(ek)statisch HERZTÖNE - KONZERTE ZUR SAISONERÖFFNUNG M0 13. SEP 2021 | 19.30 UHR KULTURPALAST - Dresdner Philharmonie
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HERZTÖNE — KONZERTE ZUR SAISONERÖFFNUNG (ek)statisch M0 13. SEP 2021 | 19.30 UHR KULTURPALAST
KONZERTE ZUR SAISON- ERÖFFNUNG 10.-12. SEP 2021 BEETHOVEN MAREK JANOWSKI | Dirigent MARÍA DUEÑAS | Violine DRESDNER PHILHARMONIE 13.-15. SEP 2021 SCIARRINO (ek)statisch – Sciarrino im Kontext Skrjabin, Feldman, B. A. Zimmermann, Sciarrino Wege zu Sciarrino Schubert, Debussy, Ravel Uraufführung Auftragswerk ›150 Jahre Dresdner Philharmonie‹ Vanitas – Musikalisches Stillleben 18./19. SEP 2021 MAHLER STANISLAV KOCHANOVSKY | Dirigent DRESDNER PHILHARMONIE
PROGRAMM Salvatore Sciarrino (* 1947) Sonate für Klavier Nr. 2 (1983) Morton Feldman (1926 – 1987) »Why Patterns« für Flöte, Glockenspiel und Klavier (1978) PAUSE Alexander Skrjabin (1872 – 1915) »Vers la flamme« – Poème op. 72 für Klavier (1914) Bernd Alois Zimmermann (1918 – 1970) »Monologe« für zwei Klaviere (1960/64) I Quasi irreale II ♩ = 85 III ♩ = 80 IV ♩ = 120, ♩ = 80 V 1/16 = 85 Stefan Wirth | Klavier Gilles Grimaître | Klavier Magdalena Popp | Flöte Corentin Marillier | Glockenspiel
JENS SCHUBBE (ek)statisch Im Konzerttitel sind zwei Worte ineinan- der geblendet: »stasis« kommt aus dem Griechischen und meint »Stillstand«, »Stauung« oder »Stockung«, aber auch einen fiktiven Zustand, in dem die Zeit eingefroren ist. »ékstasis« hingegen verweist eher auf die Sphäre der mensch- lichen Psyche und bedeutet so viel wie »Außersichgeraten« und »Verzückung«, bezeichnet also tranceartige oder rausch- hafte Zustände, die von Musik durchaus evoziert werden können. Die von beiden Worten umschriebenen Sphären werden von den vier hier in Rede stehenden Wer- ken in je unterschiedlicher Weise berührt. Dabei ist gewiss Alexander Skrjabins »Vers la flamme« am deutlichsten von der Vorstellung des Ekstatischen inspi- riert, während Morton Feldmans »Why patterns« am ehesten an einen statischen, entwicklungslosen Zustand gemahnt. In den Werken von Zimmermann und Sci- arrino hingegen durchdringen sich stasis und ékstasis gleichsam. 4
Leere des Widerhalls Sciarrinos Zweite Sonate Salvatore Sciarrinos Musik ist häufig aus ungemein zarten, fragilen Klängen geformt. Die 1983 komponierte Zweite Klaviersonate allerdings gleicht einem pianistischen Exzess. Die Eingangs- situation verklammert Extreme: Gleich nächtlichem Wetterleuchten blitzen Akkorde in höchster Lage auf. In der Tiefe grummeln knappe, rasche, englagige Figuren. Die von den Klangblitzen und Figuren ausgesendeten energetischen Impulse verhallen zunächst diffus in Reso- nanzräumen. Allmählich aber werden diese Hallräume von neuen Gestalten bevölkert: zunächst von wie Sternenstaub glitzernden wuchernden Akkordfolgen, dann von einem den Tonraum aufwärts durchmessenden Glissando, von knappen rollenden Figuren und schließlich von aus übereinandergeschichteten Quinten errichteten, glockenartig tönenden Salvatore Sciarrino Akkordtürmen, die in der Tiefe einsetzen und bald in allen Lagen zu hören sind. Wie in einer gewaltigen Flut überdecken diese neuen Materialien die älteren Schichten, bis im Moment der größten Dichte das Klangband für Momente reißt und eine zunächst unmerklich einsetzende 5
rückläufige Bewegung Raum greift, die gegen Ende den Blick wieder freigibt auf die Konstellation des Beginns: »Die Kom- position erwächst aus der Versenkung in Resonanzen und erhält von dort einen unverkennbaren Ton und eine artifizielle Aura. Abgesehen von einem zentralen und berührenden Augenblick wirklicher Stille schwebt auch die Zweite Sonate in der Leere des Widerhalls, auf die die zeit- genössische Musik fortwährend Bezug nimmt.« (Salvatore Sciarrino) SALVATORE SCIARRINO * 4. April 1947 in Palermo Sonate für Klavier Nr. 2 ENTSTEHUNG 1979 bis 1983 URAUFFÜHRUNG 9. Juni 1983, Florenz, im Rahmen des Festivals XLVI Maggio Musicale Fiorentino mit Massimiliano Damerini ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE DAUER ca. 9 Minuten 6
