Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung
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2013 Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel Einfach und komplex Nutzeranforderungen an Smartphone-Applikationen zur intermodalen Routenplanung Marc Schelewsky · Helga Jonuschat · Benno Bock · Valentin Jahn InnoZ-Baustein 13
Autoren Autoren Dipl.-Soz. Marc Schelewsky ist seit 2007 am InnoZ beschäftigt und leitet das Fachgebiet „Mediengestützte Mobilität“. Seine Arbeitsgebiete umfassen den Einsatz mobiler Medien für den ÖV, personalisierte Navigationssysteme, Analyse von IT-Trends, neue Formen der Kunden- akzeptanzforschung, GPS-basierte Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Einsatz von Ortungs- technologien in Mobilitätsdienstleistungen, Innovationspotenziale im Taxigewerbe, vernetzte Mobilität, IT-Systeme für Elektromobilität. Zudem leitet und koordiniert er den Arbeitskreis „Indoor-Navigation“. Bis Dezember 2012 war er Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe „Wissenschaftspolitik“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). marc.schelewsky@innoz.de Helga Jonuschat ist seit 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am InnoZ und befasst sich mit sozialwissenschaftlicher Mobilitäts- und Nutzerakzeptanzforschung. Helga Jonuschat hat Architektur und Stadtplanung an der HfbK in Hamburg studiert sowie an der HU Berlin zu lokalen sozialen Netzwerken promoviert. Seit 2012 forscht sie am InnoZ zur mediengestützten Mobilität und Nutzerakzeptanz von Innovationen. An der FU Berlin ist sie im Masterstudien- gang „Zukunftsforschung“ Dozentin im Bereich „Technikentwicklung und Gesellschaft“. helga.jonuschat@innoz.de Benno Bock, Diplomingenieur Verkehrswesen, ist seit 2009 als wissenschaftlicher Mitarbei- ter am InnoZ und evaluiert die Auswirkungen von Produktinnovationen im Mobilitätsbereich. Im Fokus stehen dabei neuartige Mobilitätsdienste, die auf Informations-und Kommunikati- onstechnologien beruhen. benno.bock@innoz.de Valentin Jahn ist seit 2010 als wissenschaftliche Hilfskraft im InnoZ tätig. Als Techniksozio- loge beschäftigt er sich mit der Wechselwirkung von gesellschaftlichem Verhalten und tech- nischen Entwicklungen. Vor allem Veränderungsprozesse durch Innovationen im IKT-Bereich stehen auf seiner Forschungsagenda. Die Aufgabenbereiche erstrecken sich dabei von sozial wissenschaftlicher Begleitforschung bis hin zur praktischen Technikgestaltung. valentin.jahn@innoz.de
Inhalt Inhalt Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen 4 Kurzfassung / Summary 5 1. Das Smartphone als „ÖV-Navi“ 7 2. Das cairo-Projekt 9 Technische Merkmale der cairo-Applikation 10 Optimierung der technischen Komponenten über Usability Tests und Benchmark-Analyse 10 Identifikation von Nutzeranforderungen über Nutzerbefragungen und den cairo-Blog 10 Triangulation der Ergebnisse aus der Begleitforschung 11 3. Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex 12 Intermodale Routen mobil zusammenstellen 12 Nutzerfreundliche Menüführung beim intermodalen Routing 13 Die Rolle der Early Adopters 13 Welche funktionalen Erwartungen werden an cairo gerichtet? 15 Wann wird cairo genutzt? 16 Welche Funktion ist am beliebtesten? 17 In welchen Situationen wünschen sich intermodale Verkehrsteilnehmer bessere Informationen? 18 Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf die Early Majority 20 4. Informationsnutzung in der Praxis 22 Schnelle und einfache Routenabfrage – und zwar über alle Verkehrsmittel hinweg! 22 Berücksichtigung individueller Präferenzen 23 Integration kontextbasierter Informationen 23 5. Ausblick: Dynamische Informationen für intermodale Mobilität 25 Literatur 26
Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen Verzeichnis der Abbildungen und Abkürzungen Abbildungen Abb. 1: Phasen des cairo-Projekts 9 Abb. 2: Entwicklung intermodaler Routenplanungsdienste 9 Abb. 3: Nutzeranforderungen bei der App-Entwicklung 11 Abb. 4: Usability als Qualitätskriterium 13 Abb. 5: Nutzung von Smartphone-Apps für den ÖV 14 Abb. 6: Verkehrsmittelnutzung der Befragten 14 Abb. 7: Nutzung und Ausstattung der Befragten mit Mobilitätsangeboten und Zugangsberechtigungen im Längsschnitt 15 Abb. 8: Erwartungen an smartphonebasierte Mobilitätsdienste 16 Abb. 9: cairo-Einsatz je Verkehrsmittel 17 Abb. 10: cairo-Einsatz je Reiseanlass 17 Abb. 11: Bewertung der Funktionen der App 18 Abb. 12: Informationsbedarf nach Verkehrsmitteln 19 Abb. 13: Informationsbedarf nach Orten 19 Abb. 14: Informationsbedarf nach Wegen 20 Abb. 15: Einfluss auf Wege und Verkehrsmittelwahl 20 Abb. 16: Einfluss auf Mobilität 21 Abb. 17: Screenshot der Bemobility-Suite 23 Abb. 18: Screenshot von Pendel Panda 23 Abb. 19: Screenshot der Car2Go-App 24 Abb. 20: Screenshot der Alarmfunktion bei cairo 24 Abkürzungen Abb. Abbildung EDGE Enhanced Data Rates for GSM Evolution GPRS General Packet Radio Service GSM Global System for Mobile Communications HSDPA High Speed Downlink Packet Access IKT Informations- und Kommunikations-Technologien LBS Location Based Services LTE Long Term Evolution PDA Personal Digital Assistant POI Point of Interest UMTS Universal Mobile Telecommunications System Aus Gründen der Einfachheit und der Lesbarkeit wurde bei Personenbezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet; es sind jedoch immer jeweils beide Geschlechter gemeint. 4 Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Kurzfassung / Summary Kurzfassung Summary Die Angebote auf dem Verkehrsmittelmarkt werden immer dif- Simple and Complex – User Preferences on Intermodal Routing ferenzierter: Innovative Lösungen wie Bike- oder Carsharing- Applications for Smartphones Konzepte schließen aus Angebotsperspektive zunehmend die Lücke zwischen dem reinen Individualverkehr (IV) und dem During recent years, the mobility service market has diversified: klassischen öffentlichen Verkehr (ÖV). Ein Umsteigen auf Bus Innovative solutions like bike- and carsharing concepts increas- und Bahn kommt jedoch für Autofahrer nur dann in Frage, wenn ingly fill the gap between individual car transport, and public die gewohnten Mobilitätsmuster im Hinblick u.a. auf Fahrtzeiten, transport. Most car owners, though, will only change to public Routen und zusätzliche Erledigungen auch mit dem ÖV gleicher- transport, if travelling becomes as comfortable as car trips in maßen komfortabel möglich sind. Smartphones bieten in diesem terms of travelling routines, times, activities, and routes. In this Zusammenhang die Möglichkeit, auch von unterwegs aus Routen context, smartphones indeed facilitate the access to public trans- mit Bus, Bahn, Leihrädern und Carsharing so flexibel und spontan port by enabling a flexible and spontaneous planning of bus, train, zu planen, dass das Navigieren durch den öffentlichen Verkehr bike rental and carsharing trips “on the go”. Moreover, smart- deutlich komfortabler und übersichtlicher wird. Außerdem kann phones can