Ecke köpenicker nr. 4-sept /okt 2020 - Fördergebiet Luisenstadt (Mitte)
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ecke nr. 4– sept /okt 2020 köpenicker Zeitung für das Sanierungsgebiet Nördliche Luisenstadt Erscheint sechsmal im Jahr kostenlos. Herausgeber: Bezirksamt Mitte von Berlin, Stadtentwicklungsamt, Fachbereich Stadtplanung Ch. Eckelt
2 —— E CKE KÖP ENIC KER E CKE KÖPE NI CKE R—— 3 W E LC H E E C K E ? Öffentlichkeit – aber wie? Ch. Eckelt ———————————————————— I N H A LT ————— Auf einem digitalen Forum wurde Seite 3 Forum zur Zukunft des Bärenzwingers über die Zukunft des Bärenzwingers Seite 4 Sanierungsarbeiten im Köllnischen Park als Kulturort debattiert Seite 5 Luisenstädtischer Friedhof / Nachrichten Die letzten Bewohner hießen Thilo, Maxi und Schnute: Seite 6 B-Plan zum Spreeuferweg zwischen drei Braunbären, die im Bärenzwinger am Köllnischen Brücken- und Michaelkirchstraße Park lebten. Nachdem die letzte Bärin 2015 gestorben war, stand das legendäre Gehege leer. Schließlich nahm sich Seite 7 Einwendungen zum B-Plan 2017 in Absprache mit dem Stadtplanungsamt Mitte der Seite 8 Neues vom Bürgerverein Luisenstadt bezirkliche Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte des denkmalgeschützten Gemäuers an: als neuen Ort für zeit- Seite 9 Gebietskolumne: Die Glockengasse genössische Kunst. Die letzten drei Jahre hatten junge 4711 der Luisenstadt Kunstschaffende und angehende Kuratoren hier die Mög- Ch. Eckelt lichkeit, mit neuen Formaten zu experimentieren. Doch wie geht es weiter? Sicher ist bislang nur: Langfristig Aus dem Bezirk Mitte: soll der Kunstort erhalten bleiben. Und: es soll einen Ar- Denn für nicht wenige Außenstehende waren genau die • Seite 10 / 11 »Chaos & Aufbruch« – Ausstellung chitekturwettbewerb dazu geben, der Umbau ist ab 2023 letzten beiden Faktoren in den letzten Jahren problema- Die Luisenstadt hat ja bekanntlich viele schöne Ecken. Aber wo wurde diese im Märkischen Museum vorgesehen. tisch. Schon die Einladungstexte zu den Ausstellungen und Ecke aufgenommen? Wenn Sie den Ort wissen, schreiben Sie uns die Lösung Um inspirierende Anregungen für die Zukunftsdebatte zu Aktionen wurden oft als eher abschreckend, sogar elitär • Seite 12 /13 Geschichte der Berliner Mieten und vergessen bitte auch nicht Ihre Post-Adresse! Denn unter allen richtigen sammeln, luden der Fachbereich Kunst, Kultur und Ge- und elaboriert empfunden: die Sprache zu sehr dem akade- deckel Einsendungen verlosen wir wieder einen Büchergutschein der Buchhandlung schichte sowie Stadtplanung des Bezirksamts Mitte Anfang misch-theoretischen Kunstdiskurs verhaftet, eher selbst am Moritzplatz. • Seite 14 Zum Rücktritt von Katrin Lompscher September zum digitalen Forum »Bärenzwinger – Visio- reflexiv und ausschließend denn einladend. Der vom Lan- Schicken Sie uns Ihre Antwort per Post an: Ulrike Steglich c/o Ecke Köpenicker, nen für den Kulturstandort« ein. desdenkmalamt beauftragte Architekt Gerhard Schlotter Elisabethkirchstr. 21, 10115 Berlin oder per Mail an: ecke.koepenicker@gmx.net Öffentlicher hätte das vom Büro KoSP organisierte und formulierte, dass man »nach der Monokultur der Bären Seite 15 Gebietsplan und Adressen Der Einsendeschluss ist Montag, der 26. Oktober. moderierte Forum nicht sein können: Bei Youtube konnte keine Monokultur der Künstler« brauche – derzeit sei der Unser letztes Bilderrätsel zeigte ein Detail der Relieftafel am Heinrich-Heine- Seite 16 Eckensteher + Pflastersteine jeder das Symposium im Livestream verfolgen und sich – Bärenzwinger ja »nicht gerade ein überfüllter Ort«. Denkmal, Köpenicker Str. 101. Vielen Dank für alle Einsendungen! Den Bücher- Google-Konto-Anmeldung vorausgesetzt – mit Kommenta- Auch Susanne Prinz, die den kleinen Kultur-Pavillon »L40« gutschein erhält Andreas Meyer. Herzlichen Glückwunsch! ren beteiligen. Dennoch blieb die Teilnehmerzahl auch am Rosa-Luxemburg-Platz betreibt, plädierte für eine stär- online überschaubar. Die technische Übertragung war teils kere Öffnung nach außen. Ebenso Martin Peschken, der ——————————————————— I M P R E S S U M —— tückenreich, der Ton oft nur schwer zu verstehen. anmerkte, es gehe nicht um Kunst als exklusive Veranstal- Eingeladen waren mehrere Expertinnen und Experten, de- tung. Er vermisste eine bestimmte Dimension: nämlich Weiterhin trifft sich auch die Betrof- Herausgeber: Bezirksamt Mitte von Berlin, ren Impulsvorträge unterschiedliche Aspekte in die Debat- eine Öffentlichkeit im politischen Sinn: ereignishaft, ver- Bürgerberatung – Sprechstunden fenenvertretung Nördliche Luisen- Stadtentwicklungsamt te einbringen und zur Debatte anregen sollten. So widmete handelnd, anstoßend, ein Raum für Debatte und Auseinan- im Stadtteilladen stadt wieder in den Räumen des dia- Redaktion: Christof Schaffelder, sich Luise Rellensmann von der BTU Cottbus als Expertin dersetzung, ein Katalysator. Das sei zwar nicht planbar, Im Stadtteilladen dialog 101 (Köpe- log 101. Die monatlichen Plena sind Ulrike Steglich für Denkmalpflege dem Aspekt des »offenen Denkmals«. doch könne man zumindest räumliche Angebote machen. nicker Straße 101) finden wieder die öffentlich und finden jeden 3. Diens- Redaktionsadresse: »Ecke Köpenicker«, Susanne Hauser, die an der UdK Kunst- und Kulturge- Welche Schlussfolgerungen die bezirkliche Kulturverwal- wöchentlichen Bürgersprechstunden tag im Monat um 18.30 Uhr statt. In- c /o Ulrike Steglich, Elisabethkirchstraße 21, schichte lehrt, wandte sich der Verbindung von Bären- tung nun aus dem Forum zieht, wird sich zeigen. Peschkens statt: teressierte sind herzlich willkommen! 10115 Berlin, Tel (030) 283 31 27, zwinger und Park zu. Die Kunsthistorikerin Nele Heinevet- Schlussstatement, vielleicht sollte man das Geld statt in Sprechstunde Gebietsbetreuung Lui Und auch die Nähwerkstatt ist hier ecke.koepenicker@gmx.net ter, die zusammen mit anderen Kulturschaffenden auch einen Architekturwettbewerb lieber in einen Kreativ- senstadt durch die KoSP GmbH: wieder aktiv und trifft sich jeden Mitt- Fotoredaktion: den »Tropez«-Kiosk im Sommerbad Humboldthain be- Workshop für die Verwaltung investieren, war vielleicht dienstags 14–18 Uhr woch von 17 bis 19 Uhr im Stadtteilla- Christoph Eckelt, eckelt@bildmitte.de treibt, war zum Thema »alternative Kunstorte« eingela- nur zum Teil scherzhaft gemeint. us Mieterberatung für Mieter im Sanie- den. Entwurf und Gestaltung: den. Martin Peschken, Autor und Kurator u.a. am Bauhaus, rungsgebiet Nördliche Luisenstadt Bitte beachten Sie die dort geltenden capa, Anke Fesel, www.capadesign.de der auch an der IBA 2010 beteiligt war, trug zum Thema Die vollständige Dokumentation des Forums erhalten Sie bei und in den Erhaltungsgebieten: mon- Abstands- und Hygieneregeln. Dazu Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, »Katalysator für Öffentlichkeit« einiges Bemerkenswerte der KoSP GmbH (Ansprechpartner siehe S. 15). tags 15–18 Uhr (jeden 1. Und 3. Mon- gehört auch das Tragen einer Alltags- www.berliner-zeitungsdruck.de bei. tag mit Rechtsanwältin) maske in den Räumlichkeiten. V.i.S.d.P.: Ulrike Steglich