»kontemplative Trauer in Schönheit gegossen« Feldmans »Why Patterns« Über rund vier Jahrzehnte lässt sich der kompositorische Weg Morton Feldmans nachvollziehen. Geprägt wurde der in New York geborene Komponist in seiner künstlerischen Haltung (nicht aber in seiner Stilistik) durch Stefan Wolpe und Edgard Varèse. Seit den 1950er Jahren etablierte er sich im Umfeld von John Cage und im regen Austausch mit den abstrakten Expressionisten in der Bilden- den Kunst, deren Ideale er in mancher Hinsicht in seine Musik übertrug. Bei allen Wandlungen im Detail wirkt seine Musik dennoch geradezu mono- lithisch. Fast alle seine Stücke sind von ruhigen Tempi und der Dominanz des Leisen geprägt. Systemen entziehen sie sich. Feldmans Musik will nichts ausdrü- Morton Feldman, fotografiert 1976 im cken. Wie ein abstraktes Gemälde eine Amsterdamer Concertgebouw Fläche füllt, entfaltet sie sich in Zeit und Raum. Oft – zumal in den Werken der Hans-Peter Jahn hat versucht, die Wir- letzten beiden Lebensjahrzehnte – finden kung von Feldmans Musik in Worte zu sich weit ausgedehnte Wiederholungs- fassen: »Vielleicht mag sie im faszinie- muster, wobei deren Wiederkehr in Nuan- renden Umgang mit der Instrumentation cen modifiziert wird und so Statik und der Werke liegen, in dem ausgehorchten Bewegung unergründlich ineinanderge- Klang, bestimmt durch die sorgfältig schoben werden. ausgewählten Lagen der Instrumental- 7
stimmen, in den Mixturen auch gleicher Klangfarbenträger (z. B. im Streichquartett), die etwas freisetzen, was es an Klang zuvor auf diesem Planeten noch nicht gab. Lichtdurchtränkter Klangglanz… kontemplative Trauer in Schönheit gegossen… konsonantische Intervalle im Verbund mit Dissonanzen so gesetzt, das im Obertonspekt- rum ein Klirren und Schwirren Teppich aus der Türkei, 18. Jahrhundert oder früher erwacht… alles in Bewegung ohne Erstarrung trotz immergleicher repetitiver die sich außermusikalischer Anregung Variantenmuster… sich immerfort unauf- verdanken. Feldman war fasziniert von dringlich verwandelnd nach unlogischen, orientalischen Teppichen und meinte ja irrationalen Entscheidungen… stetiger mit Blick auf »Why Patterns«, dass ein Fluss, dessen zufällige vom Untergrund bestimmter, von ihm zufällig gefundener beeinflusste Wellenimpulse Glitzern, Teppich besonders interessierte – wegen Flimmern, Leuchten, Widerspiegelungen der farblichen Nuancen, die er bot und freisetzen… also doch wie eine Wasser- wegen der Muster, die sich zwar wieder- oberfläche, die ihren natürlichen Atmun- holten, dabei aber nie ganz identisch gen keine Gegenwehr bietet?... für den waren. An der farblichen Gestaltung be- sich einen eigenen, inneren Reichtum eindruckte ihn, dass die wenigen Grund- bildenden Empfindunsgmenschen eine farben in sich viele Nuancen aufwiesen Oase, von der aus er ins absichtslos Reine und so höchst differenzierte Abstufungen geführt wird?« ergaben. Auch auf »Why patterns« treffen solche Dementsprechend ist »Why Patterns« für Beschreibungen durchaus zu. Feldman ein Ensemble komponiert, dessen Farben selbst hat berichtet, dass dieses Werk zu verwandt sind. Glockenspiel und Klavier den wenigen seiner Kompositionen gehöre, eint, dass ihre Klänge durch einen Impuls angeregt werden und dann ausschwingen. 8