enhance the feeling of security and privacy in public das Abrufen von Informationen über Smartphones dazu beitragen, spaces in general. As a consequencee, navigating through the in öffentlichen Räumen ein Gefühl der Privatheit und der Sicher- public transport network becomes much easier and comfortable heit zu erzeugen. Somit wird der Zugang zum öffentlichen Verkehr for many user groups. durch Routenplanungs-Apps für viele Menschen vereinfacht. Within the “cairo” project, researchers at InnoZ have assessed Das InnoZ hat im Projekt „cairo“ über zwei Jahre die Nutzeran- user preferences on mobile routing over a period of two years, forderungen an ein mobiles Routing für den öffentlichen Verkehr and could therefore also detect changes over time. Apart from untersucht und dabei auch Änderungen im Zeitverlauf erfasst. general requirements on technical functions, actual information Insgesamt konnten damit nicht nur generelle Anforderungen an needs with regards to location, transport modes, or routes have die technische Ausgestaltung der Routing-App ausgewertet, been a central subject of research. The results of this study are sondern auch konkrete Informationsbedarfe nach Orten, Wegen summarized in this Baustein. oder Verkehrsmitteln bestimmt werden. Die Ergebnisse dieser Studie werden im vorliegenden Baustein vorgestellt. Das Verbundprojekt „cairo“ wurde von 2009 bis 2012 (erste Phase von 02/2009-03/2011, zweite Phase von 04/2011-09/2012) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. An dem Projekt beteiligten sich die Unternehmen DB AG/DB Vertrieb/DB Rent, HaCon GmbH, in der ersten Projekt phase zusätzlich noch der VBB Verkehrsverbund Berlin-Bran- denburg GmbH sowie die RWTH Aachen (Lehrstuhl Informatik 4, Lehr- und Forschungsgebiet Textlinguistik/Technik-Kommuni- kation und das Arbeitsgebiet Mensch-Technik-Interaktion). Die Koordination des Projekts übernahm in der ersten Projektphase die RWTH Aachen, in der zweiten Projektphase das InnoZ. Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 5
Das Smartphone als „ÖV-Navi“ 1. Das Smartphone als lich sind. Zudem ist für Autofahrer die ständige Verfügbarkeit des eigenen Fahrzeuges ein zentrales Argument gegen öffent- „ÖV-Navi“ liche Verkehrsmittel. Eine weitere Hürde, welche das spontane Umsteigen auf den ÖV aus der Sicht der Autofahrer beeinträchtigt, ist die Komplexität Die Angebote auf dem Verkehrsmittelmarkt wachsen heutzu- des Systems an sich. Um von einem Ort zu einem anderen zu tage stetig. Innovative Lösungen wie vielfältige Sharingkonzepte gelangen, muss man sich an Fahrplänen, Liniennetzen und schließen aus technischer Sicht die Lücken zwischen dem reinen Tarifstrukturen orientieren. Zudem ist die Nutzung des ÖVs oft Individualverkehr (IV) und dem klassischen öffentlichen Ver- mit Verkehrsmittelwechseln und Wartezeiten verbunden. Die kehr (ÖV). Doch bei den Nutzergruppen lösen sich diese Para- notwendige Koordinationsarbeit wird von vielen als eine Be- digmen in den Köpfen bisher nur langsam auf. Ein Großteil der lastung empfunden. Das setzt sich auch bei den immer mehr Bevölkerung ist vorrangig entweder auf den Individualverkehr Verbreitung findenden halböffentlichen Verkehrsmittelange- oder den öffentlichen Verkehr fokussiert (vgl. dazu Zumkeller boten wie Carsharing- oder Fahrradverleihsystemen fort. et al. 2011, S. 55f.). Durch die verschiedenen Eigenschaften Durch die zunehmende Pluralisierung der Angebotslandschaft dieser Verkehrsmittelarten entstehen für die jeweiligen Nutzer wächst auch gleichzeitig die Komplexität des gesamten Verkehrs- unterschiedliche Vor- und Nachteile. mittelsystems. Zudem steigt die Anzahl potenzieller Zugangs- hürden zu den immer vielfältiger werdenden Verkehrsmittelan- Da nach Gorr (1997) die Verkehrsmittelwahl zu 95 Prozent rou- geboten, da durch diese verkehrliche Ausdifferenzierung immer tinisiert stattfindet, ist davon auszugehen, dass gewohnheits- mehr mögliche Optionen mitgedacht werden müssen. Es muss mäßige Nutzer nicht immer das optimale Verkehrsmittel für den also noch mehr Koordinationsarbeit geleistet werden, um alle jeweiligen Nutzungsanlass wählen. Vor allem auf alltäglichen möglichen Verkehrsmitteloptionen mit in die Mobilitätsplanung Wegen, z.B. zur Arbeit oder zum Einkaufen, wird die Verkehrs- einbeziehen zu können. Es besteht daher das Problem, dass mittelwahl von individuellen Routinen geleitet und erfolgt da- eine nachhaltige intermodale Mobilität mit einer wachsenden her weitgehend unbewusst (vgl. Karl/ Maertins 2009, S. 6). Vor Komplexität einhergeht. Besonders das praxisrelevante Wissen, allem aus Gründen einer nachhaltigen Verkehrsmittelnutzung das eine hürdenlose Verkehrsmittelnutzung erst ermöglicht, scheint es mehr als angebracht, die Kluft zwischen dem ÖV und fehlt derzeit und steht einer routinisierten intermodalen Ver- dem IV zu schließen. kehrsmittelnutzung im Wege. Ziel sollte es daher sein, dass die Eigenschaften von unterschied- Smartphones bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma, denn lichen Verkehrsmitteln immer optimal genutzt werden können, ihre Funktionalitäten ermöglichen einen Zugriff auf vielfältigste sodass für den jeweiligen Anlass und in der jeweiligen Situation Informationen. Das fehlende routinisierte Praxiswissen muss das effizienteste Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Diese an- sich nicht mehr selbst angeeignet werden, sondern kann im gestrebte Multioptionalität bedeutet nicht zuletzt auch für die jeweiligen Kontext durch aktuelle mobile Informationen ersetzt Nutzer einen Zuwachs an Flexibilität und Selbstbestimmtheit werden. Bereits 2004 wurden mobile Informationsdienste daher bezüglich der eigenen Mobilität. Diese Mobilität sollte ganz un- auch als Schlüsseltechnologie für intermodale Reiseangebote abhängig vom Verkehrsmittel gedacht werden können (seam- identifiziert (Beutler 2004). Drei Erfolgsfaktoren lassen sich nach less) und der Verkehr sollte somit verkehrsmittelübergreifend Beutler als strukturelle Bedingungen identifizieren, die für die (intermodal) realisierbar sein. Vor allem im Sinne einer inter- Umsetzung eines idealtypischen intermodalen Verkehrsverhalten modalen Mobilität ist zu diesem Zweck der öffentliche Verkehr maßgeblich sind: „Nutzen ohne Nachdenken, One-Way-Fähigkeit besonders förderungswürdig, denn hier besteht ein großes und Pay-As-You-Go-Bezahlschema“ (ebd., S. 17 f.). Mit mobilen Nutzungspotenzial. Vielen Menschen sind die Vorteile des ÖVs Informationssystemen lassen sich diese Anforderungen um- nicht bewusst, da sie sich bspw. an bestehenden automobilen setzen. Was damals noch als eigenständiger „Personal Travel Routinen orientieren. Diese verkehrlichen Handlungsmuster Assistant“ (PTA) mit GPS und Übersetzungstool vermarktet werden meist durch Individualverkehrsmittel geprägt und wurde, ist für viele heute in Form von Mobilitäts-Apps für Smart- divergieren mit den Nutzungsbedingungen der fahrplange phones Alltagsgut