Diskurse über das Fremde - Eine Chronik zu politischen Initiativen und Gegenentwürfen in der Schweiz - Eidgenössische ...
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Diskurse über das Fremde Eine Chronik zu politischen Initiativen und Gegenentwürfen in der Schweiz Kurzbericht im Auftrag der Eidgenössischen Migrationskommission EKM Juni 2020 Schweizerische Eidgenossenschaft Eidgenössische Migrationskommission EKM Confédération suisse Confederazione Svizzera Confederaziun svizra
Impressum Herausgeber Eidgenössische Migrationskommission EKM, Quellenweg 6, CH-3003 Bern-Wabern, www.ekm.admin.ch Autor Angelo Maiolino Redaktion Simone Prodolliet, Sibylle Siegwart, Pascale Steiner Titelbild Neuinterpretation des Plakats zur «Revision des Asyl- und Ausländer- gesetzes, 1987» (2020) © Stephan Bundi, Atelier Bundi AG, Visuelle Kommunikation, 3067 Boll Illustrationen Die Plakate stammen aus verschiedenen Schweizer Plakatsammlungen: der Schule für Gestaltung Basel, des Museums für Gestaltung Zürich/ Archiv Zürcher Hochschule der Künste, der Graphischen Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek, der Bibliothèque de Genève, der Médiathèque Valais-Sion und des Schweizerischen Sozialarchivs Zürich. Abbildungen 1 und 4: © Schweizer Demokraten Abbildung 2: © Ursula Piatti Abbildung 3: © Jean Leffel Abbildung 5: © Edgar Küng Abbildungen 6, 9 und 11: © GOAL AG Abbildung 7: © economiesuisse Abbildung 8: © Jürgen von Tomëi Abbildung 10: © Medienbüro Selezione Gestaltung Cavelti AG. Marken. Digital und gedruckt, Gossau © EKM/Juni 2020
Vorwort 1970 befanden die stimmberechtigten Schweizer Frauen endlich die ihnen zustehenden Rechte beka- Männer über die als «Schwarzenbach-Initiative» men; ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen bekannte Volksinitiative «Überfremdung». Fünfzig ist. Und die Gründer des Bundesstaates haben es Jahre später wird das Schweizer Stimmvolk über geschafft, in einer Ära des nationalen Wahns, der die Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» ab- eine gemeinsame Geschichte, Sprache, Kultur und stimmen. Einmal mehr wird die Zuwanderung zum Herkunft als Voraussetzung für das staatliche Zu- zentralen politischen Problem der Schweiz hoch- sammenleben propagierte, ein ganz anderes Mo- stilisiert und dabei zugleich das Verhältnis zur EU dell, das des Miteinanders unterschiedlicher Spra- in Frage gestellt. Der Historiker Angelo Maiolino chen und Kulturen, erfolgreich umzusetzen. fasst im vorliegenden Text die Geschichte dieser Haltung aus Abwehr, Fremdenfeindlichkeit und vom Wir haben ob der vielen lauten Abstimmungskämp- M ythos des autonomen, von niemandem abhängi- fe gegen «Überfremdung» gar nicht bemerkt, wie gen N ationals taats zusammen. sehr sich die Gesellschaft auch durch die Migration verändert hat, wie sehr die damaligen Migrantinnen Seit einem halben Jahrhundert lassen sich Gesell- und Migranten die Einheimischen von heute sind, schaft und Politik von der Rhetorik über das Fremde wie sehr das Reden von «Wir» und den «Anderen» treiben. Es gibt keine ältere, einfachere und lei- keinen Sinn macht, wenn ein Grossteil der Bevöl- der auch erfolgreichere Politik, als «die Anderen» kerung einen Migrationshintergrund hat, wenn für alle Probleme verantwortlich zu machen. Das immer mehr Ehen binational geschlossen werden gilt nicht nur für Fremde und Ausländer, wie das und immer mehr Menschen zwei oder mehr Pässe heute meist der Fall ist. Über Jahrhunderte hinweg besitzen. Die Wirtschaft floriert trotz der dauern- wurden die Juden, die schon lange hier lebten, an- den Katastrophenankündigungen der Überfrem- gefeindet, oder auch Gruppen wie die Fahrenden, dungsrhetoriker, sogar viele Arbeitsplätze können die einen anderen Lebensstil pflegten. Und über nicht besetzt werden, und weder die immer wieder Jahrhunderte hat man sich aus konfessionellen beschworenen Ghettos noch das Explodieren der Gründen bekämpft, in blutigen Kriegen ebenso Kriminalitätsrate sind Wirklichkeit geworden. Mit wie in der Verunmöglichung der alltäglichen Nähe, einem Wort, das Zusammenleben all dieser Men- der Separierung und der Eheverbote. Während des schen im Alltag funktioniert ziemlich gut. Ersten Weltkriegs zerbrach die Schweiz fast, weil sich Deutsch- und Französischsprachige gegenseitig Es gilt, den Blick auf das Erreichte zu richten – da Verrat vorwarfen und für die verfeindeten Kriegs- rauf, dass keines der in den Abstimmungen ver- mächte Partei ergriffen. Dieses alte Muster hat auch breiteten Schreckensszenarien Wahrheit geworden in der historisch einzigartigen Ära des Aufschwungs ist und dass das Land überaus erfolgreich ist. Auch und Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg seine darauf, dass Migration weder gut noch schlecht, Wirkung entfaltet, diesmal primär gegen die Mig- sondern einfach Realität ist, darauf, dass die billige rierenden gerichtet. Lösung der Fremdenfeindlichkeit keine ist, sondern primär von all den wichtigen Fragen ablenkt, mit de- Die Schweiz, die moderne Schweiz des Bundesstaa- nen sich diese Gesellschaft auseinandersetzen muss. tes, hat es allerdings immer wieder geschafft, dieser destruktiven Haltung des Ausschlusses konstrukti- Das heisst nicht, dass man nicht auch über alle vere Lösungen der Integration entgegenzusetzen. Probleme diskutieren soll, die mit Migration ver- Sie hat nach der Gründung des Bundesstaates die bunden sind. Migration verursacht wie jeder ge- katholisch-konservativen Verlierer des Sonderbund- sellschaftliche Wandel viele Verwerfungen und He- kriegs nicht einfach drangsaliert und beherrscht, rausforderungen, die es zu lösen gilt. Aber nicht vor sondern in einem langwierigen Prozess nach und dem Hintergrund von «Wir» versus «die Anderen», nach in das neue Staatswesen integriert. Die Um- sondern vor dem Hintergrund einer Welt und einer wälzungen der Industrialisierung schufen eine neue Gesellschaft, in der alle, wir alle, gefordert sind, gesellschaftliche Gruppe, die Arbeiterschaft. Zu- zukunftsorientierte Lösungen zu finden. nächst als vaterlandslose Gesellen diffamiert, wur- den auch diese nach vielen Auseinandersetzungen Walter Leimgruber, und dem Generalstreik in Politik und Gesellschaft Präsident der Eidgenössischen eingebunden. Noch länger hat es gedauert, bis die M igrationskommission EKM