Also kreisten etliche Gedanken um den Bärenzwinger als Für den Inhalt der Zeitung zeichnet nicht der Baudenkmal, sein Verhältnis zum Park, die Nähe zum Mär- Herausgeber, sondern die Redaktion verant- kischen Museum und dem Marinehaus (das eine Art Stadt- Gesundheitsamt sucht dringend Mitarbeiter wortlich. labor werden soll), mögliche architektonische Umgestal- Zum 1. Oktober muss die Hälfte des gegenwärtig eingesetz- tungen, die Bespielung des Freigeheges, eventuell auch ten Personals im Gesundheitsamt zurück in ihre regulären Gastronomie. Dienststellen, wodurch sich der Personalmangel bei der Ecken im Web Elektronischer Versand Doch kommt man – egal, ob Parkverbindung, Umbau oder Pandemiebekämpfung drastisch verstärkt. Das Team des Sämtliche Ausgaben der »Ecke Sie möchten auf elektronischem Weg Gastronomie – beim Nachdenken über den Ort letztlich zu Gesundheitsamtes Mitte sucht daher Beschäftigte für zu- Köpenicker« sind als PDF archiviert die aktuelle Zeitung als PDF erhalten? Die nächste Ausgabe drei entscheidenden Faktoren, von denen einer, der Ort nächst ein Jahr. Gesucht werden insbesondere medizini- und abrufbar unter: Schreiben Sie uns eine kurze E-Mail, der Ecke Köpenicker erscheint Anfang selbst nämlich, gesetzt ist. Die beiden anderen sind Varia sche Fachangestellte, Mitarbeiter in der Pandemiekoordi- www.luisenstadt-mitte.de sowie auf der und wir nehmen Sie in unseren Mail- November 2020. blen: zum einen das Konzept und der Charakter der hier nation, Fallmanager sowie Ärztinnen bzw Ärzte. Website des Bürgervereins Luisenstadt: Verteiler auf! gezeigten Kunst, zum zweiten die Herstellung von Öffent- Die Stellenangebote finden sich auf dem Karriereportal des www.buergerverein-luisenstadt.de lichkeit. Landes Berlin: www.berlin.de / karriereportal /stellensuche
4 —— EC K E KÖP ENIC KER E CKE KÖPE NI CKE R—— 5 Gefährliche leuchtete Anfang September noch tief im roten Bereich. und der Verzahnung von Teilen der protestantischen Kir- Ch. Eckelt Nachdem im extrem heißen August die Feuchtigkeit in che mit der NS-Diktatur. 85 cm Tiefe auf Null gesunken war, hat sie sich zwar lang- Vor der Erstellung der Tafel hatte der Friedhofsverband Herbststürme sam wieder auf etwa 10 % erhöht. Das ist aber nach wie vor viel zu trocken, auf »gelb« springt die Ampel erst ab 30 %, eine Fachgruppe zum Umgang mit der NS-Zeit des Fried- hofs einberufen. auf »grün« ab 50 %. Viele Bäume und die meisten Sträu- Bodenfeuchte immer noch cher leiden deshalb unter schwerem Trockenstress. Das ist extrem gering oft auch mit bloßem Auge gut erkennbar, bei Laubbäumen zum Beispiel daran, dass an den Spitzen vermehrt kahle Stellen und oft auch schon tote Äste auftreten. Große Familiennacht Bereits am 27. August hat in diesem Jahr das Straßen- und Das frisch sanierte Kinderzentrum Ottokar lädt ein zur 10. Grünflächenamt des Bezirks Mitte seine erste »Warnung Der Trockenstress hängt natürlich auch vom Standort und Großen Familiennacht: Sie findet am Samstag, dem 26. von dem Betreten der Grünanlagen« veröffentlicht. Grund von der Baumart ab. In der Nähe der Spree oder anderer September statt und beginnt um 17 Uhr. war das Sturmtief »Kirsten«, das Ende August über die Gewässer reicht das Grundwasser ja noch relativ nahe bis Es gibt Gute-Nacht-Geschichten für Groß und Klein – span- Stadt fegte: »Vor allem abseits der offiziellen Wege können an die Oberfläche. In größerer Entfernung und sobald das nende und lustige Geschichten werden am Lagerfeuer er- abgebrochene Äste oder gespaltene Kronen ausbrechen Gelände auch nur leicht ansteigt, kommen auch ältere zählt. Zeitgleich wird in unterschiedlichen Räumen für die und zu schweren Verletzungen führen«, Die Kontrollen Bäume inzwischen an ihre Grenzen. Vor allem Flachwurz- verschiedenen Altersgruppen vorgelesen. Traumfänger und durch die Beschäftigten des Straßen- und Grünflächenam- ler wie Rosskastanien, Fichten oder Weiden haben Proble- Lampions können gebastelt werden. Feuershow, Stockbrot tes würden erfahrungsgemäß mehrere Tage erfordern. Am me. Geht es gleich mehrere Meter in die Höhe, können am Feuerkorb und Musik ergänzen das Angebot. Schluss der Meldung hieß es in fetten Lettern: »Die Bäume auch tief wurzelnde Bäume wie Eichen, Kiefern oder Neue Gedenktafel Anmeldung erforderlich unter Telefon (030) 275 48 46 können unvermittelt umstürzen.« Eschen vom Trockenstress betroffen sein. Das betrifft auch Oder per E-Mail: kizottokar@kinderverein-ottokar.de viele Wälder am Stadtrand von Berlin oder im Umland: Ein Stück Luisenstädter Geschichte findet sich am Besonders gefährlich sind Stürme, wenn sie früh im Jahr Herbstliche Waldspaziergänge könnten in diesem Jahr be- Südstern: der Alte Luisenstädtische Friedhof auftreten. Das Laub ist dann noch grün und die Blätter haf- sonders gefährlich werden. Vor allem, wenn in den Tagen ——————— ———— ——— ——— ——— ——— ——— ——— ———— —— LESERECKE ten noch fest an den Zweigen, so dass Laubbäume den Stür- zuvor Herbststürme gewütet haben. Abseits der Wege nach men großen Widerstand bieten. Durch die langanhaltende Pilzen zu suchen wäre dann nicht empfehlenswert, zumal Trockenheit der vergangenen drei Jahre sind zudem beson- durch die Trockenheit der Böden die Ausbeute ohnehin Es ist ein bisschen kompliziert. Also: Die neue Gedenktafel Dieses Foto schickte uns die Anwohnerin Anne Thyrolf ders viele Bäume geschwächt. Daran könnten auch die er- nur sehr gering sein dürfte. wurde kürzlich auf dem Alten Luisenstädtischen Kirchhof und schrieb dazu: hofften starken Regenfälle im Herbst nichts mehr ändern. Das Straßen- und Grünflächenamt Mitte wird in diesem aufgestellt. Dieser befindet sich jedoch nicht unmittelbar Falls sie denn kämen: bis September blieb der Regen noch Herbst wohl häufiger vor dem Betreten der Grünanlagen in der Luisenstadt, sondern seit Mitte des 18. Jahrhunderts Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der »Köpenicker spärlich. Das vom Berliner Pflanzenschutzamt ständig warnen. cs am Südstern. Ecke«, aktualisierte Diagramm zur Bodenfeuchte in der Stadt Die neue Tafel steht am Haupteingang nahe der Trauerka- vielen Dank für Ihre letzten beiden, wiederum interessanten pelle und informiert über die Geschichte des Friedhofs ab und aktuellen, Ausgaben, die uns BürgerInnen immer dar- dem Jahr 1753, als der vorherige Friedhof an der Luisen- über auf dem Laufenden halten, was im Kiez passiert. Auch stadtkirche in der Alten Jakobstraße seine Kapazitäten er- die Fotos sind immer toll. schöpft hatte. Mein erster Blick am Morgen fällt stets auf das wunderschöne Auf dem Friedhof befinden sich teilweise aufwendige Erb- Engelbecken, aber am Morgen des 30. August waren wohl die Köllnischer Park: Sanierung Mitte August begannen die Sanierungsarbeiten im Köllni- schen Park. Die denkmalgeschützte Grünanlage wird neu- begräbnisstätten von bedeutenden Berliner Persönlich keiten (u.a. wurde Gustav Stresemann hier bestattet, Frie- Folgen von in der Nacht wütenden Vandalen zu sehen. Wer macht nur so etwas? Und es war leider nicht das erste Mal. hat begonnen gestaltet. Bis zum Abschluss der Arbeiten Ende