Das Glockenspiel verlängert den Klavier- klang gleichsam ins Silbrig-Metallische. gelangen. Wohl auch deshalb wurde »Why Eine solche Färbung kann auch der Klang Patterns« im Uraufführungskonzert der Flöte annehmen, dem aber in der zweimal gespielt. Durch die Überlagerung mittleren und tiefen Lage etwas verhaucht von drei unabhängigen Verläufen, man Fahles zuwächst. könnte auch sagen Zeitschichten, wird Feldman hat sich intensiv mit der Frage der Eindruck der Statik und letztlich der beschäftigt, wie weit er seine Musik in Aufhebung der Zeit hervorgerufen. Die der Notation fixieren muss und welches Dynamik verharrt durchweg im Leisen. Maß an Freiheit er den Interpreten über- Die hingetupften Klänge von Glocken- antworten kann, um zum gewünschten spiel und Klavier, die gehauchten Töne klingenden Ergebnis zu kommen. In der Flöte etablieren ein Klangbild von »Why Patterns« ist er zu einer ganz größter Zartheit und Magie. Es ist dies eigenen Lösung gekommen. Zwar ist jede Musik, die keinen Anfang und kein Ende der drei Stimmen genau notiert: Tempo, mehr zu kennen scheint. Tonhöhen, Rhythmen und Metren sind jeweils exakt fixiert. Dennoch entfalten sich die Stimmen völlig unabhängig. Das MORTON FELDMAN * 12. Januar 1926 in New York City hat den merkwürdigen Effekt, dass das, † 3. September 1987 in Buffalo was in der Partitur visuell ein simultanes Ereignis suggeriert, in der Realität nicht »Why Patterns?« für Flöte, gleichzeitig erklingt. Die drei Stimmen Glockenspiel und Klavier sind also nicht unmittelbar aufeinander bezogen, sondern die Zusammenklänge ENTSTEHUNG ergeben sich mehr oder weniger zufällig. 1978 Der Zufall ist nur durch die Auswahl URAUFFÜHRUNG des Tonmaterials und die rhytmisch- 21. Oktober 1978 im Rahmen des metrische Organisation der Einzelstimmen Metamusik Festivals Berlin (West) mit Eberhard Blum (Flöte), Jan Williams in gewisser Weise eingeschränkt. In (Glockenspiel), Nils Vigeland (Klavier) jedem Falle aber wird das Werk bei jedem ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER Erklingen eine im Detail andere Gestalt DRESDNER PHILHARMONIE haben und werden die drei Stimmen zu DAUER unterschiedlichen Zeiten an ihr Ende ca. 35 Minuten 9
»Überkochender Hexenkessel« Skrjabins »Vers la flamme« In seinen letzten Lebensjahren beschäf- tigte sich Alexander Skrjabin mit einem »Mysterium« genannten Projekt, in dem er alle Kunstformen zu einem nie da ge- wesenen Gesamtkunstwerk zu vereinen gedachte. Er entwickelte die Vorstellung eines gigantischen, halbkugelförmigen Auditoriums, das im indischen Dschungel zum Zwecke der Aufführung dieses »Mysteriums« zu errichten wäre, in der Musik, Farben, Tanz, Düfte, Berührungen und Geschmacksempfindungen zu einem »synästhetischen Ritual« (Michael Schmidt) verschmolzen wären und in das nach und nach die gesamte Menschheit Alexander Skrjabin einbezogen würde. Die Idee einer kollek- tiv zu erlebenden, vom Gesamtkunstwerk zu erzeugenden Ekstase war für Skrjabin Wenngleich Skrjabin das »Mysterium« zentral. Vermittels der Ekstase – so seine nicht ansatzweise verwirklichen konnte Vorstellung – gelänge es den Menschen, und nur Skizzen zum »L’Acte préalable« in einem gleichsam spiralförmigen Ent- (einer »Vorbereitenden Handlung«) über- wicklungsgang immer höhere, entfesselte- liefert sind, die von Alexander Nemtin in re Bewusstseinsstufen zu erlangen, bis in eine aufführbare Form gebracht wurden, einer erotisch-spirituellen Metamorpho- stehen doch viele seiner späten Werke se, in einem allumfassenden Liebesbrand beginnend mit dem »Poéme de l’extase« alle materielle Existenz in reine Energie (1908) und »Prométhée. Le Poème du verwandelt würde. feu« (1910) im Zeichen solcher Vorstel- lungen, wie sie im »Mysterium« verwirk- 10
John Delville (1867 – 1953): Prometheus (1907). Delville war ein belgischer symbolistischer Maler, dessen Kunst von ähnlichen Vorstellungen geprägt war wie die Musik Skrjabins. Zur Druckausgabe von dessen »Promethée« gestaltete er das Titelblatt – nicht zu verwechseln mit dem hier reproduzierten Gemälde. 11