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. «Überfremdung» – eine helvetische Worts chöpfung 6 Forcierte Einbürgerung zur Senkung der Zahl der Ausländer 6 Furcht vor «Unerwünschten» und «geistige Landesverteidigung» 6 Überfremdungsdiskurse in den 1950er- und 1960er-Jahren 7 3. Die Schwarzenbach-Initiative 8 Ausländische Arbeitskräfte zur Deckung des Arbeitskräftemangels 8 Reaktionen auf die Einwanderung 8 Ausgrenzungsmechanismen 9 Von der «Fremdarbeiterfrage» zur «Fremdenfrage» 9 Schüren diffuser Ängste 10 4. Überfremdungsinitiativen in den 1970er- und 1980er-Jahren 12 Ökologische und sozialpolitische A rgumente 12 Der Boden als «Heimat» 14 5. Bedrohungsszenarien gegen gesellschaftlichen Wandel 15 Weltpolitische Neupositionierung? 15 Neue Projektionsfläche für Ängste: A sylsuchende 16 Politische Erfolge 17 Wachstumskritische Argumente 18 6. Gegenentwürfe für eine offene Schweiz 19 Breite Opposition gegen Überfremdungsbefürworter 19 Die «Mitenand-Initiative» und der E ntwurf zu einem neuen A usländergesetz 19 Der Versuch, Einbürgerungen zu liberalisieren 20 Gegen eine Politik der Abschottung 21 Die Schweiz in Europa 22 7. Fazit: Diskurse zwischen Abwehr und Offenheit 23 Bibliographie 25 Illustrationen 26
Einleitung | 5 1. Einleitung Das Sprechen über Fremde, über Ausländerinnen damalige «Eidgenössische Konsultativkommission und Ausländer, hat in der Schweiz eine besonde- für das Ausländerproblem» – mit dem Ziel, das re Ausprägung erfahren. Es entstand das Konzept Zusammenleben zwischen der einheimischen und der «Überfremdung», das das gesamte 20. Jahr- der zugewanderten Bevölkerung zu verbessern. hundert prägte. Dieses Konzept gehört zu den Im politischen Verfahren wurden zudem Initiati- zentralen Semantiken des politischen Diskurses ven lanciert, die wie die «Mitenand-Initiative» die der Schweiz und fand bereits 1914 Einzug in die rechtliche Besserstellung der Ausländerinnen und Amtssprache des helvetischen Bundesstaates. Mit Ausländer anvisierten, oder Vorlagen zur Abstim- der Wortschöpfung «Überfremdung» wurde an ein mung gebracht, mit dem Ziel, die Einbürgerung zu kollektives und individuelles Angstgefühl appel- vereinfachen und damit die «Anderen» vollwertig liert, eine «unkontrollierte» Einwanderung könne einzubeziehen. Auch bei den Abstimmungen zur die Identität der heimischen Bevölkerung beein- Personenfreizügigkeit mit der EU wurde das Bild trächtigen. In erster Linie vermittelt dieser Begriff einer offenen Schweiz verteidigt und der Über- eine Abwehrhaltung von «Patrioten» gegen Frem- fremdungsrhetorik der Kampf angesagt. Nicht de, um das «Eigene» zu bewahren und zu ver- zuletzt setzten sich die Behörden und viele zivil- teidigen. Im Laufe der Zeit erhielt diese Abwehr- gesellschaftliche Organisationen dafür ein, über strategie verschiedene Konnotationen und richtete Massnahmen im Bereich der Integrationsförderung sich in ihren Anfängen gegen die Ostjuden, später das Zusammenleben zwischen Einheimischen und gegen Sozialisten und Ausländer oder Flüchtlinge Zugewanderten zu verbessern. generell. Im Folgenden soll eine begriffliche und historische In den 1970er-Jahren erhielt die Denkfigur «Über- Einordnung das Konzept der «Überfremdung» kri- fremdung» durch das Engagement des Parlamen- tisch reflektieren. Die Analyse zur Schwarzenbach- tariers James Schwarzenbach besonderes Gewicht. Initiative wird die grundlegenden politischen Dis- Die erste Überfremdungsinitiative, die zur Abstim- kurse freilegen, die den späteren Überfremdungs-, mung kam und die als «Schwarzenbach-Initiative» Ausländer- und Asylinitiativen Pate standen. Zur in die Geschichte der Schweiz einging, war zu- Sprache kommen werden jedoch auch die Gegen- gleich die Initialzündung für eine Reihe weiterer diskurse zugunsten einer liberalen und offenen Initiativen, die die Zuwanderung in die Schweiz be- Schweiz und die Massnahmen, die damit einher- grenzen wollten. Der Kampf gegen «unerwünsch- gingen. Im Fazit werden die dem Überfremdungs- te Fremde» wurde mit harten Bandagen geführt. diskurs zugrunde liegenden Diskurselemente auf Neben einer hohen Emotionalisierung der öffent- ihre politisch-kulturellen Wirkungen befragt und lichen Diskussion wurde das «Überfremdungspro- den tatsächlichen Realitäten einer von Migration blem» zur Schicksalsfrage der Nation hochstilisiert geprägten Gesellschaft gegenübergestellt. und im Laufe der Jahre in veränderter Form immer wieder aufgenommen. Ausländer und Flüchtlin- ge wurden damit nicht nur als Bedrohung für die unter Druck geratenen Arbeitsverhältnisse be- trachtet, sondern vor allem auch als Gefährder der schweizerischen Kultur und Identität diffamiert. Dabei orientierten sich die Verfechter dieser Sicht- weise an der imaginären Vorstellung einer homo- genen nationalen Gemeinschaft mit gleichen Wer- ten, gleicher Kultur und fest definierter Identität. Auf der anderen Seite gab es aus unterschiedlichs- ten Kreisen stets auch Versuche, den Überfrem- dungsdiskurs zu bekämpfen und eine offenere und liberalere Ausländer- und Asylpolitik zu gestalten. Aus der Erfahrung der Schwarzenbach-Initiative entstand auf Bundesebene die heutige EKM – die
6 | «Überfremdung» – eine helvetische Worts chöpfung 2. «Überfremdung» – eine helvetische Wortschöpfung Der Begriff der Überfremdung fand im Jahr 1900 in freien Personenverkehrs, von dem Wirtschaft und einer Veröffentlichung des Zürcher Armensekretärs Gesellschaft während Jahrzehnten profitiert hat- Carl Alfred Schmid mit dem Titel «Unsere Frem- ten, abzurücken. Erst 1917, als der Bundesrat die denfrage» das erste Mal Erwähnung. Mit dieser «Verordnung betreffend die Grenzpolizei und die Schrift warnte Schmid vor einer «Überfremdung» Kontrolle der Ausländer» erliess und die Eidge- der Schweiz. Obwohl vor dem Ersten Weltkrieg der nössische Fremdenpolizei schuf, wurde von den Ausländeranteil in der Schweiz hoch war und in liberalen Positionen zur Einwanderung Abstand grösseren Städten sogar mehr als 30 Prozent be- genommen. Neben der Furcht vor Flüchtlingsbe- trug, fand das Konzept in der Öffentlichkeit und wegungen aus dem zerfallenden Zarenreich stand im politischen Diskurs zunächst kaum Beachtung. auch das Anliegen nach verschärfter Kontrolle der