Mai 2021 bleibt der Park für Besucherinnen und Besucher gesperrt. densnobelpreisträger, früherer Reichskanzler und Außen- minister), aber auch einige Gräber vergessener Persönlich- Innerhalb einer Stunde hatten jedoch die MitarbeiterInnen des Cafés am Engelbecken Tische und Stühle aus dem Wasser Alle Wege im Park und die Vegetationsflächen werden er- keiten mit kunstgeschichtlich bedeutsamem Grabschmuck. gezogen – nicht alle waren noch unversehrt – und den größ- neuert. Der bestehende Kinderspielplatz erhält eine neue Heutiger Eigentümer des Friedhofs ist der Evangelische ten Schaden behoben. Nestschaukel und eine zusätzliche Wippe. Rund um den Friedhofsverband. Bärenzwinger werden sieben Silberlinden sowie ein Trom- Ein Kapitel der deutsch und englisch beschrifteten Infor- An dieser Stelle verweisen wir auch auf die große Putzakti- petenbaum am Zille-Denkmal neu gepflanzt. Die Skulptu- mationstafel berichtet über den Umgang der Friedhofsver- on am Engelbecken, zu der der Bürgerverein Luisenstadt renterrasse bekommt einen barrierefreien Ausbau und ist waltung mit dem Nationalsozialismus in den 1930er Jah- am Samstag, 19. September aufruft – siehe S. 8. künftig auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkun- ren. In diesen Jahren wurde versucht, den Friedhof zu ei- gen besser zu erreichen. Die vorhandenen Skulpturen und nem Schauplatz »pompös inszenierter Beerdigungskultur Spolien werden saniert. Der Terrakottabrunnen wird eben- für rangniedere NS-Anhänger« zu etablieren: als »Haupt- falls überarbeitet und die Brunnentechnik erneuert. Im friedhof der Bewegung«. Zwischen September 1931 und Zuge der Arbeiten lässt das Bezirksamt Mitte die Mauern April 1935 wurden dort insgesamt 22 Nationalsozialisten des historischen Mühlenstumpfs und des Wusterhausener beerdigt, prominente Parteigrößen gehörten nicht dazu. Bärs überarbeiten. Viele von ihnen waren bei gewaltsamen Auseinanderset- Bereits im Jahr 2013 wurde die Planung erstellt und in den zungen mit Parteigegnern ums Leben gekommen, manche Jahren 2018 bis 2019 komplett überarbeitet. Insgesamt be- aber auch durch Schüsse der eigenen Leute oder durch laufen sich die geplanten Kosten auf ca. 1,6 Mio. Euro. Die Selbstmord. Die Trauerfeiern wurden mit nationalsozia Finanzierung des Projektes erfolgt aus Mitteln der Senats- listischen Elementen zelebriert. Der zuständige Pfarrer Ch. Eckelt verwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen über das Johannes Wenzel, der Pastor der Neuen Garnisonkirche, zu Förderprogramm »Zukunft Stadtgrün / Lebendige Zentren der der Friedhof gehörte, war ein offener Nazi-Sympathi- und Quartiere«. sant und spielte eine wichtige Rolle bei der Inszenierung
6 —— E CKE KÖP ENIC KER E CKE KÖPE NI CKE R—— 7 ist. Schon heute werden die Treppen auf dem Flurstück 280 am Uferweg von alkoholisierten und drogeneinneh- menden Touristen belagert, so dass man als Anwohner beim Durchgang zur Haustür einen Spießroutenlauf vor- bei an torkelnden, nach Alkohol und Gras riechenden Menschen machen muss. Insofern irritiert es, dass Sie hier jetzt auch noch an Ausschank, Bouleplätze und derglei- chen denken zur angeblichen Aufwertung des Platzes. In Ihrem Bebauungsplan wird explizit auch die Notwendig- keit der Berücksichtigung lebenswerten Wohnens erwähnt. Dann kann man nicht dem Uferweg jetzt auch noch weite- ren Partylärm, Durchgangsverkehr und weiteren Alkohol- leichen zuführen! Hier bitte ich mal um nächtliche Besich- tigung und Messungen vor Ort vor der Rungestraße 21f Ch. Eckelt und c spreeseitig. Zwar war es einige Wochen coronabe- dingt tatsächlich spürbar leiser. Die Bumbum-Belästigung durch Musik die ganze Nacht durch an Wochenenden ist jedoch wieder angelaufen.« — ———————————————————————————————— ——— — — D O KU M E N TAT I O N Ergebnis der Prüfung und Abwägung Stellungnahme zum »Die Lärmkonflikte zwischen heranrückender Wohnbebau ung südlich der Spree und dem Schienenverkehr nördlich Ein weiterer Schritt Uferweg benötigten Grundstücksteil aufkaufen oder gar enteignen, sondern muss sich mit Vattenfall vertraglich Bebauungsplan 1-81 der Spree stehen nicht im Zusammenhang mit diesem Be- bauungsplan. (…) Die Errichtung einer Lärmschutzwand über öffentliche Wegerechte am Ufer entlang einigen. Ein am Ufer würde den Planungszielen völlig zuwiderlaufen zum Uferweg solcher Vertrag ist mit dem Land Berlin bereits verhandelt Der Entwurf des Bebauungsplans 1-81 lag in diesem Jahr wegen Corona gleich und wäre wegen der Entfernung und der Höhenlage der und wird demnächst unterzeichnet. zweimal öffentlich aus, zuletzt zwischen dem 15. Juni und dem 15. Juli im Stadt- Stadtbahn als Hauptschallquelle voraussichtlich auch weit- Bebauungsplan 1-81 vom Etwas anders gelagert sind die Verhältnisse bei dem Grund- teilladen dialog 101. Insgesamt gingen 55 Stellungnahmen ein. Davon kamen gehend wirkungslos. Maßnahmen zur Lärmreduzierung an stück, das direkt an die Brückenstraße grenzt. Hier wurde etwa 40 Einwendungen aus der Rungestraße 21. Dieser Neubau mit mehr als 120 der Lärmquelle (Bahnschienen) sind gemäß § 1 der 16. Bezirksamt beschlossen in den 1990er Jahren das »Jannowitzcenter« errichtet, da- Eigentumswohnungen wurde 2012 genehmigt und im Jahr 2016 bezugsfertig. Die BImSchV nur im Falle eines Baus oder der wesentlichen bei wurde der Uferbereich bereits umgestaltet und öffent- Planungen für den Uferweg waren da schon bekannt. Änderung von öffentlichen Straßen sowie von Schienenwe Für den mittleren Teilbereich des geplanten Uferweges lich zugänglich gemacht. Zudem sind seit einigen Jahren Wir dokumentieren an dieser Stelle beispielhaft die Stellungnahme eines Haus- gen erforderlich. Dies ist hier nicht der Fall, da es sich um entlang der Spree hat das Bezirksamt Mitte am 8. August für diesen Bereich Geh- und Radfahrrechte für die Allge- bewohners sowie, leicht gekürzt, die Antwort des Stadtentwicklungsamts. Alle einen bestehenden, unveränderten Schienenweg handelt. 2020 den Bebauungsplan beschlossen. Trotz »beschleu- meinheit Im Grundbuch eingetragen. Im Gegenzug hatte Stellungnahmen und findet man im Netz unter www.berlin.de / ba-mitte /politik- Im Rahmen des Realisierungswettbewerbs sollen jedoch nigtem Verfahren« wurden dazu neun Jahre benötigt. der Bezirk auf sein Vorkaufsrecht im Sanierungsgebiet ver- und-verwaltung / bezirksamt / beschluesse-des-bezirksamts /2020 unter dem Da- einzelne Maßnahmen zum Lärmschutz geprüft werden. So Allerdings sind die Verhältnisse in dem betroffenen Ab- zichtet. tum 04.08. 