Ein S mmEr na htS tra m - musiktheater - Oper in drei Akten von Benjamin Britten - Theater Pforzheim
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EIN SOMMERNACHTSTRAUM Oper in drei Aufzügen von Benjamin Britten 25. MÄRZ Libretto von Benjamin Britten und Peter Pears nach William Shakespeare 2021 Deutsche Übertragung nach August Wilhelm von Schlegel PREMIERE eingerichtet von Ernst Roth GROSSES HAUS Uraufführung 11. Juni 1960, Aldeburgh THEATER PFORZHEIM Aufführungsdauer: ca. 2 ¾ Stunden Pause nach dem zweiten Akt Oberon – Nicholas Hariades Titania – Elisandra Melián Puck – Joanna Lissai Theseus – Lukas Schmid-Wedekind Hippolyta – Dorothee Böhnisch Lysander – Dirk Konnerth Demetrius – Paul Jadach Hermia – Jina Choi Helena – Stamatia Gerothanasi/Helena Steiner Zettel (Pyramus) – Nico Wouterse Squenz – Aleksandar Stefanoski Flaut (Thisbe) – Philipp Werner Schnock (Löwe) – Klaus Geber Schnauz (Wand) – Lilian Huynen Schlucker (Mond) – Arthur Canguçu/Albrecht von Stackelberg Spinnweb (Elfe) – Stamatia Gerothanasi (stimmlich), Philipp Werner (mimisch) Bohnenblüte (Elfe) – Helena Steiner (stimmlich), Lilian Huynen (mimisch) Senfsamen (Elfe) – Dorothee Böhnisch (stimmlich), Aleksandar Stefanoski (mimisch) Motte (Elfe) – Jina Choi (stimmlich), Klaus Geber (mimisch) Fünfte Elfe – Arthur Canguçu/Albrecht von Stackelberg Elfenchor – Dorothee Böhnisch, Jina Choi, Stamatia Gerothanasi, Helena Steiner Badische Philharmonie Pforzheim Musikalische Leitung – Philipp Haag Inszenierung – Thomas Münstermann Bühnenbild und Kostüme – Thomas Mogendorf Lichtdesign – Andreas Schmidt Dramaturgie – Christina Zejewski Diese Operninszenierung wurde unter Wahrung der Arbeitsschutzrichtlinien und Corona-Verordnungen des Landes Baden-Württemberg produziert. Die Aufführungsrechte liegen beim Musikverlag Boosey & Hawkes, Bote & Bock GmbH für Hawkes Son (London) Ltd. 3
ZUM INHALT Akt I Da tritt eine Gruppe Hand- Im dämmrigen Wald in der werker auf, die sich anlässlich Nähe von Athen begrüßen die der Hochzeit von Herzog Elfen Spinnweb, Bohnenblüte, Theseus als Laienschauspieler Senfsamen und Motte Puck. versuchen möchte. Während Puck ist im Gefolge des Elfen- der Spielleiter, der Zimmer- königs Oberon unterwegs, der mann Peter Squenz, die Rollen sich mit seiner Frau Titania zu für das Schauspiel „Pyramus einem letzten vergeblichen und Thisbe“ unter den anderen Versuch trifft, ihren Ehestreit Handwerksmeistern Flaut, über ein aus der Menschenwelt Schnock, Schnauz und Schlucker entführtes Kind zu schlichten. verteilt, tut sich der Weber Zettel Um die Natur vor dem tota- durch seine großen schau- len Chaos zu bewahren – und spielerischen Ambitionen hervor. seinen verletzten Stolz zu rä- chen –, lässt Oberon von Puck Unterdessen hat Puck einen ein magisches Kraut besorgen, schlafenden „jungen Athener“ das Titania in das nächstbeste im Wald entdeckt und mit wilde Tier verliebt machen soll. dem magischen Pflanzensaft besprengt. Allerdings ist es Während Oberon auf Pucks Lysander und nicht Demetrius, Rückkehr wartet, eilen Lysander der in Liebe zu Helena ent- und Hermia, ein junges Paar brennt, während Hermia sich aus der athenischen Aristokra- erwachend im Wald verlas- tie, durch den Wald. Die beiden sen findet und verzweifelt. wollen gemeinsam durchbren- Auch Oberon hat endlich sein nen. Hermias eigentlicher Ver- eigentliches Verwünschungs- lobter Demetrius hat jedoch opfer entdeckt und träufelt von Hermias Freundin Helena der schlafenden Titania das von der geplanten Flucht Aphrodisiakum ins Auge. er fahren und folgt ihnen in Begleitung von Helena, die un- Akt II sterblich in Demetrius verliebt Während der Proben zu „Pyra- ist und dies unterwürfig zur mus und Thisbe“ entfernt sich Schau stellt. Oberon beobach- der Hauptdarsteller, Weber tet Helenas Selbsterniedrigung Zettel, kurz von der Truppe. mitleidig und beauftragt den Puck lässt sich diese Gelegen- zurückgekehrten Puck, ei- heit zu einem Schabernack nen Teil des Zauberkrauts zu nicht nehmen und zaubert behalten und auf „den jungen Zettel einen Eselskopf. Trotzig Athener“ anzuwenden, auf ob der erschrockenen Reaktion dass dieser Helenas Liebe der anderen Handwerksmeis- erwidern möge. ter singt Zettel ein Lied, von 4
dem Titania erwacht. Das Zau- berkraut entfaltet abermals seine Wirkung: Hals über Kopf hat sich die Elfenkönigin in den vereselten Zettel verliebt und lässt ihm von ihren Elfen den Hof machen. Das Kind ist vergessen. Nach einem großen Fest voller Musik legen sich Titania und Zettel gemeinsam schlafen. Als Demetrius die Lichtung betritt, um sich schlafen zu legen, freut sich Oberon, end- lich den Athener, der bisher die Liebe der armen Helena verschmäht, wiederzusehen. Helena fühlt sich derweil von Lysander, der ihr unablässig seine Liebe bekundet, verspot- tet. Als nun auch Demetrius erwacht und Helenas Schön- heit preist, kommt es zu einem gewaltigen Streit unter den Am Hofe von Athen sprechen vier jungen Leuten, für den die beiden aus dem Wald zu- Oberon Puck verantwortlich rückgekehrten Liebespaare bei macht. Puck erhält von Obe- Herzog Theseus vor und bitten ron ein Gegenmittel, mit