ausländischen Bevölkerung im Land hinter diesem Paradigmenwechsel. Forcierte Einbürgerung zur Senkung der Zahl der Ausländer Erst mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde der Furcht vor «Unerwünschten» und Begriff in die offizielle Amtssprache aufgenom- «geistige Landesverteidigung» men. Im Jahre 1914 betonte der damalige Bun- Im November 1918 – also mit dem Ende des Ersten despräsident Ludwig Forrer, dass «die Tatsache Weltkrieges – gingen weltpolitische Umwälzungen der Überfremdung der Schweiz» feststehe. Die vor sich, die für die damaligen Generationen un- Lösung, dagegen vorzugehen, wurde in einer ver- denkbar erschienen. Ein bis anhin unhinterfragtes stärkten Einbürgerung gesehen. Dabei wurde auch Ordnungssystem, welches Europa und die Welt über die Ablösung des jus sanguinis durch das jus soli Generationen geprägt hatte, brach zusammen. Die in Betracht gezogen. Damit hätten Menschen, die alten Monarchien Europas – Deutschland, Öster- in der Schweiz geboren werden, automatisch das reich-Ungarn und Russland – verschwanden von Bürgerrecht erhalten: Der hohe Anteil von Aus- der politischen Oberfläche. Neue Grenzen wurden länderinnen und Ausländern hätte rasch gesenkt gezogen, und neue Nationen entstanden. Die Zeit und die Eingliederung ausländischer Staatsange- nach dem Ersten Weltkrieg war jedoch nicht nur höriger erleichtert werden können. Das «Bundes- von politischen Umwälzungen geprägt, sondern gesetz vom 25. Juni 1903 betreffend Erwerb des auch von Instabilitäten in den jeweiligen alten und Schweizer Bürgerrechts» hätte den Kantonen die neuen Staaten. Hundertausende von Menschen er- Möglichkeit gegeben, ein partielles jus soli ein- griffen angesichts der Auseinandersetzungen und zuführen. Allerdings machte kein Kanton davon der damit einhergehenden Not die Flucht. Gebrauch. Vor diesem Hintergrund hatte die Fremdenpolizei Bemerkenswert an diesen Vorschlägen ist die Vor- vor einer bevorstehenden «Massenauswanderung» stellung, dass der hohe Ausländeranteil nicht in polnischer Juden gewarnt und die Polizeidirekto- erster Linie als ein ethnisch-kulturelles, sondern ren der Kantone aufgefordert, die Zuwanderung vor allem als ein politisches Problem betrachtet dieser «äusserst unerwünschten Elemente» ein- wurde. Der Ausschluss der Ausländer von den zuschränken. Damit mutierte die bis anhin noch politischen Rechten in der Schweiz wurde als Ge- liberale Einwanderungspraxis hin zu einem – mit- fährdung der Demokratie gesehen. unter stark antisemitisch geprägten – restriktiven Einwanderungsregime. Während des Ersten Weltkriegs wurde die in- nereuropäische Migration aufgrund der kriege- In den 1930er-Jahren wurde unter Federführung rischen Handlungen verunmöglicht. Gleichwohl von Bundesrat Philipp Etter versucht, ein geistiges verschlechterte sich die Wohlstands- und Arbeits- Bollwerk gegen die totalitären Ideologien aus dem platzsituation für breite Bevölkerungsschichten Ausland zu schaffen. Die Bemühungen kulminier- drastisch, und Armutsphänomene prägten auch ten in der Ausrufung der «geistigen Landesvertei- in der Schweiz den Alltag. Angesichts dieser Si- digung», womit eine bewusste Pflege des schwei- tuation bestand für den neutralen Kleinstaat kein zerischen Kultur- und Sprachgutes sowie eine Anlass, vom bisherigen liberalen Verständnis des Rückbesinnung auf alteidgenössische Traditionen
«Überfremdung» – eine helvetische Worts chöpfung | 7 propagiert wurden. Mit diesem Konzept wurde de Tatsache», forderten vom Bundesrat von Jahr eine mythisch-nationale Identität geschaffen, die zu Jahr stärkere Massnahmen zur Regulierung der «nicht aus der Rasse, nicht aus dem Fleisch», son- Anzahl ausländischer Arbeitskräfte und mussten dern «aus dem Geist geboren» 1 worden sei. Zu- dann schliesslich, als es 1970 mit der Schwarzen- dem verfügte das Land mit dem 1931 verabschie- bach-Initiative um einen drastischen Abbau ging, deten «Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung ihrer Basis erklären, dass dies der falsche Weg der Ausländer» auch über ein parlamentarisch le- sei. Schliesslich opponierten die Gewerkschaften gitimiertes Mittel zur Abwehr gegen das Fremde. gegen die Schwarzenbach-Initiative, weil sie bei einer Annahme Konjunktureinbussen sowie eine Im Jahre des Machtaufstiegs der Nationalsozialis- zunehmende Fremdenfeindlichkeit in den eigenen ten in Deutschland legten die Schweizer Behörden Reihen befürchteten. die bis 1944 angewandte Unterscheidung zwi- schen politischen und anderen Flüchtlingen fest. Als politischer Flüchtling galt nur, wer persönlich verfolgt war. Dieser Kategorie wurden vorwiegend hohe Staatsbeamte und Führer von Linksparteien zugeteilt. Infolge dieser engen Auslegung gewähr- te die Schweiz von 1933 bis 1945 insgesamt nur 644 Personen politisches Asyl. Alle anderen Flücht- linge – darunter auch die bedrohten Juden – gal- ten explizit nicht als politisch Verfolgte, sondern bloss als Ausländer. Ihre Behandlung regelte das Bundesgesetz über den Aufenthalt und die Nieder- lassung von Ausländern, das 1934 in Kraft trat. Überfremdungsdiskurse in den 1950er- und 1960er-Jahren Während der 1950er-Jahre drückte sich die Über- fremdungssemantik primär in einer konjunktur- politisch und ökonomisch begründeten Sprech- weise aus. In dieser Zeit mehrten sich innerhalb der gewerkschaftlichen Linken Stimmen, die vor einer «Überfremdungswelle» warnten. Die Ge- werkschaften trauten der wirtschaftlichen Er- holung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht und befürchteten bei einem allfälligen Konjunkturein- bruch massive Arbeitslosigkeit. Weiter sahen die schweizerischen Arbeiter in den ausländischen Arbeitnehmern Konkurrenten. «Um die politische, kulturelle und sprachliche Eigenart der Schweiz zu erhalten und eine Überfremdung zu verhin- dern», forderten die Gewerkschaften, dass «der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte einer Kontrolle zu unterstellen und der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes anzupassen» sei. 2 In den folgenden Jahren verfolgten die Gewerk- schaften eine Strategie, die nur scheitern konnte. Sie sprachen von «Überfremdung als feststehen- 1 Botschaft des Bundesrates 9. Dezember 1938. 2 Gewerkschaftskorrespondenz, 3/1961. Zitiert in: Gfrörer 2001, S. 39.
