach sich.
                                                     Insbesondere dann, wenn Arbeit nicht nur Brot-
 Arbeit wird stärker kontrollier-                    erwerb ist, sondern komplexe, eigenverantwort-
 und steuerbar:                                      liche Tätigkeiten umfasst, erwarten Beschäftigte
                                                     neben fairer Bezahlung, Wertschätzung und
 Durch die Einbindung der Beschäftigten in digita-   Anerkennung auch, dass ihre individuellen Be-
 lisierte Prozesse und Arbeitsumgebungen er-         dürfnisse sowie familiären und gesellschaftlichen
 halten Fragen von Herrschaft und Kontrolle über     Verpflichtungen anerkannt und berücksichtigt
 die Arbeit eine besondere Bedeutung. Vernetzte      werden. Die Arbeitskultur muss sich der Vielfalt
 Mitarbeiter sind prinzipiell lokalisierbar und in   von Lebenslagen und Lebensstilen öffnen. Auch
 ihren Handlungen überwachbar. Leistung und          die gewerkschaftliche Praxis muss darauf einge-
 Arbeitsverhalten können automatisch dokumen-        hen, dass Beschäftigte gerne ihre Arbeit selbst-
 tiert und ausgewertet werden – möglich ist auch,    bestimmter gestalten wollen.
 dass technische Systeme die Leistungsvorgaben
 individuell anpassen.

 Arbeit bedeutet zunehmend, auf Unwägbarkeiten
 und Störungen zu reagieren:

 Egal ob Menschen „Anhängsel“ oder „Herr“ der
 Maschinen werden – auf nicht geplante Ereignis-
 se zu reagieren wird eine zentrale Anforderung.
 Dies erfordert Handlungsspielräume, kann aber
 auch zu Überforderung und Stress führen. Für die
 Industriearbeit der Zukunft sind daher Fähigkei-
 ten wie kreatives Problemlösen, flexibles Planen
 und kooperatives Vorgehen entscheidend.

20
MENSCH UND GESELLSCHAFT – TRENDS

Mobile Arbeit
Drei von fünf Beschäftigten sind der Meinung, dass sie nicht im Büro sein müssen, um produktiv zu arbeiten

                                       Demografischer Wandel
                                       Dem Arbeitsmarkt stehen immer weniger Menschen im
                                       erwerbsfähigen Alter (20–65) zur Verfügung (-34% bis 2060)

                                       Geburten in Deutschland
                                       pro Jahr

Gute Arbeit & Gutes Leben
Arbeit soll entsprechend der Lebenssituation
individuell gestaltbar sein                                      Wachsende Vielfalt & Individualisierung

                                                                                                             21
Digitalisierung der Industriearbeit

 DIE KARTEN WERDEN NEU GEMISCHT

 Digitale Industriearbeit enthält Chancen und Risi-    Gerade im Zusammenhang mit der Gestaltung von
 ken. Diese Chancen und Risiken sind nicht techno-     Technik und Organisation kann viel Positives be-
 logisch vorbestimmt. Digitale Arbeit ist gestaltbar   wirkt oder – genau im Gegenteil – den Interessen
 und verhandelbar. Sie enthält Chancen für alle Be-    der Beschäftigten geschadet werden. Nur wenn
 schäftigten, künftig selbstbestimmter und gesün-      Beschäftigte und Unternehmen die Zusammenhän-
 der, in attraktiven Arbeits- und Lernumgebungen       ge von Digitalisierung und Vernetzung mit Arbeit
 zu arbeiten. Die IG Metall ist entschlossen, diese    und ihrer Organisation besser verstehen, können sie
 Chancen zu realisieren.                               neue Gestaltungsmöglichkeiten erschließen und den
 Dafür muss die Technik selbst in den Blick genom-     Risiken der digitalen Arbeitswelt entgegen wirken.
 men werden. Es ist kritisch zu durchleuchten, was
 Maschinen, Systeme und Software bieten und wie        Der IG Metall geht es im Zeichen zunehmender
 sie in die betriebliche und überbetriebliche Ar-      Digitalisierung um die gesellschaftliche Regulie-
 beits- und Sozialorganisation eingebettet werden.     rung einer guten Zukunft von Arbeit und Leben!

 Konkret heißt das:

 •   Werden vorhandene Qualifikation wertge-
     schätzt und weiterentwickelt?

 •   Wird das Potenzial der Technik genutzt,
     um gute Arbeit und Arbeitsbedingungen
     zu fördern?

 •   Wir das Arbeitsvermögen der Beschäftigten
     angemessen genutzt, keine Über- aber auch
     keine Unterforderung?