2020 als »Anlage 2 zur BA-Vorlage 1198/2020«. können z. B. kleinräumig wirksame lärmabschirmende Ge- schnitt zwischen Jannowitz- und Michaelkirchbrücke auch Anderenorts wurden Uferstreifengrundstücke vom Land staltungselemente integriert werden, um die Aufenthalts- besonders vertrackt. Berlin bereits erworben. Obwohl der Kaufpreis dabei wert- qualität in Teilbereichen zu erhöhen. Verbleibende Lärm- gemindert ist, war das für die Eigentümer oftmals ein gutes Stellungnahme eines Anwohners belastungen sind nicht vermeidbar, müssen in der Ab Denn hier führt der künftige Uferweg am Heizkraftwerk Geschäft: Denn durch den Verkauf wurden sie auch von wägung mit übrigen Planungszielen, insbesondere den Mitte vorbei. Zwar wurde bereits Mitte der 1990er Jahre der Zuständigkeit für die Spundwände an der Spree befreit »Der nun öffentlich bekannt gemachte Bebauungsplan Belangen von Freizeit und Erholung, sowie im Hinblick der Uferweg am Kraftwerk zu einem begehbaren Weg um- – und die sind an manchen Stellen reparaturbedürftig. In- 1-81 irritiert in weiten Teilen. In der Rungestraße 21c ist auf die nur untergeordnete Aufenthaltsfunktion der Flä- gebaut (und dabei sogar mit beheizbaren Parkbänken aus- zwischen hat sich auch herausgestellt, dass der Bund als spreeseitig die Lärmbelastung jetzt schon unerträglich chen, hingenommen werden. Bei einer ordnungsgemäßen gestattet). Öffentlich zugänglich war dieser Bereich aber Eigentümer der Wasserstraße für die oft hohen Kosten die- (und die Schlafzimmer in meiner Wohnung sind leider Benutzung des Uferwegs sind erhebliche Lärmbelästigun- nie: Ein massiver Zaun zur Michaelkirchstraße hin verhin- ser Reparaturen nicht aufkommt, denn für die Unterhal- auch spreeseitig gelegen). Hier ist unter anderem die Lärm gen für die Nachbarschaft nicht zu erwarten. Darüberhin- dert eine öffentliche Nutzung seit etwa einem Viertel tung der Uferwände ist in der Regel der »landseitige« belastung durch die S-Bahnen und Züge zu erwähnen, ins- ausgehender, sogenannter »verhaltensbedingter Lärm« ist jahrhundert. Mit dem Bebauungsplan sind jetzt die Vor- Grundstückseigentümer zuständig. besondere jedoch das Bremsen der Züge in der Kurve der dem Betrieb des Uferwegs nicht zuzurechnen. Er ist nach aussetzungen dafür geschaffen, dass sich dies in absehba- Jannowitzbrücke (lautes und langanhaltendes Quietschen Maßgabe des Landesimmissionsschutzgesetzes unzulässig rer Zeit ändern könnte. Der nunmehr beschlossene B-Plan soll jetzt als Grundlage auch nachts) bei Zügen, die am Ostbahnhof halten wer- und kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die für die weitere Planung des Uferwegs dienen, der im an- den. Es ist zu erwarten, dass mit Eröffnung des BER auch angedachten Sondernutzungen auf dem geplanten Ufer- Das Kraftwerk ist nämlich in mehrerlei Hinsicht mit dem grenzenden Abschnitt zwischen Michaelkirchstraße und die Taktung der Regionalbahnen, die zum BER fahren, er- weg können und sollen jedoch nur insoweit geplant bzw. Spreeufer verflochten: So befindet sich auf dem Abschnitt Engeldamm zunächst einmal als Provisorium errichtet höht wird und damit die Lärmbelästigung weiter steigen zugelassen werden, wie sie die Anforderungen an den die Hafenanlage, über die u.a. das Öl angeliefert wird, das werden wird. Die Landschaftsarchitektinnen und -archi- wird. Erwähnt wird in Ihrem Bebauungsplan nur Schie- Lärmschutz für die Nachbarschaft einhalten. Die Belange Ch. Eckelt den Notbetrieb sichern soll, falls die Gasversorgung aus tekten, die für beide Abschnitte konkretere Entwurfsideen nenschmiereinrichtungen. Dies wird nicht ausreichend der anliegenden Wohnnutzungen werden bei der Gestal- irgendwelchen Gründen unterbrochen sein sollte. Von die- entwickeln sollen, finden jedenfalls in den Materialien sein. Auch eine Lärmschutzwand sollte installiert werden. tung berücksichtigt. Es ist zudem offensichtlich, dass auf- sem Hafen führen eine Pipeline und ein unterirdischer zum B-Plan reichhaltigen Lesestoff: Alleine die dem Be- Als weitere Lärmbelästigungen sind hiesige Partylocations grund der geringen Größe der – neben den für Wege-, An- Verbindungsgang zum Kraftwerk. Im fraglichen Bereich zirksamtsbeschluss beigefügte »Begründung zum Bebau- zu nennen, die sich nicht an die Nachtlärmschutzimmissi- pflanz- und ggf. Entwässerungsflächen – für Freizeitaktivi- steht zudem ein Bauwerk für die Ver- und Entsorgung mit ungsplan 1-81« umfasst 67 Seiten. cs onsgrenzwerte halten, so dass teilweise die ganze Nacht täten zur Verfügung stehenden Flächen, die ergänzenden Kühlwasser, das für den Betrieb des Kraftwerks unabding- durch bis ca. 5 Uhr das Schlafzimmer trotz dreifachverglas Nutzungsangebote lediglich kleinere, vereinzelte Anlagen bar ist. Das Land Berlin kann hier also nicht den für den ten Fenstern einer elendigen Bassbeschallung ausgesetzt umfassen können.«
8 —— E CKE KÖP ENIC KER E CKE KÖPE NI CKE R—— 9 Neues vom Bürgerverein nen der Verein als Anerkennung Gutscheine von Cafés, Restaurants und Servicebetrieben unseres Viertels überrei- Die Glockengasse 4711 chen wollte. Die Gutscheine sollten über die Spendenakti- Luisenstadt on finanziert werden, was gleichzeitig – neben dem Dan- der Luisenstadt keschön für die Alltagshelden – auch die Cafés und Restau- rants im Kiez in der finanziellen Krise unterstützen sollte. Fluchtweg durch die Mauer Die Aktion konnte am 13. August mit der Überreichung der Gutscheine abgeschlossen werden. Der Verein erlebte dabei große Freude und Zustimmung, erfuhr aber auch von neu- Inzwischen ruft die Bezeichnung »Glockengasse 4711« en Problemen. Insgesamt waren durch Spenden 2550 Euro nicht mehr bei allen die Erinnerung an das Parfüm zusammengekommen. Das ergab 162 Gutscheine im Wert Kölnisch Wasser hervor. Wo war in der Luisenstadt die von 16 Euro. Der Bürgerverein bedankt sich noch einmal Glockengasse 4711? Es war ein etwas rätselhaft verwinkel- bei allen Spenderinnen und Spendern sowie bei der Woh- ter Weg durch die Kanalisation unter der Neuen Grünstra- F. Hennig nungsbaugenossenschaft BEROLINA und die Wohnungs- ße und der Seydelstraße. Klar, dass es in der Kanalisation baugesellschaft Mitte (WBM) für die Unterstützung. nach allem anderen, nur nicht nach Parfüm riecht und es sich also um eine ironische Glockengasse handelt. Es war der erfolgreichste Fluchtweg durch die Mauer oder genau- Putzaktion am Engelbecken er, unter der Mauer hindurch. Einstieg zur Freiheit, der Gullydeckel über der Kanalisation, Am 19. September heißt es »Gemeinsame Sache« – im Rah Entdeckt hatten diesen Weg zwei Ostberliner Ehepaare: durch die 500 Menschen aus Ostberlin nach Westberlin ent- Ch. Eckelt men der Berliner Freiwilligentage. An diesem Samstag lädt Ulrich und Waltraud Schulze und Hans und Gerda Liedtke. kamen. der Bürgerverein zwischen 10 und 13 Uhr alle Vereinsmit- Schon vor dem Mauerbau wollten sie in den Westen und glieder und Anwohner wieder zu einer Reinigungsaktion wurden vom 13. August 1961 überrascht. Bis zu ihrer gelun- wurde die erfolgreichste Aktion dieser Art: Ca. 500 Men- am Engelbecken ein, um den Teich und das Umfeld von genen Flucht durch die Glockengasse am 13. September schen konnten so bis zum 14. Oktober 1961 in den Westen Müll und Unrat zu befreien. desselben Jahres hatten sie nicht weniger als 14 gescheiter- fliehen. Anerkennung Treffpunkt ist die Plattform über dem Café am Engel te Fluchtversuche hinter sich. Das lag an der professionellen Organisation mit Arbeitstei- Die schönste Nachricht zuerst: Der Bezirk Mitte zeichnet becken. Bitte Arbeitsbekleidung, Handschuhe und festes Der Tunnel war so niedrig, dass sie nur auf allen vieren vor- lung: Läufer, die in der Wallstraße die vom