8 | Die Schwarzenbach-Initiative 3. Die Schwarzenbach-Initiative Die konkreten Versuche zur Beschränkung der die niedrige Löhne bezahlten und deshalb Mühe ausländischen Bevölkerung und Bekämpfung der hatten, dafür Einheimische zu finden. «Überfremdung» mittels Volksinitiativen stammen aus der Zeit des Wirtschaftsbooms nach dem Zwei- Zwischen 1950 und 1960 stieg das Bruttoinland- ten Weltkrieg. In dieser Zeit erlebte die Schweiz produkt jährlich um durchschnittlich 4,3 Prozent. die grösste Zuwanderung ihrer Geschichte. Im Das reale Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte sich Zuge des schnellen Wachstums der Wirtschaft, zwischen 1950 und 1970, und zwischen 1950 und insbesondere des Industriesektors, wanderten 1960 wurden 240 000 industrielle und gewerbli- Hunderttausende ausländische Arbeiterinnen und che Arbeitsplätze geschaffen. Der ausgetrocknete Arbeiter ins Land ein. schweizerische Arbeitsmarkt schrie somit regel- recht nach Arbeitskräften aus dem Ausland, so dass sich zwischen 1958 und 1964 die Zahl der Ausländische Arbeitskräfte zur Deckung kontrollpflichtigen ausländischen Arbeitskräfte des Arbeitskräftemangels von 363 000 auf 721 000 beinahe verdoppelte. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs befürchte- ten die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik, ausgehend von den Erfahrungen nach dem Ers- Reaktionen auf die Einwanderung ten Weltkrieg, dass eine grosse Arbeitslosigkeit Die Einwanderung vorwiegend italienischer Arbeit- eintreten würde. Diese Befürchtung erfüllte sich nehmer und Arbeitnehmerinnen wurde nicht nur nicht. Vielmehr profitierte der unversehrt geblie- von den Behörden, sondern auch von den Ge- bene Produktionsapparat in der Schweiz vom Auf- werkschaften als Gefahr für Kultur und Wohlstand bau der zerstörten Infrastrukturen und Fabriken in des Landes gesehen. Elmar Mäder, Direktor der Europa. Der wunde Punkt für die schweizerische Fremdenpolizei, beklagte, «dass zahlreiche dieser Wirtschaftspolitik war, entgegen jeglicher Progno- Arbeitskräfte qualitativ immer mehr zu wünschen sen, der Mangel an Arbeitskräften. Bereits Mitte übrig lassen und in geringerem Masse fähig sind, 1946 schätzte der Delegierte für Arbeitsbeschaf- sich an unsere Verhältnisse anzupassen». Die- fung, dass in der Schweiz 100 000 Arbeitsplätze se Entwicklung drohe sich noch zu verschärfen, nicht besetzt werden konnten. Diese sollten mit weshalb «neue fremdenpolizeiliche Massnahmen» ausländischen Arbeitskräften gedeckt werden. Der notwendig seien. 4 Bundesrat hatte hierfür schon im Oktober 1945 die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Er meinte, Die Gewerkschaften ihrerseits sahen in der gros- dass es im Interesse eines «ungestörten Produkti- sen Anzahl ausländischer Arbeitnehmender eine onsablaufs» läge, wenn «in beschränktem Umfang Gefahr für den Werkplatz Schweiz, so dass im Arbeitsbewilligungen an ausländische Arbeiter» Jahre 1953 auf einer Konferenz über «vorsorg- erteilt würden. 3 Zum selben Zeitpunkt kontaktierte liche Massnahmen gegen die Überfremdung des der Bundesrat die Nachbarländer, um festzustel- Arbeitsmarktes» diskutiert wurde. Insbesondere len, unter welchen Bedingungen Arbeitskräfte aus die Befürchtung der gewerkschaftlichen Linken, diesen Ländern beigezogen werden könnten. Die die in den «Fremdarbeitern» potenzielle «Lohn- Verhandlungen waren aber nur mit Italien erfolg- drücker» sah, führte dazu, dass auch aus diesen reich, da die Besatzungsmächte die Ausreise von Kreisen mehrfach vor einer «Überfremdungsge- Arbeitskräften aus Deutschland und Österreich fahr» gewarnt wurde. nicht erlaubten. Das «Unbehagen in der Arbeiterschaft» brachte 1947 erteilten die Bundesbehörden für 150 000 neue politische Kräfte hervor, die die politischen italienische Arbeiter und Arbeiterinnen erstmali- Diskussionen über das Fremde der nachfolgenden ge Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen. Diese Jahrzehnte prägen sollten. So wurde 1961 vom Arbeitskräfte wurden in der Landwirtschaft und Winterthurer Sulzer-Monteur Fritz Meier die «Na- in der Textilindustrie eingesetzt, in Branchen also, tionale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat» gegründet. Aber erst nachdem der 3 Zitiert in: Riedo 1964, S. 111. 4 Zitiert in: Buomberger 2004, S. 18.
Die Schwarzenbach-Initiative | 9 Patriziersprössling James Schwarzenbach die Füh- dem als «Gastarbeiter» tituliert, weil davon aus- rung der Partei übernommen hatte und die zweite gegangen wurde, dass diese, eben wie Gäste, frü- Überfremdungsinitiative (die erste der Zürcher De- her oder später in ihr Herkunftsland zurückkehren mokraten wurde 1968 zurückgezogen) lancierte, würden. Viele blieben jedoch in der Schweiz. Die gewann die Thematik an diskursiver Breite und Vi- Versuche der Landesregierung, die Einwanderung rulenz in der Öffentlichkeit. Die Emotionalisierung ausländischer Arbeitskräfte mit Kontingenten zu des Themas und die Verknüpfung populistisch be- bremsen, 1963 für Unternehmen und 1970 auf gründeter Gegensätze des «oben gegen unten», nationaler Ebene, hatten wenig Erfolg. Der An- respektive «Elite gegen einfaches Volk» sowie «wir teil der ausländischen Bevölkerung stieg zwischen gegen sie», respektive «echte Schweizer gegen 1950 und 1973 von 6 auf 17 Prozent. Ausländer und Nestbeschmutzer» bescherten die- ser Initiative einen beachtlichen Erfolg. Viele Schweizerinnen und Schweizer fühlten sich angesichts der Anwesenheit der Menschen, die nur ihrer Arbeitskraft wegen geholt worden wa- Ausgrenzungsmechanismen ren, in ihrem kulturellen Selbstverständnis und an Die Menschen aus dem Süden, die damals die ihrem Arbeitsplatz bedroht. Manche befürchteten, schweizerischen Fabrikhallen füllten, waren ge- nicht mehr «Herr im eigenen Haus» zu sein und mäss dem damaligen gesellschaftlichen Klima für durch die Konkurrenz «der Ausländer» an Wohl- viele Einheimische unzivilisierte und von zwie- stand zu verlieren. lichtigen politischen Ideen vernebelte «Tsching- gen». Von James Schwarzenbach wurden sie in rassistischer Manier als «artfremdes Gewächs» Von der «Fremdarbeiterfrage» betitelt. 5 Von der schweizerischen Fremdarbeiter- zur «Fremdenfrage» politik mit ihrem diskriminierenden Instrument des In den 1960er-Jahren erwies sich das Verständnis Saisonniers tatuts wurden sie als ersetzbare Masse von «Überfremdung» aus einer kulturprotektionis- gesehen. tischen Perspektive als die dominante politische Grundeinstellung, welche von wesentlichen Teilen Frauen, aber vor allem Kinder, die keine Arbeits- der schweizerischen Öffentlichkeit geteilt wurde. kraft zu verkaufen hatten, waren nicht erwünscht, Zwei massenmedial inszenierte Ereignisse führ- und Niedergelassene durften ihre Kinder nur dann ten 1964 zu einer tief greifenden Radikalisierung nachziehen, wenn sie eine angemessene Wohnung im Denken über die Fremden und räumten noch vorweisen konnten. Wann eine Wohnung aber an- allfällig vorhandene konjunkturpolitische Über- gemessen war, entschieden aufgrund ihres «Er- legungen aus dem Weg. Das «Abkommen über messens» die Behörden der Wohngemeinde. In die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach dieser Zeit lebten in der Schweiz Tausende von der Schweiz» sowie die Veröffentlichung des «Be- klandestinen Kindern, die ein verstecktes Dasein richts der bundesrätlichen Studienkommission fristen mussten, damit sie von den Behörden nicht für das Problem der ausländischen Arbeitskräfte» ausgeschafft wurden. Laut Schätzungen lebten im verlagerten die Thematik in ein kulturprotektio- Jahr 1970 zwischen 10 000 und 15 000 versteckte nistisches Setting, in welchem das Konstrukt der Kinder in der Schweiz. nationalen Eigenart wegweisend war. Die institutionellen Ausgrenzungsmechanismen Wenige Veröffentlichungen der Behörden entfal- wurden im Alltag von weiteren Diskriminierungs- teten eine so nachhaltige Wirkung wie besagter formen begleitet. Die Aufschrift «Für Hunde und Bericht. Die Studienkommission befand, dass sich Italiener verboten», die am Eingang vieler Lokale die Schweiz «im Stadium einer ausgesprochenen und Restaurants bis Mitte der 1970er-Jahre ange- Überfremdungsgefahr» befinde. 6 Die «übermässi- bracht war, war nur eine dieser Ausdrucksformen ge Zunahme fremder Einflüsse» bedrohe die natio- der Ausgrenzung. Kurz: Immigrantinnen und Im- nale Eigenart, welche die «wichtigste Grundlage migranten wurden ausschliesslich auf der Arbeits- unserer staatlichen Eigenständigkeit» sei. Diese stelle geduldet, im Alltag sollten sie unsichtbar sei nämlich «tief im Gefühlsmässigen verankert bleiben. Eingewanderte Arbeitskräfte wurden zu- und umfasst einige typische Merkmale, die weit 5 James Schwarzenbach. «Im Dienste der Sauberkeit». In: Der 6 Alle nachfolgenden Zitate aus dem Bericht des BIGA, Bern Republikaner. Nr. 12. 3.9.1971. 1964.