licht werden sollten. Zu diesen Werken Die Idee, ein Kunstwerk aus einem einzel- zählt auch »Vers la flamme«, komponiert nen strukturellen Kern heraus zu ent- 1914, ein Jahr vor Skrjabins frühem Tod. wickeln, erscheint überaus modern und So befremdlich aus heutiger Siccht die antizipiert Vorstellungen der radikalen Vorstellung der Menschheitserlösung Avantgarde der Jahre nach dem Zweiten durch Kunst mit einem gottgleichen Weltkrieg, unter anderem auch die, eine Künstler im Mittelpunkt (als der sich der Musik zu erschaffen, in der nicht das von messianischem Sendungsbewusst- Nacheinander der Ereignisse das Wesent- sein durchdrungene Skrjabin empfand) liche ist, sondern das in jedem seiner erscheinen mögen, so faszinierend sind die Momente auf sein Zentrum, auf einen musikalischen Funde, zu denen Skrjabin Nukleus, bezogen ist. So ergibt sich in seinen späten Werken kam. »Vers la eine durchaus schlüssige Brücke zu flamme« (Hin zur Flamme), das schon im Bernd Alois Zimmermann und seinen Titel auf die Metapher des Liebesbrandes »Monologen«. anspielt, beruht im Wesentlichen auf den Metamorphosen eines einzigen Akkordes, des sogenannten »mystischen Akkordes«, den Skrjabin erstmals in »Prométhée« als formbildendes Element aufgegriffen hatte. ALEXANDER SKRJABIN Dieser Akkord, der aus der Schichtung * 6. Januar 1872 in Moskau † 27. April 1915 ebenda von übermäßigen, verminderten und reinen Quarten synthetisiert ist, entzieht »Vers la flamme« – sich der funktionsharmonischen Bestim- mung. Die traditionelle Tonalität ist in Poème op. 72 »Vers la flamme« außer Kraft gesetzt. Der ENTSTEHUNG Pianist Stefan Wirth sprach mit Blick auf 1914 dieses Werk treffend von einem »Hexen- URAUFFÜHRUNG kessel«, dessen Inhalt – eben jener Akkord 1914 – »mittels ständig variabler polyrhythmi- ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER scher Arpeggierung bzw. der Überführung DRESDNER PHILHARMONIE vom liegenden Akkord zum Tremolo zum DAUER Überkochen gebracht wird«. ca. 6 Minuten 12
Eine Hommage an Debussy Zimmermanns »Monologe« Bernd Alois Zimmermann in den 1960er Jahren, Foto von Hannes Kilian Die »Monologe« komponierte Zimmer- nach dreijährigem Kampf nun für eine mann 1964 während eines Aufenthaltes Fassung ad usum delphini entschlossen.« in der Villa Massimo in Rom. Sie stellen (Brief an Aloys Kontarsky) Keineswegs eine Umarbeitung der »Dialoge« für zwei sollte die Formulierung »ad usum delphi- Klaviere und Orchester aus dem Jahr ni«, die im Sinne von »entschärft« oder 1960 dar. Der Impuls zur Umarbeitung »angepasst« zu verstehen wäre, wörtlich war ein profaner. Mit Blick auf die »Dialo- genommen werden. Die »Monologe« ge« meinte Zimmermann: »Es ist ja kein sind keine Behelfsfassung der »Dialoge«, Zustand, dass das Stück in der Schublade sondern eine eigenständige Ausarbeitung verschimmelt, und da es ja offensichtlich der Materialien des Vorgängerwerkes und damit, dass man gute Stücke schreibt, gehen in Farbenreichtum und Virtuosität nicht getan ist, sondern erst damit, dass noch über die Dialoge hinaus. sie aufgeführt werden, habe ich mich 13
Vorletzte Seite aus der Partitur der »Monologe« mit Zitaten aus Debussys »Jeux« und Mozarts Klavierkonzert KV 467 »Hommage à Debussy« hat Bernd Alois Zimmermann seine Monologe für zwei Klaviere genannt. Gerade in seinem Ver- ständnis von musikalischer Zeit hat er in Claude Debussy einen Komponisten gesehen, an dessen Errungenschaften er anknüpfen konnte. In seinen Kursen an der Kölner Musikhochschule analysierte 14
