EIGENE REGELN UND PEGEL: ALKOHOL IN DER KULTUR - null41
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Unabhängige Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender Unabhängige Monatszeitschrift NO 3 März 2016 für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender CHF 8.– www.null41.ch NO 3 März 2016 CHF 8.– www.null41.ch ALKOHOL IN DER KULTUR EIGENE REGELN UND PEGEL: Schweiss: Der Moment vor der Show Seite 18 • Heiss: Kultur im Tropenhaus Seite 24
Pipilotti Rist, Video for Miklos Rozsa’s ‘Andante for Strings, Op. 22a’, 2015, Standbild Courtesy the artist, Hauser & Wirth and Luhring Augustine
E DI TOR I A L Hallo und Prost ... ...’s söu gäute! Ex! Und husch, husch – alles muss rasch. Inhaltsver- zeichnis, Titel, Bildlegenden, das Korrektorat ruft! Husch, husch – und zwischen Mac und Kaffeemaschine das Editorial. Ich freue mich ausserordentlich, Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an dieser Stelle begrüssen zu dürfen. Neu hier, aber nicht so sehr. War ich doch zwischen 2010 und 2013 redaktioneller Mitarbeiter des Magazins. Jetzt also zurück mit neuem Posten und ich sehe, dass vieles anders werden, einiges gleich bleiben kann. Eines verspreche ich: Langweilig wird’s nicht. «Mein Leben ist wie eine Bar / wo die Gestalten grimmig hocken», singt Hösli (1965–2007) auf dem Album «Blau». Es lief auf Endlos- schleife, während wir unsere Alkohol-Nummer zusammenstellten: Christine Weber geht der Frage nach, ob und warum (Zentralschwei- zer) Kulturschaffende immer so viel trinken müssen (Notbier!). Urs Hangartner begibt sich auf Spurenlese zum übermässigen Trinken in Literatur und Pop. Und stösst auf eine interessante Statistik: Bei den amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgern beträgt der Alko- holikeranteil über 70 Prozent. Wobei natürlich stets eine Devise galt, die auch der grosse Connaisseur von Eierlikören, Udo Lindenberg, kennt: «Natürlich können Drogen die künstlerische Arbeit befeuern, das weiss man von Goethe, Freud, Bukowski und vielen anderen. Aber die haben eben auch die Regel befolgt: Im Rausch schreiben, nüchtern gegenlesen.» Dass der Alkohol auch unlustige bis tragische Folgen haben kann, zeigt Philippe Weizenegger in seinem Text über die «Kartoffelschnapspest», die im 19. Jahrhundert grassierte und den Weg für die Abstinenzbewegung ebnete. Sam Pirelli leidet in seiner «Ode an das Saufen» unter einem grauslichen Kater, von dem ein sogenanntes «Stützbier» Linderung zu verschaffen verspricht. Gut, ’s war ja Fasnacht. Dahin begaben sich auch die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen am Rüüdige Samschtig für ihren ful- minanten Auftakt der neuen Kolumne «Doppelter Fokus». Jeden Monat werden sie einen Anlass in der Zentralschweiz besuchen, an den sich «041 – Das Kulturmagazin» garantiert nicht verirren würde, und stellen ihre verschiedenen Blicke darauf einander gegenüber. Ein weiterer fotografischer Höhepunkt im Heft ist die Arbeit von Michael Fehr, Autor. Bild: Christof Schürpf Christof Schürpf: Für uns hat er Künstlerinnen und Künstler vor ihrem Auftritt porträtiert. In kurzen Texten und grossen Bildern stellt er sie uns vor – und zeigt, wie das alle anders handeln mit dem altbekannten «Lampenfieber». Und jetzt ... Showtime! Vorhang auf, Bühne frei für die März-Ausgabe! Ivan Schnyder schnyder@kulturmagazin.ch 3
INHALT S C H Ö N G E S AG T «Mutter sagt noch heute: War doch 24 GITARREN HINTER GLAS Das Winterfestival rockt das Tropenhaus alles nicht so schlimm / Doch ich weiss 26 LUZERN POPT Ein Lexikon arbeitet die hiesige Bandge- ganz genau, warum ich Alkoholiker schichte auf geworden bin.» 26 ADIEU ALTERNATIVKULTUR Im Gewerbegebäude zieht Langeweile ein HÖSLI & RICARDO – WARUM ICH ALKOHOLIKER GEWORDEN BIN KOLUMNEN 6 Doppelter Fokus: Rüüdige Samschtig 8 Rolla rapportiert: Chorsingen für Schauspieler 9 Lechts und Rinks: Wir waren das Volk 28 Gefundenes Fressen: Bärlauch 48 041 – Das Freundebuch: Dominic Deville 74 Käptn Steffis Rätsel 75 Stille Post: Geheimnis Nr. 49 SERVICE 30 Kunst. Hochverdiente Kulturpreisträger: die Guts 35 Musik. Der junge Klassiker Joseph Sieber 37 Kino. Argentinische Brutalität 41 Bühne. Postmigrantisches Theater 43 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz 44 Wort. Heinz Stalders «Bärenlieder» 47 Bau. Die neue Augenklinik 73 Namen, Ausschreibungen, Notizen 10 SPURENLESE KULTURKALENDER DES SAUFENS 49 51 Kinderkulturkalender Veranstaltungen Von befruchteter 67 Ausstellungen Kultur und zerstör- Titelbild: Christof Schürpf Vor dem Auftritt: Salome Martins, Tänzerin ten Existenzen 27 UNENDLICHE GESCHICHTE Bestandesaufnahme in Sachen Salle Modulable 50 Kleintheater 52 Stattkino / HSLU Musik 56 LSO / Luzerner Theater 58 Südpol / Neubad 60 Kulturlandschaft 62 Romerohaus 66 Kunstmuseum Luzern 68 Historisches Museum / Natur-Museum Bilder: zvg 70 Museum Bellpark / Kunsthalle 72 Nidwaldner Museum 4
AU F G E L I S T E T G U T E N T AG Eine Playlist, nach der man GUTEN TAG, THOMAS BORNHAUSER GUTEN TAG, ÜBEREIFRIGE bestimmt besoffen ist ... Hicks! Jetzt musst du also nach 20 Jahren Schreibtisch, Mit dem Gewerbegebäude an der Tribschenstrasse 1. John Lee Hooker – One Bourbon, One Sessel und Büro räumen. Denn das Mutterhaus wird 2017 einer der letzten alternativ-kulturellen Scotch, One Beer «NZZ» führt die «Luzerner Zeitung» und das «St. Freiräume Luzerns gegen Gentrifizierung und 2. Herbert Grönemeyer – Alkohol Galler Tagblatt» näher zusammen. Die beiden eine Menge Money-Money-Money eingetauscht. 3. Gogol Bordello – Alcohol Presseerzeugnisse werden neu von Zürich aus di- J. A.* von «Zentralplus» war zur Stelle und schrieb 4. The Kinks – Alcohol rigiert. Was lasen und hörten wir während deiner dazu am 28. Januar einen Artikel. J. F.*, ehemalige 5. Dr. Feelgood – Milk & Alcohol Zeit als Chefredaktor nicht alles: «Terrorregime», ZIN-Redaktionsleiterin, hatte ihr diesbezügliche 6. Johnny Bond – Ten Little Bottles «Es herrscht ein Klima von Angst und Schrecken», Informationen gesteckt. Das Problem: Vieles war «Bekanntlich hat Bornhauser die Redaktion nach Mutmassung, einiges stimmte hinten und vorne 7. Les Rita Mitsouko – Nuit d’Ivresse dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche geführt, nicht. Ist ja auch nicht so wichtig, Hauptsache, 8. Shane McGowan & the Popes – That wobei ihm die Peitsche deutlich lieber war». Mit Zentral Klick plus, gell? Bei Radio 3fach liess Woman’s Got Me Drinking deiner «NLZ» gings derweil steil bergab. Sie war Alpineum-Co-Betreiber und Verein-Tamilen- 9. Tom Waits – Warm Beer & Cold Women zwar die einzige Tageszeitung in der Region, man schule-Kassier(er) S. Z.