10 | Die Schwarzenbach-Initiative in die Vergangenheit zurückreichen». Daraus zog «Schweizertums» kontaminiere. In der Anwesen- die Kommission den Schluss: «Der Kampf gegen heit vieler italienischer Arbeiterinnen und Arbeiter die Überfremdung ist daher für die Schweiz auch sah er das unmittelbare Risiko einer militanten Ar- heute eine Aufgabe von nationaler Bedeutung.» beiterschaft, die auch vor Kampfmitteln wie dem Damit mutierte ab 1964 die Ausländerfrage von Streik nicht zurückschrecken würde. Italienische der «Fremdarbeiterfrage» zur «Fremdenfrage» mit Arbeiterinnen und Arbeiter seien umstürzlerische Betonung auf Bewahrung und Schutz der schwei- Kommunisten, die die schweizerischen Gewerk- zerischen Kultur und Lebensformen. schaften unterwandern und diese auf einen mili- tanten sozialistischen Kurs bringen würden. Damit Die Überfremdungsängste wurden durch die fixe wäre auch der «Arbeitsfrieden» gefährdet. Idee gespeist, dass ohne dauernde Abwehr das «Eigene» durch das «Andere» verdrängt und die nationale Eigenart gefährdet würden. Doch worin Schüren diffuser Ängste bestand die zu schützende nationale Eigenart? Die Schwarzenbachs Diskurs über die Ausländerinnen Antwort dazu, so meinte schon die Studienkom- und Ausländer basierte auf einem xenophoben mission im Jahre 1964, sei «schwer mit Worten zu Fundament, das über mehrere Jahrzehnte hinweg umschreiben». Das eidgenössische Bewusstsein sei geprägt worden war. Nicht zuletzt leistete der Ver- «langsam im Verlaufe von Jahrhunderten gewach- sand des fremdenfeindlich gehaltenen Zivilvertei- sen, und es braucht in der Regel Generationen, um digungsbuchs 8 1969 in alle Haushalte der Schweiz es zu erwerben». Diese Eigenart helfe das indivi- der Konstruktion des «Anderen» Vorschub und duelle sowie das soziale Leben richtig zu entziffern zementierte das Bild des «gefährlichen Fremden». und garantiere die Existenz des Kleinstaates im Herzen Europas. Für James Schwarzenbach, der vor seiner Kandida- Schwarzenbach ging bei seiner Definition der tur für die Nationale Aktion gegen die Überfrem- schweizerischen Eigenart weiter und schrieb die- dung von Volk und Heimat ein glühender Verehrer ser die «Bürgertugenden des Verzichtens und des Masshaltens, die unserem geordneten Staats- wesen zugrunde liegen» 7 , zu. Diese erst würden die Eidgenossenschaft und das «Eidgenössische» ausmachen und seien daher mit Einwanderung «absolut unvereinbar». Schwarzenbach sprach dabei bewusst von der «Eidgenossenschaft». Dieses Modell gelte es voranzutreiben, und nicht das moderne Modell des Bundesstaates, das aus «Profitgier» eine Vermischung der schweizerischen Eigenart durch fremde und südländische Mentali- täten zulasse. In seinem Bedrohungsszenario nahm die Konzep- tion von «Überfremdung» vielfältige Formen an, da sie nicht nur geistige, sondern auch politische und wirtschaftliche Aspekte einbezog, die den ge- meinsamen Kern der «schweizerischen Eigenart» ausmachten und deren angebliche kulturelle Über- legenheit verteidigen sollten. Mit dem Zusammen- führen der Gedankengebilde «Überfremdung» und «geistige Landesverteidigung» warnte Schwar- zenbach vor einer «geistigen Überfremdung», da die fremde Mentalität der Ausländerinnen und Ausländer die geistig-seelische Grundlage des Abbildung 1: Volksinitiative «Überfremdung» (Schwarzenbach-I nitiative), 1970 7 James Schwarzenbach. Die Überfremdung der Schweiz – wie ich sie sehe. Zürich 1974. 8 Vgl. Engeler 1990.