dem um die Erlaubnis zur Vermäh- er den Zauber an Lysander lung. Theseus erklärt sich rückgängig machen soll. einverstanden, denn anlässlich seines eigenen Hochzeitsta- Akt III ges mit der Amazonenkönigin Der Spuk der Nacht geht zu Hippolyta ist er hervorragen- Ende: Oberon löst Titania vom der Laune. Hippolyta jedoch ist Zauber, die beiden schlie- verbittert und nur voller Häme ßen Frieden. Puck sorgt für gegenüber allem und jedem. die Entzauberung Lysanders. Erst die tragische Schlusssze- Auch Zettel ist wieder der Alte ne von „Pyramus und Thisbe“ und wundert sich über seinen kann ihr Herz scheinbar erwei- vermeintlichen Traum. Pünkt- chen. Nach der erfolgreichen lich zur Premiere von „Pyra- Aufführung segnet das könig- mus und Thisbe“ findet er zur liche Elfenpaar das Haus der allgemeinen Freude zu seiner Sterblichen und Puck erklärt Truppe zurück. das Stück für beendet. 5
EIN SCHNELLSCHUSS WIRD ZUM SENSATIONSERFOLG Die Entstehung von Benjamin Brittens „Ein Sommernachtstraum” Von Christina Zejewski Erst im August 1959 entschied dem simultanen Agieren sehr sich Benjamin Britten zu der unterschiedlicher Personen- für Sommer 1960 geplanten gruppen resultierende Flexibi- Neueröffnung der restaurierten lität der Erzählung in William Jubilee Hall, einem der Spielor- Shakespeares Komödie „A Mid- te des von Aldeburgh Festivals, summer Night's Dream“ hatte eine abendfüllende Oper zu Britten schon lange fasziniert, komponieren. Aufgrund dieser sodass er sich kurzerhand kurzfristigen Entscheidung entschied, gemeinsam mit blieben ihm lediglich neun Pears die Shakespeare-Komö- Monate für die Komposition die zu kürzen und mit Musik zu – und die Suche nach einem unterlegen. geeigneten Libretto. Die aus Britten und Pears nehmen an Shakespeares Text zwar zahl- reiche Striche vor – nur etwa die Hälfte des Texts schafft es in die Oper –, verändern aber kein Wort und fügen nur fünf Worte neu hinzu: Da sie die gesamte Eröffnungsszene des Schauspiels am Fürstenhof von Athen streichen, müssen sie dem Publikum den Grund für Hermias Flucht aus Athen nachliefern: Auf der Flucht durch den Wald erinnert Lysa- nder Hermia daran, dass sie fort müssen, weil das atheni- sche Gesetz Hermia „zwingt zur Heirat mit Demetrius“. Mit der Hofszene verschwindet nicht nur Hermias Vater als Figur, der dort seinen einzigen 6
Auftritt hatte, sondern auch Shakespeares, der die Komödie die symmetrische Anlage, die in ihrer ersten Fassung ohne die Liebespaare am Ende aus Akt- oder Szeneneinteilung dem Wald wieder bei Theseus skizziert hat: Alles in diesem anlangen lässt: Bei Shakespe- Wald ist geisterhaft-fantas- are führt die Handlung aus tisch und genau das Gegenteil der realen Welt ins Reich der der starren Regeln und Kon- Fantasie und wieder zurück. ventionen am (athenischen) Britten und Pears machen Hof. Was passiert wann und stattdessen die Magie des wo? Was ist Realität, was Elfenkönigs Oberon text- und Traum? Diese Grundanlage musikdramaturgisch zu ihrem des „Sommernachtstraums“ roten Faden: Die Oper beginnt macht ihn wiederum für eine im Feenwald, in dem die Elfen Vertonung noch attraktiver: den Einfluss von Oberons und Bei der Übertragung einer Titanias Gemütslage auf das literarischen Vorlage in Musik- Gleichgewicht der Natur be- theater finden zwangsläufig singen, und endet mit Oberons Raffungen und Dehnungen Segensspruch für die Neuver- der Zeit statt. Eine Erzählung mählten. oder ein Schauspiel präsentiert die Handlung traditionell mit Die stärkere Betonung der wenigen Ausnahmen bis ins Magie ermöglicht daneben zwanzigste Jahrhundert hinein ein ausgeprägteres Spiel mit sukzessive oder sogar im aris- der Darstellung von Raum und totelischen Sinne nach stren- Zeit – vermutlich ganz im Sinne gen zeitlichen Vorgaben; die 7
Liebespaare gleichzeitig an verschiedenen Stellen durch den Wald und sind wie bereits bei Shakespeare ironischerwei- se die am wenigsten poetisch sprechenden bzw. singenden Figuren des Stücks: Vor allem im Gegensatz zu Elfen und Handwerkern weisen ihre Passagen kaum klare Melodie- bögen auf. Die greifbareren, je nach Situation schmachten- den oder gehetzt nachschla- genden Streicherklänge der Liebenden und urig-hüpfenden Oper hingegen springt statt- Holz- und deftigen Blechblä- dessen oft von einer Affektdar- serfarben der Handwerker stellung zur nächsten und stellt wirken zwar geerdeter als die eigentlich gleichzeitige Hand- ätherischen Ritornelle der als lungen hintereinander dar. „Misterioso“ bezeichneten Elfenmusik, sind aber doch Die Auftrittsszenen der Lieben- nur in deren verwobenen den beispielsweise legt Britten zeitlich-räumlichen Rahmen als simultane Ereignisse an, eingebettet. Das gleiche gilt indem er Oberon seine Ver- auch für die Figur Puck, die wünschung „Sei es ein Löwe, durch ihren Sprechgesang sei’s Wolf, sei’s Stier, nasweiser ein Alleinstellungsmerkmal Aff‘ oder Pavian“ wiederholen aufweist. Passend zu ihren lässt, bevor Demetrius mit scharfen, rhythmischen Rezi- Helena auftritt: Das Gespräch tationen wird sie musikalisch zwischen Lysander und Hermia von einer Trommel und schel- über ihre Flucht, Oberons Er- misch-sprunghaften