* verlauten, er bedauere 10. Against Me! – Pints of Guinness Make fand aber keine einzige Person, die gesagt hätte: den Entscheid der CSS-Versicherung, «weil es You Strong «Moll, das ist eine gute Zeitung.» Irgendwann einer der letzten industriellen (?) Räume war», er 11. Piero Ciampi – Il Vino war sie vor allem für die Rubrik «Perlen des Lo- könne sich aber auch eine «Lagerraumnutzung» 12. UB40 – Red Red Wine kaljournalismus» relevant. Was wir vermissten: vorstellen. Ah, das ist doch mal ein wahrer Frei- eine echte (politische) Auseinandersetzung. Ein raumskämpfer. S. Z. liebt die Kultur, die Kultur 13. EAV – Der Wein von Mykonos Interesse für Hintergründe statt für Fassaden. Auch liebt ihn und er liebt vor allem sich selber. Und 14. Eric Burdon – Spill The Wine jedes Wort über Kultur schien für deiner Zeitung was macht die CSS? Sie mag den Medienrum- 15. Katharina & The Waves – Red Wine And eines zu viel zu sein. Was wir mit deinem Abgang mel gar nicht und lässt mögliche Verlängerungs- Whiskey vermissen werden: dein «Wort zum Sonntag», diskussionen im Keim ersticken. Wie man nun 16. Mike Hurley – Whiskey Willey wo wir erfahren durften, was du unter der Wo- vermutet, wäre die CSS vor diesem Zirkus der 17. The Pogues – Streams Of Whiskey che so getrieben und wen du getroffen hast und Luzerner «Helden» durchaus für Diskussionen 18. Züri West – Mojito was diese Personen dir erzählt haben. Immerhin bereit gewesen. Hier war vorschnelle Berichter- können wir lesen, dass du weiter als Journalist stattung und Rampensaugehabe wohl nicht die 19. The Champs – Tequila für die «Neue Luzerner Zeitung» arbeiten wirst – allergescheiteste Idee … 20. Kanye West – Hold My Liquor obwohl du ausser deinem «Wort zum Sonntag» (Ft. Chief Keef) nie viel geschrieben hast. Bornhauser, der neue Bad news is bad news, 041 – Das Kulturmagazin 21. Ramones – Somebody Put Something Feldwaldwiesen-Reporter des Blattes? Im Winter In My Drink Lawinenmeldungen, im Sommer Pollenberichte? *Namen der Redaktion bekannt 22. Hösli & Ricardo – Mein Leben ist wie eine Bar Auf Wiederlesen, 041 – Das Kulturmagazin 23. Hösli & Ricardo – Blau Edelbrände aus Rothenburg amstutz-manufaktur.ch amstutz ist eine Marke von GOD SAVE THE GIN! DESTILLERIE HH HALDI HOF ANZEIGEN GIN UND MEHR: HALDI HOF DESTILLERIE, WEGGIS, WWW.HALDIHOF.CH 5
D O P P E LT E R F O K U S Patrick Blank, Rüüdige Samschtig 2016, Chornmärt, Luzern Die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen zeigen zwei Blicke auf einen Zentralschweizer Anlass, den «041 – Das Kulturmagazin» nicht besuchen würde. 6
ROLLA RAPPORTIERT WAS: Chorsingen für Schauspieler WANN: Mittwoch, 10.2., 20 Uhr WO: Zofingen, Musikschule, Singzimmer von Rudolf Moser Rudolf Moser klatscht in die Hände. «Das war schon Chorsänger völlig verludert. Ständig hören Sie einen von sehr schön, meine Herren! Lucas, achten Sie am Ende denen heraus! Zu bedeutungsvoll, zu ausdrucksstark, zu der Atembögen auf Ihre Stütze. Sie werden da gerne ein gestaltet. Man kann’s ihnen nicht verübeln, das ist die bisschen zu tief.» Lucas nickt. «Sie wissen noch, was Stütze déformation professionelle, aber der Team-Gedanke, das bedeutet?» Lucas nickt wieder, folgsam wie ein Schaf – er, Chorische an sich geht ihnen halt ab.» der am Theater Biel-Solothurn als Bühnenberserker bekannt ist, vom Publikum geliebt, von der Requisite Aus diesem Grund werden Mosers Kurse sowohl vom gehasst, weil er im Wahn des Deklamierens ständig Stühle ACT als auch von der Gewerkschaft der fest angestellten beschädigt. Schauspielenden empfohlen. Böse Zungen behaupten, auch die AGRP, die Arbeitsgruppe regieführender Personen, Acht Berufsschauspieler stehen im Halbkreis und üben unterstütze die Kurse, weil Schauspieler so gefügiger, das Chorsingen. Die Sänger sind ein bisschen zappelig, formbarer würden. Moser lächelt. «Ich hab das auch denn heute soll es zu leichten Kanons und einfachem schon gehört, und aus dem Standpunkt eines Regisseurs Terzgesang kommen; bislang stand Einstimmigkeit auf kann ich das nachvollziehen. Aber es ist eine infame dem Programm. Einstimmigkeit? Geringschätzung des Chorsingens. Nichts stärkt das Selbst so sehr wie Gemeinschaftlichkeit!» Moser schmunzelt. «Einstimmigkeit ist das Aller- schwerste. Ich mag jetzt schmunzeln, aber es ist wahr! Nun wird «Hejo, spann den Wagen an» gesungen. Sehen Sie, der gemeine, also der ungeschulte Sänger Lucas, Jordan und Peter sollen anfangen, aber schon singt, sofern er sich denn traut, ja einfach mal drauflos, beim Einatmen unterbricht Moser. «Meine Herren. Wenn und dann gerne unscharf intonierend, er überlässt die Sie auf der eins anfangen sollen, dann können Sie doch Auswahl der richtigen Töne quasi meinem Chorleiterohr; nicht erst bei viereinhalb schnappatmen! Rechtzeitiges und wenn er sich, wie die meisten Menschen, nicht traut, Einatmen ist überlebenswichtig. Das kennen Sie doch dann brummt er ein bisschen vor sich hin, und dies bestimmt von Ihren Monologen her. Also, ich zähle auf tendenziell zu tief. Wirklich sauber singt eigentlich kaum vier, und Sie atmen bei drei, ja?» einer beim ersten Mal. Und das ist auch gar nicht schlimm! Heutzutage freut man sich ja über jeden, der überhaupt Er zählt auf vier, die Schauspieler atmen bei drei, und noch zu singen gewillt ist. Es wird ja kaum noch gesungen! der Kanon gelingt vortrefflich. «Na, sehen Sie. Alles ist Als mein Vater jung war, da hat man in der Beiz noch Atem!» gesungen: Lumpenlieder, Scherzgesänge, auch ein schöner Schubert war da mal dabei! Heute gibt’s das alles nicht «Gleichschaltung? Mag sein. Musik ist nicht demo- mehr, es herrscht Dauerbeschallung, Radio Pilatus oder kratisch. Aber beim Werkstattkonzert kriegt dann jeder Gitarrenmusik. Aber ich schweife ab.» ein Solo. Zur Belohnung für die Subordination im Kurs, wenn Sie so wollen. Ausserdem», er hüstelt, «sind es Er senkt die Stimme. «Bei diesen flotten Herrschaften Schauspieler. Die müssen Sie ja irgendwie bei der Stange hier handelt es sich um eine spezielle Klientel. Ausgebildete halten. Und mit der Aussicht auf ein Solo gelingt das Stimmen, ein gewisses musisches Gespür, aber ganz auf recht gut.» Ausdruck und Schreienkönnen ausgerichtet. Schauspie- Christov Rolla besucht jeden Monat eine Veranstaltung, die in kei- ler eben. Also alles potenzielle Solisten. Und darum als nem Veranstaltungskalender erwähnt wird. 8