Die Schwarzenbach-Initiative | 11 Benito Mussolinis und Francisco Francos sowie der faschistischen Staatsordnung war, stellten die ita- lienischen Migranten eine existenzielle Gefahr für die schweizerische Eigenart und für das Land dar. Damit manipulierte der Intellektuelle aus gutem Hause das Unbehagen des einfachen Mannes. In- dem er die Angst vor einer Überfremdung schürte, konnte er grosse Resonanz in der Öffentlichkeit und Sichtbarkeit auf dem politischen Parkett ge- winnen. Bei einer Rekordstimmbeteiligung von 74 Prozent erhielt die Initiative am 7. Juni 1970 die Zustim- mung von 46 Prozent der Stimmbevölkerung, von welcher die Frauen noch ausgeschlossen waren. Während sich in der Schweiz Vertreter der eta blierten Parteien, Wirtschaftsverbände und Ge- werkschaften die Augen rieben, löste das Resultat in ganz Europa ein enormes Echo aus. Das Abstimmungsresultat zeigte, dass die Über- fremdungsangst nicht nur weitverbreitet war, son- dern auch, dass ein Unbehagen gegenüber Frem- den, eine Skepsis gegenüber politisch Etablierten sowie eine Sehnsucht nach einer unverrückbaren Abbildung 3: Volksinitiative «Überfremdung» schweizerischen Identität im politisch-kulturellen (Schwarzenbach-I nitiative), 1970 Bewusstsein Eingang gefunden hatten. Die Behör- den waren über das Ergebnis der Abstimmung überrascht und beschlossen, eine «Konsultativ- kommission zur Behandlung des Überfremdungs- problems» einzusetzen, um der Besorgnis in der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen, aber auch, um die soziale Eingliederung der Ausländerinnen und Ausländer an die Hand zu nehmen. Die Kommis- sion trug zunächst den Namen «Eidgenössische Konsultativkommission für das Ausländerpro blem», änderte im Verlauf der nachfolgenden Jah- re mehrmals die Bezeichnung und berät heute als Eidgenössische Migrationskommission EKM Bun- desrat und Verwaltung in Migrationsfragen. Abbildung 2: Volksinitiative «Überfremdung» (Schwarzenbach-I nitiative), 1970
12 | Überfremdungsinitiativen in den 1970er- und 1980er-Jahren 4. Überfremdungsinitiativen in den 1970er- und 1980er-Jahren Der Geist der Überfremdung fand in abgewandel- zu befinden. In dieser Initiative verknüpften sich ter Form und in verschiedenen politischen Tonali- mehrere Problemlagen der damaligen Zeit. Die täten in den folgenden Jahren immer wieder Re- Nationale Aktion entwickelte nach dem Wegzug sonanz in der Bevölkerung und auf dem politischen von Schwarzenbach – der die Partei im Jahre 1971 Parkett. Im Anschluss an die Abstimmung von aufgrund interner Streitigkeiten verlassen und da- 1970 lancierten die «Nationale Aktion» sowie eine raufhin die Republikanische Bewegung gegründet weitere kleine Partei am äussersten rechten Rand hatte – mit dem neuen Vorsitzenden, dem ETH- des politischen Spektrums, die «Schweizerische Agraringenieur und Bundesbeamten Valentin Oe- Republikanische Bewegung», insgesamt vier wei- hen, eine nationalökologische Komponente. Aus tere Initiativen, die allesamt die Begrenzung der der Sicht von Oehen bedrohten das Bevölkerungs- ausländischen Bevölkerung mit der Bewahrung der wachstum und die damit von ihm heraufbeschwo- schweizerischen Unabhängigkeit, dem Schutz der renen ökologischen Katastrophen die schweizeri- Landschaft und vor allem mit der «Reinhaltung» sche Natur und Landschaft, weshalb der Kampf schweizerischer kultureller Eigenart in Verbindung gegen die Überfremdung auch ein Kampf für den brachten. Schutz der Natur sei. Mit dieser Rhetorik wurde ausserdem der Wohnungsmangel angesprochen. So behauptete die Nationale Aktion: «Die beste Ökologische und sozialpolitische Massnahme gegen die Wohnungsnot: Fremdarbei- A rgumente ter-Abbau». Am 20. Oktober 1974 wurden die Stimmberech- tigten an die Urne gerufen, um «Gegen die Über- Die Initiative fand jedoch wenig Zustimmung. Nur fremdung und Überbevölkerung der Schweiz» 34,2 Prozent der Stimmbevölkerung unterstützten das Vorhaben, die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer auf 500 000 zu beschränken und den maximalen Anteil der ausländischen Bevölkerung in den Kantonen auf 12 Prozent zu fixieren. Zudem wollte die Initiative, dass Schweizer Arbeitneh- mende wegen wirtschaftlicher Rationalisierungen nicht entlassen würden, wenn Ausländerinnen und Ausländer im gleichen Betrieb beschäftigt waren. Die geringe Zustimmung auf die Vorlage ist dar- auf zurückzuführen, dass die Öffentlichkeit von einer starken Gegnerschaft seitens der grossen Parteien mobilisiert wurde, bei welcher sich auch Persönlichkeiten wie Altbundesrat Nello Celio, der Schriftsteller Adolf Muschg oder der damalige In- landredaktor des «Blick», Arthur Honegger, die alle vom Ausgang der Schwarzenbach-Initiative schockiert waren, zu Wort meldeten. Zudem ver- stärkten die Gewerkschaften, die in den 1960er- Jahren Ängste gegenüber «Fremden» noch selber geschürt hatten, Integrations- und Organisations- bemühungen für Arbeitsmigrierende. Am 13. September 1977 lancierte die Republika- nische Partei die «IV. Überfremdungsinitiative». Diese verlangte die Begrenzung der ausländischen Abbildung 4: Volksinitiative «gegen die Überfremdung und Bevölkerung auf 12,5 Prozent. Im Falle eines Über- Überbevölkerung der Schweiz», 1974 steigens dieser Marke sollten Aufenthaltsbewilli-
Überfremdungsinitiativen in den 1970er- und 1980er-Jahren | 13 gungen nicht verlängert werden, um einen Rechts- anspruch auf Niederlassung zu verhindern. Faktisch hätte die Annahme dieser Initiative be- deutet, dass der Bestand der ausländischen Wohn- bevölkerung innert zehn Jahren insgesamt um rund 300 000 Menschen hätte vermindert werden sollen. In einer Nationalratsdebatte erklärte Schwarzen- bach jedoch, dass die Initiative «nach wie vor auf dem Standpunkt des BIGA (Bundesamt für Indus- trie, Gewerbe und Arbeit)-Berichts von 1963 [ste- he]: ‹Der Kampf gegen die Überfremdung ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung.›» Die Initiative vermeide sogar «menschliche Härte, indem sie die Frist für den geforderten Abbau auf zehn Jahre verlängert». Und an die Adresse der Regierung gerichtet: «Das Volk wird Ihnen nicht folgen.» 9 Dieser Zusatz ist interessant, zumal er damit in rhetorischer Weise einen Widerspruch zwischen der politischen Elite und dem «Volk» konstruier- te – ein typisches Merkmal einer rechtspopulisti- schen Strategie. Schwarzenbach suggerierte, dass er sich nicht an Parlament und Regierung richte, sondern an «das Volk». Als Reaktion darauf beton- te Bundesrat Furgler, dass sehr wohl von mensch- Abbildung 5: Volksinitiative «gegen die Überfremdung und licher Härte gesprochen werden dürfe, zumal es Überbevölkerung der Schweiz», 1974 einen Unterschied gebe «zwischen Menschen, die freiwillig gehen, und Menschen, die ausgewiesen enswürdigkeit als verlässliche internationale Wirt- werden». Eine Zustimmung zur Initiative würde schaftspartnerin gefestigt werden. die volkswirtschaftlichen Nachteile für die Schweiz vergrössern, was eine Isolation der Schweiz im in- Auch die Initiative von 1977 fand wenig Anklang. ternationalen Raum bedeute. Durch die Wegwei- Gerade einmal 29,5 Prozent der Stimmbevölke- sung von Zehntausenden von Ausländern könne rung bejahte die anvisierten Forderungen. Der eine unmenschliche und erniedrigende Behand- Grund für die geringe Zustimmung ist wiederum in lung der betroffenen Ausländer nicht vermieden der starken öffentlichen Mobilisierung seitens der werden, «was unserem Ansehen schweren Scha- Gegner zu sehen, vor allem aber in der im Jahre den zufügen müsste». 10 1974 einsetzenden wirtschaftlichen Rezession. In der Folge des Oktoberkrieges von 1973 zwischen Aus Sicht der Regierung wurden mit der Initiati- Israel und Ägypten drosselten die arabischen Erdöl ve die liberalen Grundwerte der Schweiz bedroht. exportierenden Länder ihre Fördermengen, sodass Nebst einer humanitären Tradition, die es mit der der Preis für Erdöl auf dem Weltmarkt in die Höhe Ablehnung dieser Initiative zu wahren galt, soll- schoss. Die industrielle Produktion musste in der te auch der gute Ruf der Schweiz – zumal dieser Folge massiv reduziert werden, was den Verlust im Nachgang der Abstimmung vom Juni 1970 arg vieler Arbeitsplätze bedeutete. In der Schweiz gelitten hatte – wiederhergestellt und die Vertrau- verloren damit Saisonniers und Jahresaufenthal- ter, die nur aufgrund ihrer Arbeitsstelle zum Auf- enthalt berechtigt waren, ihren Aufenthaltsstatus. Zwischen 1974 und 1976 verliessen rund 300 000 9 Rede vor dem Nationalrat von Nationalrat James Schwarzen- ausländische Arbeitskräfte die Schweiz, die Folgen bach (Schweizerische Republikanische Bewegung) am 20. Sep- tember 1976. In: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, der Rezession wurden «ausgelagert». Die Forde- 1976, Band III, Herbstsession Nationalrat, S. 892–893. rungen der Überfremdungsrhetoriker schienen 10 CVP-Bundesrat Kurt Furgler vor dem Nationalrat am 20. Sep- tember 1976. In: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, sich wie von selbst zu erfüllen. 1976, Band III, Herbstsession Nationalrat, S. 903–904.