geworden. bundenen Verkehrsmittel. Auch die derzeitige Diffusionsgeschwindigkeit, mit der Smart- Die Sozialisation durch das Automobil verhindert somit einen phones gesellschaftliche Verbreitung finden, spricht für eine neutralen Blick auf die öffentlichen Verkehrsmittelangebote, zunehmende Verbindung von Mobilität und informatorischer denn in den Köpfen haben sich die Eigenschaften der „Rennreise- Vernetzung. Bereits knapp ein Drittel (28 Prozent) der Internet- limousine“ (Knie 1997) als Best Practice verfestigt. Gegenüber nutzer greift auf das Smartphone zurück, 58 Prozent davon sogar dem ÖV werden bspw. der spontane Zugang und die Flexibilität täglich (Accenture 2011, S. 5). Fast zwei Drittel aller mobilen bei der Routenwahl als besonderer Vorteil angeführt. Dies be- Internetnutzer und sogar drei Viertel der 20-29-Jährigen nutzen deutet, dass ein Umsteigen auf Bus und Bahn für Autofahrer nur zudem ihr Smartphone, um ihre Mobilität zu planen (ebd., S. 20). dann in Frage kommt, wenn die gewohnten Mobilitätsmuster Über immer schnellere Verbindungsstandards (von GSM und im Hinblick u.a. auf Fahrtzeiten, Routen und zusätzliche Erle- GPRS über EDGE und UMTS bis hin zu HSDPA und LTE) werden digungen auch mit dem ÖV gleichermaßen komfortabel mög- dabei auch komplexere Abfragen, die einer Übertragung größerer Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 7
Das Smartphone als „ÖV-Navi“ Datenmengen bedürfen, an nahezu jedem Ort möglich. Der mit der Schüttelfunktion des Smartphones ein Fahrrad erfasst Ablösung des Handys durch das Smartphone steht also auch und dann entliehen werden kann. Ebenso wird die Abgabe des technisch nichts mehr im Wege. Fahrrads beim stationsungebundenen Call-a-Bike-System über das Smartphone grundlegend vereinfacht. Früher war ein Durch diese neuen Möglichkeiten der informatorischen Vernet- Anruf erforderlich, bei dem der Abmeldecode über die Tasta- zung lassen sich die Herausforderungen intermodaler Mobilität tur eingegeben und der aktuelle Standort mit Straßennamen durch das Smartphone bewältigen. Für die Nutzer kann die Über- durchgesagt werden musste. Heute kann man über die digitale komplexität vielfältigster Mobilitätsoptionen durch geeignete Karte die „virtuelle Station“ eingeben, ohne nach Straßenschil- Apps in eine sog. Seamless-Erfahrung umgekehrt werden, d.h. dern suchen zu müssen. Smartphones werden des Weiteren es gibt keine Lücken im Informationsfluss und somit keine Brüche zunehmend für Buchungs- und Zahlungsfunktionen einge- beim Wechsel zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsan- setzt. Vorabbuchungen z.B. von Carsharing-Fahrzeugen am geboten. Dieser informatorische Mehrwert ermöglicht eine heimischen PC oder die Suche nach Kleingeld am Fahrschein- effiziente Fortbewegung, unabhängig von Systemgrenzen oder automaten können damit umgangen werden. verkehrsmittelspezifischen Zugangsbarrieren. All diese Befunde bestätigen, dass Apps die Nutzung öffentlicher Das Abrufen von Informationen über Smartphones kann zu- und halböffentlicher Verkehrsangebote verstärken können. Bis- dem dazu beitragen, in öffentlichen Räumen ein Gefühl der herige Studien haben gezeigt, dass Smartphones eine persön- Privatheit und der Sicherheit zu erzeugen. So wie das Automobil liche und selbstbestimmte Aneignung einer häufig als fremd und als „Reizschutzpanzer“ (Rammler 2001, S. 56) dient, das den unsicher erlebten öffentlichen Verkehrswelt fördern können. Nutzer vor äußeren Einflüssen schützt, kann auch das Smart- Das wurde bereits früh am Beispiel des mobilen Ticketings phone ein Stück der vertrauten und privaten Welt im öffent (Ring&Ride, Touch&Travel) nachgewiesen (vgl. Maertins, Schaefer lichen Raum bzw. in öffentlichen Verkehrsmitteln erzeugen. 2008, S. 48). Die problematisierte Lücke zwischen den Systemen Dies ist auch notwendig, da viele Menschen beim Fahren mit des ÖV und des Individualverkehrs lässt sich durch die informa- öffentlichen Verkehrsmitteln ein Gefühl des Kontrollverlusts torische Vernetzung über Smartphones egalisieren. Um in den bzw. „Ausgeliefertseins“ empfinden (vgl. Knie 2009, S. 34). Vor Köpfen eine verkehrsmittelübergreifende Mobilität denkbar allem wenn sich der Verbindungsablauf unterwegs aufgrund von werden zu lassen, müssen die Apps von morgen in der Lage sein, Verspätungen oder anderen Störungen ändert, sind selbst ge- die Komplexität aller verfügbaren Verkehrsmittelangebote nutzer- übte Nutzer von Bus und Bahn überfordert. Verlässliche und und kontextspezifisch aufzubereiten. Besonders das Management aktuelle Informationen zu intermodalen Verkehrsmittelverbin- von intermodalen Verbindungen stellt hier die Herausforderung dungen können demnach das Gefühl der Entscheidungsautonomie dar, um dem Nutzer das Gefühl einer Seamless-Erfahrung zu sowie die Flexibilität bei der Fahrt selbst deutlich erhöhen. geben und die Mobilität zu vereinfachen. Wie App-basierte mobile Informationssysteme zu diesem Zweck konkret gestaltet werden In der Kombination mit neuen „halböffentlichen“ Mobilitäts- müssen, ist bisher noch nicht hinreichend untersucht worden. diensten lässt sich die Lücke zwischen ÖV und Individualver- kehr in urbanen Räumen schon heute schließen. Einige Studien (wie z.B. Maertins/Schäfer 2008, S. 8, Wittowsky 2009, S. 8f.) deuten bereits darauf hin, dass eine bessere Informationslage die „gefühlte Verfügbarkeit“ der jeweiligen Verkehrsmittel stärkt und letztlich auch die Nutzungsintensität erhöht. Es zeigte sich, dass durch Mobilitäts-Apps und die damit verbundene subjektiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle und erhöhte Sichtbarkeit alternativer Mobilitätsangebote tatsächlich die Nutzungsfrequenz öffentlicher sowie halböffentlicher Mobilitätsangebote erhöhen lässt. Beispielsweise hat sich nach Einführung der Smartphone- App für den Call-a-Bike-Service innerhalb von wenigen Mona- ten die Anzahl der Ausleihen um 30 Prozent steigern lassen. Ein ähnliches Bild zeigte sich beim Carsharing-Angebot der Deutschen Bahn „Flinkster“: Im InnoZ-Projekt „BeMobility“ konnte eine vermehrte Buchung der Carsharing-Fahrzeuge durch die App beobachtet werden, während die Buchungsopti- onen über das Internet oder Telefon weiterhin gleichbleibend intensiv genutzt wurden. Auch die Einführung von Handytickets kann unter Umständen eine deutliche Umsatzsteigerung im ÖPNV nach sich ziehen (vgl. Mattila 2010, S. 26). Durch die technischen Möglichkeiten von Smartphones lässt sich die Nutzung des (halb-) öffentlichen Verkehrs vereinfachen. Bei Call a Bike werden z.B. Zugangshürden abgebaut, indem 8 Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Das cairo-Projekt Technische Nutzeranforderungen Rahmenbedingungen Entwicklungserfordernisse Nutzeranforderungen an intermodale Routenplanung Gestaltung des Services Technische Entwicklung Usability Tests Nutzerbefragung Benchmarking Nutzerbefragung t0 t1 t2 t3 t0 t1 cairo 1.0 cairo 2.0 Technische Möglichkeiten zur Nutzeranforderungen