er insbesondere eines von dessen späten Werken, das Ballett »Jeux«, das ihm »als suspendieren und jene Einheit der Tem- ein Musterbeispiel für ein nicht-teleolo- pora innerhalb des Musikalischen zum gisches und nicht-lineares, gewisserma- Erlebnis werden zu lassen und Räume für ßen ‚zuständliches‘ Komponieren« galt. das »Spontane, Assoziative, Traum-, ja (Jörn Peter Hiekel) In den »Monologen« Trancehafte« zu öffnen. (so Zimmermann blitzt dessen Musik an mehreren Stellen in seinem Einführungstext, aus dem auch auf: im vierten und fünften der Mono- die folgenden Zitate entnommen sind). loge ein Fragment aus »Feux d’artifice«, Bei der Strukturierung der unterschied- ebenfalls im fünften Monolog und im lichen zeitlichen Schichten bediente knappen Epilog Bruchstücke aus »Jeux«. sich Zimmermann serieller Methoden. Es sind nicht die einzigen Zitate, die in Aus den Intervallverhältnissen der dem dieses Werk eingeflochten sind, sondern Werk zugrundeliegenden Zwölftonreihe eincollagierte Musiken verschiede- leitete Zimmermann die Proportionen ner Provenienz sind dessen integraler der Zeitschichten des Werkes ab. Für die Bestandteil. So finden sich Zitate aus Hörer freilich sind nicht diese komposi- Werken von Bach (»Wachet auf, ruft uns tionstechnischen Prozeduren an sich von die Stimme«, »Vater unser im Himmel- Belang, sondern entscheidend ist, was sie reich«) und Messiaen (»L’Ascension«), in der sinnlichen Erscheinung der Musik von Beethoven (Hammerklaviersonate), ermöglichen. Durch sie »öffnet sich der Mozart (Klavierkonzert C-Dur KV 467) Zugang zu allen Zeiträumen der Musik und des gregorianischen Pfingsthymnus und damit sind musikalische Vergangen- »Veni creator spiritus«. Diese Eigenart heit, Gegenwart und Zukunft nicht mehr teilen die Monologe mit vielen Zimmer- Objekte von stilistischen Wertungen mannschen Werken seit der Oper »Die sondern musikalische Erfahrungen. [...] Soldaten« (1958-60). Die Zitate sind der Musikalische Bewusstseins- und Erleb- am unmittelbarsten erfassbare Ausdruck nisschichten, welche bisher unvereinbar seiner Vorstellung von Zeit als einer schienen, gehen eine innige Verbindung Einheit von Vergangenheit, Gegenwart miteinander ein. Aus dem unendlichen und Zukunft und der Möglichkeit des Strom der musikalischen Zeit tauchen – musikalischen Kunstwerks, kraft der Organisation von Zeit diese selbst zu 15
und nun wird die gezielte Paradoxie ein verlässlicher Helfer – aus diesem Strom also tauchen Erinnerungen an Zukünfti- ges und Ahnungen an Vergangenes auf: das scheinbar Gegensätzliche enthüllt seine innerste Verwandtschaft. So gesehen werden Zwiegespräche oder tausendfache Kommunikation zu Monologen, die über Zeiten und Räume hinweggreifen und in Zwiegesprächen und tausendfachen Kommunikationen Monologe bleiben.« BERND ALOIS ZIMMERMANN * 20. März 1918 in Bliesheim, heute Erftstadt † 10. August 1970 in Königsdorf, heute Frechen, bei Köln »Monologe« für zwei Klaviere ENTSTEHUNG 1960/1964 URAUFFÜHRUNG 7. Januar 1965 in Köln im Funkhaus am Wallrafplatz mit Alfons und Aloys Kontarsky ERSTMALS IN EINEM KONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE DAUER ca. 17 Minuten 16
Epilog So wie sich zwischen den Werken dieses Konzertes vielfältigste Bezüge entdecken lassen, so korrespondieren die Programme der drei Herztöne-Konzerte am 13., 14. und 15. September miteinander. Musik von Claude Debussy, der in Zimmer- manns Werk zitiert wird und der in der Gestaltung der Zeit ähnliche Wege ging wie Alexander Skrjabin, wird im morgen stattfindenden Konzert erklingen. Zwei seiner Werke umrahmen Kompositionen für Klavier zu vier Händen von Franz Schubert. Von »kontemplativer Trauer in Schönheit gegossen« hat Hans Peter Jahn mit Bezug auf Feldmans Musik gesprochen. Auf die Frage, wem diese Trauer gelte, hat Feldman geantwortet: »In gewisser Weise trauere ich über etwas, das damit zu tun hat, dass – sagen wir – Schubert mich ver- lassen hat.« Von Schubert und Debussy ausgehend kann man Wege zu Sciarrino entdecken, dem – nachdem seine Zweite Klaviersonate diesen Zyklus von drei Konzerten eröffnete – das abschließende Konzert gewidmet ist. 17
