Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung

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Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung
2013                           Innovationszentrum für Mobilität
                                 und gesellschaftlichen Wandel

       Einfach und komplex
       Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen
       zur intermodalen Routenplanung

       Marc Schelewsky · Helga Jonuschat · Benno Bock · Valentin Jahn

                                            InnoZ-Baustein 13
Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung
Autoren

          Autoren

          Dipl.-Soz. Marc Schelewsky ist seit 2007 am InnoZ beschäftigt und leitet das Fachgebiet
          „Mediengestützte Mobilität“. Seine Arbeitsgebiete umfassen den Einsatz mobiler Medien für
          den ÖV, personalisierte Navigationssysteme, Analyse von IT-Trends, neue Formen der Kunden-
          akzeptanzforschung, GPS-basierte Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Einsatz von Ortungs-
          technologien in Mobilitätsdienstleistungen, Innovationspotenziale im Taxigewerbe, vernetzte
          Mobilität, IT-Systeme für Elektromobilität. Zudem leitet und koordiniert er den Arbeitskreis
          „Indoor-Navigation“. Bis Dezember 2012 war er Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe
          „Wissenschaftspolitik“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

          marc.schelewsky@innoz.de

          Helga Jonuschat ist seit 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am InnoZ und befasst sich
          mit sozialwissenschaftlicher Mobilitäts- und Nutzerakzeptanzforschung. Helga Jonuschat
          hat Architektur und Stadtplanung an der HfbK in Hamburg studiert sowie an der HU Berlin zu
          lokalen sozialen Netzwerken promoviert. Seit 2012 forscht sie am InnoZ zur mediengestützten
          Mobilität und Nutzerakzeptanz von Innovationen. An der FU Berlin ist sie im Masterstudien-
          gang „Zukunftsforschung“ Dozentin im Bereich „Technikentwicklung und Gesellschaft“.

          helga.jonuschat@innoz.de

          Benno Bock, Diplomingenieur Verkehrswesen, ist seit 2009 als wissenschaftlicher Mitarbei-
          ter am InnoZ und evaluiert die Auswirkungen von Produktinnovationen im Mobilitätsbereich.
          Im Fokus stehen dabei neuartige Mobilitätsdienste, die auf Informations-und Kommunikati-
          onstechnologien beruhen.

          benno.bock@innoz.de

          Valentin Jahn ist seit 2010 als wissenschaftliche Hilfskraft im InnoZ tätig. Als Techniksozio-
          loge beschäftigt er sich mit der Wechselwirkung von gesellschaftlichem Verhalten und tech-
          nischen Entwicklungen. Vor allem Veränderungsprozesse durch Innovationen im IKT-Bereich
          stehen auf seiner Forschungsagenda. Die Aufgabenbereiche erstrecken sich dabei von sozial­
          wissenschaftlicher Begleitforschung bis hin zur praktischen Technikgestaltung.

          valentin.jahn@innoz.de
Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung
Inhalt

		   Inhalt

     Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen                        4
     Kurzfassung / Summary                                              5

1.   Das Smartphone als „ÖV-Navi“                                       7

2.   Das cairo-Projekt                                                  9
     Technische Merkmale der cairo-Applikation                         10
     Optimierung der technischen Komponenten
     über Usability Tests und Benchmark-Analyse                        10
     Identifikation von Nutzeranforderungen über
     Nutzerbefragungen und den cairo-Blog                              10
     Triangulation der Ergebnisse aus der Begleitforschung             11

3.   Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex                 12
     Intermodale Routen mobil zusammenstellen                          12
     Nutzerfreundliche Menüführung beim intermodalen Routing           13
     Die Rolle der Early Adopters                                      13
     Welche funktionalen Erwartungen werden an cairo gerichtet?        15
     Wann wird cairo genutzt?                                          16
     Welche Funktion ist am beliebtesten?                              17
     In welchen Situationen wünschen sich
     intermodale Verkehrsteilnehmer bessere Informationen?             18
     Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf die Early Majority           20

4.   Informationsnutzung in der Praxis                                 22
     Schnelle und einfache Routenabfrage –
     und zwar über alle Verkehrsmittel hinweg!                         22
     Berücksichtigung individueller Präferenzen                        23
     Integration kontextbasierter Informationen                        23

5.   Ausblick: Dynamische Informationen für intermodale Mobilität      25

     Literatur                                                         26
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Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen

Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen
           Abbildungen

Abb. 1:    Phasen des cairo-Projekts                                                     9

Abb. 2:    Entwicklung intermodaler Routenplanungsdienste                                9

Abb. 3:    Nutzeranforderungen bei der App-Entwicklung                                  11

Abb. 4:    Usability als Qualitätskriterium                                             13

Abb. 5:    Nutzung von Smartphone-Apps für den ÖV                                       14

Abb. 6:    Verkehrsmittelnutzung der Befragten                                          14

Abb. 7:    Nutzung und Ausstattung der Befragten mit Mobilitätsangeboten
           und Zugangsberechtigungen im Längsschnitt                                    15

Abb. 8:    Erwartungen an smartphonebasierte Mobilitätsdienste                          16

Abb. 9:    cairo-Einsatz je Verkehrsmittel                                              17

Abb. 10:   cairo-Einsatz je Reiseanlass                                                 17

Abb. 11:   Bewertung der Funktionen der App                                             18

Abb. 12:   Informationsbedarf nach Verkehrsmitteln                                      19

Abb. 13:   Informationsbedarf nach Orten                                                19

Abb. 14:   Informationsbedarf nach Wegen                                                20

Abb. 15:   Einfluss auf Wege und Verkehrsmittelwahl                                     20

Abb. 16:   Einfluss auf Mobilität                                                       21

Abb. 17:   Screenshot der Bemobility-Suite                                              23

Abb. 18:   Screenshot von Pendel Panda                                                  23

Abb. 19:   Screenshot der Car2Go-App                                                    24

Abb. 20:   Screenshot der Alarmfunktion bei cairo                                       24

           Abkürzungen

Abb.       Abbildung

EDGE       Enhanced Data Rates for GSM Evolution

GPRS       General Packet Radio Service

GSM        Global System for Mobile Communications

HSDPA      High Speed Downlink Packet Access

IKT        Informations- und Kommunikations-Technologien

LBS        Location Based Services

LTE        Long Term Evolution

PDA        Personal Digital Assistant

POI        Point of Interest

UMTS       Universal Mobile Telecommunications System

Aus Gründen der Einfachheit und der Lesbarkeit wurde bei Personenbezeichnungen in der Regel
die männliche Form verwendet; es sind jedoch immer jeweils beide Geschlechter gemeint.

4                                                                                       Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung
Kurzfassung / Summary

Kurzfassung                                                        Summary
Die Angebote auf dem Verkehrsmittelmarkt werden immer dif-         Simple and Complex – User Preferences on Intermodal Routing
ferenzierter: Innovative Lösungen wie Bike- oder Carsharing-       Applications for Smartphones
Konzepte schließen aus Angebotsperspektive zunehmend die
Lücke zwischen dem reinen Individualverkehr (IV) und dem           During recent years, the mobility service market has diversified:
klassischen öffentlichen Verkehr (ÖV). Ein Umsteigen auf Bus       Innovative solutions like bike- and carsharing concepts increas-
und Bahn kommt jedoch für Autofahrer nur dann in Frage, wenn       ingly fill the gap between individual car transport, and public
die gewohnten Mobilitätsmuster im Hinblick u.a. auf Fahrtzeiten,   transport. Most car owners, though, will only change to public
Routen und zusätzliche Erledigungen auch mit dem ÖV gleicher-      transport, if travelling becomes as comfortable as car trips in
maßen komfortabel möglich sind. Smartphones bieten in diesem       terms of travelling routines, times, activities, and routes. In this
Zusammenhang die Möglichkeit, auch von unterwegs aus Routen        context, smartphones indeed facilitate the access to public trans-
mit Bus, Bahn, Leihrädern und Carsharing so flexibel und spontan   port by enabling a flexible and spontaneous planning of bus, train,
zu planen, dass das Navigieren durch den öffentlichen Verkehr      bike rental and carsharing trips “on the go”. Moreover, smart-
deutlich komfortabler und übersichtlicher wird. Außerdem kann      phones can enhance the feeling of security and privacy in public
das Abrufen von Informationen über Smartphones dazu beitragen,     spaces in general. As a consequencee, navigating through the
in öffentlichen Räumen ein Gefühl der Privatheit und der Sicher-   public transport network becomes much easier and comfortable
heit zu erzeugen. Somit wird der Zugang zum öffentlichen Verkehr   for many user groups.
durch Routenplanungs-Apps für viele Menschen vereinfacht.
                                                                   Within the “cairo” project, researchers at InnoZ have assessed
Das InnoZ hat im Projekt „cairo“ über zwei Jahre die Nutzeran-     user preferences on mobile routing over a period of two years,
forderungen an ein mobiles Routing für den öffentlichen Verkehr    and could therefore also detect changes over time. Apart from
untersucht und dabei auch Änderungen im Zeitverlauf erfasst.       general requirements on technical functions, actual information
Insgesamt konnten damit nicht nur generelle Anforderungen an       needs with regards to location, transport modes, or routes have
die technische Ausgestaltung der Routing-App ausgewertet,          been a central subject of research. The results of this study are
sondern auch konkrete Informationsbedarfe nach Orten, Wegen        summarized in this Baustein.
oder Verkehrsmitteln bestimmt werden. Die Ergebnisse dieser
Studie werden im vorliegenden Baustein vorgestellt.

