Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
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03 EDITORIAL 04 KEINE ZEIT ZU TRAUERN 06 STREIFLICHTER 08 ICH HAB SCHON VIELE KERZEN GESEHEN 14 112 16 HERZWERK 19 LESERBRIEFE 20 HEIL MACHEN ... 22 EHRENSACHE 24 LIEBES (DIGITALES) TAGEBUCH ... 02
endlich E D I TO R I A L : L . K R E N G E L , P FA R R E R I N Liebe Leserin, lieber Leser, als der Arzt anruft, sitzen meine Eltern auf gepackten Koffern. Eigentlich wollten sie mit unserem Sohn für ein paar Tage in den Urlaub fahren. Daraus wird nichts. Ab ins Krankenhaus. Einige Untersuchungen später hat mein Vater, haben wir alle Gewissheit: Krebs. Unheilbar. Vielleicht sind es nur noch wenige Monate, wenn es gut Dieses Heft beschäftigt sich mit dem Sterben, dem Tod, läuft ein bis zwei Jahre. In den ersten Tagen und Wochen der Trauer, dem Umgang mit der eigenen Endlichkeit und frage ich mich: Wie sollen wir so leben? In dem Wissen um dem, was trösten kann in diesen Zeiten. Themen, die uns den Tod und den bevorstehenden Abschied? Die Erfah- alle irgendwann betreffen und oft zutiefst berühren. Das rung hat mir gezeigt: Es geht. Mal besser, mal schlechter. haben wir schon in der Planung und Vorbereitung dieses Und es kostet viel Kraft. Heftes im Redaktionsteam gemerkt. Deshalb ist dieses Heft auch ein sehr persönliches geworden. Mein Vater stirbt letztes Jahr am Karsamstag. Wir sind dabei. Eine Erfahrung, die mein Leben nachhaltig und Ich hoffe, dass unsere Texte und Geschichten Sie anspre- zutiefst verändert hat. Am nächsten Morgen, dem Oster- chen und berühren und wünsche Ihnen trotz der Ernst- sonntag predige ich in der Martinskirche über die Aufer- haftigkeit des Themas viel Freude beim Lesen, stehung. Erst denke ich: Das geht nicht, ich schaff es nicht. Aber es ging. Heute bin ich dankbar für die Gemeinschaft im Gottesdienst und die Menschen an meiner Seite, die mich unterstützt haben. Ihre Lisa J. Krengel 03
Kristiane Voll Pfarrerin in der Ev. Kirche im Rheinland, Ev. Kirchengemeinde Lüttringhausen, Trauerbegleiterin, Mitbegründerin und Mitarbeiterin der Internetseite www.trauernetz.de „Ich komme nicht zur Beerdigung meines Mannes! Dann breche ich zusammen!“ – Ich schrecke zusammen bei dieser Vorankündigung. In unserer Zeit haben sich der Umgang mit Abschiedneh- scheint kaum vorstellbar. Dazu fehlen mittlerweile Vorbil- men im Angesicht des Todes und das Leben mit Trauer der: Menschen, bei und mit denen man erlebt, dass es ei- merklich verändert. Dabei wird vermehrt in heutiger Zeit nen Weg durch die Trauer gibt und man sie nicht im weiten aus „mit Trauer umgehen“: „Ich umgehe die Trauer und Bogen umgehen muss. mache einen weiten Bogen um sie herum, um sie zu ver- meiden.“ Dabei lässt sich „umgehen“ in unserem Sprach- Warum? Was fehlt? – (Ganz oft) Zeit! gebrauch ebenso verstehen als: „Ich bin (oder werde) fähig und bin einer Sache mächtig.“ Dass dies als eigentlich heil- Menschen wollen oder können sich nicht die Zeit nehmen, sames Ziel der Trauer innewohnt, geht oft verloren; denn die sie für ihr Trauern bräuchten. Nicht zuletzt ihr Umfeld Trauer mit ihren ungezählten Facetten von tiefer Trau- scheint es immer weniger möglich zu machen. Während rigkeit bis hin zu großer Dankbarkeit gibt es als lebens- über Medien „fremdes“ Leid unter einer noch nie dagewe- notwendige Reaktion, damit man sich in eine veränderte senen Beobachtung steht, wird „nahes“ Leid zunehmend Lebenssituation einleben kann. Jesus hat es einmal so ge- als Zumutung erlebt. Es mangelt an Geduld (ein Zeitfak- sagt: „Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden.“ tor), für andere in einer schwierigen, irritierenden, trau- (Matthäus 5,4): Trauer als Lebensgabe, als Segen! rigen Zeit da zu sein und sie mit auszuhalten, was ein- schließen kann, sich selbst einzugestehen, in mancherlei Doch die Angst „Ich breche zusammen.