KLAVIER STEFAN WIRTH Der Komponist und Pianist Stefan spielen, dem Mozarteum Brasileiro Wirth gehört zu den vielseitigsten in São Paulo, dem Rheingau Musik Musikern seiner Generation. Er ist Festival, dem Klavier-Festival Ruhr als Pianist zeitgenössischer Musik und dem Menuhin Festival Gstaad. sehr aktiv und spielt als festes Mit- Zu seinen wichtigsten Lehrern glied im Collegium Novum Zürich zählen Hadassa Schwimmer am sowie im Ensemble Contrechamps Konservatorium Zürich, Stephen (Genf). Drury am New England Conserv- Verschiedentlich hat Stefan Wirth atory, Boston (USA) und Leonard mit Heinz Holliger zusammenge- Hokanson an der Indiana University arbeitet, so zum Beispiel als Solist Bloomington (USA). beim Orchestra della Svizzera ita- Stefan Wirth erhielt seine komposi- liana oder bei den Ittinger Pfingst- torische Ausbildung vornehmlich konzerten. Im Jahr 2013 erarbeitete in den USA, wo er unter anderem er mit Pierre Boulez dessen zweite bei Michael Gandolfi und P.Q. Phan Klaviersonate. Auch ist Stefan studierte. Er erhielt das Leonard Wirth Mitglied der Vier-Flügel-For- Bernstein Fellowship für die mation »Gershwin Piano Quartet«, Teilnahme an den Tanglewood mit der er auf bedeutenden Festi- Sommerkursen, wo er mit George vals konzertierte, so unter anderem Benjamin arbeitete. Auch studierte beim Schleswig-Holstein Musik er bei Oliver Knussen und Colin Festival, dem Festival de Musique Matthews im Britten–Pears Young de Menton, den Schwetzinger Fest- Artist Programme in Aldeburgh/ England. 18
Aufträge erhielt Stefan Wirth unter aufgenommen, auf der jeweils die anderem vom Collegium Novum besten Schweizer Uraufführungen Zürich, dem Münchener Kammer- eines Jahres vereinigt werden. orchester, dem Ensemble Makro- Außerdem hat Stefan Wirth als kosmos, dem Ensemble ö!, der Pianist, Komponist und Arrangeur Camerata Variabile, dem Berner für verschiedene Musiktheater- Kammerorchester, dem Ensemble Produktionen mit Regisseuren wie Aequatuor sowie vom WDR für die Christoph Marthaler und Frank Wittener Tage für neue Kammer- Castorf zusammengearbeitet. musik, vom Deutschlandfunk, den Poetischen Liedertagen in Weimar, der Ruhrtriennale und dem Lucerne Festival. Seine Werke wurden dreimal in die Grammont Sélection 19
KLAVIER GILLES GRIMAÎTRE Gilles Grimaître, geboren 1988 in Als Solist oder Kammermusiker Genf, begann 1998 mit dem Klavier- spielt Gilles Grimaître regelmäßig studium am Jaques-Dalcroze in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Institut (IJD). Zusätzlich studierte Deutschland, Österreich, Bosnien- er Improvisation und interessierte Herzegowina und Bulgarien. Er ist sich verstärkt für Komposition und Mitwirkender mehrerer Ensembles zeitgenössische Musik. Im Jahr für zeitgenössische Musik wie 2008 wurde er an der Hochschule Ensemble Modern, Ensemble der Künste Bern aufgenommen, Contrechamps, Collegium Novum wo er seine musikalische Ausbil- Zürich, Ensemble Proton und ist dung mit Pierre Sublet (Hauptfach festes Mitglied des jungen Ensem- Klavier) fortsetzte. Im Nebenfach ble Lemniscate in Basel. Er hat studierte er Orgel bei Pascale van mit Klaus Huber, Stefano Gerva- Coppenolle und Komposition bei soni, Heinz Holliger, François- Xavier Dayer. 2013 schloss er seinen Xavier Roth, Peter Rundel, Facundo Master Performance im Haupt- Agudin, Pablo Heras-Casado, fach Klavier mit Auszeichnung ab. Clement Power gearbeitet und 2013/2014 war er Stipendiat der bei zahlreichen Uraufführungen Internationalen Ensemble Modern mitgewirkt. 2012 nahm er an der Akademie in Frankfurt/Main. Lucerne Festival Academy teil, Daneben erhielt er Unterricht von wo er den Solo-Klavierpart in Ueli Wiget, Hermann Kretzschmar, Charles Ives’ Vierter Sinfonie un- Michel Dalberto und Florence Millet. ter der Leitung von Peter Eötvös interpretierte. 2012 wirkte er als Mitglied des Orchesters Musique 20