Gestaltung von Applikationen an Applikationen 2009 2010 2011 2012 Abb. 1: Phasen des cairo-Projekts Abb. 2: Entwicklung intermodaler Routenplanungsdienste 2. Das cairo-Projekt JAVA-Applikation konzipiert, etablierten sich während der Pro- jektlaufzeit die neuen Smartphone-Plattformen iOS und Android. Mit diesen Betriebssystemen ließen sich Anwendungen umset- zen, die im Leistungsumfang und hinsichtlich der Gebrauchs- Aus Nutzersicht sind zwei Anforderungen an ÖV-Routenplaner tauglichkeit (Usability) den JAVA-Applikationen deutlich über- besonders zentral: legen waren. Deshalb wurde auf die Entwicklungen am Markt reagiert, eine Migration der cairo-Applikation auf diese neuen -- Die Nutzer möchten in der Regel nicht „Bus fahren“ oder Entwicklungsumgebungen vorbereitet und zumindest für einige „ein Rad leihen“, sondern von „A nach B kommen“ – und Funktionen auch umgesetzt. In der zweiten Projektphase von zwar mit jedem ihm zur Verfügung stehenden Verkehrsmit- April 2011 bis September 2012 wurde die cairo-Applikation weiter tel und unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage. für Smartphones optimiert und um zusätzliche Angebote er- -- Die Nutzer möchten verlässliche Informationen, und zwar möglichst weitert. schnell, einfach und aus einer Hand bereitgestellt bekommen. Der technische Entwicklungsprozess wurde durch Usability Tests, Beide Anforderungen, d.h. die Berechnung intermodaler und zwei Nutzerbefragungswellen (in vier bzw. zwei Durchläufen) aktueller Routen sowie die Integration umfassender Informationen und einer umfassenden Marktrecherche mit anschließender über alle Verkehrsmittel hinweg, werden bei cairo („Context Benchmark-Analyse wissenschaftlich begleitet (vgl. Abbildung 1). Aware Intermodal Routing”) erfüllt. Als erste Smartphone-App stellte cairo sowohl in Echtzeit aktualisierte Abfahrtszeiten als Die technische Optimierung und das Erfassen und Einbinden auch die Angebote verschiedener Verkehrsträger bereit. von Nutzeranforderungen sind dabei eng miteinander verzahnt (vgl. Abbildung 2). Demnach erfolgt eine Optimierung sowohl Die Entwicklung der App wurde im Rahmen des gleichnamigen einzelner technischer Funktionen (z.B. Haltestellensuche) als Fördervorhabens umgesetzt. Gefördert vom Bundesministerium auch der Servicekomponenten (z.B. Berechnung der Fahrtzei- für Wirtschaft und Technologie (BMWi) haben die Partner DB Rent, ten intermodaler Routen) in iterativen Schritten. In der ersten HaCon Ingenieursgesellschaft und InnoZ1 Nutzeranforderungen Projektphase lag dabei der Schwerpunkt eher auf der Evaluati- an mobile ÖV-Informationssysteme identifiziert und auf dieser on der technischen Performance, während in der zweiten Pro- Basis ein umfassendes intermodales ÖV-Informationssystem jektphase insbesondere Nutzeranforderungen definiert und entwickelt. In einer breit angelegten Feldforschung wurden spezifiziert werden sollten. Nutzer in mehreren Phasen zu Erwartungen, Nutzungsproble- men, Zufriedenheit und Akzeptanz befragt. Die Ergebnisse der Die Forschungsapplikation cairo ist am Markt nicht verfügbar begleitenden sozialwissenschaftlichen Forschungen werden im und stand den Testnutzern nur im Rahmen der Feldphase zur vorliegenden InnoZ-Baustein zusammengefasst. Verfügung. Die im Rahmen des cairo-Projekts entwickelten Dienste (wie z.B. die Standortsuche für Call-a-Bike- und Car- In der ersten Projektphase von Februar 2009 bis Ende Januar sharing-Stationen) sind jedoch als neue Funktionen in die App 2011 wurde die erste cairo-Version zur Abfrage von intermodalen „DB Navigator“ aufgenommen worden, die über die gängigen Reiserouten für Mobiltelefone entwickelt. Ursprünglich als App-Stores als Download zur Verfügung steht. 1 In der ersten Projektphase (2009 – 2011) waren zudem die Partner RWTH Aachen sowie der Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) am cairo-Projekt beteiligt. Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 9
Das cairo-Projekt Technische Merkmale der cairo-Applikation gelungener Anwendungen, die als Benchmark für die jeweilige Funktion verwendet werden sollten. Kriterien für die Voraus- Zur Mitte der ersten Projektphase stand die cairo-Applikation wahl waren z.B. die Größe des Anwendungsgebiets, die abge- als Testversion für JAVA-fähige Handys (Nokia und Blackberry), fragten Verkehrsmittel (Multi- und Intermodalität) sowie die für Android-Betriebssysteme und für iPhones zur Verfügung. Nutzerfreundlichkeit und Gebrauchstauglichkeit. Die App wurde anschließend im Jahr 2010 zunächst auf Smart- phones mit Android-Betriebssystem (ab Version 1.5 „Cupcake“), Da fast alle Apps öffentlicher Verkehrsunternehmen und -ver- iPhones (iOS Version 3.0 und 4.2), Blackberrys (ab Firmware bünde in Deutschland von den Ingenieursunternehmen HaCon Version 4.2.1) und Nokia-Handys (der Serie S60 3rd und 5th Edition) oder Mentz DV entwickelt werden, sind Funktionsumfang und von Testnutzern erprobt. Im Jahr 2012 wurde die cairo-App Funktionslogik (Menüführung etc.) bei den meisten Anwendungen schließlich an die iOS-Version 5.1 sowie die Android-Versionen sehr ähnlich und Unterschiede lassen sich lediglich im Layout ab 2.3 („Gingerbread“) angepasst und getestet. finden. Bei der Benchmark-Analyse wurde daher explizit dar- auf geachtet, Apps von unterschiedlichen Entwicklern mit zu Das Grundkonzept von cairo ist zwar für alle Gerätetypen gleich, berücksichtigen, um auch die Breite an technischen Lösungen die unterschiedlichen Betriebssysteme erfordern jedoch jeweils angemessen darstellen zu können. eine eigene spezifische Gestaltung der Oberflächen oder der Menüführung. So verfügen iPhones über ein großes Touchdis- Die ausgewählten Mobilitätsdienste wurden dabei vor allem im play, auf dem mehr Inhalte als bei anderen Smartphones darge- Hinblick auf die für cairo relevanten Funktionen vertiefend ana- stellt werden können. Zudem ist die Navigation innerhalb der lysiert. Wesentliche Bewertungskriterien waren hierbei eine Applikation durch das Farbdisplay deutlich einfacher zu gestal- nutzerfreundliche Gestaltung der Ein- und Ausgabe, die Integ- ten. Weiterhin gibt es exklusive iPhone-Funktionen, wie z.B. die ration unterschiedlicher Verkehrsmittel in intermodale und Augmented Reality Option, über die direkt im Kamerabild Um- multimodale Dienste, die Berücksichtigung von Echtzeitinfor- gebungsinformationen, Richtungsangaben etc. eingeblendet mationen und das Erfassen des Nutzerkontexts. Die Dienste werden können. Außerdem besitzt jedes Betriebssystem system- wurden entsprechend dieser Kriterien über einen sog. Analyti- spezifische Gestaltungsrichtlinien, die berücksichtigt werden schen Hierarchie-Prozess (AHP) bewertet und die Funktionen müssen, um dem Nutzer das gewohnte „Look & Feel“, d.h. das mit den besten Bewertungen porträtiert. übliche Erscheinungsbild der Applikation, bieten zu können. Viele dieser Vorgaben sind über Entwicklungsumgebungen, den sogenannten „System Development