“, weil einem un- Hinsicht ohn-mächtig zu sein und „nur“ ertragen oder bes- bekannte, düstere und umwälzende Empfindungen be- ser: mit-tragen zu können. Wer aber erlebt: „Da trägt einer gegnen können, lässt nicht wenige zurückschrecken. Sie mit.“, erfährt: „Ich bin nicht allein.“ Das ist dann schon die ziehen sich einen emotionalen Regenmantel an, an dem halbe Miete von Trost. Das hilft zum Leben und ins Leben. Regentropfen wie Traurig-Sein, Stille, Sich-einsam-Füh- Es braucht nicht viel dazu – „nur“ Zeit … ein wenig Zeit. len und Leere abperlen. Dass ein gelingender Abschied aber unter anderen auch solche Erfahrungen braucht, um zu einem guten Weg in ein verändertes Leben zu werden, Kristiane Voll, Pfarrerin 05
Streiflichter Darwin Award Beerdigungslieder Der Verhaltensforscher Charles Darwin gilt als Begründer Musik spendet bei einer Trauerfeier Trost, erinnert an Mo- einer modernen Genetik und Abstammungslehre. Neben mente mit dem Verstorbenen und schafft so Gemeinschaft. seiner wissenschaftlichen Bedeutung taucht der Name aber Doch welche Musik kommt hier zum Einsatz? Auf der ei- auch beim genauen Gegenteil einer erfolgreichen Evolution nen Seite sind natürlich die etablierten Kirchenlieder zu auf. Im Darwin Award werden nämlich seit 1994 jene Men- nennen. Ein mächtiger Kanon, aus dem die Trauergemein- schen posthum prämiert, die auf besonders dösige Art zu de auswählen kann, mit Stücken wie: Großer Gott, wir loben Tode kamen. Es sind tatsächlich wissenschaftlich korrekt dich, Von guten Mächten treu und still umgeben, Wir sind nur ermittelte Fälle, einer dümmer als der andere. Beispiele? Ein Gast auf Erden. Oftmals von Orgel oder Klavier angestimmt Terrorist versendet eine Briefbombe, verschätzt sich beim und von der Gemeinde begleitet. Seit vielen Jahren hört Porto. Der Brief kommt zurück, er öffnete ihn und … Oder man aber auch immer häufiger zeitgenössische Musik, die ein Dieb stielt aus einem Fahrstuhl das Seil, an dem der dem Verstorbenen zeitlebens wichtig war und mit der Fahrstuhl befestigt war. Beim Lösen der letzten Schraube auch die Gemeinde ganz unmittelbare Erlebnisse verbin- dachte er nicht daran, dass sein Fahrstuhl an eben diesem det. In my life (Beatles), Hallelujah (Leonard Cohen), Tears in Seil hing, das er gerade löste. Der Darwin Award ist eine Heaven (Eric Clapton) oder auch Someone like you (Adele) – skurrile Sammlung unglücklicher Todesfälle, der seinerseits das Repertoire ist gleichsam unerschöpflich. Mitunter von der Wissenschaft beachtet wird. Der Direktor des Insti- werden diese Stücke von Livemusikern präsentiert, oft tute of Cellular Medicine in Newcastle, John Dudley Isaacs, aber auch schlichtweg von der CD eingespielt. Wenn die veröffentlichte im angesehenen „British Medical Journal“ Musikwünsche skurril sind, weil den Verstorbenen und eine Studie, aus der hervorgeht, dass von den 332 bislang die Trauergemeinde beispielsweise die Liebe zum Hard- beschriebenen Fällen 282 Awards an Männer gingen und rock verbindet, entscheidet sicherlich jeder Geistliche im nur 36 Frauen aufgeführt sind. Der Unterschied sei statis- Vorfeld ganz individuell, wie passend die Auswahl nun tisch hoch signifikant, schreiben die Forscher. Männer sind wirklich ist. Fest steht: Die letzte Musik ist frei wählbar. offensichtlich risikobereiter. Oder schlichtweg dösiger. Ergo: I did it my way. 06