Das Verbundprojekt „cairo“ wurde von 2009 bis 2012 (erste Phase
von 02/2009-03/2011, zweite Phase von 04/2011-09/2012) vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi)
gefördert. An dem Projekt beteiligten sich die Unternehmen
DB AG/DB Vertrieb/DB Rent, HaCon GmbH, in der ersten Projekt­
phase zusätzlich noch der VBB Verkehrsverbund Berlin-Bran-
denburg GmbH sowie die RWTH Aachen (Lehrstuhl Informatik 4,
Lehr- und Forschungsgebiet Textlinguistik/Technik-Kommuni-
kation und das Arbeitsgebiet Mensch-Technik-Interaktion). Die
Koordination des Projekts übernahm in der ersten Projektphase
die RWTH Aachen, in der zweiten Projektphase das InnoZ.

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Das Smartphone als „ÖV-Navi“

1. Das Smartphone als                                                lich sind. Zudem ist für Autofahrer die ständige Verfügbarkeit
                                                                     des eigenen Fahrzeuges ein zentrales Argument gegen öffent-

„ÖV-Navi“                                                            liche Verkehrsmittel.

                                                                     Eine weitere Hürde, welche das spontane Umsteigen auf den ÖV
                                                                     aus der Sicht der Autofahrer beeinträchtigt, ist die Komplexität
Die Angebote auf dem Verkehrsmittelmarkt wachsen heutzu-             des Systems an sich. Um von einem Ort zu einem anderen zu
tage stetig. Innovative Lösungen wie vielfältige Sharingkonzepte     gelangen, muss man sich an Fahrplänen, Liniennetzen und
schließen aus technischer Sicht die Lücken zwischen dem reinen       Tarifstrukturen orientieren. Zudem ist die Nutzung des ÖVs oft
Individualverkehr (IV) und dem klassischen öffentlichen Ver-         mit Verkehrsmittelwechseln und Wartezeiten verbunden. Die
kehr (ÖV). Doch bei den Nutzergruppen lösen sich diese Para-         notwendige Koordinationsarbeit wird von vielen als eine Be-
digmen in den Köpfen bisher nur langsam auf. Ein Großteil der        lastung empfunden. Das setzt sich auch bei den immer mehr
Bevölkerung ist vorrangig entweder auf den Individualverkehr         Verbreitung findenden halböffentlichen Verkehrsmittelange-
oder den öffentlichen Verkehr fokussiert (vgl. dazu Zumkeller        boten wie Carsharing- oder Fahrradverleihsystemen fort.
et al. 2011, S. 55f.). Durch die verschiedenen Eigenschaften         Durch die zunehmende Pluralisierung der Angebotslandschaft
dieser Verkehrsmittelarten entstehen für die jeweiligen Nutzer       wächst auch gleichzeitig die Komplexität des gesamten Verkehrs-
unterschiedliche Vor- und Nachteile.                                 mittelsystems. Zudem steigt die Anzahl potenzieller Zugangs-
                                                                     hürden zu den immer vielfältiger werdenden Verkehrsmittelan-
Da nach Gorr (1997) die Verkehrsmittelwahl zu 95 Prozent rou-        geboten, da durch diese verkehrliche Ausdifferenzierung immer
tinisiert stattfindet, ist davon auszugehen, dass gewohnheits-       mehr mögliche Optionen mitgedacht werden müssen. Es muss
mäßige Nutzer nicht immer das optimale Verkehrsmittel für den        also noch mehr Koordinationsarbeit geleistet werden, um alle
jeweiligen Nutzungsanlass wählen. Vor allem auf alltäglichen         möglichen Verkehrsmitteloptionen mit in die Mobilitätsplanung
Wegen, z.B. zur Arbeit oder zum Einkaufen, wird die Verkehrs-        einbeziehen zu können. Es besteht daher das Problem, dass
mittelwahl von individuellen Routinen geleitet und erfolgt da-       eine nachhaltige intermodale Mobilität mit einer wachsenden
her weitgehend unbewusst (vgl. Karl/ Maertins 2009, S. 6). Vor       Komplexität einhergeht. Besonders das praxisrelevante Wissen,
allem aus Gründen einer nachhaltigen Verkehrsmittelnutzung           das eine hürdenlose Verkehrsmittelnutzung erst ermöglicht,
scheint es mehr als angebracht, die Kluft zwischen dem ÖV und        fehlt derzeit und steht einer routinisierten intermodalen Ver-
dem IV zu schließen.                                                 kehrsmittelnutzung im Wege.

Ziel sollte es daher sein, dass die Eigenschaften von unterschied-   Smartphones bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma, denn
lichen Verkehrsmitteln immer optimal genutzt werden können,          ihre Funktionalitäten ermöglichen einen Zugriff auf vielfältigste
sodass für den jeweiligen Anlass und in der jeweiligen Situation     Informationen. Das fehlende routinisierte Praxiswissen muss
das effizienteste Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Diese an-      sich nicht mehr selbst angeeignet werden, sondern kann im
gestrebte Multioptionalität bedeutet nicht zuletzt auch für die      jeweiligen Kontext durch aktuelle mobile Informationen ersetzt
Nutzer einen Zuwachs an Flexibilität und Selbstbestimmtheit          werden. Bereits 2004 wurden mobile Informationsdienste daher
bezüglich der eigenen Mobilität. Diese Mobilität sollte ganz un-     auch als Schlüsseltechnologie für intermodale Reiseangebote
abhängig vom Verkehrsmittel gedacht werden können (seam-             identifiziert (Beutler 2004). Drei Erfolgsfaktoren lassen sich nach
less) und der Verkehr sollte somit verkehrsmittelübergreifend        Beutler als strukturelle Bedingungen identifizieren, die für die
(intermodal) realisierbar sein. Vor allem im Sinne einer inter-      Umsetzung eines idealtypischen intermodalen Verkehrsverhalten
modalen Mobilität ist zu diesem Zweck der öffentliche Verkehr        maßgeblich sind: „Nutzen ohne Nachdenken, One-Way-Fähigkeit
besonders förderungswürdig, denn hier besteht ein großes             und Pay-As-You-Go-Bezahlschema“ (ebd., S. 17 f.). Mit mobilen
Nutzungspotenzial. Vielen Menschen sind die Vorteile des ÖVs         Informationssystemen lassen sich diese Anforderungen um-
nicht bewusst, da sie sich bspw. an bestehenden automobilen          setzen. Was damals noch als eigenständiger „Personal Travel
Routinen orientieren. Diese verkehrlichen Handlungsmuster            Assistant“ (PTA) mit GPS und Übersetzungstool vermarktet
werden meist durch Individualverkehrsmittel geprägt und              wurde, ist für viele heute in Form von Mobilitäts-Apps für Smart-
divergieren mit den Nutzungsbedingungen der fahrplange­              phones Alltagsgut geworden.
bundenen Verkehrsmittel.
                                                                     Auch die derzeitige Diffusionsgeschwindigkeit, mit der Smart-
Die Sozialisation durch das Automobil verhindert somit einen         phones gesellschaftliche Verbreitung finden, spricht für eine
neutralen Blick auf die öffentlichen Verkehrsmittelangebote,         zunehmende Verbindung von Mobilität und informatorischer
denn in den Köpfen haben sich die Eigenschaften der „Rennreise-      Vernetzung. Bereits knapp ein Drittel (28 Prozent) der Internet-
limousine“ (Knie 1997) als Best Practice verfestigt. Gegenüber       nutzer greift auf das Smartphone zurück, 58 Prozent davon sogar
dem ÖV werden bspw. der spontane Zugang und die Flexibilität         täglich (Accenture 2011, S. 5). Fast zwei Drittel aller mobilen
bei der Routenwahl als besonderer Vorteil angeführt. Dies be-        Internetnutzer und sogar drei Viertel der 20-29-Jährigen nutzen
deutet, dass ein Umsteigen auf Bus und Bahn für Autofahrer nur       zudem ihr Smartphone, um ihre Mobilität zu planen (ebd., S. 20).
dann in Frage kommt, wenn die gewohnten Mobilitätsmuster             Über immer schnellere Verbindungsstandards (von GSM und
im Hinblick u.a. auf Fahrtzeiten, Routen und zusätzliche Erle-       GPRS über EDGE und UMTS bis hin zu HSDPA und LTE) werden
digungen auch mit dem ÖV gleichermaßen komfortabel mög-              dabei auch komplexere Abfragen, die einer Übertragung größerer

Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13                                                                                          7
Das Smartphone als „ÖV-Navi“

Datenmengen bedürfen, an nahezu jedem Ort möglich. Der              mit der Schüttelfunktion des Smartphones ein Fahrrad erfasst
Ablösung des Handys durch das Smartphone steht also auch            und dann entliehen werden kann. Ebenso wird die Abgabe des
technisch nichts mehr im Wege.                                      Fahrrads beim stationsungebundenen Call-a-Bike-System
                                                                    über das Smartphone grundlegend vereinfacht. Früher war ein
Durch diese neuen Möglichkeiten der informatorischen Vernet-        Anruf erforderlich, bei dem der Abmeldecode über die Tasta-
zung lassen sich die Herausforderungen intermodaler Mobilität       tur eingegeben und der aktuelle Standort mit Straßennamen
durch das Smartphone bewältigen. Für die Nutzer kann die Über-      durchgesagt werden musste. Heute kann man über die digitale
komplexität vielfältigster Mobilitätsoptionen durch geeignete       Karte die „virtuelle Station“ eingeben, ohne nach Straßenschil-
Apps in eine sog. Seamless-Erfahrung umgekehrt werden, d.h.         dern suchen zu müssen. Smartphones werden des Weiteren
es gibt keine Lücken im Informationsfluss und somit keine Brüche    zunehmend für Buchungs- und Zahlungsfunktionen einge-
beim Wechsel zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsan-           setzt. Vorabbuchungen z.B. von Carsharing-Fahrzeugen am
geboten. Dieser informatorische Mehrwert ermöglicht eine            heimischen PC oder die Suche nach Kleingeld am Fahrschein-
effiziente Fortbewegung, unabhängig von Systemgrenzen oder          automaten können damit umgangen werden.
verkehrsmittelspezifischen Zugangsbarrieren.
                                                                    All diese Befunde bestätigen, dass Apps die Nutzung öffentlicher
Das Abrufen von Informationen über Smartphones kann zu-             und halböffentlicher Verkehrsangebote verstärken können. Bis-
dem dazu beitragen, in öffentlichen Räumen ein Gefühl der           herige Studien haben gezeigt, dass Smartphones eine persön-
Privatheit und der Sicherheit zu erzeugen. So wie das Automobil     liche und selbstbestimmte Aneignung einer häufig als fremd und
als „Reizschutzpanzer“ (Rammler 2001, S. 56) dient, das den         unsicher erlebten öffentlichen Verkehrswelt fördern können.
Nutzer vor äußeren Einflüssen schützt, kann auch das Smart-         Das wurde bereits früh am Beispiel des mobilen Ticketings
phone ein Stück der vertrauten und privaten Welt im öffent­         (Ring&Ride, Touch&Travel) nachgewiesen (vgl. Maertins, Schaefer
lichen Raum bzw. in öffentlichen Verkehrsmitteln erzeugen.          2008, S. 48). Die problematisierte Lücke zwischen den Systemen
Dies ist auch notwendig, da viele Menschen beim Fahren mit          des ÖV und des Individualverkehrs lässt sich durch die informa-
öffentlichen Verkehrsmitteln ein Gefühl des Kontrollverlusts        torische Vernetzung über Smartphones egalisieren. Um in den
bzw. „Ausgeliefertseins“ empfinden (vgl. Knie 2009, S. 34). Vor     Köpfen eine verkehrsmittelübergreifende Mobilität denkbar
allem wenn sich der Verbindungsablauf unterwegs aufgrund von        werden zu lassen, müssen die Apps von morgen in der Lage sein,
Verspätungen oder anderen Störungen ändert, sind selbst ge-         die Komplexität aller verfügbaren Verkehrsmittelangebote nutzer-
übte Nutzer von Bus und Bahn überfordert. Verlässliche und          und kontextspezifisch aufzubereiten. Besonders das Management
aktuelle Informationen zu intermodalen Verkehrsmittelverbin-        von intermodalen Verbindungen stellt hier die Herausforderung
dungen können demnach das Gefühl der Entscheidungsautonomie         dar, um dem Nutzer das Gefühl einer Seamless-Erfahrung zu
sowie die Flexibilität bei der Fahrt selbst deutlich erhöhen.       geben und die Mobilität zu vereinfachen. Wie App-basierte mobile
                                                                    Informationssysteme zu diesem Zweck konkret gestaltet werden
In der Kombination mit neuen „halböffentlichen“ Mobilitäts-         müssen, ist bisher noch nicht hinreichend untersucht worden.
diensten lässt sich die Lücke zwischen ÖV und Individualver-
kehr in urbanen Räumen schon heute schließen. Einige Studien
(wie z.B. Maertins/Schäfer 2008, S. 8, Wittowsky 2009, S. 8f.)
deuten bereits darauf hin, dass eine bessere Informationslage
die „gefühlte Verfügbarkeit“ der jeweiligen Verkehrsmittel stärkt
und letztlich auch die Nutzungsintensität erhöht. Es zeigte sich,
dass durch Mobilitäts-Apps und die damit verbundene subjektiv
wahrgenommene Verhaltenskontrolle und erhöhte Sichtbarkeit
alternativer Mobilitätsangebote tatsächlich die Nutzungsfrequenz
öffentlicher sowie halböffentlicher Mobilitätsangebote erhöhen
lässt. Beispielsweise hat sich nach Einführung der Smartphone-
App für den Call-a-Bike-Service innerhalb von wenigen Mona-
ten die Anzahl der Ausleihen um 30 Prozent steigern lassen.

Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Carsharing-Angebot der
Deutschen Bahn „Flinkster“: Im InnoZ-Projekt „BeMobility“
konnte eine vermehrte Buchung der Carsharing-Fahrzeuge
durch die App beobachtet werden, während die Buchungsopti-
onen über das Internet oder Telefon weiterhin gleichbleibend
intensiv genutzt wurden. Auch die Einführung von Handytickets
kann unter Umständen eine deutliche Umsatzsteigerung im
ÖPNV nach sich ziehen (vgl. Mattila 2010, S. 26).

Durch die technischen Möglichkeiten von Smartphones lässt
sich die Nutzung des (halb-) öffentlichen Verkehrs vereinfachen.
Bei Call a Bike werden z.B. Zugangshürden abgebaut, indem

8                                                                                             Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Das cairo-Projekt

                                                                             Technische                              Nutzeranforderungen
                                                                             Rahmenbedingungen

                                                                             Entwicklungserfordernisse               Nutzeranforderungen
                                                                                                                     an intermodale Routenplanung

                                                                                                   Gestaltung des Services

                                                                                                   Technische Entwicklung
    Usability Tests   Nutzerbefragung    Benchmarking      Nutzerbefragung
                        t0 t1 t2 t3                               t0 t1

               cairo 1.0                              cairo 2.0
                                                                             Technische Möglichkeiten zur            Nutzeranforderungen
                                                                             Gestaltung von Applikationen            an Applikationen
        2009               2010                2011               2012

Abb. 1: Phasen des cairo-Projekts                                            Abb. 2: Entwicklung intermodaler Routenplanungsdienste