des Lumières bei der Aufnahme 2013 gewann er den ersten Preis des Projektes »Nuevo Tango Nuevo« beim Nicati Wettbewerb für Inter- mit Uraufführungen von Marcelo pretation zeitgenössischer Musik Nisinman, Julio Viera und Pablo und erhielt Stipendien beim Wett- Ortiz mit. bewerb der Marescotti-Stiftung und Ein weiterer Schwerpunkt seiner der Gabriele De Agostini Stiftung. Arbeit liegt auf der Liedbegleitung. Er konzertiert regelmäßig mit den Sängerinnen Léonie Renaud und Carole Rey. Wichtige musikalische Impulse erhielt er von James Alexander. Als leidenschaftlicher Improvisator ist er in verschiedenen Besetzungen für freie Improvisation zu hören, beispielsweise in der experimentellen Band [bleu]. 21
FLÖTE MAGDALENA POPP Magdalena Popp, geboren 1997 in ihrem Bruder Simon Popp (Klavier) Baden (Schweiz), spielt seit ihrem konzertiert sie regelmäßig als Duo zwölften Lebensjahr Querflöte und oder in verschiedenen Kammer- war bereits mit 14 Jahren Mitglied musik-Formationen. Ebenso konn- der regionalen Begabtenförde- te sie früh in diversen Jugendor- rung. Ihr Bachelor-Studium mit chestern und bei Orchesterprojek- Hauptfach Querflöte beendete sie ten mitwirken. Dies ermöglichten im Juni 2021 an der Musikhoch- ihr Konzertreisen nach Portugal, schule Luzern und beginnt dort im England, Südkorea, Skandinavien, September 2021 mit ihrem Master- Rumänien und in die USA. Zudem Studium bei Isabelle Schnöller und war Magdalena Popp Flötistin Prof. Pirmin Grehl. Weitere Impulse und Piccolistin bei der Schweizer erhielt sie von Renate Greiss-Ar- Erstaufführung des Werks »Cantata min, Peter- memoria – for the children« von Lukas Graf, Sebastian Jacot, Michel Carl Jenkins. Moragues und Nicola Mazzanti. Sowohl im Finale des Schweizeri- schen Jugendmusikwettbewerbs sowie bei Bundeswettbewerben von »Jugend musiziert« gewann sie mehrere Preise. Zusammen mit 22
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GLOCKENSPIEL CORENTIN MARILLIER CRR in Rueil Malmaison war entscheidend für seinen Weg als Musiker. Er spezialisierte sich auf das Studium des zeitgenössischen Repertoires und des Musiktheaters, das er durch den Kontakt mit Jean Pierre Drouet vertiefte. Er setzte seine Lehrtätigkeit bei Pascal Pons an der Hochschule Luzern fort, wo er den Master in zeitgenössischer Musik erwarb. Außerdem übte er sich schon in jungen Jahren im javanischen Gamelan, das er in Indonesien studierte und das er in der Philharmonie de Paris und in Meisterkursen unterrichtet. Die Entdeckung des Zarb in der Klasse von Pierre Rigopoulos und später bei Keyvan Chemirani bestä- tigte ihn in seiner Entscheidung, einen Weg einzuschlagen, der die Tradition der notierten Musik mit anderen, nicht auf schriftlicher Fixierung beruhenden Überliefe- rungsformen der Musik verbindet. Als Solist arbeitete Corentin Corentin Marillier ist ein Schlag- Marillier mit Simon Steen-Andersen zeuger, der an der Schnittstelle anlässlich der Aufführung von zwischen experimenteller und dessen »Black Box Music« zusam- traditioneller Musik agiert. Die men. Seine Begegnung mit Raphael Begegnung mit Eve Payeur am Cendo an der Académie Voix Nouvelles in Royaumont im Jahr 24
2016 beeinflusste seinen Weg und seine Ästhetik als Interpret. Er hat Cendos »Badlands« im April 2017 Corentin Marillier ist eines der in der Schweiz uraufgeführt und Gründungsmitglieder des Kollek- spielt dessen Werke regelmäßig als tivs Soundtrieb, das Musik und Solist und in Kammermusikforma- darstellende Kunst in der Schweiz tionen. 