22
23
                                                    VVS
                     fte  n
                  cha
             erks aft
         Gew sch r
     und Wissen nsfelde
                              litik
      von peratio
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                                                    lismus
            Jörg ef Wetz
                                                           6 / 2015

          VS
             Detl
                 Joachim
                         Bischo
                               ff / Björ
                                        n Radk
                             e / Axel
               Indu                   Troost
                    st
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                     st              en
            industrie rialisierung
                     ller Revo      und
                               lution vierter
Digitalisierung der Industriearbeit

BEHERZT!
 Die Handlungsfelder der IG Metall für eine menschen-
 gerechte Gestaltung der digitalen Arbeitswelt

 Die Interessen des arbeitenden Menschen           Eine neue Humanisierungspolitik würde an das staat-
 stehen für uns im Mittelpunkt. Um sie in der      liche Förderprogramm „Humanisierung des Arbeits-
 digitalisierten Arbeitswelt zu verwirklichen,     lebens“ aus den 70er Jahren anknüpfen. Es wurde
 brauchen wir eine neue Humanisierungspoli-        1974 vom damaligen Bundesminister für Forschung
 tik. Unser Leitbild ist der handelnde Mensch,     und Technologie Hans Matthöfer aufgelegt, der vor-
 der die nötige Qualifikation und Kompetenz        her viele Jahre beim IG Metall-Vorstand tätig war.
 zur Nutzung intelligenter maschineller und
 digitaler Systeme besitzt und die technischen     Humanisierung des Arbeitslebens stand
 Entwicklungen für ein besseres Leben und          für eine Reformpolitik, die darauf abzielte:
 Arbeiten selbstbestimmt nutzen kann. Unser
 Ansatz einer neuen Humanisierungspolitik ist:     •   Technisch-organisatorischen Wandel
 Die Gestaltungspolitik der IG Metall trägt den        zu beeinflussen.
 unterschiedlichen Ansprüchen der Beschäftig-
 ten ebenso Rechnung, wie sie der Herstellung      •   Arbeitsbedingungen zu verbessern.
 sozialer Gerechtigkeit unter den neuen Be-
 dingungen der Digitalisierung verpflichtet ist.   •   Industriearbeit zu gestalten.

24
»Freiheit und Gerechtigkeit müssen über-
                                                    all im Arbeitsleben verwirklicht werden:
                                                    Menschenwürde, Freiheit und Gerech-
                                                    tigkeit sind keine Güter, die wirtschaft-
                                                    lichem Kalkül beliebig geopfert werden
                                                    können. Nicht der Mensch hat der
                                                    Produktion, sondern diese hat dem Men-
                                                    schen zu dienen.«

                                                     – Hans Matthöfer
                                                    (Bundesminister 1974 – 1982)

Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und                         Herausgeber: Industriegewerkschaft
Unfallforschung, Dortmund, 1976                                          Metall (IG Metall) Vorstand, 1977

HINTERGRUND

Eine neue Humanisierungspolitik würde an das           Die HdA-Politik beeinflusste auch die Tarifpolitik:
staatliche Förderprogramm „Humanisierung des           Der Lohnrahmen-Tarifvertrag II (1973) sowie
Arbeitslebens (HdA)“ anknüpfen. Dies wurde             Rationalisierungsschutzabkommen zeigen das am
1974 vom damaligen Bundesminister für For-             deutlichsten. Zudem beteiligten sich IG Metall und
schung und Technologie Hans Matthöfer (SPD)            viele Betriebsräte an konkreten Projekten in den
aufgelegt. „Humanisierung des Arbeitslebens“           Betrieben, die im Rahmen des HdA-Programms
stand für eine Reformpolitik, die darauf abzielt,      gefördert wurden. Dabei wurden Arbeitsinhalte
den technisch-organisatorischen Wandel zu beein-       und -beziehungen verbessert, belastende und ge-
flussen und Arbeitsbedingungen zu verbessern.          sundheitsgefährdende Arbeitssituationen abgebaut.

                                                                                                              25
Digitalisierung der Industriearbeit

 SOZIALE ARBEITSWIRKLICHKEITEN IN DER DIGITALEN WELT –
 DURCH BETEILIGUNG, MITBESTIMMUNG, TARIFVERTRÄGE

 Die Weiterentwicklung der Mitbestimmung in           Für die Mitbestimmungspraxis in der digitalen
 der digitalisierten Arbeitswelt ist ein zentra-      Arbeitswelt müssen Mitbestimmungsrechte
 les Handlungsfeld der IG Metall. Der Betrieb         angepasst werden. Das beginnt mit dem Infor-
 soll ein sozialer und demokratischer Ort sein.       mationsrecht des Betriebsrats. Der Betriebsrat
 Dazu braucht es neue Formen der Beteiligung in       benötigt zwingend ein Initiativrecht, nicht nur
 der Betriebs- und Unternehmenspolitik – „ver-        zu Umfang und Qualität der erforderlichen Infor-
 netzte Mitbestimmung“ ist das Stichwort. Die         mationen, sondern auch bezüglich der Art ihrer
 Mitbestimmung muss digital werden – denn die         Aufbereitung. Die Weiterentwicklung von Mit-
 Informations-, Beteiligungs- und Entscheidungs-      bestimmung in der digitalen Arbeitswelt ist ein
 prozesse des Unternehmens werden es auch.            Arbeitsschwerpunkt der IG Metall.
 Die IG Metall entwickelt und begleitet Ideen und
 Projekte, die dazu beitragen, die Mitbestimmung
 auch in einer veränderten Realität für die Be-
 schäftigten wirksam zu gestalten.