LECHTS UND RINKS Wir waren das Volk Reichen Durchsetzungsinitiativen aus, damit die Schweiz den Besitzstand wahren kann? Am Tag, an dem dieses Heft mit diesem Text erscheint, steht der Abstimmungssonntag unmittelbar bevor. Und trotzdem und darum handelt dieser Text nicht von der Durchset- zungsinitiative und auch nicht von der zweiten Gotthardröhre oder, Gott verhüte!, sogar von der sogenannten Heiratsstrafe. Sondern von dem, wovon diese Abstimmungen einmal mehr nicht handeln, nämlich von der Zukunft. Die Durchsetzungsinitiative ist nur das neueste Beispiel für das schon lange bestehen- de Projekt, in der Schweiz ein ausländerfeind- liches Klima zu festigen. Ein Klima, das keinen einzigen Kriegsflüchtling davon abhalten wird, hierherzukommen. Sehr wohl aber den klugen, kreativen Unternehmer, der nach dem besten, offensten Umfeld sucht, um seine Ideen zu verwirklichen. Und was den Gotthard betrifft: Hier wurde die Bevölkerung an die Urne bemüht, um über die Verlochung von 2,8 Milliarden Franken in einen Verkehrsträger aus Beton und Asphalt zu bestimmen, den es nicht braucht. Woran wir also mit Eifer mitwirken, das ist eine Politik des 20. Jahrhunderts. Es ist eine Politik der Besitzstandwahrung in einer Ära, in aus, betreibt Heimatschutz an Armee und en, in Netzwerke, in die Bereitstellung von der es keinen Besitzstand mehr gibt. Die Digi- Bauernstand und sie senkt die Steuern für Risikokapital und vor allem in die Bildung. talisierung löst den Mittelstand – as we know alle, die noch Arbeitsplätze anbieten. Es ist it – auf, weil es für Anwälte, Ärzte, Banker, eine kurzfristig wirksame Politik, da sie den Wie wir alle wissen, passiert das Gegenteil. Versicherer oder Fahrlehrer schon in wenigen privilegierten Schweizerinnen und Schweizern Klugen Köpfen aus aller Welt wird signalisiert, Jahren so gut wie keine Arbeit mehr geben ein bisschen Aufschub verspricht. Es ist eine dass sie hier nicht willkommen sind. Neue wird. Sie wird die Industrie- und Bauarbeiter, jämmerliche Politik der Krisengewinnler. Technologien werden ausgebremst, etwa aber auch die Detailhandelsangestellten ihren durch die Rücknahme der Energiewende, wie Job kosten, weil die Leute ihre Gartenmöbel, Aber eben, sie ist das Gegenteil der Zukunft. sie sich jetzt abzeichnet. Und der Bildungs- Laufschuhe und Einfamilienhäuser zu Hause Die Ausländerinitiativen der SVP isolieren die abbau ist auf allen Stufen – Bund, Kantone, am 3-D-Drucker ausdrucken werden. 48 Pro- Schweiz, so fliegt das Land beispielsweise Gemeinden – eine tragische Realität. Das zent der Jobs in der Schweiz gehen verloren, aus den Forschungsprogrammen der EU. ist noch nicht einmal Sparpolitik. Das ist sagt die Beraterfirma Deloitte. Die Wirtschaft der Zukunft aber ist eine der die dümmste Umverteilungspolitik, die man smarten Ideen und des Know-hows, denn sich denken kann – von der Zukunft auf die Das ist der Erfolg der SVP: Sie verspricht diese sind nicht durch Algorithmen ersetzbar. Vergangenheit. Schön, dass wir uns daran einem Mittelstand, der seinen Untergang ahnt, Wer den Besitzstand wenigstens zum Teil direktdemokratisch beteiligen dürfen, als ein paar zusätzliche privilegierte Jahre. Und bewahren, wer also die alten Industrien und Trachtenverein in der Weltgeschichte. es ist nicht so, dass ihr Programm nicht dafür Dienstleister erfolgreich ablösen will, der nicht taugt: Diese Partei sperrt Ausländer muss hier investieren: in neue Technologi- Text: Christoph Fellmann, Illustration: Raphael Muntwyler 9
A L K U N D K U LT U R Ist Alkohol als Schmiermittel der Zentral- schweizer Kulturszene Mythos oder Tatsache? Ein Augenschein zeigt: weder noch. Von Christine Weber, *Anagramm von Heini Gut D ie Korken knallen, der Wein fliesst, das Le- ben rauscht. An jeder Vernissage stehen die Gläser in Reih und Glied, der Orangensaft führt ein marginales Dasein, die belegten Brötchen dienen höchstens als Rutschbahn für das Flüssige. Vor, während und nach dem Konzert, Theater oder der Buchvernissage holt man sich Bier, einen Cocktail «Luzern ist überschwemmt von Alkohol. Warum oder anderen Alk an der Bar, steht damit cool herum, sollte das ausgerechnet in der Kulturszene anders und wenn es spät genug ist, wird daraus auch mal ein sein?», sagt der Mann hinter der Theke einer Bar, Torkeltorkel. Die Stimmung ist angenehm und locker. in der auch viele Kreative unterwegs sind. Alkohol Die Zungen sind gelöst, die Diskussionen eröffnet ist ein Zungenlöser. Mit steigendem Pegel verändern und der Empathiepegel für das gerade Gesehene oder sich die Leute, schaukeln sich gegenseitig hinauf, Gehörte steigt oder fällt und verschafft sich lauthals Form und Distanz lösen sich auf. «Das gilt für alle Bilder: Pablo Haller Gehör. So ist das im Kulturleben, das gehört dazu, Trinkenden. Die Kreativen sind als Betrunkene viel- daran ist das Publikum gewöhnt und darauf legt es leicht manchmal überraschender, witziger als andere fast immer wert. Leute. Ein Erdnüsschen ist da plötzlich Auslöser für 10
A L K U N D K U LT U R eine schräge Aktion. Das kann sehr kreativ, aber auch sehr lästig sein.» Dass an solchen Orten dann aufgedrehte Künstlerinnen oder schwadronierende «Alkohol ist nicht die Antwort. Hilft aber, Musiker anzutreffen sind, sollte jedoch nicht zu die Frage nicht so ernst zu nehmen.» falschen Schlüssen führen: Hier hängt man nach getaner Arbeit herum und da lassen es (auch) die Klaus Klages Kreativen gerne mal krachen. Die öffentlichen Kulturanlässe finden meist nach Feierabend statt, da ist eine kleine Auflockerung an der Tages- beziehungsweise Abendordnung. Wer Etwas lockerer sieht es die Textilkünstlerin. Sie ist eben dabei, in präziser Fleissarbeit mit feinem Faden ein Bild zu verweben. Das geht natürlich nur nüchtern, sonst muss ich am nächsten Tag die Hälfte wieder auftrennen, was sehr ärgerlich wäre», lacht «Viele, die vernünftig sind, müssen sich betrinken. sie. Aber ansonsten hat sie nichts gegen ein Gläschen Das Beste im Leben ist nichts als Rausch.» zur Inspiration. Sie braucht dazu auch nicht immer Lord Byron Gesellschaft. «Alkohol hat für mich bis zu einem bestimmten Pegel durchaus eine anregende Wir- kung. Ein kleiner Rausch kann mich schon mal auf dann noch persönlich bis spätnachts mit Künstlern andere Ideen bringen, die ansonsten trocken liegen. oder Musikerinnen diskutiert und anstösst, behält Die Umsetzung funktioniert zwar nicht immer so, das doppelt in Erinnerung – es sei denn, er oder sie wie das in der Euphorie gedacht gewesen wäre. Als trinke bis zum Filmriss. Solche Gepflogenheiten Erfahrung gehören für mich solche Schnapsideen prägen die Wahrnehmung, dass