Kits“, vorgegeben. Identifikation von Nutzeranforderungen über Nutzerbefra- gungen und den cairo-Blog Die erste cairo-Version aus dem Jahr 2009 besaß im Grunde schon alle wesentlichen Funktionen für ein intermodales Rou- Die Evaluation der technischen Komponenten über Usability ting. In der zweiten Projektphase wurde die App insbesondere Tests und die Benchmark-Analyse wurden durch Befragungen durch kontextsensitive Funktionen ergänzt, die zeitliche, räum- ergänzt, um Nutzeranforderungen an intermodales Routing liche oder weitere Daten (z.B. zum Wetter) bei der Abfrage be- generell erfassen zu können. Die sozialwissenschaftliche Be- rücksichtigen. So wurden beispielsweise nun auch aktuelle gleitforschung konzentriert sich dabei auf die Frage, ob die Ap- Fahrten rund um den eigenen Standort angezeigt oder Alarm- plikation bei der Bewältigung der alltäglichen Mobilitätsanfor- Funktionen, beispielsweise vor dem Ausstieg an der Endhalte- derungen behilflich sein kann und inwiefern dies insgesamt zur stelle, ermöglicht. stärkeren Nutzung multi- bzw. intermodaler Angebote anregt. Aus den Ergebnissen der Nutzerakzeptanzanalyse können Rück- Optimierung der technischen Komponenten über Usability schlüsse zu Marktdiffusion und -potenzialen von intermodalen Tests und Benchmark-Analyse Mobilitätsdiensten gezogen werden, die praktisch für die Ver- marktung des Dienstes genutzt werden können. Zudem soll Zur Unterstützung des technischen Entwicklungsprozesses auf theoretischer Ebene überprüft werden, ob individuelle und wurden in der ersten Projektphase zunächst sog. Usability mobil abrufbare Informationen dazu führen können, dass ein Tests durchgeführt. Hierbei nutzten etwa 40 Personen die Test- intermodales Mobilitätsverhalten verstärkt wird. version von cairo unter Beobachtung und deckten so Probleme in der konkreten Nutzung auf. Die Ergebnisse der Usability- Im Herbst 2010 wurde hierzu zunächst ein erster sechswöchi- Tests wurden direkt an die Entwickler weiter gegeben. ger Feldtest mit Testnutzern durchgeführt. Im Mittelpunkt der Befragung standen die praktischen Nutzungserfahrungen der Für die Benchmark-Analyse in der zweiten Projektphase wurde Probanden im Hinblick auf die technische Zuverlässigkeit und zunächst eine Internetrecherche zu vergleichbaren Routenplaner- die Gebrauchstauglichkeit der cairo-Applikation in kritischen Apps für den ÖV, zu Carsharing- und Bikesharing-Apps, zum Situationen (z.B. unter Zeitdruck oder bei Zugverspätungen). mobilen Ticketing sowie zu relevanten Online-Routenplanern Diese Ergebnisse konnten zum einen für die technische Weiter- durchgeführt. Die Recherche konzentrierte sich auf deutsch- entwicklung genutzt werden und gaben zum anderen Aufschluss sprachige Angebote, berücksichtigte aber exemplarisch auch über generelle Akzeptanzbedingungen von Routenplanern und einige Mobilitätsdienste aus dem europäischen Ausland und intermodalen Informationssystemen. den USA. Der Recherche folgte eine Vorauswahl besonders gut 10 Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Das cairo-Projekt Um Veränderungen in der Nutzung, der Zufriedenheit sowie unterschiedliche Adaptionsmuster über die bzw. innerhalb der beiden Projektphasen hinweg zu erfassen, wurde dieser Feld- Generelle Nutzeranforderungen test als Panel-Untersuchung mit drei Erhebungszeitpunkten (intermodales Routing, Datenschutz, Verständlichkeit etc.) angelegt: -- Befragung vor der Testnutzung: Die erste Befragung wurde Funktionen und Dienste zum Projektstart durchgeführt. Hieran beteiligten sich ins- Anforderungen an (Push-Dienste, Verbindungssuche, gesamt 200 Probanden. Reiseinformationen ortsbasierte Dienste, soziale Netzwerke, Integration Call a Bike / Carsharing) -- Befragung während der Testnutzung: Etwa zwei Wochen nach Bereitstellung der Applikation wurden die Probanden erneut befragt. Diesen Fragebogen füllten insgesamt 154 Probanden Usability komplett aus. Anforderungen („Gebrauchstauglichkeit“, z.B. Echtzeit- -- Befragung nach der Testnutzung: Nach fünf Wochen wurde an die Technik daten, Datenqualität, Kontextsensitivität, Zuverlässigkeit) die Testphase abgeschlossen und die Probanden aus der zweiten Befragungswelle abermals befragt. Insgesamt antworteten 140 Personen. -- 112 Probanden beteiligten sich an allen drei Phasen und Abb. 3: Nutzeranforderungen bei der App-Entwicklung standen somit für die Panelauswertung zur Verfügung. Die Befragung der Probanden wurde als onlinebasiertes Dementsprechend standen auch zwei unterschiedliche Frage- „Selbstinterview“ (CAWI) konzipiert, das heißt, den Nutzern stellungen im Vordergrund: wurde dabei genügend Raum für freie Angaben zu Erfahrungen und Situationen im Umgang mit der cairo-Applikation gegeben. 1. Welche Informationen brauchen die Nutzer, damit inter Diese Möglichkeit wurde von den Probanden intensiv genutzt modales Reisen komfortabler wird? und führte zu einem tiefen Verständnis über Nutzungskontexte 2. Wie soll eine intermodale Routenabfrage per App technisch und die damit zusammenhängenden Bedienschwierigkeiten. gestaltet werden? Im Frühjahr 2012 wurden die Tests der optimierten und um Die erste Fragestellung konzentriert sich auf die Wechselwir- kontextsensitive Funktionen erweiterten cairo-Version („cairo 2.0“) kungen zwischen Informationen und Mobilitätsverhalten. Hierbei durchgeführt. Die Vorbefragung fand im Mai 2012 (mit 315 Pro- sind demnach Erkenntnisse von Interesse, die auf Änderungen banden) und die Abschlussbefragung einen Monat später (mit bezüglich der Verkehrsmittelwahl, der genutzten Routen oder 138 Probanden im Panel) statt. Für die zweite Testphase wurde auch der Einstellung durch eine verbesserte Informationslage außerdem ein Blog angelegt, der zwei Funktionen erfüllen sollte: hindeuten. Diese Ergebnisse werden in Kapitel 4 vorgestellt. Zum einen sollte die App „cairo“ erklärt und Hilfestellungen zu einzelnen Funktionen gegeben werden. Zum anderen war der Bei der zweiten Fragestellung liegt der Fokus hingegen auf den Blog jedoch auch als Kommunikationsmittel gedacht, über das Erkenntnissen, die während des technischen Entwicklungs- weitere Nutzerinformationen erfasst wurden. So konnten die prozesses hinsichtlich der Nutzeranforderungen an eine Rou- Testnutzer beispielsweise Mängel über die Kommentarfunktion ting-App gewonnen werden konnten. Diese Erkenntnisse sind melden und diskutieren, aber auch positive Feedbacks zu be- im folgenden Kapitel zusammengefasst.2 stimmten Funktionen hinterlassen. Die Nutzerkommentare zum Blog wurden genutzt, um die App technisch zu optimieren und um zu erkennen, welche Funktionen den Nutzern wichtig sind und welche eher weniger. Triangulation der Ergebnisse aus der Begleitforschung Die Ergebnisse aller Projektbausteine – d.h. der Usability Tests und des Benchmarkings sowie der Befragungen und die Blog-Einträge – wurden zusammengetragen und hinsichtlich der Nutzerperspektive ausgewertet. Die Anforderungen der Nutzer flossen dabei auf zwei unterschiedlichen Ebenen in den Entwicklungsprozess ein: Einerseits als generelle Wünsche zu Mobilitätsinformationen sowie andererseits als konkrete An- forderungen an die Bedienbarkeit der App (vgl. Abbildung 3). 2 Wenn eine Fragestellung in beiden Projektphasen behandelt und der Befra- gungszeitraum nicht extra gekennzeichnet wurde, wird in vorliegenden Doku- ment jeweils das aktuellere Ergebnis aus den Befragungen im Jahr 2012 vor- gestellt. Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 11