 In den Betrieben gibt es bereits heute erste
 Beispiele einer solchen neuen „digitalen“ Beteili-
 gungskultur.

 Erfolgreiche Beispiele müssen untersucht, wei-
 terentwickelt und in der Anwendung verbreitert
 werden. Die Erfahrungen aus solchen Projekten
 werden Teil der gewerkschaftlichen Bildungs-
 und Informationsarbeit.

26
BEISPIELE DIGITALER                     Das Ressort Zukunft der Arbeit beim Vorstand der IG Metall betreibt
                                        einen Blog, der Betriebsräten, Vertrauensleuten, Beschäftigten, haupt-
BETEILIGUNGSKULTUR
                                        amtlichen Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre aus Wirtschaft,
                                        Wissenschaft und Gesellschaft einen Austausch- und Diskussionsforum
                                        über die soziale Gestaltung von „Industrie 4.0“ bzw. „Arbeit 4.0“ bietet.

                                                                http://www.blog-zukunft-der-arbeit.de/

   Screenshot des Blog „Zukunft der Arbeit“

    Andere Beispiele sind:

    Die IG Metall Verwaltungsstelle Wolfsburg twittert          https://twitter.com/IGMetall_WOB

    Die IG Metall Jugend debattiert auf Facebook                https://www.facebook.com/igmetalljugend

    Die „Aktiven im Eletrohandwerk“ betreiben einen Blog        http://wir-schalten-uns-ein.de/

    Auch auf YouTube ist die IG Metall vertreten                https://www.youtube.com/watch?v=iLcev0qz-lY

    Die IG Metall lädt CrowdworkerInnen zur Beteiligung ein     http://www.faircrowdwork.org/

                                                                                                               27
Digitalisierung der Industriearbeit

 In der digitalen Arbeitswelt verändert sich der   für gewerkschaftliche Arbeit zu organisieren?
 Betriebsbegriff. Arbeit ist nicht mehr an einen   Damit wir in einer Arbeitswelt mit digitalen
 Ort gebunden, sondern definiert sich zuneh-       Strukturen solidarisch handeln können, müssen
 mend über Zugänge, Organisation und Kontrolle     wir passende Antworten auf diese Fragen fin-
 von digitalen Abläufen. Der Betrieb bleibt zwar   den. Die Digitalisierung ist in vielen Betrieben
 organisatorisch eine Einheit. Aber es besteht     längst angekommen: Je mehr Menschen Teile
 die Gefahr, dass er keine soziale Einheit mehr    ihrer Arbeitszeit im Home Office leisten oder
 bildet, da direkte kollegiale Kontakte, gemein-   auf andere Weise mobil arbeiten, desto größer
 same Handlungsbezüge, Probleme oder Inter-        sind die Herausforderungen für Betriebsräte.
 essen weniger werden. Hier haben Arbeitgeber      Wie können sie Standards des Arbeits- und
 wie Beschäftigte ein Interesse, gegenzusteu-      Gesundheitsschutzes durchsetzen, wie können
 ern um die sozialen Funktionen des Betriebes      Arbeitnehmerhaftung, Arbeitszeitregelungen,
 zu erhalten. Präsenzzeiten können hier eine       Leistungs- und Entgeltrelationen im Interesse
 Möglichkeit sein. Wie können aber solche Prä-     der Beschäftigten verwirklicht werden? Auch
 senzzeiten genutzt werden für gewerkschaft-       hier hat die IG Metall begonnen, erste Erfah-
 liche Organisationsarbeit und Betriebspolitik?    rungen systematisch auszuwerten und eigene
 Wie lässt sich auf der anderen Seite das Inter-   Vorschläge – zum Beispiel zur Regelung Mobiler
 net dazu nutzen, neue soziale, virtuelle Räume    Arbeit – zu entwickeln.