Künstlerinnen und jedoch dazu, und sie stehen meiner Kreativität nicht Künstler quer durch alle Sparten selber gerne zum im Weg», sagt sie. Auch der Jazzmusiker hat nichts Glas greifen, ja sich davon inspirieren lassen und gegen Schnapsideen. Sie entstehen nicht selten nach auch während ihres Schaffens kräftig zuschlagen: Der einem Gig, beim lockeren Abhängen mit den anderen Dichter mit der Flasche Whisky im stillen Kämmerlein, Bandmitgliedern. «Natürlich ginge das Konzert- und die Künstlerin mit dem Pinsel in der einen und dem Nachtleben auch ohne Alkohol – aber es wäre einfach Cüpli in der anderen Hand, der Rock’n’Roller mit der viel langweiliger. Der mehr oder weniger kleine Bierflasche auf der Bühne oder im Übungsraum – sie Rausch gehört zur Stimmung, und daraus kann auch alle brauchen das berauschende Gebräu als Fluidum, mal was wirklich Verrücktes entstehen» , sagt er. Die als Inspiration, als Anreiz! Doch die Realität ist an- Konzertsituation sei ohnehin eine ganz andere als ders: Während der konkreten Arbeit wird kaum das stundenlange Üben alleine im Proberaum: Mit getrunken, im Gegenteil. Die von mir ausgehorchten Alk im Hirn würde das nicht funktionieren. «Doch Kulturschaffenden erweisen sich als fast enttäuschend nach einem Konzertauftritt gehört das Trinken für zahm. Exzesse auf der Bühne? Wo denkst du hin! mich zur Entspannung. Je nach Ort oder Situation Einsame Abstürze im Schreibzimmer? Auf keinen kann das schon mal wild werden, und das ist auch Fall! Rotwein-Gelage im Kunstatelier? Ach was!, gut so: On the road und Enthaltsamkeit passen für so tönt es. Aber das entspricht – mit Ausnahmen – mich schlicht nicht zusammen. Aber das ist natürlich wohl tatsächlich dem Alltag: Zwar wird Alkohol für alle wieder anders.» von Kreativen durchaus als Schmiermittel für das Produzieren des Rohstoffs gebraucht – der Feinschliff jedoch passiert in harter, oft einsamer Arbeit. Und nüchtern. «Dem Alkohol als Inspirationsgeber traue «An einem Rausch ist das Schönste ich überhaupt nicht. Die hole ich mir vielmehr über der Augenblick, in dem er anfängt.» Beobachtungen im Alltag, die ich dann als einsa- mer Gestalter im Atelier umsetze. Dazu etwas zu Claude Tillier trinken, würde mir gar nicht einfallen», sagt der bildende Künstler. Das Bier danach darf gerne sein, Tatsächlich lässt sich zum Thema Alkohol auch im aber das gehört für ihn zur Entspannung oder zum Rock’n’Roll nichts verallgemeinern: Jede und jeder gesellschaftlichen Teil und nicht zur Kunst. «Kreativ hat seine eigenen Gepflogen- und Gewohnheiten. Es sein mit einer Kanone? Nein. Dazu gehört schon gibt nur eine allgemeingültige Regel: Auf der Bühne etwas mehr!» muss man parat sein! Da setzen schon die physischen Voraussetzungen Grenzen – mit zu hohem Pegel 11
A L K U N D K U LT U R verliert die Saxofonistin die Muskelkraft, der Schlag- zeuger das Tempogefühl und die Sängerin verpasst den Tonsprung. Zudem gilt heute das wilde Leben nicht mehr als schick. Das hat der verstorbene Filmemacher Peter Liechti im «Tages-Anzeiger» so auf den Punkt gebracht: «Wir sind die Künstlergeneration, die noch an Lungenkrebs und Leberzirrhose zugrunde geht. Wir sind ein äusserst sentimentaler Jahrgang, und wir leben dadurch weniger lang als unsere jungen, eher vernunftorientierten Kolleginnen und Kollegen.» Auch andere bestätigen diese Wahrnehmung: «Ich glaube, dass die jungen Musikerinnen und Musiker einen anderen Umgang mit Alkohol haben: Die peppen sich vor dem Konzert eher mit einem Grüntee auf als mit Alkohol oder anderen Mixturen, wie das bei den ‹alten Kriegern› gang und gäbe war – und die haben einem so oder so ihre fantastischen Sounds um die Ohren gehauen», sagt ein weiterer Musiker, der irgendwo zwischen den Generationen steckt. Er selbst hat für sich einen Mittelweg gefunden, der gut funktioniert: vor dem Auftritt ein gutes Glas Whisky. «Beim Spielen komme ich sowieso in einen totalen Rausch, da fahre ich richtig ab. Der Whisky spickt mich sozusagen von der Abschussrampe.» ausgerechnet Kulturschaffende gefährdeter sind, von hier nach da zu kippen, kann sie nicht abschätzen. «Grundsätzlich ist meine Erfahrung jedoch, dass «Eine Kultur, in der Alkohol verboten ist, Kreative klar zwischen vorher und nachher, zwischen Arbeit und Feierabend unterscheiden.» hat es ebenso schwer, geistreich zu sein, wie eine Kultur, in der Alkohol eine zu grosse Rolle spielt.» «Realität ist eine Illusion, die durch Gregor Brand Mangel an Alkohol entsteht.» Irisches Sprichwort Zum Alltag gehört das Flüssige auch für all jene, Endlich treffen wir dann doch noch eine Schrift- die zwar selbst nicht Künstlerin oder Künstler sind, stellerin, die dem Klischee entspricht und unumwun- aber in diesem Bereich organisatorisch tätig sind: den zugibt: «Bei einem Schreibstau greife ich nicht Sei es als Veranstalter, als Kulturmanagerin oder als zu einem Glas Rotwein, sondern zu einer Flasche. Galeriebetreiber. An Vernissagen, Veranstaltungen, Und je nach Verzweiflungsgrad ist die dann auch nach konstruktiven Sitzungen oder an Festen und ganz schnell leer.» Wortwörtlich nüchtern betrachtet Feiern – da werden fast immer entsprechende Geträn- sieht sie das selber nicht als Inspiration, sondern als ke konsumiert. «Grundsätzlich treffen sich an diesen pures Gegenteil: «Ich greife ja zur Flasche, weil mir atmosphärischen Orten ja Gleichgesinnte. Man fühlt die Idee fehlt. Nach den ersten ein bis zwei Gläsern sich wohl und verweilt zusammen noch bei einem kommt zwar die Euphorie, nach weiteren Gläsern Glas Wein. Für mich ist das auch ein Ritual, um einen aber die Ernüchterung: Nachhaltig kreatives Schaffen schönen Abend in aller Ruhe ausklingen zu lassen, bei Trunkenheit ist ein Trugschluss – so geschriebene bevor es wieder zurück in den eigenen Winkel geht», Sachen landen fast immer in der Schublade oder direkt sagt eine langjährige Kulturtäterin. Eine komplett im Papierkorb.» nüchterne (Kultur-)Gesellschaft, wie es sie andernorts Manche Kulturschaffende nutzen Alkohol also gibt, mag sie sich gar nicht vorstellen. «Das Glas Wein durchaus, um ihre Kreativität anzukurbeln, andere gehört für mich zum gesellschaftlichen Teil, damit aber nicht. Die Kunst ist es, eigene Regeln und Pegel pflegt man auch etwas Schönes, und das inspiriert aufzustellen und den Punkt zu setzen, bevor die In- mich», sagt sie und betont, dass Genuss und Sucht spiration in Ernüchterung kippt. zwei ganz unterschiedliche paar Schuhe sind. Ob 12