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex 3. Anforderungen lichen Verkehrsmitteln generell gefördert wird, wenn der mobile Routenplaner das intermodale Reisen optimiert und komfortab- an die Technik: ler macht. Hierzu gilt es zunächst zu erfassen, welche Funktionen das Reisen komfortabler machen und welche Informationen Einfach vs. komplex die Nutzer konkret für die Routenplanung benötigen. Intermodale Routen mobil zusammenstellen Der Einfluss von Informationsdiensten auf die Nutzung des öf- fentlichen Verkehrs (ÖV) wurde schon vor zehn Jahren im Zu- Smartphone-Apps für den öffentlichen Verkehr greifen an einer sammenhang mit Telematikanwendungen diskutiert (vgl. u.a. entscheidenden Stelle in das Mobilitätssystem ein – und zwar Beckers et al. 2001, VSVI 1999). Schon damals wurde erkannt, an den Informationen zu Abfahrten, Ankünften und optimalen dass es einen großen Bedarf nach Services zur mobilen Routen- Umsteigeverbindungen. Indem per App aktuelle Informationen planung im ÖV gibt und dafür PDAs wie Smartphones bestens jederzeit und überall bereit stehen, hat man so stets im Blick, geeignet seien (ebda., 13). Allerdings hatten damals nur wenige wie man auch ohne Auto auf der optimalen Route zum Ziel Menschen überhaupt Zugang zum mobilen Internet: Noch 2005 kommt. Somit wird ein zentraler Nachteil von Bus und Bahn wurden in Deutschland lediglich 900.000 PDAs/Smartphones gegenüber dem Individualverkehr behoben, denn bisher wird verkauft, 2011 waren es hingegen schon fast zwölf Millionen der ÖV noch oft mit Wartezeiten durch Anschlussprobleme (Statista 2012, BITKOM 2012). Im Jahr 2008 gaben 13 Prozent, aufgrund von Verspätungen, der falschen Streckenwahl etc. 2011 28 Prozent und 2012 schon die Hälfte der befragten Inter- assoziiert, was eine genaue Planung erschwert. netnutzer an, regelmäßig mobil zu surfen (Accenture 2011, 5) 3. Bei den unter 30-Jährigen nutzen sogar 58 Prozent ein internet- In den letzten Jahren hat sich allerdings nicht nur die Informa- fähiges Handy (BMELV 2012). tionsbasis gebessert, es sind zudem viele neue Mobilitätsange- bote geschaffen worden, die das bestehende Angebot des öffent- Der Kostenfaktor hat bei der App-Nutzung bzw. Nutzung des lichen Verkehrs verdichten. Stationsgebundenes und flexibles mobilen Internets in den letzten zwei Jahren deutlich an Be- Carsharing, Rufbusse oder Leihfahrradsysteme können den deutung verloren, da die Kosten für mobiles Internet stark ge- Nutzern eine höhere zeitliche und räumliche Flexibilität bieten. sunken sind. So musste man im Jahr 2009 für Datenflatrates Dadurch ähneln sie dem Auto oder dem Rad, sind aber dennoch monatlich noch etwa 30-50 Euro zahlen, während heute Flat- wie der ÖV für jeden Nutzer, der sich zuvor registriert hat, frei rates für das mobile Internet schon für unter zehn Euro zu haben verfügbar. Die Möglichkeiten, mehrere Verkehrsmittel flexibel sind. Gleichfalls ist der Verbraucherpreisindex für Telekom- und spontan miteinander zu kombinieren, sind also insgesamt munikationsdienstleistungen von 2005 bis 2010 um ganze 17,2 zumindest in Großstädten derzeit so vielfältig wie noch nie. Prozent gesunken (Destatis 2011), während er sich in fast allen anderen Konsumbereichen seit 20 Jahren stetig erhöht. Empi- Nutzeranforderungen an intermodale Routing-Apps werden rische Ergebnisse zur Wirkung von IKT auf den öffentlichen bisher meist im Rahmen von Pilotprojekten wie cairo erfasst, Verkehr konnten somit erst mit der zunehmenden Verbreitung bei denen lediglich eine begrenzte Nutzerzahl die Anwendung von Smartphones seit etwa vier Jahren erarbeitet werden. Bis- testet. Inwiefern die Erkenntnisse aus der Testgruppe über- herige Studien zu Mobilitäts-Apps kommen allerdings nicht zu tragbar sind, wird in den folgenden Abschnitten erörtert. eindeutigen Ergebnissen, was die Wirkung auf die persönlichen Mobilitätsmuster angeht. Wittowsky (2009) nimmt z.B. in seiner Nach der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) Untersuchung zu dynamischen Informationsdiensten im ÖPNV ist Usability demnach ein Qualitätsmerkmal, das darüber Auf- an, dass „die vermehrte Bereitstellung von Echtzeitinformationen schluss gibt, inwiefern ein Produkt geeignet ist, „bestimmte einen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl ausübt“ und kommt zu Ziele in einem bestimmten Kontext effektiv, effizient und zu- dem Schluss, dass „nicht nur die Qualität des Angebots, sondern friedenstellend zu erreichen“ (ISO-Norm DIN EN ISO 9241, Teil 11). auch Informationen einen entscheidenden Einfluss auf die Ver- Usability ist somit ein genereller Indikator dafür, wie gut die kehrsmittelwahl haben“ (ebd., S. 48). Dem gegenüber stellt jeweilige Anwendung zu gebrauchen ist. Neben organisatori- eine österreichische Studie fest, dass Verkehrsinformationen schen Faktoren wie z.B. die laufende Aktualisierung der Daten- nur eine geringe Wirkung auf das von Gewohnheiten geprägte banken ist für die Usability die konkrete Benutzbarkeit oder Verkehrsverhalten haben (x-sample/verkehrplus 2010, S. 10). auch sog. Operability ausschlaggebend. Diese gibt an, wie die einzelnen Schritte der Abfrage strukturiert und gestaltet sind. Auch das cairo-Projekt befasste sich mit den Wirkungen von Die Operability wird oft mit ergonomischen Anforderungen in Informationen auf die Verkehrsmittelwahl und damit auf den Verbindung gebracht, die sich bei einer App z.B. in der Lesbar- Modal-Split. Der Ansatz des Projekts war dabei die Annahme, keit oder der Haptik bei der Abfrage ausdrückt. Dies hängt wieder dass ein Modal-Shift weg vom eigenen Auto und hin zu öffent um von der Qualität der softwaretechnischen Komponenten ab (vgl. Abbildung 4). 3 Obwohl bei der Accenture-Studie nur Internetnutzer befragt wurden und bei der BMELV-Studie keine Auswahl vorgenommen wurde, unterscheiden sich die beiden Werte zum Anteil der Smartphone-Nutzer im Jahr 2011 kaum (28 Prozent bei Accenture bzw. 26 Prozent beim BMELV). 