Trompete läuterungen zum Zauberkraut charakterisiert. Im zweiten Akt gegenüber Puck und der Auf- übernimmt eine Schlafmusik tritt von Helena und Demetri- die zeitgliedernde Funktion us ereignen sich parallel – fast der Ritornelle: Sie ordnet den hörbar dehnt sich die Zeit und Streit der Liebenden, der in zerfließt unter den sphärischen einem elaborierten Quartett Tremoli der Streicher, den seinen Höhepunkt findet, mit Arpeggien des Cembalos und Titanias Liebesabenteuer mit der Harfen und den mystisch dem vereselten Webermeister anmutenden Schwingungen Zettel zeitlich gleich. Beim von Gong und Glockenspiel, Fest zu Zettels Ehren lassen die der Elfenwelt zugeordnet die Elfen auf der Bühne eine sind. Dazwischen eilen die pastoral-heitere Flötenmusik 8
erklingen, die Zettel erst Striche: Ziemlich willkürlich tanzen, dann mitsingen und kommt der plötzliche Auftritt schließlich einschlafen lässt. von Theseus und Hippolyta daher, die als weltliches Ge- „Es ist eine der Ironien der genpaar zu Oberon und Titania Theatergeschichte, dass diese ebenfalls einen Disput aus- Opernfassung die reichhaltigs- handeln. Ein royaler Marsch te und sinngetreuste Inter- mit stereotypen Punktierun- pretation von Shakespeares gen, Synkopen und Fanfaren Intentionen ist, die die Bühne kündigt das Herzogspaar an, zu unseren Lebzeiten sehen bevor es die Szene betritt. wird.“ – W. Moelwyn Merchant Musikalisch völlig eigenständig präsentiert sich das Schauspiel Der dritte Akt trägt selbstbe- „Pyramus und Thisbe“, das die wusst die Konsequenzen der Handwerker nun aufführen: vorhergehenden inhaltlichen Im Gegensatz zum Rest der 9
Oper besteht die „Schauspiel- Schauspiels sind musikalisch musik“ ausschließlich aus überdeutlich charakterisiert, melodisch-eingängigen, mehr wodurch das übertriebene oder minder tonalen Passagen Spiel, aber eben auch die Lei- und traditionellen Satzarten denschaft der Laiendarsteller wie einem Totenmarsch. Selbst hörbar wird. Filmmusikelemente wie das typische Mickeymousing greift Auf der inhaltlichen Ebene Britten hier auf: Thisbe trip- bleibt wegen des direkten pelt zu langsamen Trillern auf Übergangs der Ankunft der die Bühne, Pyramus drückt beiden Liebespaare zum seine aufbrausenden Gefühle Schauspiel der Handwerker zu dramatischen Läufen aus, kein Platz mehr für die eigent- das gesungene Löwenbrüllen liche Hochzeitszeremonie: Bei zeichnet sich durch zahlreiche Britten und Pears erhalten Crescendi aus, und ein I-Ah die drei Hochzeitspaare ihren hört man in Zettels Repliken Segensspruch und gehen auch noch, nachdem er bereits gemeinsam zu Bett – ohne von Puck enteselt ist und in zuvor tatsächlich geheiratet zu einer feinfühligen Arie über haben. Damit brechen sie nun seinen scheinbaren Traum auch außerhalb des Feenwal- sinniert. Alle Figuren des des alle Regeln. 10
ZWISCHEN MEERESWOGEN UND ESELSGERÄUSCHEN Ein Gedankenspaziergang zu Benjamin Brittens Leben und Wirken Von Inken Meents Es ist ein kleiner, unscheinba- lauf, der mit Ausnahme eines rer Ort an der Ostküste Eng- Amerika-Aufenthalts immer lands, Lowestoft in der Graf- dieses Fleckchen Erde als schaft Suffolk, wo Benjamin Lebensmittelpunkt angibt, Britten 1913 geboren wurde. als auch, als auch seine Musik Nur einen ausgiebigen Tages- wider: Mit seiner besonderen spaziergang davon entfernt Klangsprache fängt Britten liegt Aldeburgh, der Ort, in sowohl lyrische Gedichte, dem Britten 1948 gemeinsam englische Volksweisen und mit seinem Lebensgefährten religiöse Texte als auch klang- Peter Pears ein großes welt- gewaltige Szenerien mit weit bekanntes Musikfestival Meereswogen und Lebenswelten begründete und schließlich von Seemännern wie in sei- 1976 starb. Als Britten 1934 das nen berühmten Opern „Peter renommierte Royal College of Grimes“ oder „Billy Budd“ ein. Music in London als studierter Komponist verließ, fasste er Eine weitere Inspirationsquelle zunächst den Entschluss, nicht für Britten war seine lebens- mehr in diese Ödnis zurückzu- lange Liebesbeziehung zum kehren. Er unternahm von ihm Tenor Peter Pears. Die beiden als „Thinking walks“ bezeich- lernten sich kurz nach dem nete Spaziergänge durch die Tod von Brittens Mutter ken- Großstadt, reiste, lernte inte- nen, einer weiteren wichtigen ressante Persönlichkeiten wie Bezugsperson für Britten, die den Dichter W. H. Auden oder seinen musikalischen Werde- Leute aus der Filmbranche gang maßgeblich förderte. kennen. Pears half Britten über den Verlust der Mutter hinweg Doch gerade diese „Öde“, die und begleitete ihn fortan in friedliche Ruhe und das Meer allen Lebenslagen. Oft schrieb zogen Britten immer wieder Britten Stücke für ihn und sie zurück in ihren Bann. Das veranstalteten gemeinsam spiegeln sowohl sein Lebens- Konzerte. 11