Schwarzer Humor nachbarten Marl gibt es eine solche Beisetzungsmöglichkeit. Die Zahl der Seebestattungen wächst ebenfalls, bei der der Was steht am Waldrand und raucht? Ein Kaminchen! Wo- Verstorbene in einer wasserlöslichen Urne auf dem Meer rüber wir Menschen lachen, ist so unterschiedlich wie die beigesetzt wird. Anders die Beisetzung in einem Kolumba- Menschen selbst. Und es gibt eine Menge Leute, die gerne rium, bei der jede Urne in ihrem eigenen Schrankfach in ei- über schwarzen Humor lachen. Also bedauern die einen das nem geschützten Raum (dem Kolumbarium) verbleibt. Es ist arme Kaninchen im Einstieg dieses kurzen Artikels, die an- also auch ein Ort, den die Hinterbliebenen immer wieder deren müssen zumindest schmunzeln. Chefzyniker im besuchen können. Ganz anders sieht es schließlich bei der deutschen Fernsehen war übrigens viele Jahre lang TV-Mo- anonymen Bestattung aus, bei der die letzte Ruhestätte des derator Harald Schmidt. Die einen liebten ihn für sein düs- Verstorbenen unbekannt ist. Eine Beisetzungsform, die teres Humorverständnis voller Biss und Zynismus, die an- langsam, aber stetig steigt. deren nicht. Dirty Harry halt. Das Institut für Psychologie der Universität in Wien hat sich übrigens vor wenigen Jah- Streuselkuchen – Beerdigungskuchen ren mit diesem Thema beschäftigt und in einer ersten Studie untersucht, wer eigentlich über schwarzen Humor lachen Der flache Blechkuchen besteht aus feinem Hefeteig mit ei- kann. Dazu wurden 80 Männer und 76 Frauen befragt – nem Krümelbelag aus Zucker, Fett und Mehl – dem Streusel. Durchschnittsalter der Probanden: 33 Jahre. Unterm Strich Voilà, fertig ist der Streuselkuchen, Beerdigungskuchen, kam dabei Folgendes heraus: Menschen, die über schwarzen Freud-und-Leid-Kuchen oder auch very british: Funeral Humor lachen können, sind zumeist gebildet, nicht aggres- Cake. Ein ziemlich einfaches Backwerk, das gerne zu Hoch- siv und grundweg humorvoll. Alter und Geschlecht spielen zeiten, Konfirmationen oder aber auch zu Beerdigungen bei einer Zu- oder Abneigung gegenüber dem derben Hu- aufgetischt wird. Ursprünglich stammt das Krümelmonster mor hingegen keine Rolle. Na, dann gibt es noch einen aus Schlesien und den angrenzenden preußischen Provin- harmlosen zum Schluss: Treffen sich zwei Planeten. Fragt zen. Im 19. Jahrhundert machte sich der Kuchen dann mit der eine: „Na, wie geht‘s?“ „Gar nicht gut. Ich leide furchtbar den Wanderbewegungen der Schlesier auf den Weg gen an Homo sapiens.“ „Ah …“ , entgegnet der Fragende erleich- Westen – und damit auch ins heutige Ruhrgebiet. Warum er tert, „ … das kenne ich, das geht bald vorüber!“ allerdings schließlich zum Beerdigungskuchen wurde, ist unklar. Vielleicht weil er relativ einfach zu fertigen ist? Viel- Alternative Bestattungsformen leicht aber auch einfach nur, weil er zauberhaft schmeckt. Bekannter als der Ursprung des Namens ist hingegen ein Früher wurden Verstorbene zumeist im Sarg beerdigt. Heu- altes schlesisches Gedicht zum Streuselkuchen. Hier die ers- te wählen bereits 60 Prozent aller Hinterbliebenen (oft dem te von acht Strophen: Wunsch des Verstorbenen folgend) die Feuerbestattung und anschließend die Urnenbeisetzung. Tendenz steigend. Zu- gleich verändern sich aber auch die Orte der letzten Ruhe. Wer besonders hoch hinaus will, wählt die Weltraumbestat- Sträselkucha tung. Dazu wird eine kleine Menge der Asche des Verstor- benen in eine Metallröhre verfüllt und mit einer Rakete ins Schlässcher Kucha, Sträselkucha, Weltall geschossen. Version 1: die kleine Röhre kehrt nach Doas ihs Kucha sapperlot, einigen Erdumrundungen zur Erde zurück und verglüht Wie's uff Herrgotts gruußer Arde dabei in der Atmosphäre. Version 2: Die Röhre schwebt für nernt nich su woas Gudes hoot! alle Ewigkeiten durchs Weltall. Version 3: Die Röhre wird Wär woas noch su leckerfetzig, Eim Geschmack ooch noch su schien, zum Mond geschickt. Die Kosten liegen zwischen etwa Über schlässcha Sträselkucha 5.000,00 und 15.000,00 Euro. Sehr viel weltlicher sind die Ur- Tutt halt eemol nischt nich gihn! nen-Beisetzungen in einem natürlichen und speziell dafür abgegrenzten Fried- oder Bestattungswald. Auch im be- 07