U-Bahnhof Spit- den Bürgerverein mit der Bezirksverdienstmedaille aus – Schuhwerk mitbringen und auch den Mund-Nasenschutz ankriechen konnten. Es knallte zweimal laut, die Frauen telmarkt kommenden Flüchtenden in Empfang nahmen es ist eine offizielle und wohlverdiente Anerkennung für nicht vergessen! Und wer Unrat aus dem Wasser holen waren überzeugt, ihre Männer seien erschossen worden. und an die »Deckelmänner« an der Ecke Wallstraße und sein langjähriges Engagement. Der Bürgerverein Luisen- will, muss sich Badesachen und Badeschuhe mitbringen. Aber es war nur ein Auto über einen losen Gullydeckel ge- Neuer Grünstraße übergaben. Diese begleiteten sie zum stadt gründete sich bereits 1991 mit engagierten Anwohne- Um Gerätschaften und Container zum Einsammeln küm- fahren. Sie wurden alle mehrfach von aggressiven Ratten Gully, öffneten ihn und wiesen sie genau ein. Die Flücht- rinnen und Anwohnern aus Ost und West, die ja an diesem mert sich der Bürgerverein Luisenstadt e.V. gebissen, ohne dass sie diese abwehren konnten. Ein Gitter linge stiegen teils im Viertelstundentakt in Gruppen ein Ort unmittelbar aufeinandertrafen: Denn die historische Nach getaner Arbeit gibt es eine kleine Erfrischung. versperrte ihnen den Weg, das sie nicht durchsägen konn- und wurden von Fluchthelfern aus Westberlin am Gitter Luisenstadt war erstmals durch die Gründung Groß-Ber- ten, weil direkt über ihnen die bewachte Mauer und die mit Lichtzeichen in Empfang genommen. Die Ratten ge- lins vor 100 Jahren geteilt worden – mit dem Zuschnitt der Grenzer standen. Schließlich fanden sie im Sinne des wöhnten sich an den Verkehr und bissen die kriechenden Berliner Bezirke befand sich die südliche Luisenstadt von Mehr Wasser für die Bäume: Gießen mit der AG Grün Wortes in der Scheiße grabend unter dem Gitter einen 30 Menschen nicht mehr. nun an im Bezirk Kreuzberg, der Nordteil gehörte zum Be- Auch wenn es manchem in diesem Sommer vielleicht Zentimeter schmalen Durchlass. Sie mussten sich nackt Noch dramatischer als die erste Flucht war die letzte in der zirk Mitte. Und 1961 wurde das historische Gebiet noch- nicht so vorkam: Es ist immer noch viel zu trocken, nicht ausziehen, um sich durch ihn hindurchzudrücken. Gerda Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 1961. Eine Streife der mals durch die Berliner Mauer zerschnitten. Nach dem nur in den Wäldern, sondern auch für das Stadtgrün. Die Liedtke blieb beim Versuch, mit Kleidung hindurchzukom- Grenzer entdeckte den noch offenen Gullydeckel und Mauerfall 1989 fanden schließlich Luisenstädter von hüben pflanzen leiden unter dem Trockenstress der letzten Jahre, men, hängen, so dass Ulrich von vorn ziehen musste, wäh- schloss richtig, dass hier Menschen versuchten, in den und drüben zusammen, um die Geschichte des Quartiers und auch dieses Jahr reichte der Regen bei weitem nicht rend Hans von hinten schob. Westen abzuhauen. wieder sichtbar zu machen, sich für den Erhalt historischer aus, um in der Tiefe die Baumwurzeln ausreichend zu ver- Doch schließlich hatten sie es geschafft und auch, dass es Den Flüchtlingen half das Glück, dass oberirdisch der Ver- Substanz einzusetzen, ein nachbarschaftliches Miteinander sorgen. ihnen unmöglich war, einen der Gullydeckel im Westen lauf des Mischwasserkanals nicht zu erraten war. Denn er zu fördern und sich für ein lebenswertes Wohngebiet zu Die »AG Grün für Luise« des Bürgervereins unterstützt anzuheben und aus dem Kanal zu steigen, minderte ihre biegt nach etwa 100 Metern fast rechtwinklig links unter engagieren. Dabei entwickelte sich im Laufe der Jahre ein seit geraumer Zeit die Bewässerung von Bäumen und gute Laune nicht: Sie waren im Westen! die Seydelstraße ab, anstatt, wie man überirdisch annimmt, überaus vielfältiges Vereinsleben, die Liste der Erfolge und Sträuchern im Kiez und trifft sich zu gemeinsamen Gieß- Erst unter der Gitschiner Straße neben dem Patentamt war geradeaus zur Kommandantenstraße zu führen, wo die Aktivitäten ist zu lang, um sie hier würdigen zu können. aktionen. Der neue Gieß- und Aktionskalender verzeich- ein Deckel lose und sie konnten aussteigen. Niemand be- Mauer stand. Volkspolizisten rissen in der Kommandan- Herzlichen Glückwunsch also zur Medaille! Sie wird am net die wechselnden Aktionsorte und Termine. achtete im morgendlichen Berufsverkehr die stinkenden tenstraße alle Kanaldeckel auf, leuchteten in die Schächte, 22. September im Teehäuschen im Tiergarten feierlich ver- Nächster Termin ist Samstag, der 10 Oktober. Dann wird Flüchtlinge. Sie setzten sich auf die Verkehrsinsel und leer- stellten sich mit Maschinenpistolen im Anschlag auf und liehen. zur »Razzia: Götterbaum-Aktion« geladen, denn in den ten eine Flasche Weinbrand, die sie zum Aufwärmen bei warfen Tränengasgranaten hinein. Auf der Westseite wie- letzten trockenen Hitzesommern haben sich an Straßen- Kälte mitgenommen hatten. derum rissen die Fluchthelfer die Deckel auf, damit sich rändern, in Parks und rings um Spielplätze und verwilderte Von dieser erfolgreichen Flucht erfuhr die Girrmann- das Gas verziehen konnte. Aktion Dankeschön Gebüsche die Jungpflanzen des Götterbaums stark ver- Gruppe, auch bekannt als »Unternehmen Reisebüro«. Es Happy End: Die letzten Flüchtenden wurden in Westberlin Die vom Bürgerverein gestartete Spendenaktion AKTION mehrt. Die Schößlinge sprießen bis zu 4 Meter im Jahr und war eine studentische Fluchthilfegruppe der Freien Uni- fast ohnmächtig aus der Kanalisation gezogen. Aber es gab DANKESCHÖN (wir berichteten in unserer letzten Aus bedrohen durch ihre massenweise Ausbreitung heimische versität Berlin um Detlef Girrmann, Dieter Thieme und keine Verhaftungen. Falko Hennig gabe) sollte ein Dankeschön und eine Würdigung der Leis Bäume und Pflanzen. Wo das schnell wuchernde Gehölz Bodo Köhler. Thieme erkannte die Möglichkeiten dieses tungen jener »Alltagshelden« sein, die auch während des (von der EU wird es in der Liste invasiver Arten geführt) neuen Weges. Zuerst sägten Studenten mit viel Zeit in Der Autor lädt täglich zum Stadtspaziergang »Die Mauer Lockdowns dafür sorgten, dass das Leben im Viertel weiter einmal wurzelt, überwuchert es alles und ist nur noch sehr nicht weniger als drei Nächten das Gitter durch, setzten es der Luisenstadt« (min. 5 Teilnehmer, 2h / € 12,–, in der funktioniert, und die teils auch heute noch unter erschwer- schwer auszumerzen. danach wieder ein und machten die Fugen durch Ver- Corona-Zeit auch telefonisch) durch die Luisenstadt und ten Bedingungen arbeiten müssen: in Super- und Drogerie- Mitstreiter sind herzlich willkommen! schmieren mit Exkrementen unsichtbar. den schmalsten Park Berlins ein, Treffpunkt: 11 & 14 Uhr, märkten, den Apotheken und Pflegediensten. Rund um das Weitere Informationen unter Ab dem 25. September 1961 begann die Gruppe, DDR-Bür- U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße Ecke Köpenicker, Heinrich-Heine-Viertel waren das etwa 170 Menschen, de- www.buergerverein-luisenstadt /aktuelles us ger durch diesen Kanal in den Westen zu schleusen. Es Anmeldung erforderlich (0176) 20 21 53 39.