„Ich bin hier als dein Mundstück „The Little Sweep“ Stücke für und ich lebe in deiner Musik – Kinder und auch in seinen an- My darling, I love you.“ – Peter deren Werken Partien für Kin- Pears der und Kinderchöre. Daneben hinterließ der Zweite Weltkrieg Der spezielle Klang von Brit- beim Pazifisten Britten seine tens Musik ist vor allem ge- Spuren: Sein eindrucksvolles prägt von der britischen Ba- „War Requiem“ wurde 1962 in rockmusik Henry Purcells und der vom Krieg zerstörten und zeitgenössischen Einflüssen wiedererbauten Kathedrale in von Arnold Schönberg, Gustav Coventry uraufgeführt. Mahler und der Filmmusik. Schon früh vertonte Britten zu- Diese vielseitigen Eindrücke dem spielerisch Tiergeräusche wusste Britten einmalig in Musik von Wespen oder Eseln, kom- zu verwandeln – die Küstenödnis ponierte mit „A Young Person’s erwies sich somit als ein die Guide to the Orchestra“ oder Fantasie beflügelndes Kleinod. 12
WAS KANN PASSIEREN, WENN ICH MEINE GEORDNETEN LEBENS- UND DASEINSEBENEN VERLASSE? Interview mit Regisseur Thomas Münstermann Wer auch das andere Stück sche Globe-Architektur, die mit Shakespeare-Bezug, das wir ähnlich wie in dem Stück in dieser Spielzeit im Theater auseinandernehmen, denn die Pforzheim Premiere hatte, Szenen im Wald von Theben gesehen hat, wird in Ihrem stehen ja dafür, dass man sich „Sommernachtstraum“ eini- nicht in gewohnter Ordnung, ges wiedererkennen. Warum in gewohnter Struktur, Archi- haben Sie sich zusammen tektur und Zivilisation bewegt. mit Ihrem Bühnenbildner Die Holzstützen des Globe Thomas Mogendorf dafür Theaters können außerhalb entschieden, Teile der Kulisse dieser Strukturen fantasie- aus „Shakespeare in Love“ zu mäßig für Bäume stehen. Bei verwenden? Shakespeare gibt es viele Bei- spiele für ein derartiges Spiel. Das Bühnenbild von „Sha- Shakespeare ist so imaginati- kespeare in Love“ zeigt ein onsstark in seinen Szenenbe- Shakespeare-Theater. Zu hauptungen, dass es eigent- Shakespeares Zeit kannte lich oft gar kein Bühnenbild man das Bühnenbild als einen braucht, weil alles durch die stückspezifischen Aufbau Sprache in das Vorstellungs- nicht. Man hat in einer vor- vermögen des Publikums handenen Theaterarchitektur projiziert wird. gespielt und diese durch Kraft der Imagination, Verabredung Der andere Gedanke ist: und Behauptung zu einem Die Stücke von Shakespeare Theaterraum gemacht, der spielen immer auf verschie- den jeweiligen Topos, den denen Ebenen. Sie spielen Spielort, darstellte. Und zum einen in der Welt, die sie demselben Prinzip folgend beschreiben. Und diese Welt nutzen wir jetzt die Theater- ist oft fiktiv. Das Theben, das architektur aus „Shakespeare er beschreibt, ist eine Fan- in Love“, eine elisabethani- tasie, und die bei ihm immer 13
wieder vorkommenden illyri- Dieser geträumte, fiktive schen Haine sind Orte der Raum ist im „Sommernachts- Vorstellung. Shakespeare ist in traum“ der Elfenwald, in dem all diesen Ländern nie gewe- verrückterweise Liebespaare sen und hat überhaupt keine wie Handwerker gleicherma- Vorstellung davon. Es ist nur ßen auf Elfen treffen. Was be- eine Anmutung einer ande- deutet dieser Wald den einzel- ren Welt jenseits der eigenen nen Figuren und wie verhalten Zivilisation. Zum anderen sie sich in diesem geträumten spielen seine Stücke aber Raum unterschiedlich? auch immer auf dem Theater. Denn seine Grundbehauptung Es gibt ja im Grunde genom- ist ja durchgehend die, dass, men zwei Arten von Wesen in ein Leben zu führen, immer diesem Stück: Wesen, die wir auch Teil eines Spiels zu sein im weitesten Sinne als tat- bedeutet. Ein weiterer Gedan- sächliche betrachten würden, ke, der damit korrespondiert, nämlich die Liebespaare, das ist der, dass das Leben nicht Herrscherpaar Theseus und nur ein poetischer Traum, Hippolyta, wenn auch wie sondern tatsächlich auch im aus einer Sage entsprungen Sinne der Philosophie nur eine erscheinend, und die Hand- geträumte Ebene ist. Und das werker, also Menschen ei- parallelisiert er miteinander. ner realen Welt, und auf der Deswegen braucht es bei Sha- anderen Seite Wesen einer kespeare eigentlich nie kon- nicht-realen Welt, also einer krete Räume und Anlässe. Parallelwelt. Die kann man 14
eine poetische nennen, aber aber auch ein geiler Satyr, auch eine zauberische, wobei vielleicht auch mal ein zyni- das eine in das andere über- scher alter Mann, der Experi- gehen kann. Für die realen mente betreibt. Ein wechsel- Wesen ist der Wald ein Ort, wo haftes Wesen, das alles kann ihre Zivilisation und alles, was und nichts. Letztlich ein Motor sie in ihrem normalen Leben des Theaters. Deshalb lässt reglementiert, aufgehoben Shakespeare den Puck auch sind. Dort dürfen und müssen einen Epilog sprechen. Puck sich die Figuren anders verhal- verkörpert das theatralische ten: Handwerker dürfen dort Prinzip in diesem Stück und Theater spielen und sich aus vermittelt damit zwischen ihrer zweckhaften Existenz dem Realen und Irrealen, dem wegbewegen, und Liebespaa- Konkreten und dem Abstrak- re können erproben, ob ihre ten, zwischen den kultivierten erzwungenen Konstellationen und den natürlichen Ebenen. überhaupt zutreffend sind und Er ist auch unser Führer durch Bestand haben. Es ist ein Ort, diese Welt, nimmt uns an die an dem Gesetze außer Kraft Hand und kommentiert das gesetzt und Dinge überprüft Geschehen. Da mag sich auch werden können, bis dieses jeder – und das ist das Ver- Experiment so gefährlich wird, gnügen an Puck – mit seiner dass Shakespeare es abbricht eigenen Fantasie