„Ich habe schon viele Kerzen gesehen.“ Vor dem Tod sind wir nirgendwo sicher. Das ist sicher. Also macht es durchaus Sinn, sich zumindest einen guten Platz in guter Gesellschaft zu suchen, um den letzten Weg zu gehen. Einer davon ist gewiss der Platz in einem Hospiz. „Als der Arzt mir die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs gern. Tatsächlich merke ich mittlerweile selbst, wie mir die nannte, sagte er, dass ich wohl noch sechs Monate zu leben Speisen – im wahren Wortsinne – im Halse stecken bleiben.“ hätte. Aber derzeit ruht der Krebs und ich bin schon etwas länger als sechs Monate hier.“ Einen direkteren Gesprächsein- Himmel auf Erden stieg kann man kaum wählen. Ulla Hansen* lebt seit einigen Monaten im stationären Hospiz in Bottrop. Ihr Zimmer ist 2019 starben in Deutschland rund 940.000 Menschen. Über hell und erlaubt einen großzügigen Blick ins Grüne – Licht 40 Prozent von ihnen im Krankenhaus, etwa 30 Prozent spielt im gesamten Gebäude eine zentrale Rolle. Ab 2012 zuhause und ein weiteres Viertel in Pflegeeinrichtungen – wurde die alte Chefarztvilla neben dem Knappschafts-Kran- und auch im Hospiz. Ulla Hansen wollte genau dort mit kenhaus baulich erweitert und im März 2014 als stationäres uns sprechen, weil es ihr wichtig ist zu erzählen, wie es ihr Hospiz eröffnet. Seitdem zählte das Haus 883 Gäste, wie die im stationären Hospiz ergeht. Also: Wie ist es, wenn man Sterbenden dort genannt werden (Stand: Mitte Juni 2020). weiß, dass man bald stirbt, in einer Umgebung, die weder Manch einer bleibt nur wenige Stunden, und bei manchen Zuhause noch Krankenhaus ist und die zugleich eine hei- lässt der Tod auf sich warten. Durchschnittlich bleiben die melige, freundliche Atmosphäre ausstrahlt? „Hier haben Gäste 18 Tage. „Der Arzt sagt mir immer, dass ich wohl ein Sie den Himmel auf Erden, weil ich keine Schmerzen habe starkes Herz habe“, erklärt Hansen und schmunzelt. Über- und rund um die Uhr versorgt werde. Die Leute hier, die haupt strahlt die hochbetagte Dame eine Fröhlichkeit aus, hat mir der Himmel geschenkt.“ Der Himmel, er taucht die so gar nicht zu ihrem Schicksal passen will. Lebenslust immer mal wieder in diesem Gespräch auf. Und mit ihm statt Lebensfrust. Derweil versorgt ein dünner Schlauch die der unbedingte Wille, Zwiesprache mit einem Gott zu 91-Jährige mit einer Medizin, während sie in ihrem Stuhl sit- halten. „Ich bete jeden Abend für eine gute Sterbestunde, zend ein Kreuzworträtsel löst, und dann legt sie das Heftchen glaube aber auf meine Art, das habe ich auch dem Pas- wieder zur Seite und spricht über das, was da wohl kommen tor Heyer gesagt. Zweimal wöchentlich kommt er zu uns mag. „Ich habe den Arzt gefragt, wie mein Ende werden ins Hospiz, und wir haben immer etwas zu reden. Man wird, und er hat gesagt: Sie werden zum Schluss verhun- könnte auch sagen: Wir reden über Gott und die Welt.“ 09
„Ich habe den Arzt gefragt wie mein Ende werden wird, und er hat gesagt: Sie werden zum Schluss verhungern.“ Stationär und ambulant Wer an hospizliche Arbeit denkt, hat oft ein stationäres Hos- en Situation immer ein Stück Aufgeregtheit. Aber genau das piz vor Augen. Also jenen Ort, an dem ein Mensch seine hält mich wach und empfindsam“, erklärt Peter Lüdeke, der allerletzte Lebenszeit gut verleben kann. Dass daneben das seit 2010 ehrenamtlicher Sterbebegleiter bei der ambulanten ambulante Hospiz im Grunde einer ähnlichen Idee folgt, ist Hospizgruppe ist. Der ehemalige Bergmann hat damals die hingegen weniger bekannt. Warum eigentlich? Schließlich 10-monatige Qualifizierung zum Sterbebegleiter absolviert gehen die ambulanten Hospize dorthin, wo der Schwerster- und seitdem zahlreiche Sterbende begleitet. Und das waren krankte lebt. Ins Krankenhaus, ins Pflegeheim und auch nicht seine ersten Kontakte mit dem Tod. „In den 1980er Jah- nach Hause. ren sind mir nach schweren Unfällen unter Tage drei Kol- legen in den Armen verstorben. Das sind Erfahrungen, die Während im stationären Hospiz in Bottrop 18 hauptamtli- mich sehr geprägt haben.