2. Das cairo-Projekt                                                         JAVA-Applikation konzipiert, etablierten sich während der Pro-
                                                                             jektlaufzeit die neuen Smartphone-Plattformen iOS und Android.
                                                                             Mit diesen Betriebssystemen ließen sich Anwendungen umset-
                                                                             zen, die im Leistungsumfang und hinsichtlich der Gebrauchs-
Aus Nutzersicht sind zwei Anforderungen an ÖV-Routenplaner                   tauglichkeit (Usability) den JAVA-Applikationen deutlich über-
besonders zentral:                                                           legen waren. Deshalb wurde auf die Entwicklungen am Markt
                                                                             reagiert, eine Migration der cairo-Applikation auf diese neuen
-- Die Nutzer möchten in der Regel nicht „Bus fahren“ oder                   Entwicklungsumgebungen vorbereitet und zumindest für einige
   „ein Rad leihen“, sondern von „A nach B kommen“ – und                     Funktionen auch umgesetzt. In der zweiten Projektphase von
   zwar mit jedem ihm zur Verfügung stehenden Verkehrsmit-                   April 2011 bis September 2012 wurde die cairo-Applikation weiter
   tel und unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage.                für Smartphones optimiert und um zusätzliche Angebote er-
-- Die Nutzer möchten verlässliche Informationen, und zwar möglichst         weitert.
   schnell, einfach und aus einer Hand bereitgestellt bekommen.
                                                                             Der technische Entwicklungsprozess wurde durch Usability Tests,
Beide Anforderungen, d.h. die Berechnung intermodaler und                    zwei Nutzerbefragungswellen (in vier bzw. zwei Durchläufen)
aktueller Routen sowie die Integration umfassender Informationen             und einer umfassenden Marktrecherche mit anschließender
über alle Verkehrsmittel hinweg, werden bei cairo („Context                  Benchmark-Analyse wissenschaftlich begleitet (vgl. Abbildung 1).
Aware Intermodal Routing”) erfüllt. Als erste Smartphone-App
stellte cairo sowohl in Echtzeit aktualisierte Abfahrtszeiten als            Die technische Optimierung und das Erfassen und Einbinden
auch die Angebote verschiedener Verkehrsträger bereit.                       von Nutzeranforderungen sind dabei eng miteinander verzahnt
                                                                             (vgl. Abbildung 2). Demnach erfolgt eine Optimierung sowohl
Die Entwicklung der App wurde im Rahmen des gleichnamigen                    einzelner technischer Funktionen (z.B. Haltestellensuche) als
Fördervorhabens umgesetzt. Gefördert vom Bundesministerium                   auch der Servicekomponenten (z.B. Berechnung der Fahrtzei-
für Wirtschaft und Technologie (BMWi) haben die Partner DB Rent,             ten intermodaler Routen) in iterativen Schritten. In der ersten
HaCon Ingenieursgesellschaft und InnoZ1 Nutzeranforderungen                  Projektphase lag dabei der Schwerpunkt eher auf der Evaluati-
an mobile ÖV-Informationssysteme identifiziert und auf dieser                on der technischen Performance, während in der zweiten Pro-
Basis ein umfassendes intermodales ÖV-Informationssystem                     jektphase insbesondere Nutzeranforderungen definiert und
entwickelt. In einer breit angelegten Feldforschung wurden                   spezifiziert werden sollten.
Nutzer in mehreren Phasen zu Erwartungen, Nutzungsproble-
men, Zufriedenheit und Akzeptanz befragt. Die Ergebnisse der                 Die Forschungsapplikation cairo ist am Markt nicht verfügbar
begleitenden sozialwissenschaftlichen Forschungen werden im                  und stand den Testnutzern nur im Rahmen der Feldphase zur
vorliegenden InnoZ-Baustein zusammengefasst.                                 Verfügung. Die im Rahmen des cairo-Projekts entwickelten
                                                                             Dienste (wie z.B. die Standortsuche für Call-a-Bike- und Car-
In der ersten Projektphase von Februar 2009 bis Ende Januar                  sharing-Stationen) sind jedoch als neue Funktionen in die App
2011 wurde die erste cairo-Version zur Abfrage von intermodalen              „DB Navigator“ aufgenommen worden, die über die gängigen
Reiserouten für Mobiltelefone entwickelt. Ursprünglich als                   App-Stores als Download zur Verfügung steht.

1   In der ersten Projektphase (2009 – 2011) waren zudem die Partner RWTH
    Aachen sowie der Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) am
    cairo-Projekt beteiligt.

Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13                                                                                                   9
Das cairo-Projekt

Technische Merkmale der cairo-Applikation                             gelungener Anwendungen, die als Benchmark für die jeweilige
                                                                      Funktion verwendet werden sollten. Kriterien für die Voraus-
Zur Mitte der ersten Projektphase stand die cairo-Applikation         wahl waren z.B. die Größe des Anwendungsgebiets, die abge-
als Testversion für JAVA-fähige Handys (Nokia und Blackberry),        fragten Verkehrsmittel (Multi- und Intermodalität) sowie die
für Android-Betriebssysteme und für iPhones zur Verfügung.            Nutzerfreundlichkeit und Gebrauchstauglichkeit.
Die App wurde anschließend im Jahr 2010 zunächst auf Smart-
phones mit Android-Betriebssystem (ab Version 1.5 „Cupcake“),         Da fast alle Apps öffentlicher Verkehrsunternehmen und -ver-
iPhones (iOS Version 3.0 und 4.2), Blackberrys (ab Firmware           bünde in Deutschland von den Ingenieursunternehmen HaCon
Version 4.2.1) und Nokia-Handys (der Serie S60 3rd und 5th Edition)   oder Mentz DV entwickelt werden, sind Funktionsumfang und
von Testnutzern erprobt. Im Jahr 2012 wurde die cairo-App             Funktionslogik (Menüführung etc.) bei den meisten Anwendungen
schließlich an die iOS-Version 5.1 sowie die Android-Versionen        sehr ähnlich und Unterschiede lassen sich lediglich im Layout
ab 2.3 („Gingerbread“) angepasst und getestet.                        finden. Bei der Benchmark-Analyse wurde daher explizit dar-
                                                                      auf geachtet, Apps von unterschiedlichen Entwicklern mit zu
Das Grundkonzept von cairo ist zwar für alle Gerätetypen gleich,      berücksichtigen, um auch die Breite an technischen Lösungen
die unterschiedlichen Betriebssysteme erfordern jedoch jeweils        angemessen darstellen zu können.
eine eigene spezifische Gestaltung der Oberflächen oder der
Menüführung. So verfügen iPhones über ein großes Touchdis-            Die ausgewählten Mobilitätsdienste wurden dabei vor allem im
play, auf dem mehr Inhalte als bei anderen Smartphones darge-         Hinblick auf die für cairo relevanten Funktionen vertiefend ana-
stellt werden können. Zudem ist die Navigation innerhalb der          lysiert. Wesentliche Bewertungskriterien waren hierbei eine
Applikation durch das Farbdisplay deutlich einfacher zu gestal-       nutzerfreundliche Gestaltung der Ein- und Ausgabe, die Integ-
ten. Weiterhin gibt es exklusive iPhone-Funktionen, wie z.B. die      ration unterschiedlicher Verkehrsmittel in intermodale und
Augmented Reality Option, über die direkt im Kamerabild Um-           multimodale Dienste, die Berücksichtigung von Echtzeitinfor-
gebungsinformationen, Richtungsangaben etc. eingeblendet              mationen und das Erfassen des Nutzerkontexts. Die Dienste
werden können. Außerdem besitzt jedes Betriebssystem system-          wurden entsprechend dieser Kriterien über einen sog. Analyti-
spezifische Gestaltungsrichtlinien, die berücksichtigt werden         schen Hierarchie-Prozess (AHP) bewertet und die Funktionen
müssen, um dem Nutzer das gewohnte „Look & Feel“, d.h. das            mit den besten Bewertungen porträtiert.
übliche Erscheinungsbild der Applikation, bieten zu können.
Viele dieser Vorgaben sind über Entwicklungsumgebungen, den
sogenannten „System Development Kits“, vorgegeben.                    Identifikation von Nutzeranforderungen über Nutzerbefra-
                                                                      gungen und den cairo-Blog
Die erste cairo-Version aus dem Jahr 2009 besaß im Grunde
schon alle wesentlichen Funktionen für ein intermodales Rou-          Die Evaluation der technischen Komponenten über Usability
ting. In der zweiten Projektphase wurde die App insbesondere          Tests und die Benchmark-Analyse wurden durch Befragungen
durch kontextsensitive Funktionen ergänzt, die zeitliche, räum-       ergänzt, um Nutzeranforderungen an intermodales Routing
liche oder weitere Daten (z.B. zum Wetter) bei der Abfrage be-        generell erfassen zu können. Die sozialwissenschaftliche Be-
rücksichtigen. So wurden beispielsweise nun auch aktuelle             gleitforschung konzentriert sich dabei auf die Frage, ob die Ap-
Fahrten rund um den eigenen Standort angezeigt oder Alarm-            plikation bei der Bewältigung der alltäglichen Mobilitätsanfor-
Funktionen, beispielsweise vor dem Ausstieg an der Endhalte-          derungen behilflich sein kann und inwiefern dies insgesamt zur
stelle, ermöglicht.                                                   stärkeren Nutzung multi- bzw. intermodaler Angebote anregt.