hineinden- – und zwar genau durch die ken, was Puck ist. Kräfte des poetischen Raums, die es in Gang gesetzt haben. Um noch einmal zurück auf Damit wird das Ganze zur das Verhältnis von Spiel und Erfahrung des Auslotens: Was Bühnenbild zu kommen: kann passieren, wenn ich mei- Im „Sommernachtstraum“ ne geordneten Lebens- und selbst gibt es ja auch ein Spiel Daseinsebenen verlasse? im Spiel, als die Laienschau- spielgruppe aus Handwerkern Eine Figur, die ja grundsätz- „Pyramus und Thisbe“ lich Freude an der Regellosig- aufführt. keit hat, ist Puck. Manch einer kennt vielleicht Der Puck ist ein bestimmtes, heute den Film „Inception“ immer wieder erscheinendes von Christopher Nolan. Dort Prinzip, das wir, wenn wir es wird gezeigt, wie man durch als Person sähen, uns in unter- eine bestimmte Maßnahme schiedlichsten Verkörperungen aus dem realen Leben in eine vorstellen könnten. Das kann Traumebene kommen kann mal ein frecher Lausbub sein, und dann in dieser Traumebe- der sich Streiche ausdenkt, im ne auch wieder durch Anwen- nächsten Moment vielleicht dung solcher Maßnahmen in 15
eine weiter darunter liegende scheinlich unendlich viele –, Traumebene und so weiter. wird uns immer verborgen Und so ist es bei Shakespeare bleiben. auch geschachtelt: Wir be- kommen eine Theaterebene Auch das heißt Theaterspielen: gezeigt, auf der das Stück „Ein Die Rolle zu spielen. In der Sommernachtstraum“ spielt, Rolle zum Beispiel zu übertrei- und in dieser Theaterebene ben, wie das die Handwerker wird ein Theater gezeigt. Da ja auch tun, um selbst zu entstehen ganz merkwürdige verstehen, was die Essenz des Wirkungen, denn irgendwann eigenen Daseins ist. Da ist der werden wir selbst zu den Figu- spielerische Akt ein Akt der ren, die wir sehen. Die Figuren, Selbstfindung: sich darin zu die das Theater anschauen, finden, wie es wäre, ein Pyra- sind wir ja selbst. Shakespeare mus oder eine Thisbe zu sein. macht da eine unendliche Ver- Es muss sich anderen gar nicht schachtelungskette auf. Diese erschließen. Das Ironische und Spielereien kommen schon aus gleichzeitig Tragisch-Bittere der klassischen Philosophie. ist, dass die Figuren, die eben Das Philosophieren über unsere selbst noch Teil einer Theater- Existenz beinhaltet auch im- demonstration waren, nämlich mer wir unser eigenes Dasein Demetrius, Lysander, Hermia nicht nur reflektieren, son- und Helena, die von Oberon dern auch von einem anderen und Puck als Teil einer Szene Standpunkt aus betrachten gesehen wurden – so habe ich müssen. Und wie viele dieser es auch inszeniert –, sich jetzt Standpunkte es gibt – wahr- darüber lustig machen, wie albern sich die Schauspieler unter ihnen benehmen. Wenn man gesehen hat, wie albern sie selbst sich zuvor im Wald verhalten haben, wird einem klar, dass es nur vom Betrach- tungsstandpunkt abhängt, ob man Sinn für sich selbst generieren kann. Nach außen, für den Betrachter, mag das Verhalten absurd und über- trieben erscheinen, für einen selbst aber ist es unbedingt identitätsstiftend. Wie wird die Identität der Laienschauspieler in Ihrer Inszenierung noch verhandelt? 16
Mir war bei der strukturel- len Betrachtung des Stücks aufgefallen, dass tatsächlich Handwerker und Elfen nie gleichzeitig auftreten. Bei Shakespeare waren die Kom- panien nicht besonders groß und Schauspieler schlüpften ständig in andere Rollen. Anders wären zum Beispiel Königsdramen mit vierzig, fünfzig Rollen zu der Zeit nicht spielbar gewesen. Und daraus haben wir den Ge- danken entwickelt, dass bei uns die Handwerker auch die Elfen spielen könnten. Und für mich hat das verblüffend schön funktioniert, denn es sind eben nicht nur dieselben Schauspieler, sie erfüllen auch die gleichen, sich aufeinan- der beziehenden Funktionen: Wir haben für den Fürsten Die hilfreichen Geister, die im Theater gespielt. Aber alles, Elfenreich zu Dienst sein müs- was war, einschließlich Fürs- sen, sind auch diejenigen, die ten, ist ja auch wie in einem in der realen Welt die Arbeiten Theater! machen müssen. Reizvoll fand ich zudem, dass eine weitere Gibt es denn Figuren, die die- Theaterschachtelung entsteht, se Reflexion betreiben? Macht wenn man sich irgendwann sich innerhalb des Stücks fragt: Spielen die Handwerker irgendjemand Gedanken über die Elfen oder sind die Hand- das Geschehen? werker die Elfen? Wissen sie, dass sie das spielen? Oder sind Klar, Zettel, der deswegen das nur die Schauspieler, die auch eine der spannendsten Elfen spielen? Und das führe Figuren der Weltliteratur ist. Es ich zusammen: Puck erscheint ist von Shakespeare meister- den Handwerkern nach ihrem haft angelegt, dass aus einem Auftritt, als sie ihren Kram wichtigtuerischen, geltungs- zusammenpacken, und zeigt süchtigen Charakter eine Figur ihnen: Ihr seid Elfen. Und die wird, die so durchgeschüttelt Handwerker stehen da und und mit so merkwürdigsten wissen gar nicht mehr, wer sie und auch schmerzlichsten sind. Sie merken auf einmal: Erfahrungen konfrontiert wird, 17