A L K U N D K U LT U R Wie der Alkohol als inspirierende und zerstörerische Kraft in Literatur und Pop vor- und wegkommt: eine kleine Spurenlese mit nicht ganz zufällig ge- wählten Beispielen zum meist übermässigen Trinken. Von Urs Hangartner «Gebt mir ein Meer voll Alkohol» Pförtner: Mein’ Seel’, Herr, wir zechten, bis der zweite Hahn krähte; und der Trunk ist ein grosser Beförderer von drei Dingen. Macduff: Was sind denn das für drei Dinge, die der Trunk vorzüglich befördert? Pförtner: Ei, Herr, rote Nasen, Schlaf und Urin. Buhlerei befördert und dämpft er zugleich; er befördert das Verlangen und dämpft das Tun. William Shakespeare, «Macbeth», II, 2 W er hat nicht alles im Übermass gebechert. Nennen wir ein paar Namen aus der Lite- ratur-Liga, in alphabetischer Reihenfolge: Ingeborg Bachmann, Charles Bukowski, Friedrich Dürrenmatt, Günter Bruno Fuchs, Graham Greene, Et même si la vie est pleine de promesses Alfred Jarry, Benedikt Jerofejew, Uwe Johnson, James Qu’importe le flacon pourvu qu’on ait Joyce, Irmgard Keun, Flann O’Brien, Dorothy Parker, Harry Rowohlt, Françoise Sagan, Werner Schwab, l’ivresse Dylan Thomas, Evelyn Waugh. Guido Bachmann, Les Négresses Vertes, «Ivresse», 1994 1940 in Luzern geboren, am 19. Oktober 2003 ge- storben in St. Gallen, Diagnose Leberzirrhose, kannte Man muss freilich unterscheiden: Leben und in seinen Texten das Leitmotiv des alkoholischen Werk, den erzählenden Autor nicht voreilig mit lite- Exzesses. Max Frisch schrieb 1956 in «Vom Umgang rarischen Protagonisten verwechseln. Dann nämlich, mit dem Einfall»: «Nicht dass ich mir Dumpfheit wenn es sich um Rollenprosa handelt beziehungsweise wünschte! Im Gegenteil: Es hilft nicht, betrunken um ein lyrisches Ich, das handelt oder spricht. Die zu sein; es ist lustig, zuweilen unerlässlich als Ent- anderen Fälle sind jene von «Deckungsgleichheit» von spannung, doch glaube ich immer weniger, dass Autor und Protagonist: Selbst Erlebtes und Erlittenes es dem Künstler hilft, dumm zu sein, sei es dumm in Sachen Alkohol wird literarischer Stoff, geformt durch Alkohol oder dumm von Natur.» in Romanen, Bekenntnishaftes ist in Autobiografien gestaltet. Vier berühmte Namen und ihre Beispiele Im Roman «Rohstoff» (1984) des deutschen Beat- von Alkoholliteratur wären Jack London (1876–1916), Autors Jörg Fauser (1944–1987) steht der Satz: «Durst «König Alkohol» (1913); Joseph Roth (1894–1939), war ja auch nur ein Synonym für Leben.» In einem «Die Legende vom heiligen Trinker» (1939, postum); Interview befragt dazu, was Alkohol und Drogen mit Hans Fallada (1893–1947), «Der Trinker (1950, pos- seinem Schreiben zu tun hätten, antwortet Fauser, tum); Malcolm Lowry (1909–1957), «Unter dem dass sie eine Sehnsucht nach Leben symbolisierten, Vulkan» (1947). Alkoholikerleben und literarisches aber auch eine Sehnsucht nach dem Tod. An seinem Schaffen gingen gleichsam in eins bei Joseph Roth, der 43. Geburtstag wird Fauser, nach Hause unterwegs nicht nur «täglich eine beträchtliche Menge Alkohol vom Feiern, auf der Autobahn von einem Lastwagen konsumiert, sondern auch etwa achtzig Zigaretten überfahren. pro Tag raucht» (Roth-Biograf David Bronsen). Roths 13
A L K U N D K U LT U R «Ausrede» für sein Trinken: «Machen Sie sich bitte um mein Trinken gar keine Sorgen. Es konserviert mich viel eher, als dass es mich ruiniert. Ich will damit sagen, dass der Alkohol zwar das Leben verkürzt, aber den unmittelbaren Tod verhindert. Und es handelt sich für mich darum: Nicht das Leben zu verlängern, sondern den unmittelbaren Tod zu verhindern. Ich kann nicht auf Jahre hinaus rechnen. Ich versetze gewissermassen die letzten 20 Jahre meines Lebens beim Alkohol, weil ich noch 7 oder 14 Tage Leben mir gewinnen muss.» Is it my imagination Or have I finally found something worth living for? I was looking for some action But all I found was cigarettes and alcohol Oasis, «Cigarettes & Alcohol», 1994 Wasserglas Rotwein abzuhelfen, er ahnt, dass der Promillegehalt zu schnell abgesackt ist, und träumt von dem Tag, an dem er eine Apparatur anschaffen kann, um den Pegel zu kontrollieren und Kurven zu zeichnen. Er liebt es, allein zu trinken, will nicht zusammen mit anderen trinken, er will versinken und träumen, gern von Büchern, die er fast ganz sicher schreiben wird.» In seinem autobiografischen Romanzyklus «Mein Kampf» (2009–2011) wird beim gerade angesagten Und es gab einen sogenannten Himmel. Norweger Karl Ove Knausgård Alkohol immer wieder Das hielt aber die Menschen nicht ab, Thema: «Der Alkohol hatte mich nicht elektrisiert, wie ungeheuer viel Alkohol zu trinken. er es meistens tat, nicht in diese Stimmung versetzt, in der alles gut war und nichts mich an etwas hin- Aldous Huxley, «Schöne neue Welt», 1932 dern konnte, sondern in den Brunnen meines Geists sinken lassen, aus dem mich nichts von dem, was ich Ein brillantes und, um im Bild zu bleiben: süffig in mir barg, befreien konnte. Es passierte nur eins, verfasstes Buch über Alkohol und Literatur stammt alles wurde immer vager und verschwommener.» vom US-amerikanischen Psychiater und Anglisten («Lieben») «Wie immer gab mir der Alkohol ein starkes Donald W. Goodwin. Er beleuchtet in «Alkohol & Gefühl von Freiheit und Glück, er hob mich auf eine Autor» (Original 1988) Zusammenhänge zwischen Welle, auf der alles gut war, und damit es niemals Rausch und Kunst und bietet zugleich eine Geschichte endete – meine einzige wirkliche Furcht –, musste der amerikanischen Literatur von 1920 bis 1960 ich weitertrinken.» («Leben») «Dann aber spürte unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt; er ich selbst die Wirkung des Alkohols, die Gedanken geht nämlich von einer Hypothese aus, die besagt, wurden sanfter, das Bewusstsein offener.» («Sterben») «dass berühmte amerikanische Schriftsteller aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ei- Der grosse schwedische Autor Per Olov Enquist ne ungewöhnliche Anfälligkeit für eine Krankheit schreibt in seinem autobiografischen Buch «Ein bewiesen, die man landläufig Alkoholismus nennt». anderes Leben» (2008): «Wenn er betrunken ist, Statistisch interessant: Bei den amerikanischen Lite- wird er nie gewalttätig oder aggressiv, eher sanft ratur-Nobelpreisträgern beträgt der Alkoholikeranteil und abwesend. Das Leben geht langsamer und ist über 70 Prozent. Goodwin stellt die Frage: «Trinken eingebettet. Er gibt sich Tagträumereien hin über das Schriftsteller aufgrund der Art ihrer Arbeit oder des Leben, das er führen könnte, wenn es eine Alternative Lebens, das sie führen?» gäbe, wenn alles anders wäre. Er ist ein normativer Kann grosse Kunst trotz oder gerade wegen Alko- Tagträumer, er trinkt sich in eine mögliche Zukunft, hol entstehen? Goodwin beginnt seinen Reigen mit schläft gern ein, wacht eine Stunde später mit einem Absinth-Alki Edgar Allan Poe und F. Scott Fitzgerald. eiskalten Spiess im Herzen auf, dem ist mit einem «Beide starben jung und galten zum Zeitpunkt ihres 14