                                                                      Aus den Ergebnissen der Nutzerakzeptanzanalyse können Rück-
Optimierung der technischen Komponenten über Usability                schlüsse zu Marktdiffusion und -potenzialen von intermodalen
Tests und Benchmark-Analyse                                           Mobilitätsdiensten gezogen werden, die praktisch für die Ver-
                                                                      marktung des Dienstes genutzt werden können. Zudem soll
Zur Unterstützung des technischen Entwicklungsprozesses               auf theoretischer Ebene überprüft werden, ob individuelle und
wurden in der ersten Projektphase zunächst sog. Usability             mobil abrufbare Informationen dazu führen können, dass ein
Tests durchgeführt. Hierbei nutzten etwa 40 Personen die Test-        intermodales Mobilitätsverhalten verstärkt wird.
version von cairo unter Beobachtung und deckten so Probleme
in der konkreten Nutzung auf. Die Ergebnisse der Usability-           Im Herbst 2010 wurde hierzu zunächst ein erster sechswöchi-
Tests wurden direkt an die Entwickler weiter gegeben.                 ger Feldtest mit Testnutzern durchgeführt. Im Mittelpunkt der
                                                                      Befragung standen die praktischen Nutzungserfahrungen der
Für die Benchmark-Analyse in der zweiten Projektphase wurde           Probanden im Hinblick auf die technische Zuverlässigkeit und
zunächst eine Internetrecherche zu vergleichbaren Routenplaner-       die Gebrauchstauglichkeit der cairo-Applikation in kritischen
Apps für den ÖV, zu Carsharing- und Bikesharing-Apps, zum             Situationen (z.B. unter Zeitdruck oder bei Zugverspätungen).
mobilen Ticketing sowie zu relevanten Online-Routenplanern            Diese Ergebnisse konnten zum einen für die technische Weiter-
durchgeführt. Die Recherche konzentrierte sich auf deutsch-           entwicklung genutzt werden und gaben zum anderen Aufschluss
sprachige Angebote, berücksichtigte aber exemplarisch auch            über generelle Akzeptanzbedingungen von Routenplanern und
einige Mobilitätsdienste aus dem europäischen Ausland und             intermodalen Informationssystemen.
den USA. Der Recherche folgte eine Vorauswahl besonders gut

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Das cairo-Projekt

Um Veränderungen in der Nutzung, der Zufriedenheit sowie
unterschiedliche Adaptionsmuster über die bzw. innerhalb der
beiden Projektphasen hinweg zu erfassen, wurde dieser Feld-               Generelle Nutzeranforderungen
test als Panel-Untersuchung mit drei Erhebungszeitpunkten                 (intermodales Routing, Datenschutz, Verständlichkeit etc.)
angelegt:

-- Befragung vor der Testnutzung: Die erste Befragung wurde                                             Funktionen und Dienste
   zum Projektstart durchgeführt. Hieran beteiligten sich ins-                Anforderungen an          (Push-Dienste, Verbindungssuche,
   gesamt 200 Probanden.                                                      Reiseinformationen        ortsbasierte Dienste, soziale Netzwerke,
                                                                                                        Integration Call a Bike / Carsharing)
-- Befragung während der Testnutzung: Etwa zwei Wochen nach
   Bereitstellung der Applikation wurden die Probanden erneut
   befragt. Diesen Fragebogen füllten insgesamt 154 Probanden                                           Usability
   komplett aus.                                                              Anforderungen             („Gebrauchstauglichkeit“, z.B. Echtzeit-
-- Befragung nach der Testnutzung: Nach fünf Wochen wurde                     an die Technik            daten, Datenqualität, Kontextsensitivität,
                                                                                                        Zuverlässigkeit)
   die Testphase abgeschlossen und die Probanden aus der
   zweiten Befragungswelle abermals befragt. Insgesamt
   antworteten 140 Personen.
-- 112 Probanden beteiligten sich an allen drei Phasen und            Abb. 3: Nutzeranforderungen bei der App-Entwicklung
   standen somit für die Panelauswertung zur Verfügung.

Die Befragung der Probanden wurde als onlinebasiertes                 Dementsprechend standen auch zwei unterschiedliche Frage-
„Selbstinterview“ (CAWI) konzipiert, das heißt, den Nutzern           stellungen im Vordergrund:
wurde dabei genügend Raum für freie Angaben zu Erfahrungen
und Situationen im Umgang mit der cairo-Applikation gegeben.          1. Welche Informationen brauchen die Nutzer, damit inter­
Diese Möglichkeit wurde von den Probanden intensiv genutzt               modales Reisen komfortabler wird?
und führte zu einem tiefen Verständnis über Nutzungskontexte          2. Wie soll eine intermodale Routenabfrage per App technisch
und die damit zusammenhängenden Bedienschwierigkeiten.                   gestaltet werden?

Im Frühjahr 2012 wurden die Tests der optimierten und um              Die erste Fragestellung konzentriert sich auf die Wechselwir-
kontextsensitive Funktionen erweiterten cairo-Version („cairo 2.0“)   kungen zwischen Informationen und Mobilitätsverhalten. Hierbei
durchgeführt. Die Vorbefragung fand im Mai 2012 (mit 315 Pro-         sind demnach Erkenntnisse von Interesse, die auf Änderungen
banden) und die Abschlussbefragung einen Monat später (mit            bezüglich der Verkehrsmittelwahl, der genutzten Routen oder
138 Probanden im Panel) statt. Für die zweite Testphase wurde         auch der Einstellung durch eine verbesserte Informationslage
außerdem ein Blog angelegt, der zwei Funktionen erfüllen sollte:      hindeuten. Diese Ergebnisse werden in Kapitel 4 vorgestellt.
Zum einen sollte die App „cairo“ erklärt und Hilfestellungen zu
einzelnen Funktionen gegeben werden. Zum anderen war der              Bei der zweiten Fragestellung liegt der Fokus hingegen auf den
Blog jedoch auch als Kommunikationsmittel gedacht, über das           Erkenntnissen, die während des technischen Entwicklungs-
weitere Nutzerinformationen erfasst wurden. So konnten die            prozesses hinsichtlich der Nutzeranforderungen an eine Rou-
Testnutzer beispielsweise Mängel über die Kommentarfunktion           ting-App gewonnen werden konnten. Diese Erkenntnisse sind
melden und diskutieren, aber auch positive Feedbacks zu be-           im folgenden Kapitel zusammengefasst.2
stimmten Funktionen hinterlassen. Die Nutzerkommentare
zum Blog wurden genutzt, um die App technisch zu optimieren
und um zu erkennen, welche Funktionen den Nutzern wichtig
sind und welche eher weniger.

Triangulation der Ergebnisse aus der Begleitforschung

Die Ergebnisse aller Projektbausteine – d.h. der Usability
Tests und des Benchmarkings sowie der Befragungen und die
Blog-Einträge – wurden zusammengetragen und hinsichtlich
der Nutzerperspektive ausgewertet. Die Anforderungen der
Nutzer flossen dabei auf zwei unterschiedlichen Ebenen in den
Entwicklungsprozess ein: Einerseits als generelle Wünsche zu
Mobilitätsinformationen sowie andererseits als konkrete An-
forderungen an die Bedienbarkeit der App (vgl. Abbildung 3).          2   Wenn eine Fragestellung in beiden Projektphasen behandelt und der Befra-
                                                                          gungszeitraum nicht extra gekennzeichnet wurde, wird in vorliegenden Doku-
                                                                          ment jeweils das aktuellere Ergebnis aus den Befragungen im Jahr 2012 vor-
                                                                          gestellt.

Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13                                                                                                         11
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex

3. Anforderungen                                                                lichen Verkehrsmitteln generell gefördert wird, wenn der mobile
                                                                                Routenplaner das intermodale Reisen optimiert und komfortab-

an die Technik:                                                                 ler macht. Hierzu gilt es zunächst zu erfassen, welche Funktionen
                                                                                das Reisen komfortabler machen und welche Informationen

Einfach vs. komplex                                                             die Nutzer konkret für die Routenplanung benötigen.