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dass sie wirklich ins Nachden- hineinphilosophiert – so grün- ken kommt und spürt, dass sie delnd ist dieser Charakter erst die Grenzen ihrer Erkenntnis- einmal gar nicht. fähigkeit erreicht. Zettel will berichten, was er erlebt oder Shakespeares starke Spra- geträumt hat, und merkt, che haben Sie anfangs schon dass er an einem Punkt gar erwähnt. Was war der An- nicht mehr weiterkommt. Da- lass für Ihre Entscheidung, her verspricht er uns, über die- den „Sommernachtstraum“ ses unbeschreibliche Erlebnis im Theater Pforzheim in der ein Stück schreiben zu lassen. deutschen Übertragung nach Dieses Stück sind alle Stücke Schlegel zu zeigen? von Shakespeare zusammen, wenn man so will. Damit steht Schlegel und Tieck haben dieser Zettel in einer unglaub- diese Übersetzung vor fast lichen Verwandtschaft zu zweihundert Jahren angefer- großen Figuren der Literatur, tigt und trotzdem erzeugt ihre nicht nur bei Shakespeare, und Übersetzung auch heute noch hat viele Literaten und Dra- einen sprachpoetischen Raum, matiker dazu angeregt, diese der vielleicht nicht der gleiche Figur aufzunehmen und aus ist wie bei Shakespeare, aber ihr ganze Fantasiegebäude zu ein adäquates Gebäude dar- errichten. Denken wir an Arno stellt, sodass sich die Sprache Schmidts „Zettels Traum“, auf die Imagination auswirken eine der großen merkwürdigen kann, was nicht möglich wäre, literarischen Manifestationen wenn ich für ein vornehmlich des ausgehenden 20. Jahr- deutsches Publikum Englisch hunderts in Deutschland, in spielte. Dann bliebe der direk- der Schmidt ja das Verzetteln te sprachlich-sinnliche Zu- gleichzeitig zu einem litera- gang verschlossen. Der zweite rischen Prinzip gemacht hat. Grund ist offensichtlich, dass Bei Shakespeare ist die Figur sehr viele Szenen wie die nicht ohne Grund Weber. Da Handwerkerszenen eine sehr ist, glaube ich, der Gedanke hohe Informationsdichte auf- ein sehr bildhafter: Durch das weisen und viele Pointen über Verweben verschiedenster die Sprache transportieren, Erkenntnisstränge in verschie- die man nur mit sehr fortge- denen Diskussionen entsteht schrittenen Englischkenntnis- ein greifbares Gewebe. Aber sen spontan nachvollziehen er heißt bei Shakespeare nicht könnte. Aber in so einer Hand- Zettel, sondern Bottom, und werkerszene ist es komischer, das heißt „Grund“. Und ob das wenn ich direkt weiß, was die nun meint, dass er den Sa- agierenden Figuren von sich chen auf den Grund geht, am geben. Boden liegt oder ins Bodenlose 20
PYRAMUS UND THISBE: „EIN GANZ VORTREFFLICHES STÜCK“ Von Christina Zejewski Der römische Dichter Publius einer Verwandlung, die meist Ovidius Naso, kurz Ovid ge- ätiologisch die Erklärung für nannt, verfasste zwischen einen Sachverhalt bietet. Im zwei und acht nach Christus vierten Buch erklären bei- die fünfzehn Bücher umfas- spielsweise die Verse 55 bis 166, sende Sammlung „Metamor- wie die Früchte des Maulbeer- phoseon libri“, die „Bücher baums zu ihrer dunklen Farbe der Verwandlungssagen“. Der kamen. metrischen Form nach sind die „Metamorphosen“ ein Der Maulbeerbaum mit seinen Epos aus rund 12.000 Hexame- schneeweißen Früchten auf tern, deren Rhythmus Johann Ninis Grab ist des Nachts der Heinrich Voß in seiner bewähr- geheime Treffpunkt der bei- ten deutschen Übertragung den verliebten Jugendlichen nachahmt. Alle der etwa 250 Pyramus und Thisbe, deren Geschichten, die in „chronolo- Eltern ihnen eine Liebesbezie- gischer“ Reihenfolge von der hung verbieten. Sie können nur Erschaffung der Welt bis zu durch eine rissige Wand mitei- Kaiser Augustus, Ovids damali- nander sprechen. Eines Nachts gem Mäzen, reichen, gipfeln in trifft Thisbe kurz vor Pyramus 21
erst von der Löwin, dann von Pyramus gefunden wird. Das Rinderblut, das vom Löwinnen- maul auf den Schal abgefärbt hat, hält Pyramus irrtümlich für Thisbes und ersticht sich vor Verzweiflung. Sein Blut spritzt die umhängenden Früchte rot. Als sie die Gefahr für gebannt hält, kehrt Thisbe schnellstmöglich zum Maul- beerbaum zurück, bringt sich beim Anblick von Pyramus‘ Leichnam ebenfalls mit des- sen Schwert um und färbt die Maulbeeren noch dunkler. Die Geschichte der bis in den Tod in Liebe verbundenen Ju- gendlichen inspirierte William Shakespeare zwischen 1594 am Baum ein und wird von ei- und 1598 gleich doppelt: Zeit- ner Löwin mit blutverschmier- gleich zur Komödie „Ein Som- tem Mund überrascht, die mernachtstraum“ schrieb er nach dem Essen ihren Durst an seiner Tragödie „Romeo und am benachbarten Fluss stillen Julia“, der wohl bekanntesten möchte. Auf der Flucht verliert Rezeption der Geschichte von Thisbe ihren Schal, der später „Pyramus und Thisbe“. Eine mäßige Ritze durchspaltete seit der Erbauung Schon die gemeinsame Wand der beiden verbundenen Häuser. Dieser Fehl, den keiner in ewigen Zeiten gespüret, Ward (was merkt nicht Liebe?) zuerst euch Liebenden merkbar; Und ihr bahntet der Stimme den Weg, auf welchem gesichert Oft liebkosende Red´ in gedämpfterem Lispel hindurchging. Wann sie davor sich gestellt, hier Thisbe, Pyramus jenseits, Und mit begegnendem Munde den Hauch voneinander geschöpfet: Neidische Wand, was trennst du die Liebenden? sagten sie oftmals. Was denn, wenn du einmal uns volle Vereinigung gönntest, Oder, ist dieses zuviel, dich öffnetest unseren Küssen? Aber nicht undankbar wir bekennen uns gerne verpflichtet, Dass du den Worten die Bahn zu gefälligen Ohren gewährtest. – Ovid, Metamorphosen, Buch 4, Vers 65–77 22