12 Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex -- Aufgaben angemessen: Die Aufgabe sollte effektiv und effizi- ent erledigt werden, d.h. z.B. keine langen Ladezeiten oder unnötige Eingaben. Usability -- Selbstbeschreibungsfähig: Die Navigation durch die Abfrage = „Gebrauchstauglichkeit“, z.B. Echtzeitdaten, Datenqualität, Kontextsensitivität, Zuverlässigkeit etc. sollte intuitiv erfolgen. -- Steuerbar: Anzeigen sollten z.B. vergrößert oder Downloads abgebrochen werden können. Operability -- Erwartungskonform: Die Zeichen sollten den Nutzerroutinen = „Benutzbarkeit“ z.B. Spracheingabe, Eingabearten, entsprechen, z.B. sind Buttons an den gewohnten Positionen. Kartendarstellung, Favoriten, Homescreen, Menüführung etc. -- Fehlertolerant: Fehler, wie z.B. Schreibfehler bei der Eingabe, sollten nicht zum Abbruch führen. -- Individualisierbar: Ein individualisierbarer Dialog lässt zu, Softwaretechnische Qualität dass persönliche Voreinstellungen berücksichtigt werden. z.B. Gestaltung der Datenschnittstellen, Design etc. Dieser Aspekt wird im folgenden Abschnitt noch einmal aus- führlicher behandelt. -- Lernförderlich: Die Anwendung sollte den Nutzer beim Erkunden der Funktionen unterstützen. Abb. 4: Usability als Qualitätskriterium Für intermodale Routingdienste ist eine nutzerfreundliche Menüführung besonders voraussetzungsvoll, da durch die Mobile Routenplaner sind demzufolge gebrauchstauglich oder Kombination unterschiedlicher Einzelfunktionen z.B. die Fahr- „usable“, wenn sie eine einfache und schnelle Abfrage ermög- planabfrage mit der Reservierung eines Carsharing-Autos, lichen. Der Funktionsumfang von Routenplanungs-Apps wird komplexe Abfragen entstehen, die in intuitiv nachvollziehbare allerdings mit der Anzahl der einbezogenen Verkehrsmittel Einzelschritte zerlegt werden müssen. Dabei sollte der Prozess immer größer und die Bedienung dadurch tendenziell kompli- der Eingabe weiterhin möglichst schnell und zuverlässig mög- zierter. Bei der Entwicklung von intermodalen Mobilitäts-Apps lich sein. Bisher werden die einzelnen Funktionen als individuelle kommt es also primär darauf an, allen Anforderungen an die Applikationen auf das Smartphone geladen und stehen dann Funktionalität gerecht zu werden und dennoch eine einfache unverknüpft nebeneinander. Auch sind die Nutzer heute darauf und schnelle Bedienung der Applikation zu gewährleisten. Das angewiesen, verschiedene Apps unterschiedlicher Anbieter ist aufgrund der stets wachsenden Informationsmenge, die z.B. für Fahrradverleihsysteme (Call a Bike4 oder Nextbike) durch die Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel ent- oder Carsharing (Flinkster, DriveNow, Car2Go etc.) zu instal- steht, keine leichte Aufgabe. lieren. Die parallelen Abfragen müssen dann selbst miteinan- der verglichen werden. Dies ist jedoch sehr umständlich und Werden darüber hinaus noch Preise ermittelt und Buchungs- so sind in den letzten Jahren verschiedene Routenplaner ent- bzw. Reservierungsfunktionen implementiert, steigt die Kom- standen, die mehrere Dienste miteinander verknüpfen und auch plexität abermals. Intermodal Reisende brauchen also nicht vergleichen. Dabei können die Dienste entweder hierarchisch nur eine Auskunft zu Abfahrts- und Ankunftszeiten, sondern oder über eine Plattform miteinander verbunden werden. eine Vielzahl an Informationen von der Position der Carsha- ring- oder Call-a-Bike-Stationen über die Länge der nötigen Fahrrad- oder Fußwege bis hin zu Parkmöglichkeiten an Hal- Die Rolle der Early Adopters testellen und Bahnhöfen. Die Gestaltung eines intermodalen Routenplaners muss daher stets die Balance zwischen Infor- Neben der Einstellung zur Mobilität spielt auch die Offenheit mationsvielfalt und Usability halten. Eine intuitive und nutzer- gegenüber Innovationen eine bedeutende Rolle für die Verbrei- freundliche Menüführung ist dabei ein zentrales Mittel, um tung von intermodalen Routing-Diensten. Das Diffusionsmodell trotz Informationsdichte den Überblick zu behalten. von Rogers (1962) ist in diesem Kontext ein weit verbreiteter Ansatz, Konsumentengruppen hinsichtlich ihres Interesses an neuen Produkten und Dienstleistungen einzuteilen. Das Modell Nutzerfreundliche Menüführung beim intermodalen Routing geht davon aus, dass etwa die Hälfte einer Zielgruppe eine Inno- vation erst dann annimmt, wenn sie weitgehend etabliert ist. Eine nutzerfreundliche Menüführung erleichtert die Mensch- Demgegenüber sind die sog. Innovators, Early Adopters und Maschine-Interaktion, d.h. den Dialog zwischen der App und die Early Majority neuen Diensten oder Produkten gegenüber dem Nutzer. Teil 10 der ISO-Norm 9241 befasst sich in diesem weitgehend aufgeschlossen (ebda. 1962, S. 150). Kontext mit der Benutzbarkeit oder auch Operability und hält die entsprechenden Standards in den „Grundsätzen der Dialog- Die erste Gruppe, die ein Produkt oder einen Dienst testet, sind gestaltung“ fest. Demnach soll der Dialog zwischen App und nach Rogers die „Innovatoren“. Sie werden als besonders risiko Nutzer die folgenden Merkmale aufweisen: freudig beschrieben und kaufen bzw. nutzen Innovationen, 4 Mit der Call-a-Bike-App kann man allerdings in Kassel auch auf das Konrad- und in Hamburg auf das StadtRAD-Hamburg-Verleihsystem zugreifen. Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex Wie häufig nutzen Sie im Durchschnitt folgende Geben Sie bitte jeweils an, wie häufig Sie in der Regel fol- Smartphone-Apps? gende Verkehrsmittel benutzen. 3,0 1,3 0,3 0,7 DB Navigator 21,9 29,2 26,9 8,0 4,7 6,3 Fußweg ab 500m 59,5 22,9 8,0 7,3 3,3 1,3 DB Call a Bike ÖV auf Entfernungen oder StadtRad 11,0 18,9 19,6 13,0 24,3 10,0 bis unter 20 km 40,5 32,2 15,9 4,7 5,3 1,0 3,3 Fahrrad DB Flinkster 3,7 19,9 26,2 12,0 28,2 9,0 (ohne Bikesharing) 30,6 19,9 18,6 11,0 16,6 0,7 0,3 2,7 ÖV auf Entfernungen DB Ticket 6,3 21,6 19,3 12,6 31,2 8,3 von 20 bis unter 100 km 11,3 17,3 30,2 29,2 9,0 1,3 ÖV für längere Strecken 2,3 1,0 2,7 ab etwa 100 km Touch&Travel 3,3 8,0 11,0 10,6 55,8 10,0 einfache Entfernung 15,3 39,2 32,6 7,0 1,3 2,0 Pkw als Mitfahrer/-in Öffi 10,3 10,0 7,6 3,7 5,6 52,5 10,3 16,6 34,9 27,9 8,0 9,3 (ohne Taxi) 1,3 1,3 FahrInfo Berlin 8,0 10,3 5,6 9,6 5,3 50,2 11,0 Taxi 9,0 27,6 44,9 10,3 5,6 2,3 2,0 VBB Fahrinfo 3,7 5,6 9,0 6,6 62,1 10,6 Flugzeug 3,7 14,6 68,1 6,0 5,6 0,3 3,0 2,7 Carsharing ohne Elektro- 31,2 andere Apps 6,0 7,6 9,6 2,3 17,3 54,5 fahrzeug (als Fahrer) 5,3 18,3 21,6 5,6 45,8 10,3 1,3 0% 20% 40% 60% 80% 100% Pkw als Fahrer 31,2 (ohne Carsharing) 5,3 9,6 7,0 19,9 7,0 49,8 (fast) täglich 1-3 Tage pro Woche 1-3 Tage pro Monat 1,3 3,0 1,3 seltener als monatlich einmal zum Probieren nie fehlend Bikesharing 8,3 12,6 18,3 55,1 N = 301 Quelle: cairo 2012 T0-Befragung 0,3 2,0 Carsharing mit Elektro- 6,3 11,3 29,2 50,8 Abb. 5: Nutzung von Smartphone-Apps für den ÖV fahrzeug (als Fahrer) 2,0 | 3,0 | 2,7 | 1,7 | 2,0 Mofa / Moped / 62,1 88,7 Motorrad 1,0 | 1,0 | 1,7 | 0,3 | 0,7 gerade weil sie neu und unbekannt sind. In Rogers Modell erhal- ten allerdings die Early Adopters eine besondere Bedeutung für Pedelec 17,3 96,0 die Marktdiffusion, da sie als sozial vernetzte Wortführer und 0% 20% 40% 60% 80% 100% Vorreiter den sog. „Chasm“ (Kluft) zum Massenmarkt überwin- (fast) täglich 1-3 Tage pro Woche 1-3 Tage pro Monat den können (vgl. Moore 1991). Somit seien das Verhalten und seltener als monatlich einmal zum Probieren nie fehlend die Einstellungen der Early Adopters mit einer gewissen Zeit- N = 301 