A L K U N D K U LT U R Alkohol heranzukarren, meinte er: ‹Nimm einem Künstler seine Droge nicht weg!›» Lemmy Kilmister von Motörhead findet am 28. Dezember 2015 einen schnellen Krebstod. Der Alkohol im Übermass hat ihn zeitlebens begleitet. Pop erzählt die tragischen Lebens- und Sterbens- geschichten von so vielen, die auch dem Alkohol geschuldet sind. Auch hier: Alkohol, wie er als le- bensbewältigendes, letztlich tödliches Trostmittel wirkt. Ob der Alkohol allein oder mitverantwortlich für einen meist frühen Tod ist. Zahllose Songs sind dem Alkohol gewidmet, den Stoff (ironisch) preisend in Hymnen oder aber auch Todes als gescheiterte Dichter. (...) Beide waren schwere ganz nüchtern betrachtend. Man kann es eher banal Alkoholiker und erlagen letztlich wohl auch den tun wie ein Herbert Grönemeyer, einst selber gerne Folgen dieser Krankheit.» Bei Fitzgerald wird ein mal koksend, der sich in der küchenpsychologischen Zusammenhang zwischen Autor und Werk offenbar, Metaphernhuberei von «Alkohol» (1984) seine Reime «wenn es in seinen Romanen und Erzählungen wim- macht: «Sanitäter in der Not», «Fallschirm und dein melt von Säufern, die eine frappierende Ähnlichkeit Rettungsboot», «Drahtseil, auf dem du stehst», «das mit ihrem literarischen Schöpfer aufweisen.» Schiff, mit dem du untergehst». Ernest Hemingway und John Steinbeck gehören ebenso in den «Verein» wie der Belgier Georges Wir erinnern uns: Der grosse, zeit seines Lebens Simenon. Eugene O’Neill gilt als Sonderfall, weil: nicht erfolgreiche Singer-Songwriter Townes Van «Bis zu seiner ‹Heilung› im Alter von 37 Jahren Zandt (1944–1997) spielt gegen Ende seines Lebens widmete O’Neill sein Leben nahezu ausschliesslich in der Boa-Bar, wo er infolge Sturzbetrunkenheit dem Alkohol oder der Arbeit. Freilich vermischte er sie schon mal die Gitarrenakkorde nicht mehr findet. Der nicht miteinander.» O’Neill selber: «Wenn ich tränke, gefürchtete Trinker Calvin Russell (1948–2011) ordert hätte ich vielleicht von Anfang an klarer gesehen. auf der Catering-Liste für sein Konzertengagement Beim Schreiben eines Dramas gibt es doch Phasen, in beim Horwer Zwischenbühne-Auftritt zwar eine denen eine gewisse Nebligkeit einen Hoffnungsstrahl Flasche Whisky – den Alkohol rührt er allerdings des Lichtes ermöglicht, der viel wirksamer ist als eine gemäss Zeugenaussagen gar nicht an. allzu ausführliche gelehrte Analyse.» Willy DeVille (1950–2009), auch Junkie, schüttet 2003 beim Blue Balls im KKL-Konzertsaal mindestens Franz Kafka trank keinen Alkohol. einen Liter Weisswein in sich hinein (und raucht!); 2006 am selben Ort: kein Tropfen Alkohol. Wie in der Literatur, so auch im Pop Amy Winehouse hat, als sie am 23. Juli 2011 mit In «Blau» (2001) singt Hösli: 27 Jahren stirbt, 4,16 Promille Alkohol im Blut. Der grosse irische Bluesgitarrist Rory Gallagher, ein Ich hab’s wieder mal nicht geschafft, euch davonzulaufen, Schweralkoholiker vor dem Herrn, stirbt 1995 mit gebt mir ein Meer voll Alkohol, um darin zu ersaufen. 47 Jahren an den Folgen seiner Sucht. Jim Morrison Das wär’ sicher eine Riesenschau, ich weiss genau, (1943–1971) wird in Paris tot in der Badewanne darum bin ich heute, so wie gestern ... blau. gefunden – Folge auch eines von Alkohol geprägten Ihr habt mich kleingekriegt, sodass ich mich nicht mehr trau’, Popstar-Lebens. Rio Reiser wird nur 46 Jahre alt. darum bin ich heute, so wie gestern ... blau. Vom 1996 verstorbenen Sänger berichtet sein Bio- graf Hollow Skai («Rio Reiser. Das alles und noch viel mehr», 2006): «Über alle Drogen konnte Rio reflektieren und auch immer wieder Abstand zu Weiterführende Literatur: ihnen gewinnen. Nur nicht über Alkohol. Nachdem er gelesen hatte, dass Goethe sein Viertele Wein zum Donald W. Goodwin: Alkohol & Autor. Edition Epoca, Zürich 1995. Arbeiten brauchte, wollte er das auch. Nur blieb es (Taschenbuchausgabe: Suhrkamp 2000) bei ihm nicht bei einem Viertele. Und wenn man Michael Krüger, Ekkehard Faude: Literatur & Alkohol. Liquide Grund- sich um seine Gesundheit sorgte und sich weigerte, lagen des Buchstaben-Rausches. Libelle Verlag, Lengwil 2004. 15
E IGEN BR A N D Bier und Wein wurden spätestens seit dem Mittelalter rege getrunken. Gotthelf veröffentlicht 1838 ein Buch mit dem Titel «Wie fünf Aber hochprozentige Alkoholika, wie zum Beispiel Obstbrände, Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen», mit dem wurden vorwiegend als Arzneimittel gebraucht. Bauern hatten er gegen die grassierende Kartoffelschnapspest ankämpfen in der Regel Schnaps zu Hause, um ihre Tiere medizinisch wollte. Schnaps als Volksseuche war aber keineswegs nur zu pflegen oder ihre Knechte zu bezahlen. Doch mit der in der Schweiz ein Problem, sondern auch in den ruralen Industrialisierung verbreitete sich der Schnapskonsum massiv Gegenden Deutschlands. und er wurde in den ländlichen Gebieten wie auch in urbanen Zentren sehr beliebt. Dies ist auf die Einführung der Kartoffel Politik musste handeln in die hiesige Ernährung im Jahr 1770 zurückzuführen. Eine Der extreme Konsum von Alkohol im 19. Jahrhundert führte Agrarreform, gute Erntejahre mit Produktionsüberschüssen zu einer Antialkoholbewegung und der Begriff «Alkoholis- sowie die Ausbreitung einer einfachen Brenntechnologie mus» entstand. Getragen wurde die Abstinenzbewegung zum führten zu einem massiven Anstieg der Produktion und Beispiel durch Organisationen wie das Blaue Kreuz (ab 1877), der Konsumation von Kartoffelschnaps, sogenanntem die Guttempler (ab 1892), die Schweizerisch-Katholische «Härdöpfeler». Abstinenten-Liga (ab 1895) und den Sozialistischen Die harten Arbeits- und Lebensbedingungen Abstinentenbund (ab 1900), wie der Luzerner des Industriezeitalters forderten ihren Preis Historiker Jakob Tanner im «Historischen Le- und so betäubte sich die untere Gesell- xikon der Schweiz» schreibt. Schliesslich war schaftsschicht mit Schnaps. Dieser war auch die Politik gefordert und so wurde 1887 sehr günstig und es gab ihn im Über- erstmals ein Alkoholgesetz eingeführt, in fluss. Zwischen 1880 bis 1884 erreichte dem die Produktion von Kartoffelschnaps der (reine) Alkoholverbrauch pro Kopf geregelt wurde. Ab 1932 fielen auch jegliche ein Hoch von 14,3 Liter pro Jahr (2014: andere gebrannte Wasser wie Obstbrände 8,1 Liter). Diesen Zahlen muss man noch hinzufügen, dass ungefähr 10 Prozent der Volksseuche unter das Alkoholgesetz. Seither hat die Eidgenössische Alkoholverwaltung die Trinkenden rund die Hälfte der gesamten Alkoholmenge konsumierten. Und wenn man noch miteinbezieht, dass im Tessin SCHNAPS vollständige Kontrolle über den Handel, die Besteuerung und die Produktion von Spi- rituosen und Ethanol. Zu den Weisungen und der Welschschweiz andere Trinkkul- gehörte auch, wie viel Schnaps ein Land- turen herrschten und dort somit weniger wirt brennen durfte, denn dieser brauchte getrunken wurde (zumindest was Schnaps das Hochprozentige als Medizin für sein betrifft), wird klar: In der Deutschschweiz Vieh. Die steuerfreie Brennmenge wurde wurde gesoffen, was das Zeug hält. Vor Alkohol mag zwar die Kultur aus der Grösse der landwirtschaftlichen allem Agrarkantone wie Bern, Solothurn, befruchten, kann aber auch Nutzfläche, der Anzahl der auf dem Hof Aargau oder Luzern waren stark betroffen Existenzen zerstören. So ge- tätigen Personen und der Anzahl Nutzvieh von der Kartoffelschnapspest. So kur- schehen im 19. Jahrhundert in errechnet. Der Berechnungsschlüssel für sieren verschiedene Geschichten rund den steuerfreien Eigenbedarf von Hoch- den ländlichen Gegenden der ums Entlebuch, beispielsweise Schnaps prozentigem wurde 2002 angepasst, da in Kinderschoppen, aber leider gibt es Schweiz. Der starke Konsum es mittlerweile alternative Arzneimittel dafür keine Belege. Die Quellenlage ist von Hochprozentigem war zu Schnaps gibt. Anstelle der Anzahl dürftig und Schriftstücke zur damaligen so verbreitet, dass man von Nutztiere rechnete man daher neu mit Zeit sind kaum zu finden. Vom Hörensagen der «Kartoffelschnapspest» der Anzahl Hochstammbäumen. Ganz kommt auch diese Redewendung: «Dem spricht. verschwunden ist der Eigenbrand aus der Entlebucher ist seine Hausbrennerei sein Tiermedizin jedoch nicht: Bei Blähungen Hochaltar.» Zum starken Alkoholkonsum Von Philippe Weizenegger und zur Beruhigung nach dem Abkalben im 19. Jahrhundert in der Region gibt es wird den Kühen auch heute noch oft ein aber eine schriftliche Überlieferung. Der Kaffee-Schnaps-Gemisch (1 Liter Kaffee, Berner Schriftsteller und Chronist Jeremias 1 ⁄2 Liter Schnaps) eingeflösst. ANZEIGEN LOKAL. NEUSTAHL MÖBEL AUS DER NEUSTADT LUZERN. PRODUKTION UND HANDEL. WWW.NEUSTAHL.CH - SCHAURAUM OFFEN NACH VEREINBARUNG 16
SU F F U N D SCH A N DE Bild: Michelangelo Meyer Ode Ogottogottogottogottogottogottogottogottogottogott, O GOTT!, O GOTT!!, O GOTT!!!, ogottogotto-gottogottogottogottogottogottogotto- gottogottogottogottogottogottogottogottogotto-gotto-gottogottogotto- gottogottogottogottogotto-gottogottogottogottogottogottogottogotto- an den gottogott-ogottogott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, Alkohol o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott. Uuuh, uuhh, uhhh, hhhh. Zischel, zischel, braus, braus. Würg. O Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, Von Sam Pirelli o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, Der Konsum von Alkohol wird durch die ältesten bekannten schriftlichen Quellen bestätigt, bereits die alten Ägypter brauten Bier und gaben den Py- o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, ramidenbauern täglich zwei Krüge davon. Man vermutet, dass die Menschheit o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, mit beginnender Sesshaftigkeit und der Entdeckung des Ackerbaus bereits vor über 10 000 Jahren zufällig merkte, dass stehen gebliebener Getreide- o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, brei plötzlich ganz wundersame Eigenschaften entwickelte. Weinbau wird o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, (je nach Quelle) seit dem 6. bis 4. Jahrtausend vor Christus betrieben. Und o Gott, o Gott. schon lang vorher hat man sich an der Rauschwirkung gärender Früchte de- lektiert – so auch im Tierreich, wie schnell und sehr vergnüglich ersichtlich Nicht so laut bitte! N I C H T S O L A U T ! ! wird, wenn man bei YouTube «drunk animals» eingibt. O Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Bereits im 11. Jahrhundert gelang die Destillation von Wein zu Branntwein, Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, der Schnaps war geboren – und damit der exponentielle Rausch. Herrje. o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, Das Wort «Alkohol» stammt vom arabischen «al-kuhl», was ein feines kos- metisches Pulver bezeichnet. Die Spanier machten daraus «al-kuhúl», und o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, Paracelsus schliesslich nannte den Weingeist «al-cohol vini». o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Der Kater (eine Verballhornung von «Katarrh») ist die Folge der Dehydratation des Körpers und des daraus resultierenden physiologischen Ungleichge- Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o wichts, das zum schnellen Entzug von Stoffen aus dem Blut führt. Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Terry Pratchett nannte die auf der Scheibenwelt für den Kater zuständige Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott, o Gott. Gottheit den «Oh God of Hangovers» – das sei nur folgerichtig, denn schliess- «Hei, kommst auf ein Bier?» – «Klar! Um acht im Magdi?» lich riefen die Leute den armen Gott Bilious immer mit dieser Formel an. 17
PROFESSIONALITÄT Katharina Bohny ist ein Profi durch und durch. Ihr Instrument ist ihr Kör- per. Vor dem Auftritt geht sie Textpas- sagen aus dem jeweiligen Stück durch. Danach geht sie über in ihr wiederkeh- rendes Ritual: Gymnastikübungen und leichte Schläge, um Gesicht und Kör- per zu wärmen. Grimassen lockern die Gesichtsmuskulatur. Das gemeinsame «Einsingen» des Ensembles hilft, die Energien zu bündeln. Bohny ist meist mit kleineren, freien Theaterproduk- tionen unterwegs. Sie schminkt und kostümiert sich selbst. In den letzten Augenblicken vor dem Moment, auf die Bühne zu treten, wirkt sie ruhig und konzentriert. Sie weiss: Sie ist gut vorbereitet. Jetzt geht es los, jetzt kann sie nichts mehr tun. Katharina Bohny (43) ist freie Schau- spielerin. Das Bild wurde vor der Auf- führung des Stücks «Nur Gutes» der freien Theatergruppe Daas Kollektiv in der Aula der Interkantonalen Polizei- schule Hitzkirch IPH aufgenommen. 18
L A M PEN FI EBER Vor dem Der Fotograf Christof Schürpf porträtiert Künstlerinnen und Künstler, bevor sie auf die Bühne gehen. Auftritt 19