                                                                                Intermodale Routen mobil zusammenstellen
Der Einfluss von Informationsdiensten auf die Nutzung des öf-
fentlichen Verkehrs (ÖV) wurde schon vor zehn Jahren im Zu-                     Smartphone-Apps für den öffentlichen Verkehr greifen an einer
sammenhang mit Telematikanwendungen diskutiert (vgl. u.a.                       entscheidenden Stelle in das Mobilitätssystem ein – und zwar
Beckers et al. 2001, VSVI 1999). Schon damals wurde erkannt,                    an den Informationen zu Abfahrten, Ankünften und optimalen
dass es einen großen Bedarf nach Services zur mobilen Routen-                   Umsteigeverbindungen. Indem per App aktuelle Informationen
planung im ÖV gibt und dafür PDAs wie Smartphones bestens                       jederzeit und überall bereit stehen, hat man so stets im Blick,
geeignet seien (ebda., 13). Allerdings hatten damals nur wenige                 wie man auch ohne Auto auf der optimalen Route zum Ziel
Menschen überhaupt Zugang zum mobilen Internet: Noch 2005                       kommt. Somit wird ein zentraler Nachteil von Bus und Bahn
wurden in Deutschland lediglich 900.000 PDAs/Smartphones                        gegenüber dem Individualverkehr behoben, denn bisher wird
verkauft, 2011 waren es hingegen schon fast zwölf Millionen                     der ÖV noch oft mit Wartezeiten durch Anschlussprobleme
(Statista 2012, BITKOM 2012). Im Jahr 2008 gaben 13 Prozent,                    aufgrund von Verspätungen, der falschen Streckenwahl etc.
2011 28 Prozent und 2012 schon die Hälfte der befragten Inter-                  assoziiert, was eine genaue Planung erschwert.
netnutzer an, regelmäßig mobil zu surfen (Accenture 2011, 5) 3.
Bei den unter 30-Jährigen nutzen sogar 58 Prozent ein internet-                 In den letzten Jahren hat sich allerdings nicht nur die Informa-
fähiges Handy (BMELV 2012).                                                     tionsbasis gebessert, es sind zudem viele neue Mobilitätsange-
                                                                                bote geschaffen worden, die das bestehende Angebot des öffent-
Der Kostenfaktor hat bei der App-Nutzung bzw. Nutzung des                       lichen Verkehrs verdichten. Stationsgebundenes und flexibles
mobilen Internets in den letzten zwei Jahren deutlich an Be-                    Carsharing, Rufbusse oder Leihfahrradsysteme können den
deutung verloren, da die Kosten für mobiles Internet stark ge-                  Nutzern eine höhere zeitliche und räumliche Flexibilität bieten.
sunken sind. So musste man im Jahr 2009 für Datenflatrates                      Dadurch ähneln sie dem Auto oder dem Rad, sind aber dennoch
monatlich noch etwa 30-50 Euro zahlen, während heute Flat-                      wie der ÖV für jeden Nutzer, der sich zuvor registriert hat, frei
rates für das mobile Internet schon für unter zehn Euro zu haben                verfügbar. Die Möglichkeiten, mehrere Verkehrsmittel flexibel
sind. Gleichfalls ist der Verbraucherpreisindex für Telekom-                    und spontan miteinander zu kombinieren, sind also insgesamt
munikationsdienstleistungen von 2005 bis 2010 um ganze 17,2                     zumindest in Großstädten derzeit so vielfältig wie noch nie.
Prozent gesunken (Destatis 2011), während er sich in fast allen
anderen Konsumbereichen seit 20 Jahren stetig erhöht. Empi-                     Nutzeranforderungen an intermodale Routing-Apps werden
rische Ergebnisse zur Wirkung von IKT auf den öffentlichen                      bisher meist im Rahmen von Pilotprojekten wie cairo erfasst,
Verkehr konnten somit erst mit der zunehmenden Verbreitung                      bei denen lediglich eine begrenzte Nutzerzahl die Anwendung
von Smartphones seit etwa vier Jahren erarbeitet werden. Bis-                   testet. Inwiefern die Erkenntnisse aus der Testgruppe über-
herige Studien zu Mobilitäts-Apps kommen allerdings nicht zu                    tragbar sind, wird in den folgenden Abschnitten erörtert.
eindeutigen Ergebnissen, was die Wirkung auf die persönlichen
Mobilitätsmuster angeht. Wittowsky (2009) nimmt z.B. in seiner                  Nach der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO)
Untersuchung zu dynamischen Informationsdiensten im ÖPNV                        ist Usability demnach ein Qualitätsmerkmal, das darüber Auf-
an, dass „die vermehrte Bereitstellung von Echtzeitinformationen                schluss gibt, inwiefern ein Produkt geeignet ist, „bestimmte
einen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl ausübt“ und kommt zu                  Ziele in einem bestimmten Kontext effektiv, effizient und zu-
dem Schluss, dass „nicht nur die Qualität des Angebots, sondern                 friedenstellend zu erreichen“ (ISO-Norm DIN EN ISO 9241, Teil 11).
auch Informationen einen entscheidenden Einfluss auf die Ver-                   Usability ist somit ein genereller Indikator dafür, wie gut die
kehrsmittelwahl haben“ (ebd., S. 48). Dem gegenüber stellt                      jeweilige Anwendung zu gebrauchen ist. Neben organisatori-
eine österreichische Studie fest, dass Verkehrsinformationen                    schen Faktoren wie z.B. die laufende Aktualisierung der Daten-
nur eine geringe Wirkung auf das von Gewohnheiten geprägte                      banken ist für die Usability die konkrete Benutzbarkeit oder
Verkehrsverhalten haben (x-sample/verkehrplus 2010, S. 10).                     auch sog. Operability ausschlaggebend. Diese gibt an, wie die
                                                                                einzelnen Schritte der Abfrage strukturiert und gestaltet sind.
Auch das cairo-Projekt befasste sich mit den Wirkungen von                      Die Operability wird oft mit ergonomischen Anforderungen in
Informationen auf die Verkehrsmittelwahl und damit auf den                      Verbindung gebracht, die sich bei einer App z.B. in der Lesbar-
Modal-Split. Der Ansatz des Projekts war dabei die Annahme,                     keit oder der Haptik bei der Abfrage ausdrückt. Dies hängt wiede­r­
dass ein Modal-Shift weg vom eigenen Auto und hin zu öffent­                    um von der Qualität der softwaretechnischen Komponenten ab
                                                                                (vgl. Abbildung 4).

3   Obwohl bei der Accenture-Studie nur Internetnutzer befragt wurden und bei
    der BMELV-Studie keine Auswahl vorgenommen wurde, unterscheiden sich
    die beiden Werte zum Anteil der Smartphone-Nutzer im Jahr 2011 kaum (28
    Prozent bei Accenture bzw. 26 Prozent beim BMELV).

12                                                                                                          Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex

                                                                       -- Aufgaben angemessen: Die Aufgabe sollte effektiv und effizi-
                                                                          ent erledigt werden, d.h. z.B. keine langen Ladezeiten oder
                                                                          unnötige Eingaben.
                                  Usability
                                                                       -- Selbstbeschreibungsfähig: Die Navigation durch die Abfrage
                = „Gebrauchstauglichkeit“, z.B. Echtzeitdaten,
            Datenqualität, Kontextsensitivität, Zuverlässigkeit etc.      sollte intuitiv erfolgen.
                                                                       -- Steuerbar: Anzeigen sollten z.B. vergrößert oder Downloads
                                                                          abgebrochen werden können.
                                Operability                            -- Erwartungskonform: Die Zeichen sollten den Nutzerroutinen
            = „Benutzbarkeit“ z.B. Spracheingabe, Eingabearten,
                                                                          entsprechen, z.B. sind Buttons an den gewohnten Positionen.
        Kartendarstellung, Favoriten, Homescreen, Menüführung etc.     -- Fehlertolerant: Fehler, wie z.B. Schreibfehler bei der Eingabe,
                                                                          sollten nicht zum Abbruch führen.
                                                                       -- Individualisierbar: Ein individualisierbarer Dialog lässt zu,
                    Softwaretechnische Qualität                           dass persönliche Voreinstellungen berücksichtigt werden.
             z.B. Gestaltung der Datenschnittstellen, Design etc.         Dieser Aspekt wird im folgenden Abschnitt noch einmal aus-
                                                                          führlicher behandelt.
                                                                       -- Lernförderlich: Die Anwendung sollte den Nutzer beim
                                                                          Erkunden der Funktionen unterstützen.