verzögerung vermutlich auch auf andere Bevölkerungsgruppen Quelle: cairo 2012 T0 übertragbar. Abb. 6: Verkehrsmittelnutzung der Befragten Die cairo-Testnutzer lassen sich als Early Adopters im Sinne von Rogers klassifizieren, vor allem deshalb, da sie eine geübte Nutzung und Kenntnis von ÖV-Informationssystemen aufweisen. Darüber hinaus indizieren zwei Eigenschaften, die die cairo- zung der konzeptionellen und funktionalen Ausgestaltung sol- Testnutzer aufweisen, eine große Affinität zu intermodalen cher Dienste. Nahezu alle Testnutzer kennen den DB Navigator Informationsdiensten für Smartphones. Dazu gehört zum einen und fast 80 Prozent nutzen ihn regelmäßig. Darüber hinaus eine ausgeprägte Technikaffinität und zum anderen eine inten- sind zahlreiche weitere Informationssysteme bekannt und sive ÖV-Nutzungspraxis, die häufig sogar intermodal ist. Diese werden auch genutzt (vgl. Abbildung 5). beiden Eigenschaften tragen dazu bei, dass sowohl aus Neugier (Technikaffinität) als auch aus einem intrinsischen Bedürfnis Generell interessieren sich alle Probanden für technische Geräte heraus neue Informationssysteme getestet und – wenn sie eine und deren Aneignung bereitet ihnen keine Probleme. Zwei Verbesserung gegenüber den gewohnten Systemen verspre- Drittel der Befragten geben an, dass sie von Freunden und chen – in die persönliche Alltagspraxis übernommen werden. Bekannten um Rat gefragt werden, wenn sie ein technisches Problem haben. Mehr als 85 Prozent stimmen den folgenden Alle Befragten nutzen mindestens ein ÖV-Informationssystem Aussagen überwiegend oder voll und ganz zu: und zeigen ein deutliches Interesse bei der Auseinanderset- 14 Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13
Anforderungen an die Technik: Einfach vs. komplex Bereits 2010 besaß etwa die Hälfte der Befragten eine Bahn- Bitte geben Sie die zutreffenden Punkte für Sie […] an. Card, über ein Drittel war Carsharing-Kunde und ein Viertel nutzte beides. Wie in Abbildung 7 darstellt, haben von der ers- ten Projektphase 2010 bis zum Ende der zweiten Projektphase Führerschein- 89,4 im Herbst 2012 die sog. intermodalen Angebote wie Car- und besitz (für Pkw) 90,0 Bikesharing im Längsschnitt sogar noch weiter an Bedeutung Mitglied/Kunde 65,1 beim Carsharing 38,0 gewonnen. Im Jahr 2012 sind zwei Drittel der Tester Carsha- Mitglied/Kunde 52,8 ring- und über die Hälfte Bikesharing-Kunden. Weit über die beim Bikesharing 36,5 Hälfte besitzt eine BahnCard 25, 50 oder 100. Demgegenüber ständige oder 47,6 ist die Verfügbarkeit eines privaten Pkw in der zweiten Test- gelegentliche Pkw-Verfügbarkeit 51,5 gruppe 2012 etwas geringer als bei der ersten Testgruppe von 24,9 2010 (vgl. Abbildung 7). BahnCard 25 22,0 36,9 BahnCard 50 29,0 Weitere Hinweise auf die intermodale Verkehrspraxis der 12,6 Befragten ergeben sich aus der hohen Zustimmungsrate von BahnCard 100 6,0 90 Prozent zu den folgenden Aussagen:5 0% 20% 40% 60% 80% 100% -- „Für mich ist die Kombination von Verkehrsmitteln eine sehr 2012 2010 N = 301 gute Möglichkeit, meine tägliche Mobilität zu bewältigen.“ Quelle: cairo 2010 und T1 und 2012 T0 -- „Ich nutze je nach Anlass unterschiedliche Verkehrsmittel.“ Abb. 7: Nutzung und Ausstattung der Befragten mit Mobili- -- „Ich nutze das Internet, um Wege zu planen.“ tätsangeboten und Zugangsberechtigungen im Längsschnitt -- „Ich nutze Navigationsdienste, um unterwegs besser zu- rechtzukommen.“ -- „Es macht mir Spaß, ein elektronisches Gerät zu benutzen.“ Vor diesem Hintergrund ist eine Analyse der Nutzungspraxis, -- „Unbekannte elektronische Geräte verunsichern mich nicht.“ Erfahrungen im Umgang mit cairo und Hinweise auf Verbesse- -- „Ich kenne die meisten Funktionen der elektronischen Geräte, rungspotenzial von cairo von hoher Bedeutung und kann einen die ich täglich benutze.“ wesentlichen Beitrag dazu leisten, ÖV-Informationsapps besser -- „Ich finde mich bei unbekannten elektronischen Geräten an die Nutzerbedürfnisse anzupassen und damit Zugangs- und schnell und intuitiv zurecht.“ Nutzungshürden innerhalb des ÖV bzw. bei intermodalen Ange- boten zu verringern. Im Folgenden werden demnach die Erwar- Schließlich zeigt die Verkehrsmittelnutzung der Probanden tungen, Nutzungsgewohnheiten und Nutzeranforderungen der eine intensive Nutzung der Verkehrsmittel des sog. Umwelt- cairo-Tester analysiert und hinsichtlich des Verbesserungs- verbundes, also Fußwege, Fahrrad und öffentliche Verkehrs- potenzials für cairo bewertet. mittel (vgl. Abbildung 6). Fast drei Viertel der Befragten nutzen mehr als einmal wöchentlich den ÖPNV (ÖV unter 20 km), 40 Prozent nutzen ihn sogar nahezu täglich. Der öffentliche Ver- Welche funktionalen Erwartungen werden an cairo gerichtet? kehr für Strecken über 20 km, d.h. in der Regel der Schienen- personennahverkehr, wird von mehr als der Hälfte noch min- In beiden Erhebungswellen – 2010 und 2012 – wurden die Test- destens monatlich genutzt (vgl. ebd.). nutzer, bevor sie die cairo-App bereitgestellt bekamen, zu ihren Erwartungen an eine intermodale App befragt. Ziel war die Er- Demgegenüber hat der eigene Pkw in der Untersuchungsgruppe mittlung von Informationsbedürfnissen, die sich aus den alltags- nur eine geringe Bedeutung und wird von den Befragten als praktischen Erfahrungen der Probanden ergeben. Dabei zeigt Fahrer sogar weniger häufig genutzt als Carsharing-Angebote – sich bei einigen Anforderungen eine deutliche Veränderung inner- weniger als ein Viertel fährt mit einem privaten Pkw öfter als halb dieser zwei Jahre. einmal im Monat. Der Anteil der Mitfahrer ist hingegen sehr viel höher: Über die Hälfte fährt mindestens wöchentlich und mehr Während 2012 die Eigenschaft „Multimodalität“ von einem Drittel als 80 Prozent mindestens monatlich im Auto mit. Mehr als ein- der Befragten gefordert wurde, waren es 2010 nur etwa 20 mal wöchentlich fährt die Hälfte der cairo-Testnutzer zudem Prozent. Umgekehrt forderte die Hälfte der Befragten 2010 Fahrrad und über 80 Prozent legen Fußwege ab 500 m zurück. noch die Bereitstellung von Echtzeitinformationen zu den Ver- kehrsangeboten, die 2012 nur noch von jedem Fünften als An- Die Analyse deutet auf eine multi- oder intermodale Ver- forderung formuliert wurde. Das ist eine Verringerung von kehrspraxis hin, bei der unterschiedliche Verkehrsmittel in über 30 Prozentpunkten (vgl. Abbildung 8). Eine ähnliche Ver- Alltagssituationen genutzt und wahrscheinlich auch kombi- ringerung zeigt der Bedarf nach einer „schnellen Abfrage“, die niert werden. Dass die Befragten zwischen ÖV- und IV-Ange- 2012 nur noch von knapp 13 Prozent erwartet wurde – eine boten wechseln, lässt sich auch an den Zugangsmöglichkeiten Verringerung um über 21 Prozentpunkte. Dieser Bedeutungs- und an genutzten Rabattsystemen (BahnCard) ablesen (vgl. Abbildung 7). 5 Es wurden die Kategorien von „eher“ bis „voll und ganz“ zusammengefasst. Einfach und komplex · InnoZ-Baustein Nr. 13 15
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