10 —— EC KE KÖP ENIC KER AUS DE M BE ZI R K MI T TE —— 11 ——————— ——— —— 10 0 J A H R E G R O S S - B E R L I N Börsencrash von 1929, der vielen hoffnungsvollen Ent- entgegenzuwirken. In der Folge wird der soziale Woh- wicklungen wieder ein Ende setzte. Und auch der Skandal nungsbau zu einem der wichtigsten Themen der Stadt, die um den Berliner Bürgermeister Gustav Böß war durchaus »Baumaschine« springt an: Zahlreiche Siedlungen nach »Chaos & Aufbruch – folgenreich. Aufschlussreich sind aber auch beispielsweise die sehr un- dem Prinzip Licht, Luft, Sonne entstehen im Stil der Mo- derne, die heute immer noch vorbildhaft sind und zum terschiedlichen Reaktionen auf das »Groß-Berlin-Gesetz« Unesco-Welterbe zählen. Berlin 1920 I 2020« – während vorwiegend proletarische Innenstadtgebiete den Die Synchronisierung unterschiedlicher Verkehrsbetriebe, Zusammenschluss befürworteten, wehrten sich die bürger- Verkehrsmittel und -systeme ist eine weitere Mammutauf- Eine überaus empfehlenswerte lich geprägten, wohlhabenderen Stadtteile wie z.B. Zehlen gabe. Noch heute ist es erstaunlich, in welchem Tempo da- Ausstellung im Märkischen Museum dorf und Randgemeinden wie Spandau oder Köpenick ve- mals der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und ertüchtigt hement dagegen. Diese Gegenbewegung setzte schon vor wurde, um Millionen Menschen durch die Stadt zu trans- »Im Kaiserreich ist die Wohnung eine Ware, die von priva- der Gesetzgebung ein und hielt teils noch bis Ende 1924 an. portieren. ten Investoren gehandelt wird. Sogenannte Terraingesell- Wo die Stadt sich enorm verdichtet, wächst natürlich auch schaften erwerben mithilfe von Banken und Kapitalanle- Bau- und Verkehrspolitik das Bedürfnis nach Freiräumen und Erholung. In dieser gern große Areale, um sie zu erschließen und zu bebauen. Zeit entstehen die Volksparks, überhaupt Park- und Grün- Besonders lukrativ sind hochwertige Immobilien für das Ein Schwerpunkt ist natürlich die Wohnungspolitik im anlagen für alle, aber auch Strand- und Freibäder wie jenes vermögende Bürgertum. Mietwohnungen für Geringver- neuen Berlin: Der Wohnungsmangel ist eklatant und eines am Wannsee oder zahlreiche Sportplätze. diener rentieren sich durch extreme Wohndichte, minder- Willy Dzubas: S-Bahnhof Gesundbrunnen während des Baus der größten Defizite der Stadt, die auch durch Zuwande- Dabei versammelt die Ausstellung eine Fülle historischer wertige Ausstattung und Vernachlässigung der Bausub- der U-Bahnlinie D (heute: U8), 1929 rung förmlich explodiert: Die um die Mitte des 19. Jahr- Dokumente, Fotografien und Exponate (etwa ein alter Ha- stanz. Gewinnspekulation treibt die Mieten in die Höhe.« hunderts begonnene Industrialisierung und die weiter ex- nomag) ebenso wie anschauliche Grafiken, per Knopfdruck pandierende Industrie mit ihrem hohen Bedarf an Arbeits- abrufbare Filmaufnahmen oder spielerische Elemente. Das kommt Ihnen irgendwie so vertraut vor? Es ist eine teils sehr unterschiedlichen Stadtteilen auszugleichen. kräften sorgte für einen stetigen Zustrom vom Land in die Wirklich beeindruckend ist, wie es in der Gesamtheit des 1. Beschreibung des Berliner Wohnungsmarktes vor 1920. Eine »Politik für alle« hatte zum Ziel, allen in der Stadt le- Stadt, die Arbeit, Lohn und auch Freiheit versprach. Sie Teils gelingt, die Stimmungen jener Zeit lebendig werden Und es ist nicht die einzige Parallele zum heutigen Berlin, benden Menschen einen Mindeststandard bei Bildung, Ge- alle mussten irgendwo wohnen, möglichst in der Nähe der zu lassen, die drückende Not ebenso wie den Aufbruchs- wie man an Sätzen wie den folgenden sieht: sundheit, Wohnen und Erholung zu ermöglichen. Zudem Fabriken – die Folge war ein immer dichteres Geflecht von geist, den Galuben an die Moderne und an Fortschritt. »Der moderne Großstadtverkehr bewegt auch die Gemüter war endlich auch eine einheitliche Verkehrs- und Stadt Mietskasernen, oft mit engen, dunklen Hinterhöfen, in de- der Fahrgäste: Weite Entfernungen schrumpfen, die All- planung möglich. Das Groß-Berlin-Gesetz war somit die nen insbesondere die Arbeiterfamilien zusammenge- Zukunftsfragen tagswahrnehmung wird beschleunigt und Zeit zu einem Grundlage für die Metropole von heute. pfercht auf engstem Raum unter erbärmlichen Bedingun- kostbaren Gut. Auf engem Raum begegnen sich Menschen In der Ausstellung laden eine historische und eine aktuelle gen lebten, während das Bürgertum in den Beletagen oder Naturgemäß kann der zweite Teil, das gegenwärtige Berlin verschiedenster sozialer Herkunft – unbeteiligt, neugierig Zeitebene zu einer Entdeckungsreise ein, die von den Pro- gleich in den vornehmeren Villenvierteln residierte. mit seinen Zukunftspotentialen, nicht mit einer solchen oder ablehnend.« blemen der Stadt über Lösungsansätze bis hin zu ihren Zu- Es galt um 1920 also nicht nur, die massive Wohnungsnot dokumentarischen Fülle aufwarten – Zukunft ist nun mal Oder: »Freie Fahrt für freie Großstädter? Viele Menschen kunftspotentialen führt. Dabei geht es um Wohnen, Ver- zu lindern, sondern auch, den schlimmsten Missständen nicht vorhersehbar. Stattdessen formuliert die Ausstellung möchten mit einem Privatfahrzeug mobil sein. (…) Berlin kehr, Erholung, Verwaltung, um die Anbindung an das Um- hier per Videos, Interviews und (manchmal eher futuris steht eine Verkehrswende hervor.« land und auch um Identität. tisch-verspielten) Exponaten Fragen zu wichtigen Themen Oder: »Wem gehört das Tempelhofer Feld? Bereits im Kai- Thematisch wie räumlich ist die Ausstellung klar struktu- feldern. Sechs Impulsprojekte zeigen mit wissenschaftli- serreich ist der Militärübungsplatz im Süden Berlins eine riert: Der erste Teil im Erdgeschoss umfasst die Spanne chen, künstlerischen oder journalistischen Beiträgen unter Spielwiese für Sportvereine, Ausflugsziel für Erholungssu- von der Ausgangssituation in der Kaiserzeit über die gro- schiedliche Ansätze der Auseinandersetzung und regen chende und Austragungsort von Motorflugwettbewerben.