SHAKESPEARE INSPIRIERT Beim Schreibwettbewerb des Jungen Theaters Pforzheim ließen sich junge Kreative von Puck und der magischen Blume beflügeln Für seine Komödie „Ein Som- mernachtstraum“ entwarf Shakespeare Figuren, die schnell einen festen Platz im kulturellen Kanon Europas fanden und bis heute immer wieder rezipiert werden: Die selbstbestimmte, naturver- bundene Elfenkönigin Titania ist ein originärer Charakter des „Sommernachtstraums“. Shakespeare benannte sie in Anspielung auf die in Ovids Metamorphosen beschrie- benen Titanen, dem Vorgän- gergeschlecht der bekannten griechisch-römischen Götter. Auch Oberon als Elfenkönig weist vor der Shakespear’schen „Mein guter Puck, komm her. Adaption keine nennenswer- Kennst du wohl noch das Kraut? ten literarischen Auftritte auf: Ich wies es dir.“ – Oberon in Im französischen Versepos „Ein Sommernachtstraum“ „Huon de Bordeaux“ aus dem 13. Jahrhundert assistiert er Von Shakespeare inspirier- zwar dem Titelhelden, aber te Geschichten haben auch die Figur geht auf den ger- die Teilnehmerinnen unseres manischen Alberich zurück, Schreibwettbewerbs verfasst, wie er als Schatzwächter im in denen insbesondere Puck Nibelungenlied auftritt. Die und die magische Blume Gestalt Puck wiederum ist in vorkommen sollten. In der der germanischen, baltischen Geschichte „Der Kampf um und keltischen Mythologie als die Wiese“ von Jana Hofmann schelmischer Hauself bekannt, spielt Puck beispielsweise ei- der den Bewohnerinnen und nen Bauern, dessen Tiere seine Bewohnern bei guter Behand- Freundin, die magische Blume, lung Gesundheit und Glück, zu zertrampeln oder aufzufres- bei schlechter Krankheit und sen drohen, zahlreiche Streiche Elend bringt. wie diesen: 23
Majestät, dürftet den Garten nur mit Augenbinde betreten. Seht Ihr die Prinzessin an, so verwandelt Ihr euch in einen prächtigen Baum. Ist das nicht schön? Dann wäre der Zauber gebrochen, und die Prinzessin dürfte gehen.“ – aus „Pucks Zaubergarten“ von Ella Bram- beer (16 Jahre) In Paula Roths Rezeption von „Ein Sommernachtstraum“ setzt Puck sich mit starkem Gerechtigkeitssinn gegen Diskriminierung ein und geht dabei so weit, dass er sein Hei- matdorf in Flammen aufgehen „In der Nacht verwandelte sich lässt. Zum Glück ist die magi- Puck in ein Schaf. Die drei- sche Blume in dieser Fassung zehn Schafe waren alle wach. kein Aphrodisiakum, sondern Puck fragte die Schafe: „Was ein Zeitumkehrer: ist euer größter Wunsch?“ Die Schafe antworteten: „Wir wä- ren am liebsten alle frei. Dann könnten wir die Welt erkun- den.“ Puck verwandelte sich wieder zurück in einen Elfen. Er öffnete das Tor vom Zaun und ließ die Schafe frei.“ – aus „Der Kampf um die Wiese“ von Jana Hofmann (10 Jahre) In Ella Brambeers Geschichte „Pucks Zaubergarten“ stellt der unbefangene Puck dem verzweifelten König, der um das Leben seiner Tochter fürchtet, hilfsbereit ein Ulti- matum, das es aus Sicht des Monarchen jedoch in sich hat: „Und da wäre noch eine Klitze- kleinigkeit, also echt kein Dra- ma“, fuhr Puck fort. „Ihr, Eure 24
„Siehst du diese Blume da?“, „Tatsächlich erblickte Luna in wollte der Mann wissen und der Mitte der blauen Bäume zeigte auf eine wunderschöne eine gewöhnliche, jedoch rot rote Pflanze, die strahlte wie gesprenkelte Tulpe. Luna dreh- tausend Sterne. „Was ist mit te sich um und schaute Puck ihr?“, hakte Puck nach. „Sie ist fragend an. Dieser gab ihr magisch. Rieche an ihr und die ein Zeichen, sie solle mit der Zeit wird zurückgedreht wer- Pflanze reden. Das Mädchen den. Dann könntest du alles hatte in den letzten Stunden richtig machen. Du hast es in schon so viel Unrealistisches der Hand.“ – aus „Ein Som- erlebt, dass es ihr schon fast mernachtstraum“ von Paula normal vorkam, dass Tulpen Roth (14 Jahre) reden.“ – aus „Lunas Sommer- nachtstraum“ von Jeanne Und auch in den Geschichten Mercier (13 Jahre) von Jeanne Mercier und Hanna Hofmann wird die Besonder- heit der Beziehung zwischen Puck und der Blume hervorge- hoben. „Die Blume kann: Sich verwan- deln in alles, wenn sie jemand ärgert, dann bekommt sie Sta- cheln, die hart sind, und wenn man freundlich ist, dann sind die Stacheln weich. Sie kann sich unsichtbar machen, in der Nacht kann sie sich leuchtend machen, und wenn Puck mal wieder etwas angerichtet hat, hilft sie ihm die Wahrheit zu sagen. Sie kann auch tauchen, wenn sie unsichtbar ist.“ – aus „Puck und die Magische Blume“ von Hanna Hofmann (8 Jahre) Die spannenden und äußerst unterschiedlichen Gewinnertexte können in ihrer gesamten Länge auf der Internetseite des Theaters gelesen werden unter www.theater-pforzheim.de/das-theater/ junges-theater/schreibwettbewerb/gewinnertexte. 25