“ che Pflegekräfte maximal 8 Gäste rund um die Uhr betreu- en, sind bei der ambulanten Hospizgruppe Bottrop über 60 Das Gesicht des Todes qualifizierte Ehrenamtliche für mehr Begleitungen vor Ort einsetzbar. Die Aufgaben sind ähnlich, aber nicht gleich. Jeder ehrenamtliche Sterbebegleiter hat seine ganz eigenen Während die stationäre Versorgung eine konzentrierte wie Gründe, warum er sich mit den Themen Sterben, Tod und (zumeist) kurzzeitige Versorgung der Sterbenden fokussiert, Trauer auseinandersetzt. Während die meisten Bürger sa- sind die ambulanten Sterbebegleiter vor allem für den Pati- gen: „Respekt, dass du das machst, das könnte ich ja nicht!“, enten da, sie halten aus, sprechen oder singen, basteln oder sehen sie ganz genau hin und machen. So wie seine Kolle- beten. Ein kostenloses Angebot für den schwersterkrankten gin Ingeborg Busch. Die ehemalige Lehrerin ist nicht nur Menschen, aber auch für die nahen Angehörigen. „Wir müs- seit 2014 Sterbebegleiterin, sondern auch Mitglied des Vor- sen als Sterbebegleiter ja immer sehr genau beobachten, was stands der ambulanten Hospizgruppe Bottrop. Und sie ist in der Begleitung passiert. Daher gibt es auch bei jeder neu- immer noch vor Ort, wenn das Leben geht. „Ich war bei ei- 10
Familie war ihr immer sehr wichtig. Oft denkt sie an ihren Bruder, der bereits 1943 in der Schlacht von Kiew als junger Mensch fiel. ner stark sedierten Frau mit schwerer de. Ihre längst verstorbenen Eltern rah- Berührung. Aber der Tod gehört nun COPD, die nachts in meinem Beisein men dort das Bild eines jungen Solda- mal zum Leben. Sobald Sie auf die verstarb. Im Grunde war der Übergang ten ein. Es ist ihr Bruder, der auch ein Welt kommen, ist der Tod vorprogram- vom Leben zum Tod ruhig. Trotzdem bemerkenswertes Ölgemälde malte, miert“, erklärt sie und hat sich längst habe ich mich im ersten Moment er- wenige Wochen bevor er in der Schlacht wieder gefasst – weil sie wieder ganz schreckt. Tatsächlich habe ich eigent- von Kiew 1943 fiel. Heute hängt es in bei sich ist. lich nur gesehen, dass sich das Gesicht ihrem Hospiz-Zimmer. Während sie plötzlich veränderte. Man kann diese über das gesamte Gespräch mit einer Drei Prozent Veränderung schwer beschreiben, aber fast irritierenden Leichtigkeit über den es ist nicht mehr der Mensch, den man eigenen Tod spricht, trifft sie die kurze „Wir erleben hier auch manchmal noch vor wenigen Momenten sah.“ Erzählung über ihren Bruder weitaus kleine Wunder“, erzählt die leitende tiefer. Wie viele Tränen hat sie wohl Pflegefachkraft Bettina Alkemper. Mit- Besonderes Bild in den zurückliegenden Jahrzehnten unter stabilisiert sich der Gast in der über diesen Verlust vergossen? Wäh- Ruhe des stationären Hospizes so ein- Ulla Hansen blättert durch eine Zeit- rend dieses Gesprächs kommen weite- deutig, dass die Mitarbeiter ihn oder schrift und blickt immer mal wieder re hinzu. „Wer im Krieg aufgewachsen sie „wieder zurück ins Leben schi- rüber zu den Bildern auf der Kommo- ist, kam zwangsläufig mit dem Tod in cken“. Nach Hause oder in eine Alten- 11
Mitunter stabilisiert sich der Gast in der Ruhe des stationären Hospizes so eindeutig, dass die Mitarbeiter ihn oder sie „wieder zurück ins Leben schicken“. 12