DANKBARKEIT Nach bald sieben Jahren im Ensem- ble des Luzerner Theaters fühlt sich Salome Martins hier zu Hause. Die Abläufe vor einem Auftritt sind rou- tiniert. In der Maske geht es effizient zu und her. Während Martins ge- schminkt und frisiert wird, warten bereits die nächsten Ensemblemit- glieder auf die Prozedur. Klassischer Tanz ist Hochleistungssport. Deshalb wird der Körper vorher aufgewärmt und in Form gebracht. Jede Handbe- wegung, jeder Schritt sitzt. Im Dun- kel neben der Bühne wartet Martins auf ihren Einsatz und spürt das Pu- blikum. In diesen Momenten erfüllt sie eine grosse Dankbarkeit. Für sie ist jeder Auftritt ein Geschenk. In diesem Moment weiss sie, warum sie das alles macht. Immer wieder. Das Bild von Salome Martins (34) wurde vor einer Aufführung von «Giselle», einem zeitgenössischen Tanzstück von Gustavo Ramirez Sansano, im Luzerner Theater aufge- nommen. 20
PERFEKTE FLÜCHTIGKEIT Michael Fehr ist Autor. Auf der Büh- ne liest, inszeniert und diskutiert er. Fehr spricht nicht von Auftritt, er spricht von Show. Der Atem ist für ihn dabei zentral. Richtiger Atem führt zum richtigen Puls, zur rich- tigen Spannung und zum richtigen Zeitgefühl. Sein Ziel ist die «perfekte Flüchtigkeit», die Wahrnehmung des Jetzt, die Wahrnehmung der Atmo- sphäre auf und um die Bühne. Das Zurücknehmen des Egos sei wichtig dabei, sagt Fehr. Sein Fokus liegt auf der Sache. Der Show. Nur so finden er und sein Publikum seinen Platz und die Show wird eine richtige. Ein Glas Whisky vor dem Auftritt hilft ihm dabei. Michael Fehr (33) wurde im Klein- theater Luzern fotografiert. An die- sem Abend sass er in einem Gespräch zum Thema «Macht» mit dem Luzer- ner Philosophen Roland Neyerlin auf der Bühne. 21
HERZKLOPFEN Tobi Gmür raucht und raucht und raucht. Dann zieht er sich um. Ein Anzug muss es sein. Nach dem Sound- check tigert er hinter der Bühne he- rum und geht nochmals die Songliste durch. Nervös ist er nach 20 Jahren und Hunderten von Auftritten noch immer. Dagegen helfen sanfte Schläge gegen die Brust. Tobi Gmür (42) ist seit vielen Jahren als Musiker unterwegs. Das Bild ent- stand vor einem Konzert seiner Band zusammen mit der Ländlerkapelle Siidhang in der Schüür, Luzern. 22
FAMILIENFEST Sickret, die Band mit Sänger Timmy Michels, spielt oft an Festivals. Die Musiker legen da beim Auf- und Abbau selbst Hand an und stellen oft ihr eigenes Equipment zur Ver- fügung. Im Sedel geht es an diesem Abend familiär zu. Die Grenze zwi- schen Auftretenden und Publikum ist fliessend. Das Styling ist Michels wichtig – auf der Bühne steht er stets in einem Shirt des Labels Barmetal und der Winkel seines Baseball Caps auf dem Kopf muss stimmen. Vor dem Konzert raucht er gerne etwas Gras und lässt es zwischen den An- wesenden kreisen. Das verbindet. Vor seinem Auftritt finde ich Michels im Publikum. Seinen Kopf schüttelt er im Takt. Jetzt noch ein Bier gemein- sam mit der Band, und dann lassen es Sickret krachen. Timmy Michels (27) ist Sänger der Hardcore- und Metal-Band Sickret aus Sursee. Er wurde während des «Nu Metal Fest» im Sedel porträtiert. 23
T RO P E N H AU S Son, Rum, Salsa und Zigarren rollen Das Tropenhaus Wolhusen erweitert mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema «Karibik» sein kulturelles Angebot. Musik und Gaumenfreuden, Ausstellung und Workshops laden die Besucher ein, das sommerlich temperierte Ambiente im Tropenhaus neu kennenzulernen. Von Pirmin Bossart Auf der Anhöhe über Wolhusen, ganz in der Nähe des Spitals, liegt ein gläsernes Haus in einsamer Landschaft. Es mutet recht ausserirdisch an, vor allem beim Eindun- keln, wenn das Gehäuse wie eine Raumstation aus dem All der verstreuten Bauernhöfe leuchtet. Einmal drinnen, öffnet sich eine neue Welt. Hier wächst ein tropischer Garten mit rund 120 verschiedenen Nutzpflanzen. Ein Restaurant ist angegliedert, in dem tropisch angepasste Spezialitäten serviert werden. Betritt man das Haus, fühlt man sich vom klimatischen Ambiente her ein wenig wie in Bali oder in Guadeloupe. Dort, wo die Temperaturen gleichmässig hoch sind und exotische Gerüche in der Luft liegen. Karibische Rhythmen bringen Groove ins Tropenhaus Wolhusen. Bild: zvg Konzert-Packages Dieses Jahr steht das Tropenhaus ganz im Zeichen der Karibik. Dazu ist erstmals gezielt ein kulturelles Angebot über die Bühne gehen. Maximal 110 Personen finden auf die Beine gestellt worden, das auch konzertmässig an den Kulturveranstaltungen Platz. Schwerpunkte setzt. Fokus ist die neue Sonderausstellung «Karibik so nah», die vom 19. März 2016 bis zum 28. Buena-Vista-Stars Februar 2017 zu sehen ist. Dabei werden verschiedene Das Tropenhaus hat seit seiner Eröffnung im Jahr 2010 Regionen ausgewählt, die musikalisch und kulturell regelmässig Ausstellungen gezeigt, die mit Themen wie entsprechend begleitet werden: Vom März bis Juli ist Kuba Curry, Baumwolle, Kakao oder Kaffee einen direkten angesagt, vom August bis Oktober stehen Barbados und Bezug hatten zum tropischen Garten. Dazu gab es ver- die Dominikanische Republik im Zentrum und in den einzelt Rahmenveranstaltungen wie einen Kinoabend Wintermonaten 2016/17 wird Jamaica das Konzert- und oder mal ein Konzert, vor allem aus dem klassischen Workshop-Angebot bestimmen. Bereich. Solche Ausstellungen soll es weiterhin geben, aber die Tropenhaus-Crew möchte sie dezidierter mit «Gut ein halbes Dutzend Konzerte sind dieses Jahr Kultur verknüpfen und sich damit ein Stück weit neu geplant, vielleicht kommen noch ein bis zwei dazu», sagt profilieren. «Wir wollen unser kulturelles Angebot Ibrahim Demirci, Leiter Besucher- und Gartenangebote besser und angepasster auf den Punkt bringen und im Tropenhaus Wolhusen. Zusammen mit Geschäftsfüh- damit unseren thematischen Ausstellungen ein Gesicht rer Pius Marti hat er die neue Kulturstrategie aufgegleist. geben. Es soll für einen bestimmten Style stehen, der Demirci arbeitete zuvor im Kulturhotel Giswil, wo zum Tropenhaus passt», sagt Pius Marti. bereits seit über zehn Jahren Konzerte, Theater und andere Kulturanlässe mit der Gastronomie verbunden Die Karibik wird ein guter Gradmesser sein, wie werden. Auch im Tropenhaus Wolhusen werden die weit sich das Tropenhaus im Bereich Kultur stärker Anlässe als «Packages» angeboten, zusammen mit einem wird etablieren können. Das Thema ist kulturell breit Drei- oder Fünfgang-Menü im besonderen Ambiente gefächert und bietet verschiedene Einstiege an für des Restaurants Mahoi, wo auch die meisten Anlässe ein interessiertes Publikum. Die Ausstellung wird am 24
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