VON DER ADAPTION ZUR LITERATUROPER Shakespeare-Opern im Wandel der Jahrhunderte Von Christina Zejewski Brittens „Ein Sommernachts- Bekannte Beispiele früher Sha- traum“ ist zweifellos die kespeare-Adaptionen, die sich erfolgreichste Shakespeare- vor allem ab dem späten 18. Oper, die einen originalen Jahrhundert großer Beliebtheit Shakespeare-Text als einzi- erfreuten, sind „Falstaff ossia ge Grundlage ihres Librettos Le tre burle“ (1799) mit einem nutzt.“ – Mervyn Cooke Libretto von Carlo Prospero de Fransceschi und Musik von An- Brittens und Pears‘ Libretto tonio Salieri nach der Komödie ist tatsächlich eine Shakespe- „Die lustigen Weiber von Wind- are-Adaption im Wortsinn, sor“, Hector Berlioz‘ komische also viel mehr eine behutsa- Oper „Béatrice et Bénédict“ me Anpassung an die Erfor- (1862) nach der Komödie „Viel dernisse des Musiktheaters, Lärm um nichts” und Charles namentlich vor allem eine Gounods „Roméo et Juliette“ Reduktion der Textmenge, als (1867), zu der Jules Barbier eine eigenständige textliche und Michel Carré das Libretto Aufbereitung des ursprüngli- verfassten. Auch noch für Giu- chen Stoffes, wie es noch bis seppe Verdis späte Shakespe- ins frühe 20. Jahrhundert bei are-Opern „Otello“ (1887) und den meisten auf literarischen „Falstaff“ (1893) passte sein Vorlagen basierenden Libretti prominenter Librettist Arrigo der Fall war. Die Aufbereitung Boito gemeinsam mit dem einer literarischen Vorlage für Komponisten die Anzahl und die Opernbühne bedeutete zu- Gewichtung der Rollen auf die meist, dass das Original zwar Zusammensetzung eines tradi- als Impulsgeber und Lieferant tionellen Sängerensembles an der Charaktere zur Verfügung und gliederte die Handlung in stand, aber sowohl in Szenen- Abschnitte, die zu mehr oder folge und Wortlaut, ja sogar weniger alleinstehenden Num- hinsichtlich des Handlungsor- mern ausgearbeitet werden tes oder der Namen der Prota- konnten. Nicht fehlen darf in gonistinnen und Protagonisten einer romantischen Oper das davon abweichen konnte. obligatorische Liebesduett – ob 26
es nun bei Shakespeare auf- nun, einen Fluss aus Prosa zu taucht oder nicht, ist belanglos. vertonen, statt ein Stück in einzelnen Nummern abbilden Zur gleichen Zeit jedoch ent- zu müssen, und ungewöhnliche standen die frühsten so ge- Besetzungen zu präsentieren. nannten Literaturopern in Außerdem wird der Expressi- Russland, das durch die stän- vität des Gesangs mehr Be- dige Präsenz führender italieni- deutung eingeräumt als dem scher Komponisten am Zaren- sprachlichen Wohlklang. Ein hof erst spät zu einer eigenen Text muss nicht mehr ‚sang- Librettotradition fand. Ange- bar‘ sein, um ausdrucksstark regt durch die Libretti Richard vorgetragen werden zu dürfen. Wagners, die bei Lesungen Seitdem nutzen auch Shake- als eigenständige prosaische speare-Vertonungen wie Boris Kunstwerke gefeiert wurden Blachers „Romeo und Julia“ und mit dem bisherigen Regel- (1950), Giselher Klebes „Die werk der Librettisten brachen, Ermordung Cäsars“ (1959, nach indem sie völlig neue Hand- „Julius Caesar“) und Christi- lungsmotive und Figurenkons- an Josts „Hamlet“ (2009) die tellationen einführten, entwi- originale sprachliche und se- ckelte sich im 20. Jahrhundert mantische Struktur der namen- auch in Deutschland die Mode, gebenden Dramen bzw. deren bestehende literarische Vorla- deutscher Übertragungen von gen im Wortlaut zu vertonen, Johann Joachim Eschenburg, statt sich auf umständliche August Wilhelm Schlegel und Diskussionen mit einem Libret- Ludwig Tieck. Diese Freiheit in tisten oder einer Librettistin der musikalischen Gestaltung einzulassen. Die Veränderungen kam Brittens vielseitigem Ge- in der Tonsprache ermöglichen staltungswillen entgegen. „Keine Begabung hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf der internationalen Musikbühne müheloser durchgesetzt als die des Engländers Benjamin Britten. Mit ihm tritt in den Kreis der Novatoren ein schöpferischer Eklektiker von so hohem Rang, so leichtem Gedankenflug und so großer amalgamierender Kraft, dass man an die Blütezeit der englischen Musik im Elisabethanischen Zeitalter erinnert wird.“ – Hans Heinz Stuckenschmidt 27
LEITUNG IMPRESSUM Intendant — Thomas Münstermann Verwaltungsdirektor — Uwe Dürigen Generalmusikdirektor — Robin Davis Chefdramaturg — Peter Oppermann Musikalische Assistenz — Johannes Antoni, Immanuel Karle Studienleitung — Philipp Haag → Herausgeber Theater Pforzheim Inspizienz — Johannes Kriener → Intendant Thomas Münstermann Regieassistenz / Abendspielleitung — Janne Geest, Gabriele Rausch → Verwaltungsdirektor Uwe Dürigen Spielzeit 2020/21, Großes Haus, Heft 4 Technische Direktion — Thomas Kalkofen → Redaktion Christina Zejewski Bühnenmeister / Theaterinspektion — Johannes Arnolds → Basisentwurf DMBO – Studio für Gestaltung Leiter der Werkstätten — Pforzheim Sebastian Dierer → Gestaltung Gewandmeisterin — Ulrike Wenk Jutta Porr, Christina Zejewski → Druck Chefmaskenbildnerin — Nunnenmann GmbH, Herxheim Andrea Dengler-Heiermann → Textnachweis Leitung der Requisite — Alle Texte sind Originalbeiträge für Annette Pagani dieses Programmheft. Leitung der Beleuchtungsabteilung — → Bildnachweis Andreas Schmidt Die Fotos der Produktion erstellte Sebastian Seibel bei der Orches- Leitung der Tonabteilung — terhauptprobe und Generalprobe Jörg Linke am 18. und 19. März 2021.
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