Abb. 4: Usability als Qualitätskriterium
                                                                       Für intermodale Routingdienste ist eine nutzerfreundliche
                                                                       Menüführung besonders voraussetzungsvoll, da durch die
Mobile Routenplaner sind demzufolge gebrauchstauglich oder             Kombination unterschiedlicher Einzelfunktionen z.B. die Fahr-
„usable“, wenn sie eine einfache und schnelle Abfrage ermög-           planabfrage mit der Reservierung eines Carsharing-Autos,
lichen. Der Funktionsumfang von Routenplanungs-Apps wird               komplexe Abfragen entstehen, die in intuitiv nachvollziehbare
allerdings mit der Anzahl der einbezogenen Verkehrsmittel              Einzelschritte zerlegt werden müssen. Dabei sollte der Prozess
immer größer und die Bedienung dadurch tendenziell kompli-             der Eingabe weiterhin möglichst schnell und zuverlässig mög-
zierter. Bei der Entwicklung von intermodalen Mobilitäts-Apps          lich sein. Bisher werden die einzelnen Funktionen als individuelle
kommt es also primär darauf an, allen Anforderungen an die             Applikationen auf das Smartphone geladen und stehen dann
Funktionalität gerecht zu werden und dennoch eine einfache             unverknüpft nebeneinander. Auch sind die Nutzer heute darauf
und schnelle Bedienung der Applikation zu gewährleisten. Das           angewiesen, verschiedene Apps unterschiedlicher Anbieter
ist aufgrund der stets wachsenden Informationsmenge, die               z.B. für Fahrradverleihsysteme (Call a Bike4 oder Nextbike)
durch die Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel ent-            oder Carsharing (Flinkster, DriveNow, Car2Go etc.) zu instal-
steht, keine leichte Aufgabe.                                          lieren. Die parallelen Abfragen müssen dann selbst miteinan-
                                                                       der verglichen werden. Dies ist jedoch sehr umständlich und
Werden darüber hinaus noch Preise ermittelt und Buchungs-              so sind in den letzten Jahren verschiedene Routenplaner ent-
bzw. Reservierungsfunktionen implementiert, steigt die Kom-            standen, die mehrere Dienste miteinander verknüpfen und auch
plexität abermals. Intermodal Reisende brauchen also nicht             vergleichen. Dabei können die Dienste entweder hierarchisch
nur eine Auskunft zu Abfahrts- und Ankunftszeiten, sondern             oder über eine Plattform miteinander verbunden werden.
eine Vielzahl an Informationen von der Position der Carsha-
ring- oder Call-a-Bike-Stationen über die Länge der nötigen
Fahrrad- oder Fußwege bis hin zu Parkmöglichkeiten an Hal-             Die Rolle der Early Adopters
testellen und Bahnhöfen. Die Gestaltung eines intermodalen
Routenplaners muss daher stets die Balance zwischen Infor-             Neben der Einstellung zur Mobilität spielt auch die Offenheit
mationsvielfalt und Usability halten. Eine intuitive und nutzer-       gegenüber Innovationen eine bedeutende Rolle für die Verbrei-
freundliche Menüführung ist dabei ein zentrales Mittel, um             tung von intermodalen Routing-Diensten. Das Diffusionsmodell
trotz Informationsdichte den Überblick zu behalten.                    von Rogers (1962) ist in diesem Kontext ein weit verbreiteter
                                                                       Ansatz, Konsumentengruppen hinsichtlich ihres Interesses an
                                                                       neuen Produkten und Dienstleistungen einzuteilen. Das Modell
Nutzerfreundliche Menüführung beim intermodalen Routing                geht davon aus, dass etwa die Hälfte einer Zielgruppe eine Inno-
                                                                       vation erst dann annimmt, wenn sie weitgehend etabliert ist.
Eine nutzerfreundliche Menüführung erleichtert die Mensch-             Demgegenüber sind die sog. Innovators, Early Adopters und
Maschine-Interaktion, d.h. den Dialog zwischen der App und             die Early Majority neuen Diensten oder Produkten gegenüber
dem Nutzer. Teil 10 der ISO-Norm 9241 befasst sich in diesem           weitgehend aufgeschlossen (ebda. 1962, S. 150).
Kontext mit der Benutzbarkeit oder auch Operability und hält
die entsprechenden Standards in den „Grundsätzen der Dialog-           Die erste Gruppe, die ein Produkt oder einen Dienst testet, sind
gestaltung“ fest. Demnach soll der Dialog zwischen App und             nach Rogers die „Innovatoren“. Sie werden als besonders risiko­
Nutzer die folgenden Merkmale aufweisen:                               freudig beschrieben und kaufen bzw. nutzen Innovationen,

                                                                       4   Mit der Call-a-Bike-App kann man allerdings in Kassel auch auf das Konrad-
                                                                           und in Hamburg auf das StadtRAD-Hamburg-Verleihsystem zugreifen.

Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13                                                                                                      13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex

Wie häufig nutzen Sie im Durchschnitt folgende                                                                 Geben Sie bitte jeweils an, wie häufig Sie in der Regel fol-
Smartphone-Apps?                                                                                               gende Verkehrsmittel benutzen.

                                                                                                 3,0                                                                                                           1,3 0,3 0,7

  DB Navigator         21,9                  29,2                       26,9               8,0     4,7 6,3           Fußweg ab 500m             59,5                                            22,9            8,0        7,3
                      3,3                                                                                                                                                                                                 1,3
DB Call a Bike                                                                                                  ÖV auf Entfernungen
oder StadtRad               11,0     18,9               19,6            13,0       24,3                10,0          bis unter 20 km            40,5                           32,2                      15,9         4,7 5,3
                     1,0                                                                                                                                                                                      3,3
                                                                                                                             Fahrrad
  DB Flinkster        3,7     19,9               26,2                  12,0       28,2                 9,0         (ohne Bikesharing)           30,6                    19,9            18,6           11,0               16,6
                      0,7                                                                                                                                                                                       0,3 2,7
                                                                                                                 ÖV auf Entfernungen
       DB Ticket      6,3     21,6                  19,3              12,6      31,2                    8,3     von 20 bis unter 100 km 11,3              17,3          30,2                   29,2                        9,0
                      1,3                                                                                      ÖV für längere Strecken 2,3                                                                          1,0 2,7
                                                                                                                       ab etwa 100 km
 Touch&Travel         3,3 8,0 11,0            10,6       55,8                                          10,0      einfache Entfernung 15,3                      39,2                            32,6                        7,0
                                                                                                                                        1,3                                                                   2,0
                                                                                                                Pkw als Mitfahrer/-in
              Öffi    10,3     10,0        7,6 3,7 5,6     52,5                                        10,3                               16,6                 34,9                        27,9                     8,0 9,3
                                                                                                                            (ohne Taxi)
                                                                                                                                        1,3                                                                    1,3

FahrInfo Berlin        8,0 10,3 5,6 9,6              5,3       50,2                                    11,0                            Taxi    9,0      27,6                   44,9                                 10,3 5,6

                      2,3                                                                                                                                                                                           2,0

  VBB Fahrinfo         3,7 5,6 9,0         6,6    62,1                                                 10,6                    Flugzeug 3,7 14,6                 68,1                                                 6,0 5,6
                                                                                                                                        0,3                                          3,0
                                           2,7                                                                 Carsharing ohne Elektro-
                                                                                                                                                                                            31,2
  andere Apps 6,0 7,6                9,6     2,3 17,3                 54,5                                      fahrzeug (als Fahrer) 5,3 18,3                    21,6            5,6      45,8                     10,3
                                                                                                                                                                            1,3
                     0%              20%                40%              60%              80%          100%
                                                                                                                       Pkw als Fahrer
                                                                                                                                                                                            31,2
                                                                                                                    (ohne Carsharing) 5,3 9,6 7,0                19,9          7,0         49,8
    (fast) täglich          1-3 Tage pro Woche                   1-3 Tage pro Monat
                                                                                                                                              1,3                         3,0 1,3
    seltener als monatlich                 einmal zum Probieren                 nie          fehlend
                                                                                                                            Bikesharing        8,3 12,6          18,3                      55,1
N = 301
                                                                             Quelle: cairo 2012 T0-Befragung                                  0,3 2,0
                                                                                                               Carsharing mit Elektro-
                                                                                                                                               6,3 11,3          29,2                      50,8
Abb. 5: Nutzung von Smartphone-Apps für den ÖV                                                                  fahrzeug (als Fahrer)
                                                                                                                                              2,0 | 3,0 | 2,7 | 1,7 | 2,0
                                                                                                                         Mofa / Moped /
                                                                                                                                                                62,1                       88,7
                                                                                                                             Motorrad
                                                                                                                                              1,0 | 1,0 | 1,7 | 0,3 | 0,7
gerade weil sie neu und unbekannt sind. In Rogers Modell erhal-
ten allerdings die Early Adopters eine besondere Bedeutung für                                                                      Pedelec                      17,3                      96,0

die Marktdiffusion, da sie als sozial vernetzte Wortführer und                                                                            0%             20%             40%               60%           80%               100%
Vorreiter den sog. „Chasm“ (Kluft) zum Massen­­markt überwin-
                                                                                                                   (fast) täglich        1-3 Tage pro Woche                 1-3 Tage pro Monat
den können (vgl. Moore 1991). Somit seien das Verhalten und
                                                                                                                   seltener als monatlich               einmal zum Probieren                   nie             fehlend
die Einstellungen der Early Adopters mit einer gewissen Zeit-
                                                                                                               N = 301
verzögerung vermutlich auch auf andere Bevölkerungsgruppen                                                                                                                                             Quelle: cairo 2012 T0
übertragbar.
                                                                                                               Abb. 6: Verkehrsmittelnutzung der Befragten