28
„MOBILES ARBEITEN“ – BETEILIGUNGSKAMPAGNE BEI DAIMLER

Die IG Metall ist entschlossen, das Thema „Mo-      Kampagne durch intensive interne und externe
biles Arbeiten“ gemeinsam mit den Beschäf-          Kommunikation, die Beschäftigten vielfältige
tigten anzugehen und zu gestalten. Ein Vorrei-      Beteiligungsmöglichkeiten gibt.
terprojekt hierfür ist die Beteiligungskampagne
„Mobiles Arbeiten bei Daimler“. Sie wird von
Gesamtbetriebsrat, Unternehmensleitung und IG       Erste Ergebnisse der Online-Befragung:
Metall gemeinsam getragen und wissenschaft-
lich begleitet durch das Fraunhofer-Institut IAO.   •   Für mehr als 90% der Befragungsteilnehmer
Durch eine Online-Befragung wurden die Mei-             hat mobiles Arbeiten eine positive Bedeu-
nungen und Erfahrungen der Beschäftigten in             tung: Sei es, weil sie bereits mobil arbeiten
der Breite erfasst. Mit großem Erfolg: Über             und dies gerne fortsetzen möchten. Sei es,
33.400 Daimler-Beschäftigte füllten den Frage-          weil sie dies gern in Zukunft tun würden
bogen aus - das sind 41 % der 82.500 Befragten          oder weil sie zumindest die Möglichkeit dazu
aus der Verwaltung und den produktionsnahen             begrüßen würden.
Bereichen. In der zweiten Phase werden rund
800 Beschäftigte in halbtägigen Workshops an        •   Als wesentliche Vorteile nennen die Teil-
den Standorten die Chance haben, die Ergebnis-          nehmenden die Einsparung von Wegezeiten
se der Befragung vertieft zu analysieren und zu         (83%), eine größere Produktivität (65%)
diskutieren. Gemeinsam sollen Wege zu guter             und weniger Stress durch ungestörtes
mobiler Arbeit und eine Vorstellung von der             Arbeiten (68%).
Arbeitswelt der Zukunft entwickelt werden.
Erst danach werden Verhandlungen zu einer           •   Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
neuen Gesamtbetriebsvereinbarung aufgenom-              ist ein sehr wichtiges Anliegen: Mehr als 60%
men. So wird durch diese Beteiligungskampag-            der Befragungsteilnehmer konstatieren dabei
ne die Betriebspolitik vom „Kopf auf die Füße           heute Schwierigkeiten. Durch mobiles Arbei-
gestellt“. Die IG Metall ist in allen Steuer- und       ten erwarten 55% eine Entlastung; 35% haben
Arbeitsgremien des Projekts und auch in den             diese Erfahrung bereits selbst gemacht.
Workshops vertreten. Begleitet wird die ganze

                                                                                                        29
Digitalisierung der Industriearbeit

 Eine besondere Herausforderung für die IG Metall                 Durch digitalisierte Abläufe werden riesige Men-
 stellen Beschäftigte dar, die außerhalb des Be-                  gen von Daten über jeden einzelnen Beschäftigten
 triebes arbeiten und keinen Arbeitnehmerstatus                   erzeugt und gespeichert. Aus den bürgerlichen
 genießen: So genannte Crowdworker erledigen                      Freiheitsrechten kennen wir den Anspruch auf
 als Selbstständige z. B. kleinere Arbeitstätig-                  das „informationelle Selbstbestimmungsrecht“,
 keiten in den Bereichen IT, Forschung und Ent-                   das jedem Bürger die Entscheidung darüber über-
 wicklung oder Verwaltung. In Deutschland ist                     lässt, ob und welche persönlichen Daten er preis-
 die Arbeitsform des Crowdworkings noch kein                      gibt. Doch dieser ist bisher im Betrieb rechtlich
 Massenphänomen – doch je mehr Arbeitsabläufe                     nicht abgesichert. Darum setzt sich die IG Metall
 in dafür geeignete standardisierte und abge-                     für einen eigenständigen und tauglichen Arbeit-
 grenzte Einheiten zergliedert werden, umso mehr                  nehmerdatenschutz ein – sei es im Zusammen-
 Menschen könnten davon betroffen sein: Sie sind                  hang mit der geplanten Datenschutzgrundverord-
 eigentlich Kolleginnen und Kollegen, arbeiten                    nung der EU-Kommission oder durch Neuerungen
 aber zu völlig anderen Bedingungen. Die IG Metall                am Betriebsverfassungsgesetz. Klar ist: Auch im
 entwickelt daher Konzepte zur Ansprache dieser                   Betrieb müssen die Grundrechte jedes Menschen
 Gruppe und zur Vertretung ihrer Interessen.                      verwirklicht sein.