bildet sich, während das Aufnahmegerät ihre ausgesproche- nen Gedanken festhält, eine besonders rührige Atmosphäre, als würden wir uns schon viel länger kennen. Irgendwann entsteht dann ein erstes zaghaftes Foto von den Bildern auf der Anrichte, vom Ölgemälde und ihrer Tochter, ein Foto von ihr im Gegenlicht, von ihren Händen und auch wenn wir sie nicht komplett sehen, wirft sie sich von ihrem Stuhl aus in Pose. Vielleicht so wie früher, als sie bei Karstadt die Menschen brauchte, den Rummel, die Lautstärke und das genaue Gegenteil von Langeweile. Besondere Bilder „Wir müssen als Sterbebegleiter ja immer sehr genau beobachten, So entstehen in wenigen Minuten intime Fotos einer alten Frau, die die Schönheit im Leben so klar formulieren kann was in der Begleitung passiert.“ und dem unvermeidlichen Ende zugleich mit so viel Wohl- wollen entgegenblickt. Und die mit wachem Verstand alles um sich herum sehr genau wahrnimmt. Eine Frau, die weiß, dass sie auf der Zielgeraden des Lebens angekommen ist. und Pflegeeinrichtung, die noch mal andere Ressourcen „Ich habe hier schon so viele Leute kommen und gehen se- hat, um mit den Bewohnern zu backen oder Sport zu trei- hen. Wenn hier jemand geht, dann brennt vor seiner Türe ben, denn das ist ausdrücklich nicht die Kernaufgabe eines eine Kerze, und dann bete ich für diesen Menschen – das Hospizes. Etwa drei Prozent der Gäste erleben so ein spätes gibt mir eine innere Ruhe. Ich sage dann: Herrgott, nimm Aufblühen. Ulla Hansen scheint auch dazuzugehören und die Leute auf in dein Reich. So unterhalte ich mich mit dem war doch die gesamte Zeit als Gast gegenwärtig, weil die lieben Gott und bin mir sicher, dass das auch ankommt. Ja, Grunderkrankung schlichtweg zu fortgeschritten war. Und ich habe schon viele Kerzen gesehen.“ ist. Dünn ist sie. Sehr dünn. Ein Foto möchte sie von sich nicht machen lassen, weil sie sich in den zurückliegenden *Der Name ist von der Redaktion geändert. Wochen so verändert habe. Dann spricht sie über die Zeit unmittelbar nach dem Krieg in Gladbeck, über ihre Tätigkeit als Trümmerfrau im Wiederaufbau, über die Jahrzehnte als Ingeborg Busch (71), pensionierte Lehrerin und der ehemalige Verkäuferin bei Karstadt und über ihre 71-jährige Tochter, Bergmann Peter Lüdeke (59) engagieren sich ehrenamtlich als die derzeit mit einem Oberschenkelhalsbruch im Kranken- Sterbebegleiter in der ambulanten Hospizgruppe Bottrop. haus liegt, während der Schwiegersohn mit 81 Jahren selbst schwerstkrank ist. Draußen vor ihrem Zimmer wird derweil ein neuer Gast im Rollstuhl vorbeigeschoben. Liebe zum Trubel „Ich habe auch meine Beerdigung schon geplant. Ich lass mich nämlich einäschern und will dann im Wald vom Schloss Westerholt beerdigt werden. Da, wo früher der Lö- wenpark war, da ist ja heute ein Friedwald, da höre ich die Vögel zwitschern und die Blätter rauschen.“ Je länger wir sprechen, umso entspannter wird sie. Nicht, dass sie zum Beginn des Gesprächs angespannt gewesen wäre. Und doch 13
112 W ährend auf dem Gelände der Bottroper Be- ges. Währenddessen erklärt Feuerwehrmann Gregor Schle- rufsfeuerwehr eine Übung für die Auszubil- king die Strukturen vor Ort: „Jeder der rund 175 festange- denden stattfindet, fahren Feuerwehrautos stellten Mitarbeiter hat hier seine fest definierten Aufgaben umher, Mitarbeiter ziehen Handwagen voller Equipment, zwischen Rettungsdienstabteilung, Atemschutzwerkstatt, Kollegen sprechen über technische Details an Fahrzeugen. Schlauchwäsche und noch viel mehr.“ Der 34-Jährige hat Es ist ein entspanntes Gewusel auf diesem Innenhof der 2011 seine Ausbildung bei der Feuerwehr abgeschlossen, Hauptwache an der Hans-Sachs-Straße. Bewegt, aber so seitdem ist er Teil des Systems und im Rettungsdienst für gar nicht hektisch, vielschichtig und trotz allem sortiert. die Aus- und Weiterbildung sowie im Gerätemanagement Dann kommt eine Durchsage durch die vielfach installier- tätig. Ein Job zwischen Ausbildung und dem ganz realen ten Lautsprecher, die einen Einsatz ankündigen. Die Ruhe Einsatz. Ein Einsatz, der nicht nur manchmal an die Gren- setzt sich fort, bloß in der Fahrzeughalle bewegt sich eini- zen geht. 14