2019 hat er »Drum Control« (Bern, Luzern, Zürich) verbindet. des Schweizer Komponisten Tho- Er trat mit verschiedenen Ensem- mas Kessler beim Lucerne Festival bles wie dem Collegium Novum aufgeführt. Zürich und dem Ensemble Musik- Corentin Marillier interessiert Fabrik auf, gastierte bei Festivals sich für die performativen und in Europa, darunter Voix Nouvelles szenischen Aspekte der Musik und der Fondation Royaumont, Lucerne arbeitet regelmäßig mit dem Kom- Festival, IMPULS (Graz-Österreich), ponisten Nicolas Frize zusammen, Manifeste (IRCAM-Paris), Donau- mit dem er in Paris »Le Chant eschinger Musiktage und wurde zu de la Chair«, ein Stück für zwei internationalen Akademien einge- Schlagzeuger, Solisten, Chor und laden, darunter die Internationalen »Silencieusement« geschaffen hat, Ferienkurse für Neue Musik Darm- das im Oktober 2017 in den Archives stadt. Corentin Marillier hat unter Nationales de Pierrefitte urauf- Dirigenten wie Emilio Pomàrico, geführt wurde. Sein Zusammen- Heinz Holliger, Jean-Philippe treffen mit dem Regisseur Laurent Wurtz, Pierre André Valade, Gregor Dupont führte 2019 zur Produktion Mayhofer und Tito Ceccherini von »A Vos Saveurs«, einer »opéra gespielt. Im Jahr 2020 erhielt er bouffe« für zwei Schlagzeuger und ein Stipendium der Stiftung Nicati eine Sängerin auf eine Musik des De Luze. Komponisten Karl Naegelen. Im März 2020 kreierte er »Au bois des travestis« von Jean Christophe Marti für einen Schauspieler und drei Musiker. 25
IMPRESSUM HERAUSGEBER TEXT BILDNACHWEISE Intendanz Jens Schubbe Luca Carrà, Rai Com: S. 3 der Dresdner Philharmonie Wikimedia Commons: S. 5, 8 Der Text ist ein Originalbeitrag für Schloßstraße 2 azerbaijanrugs.com: S. 6 dieses Heft; Abdruck nur mit aus- 01067 Dresden imgur.com: S. 9 drücklicher Genehmigung des Autors. T +49 351 4866-282 Gundel Kilian: S. 11 B. Schott’s Söhne, Mainz. dresdnerphilharmonie.de Jens Schubbe, geboren 1962 in der S. 12 Mecklenburgischen Schweiz, arbeitet Mona Neubauer: S. 17 als Dramaturg für die Dresdner Vanja_Čerimagić: S. 19 Philharmonie. Darüber hinaus ist er CHEFDIRIGENT UND privat: S. 21 als Autor bzw. beratend für diverse KÜNSTLERISCHER LEITER lucernefestival.ch: S. 22 Institutionen tätig, u.a. Wiener Musik- Marek Janowski verein, Konzerthaus Berlin, Schwet- zinger Festspiele, Wittener Tage für neue Kammermusik, Auditiv Vokal. MUSIKBIBLIOTHEK Zuvor Tätigkeiten für das Collegium INTENDANTIN Novum Zürich (Künstlerischer Leiter/ Die Musikabteilung der Frauke Roth (V.i.S.d.P.) Geschäftsführer), das Konzerthaus Zentralbibliothek (2. OG) hält Berlin (Dramaturg), die Berliner zu den aktuellen Programmen Kammeroper (Dramaturg) und das der Philharmonie für Sie in Theater Vorpommern (Chorsänger einem speziellen Regal und Dramaturg). Partituren, Bücher und CDs bereit. REDAKTION Jens Schubbe Preis: 2,50 € Änderungen vorbehalten. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Bild- und Tonaufnahmen jeglicher Art während des Konzertes durch Besucher grundsätzlich untersagt sind. Die Dresdner Philharmonie als MEDIZINISCHES Gesundheitsparter Kultureinrichtung der Landes- LABOR der Dresdner OSTSACHSEN Philharmonie hauptstadt Dresden (Kulturraum) D RESDEN wird mitfinanziert durch BAU TZEN GÖRLITZ Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
MUSIK AUS OST UND WEST 2./3. OKT 2021 KULTURPALAST THEMENTAGE SA 02. OKT 2021 19.30 Uhr Kammerkonzert 31 JAHRE Christfried Schmidt: Kleist-Memorial Friedrich Goldmann: Ensemblekonzert DEUTSCHE 21.00 Uhr ›Floh im Ohr‹ Trickfilme aus der DDR EINHEIT SO 03. OKT 2021 11.00 Uhr Klaviermusik und Literatur 1953-1990 18.00 Uhr ›Aktion‹ - Orchestermusik um 1970 Christfried Schmidt: Sinfonie ›In memoriam Martin Luther King‹ (UA) B. A. Zimmermann: ›Ekklesiastische Aktion‹ 20.00 Uhr ›Wind sei stark‹ Dokumentarfilm DDR 1989/90 ticket@dresdnerphilharmonie.de dresdnerphilharmonie.de © DEFA-Stiftung /Erich Günther
TICKETSERVICE Bleiben Sie informiert: Schloßstraße 2 | 01067 Dresden T +49 351 4 866 866 MO – FR 10 – 19 Uhr SA 09 – 14 Uhr dresdnerphilharmonie.de ticket@dresdnerphilharmonie.de kulturpalast-dresden.de
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