       Lesetipp: Big Data. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 11–12/2015).
       Internet: http://www.bpb.de/apuz/202236/big-data

30
Datenmenge

         Petabytes                                        Mobile Web

                                                                            Social Web
                                                                                           BIG DATA

                                 Verkehrslenkung                                                       Standort- und
                                und Überwachung                                                       Bewegungsdaten
                                                                                                      (RFID, GPS, NFC)

                                                                INTERNET
                                                                                                                      Fotos,
                                                   Websites,                                                          Videos,
                                                    Portale                                                          Podcasts
         Terabytes                                                             Datenbanken,
                                                                                Plattformen

                                                                                                                  Produkt-,
                         ERP-System                 Endgeräte                     Foren,                          Geräte-,
                         (SAP)                                                    Blogs,
                                                    z. B. Telefondaten                                           Servicelogs
                         u. a. Kundendaten,                                       Wikis
         Gigabytes       Buchhaltungsdaten,
                         Bestandslisten,
                                                    Produktionssteuerung
                         Kostenaufstellung                                         Shops,
                                                    u. a. CAD-, CNC-              Services
                                                    Daten
         Megabytes                                  Steuerungs- und
                         Steuerungs-
                                                    Mess-Daten
                         systeme
                         z. B. Motordaten

                                                                                                          Datenvielfalt, Komplexität

Big Data – das ist die Verarbeitung und Spei-                            Steuerung verwendet, sondern mit den Daten des
cherung riesiger Datenmengen in Echtzeit. An sich                        Fahrers, des Navigationsgeräts und des Smart-
ist das nichts Neues. Versicherungen, Personal-                          phones zu einem Nutzungs- und Bewegungsprofil
verwaltungen von Unternehmen oder die statis-                            zusammen gebracht. So kann natürlich der für den
tischen Bundes- und Landesämter gehen schon                              Fahrer passendste – schönste, schnellste, spritspa-
heute mit großen Mengen personenbezogener                                rendste – Weg zum Ziel gefunden werden. Genau
Daten um – allerdings unter strengen Datenschutz-                        festgehalten wird aber auch die nächtliche Irrfahrt
regeln. Datenverarbeitung in Echtzeit ist ebenfalls                      vom Club nach Hause unter Missachtung sämtlicher
nicht neu: Echtzeitsteuerung mit kurzen Reakti-                          Verkehrsregeln. Auch in der Fabrik kann Big Data
onszeiten spielt zum Beispiel bei der Steuerung                          zum Vorteil, gleichzeitig aber auch zum Nachteil des
des Motors und der Airbags im Auto oder auch an                          Menschen angewendet werden. Wenn zum Beispiel
CNC-Maschinen bei der Steuerung von Werkstück                            Steuerungsdaten von Maschinen mit Daten aus
und Werkzeug eine entscheidende Rolle. Warum                             Planungsprozessen zusammengeführt werden, dann
wird „Big Data“ also zum Problem? Für „Big Data“                         führt dies sicher zu einem effizienteren Gesamtpro-
ist charakteristisch, dass beides zusammen spielt:                       zess. Aus der Aufzeichnung und Zusammenführung
Sehr große Datenmengen werden schnell und                                von Daten aus dem Arbeitsprozess und personen-
genau ausgewertet. Dabei wird häufig auf Daten                           bezogenen Daten kann aber ebenso leicht eine
aus unterschiedlichen Quellen zugegriffen. Im Auto                       Leistungs- und Verhaltenskontrolle in einer bisher
werden also nicht mehr nur die Motordaten zur                            unbekannten Schärfe und Genauigkeit entstehen.