« ßen Veränderungen nach 1920 bis 1933. Mit der Machter- zum Nachdenken und zur Debatte an. Weitere Elemente Es gibt also einige Parallelen zwischen dem Berlin von greifung der Nazis endet der erste Teil und führt durch sind Umfragestationen für die Besucherinnen und Besu- 1920, das per Eingemeindung schlagartig zur Weltmetro- einen »Zeittunnel« in den zweiten Ausstellungsteil im cher zu wichtigen Themen. Und in der »Stadtwerkstatt« pole wurde, und dem Berlin von heute. Ob Zuwanderung Obergeschoss, der sich der Gegenwart, dem Berlin von können Ideen zum künftigen Leben in der Stadt entwickelt und Bevölkerungswachstum, Wohnungsmangel, Großstadt 2020 zuwendet. und ausgetauscht werden. verkehr oder Freiräume für Erholung – solche Themen und Problemlagen bewegen die Stadt damals wie jetzt. Politische und ökonomische Hintergründe »Chaos & Aufbruch« ist die zentrale Sonderausstellung des Kooperationsprojekts »Großes B – dreizehnmal Stadt«, mit 1920, 2020 – zwei Zeitebenen Besonders spannend, informativ und anschaulich aufberei- dem das Stadtmuseum Berlin die zwölf Berliner Bezirks- tet ist der erste Teil gelungen. Das liegt wohl auch in der museen eingeladen hat, sich mit je einem dezentralen Aus- »Chaos & Aufbruch – Berlin 1920 | 2020« heißt die Sonder- Natur der Sache, schließlich gibt es unendlich viel Erzähl- stellungsprojekt zu beteiligen. Zu den einzelnen Bezirks- ausstellung zum Thema »100 Jahre Groß-Berlin«, die seit stoff und museales Material über diese Zeit des allgemei- ausstellungen lädt die Große Halle des Märkischen Muse- Ende August im Märkischen Museum zu sehen ist. Mit nen Umbruchs. Wunderbar ist es den Ausstellungsmachern ums eindrucksvoll mit großen Bannern ein. Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart Berlins gelungen, die Schau nicht nur auf eine Weise in die histori- Begleitet wird das Projekt von einem umfangreichen Pro- geht sie der Frage nach, wie aus einem chaotischen Um- schen Räume des Märkischen Museums zu bauen, dass bei- gramm und dem Online-Portal 1000x.berlin mit Fotografi- bruch ein konstruktiver Aufbruch gestaltet werden kann: des miteinander harmoniert und doch ein reizvolles Span- en und Biografien aus einhundert Jahren Groß-Berlin. us Wie kann Großstadt gelingen? nungsfeld bildet – darüber hinaus gelingt auch eine über- Durch das »Groß-Berlin-Gesetz« hatte sich 1920 die Ein- aus lebendige, nachvollziehbare Darstellung jener Zeit, der »Chaos & Aufbruch«, Ausstellung im Märkischen Museum, wohnerzahl Berlins quasi über Nacht verdoppelt – durch politischen und ökonomischen Hintergründe und Zusam- Am Köllnischen Park 5, noch bis 30. Mai 2021 Eingemeindung benachbarter, bis dahin selbstständiger menhänge von Entwicklungen, aber auch von Stimmungen Öffnungszeiten: Di–Fr 12–18 Uhr, Sa+So 10–18 Uhr Städte und Gemeinden entstand eine der damals größten und Zeitgeist. Eintrittspreis: 7,00 / erm. 4,00 Euro (inkl. Audioguide), Städte der Welt. Mit 20 neu gebildeten Bezirken als Ver- Deutlich wird beispielsweise, wie stark die Wirtschaftskri- bis 18 Jahre Eintritt frei. Zur Ausstellung ist eine Broschüre waltungseinheiten bemühte sich die Kommune, die großen se und Hyperinflation von 1923 die Entwicklung der Stadt Notenblatt »Die Wohnungsnot«, Couplet aus der Revue erschienen, die im Museum kostenlos erhältlich ist. finanziellen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den beeinflussten – kurz darauf gefolgt vom großen weltweiten »Halloh! Halloh!«, 1919
12 —— AU S DEM BEZIRK MIT TE AUS DE M BE ZI R K MI T TE —— 13 Mieterstadt dank cherseits gedeckelt waren, also in den Jahren zwischen In der Zeit der Beratungen der verfassungsgebenden Ver- 1922 und 1988. Etwa 665.000 Wohnungen in der Stadt ent- sammlung der Bundesrepublik Deutschland, dem Parla- standen zum Beispiel in der Nachkriegszeit zwischen 1949 mentarischen Rat in den Jahren 1948 und 1949, war die Mietendeckel und 1978, als sowohl im West- als auch im Ostteil Berlins Mietbegrenzungen galten. Nach der Freigabe der Mieten und der Wiedervereinigung wurden in einem annähernd staatliche Mietpreisbindung also ein nahezu selbstver- ständlicher Teil der Konstitution Deutschlands. Deshalb dürfte es auch nicht so einfach sein, dem Berliner Mieten- In Berlin haben staatlich festge- gleich langen Zeitraum nur etwa 205.000 neue Wohnun- deckel grundlegende Verstöße gegen die Landesverfassung gen gebaut (zwischen 1991 und dem Mikrozensus 2018). Berlins oder das Grundgesetz der Bundesrepublik nachzu- setzte Mietobergrenzen Tradition Die Behauptung, dass deregulierte Märkte mit »unsichtba- weisen. rer Hand« quasi automatisch Wohnungen schaffen, ist also In den 1950er Jahren galten staatlich regulierte Mieten eine neoliberale Legende. also auch in Westdeutschland. Erst in den 1960er Jahren Berlin ist Mieterstadt wie kaum eine andere auf der Welt: sollte sich das ändern: Im Jahr 1960 brachte das Kabinett Nur etwa jede sechste Wohnung wird bei uns von ihren »Reichsmietengesetz«: Mietpreisbindung für ganz unter Konrad Adenauer das »Gesetz über den Abbau der Eigentümern bewohnt. Damit ist das Land Berlin Spitzen- Deutschland Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- Ch. Eckelt reiter: in Gesamtdeutschland ist fast die Hälfte der Woh- und Wohnrecht« in den Bundestag ein. Darin wurden die nungen im Besitz ihrer Bewohner. Deutschland hat wie- Eine staatlich verordnete Mietpreisbindung galt in der Mieten für bis dahin preisgebundenen Wohnraum ab dem derum in der Europäischen Union die niedrigste »Wohnei- Weimarer Republik seit 1922, als das »Reichsmietengesetz« 1. Januar 1966 grundsätzlich freigegeben. gentumsquote«. Es gibt also kaum eine andere Metropole in Kraft trat. Darin wurden die Wohnungsmieten de facto auf dieser Welt, in der Mietenpolitik eine ähnliche Rolle auf den Stand der Vorkriegsmiete von 1914 eingefroren, sie »Schwarzer Kreis« im Westteil bis 1988 spielt wie bei uns. In den vergangenen 100 Jahren waren in durften damals nur um Zuschläge erhöht werden, die von stark gestiegenen Mieten beigetragen, die seit Mitte der Berlin staatlich verordnete Mietobegrenzen deshalb auch den Landesbehörden per Verordnung festgesetzt wurden. Tatsächlich verzögerte sich dies aber oft – in manchen 2010er Jahre bei dem Neuabschluss eines Mietvertrages zu eher die Regel als die Ausnahme. Der »Mietendeckel«, der Die maximale Miethöhe der allermeisten Wohnungen war Städten bis in die Mitte der 1970er Jahre und im Westteil entrichten sind. Aber auch die extremen Bodenwertsteige- seit diesem Jahr für den größten Teil des Berliner Bestan- also nicht mehr vom Kräftespiel des freien Marktes abhän- Berlins sogar bis zum Jahr 1988. Solange galt hier der rungen in der Stadt haben dieser Renaissance der Miet- des an Mietwohnungen gilt und der zuvor für heftige De- gig, sondern das Ergebnis von politischen