Wenn die Feuerwehr gerufen wird, brennt es – dem Klischee zum Trotz – nur in Ausnahmefällen. Meistens wird die Notfallnummer gerufen, wenn Bürger Angst um ihre Gesundheit haben, sich Unfälle ereignen, aber auch Suizide entdeckt werden. Ein Beruf zwischen Leben und Tod. Notfallseelsorge inklusive „Ich habe schon einige Motorradunfälle mit Todesfolge er- lebt. Einer der schwierigsten war sicherlich das Paar, das jeweils mit eigener Maschine fuhr. Sie verunglückte töd- lich, er war am Unfall gar nicht beteiligt. Dort habe ich die Erstbetreuung des Mannes übernommen, aber auch sofort einen Notfallseelsorger angefordert, weil das einfach mei- ne Kompetenzen übersteigt.“ Der Seelsorger wird dann über die Leitstelle alarmiert. Auch Pfarrer Achim Solty von der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop ist so ein Notfallseelsorger. Bei dem Motorradunfall erschien jedoch eine Kollegin, die schlichtweg näher am Unfallort wohnte. Während Schleking berichtet, tönt die nächste Durchsage durch die Lautsprecher. Es ist wieder ein Einsatz, der letz- te liegt gerade 15 Minuten zurück. Alltag auf einer Feuer- Gregor Schleking wehrhauptwache. Der 34-Jährige hat 2011 seine Ausbildung bei der Feuerwehr abgeschlossen. Belastende Einsätze Die weitaus meisten Einsätze fahren die Beamten im Ret- Schleking hat vor kurzem eine Weiterbildung in der psy- tungsdienst. Jemand ruft also die 112 und binnen Minu- chosozialen Unterstützung begonnen. Eine Aufgabe für ten fahren Notarzt und Sanitäter in tausendfach gelebten die Mannschaft, gerade wenn es um belastende Einsätze Abläufen zum Einsatz. Bis dahin ist es Routine und dann geht oder sogar um den Verlust eines Kollegen. Natürlich beginnt die Ungewissheit. „Wir versuchen, die Angehöri- macht sich eine Berufsfeuerwehr mehr als einen Gedanken gen der betroffenen Personen vor Ort immer etwas auf- um die Seelenhygiene der Mitarbeiter. Die Feuerwehrleute zumuntern oder abzulenken. Vor allem bei älteren Men- erleben schließlich alle früher oder später Momente, die schen ohne weitere nähere Angehörige. Manchmal halten an die Substanz gehen. Dann ist es gut zu wissen, dass wir auch einfach nur Händchen. Man nennt das dann auch belastende Situationen innerhalb des Teams aufgefangen psychologische Erste Hilfe. Die Zeit nehmen wir uns.“ werden. 15
Wie ein Uhrwerk „Wir erleben hier auch viel zu oft vollendete Suizide. Manchmal ist das Bild, das sich uns bei Eintreffen bietet, kaum auszuhalten. Das stecken wir auch nicht mal eben so weg.“ Die Kollegen sprechen dann auch untereinander über das Erlebte, können aber auch eine professionelle Un- terstützung aufsuchen, wenn die psychische Last zu groß wird. Und manchmal hilft im alltäglichen Miteinander und zwischen den Einsätzen auch eine Prise Humor. Eine funk- tionale Form der Verarbeitung. Im unmittelbaren Vor-Ort- Kontakt regieren freilich Höflichkeit, Respekt und damit Professionalität. Was auch sonst! Währenddessen schrillt der nächste Alarm durch die Wache. Schleking bleibt ruhig, die Rettungsmaschine läuft wie ein Uhrwerk. Es ist wieder ein Rettungseinsatz. Das Rolltor öffnet sich, die Ampeln Leben und Tod vor dem Gebäude schalten für die Autofahrer auf Rot, das Wir erleben schließlich alle früher oder später Blaulicht am Rettungswagen leuchtet und das Martinshorn Momente, die an die Substanz gehen. ertönt. Es ist der nächste Einsatz auf Leben und Tod. Herzwerk Während seine Freunde Automechaniker, Betriebswirte, Tischler oder Geisteswissenschaftler wurden, erlernte Marco Ortmann den Beruf des Bestatters. Damit ist er der Erste seiner Familie, der sich nun hauptberuflich mit Toten beschäftigt. 16