                                                                                                                                   31
Digitalisierung der Industriearbeit

 AMAZONISIERUNG ODER                                   verändern. Als „Ideen-Plattform“ oder „Business
                                                       Innovation“ kann internes Crowdsourcing Be-
 HUMANISIERUNG DER ARBEIT DURCH
                                                       schäftigte motivieren, sich an Produkt-oder Pro-
 CROWDSOURCING? EINE GEWERK-                           zessoptimierungen zu beteiligen. Mit der Folge,
 SCHAFTLICHE
 Ein               HERAUSFORDERUNG!
     Beitrag von Christine Thomas (IG Metall           dass sich über diesen „modernen“ Weg Beschäf-
 Vorstand / VB 05 – Christiane Benner/                 tigtengruppen einbringen, die sich am klassischen
 Crowdsourcing ist eine Strategie des Ausla-           Verbesserungswesen nicht beteiligten. Allerdings
 gerns von Tätigkeiten: Aufträge werden mittels        werden mit solchen Verfahren häufig die Mitbe-
 webbasierten Plattformen an eine große Menge          stimmungsrechte der Betriebsräte umgangen.
 (Crowd) von Menschen ausgeschrieben.                  Crowdsourcing hat Auswirkungen in die Betriebe
                                                       und Unternehmen: Tätigkeiten, die ursprünglich
 Forschung und betriebliche Praxis zeigen, dass        von festangestellten Beschäftigten mit entspre-
 viele Aufgaben aus der Wertschöpfungskette            chenden Qualifikationen ausgeführt wurden,
 zu Crowdsourcing-Projekten werden können.             fallen entweder ganz weg oder sie verändern
 Vielfach sind es standardisierte Tätigkeiten aus      sich. Tätigkeiten, die von Routine-und Standard-
 Administration, Verwaltung, Marketing oder Lo-        anteilen befreit werden, können anspruchsvoller
 gistik. Aber auch anspruchsvolle Tätigkeiten, die     und spannender werden. Aber auch die umge-
 eine hohe Qualifikation erfordern, sind nicht da-     kehrte Entwicklung ist möglich: Eine Zergliede-
 vor gefeit „crowdgesourct“ zu werden. So berich-      rung und Entwertung von einstmals komplexen
 ten uns Entwicklungsingenieure, dass sie damit        und anspruchsvollen Aufgaben. Crowdsourcing
 beauftragt werden, ihre komplexen Tätigkeiten in      hat als neue Arbeitsform aber auch massive
 kleine Teilaufgaben zu zerlegen, beziehungsweise      Auswirkungen auf diejenigen, die die extern
 alle standardisierbaren Anteile aus ihren Tätigkei-   ausgeschriebenen Tätigkeiten ausführen – auf
 ten herauszulösen. Diese Teilaufgaben benötigen       die Crowdworker. Heute erleben wir Crowd-
 wenig oder gar kein spezifisches Fachwissen und       working als Arbeitsform mit überwiegend
 können also an eine potentiell riesige Menge aus-     schlechter Bezahlung weit unterhalb des Min-
 geschrieben und von ihr erledigt werden.              destlohns, ohne soziale Absicherung. Crowd-
 Aus Sicht der Unternehmen gibt es verschiedene        worker bekommen kein Urlaubsgeld, keine
 Motive, Tätigkeiten als Crowdsourcing auszu-          Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sie sind
 schreiben: Sie können durch die Crowd ein großes      nicht sozialversichert, das heißt: Krankenversi-
 Wissenspotenzial „anzapfen“, Prozesse lassen          cherung und Altersvorsorge müssen sie von den
 sich beschleunigen, aber es reizen auch Kosten-       ohnehin geringen Einkommen selbst aufbringen.
 vorteile durch geringe Entlohnung, fehlende Sozi-     Arbeitsrechtliche Grundlagen oder gar tarifliche
 alabgaben und den Verzicht auf Festanstellungen.      Absicherung und Mitsprachemöglichkeiten gelten
 Allerdings müssen die Aufträge präzise defi-          ebenfalls nicht. Die Allgemeinen Geschäftsbe-
 niert, die Zusammensetzung der Teilaufgaben           dingungen (AGB) der jeweiligen Plattformen sind
 muss koordiniert und die Qualität der Ergebnisse      Auftrags-Grundlage. Und diese AGB’s sind viel-
 gesichert werden. Crowdsourcing gibt es auch          fach sehr einseitig zugunsten der Plattformbe-
 als interne Form – oftmals über firmeninterne         treiber bzw. der Auftraggeber gestaltet.
 soziale Netzwerke bzw. das Intranet. In diesem        Bei allen Nachteilen birgt Crowdworking auch
 Fall ist die Belegschaft eines Betriebs, Unterneh-    Chancen: Für viele Menschen ist es die einzige
 mens oder Konzerns die Crowd. Crowdsourcing           Chance überhaupt an Arbeit und Einkommen zu
 beschränkt sich also nicht nur auf die externe        gelangen. Auch deshalb ist der IG Metall daran
 Verlagerung von Aufgaben, es kann auch unter-         gelegen, die Arbeitsbedingungen von Crowd-
 nehmensintern Aufbau- und Ablauforganisation          workern gemeinsam mit ihnen zu verbessern.

32
www.faircrowdwork.org/

Mit der Website www.faircrowdwork.org haben
wir im Wortsinn eine Plattform für Crowdworker
geschaffen, die mehrere Ziele verfolgt: Wir wol-
len Vernetzung organisieren, Transparenz über
die Plattformen und deren Konditionen schaffen,
Gegenmacht aufbauen – und natürlich bieten
wir Crowdworkern auch eine Beratung inklusive
telefonischer Hotline. Crowdworker sollen zu
fairen Bedingungen und existenzsichernden Ein-
kommen arbeiten – das ist das Ziel der IG Metall.
Die Aufgabe des Ressorts Angestellte, IT, Stu-
dierende ist es, Instrumente und Konzepte für
die adäquate Ansprache zu entwickeln und zur
Verfügung zu stellen. Und Unterstützungsange-
bote auszuarbeiten, um Crowdworker - soweit
sie im Rahmen der Wertschöpfungsketten des
Organisationsbereichs der IG Metall tätig sind -
zu Mitgliedern zu machen. Wir gehen davon aus,
dass Crowdworking - und andere neue Arbeits-
formen und Geschäftsmodelle – auch im Orga-
nisationsbereich der IG Metall – zunehmen wird.
Deshalb sind unsere verschiedenen Aktivitäten –
von Forschungsprojekten bis Beratungs-und Ver-
netzungsangeboten, von Öffentlichkeitsarbeit
und Hineinwirken in die Politik – auch organisati-
onspolitisch von hoher Bedeutung.