Die cairo-Testnutzer lassen sich als Early Adopters im Sinne
von Rogers klassifizieren, vor allem deshalb, da sie eine geübte
Nutzung und Kenntnis von ÖV-Informationssystemen aufweisen.
Darüber hinaus indizieren zwei Eigenschaften, die die cairo-                                                   zung der konzeptionellen und funktionalen Ausgestaltung sol-
Testnutzer aufweisen, eine große Affinität zu intermodalen                                                     cher Dienste. Nahezu alle Testnutzer kennen den DB Navigator
Informationsdiensten für Smartphones. Dazu gehört zum einen                                                    und fast 80 Prozent nutzen ihn regelmäßig. Darüber hinaus
eine ausgeprägte Technikaffinität und zum anderen eine inten-                                                  sind zahlreiche weitere Informationssysteme bekannt und
sive ÖV-Nutzungspraxis, die häufig sogar intermodal ist. Diese                                                 werden auch genutzt (vgl. Abbildung 5).
beiden Eigenschaften tragen dazu bei, dass sowohl aus Neugier
(Technikaffinität) als auch aus einem intrinsischen Bedürfnis                                                  Generell interessieren sich alle Probanden für technische Geräte
heraus neue Informationssysteme getestet und – wenn sie eine                                                   und deren Aneignung bereitet ihnen keine Probleme. Zwei
Verbesserung gegenüber den gewohnten Systemen verspre-                                                         Drittel der Befragten geben an, dass sie von Freunden und
chen – in die persönliche Alltagspraxis übernommen werden.                                                     Bekannten um Rat gefragt werden, wenn sie ein technisches
                                                                                                               Problem haben. Mehr als 85 Prozent stimmen den folgenden
Alle Befragten nutzen mindestens ein ÖV-Informationssystem                                                     Aussagen überwiegend oder voll und ganz zu:
und zeigen ein deutliches Interesse bei der Auseinanderset-

14                                                                                                                                                            Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex

                                                                                       Bereits 2010 besaß etwa die Hälfte der Befragten eine Bahn-
Bitte geben Sie die zutreffenden Punkte für Sie […] an.                                Card, über ein Drittel war Carsharing-Kunde und ein Viertel
                                                                                       nutzte beides. Wie in Abbildung 7 darstellt, haben von der ers-
                                                                                       ten Projektphase 2010 bis zum Ende der zweiten Projektphase
  Führerschein-        89,4                                                            im Herbst 2012 die sog. intermodalen Angebote wie Car- und
 besitz (für Pkw)      90,0
                                                                                       Bikesharing im Längsschnitt sogar noch weiter an Bedeutung
 Mitglied/Kunde        65,1
beim Carsharing        38,0                                                            gewonnen. Im Jahr 2012 sind zwei Drittel der Tester Carsha-
  Mitglied/Kunde       52,8                                                            ring- und über die Hälfte Bikesharing-Kunden. Weit über die
beim Bikesharing       36,5                                                            Hälfte besitzt eine BahnCard 25, 50 oder 100. Demgegenüber
   ständige oder       47,6                                                            ist die Verfügbarkeit eines privaten Pkw in der zweiten Test-
   gelegentliche
Pkw-Verfügbarkeit      51,5                                                            gruppe 2012 etwas geringer als bei der ersten Testgruppe von
                       24,9                                                            2010 (vgl. Abbildung 7).
    BahnCard 25        22,0
                       36,9
    BahnCard 50        29,0                                                            Weitere Hinweise auf die intermodale Verkehrspraxis der
                       12,6
                                                                                       Befragten ergeben sich aus der hohen Zustimmungsrate von
   BahnCard 100         6,0                                                            90 Prozent zu den folgenden Aussagen:5
                0%             20%    40%         60%            80%         100%
                                                                                       -- „Für mich ist die Kombination von Verkehrsmitteln eine sehr
                        2012           2010
                    N = 301
                                                                                          gute Möglichkeit, meine tägliche Mobilität zu bewältigen.“
                                               Quelle: cairo 2010 und T1 und 2012 T0
                                                                                       -- „Ich nutze je nach Anlass unterschiedliche Verkehrsmittel.“
Abb. 7: Nutzung und Ausstattung der Befragten mit Mobili-                              -- „Ich nutze das Internet, um Wege zu planen.“
tätsangeboten und Zugangsberechtigungen im Längsschnitt                                -- „Ich nutze Navigationsdienste, um unterwegs besser zu-
                                                                                          rechtzukommen.“

-- „Es macht mir Spaß, ein elektronisches Gerät zu benutzen.“                          Vor diesem Hintergrund ist eine Analyse der Nutzungspraxis,
-- „Unbekannte elektronische Geräte verunsichern mich nicht.“                          Erfahrungen im Umgang mit cairo und Hinweise auf Verbesse-
-- „Ich kenne die meisten Funktionen der elektronischen Geräte,                        rungspotenzial von cairo von hoher Bedeutung und kann einen
   die ich täglich benutze.“                                                           wesentlichen Beitrag dazu leisten, ÖV-Informationsapps besser
-- „Ich finde mich bei unbekannten elektronischen Geräten                              an die Nutzerbedürfnisse anzupassen und damit Zugangs- und
   schnell und intuitiv zurecht.“                                                      Nutzungshürden innerhalb des ÖV bzw. bei intermodalen Ange-
                                                                                       boten zu verringern. Im Folgenden werden demnach die Erwar-
Schließlich zeigt die Verkehrsmittelnutzung der Probanden                              tungen, Nutzungsgewohnheiten und Nutzeranforderungen der
eine intensive Nutzung der Verkehrsmittel des sog. Umwelt-                             cairo-Tester analysiert und hinsichtlich des Verbesserungs-
verbundes, also Fußwege, Fahrrad und öffentliche Verkehrs-                             potenzials für cairo bewertet.
mittel (vgl. Abbildung 6). Fast drei Viertel der Befragten nutzen
mehr als einmal wöchentlich den ÖPNV (ÖV unter 20 km), 40
Prozent nutzen ihn sogar nahezu täglich. Der öffentliche Ver-                          Welche funktionalen Erwartungen werden an cairo gerichtet?
kehr für Strecken über 20 km, d.h. in der Regel der Schienen-
personennahverkehr, wird von mehr als der Hälfte noch min-                             In beiden Erhebungswellen – 2010 und 2012 – wurden die Test-
destens monatlich genutzt (vgl. ebd.).                                                 nutzer, bevor sie die cairo-App bereitgestellt bekamen, zu ihren
                                                                                       Erwartungen an eine intermodale App befragt. Ziel war die Er-
Demgegenüber hat der eigene Pkw in der Untersuchungsgruppe                             mittlung von Informationsbedürfnissen, die sich aus den alltags-
nur eine geringe Bedeutung und wird von den Befragten als                              praktischen Erfahrungen der Probanden ergeben. Dabei zeigt
Fahrer sogar weniger häufig genutzt als Carsharing-Angebote –                          sich bei einigen Anforderungen eine deutliche Veränderung inner-
weniger als ein Viertel fährt mit einem privaten Pkw öfter als                         halb dieser zwei Jahre.
einmal im Monat. Der Anteil der Mitfahrer ist hingegen sehr viel
höher: Über die Hälfte fährt mindestens wöchentlich und mehr                           Während 2012 die Eigenschaft „Multimodalität“ von einem Drittel
als 80 Prozent mindestens monatlich im Auto mit. Mehr als ein-                         der Befragten gefordert wurde, waren es 2010 nur etwa 20
mal wöchentlich fährt die Hälfte der cairo-Testnutzer zudem                            Prozent. Umgekehrt forderte die Hälfte der Befragten 2010
Fahrrad und über 80 Prozent legen Fußwege ab 500 m zurück.                             noch die Bereitstellung von Echtzeitinformationen zu den Ver-
                                                                                       kehrsangeboten, die 2012 nur noch von jedem Fünften als An-
Die Analyse deutet auf eine multi- oder intermodale Ver-                               forderung formuliert wurde. Das ist eine Verringerung von
kehrspraxis hin, bei der unterschiedliche Verkehrsmittel in                            über 30 Prozentpunkten (vgl. Abbildung 8). Eine ähnliche Ver-
Alltagssituationen genutzt und wahrscheinlich auch kombi-                              ringerung zeigt der Bedarf nach einer „schnellen Abfrage“, die
niert werden. Dass die Befragten zwischen ÖV- und IV-Ange-                             2012 nur noch von knapp 13 Prozent erwartet wurde – eine
boten wechseln, lässt sich auch an den Zugangsmöglichkeiten                            Verringerung um über 21 Prozentpunkte. Dieser Bedeutungs-
und an genutzten Rabattsystemen (BahnCard) ablesen (vgl.
Abbildung 7).
                                                                                       5   Es wurden die Kategorien von „eher“ bis „voll und ganz“ zusammengefasst.

Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13                                                                                                                     15
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