14 | Überfremdungsinitiativen in den 1970er- und 1980er-Jahren Der Boden als «Heimat» nis gewissermassen auf tektonisch-geologischen In den 1980er-Jahren kehrte die Überfremdungs- Faktoren. Schon während des Zweiten Weltkriegs debatte mit zwei weiteren Volksinitiativen der Na- war die tektonische Beschaffenheit der Schweiz tionalen Aktion in die Öffentlichkeit zurück. Die im Réduit-Mythos zum Hort von Wehrhaftigkeit, Initiative «Gegen den Ausverkauf der Heimat» Identität und Heimat emporstilisiert worden und verknüpfte die Forderung nach Begrenzung der hatte es ermöglicht, die Schweiz als Naturmonu- Zahl der Ausländer erneut mit kulturprotektio- ment zu begreifen. Sinnbildlich dafür standen die nistischen und ökologischen Argumenten. Sie er- Bauern, die den Boden beackern, und die den zielte am 20. Mai 1984 ein beachtliches Resultat freien, arbeitsamen und demokratischen Bürger von 48,9 Prozent Ja-Stimmen. Die am 4. Dezem- mit ungebrochenem Willen zur wehrhaften Ver- ber 1988 zur Abstimmung gelangte Initiative «Für teidigung von Freiheit, Unabhängigkeit und Neu- die Begrenzung der Einwanderung» erhielt eine tralität verkörpern. Zustimmung von 32,7 Prozent. In den 1960er- und 1970er-Jahren hatte der Zustrom von aus- ländischem Vermögen auf dem schweizerischen Finanzplatz und Immobilienmarkt zugenommen. Die spekulative Nachfrage nach Boden bewirkte eine Verteuerung der Mieten, was in der Schweiz wegen der grossen Zahl von Mietverhältnissen ein akutes Problem darstellte. Zwischen 1961 und 1980 wurden 57 678 Bewilligungen zum Verkauf von 5809 Hektaren Boden an Ausländerinnen und Ausländer zum Preis von 13 Milliarden Fran- ken erteilt, was im Bundesparlament zu sechzig Vorstössen betreffend die «Bodenfrage» führte. 11 Aus der Perspektive von Valentin Oehen drohte der «Ausverkauf der Heimat». Mit der Initiative sollte ein vollständiger Bewilligungsstopp für Grund- stücks- und Ferienwohnungsverkäufe an nicht in der Schweiz niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesverfassung verankert wer- den. Trotz eines Gegenvorschlags – der sogenann- ten Lex Friedrich –, welcher das Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland verschärfte, erreichten die Initianten ei- nen überraschenden Erfolg. Aus einer ideologiekritischen Perspektive gewinnt das Konzept des «Bodens» im politischen Diskurs der Nationalen Aktion eine mythische Bedeutung. Der Schutz des einheimischen Bodens gegen «Überfremdung» sollte gleichsam den Schutz der schweizerischen Kultur gegen ausländische Ein- flüsse garantieren. In der Verknüpfung der Sorge um den Erhalt der Natur mit dem Bestreben um die «Reinhaltung» der schweizerischen Identität verbirgt sich ein mythischer Rückgriff auf den Bo- den als identitätsstiftendes Merkmal des Schwei- zerseins. Der «Schweizerboden» gewinnt in die- ser Auslegung völkische Gestaltungskraft. 12 Das Schweizertum beruht gemäss diesem Verständ- 11 Neidhart 2019. 12 Vgl. Tanner 1995, S. 20.
Bedrohungsszenarien gegen gesellschaftlichen Wandel | 15 5. Bedrohungsszenarien gegen gesellschaftlichen Wandel Mit Beginn der 1990er-Jahre schwanden viele den europäischen Nachbarn und die neue welt- weltpolitische Gewissheiten, die bis anhin ge- politische Konstellation ab 1990 liessen bei den golten hatten. Innerhalb von wenigen Monaten politischen Verantwortlichen die Überzeugung geschah das, was viele nie für möglich gehalten heranreifen, dass eine stärkere Integration der hätten: Die realsozialistischen Länder im Osten Schweiz in die Europäische Gemeinschaft (EG) und die Sowjetmacht kollabierten, die deutsch- die wirtschaftliche Krisensituation lösen und das deutsche Vereinigung kam zustande. Gleichzeitig Land im internationalen Standortwettbewerb bes- gingen friedliche Revolutionen in blutige Ausein- ser positionieren könne. Das Land sollte dadurch andersetzungen über, und Kämpfe um nationale grössere wirtschaftliche Impulse erhalten und im Identität, Territorien und natürliche Produktions- Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung auch die mittel entbrannten. Damit wurden weltweit neue eigenen verkrusteten Wirtschaftsstrukturen wie Flüchtlings- und Migrationsbewegungen in Gang etwa das Kartellrecht, das verwinkelte Subven- gesetzt, die in Richtung der «Sieger der Geschich- tionssystem oder das komplexe diskriminierende te» zogen. Die westlichen Hochlohnländer sahen Einwanderungsregime aufbrechen, um damit auf sich ausserdem mit einer zunehmenden Immigra- dem Weltmarkt konkurrenzfähiger werden zu kön- tion aus aussereuropäischen Ländern konfrontiert, nen. Am 20. Mai 1992 überreichte der Leiter der die an der Schwelle zu Modernisierung und Indus- Schweizer Mission in Brüssel, Benedikt von Tschar- trialisierung standen. ner, der EG ein offizielles Schreiben, in dem die Schweiz um die Eröffnung von Beitrittsverhand- Auch die weltwirtschaftspolitischen Grundlagen lungen nachsuchte. veränderten sich. Das Ende der Sowjetunion wur- de als Triumph des liberalen Kapitalismus gefeiert Tatsächlich bewegte sich die EG in Richtung einer und brachte eine Expansion in neue Märkte, eine stärkeren europäischen Integration und Festigung zunehmende Liberalisierung von Arbeitsmärkten, eines liberalen interdependenten Wirtschaftsrau- grenzüberschreitende Handelsbeziehungen sowie mes. Die Bemühungen auf europäischer Ebene die Umstrukturierung der Volkswirtschaften im Os- kulminierten 1993 im Maastrichter-Vertrag, womit ten mit sich. Aus Sicht der schweizerischen Politik die EG in die Europäische Union überführt wurde – akzentuierten diese unerwartet raschen weltpoli- mit überstaatlichen politischen Institutionen, einer tischen und weltwirtschaftlichen Veränderungen eigenen Rechtsprechung und unveränderbaren zwei grundlegende Probleme. Die Schweiz befand wirtschaftlichen Garantien wie freier Personen-, sich zu Beginn der 1990er-Jahre in einer wirtschaft- Waren- und Güterverkehr innerhalb des europäi- lich schwierigen Situation. Nach der Aufschwungs- schen Wirtschaftsraums. phase in den 1980er-Jahren, die insbesondere dem Bauboom zu verdanken war und die mit einer Der von Bundesrat und Bundesversammlung Überteuerung auf dem Hypothekenmarkt