                                                                       33
Digitalisierung der Industriearbeit

 DIGITALISIERUNG ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DEN ARBEITSSCHUTZ

 Ein Beitrag von Dr. Detlef Gerst (IG Metall Vorstand / VB 07 –
 Hans-Jürgen Urban / FB Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik)

 Auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz steht       cherheitsgesetz darf von der Technologie keine
 vor neuen Aufgaben: Die Flexibilisierung von        Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit
 Arbeitszeit und -ort macht es notwendig, neue       der Beschäftigten ausgehen. Beschäftigte
 Grenzen zu ziehen, um Stress und Überlastung        müssen sich Gefährdungen durch das in Gang
 vorzubeugen. Eine Anti-Stress-Verordnung            gesetzte Arbeitsmittel rechtzeitig entziehen
 ist hierbei ein wichtiges Element. Es gibt aber     können. Der Arbeitgeber hat Gefährdungsbeur-
 auch handfeste Beispiele für Probleme, die          teilungen durchzuführen und durch Maßnahmen
 gelöst werden müssen: Wir kennen Industrie-         sicher zu stellen, dass die Gefährdung so gering
 roboter vor allem als schwergewichtige Ma-          wie möglich gehalten wird. Schon heute stehen
 schinen hinter einer Schutzabsperrung oder          geeignete Schutzeinrichtungen zur Verfügung.
 umgeben von Käfigen. Heute gibt es jedoch           Eingesetzt werden Kamerasysteme, Ultraschall-
 eine neue Generation von Leichtbaurobotern,         sensoren, Lichtschranken, mit Sensoren ausge-
 konstruiert mit dem Ziel, in unmittelbarer          stattete Fußmatten oder sogenannte sensible
 Umgebung der Beschäftigten eingesetzt zu            Roboterhäute, die bei drohendem Kontakt mit
 werden. „Kollaborierende Leichtbauroboter“          dem Menschen zum Stillstand der Technik
 etwa können Beschäftigten zur Hand gehen und        führen. Ein geeignetes Sicherheitskonzept kann
 diese entlasten – sie können aber auch Zusam-       auch in der Handführung der Roboter oder
 menstöße oder Quetschungen verursachen. Mit         einer Steuerung über Gesten liegen. Keinen
 dem Einsatz kollaborierender Roboter entsteht       ausreichenden Schutz bieten Einrichtungen,
 also ein Bedarf an sicheren nichttrennenden         die erst bei erfolgtem Zusammenstoß mit dem
 Schutzeinrichtungen. Nach dem Betriebssi-           Menschen reagieren.

34
„DIE ROBOTER KOMMEN AUS DEN KÄFIGEN ...“

                                           35
Digitalisierung der Industriearbeit

 GLEICHE CHANCEN FÜR DIE BESCHÄFTIGTEN –
 QUALIFIKATION UND BERUFLICHE BILDUNG FÜR ALLE

 In den Veränderungsprozessen hin zur digitalen      gen noch schneller ändern, Technologieschübe
 Arbeitswelt darf es keine Verlierer geben.          immer häufiger aufeinander folgen, vorhandene
 Allen Beschäftigten auf allen Qualifikationsebe-    Technologien veralten und neue eingeführt
 nen müssen in der digitalen Arbeitswelt be-         werden. Beruflicher Fort- und Weiterbildung
 rufliche Entwicklungschancen eröffnet werden.       wird daher in Zukunft für alle Beschäftigten
 Dazu sind deutlich verbesserte Zugänge zur          eine wichtige Rolle spielen. Dafür sind auch
 beruflichen Bildung erforderlich. Dies betrifft     neue Formen des Lernens und seiner formalen
 die Berufsvorbereitung, die Berufsausbildung        Zertifizierung erforderlich, die institutionelle
 und ganz besonders berufliche Fort- und Wei-        Veränderungen im System beruflicher Bildung
 terbildungen, denen eine entscheidende Rolle        erfordern. Arbeit muss generell lernförder-
 zukommt. Denn die Zeiten, in denen galt: „Was       lich gestaltet werden, breite Erstausbildungen
 Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“        müssen berufsbegleitendes Lernen vorberei-
 sind endgültig vorbei. Früher konnte man noch       ten, Qualifizierung muss betrieblich und tarif-
 davon ausgehen, dass neue Technologien ein          lich abgesichert werden, Bildungs- wie Sozi-
 Thema für die junge Generation und für neue         alsystem müssen an die neuen Anforderungen
 Ausbildungsgänge sind. Schon heute gilt das         angepasst werden. Kurz: Herausgefordert sind
 nicht mehr. In Zukunft, in der digitalen Arbeits-   Arbeitsgestaltung, Tarifpolitik, Bildungs- und
 welt, werden sich die Qualifikationsanforderun-     Arbeitsmarktpolitik.