Aushandlungen »Schwarze Kreis«, in dem die Mietobergrenzen für Altbau- preisregulierung den Boden bereitet: Warum soll die Stadt- batten gesorgt hatte, ist für die Stadt also eigentlich nichts auf Landesebene. Das Reichsmietengesetz wurde im Ver- ten aus der Zeit vor 1948 vom Senat regelmäßig neu ausge- politik auch tatenlos dabei zusehen, wie große Kapitalge- Besonderes. lauf der Weimarer Republik eher noch verschärft: Ange- handelt und festgesetzt wurden. Das war in der Bevölke- sellschaften, internationale Fonds und ein kleiner Teil der sichts der Weltwirtschaftskrise wurde z.B. im Jahr 1931 die rung sehr populär, auch bei sonst eher konservativen Wäh- Bevölkerung Jahr für Jahr immense Vermögensgewinne Wohnungsbau trotz Mietendeckel gesetzlich zulässige Miete per Notverordnung gesenkt. lerschichten: Im Wettlauf der Systeme wollte man sich in einstreichen, die letztlich von den Wählerinnen und Wäh- Und auch die Nazis dachten gar nicht daran, die Mietpreis- Westberlin lange Zeit offenbar keine Blöße geben, indem lern über die Miete finanziert werden? Gegen die staatliche Preisbindung für Wohnraum wird hef- bildung wieder den Kräften des Marktes zu überlassen. Sie man stark steigende Mieten riskierte, wie sie nach der Frei- tig polemisiert, zum Teil mit falschen Behauptungen. So verhängtem im Jahr 1936 sogar einen allgemeinen Miet- gabe etwa in München oder anderen westdeutschen Groß- Mieterstadt als Standortvorteil heißt es beispielsweise immer wieder, die staatliche Miet- preisstopp, obwohl in dieser Zeit die Weltwirtschaftskrise städten zu beobachten waren. Erst am Ende der 1980er preisbindung verhindere den so dringend erforderlichen längst überwunden war. Jahre traute sich der schwarz-gelbe Westberliner Senat die- Dazu kommt: Der Aufschwung, den Berlins Wirtschaft seit Wohnungsbau in der Hauptstadt, weil sie private Investo- Das Reichsmietengesetz war eine Reaktion auf die Woh- sen Schritt zu. Allerdings gab es starken Widerstand in der etwa 2010 verzeichnete, war sehr eindeutig auf »weiche« ren abschrecke. Dabei gilt der Mietendeckel ausdrücklich nungsnot, die sich nach dem ersten Weltkrieg in ganz Bevölkerung, rund 500.000 Unterschriften wurden gegen Standortfaktoren wie bezahlbare Mieten zurückzuführen. nur für Wohnungen, die bereits vor dem Jahr 2014 bezugs- Deutschland ausgebreitet hatte. Der Wohnungsneubau war den »Weißen Kreis« gesammelt, wie die Übergangsregeln Das macht die Stadt international attraktiv für junge, gut fertig waren: Neubauten aus späteren Jahren werden von im Krieg faktisch eingestellt worden. Nach dessen Ende genannt wurden. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Ja- ausgebildete Erwachsene, die hier, anders als in Metropo- ihm gar nicht erfasst. Wer heute in Berlin ein Mietshaus strömten Millionen Soldaten zurück in ihre Heimatorte, nuar 1989 ging für die damaligen Regierungsparteien je- len wie London, Paris, New York oder San Francisco, noch bauen will, wird also vom Mietendeckel in keiner Weise hinzu kamen Flüchtlinge: Kurz nach Kriegsende ging man denfalls krachend verloren – CDU und FDP büßten zusam- Wohnraum finden, der für Familiengründungen geeignet eingeschränkt. von einem Fehlbestand von reichsweit rund einer Million men mehr als 13% der Wählerstimmen ein. Die FDP flog ist. Deshalb ist Berlin ja für jene Firmen so interessant, die Zudem ist knapp zwei Drittel des Berliner Wohnungsbe- Wohnungen aus. In Berlin verschärften sich die Konflikte aus dem Parlament, die rechtspopulistischen »Republika- diese jungen Erwachsenen brauchen, um innovative Pro- standes in Zeiten entstanden, zu denen die Mieten staatli- vor allem in den nördlichen, proletarisch geprägten Stadt- ner« zogen stattdessen ein. Der letzte Westberliner Senat dukte zu entwickeln. Eine Mieterstadt wie Berlin bietet gebieten: hier gründeten sich etliche »Mieterräte«, die zu unter Walter Momper war rot-grün. Vorteile, die Städte, in denen Wohneigentum dominiert, Mietstreiks und zum Widerstand gegen Zwangsräumun- nicht haben: Man braucht kein riesiges Eigen- oder Famili- gen aufforderten. Diese Mieterräte polemisierten auch ge- Neoliberale Wende nach 1990 enkapital, um neue Hausstände gründen zu können. Man gen das geplante Reichsmietengesetz, das ihnen nicht weit ist flexibel und kann seine Wohnsituation seinen Le- genug ging: Auf einer Großkundgebung im Lustgarten im Nach der Wiedervereinigung der Stadt brachen dann aber bensumständen schnell anpassen. Es macht keine großen Februar 1921 riefen sie zum Mieterstreik gegen das Geset- auch in Berlin neoliberale Zeiten an: Staatlich regulierte Umstände, in Berlin mal ein paar Jahre zu arbeiten – aus zesvorhaben auf, der allerdings nach nur einem Monat Mieten standen jetzt für das System der DDR und ihre denen in diesem Lebensabschnitt schnell auch größere weitgehend in sich zusammenbrach. stark vernachlässigte Altbausubstanz. Und die rapiden Zeiträume werden. Und man findet als Berufseinsteiger Steigerungen der Mieten im gesamten Stadtgebiet konn- schnell ein Umfeld von Menschen mit ähnlichen Lebens- Nach dem Krieg: Mietendeckel unumstritten ten als unvermeidliche Begleiterscheinung einer »Norma- entwürfen. Das beschleunigt den Aufbau von Netzwerken, lisierung« der Verhältnisse Berlins abgetan werden. Dass die wiederum oft die eigentliche Grundlage für Innovatio- Das Reichsmietengesetz erwies sich trotz turbulenter Zei- es im Westteil gelungen war, mit Hilfe der »behutsamen nen darstellen und die Stadt für Unternehmensgründer so ten als sehr stabil und überstand, wie gesagt, auch den Stadterneuerung« in relativ kurzer Zeit einen Großteil der attraktiv macht: Als Mieterstadt scheint Berlin für das 21. Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Auch in Altbauten auch unter den Bedingungen einer staatlichen Jahrhundert also sehr gut gerüstet zu sein! cs der Nachkriegszeit blieben in ganz Deutschland die Regu- Mietpreisbindung zu sanieren, spielte in den wohnungs lierungen in Kraft. Angesichts der Wohnungsnot in den politischen Debatten kaum eine Rolle. Ch. Eckelt zerbombten Städten und der vielen Millionen Flüchtlinge Erst in jüngerer Zeit fanden sich in der Mieterstadt wieder stand unmittelbar nach dem Krieg bei keiner politischen politische Mehrheiten für stärkere mietenpolitische Ein- Partei eine Reform dieses Gesetzes auf der Tagesordnung. griffe wie den Mietendeckel. Dazu haben natürlich die
Sie können auch lesen