einher- vorgeschlagene Beitritt der Schweiz zum Euro- ging, geriet die Wirtschaft in eine Schieflage. Das päischen Wirtschaftsraum musste durch das ob- Wirtschaftswachstum blieb bereits 1990 aus, und ligatorische Referendum bestätigt werden. Am der Bauboom schlug in eine Immobilienkrise um. 6. Dezember 1992 wurde die sogenannte «EWR- Die Arbeitslosigkeit stieg in den folgenden Jahren. Abstimmung» bei einer hohen Stimmbeteiligung Von 0,5 Prozent im Jahre 1990 auf 4,5 Prozent im von 79 Prozent mit 50,3 Prozent Nein-Stimmen Jahre 1993 und über 5 Prozent im Jahr 1997. In abgelehnt. Die Befürworter, zu denen neben den der Folge nahmen die Ängste vor Besitzstandsein- Bundesratsparteien FDP, CVP und SPS auch die bussen und vor steigenden Arbeitslosenzahlen zu. wichtigsten Wirtschaftsverbände und die meisten Kantonsregierungen des Landes gehörten, erleb- ten einen Schock. Der SVP und der Aktion für eine Weltpolitische Neupositionierung? unabhängige Schweiz (AUNS) war es gelungen, Die Umwälzungen führten in der Schweiz zur Fra- mit einer Kampagne, die an den Nationalstolz und ge nach einer weltpolitischen Neupositionierung. den Mythos des starken, unabhängigen Alpenlan- Die starken wirtschaftlichen Verflechtungen mit des appellierte, welches einen Sonderfall inmitten
16 | Bedrohungsszenarien gegen gesellschaftlichen Wandel Europas darstelle, die Stimmung in der Bevölke- den 1980er- und 1990er-Jahre verschärft. Zudem rung zu kippen. Mit dieser Rhetorik läuteten die wurde der Zugang zu Arbeit eingeschränkt und SVP und die AUNS eine plebiszitäre Mobilmachung die Ausschaffungshaft für zulässig erklärt. 1990 gegen das ein, was sie einen «Kolonialvertrag» beschloss die Schweiz als erstes Land Europas, auf nannten. Zudem predigten sie ein Geschichtsbe- Asylgesuche aus einem als sicher geltenden Land wusstsein, das die Schweiz zum Hort der Freiheit, grundsätzlich nicht mehr einzutreten. Im Zuge der Unabhängigkeit und Neutralität und zur wehrhaf- 1991 ausgebrochenen Konflikte auf dem Balkan ten Bastion gegen äussere Einflüsse und Bedro- nahm die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz zu. hungen hochstilisierte. Die «geistige Landesver- Die Höchstwerte lagen zu Beginn der 1990er-Jah- teidigung» entfaltete von Neuem Wirkungskraft. re bei etwa 19 000 Asylgesuchen pro Jahr, wenn- Neben der Angst vor «fremden Richtern», die in gleich die Anerkennungsquote keinen signifikan- Brüssel über die schweizerische Souveränität be- ten Anstieg erfuhr. Aus Sicht der SVP waren viele stimmen würden, war auch die Bedrohung einer der Flüchtenden «Scheinasylanten», die «Asylmiss- unkontrollierten Einwanderung zentraler Bestand- brauch» begingen und die die «Ausländerkrimina- teil der emotional geführten Kampagne gegen den lität» im Land steigerten. EWR-Beitritt. Im Jahre 1996 lancierte die SVP die Initiative «Ge- Damit dominierten die Gegner einer Integration gen die illegale Einwanderung», die ein Nicht- der Schweiz in den europäischen Raum die öffent- eintreten auf Asylgesuche von illegal Eingereis- liche Aufmerksamkeit, stilisierten sich zu Hütern ten verlangte und die beachtliche 46,3 Prozent des Landes und setzten eine politische Kräftever- Ja-Stimmen erreichte. Mit ihrer 2002 lancierten schiebung nach rechts durch, die ihnen in den Initiative «Gegen Asylrechtsmissbrauch», die kein folgenden Jahren weitere politische Erfolge be- Eintreten auf Asylgesuche verlangte, wenn die scheren sollte. Spätestens nach der EWR-Abstim- Einreise des Asylsuchenden aus einem sicheren mung übernahm die SVP nicht nur das Zepter in Drittstaat erfolgte, schrammte die SVP knapp an Sachen «Überfremdungsabwehr», indem sie dafür einem Sieg vorbei (49,9 Prozent Ja-Stimmen). Die sorgte, dass die Angst vor den Fremden virulent Bemühungen der Partei, die bilateralen Verträge blieb, sondern zunehmend auch die Deutungs mit der EU und die Personenfreizügigkeit zu be- hoheit über das Thema. Damit absorbierte sie kämpfen, blieben allerdings erfolglos. auch viele Exponenten der kleinen «Überfrem- dungsparteien». Dennoch konsolidierte die SVP mit der erfolgreich verlaufenen EWR-Abstimmung und der ebenso erfolgreichen, wenn auch nicht siegreichen Kam- Neue Projektionsfläche für Ängste: pagne gegen «illegale Einwanderer» die politische A sylsuchende Taktik des permanenten Wahlkampfs und der Op- In den 1990er-Jahren richtete sich der Furor der position. Damit wandelte sie sich von einer kon- Überfremdungsgegner nicht mehr nur gegen die servativen Bauernpartei zu einer rechtspopulisti- im Land anwesenden Ausländerinnen und Aus- schen Kraft und stieg zur wählerstärksten Partei länder, sondern zunehmend auch gegen Asylsu- des Landes auf. chende. Das am 1. Januar 1981 in Kraft getretene Asylgesetz sah neben der Definition des Flücht- Politische Erfolge mit der Zuwanderungsthema- lings nach Genfer Flüchtlingskonvention auch tik versprach sich auch der FDP-Politiker Philipp die Familienvereinigung, das Botschaftsasyl und Müller und hoffte damit, seine Partei für national- die Ausstellung einer Arbeitserlaubnis bereits für konservative Kreise zu öffnen. Mit der Initiative die Phase der Prüfung des Asylantrags vor. Das «Für eine Regelung der Zuwanderung», die unter Gesetz atmete den Geist der Europäischen Men- anderem den Anteil der ausländischen Staatsange- schenrechtskonvention von 1950 und betonte hörigen in der Schweiz auf 18 Prozent fixieren soll- die humanitäre Tradition der Schweiz. Das Asyl- te, versuchte die FDP eine neue politische Klientel gesetz war jedoch kaum in Kraft, als dessen libe- zu gewinnen. Die Initiative konnte im Jahr 2000 rale Grundlagen bereits in Frage gestellt wurden. zwar nur einen geringen Ja-Anteil (36,2 Prozent) Die Kriterien der Zuerkennung des Asylstatus und für sich verbuchen, war aber Ausdruck des Willens die rechtliche, soziale und materielle Situation der einstmals staatstragenden freisinnigen Kräf- von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen te, die Deutungshoheit über die «Ausländerfrage» wurden durch eine Kaskade von Teilrevisionen in nicht einer einzelnen Partei zu überlassen.
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