36
VERÄNDERTE
QUALIFIKATIONSANFORDERUNGEN

        NICOLE FRITSCHE

        ALTER: 23 JAHRE

        VERFAHRENSMECHANIKERIN FÜR BESCHICHTUNGSTECHNIK

        3. AUSBILDUNGSJAHR

             Handarbeit am Produkt                      Systemregulierung
             (Nacharbeit in derLackierung):             (Auftrag von Farbstoffsolarzellen)
             Schleifen                                  Kontrollieren
             Lackieren                                  Spezifizieren
             Polieren                                   Entwickeln und Betreuen
                                                        von Systemlösungen

             Ausbildung:                                Ausbildung:
             Handwerkliche und technologische           Prozesswissen (Hard- und Software)
             Fähigkeiten und Kenntnisse                 Netzwerkarchitekturen
                                                        Systemlösungen

HINTERGRUND

Nicole ist Verfahrensmechanikerin für Beschich-     etwa bei der Produktion von Farbstoff-Solarzellen
tungstechnik im Fahrzeugbau. Sie erledigt heute     für energieeffiziente Autos. Nicole könnte also in
viele Aufgaben, die von Robotern noch nicht feh-    Zukunft dafür verantwortlich sein, dass diese So-
lerfrei bewältigt werden. Dazu gehören die La-      larzellen so aussehen, wie der Kunde sie für sein
ckierung der Türpfalz oder Nacharbeiten, etwa das   jeweiliges Auto wünscht, egal ob es an einem Tag
Beseitigen von im Lack eingeschlossenen Luft-       goldene sechseckige und am nächsten Tag rote,
bläschen. Absehbar ist: Neue Roboter und bildver-   quadratische Solarzellen sein sollen. Für diese Ar-
arbeitende Kameras könnten ihre jetzigen Tätig-     beit wäre ein Abschluss als Technikerin in Chemie-
keiten in Zukunft übernehmen. Ebenso könnten        technik sinnvoll und weitere Zusatzqualifikationen
neue Technologien ihre Arbeit überflüssig machen.   erforderlich, etwa zu den neuen Materialien und zu
Dann entstehen aber auch neue Tätigkeitsprofile,    intelligenter Steuerungstechnik.

                                                                                                      37
Digitalisierung der Industriearbeit

 In Deutschland besteht seit längerem ein Mangel:       Das gilt für die duale Ausbildung in Betrieb und Be-
 Die Auswirkungen des technologischen Wandels           rufsschule, aber auch für die Dualen Studiengänge
 auf die Qualifikationsanforderungen werden nicht       (Ausbildung in Betrieben und Dualen Hochschulen).
 rechtzeitig erforscht. Das wäre aber notwendig,        Hier ist jedoch durch die Neuordnung des europäi-
 damit Beschäftigte zur richtigen Zeit über die rich-   schen Studien- und Ausbildungssystems seit dem
 tigen Qualifikationen verfügen. Damit das endlich      „Bologna-Prozess“ ein Wildwuchs kleinspuriger
 anders wird, erhebt die IG Metall erneut die For-      akademischer Abschlüsse erzeugt worden.
 derung nach einer präventiven Arbeitsmarkt- und        Auch das System der beruflichen Weiterbildung
 Bildungsforschung. Auf solcher Grundlage benö-         muss weiterentwickelt werden. Meister- und
 tigt dann auch die Bundesagentur für Arbeit (BA)       Techniker-Qualifikationen sind häufig Sackgassen.
 mehr Fachleute, die Beschäftigte über ihre weitere     Sie werden in den Betrieben nicht genutzt und
 berufliche Entwicklung beraten können. Für An-         bringen den Beschäftigten keine Vorteile. Modula-
 und Ungelernte gibt es das Projekt „Wegebau“.          re, zertifizierte Weiterbildungsabschnitte können
 Ähnliche Angebote muss es auch für andere Ziel-        beiden Seiten mehr Vorteile bringen – auch im
 gruppen geben. Je schneller und unterschiedlicher      Rahmen eines personenbezogenen Bildungspasses
 Berufsbilder sich verändern, umso breiter und          (beispielsweise im Zusammenhang mit dem Deut-
 fundierter muss die berufliche Erstausbildung sein.    schen Qualifikationsrahmen DQR).

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