M arco Ortmann öffnet die Tür zum Beerdigungs- jährlich weniger als 200 Azubis wählen. Bei Stratmann er- institut Stratmann in Kirchhellen. Kühl ist es hielt er die Einladung zum Vorstellungsgespräch. hier, hell, es riecht frisch. An den Wänden hängen stilvolle Bilder. Dezente wie moderne Blumenarrangements Sidos Weg in hohen Vasen begrüßen den Besucher. Eine lebensbejahen- de Atmosphäre. Wer bei Beerdigungsinstituten an dunkle, Am Abend vor dem Vorstellungsgespräch zappte Ortmann holzverkleidete Kleinstunternehmen mit gleichsam düsteren dann mit der Fernbedienung durchs TV-Programm und Särgen im Eingangsbereich denkt, wird zumindest hier ei- blieb bei Pro7 hängen. Der Deutsch-Rapper Sido war dort in nes Besseren belehrt. Wir gehen an zahlreichen Türen vorbei einer Sendung zu Besuch bei einem Bestatter. Gemeinsam und betreten einen kleinen Raum mit bodentiefen Fenstern. mit den Profis erklärte der Musiker mit den zahllosen Tat- Hier wartet eine lange stählerne Platte tatsächlich auf einen toos den Zuschauern nun die Vielschichtigkeit des Berufs. Sarg. Es ist der Raum, in dem die Hinterbliebenen Abschied Ortmann wurde quasi kurz vor dem Gespräch der Gesprä- nehmen können. „Ich habe erst mein Fachabitur in Dorsten che von seinem Lieblingsmusiker unterrichtet. Erfolgreich, am Berufskolleg gemacht und dann auch dort meine Erzie- denn das frische Vorwissen überzeugte wenige Stunden her-Ausbildung angefangen. Aber irgendetwas fehlte mir in später auch das Institut und stellte ihn kurzerhand ein. Herz- diesem Beruf. Also brach ich kurz vor der Prüfung ab und lich willkommen in einem Beruf, bei dem man tatsächlich orientierte mich neu“, erklärt der 26-Jährige. Die vielen Jahre mit einem Bein im Grab steht. Und dann kam der erste Tag ehrenamtliche Arbeit für die Evangelische Kirchengemeinde und die unvermeidliche Frage: Willst du mal deinen ersten Bottrop haben ihn geprägt, und doch ging die Berufswahl Verstorbenen sehen? „Na, dafür war ich ja da. Und da an einen anderen Weg. Nach einer Phase der Orientierung hat meinem Startdatum auch direkt eine Beerdigung stattfand, er sich dann für völlig unterschiedliche Ausbildungsberufe habe ich halt gesehen, wie der Tote aufgebahrt wurde. Ich beworben. Auch als Bestattungsfachkraft, einen Beruf, den habe als kleiner Junge auch meine verstorbene Oma gefun- 17
den, das war wirklich ein riesiger Unterschied. Meine Oma Tätigkeitsbereich ist, so ist die Ausbildung aber noch weit- lag da mit offenen Augen und geöffnetem Mund. Kein schö- aus komplexer. Er lernt die kaufmännischen Aspekte dieses nes Bild. Der Verstorbene hier sah friedlich und einfach an- Berufs kennen, erwirbt handwerkliche Kenntnisse, es geht genehm aus.“ Ortmann sagt mehrfach, dass er vor dem Be- um Kommunikation, eine gute Prise Psychologie und um so rufswunsch zum Bestatter nichts mit dem Tod zu tun hatte, viel mehr. Nein, natürlich ist dies kein Beruf von der Stange, die Geschichte mit seiner Oma spricht eine andere Sprache. zugleich ist er weder langweilig noch gruselig. ‚Besonders‘ Vielleicht ist dieses frühkindliche Erlebnis nicht der Grund trifft es vielleicht am besten. Erst 2003 wurde die Bestat- für seine Berufswahl, aber seine neuen Erfahrungen mit dem tungsfachkraft zu einem geordneten und bundesweit ein- weltlichen Wesen des Todes haben dennoch die alten Bilder heitlich geregelten Ausbildungsberuf ernannt. Vor einigen revidiert. Monaten hat Marco Ortmann darin seine Abschlussprüfung bestanden. Inhaber Andrea und Gregor Stratmann haben Wir wechseln den Ort, gehen vorbei an einer Sargausstel- ihn sofort übernommen. lung, an Urnen und Sargausschlägen und befinden uns nun in der Garage, in der auch der blitzsaubere Bestattungskraft- Fingerabdruck-Andenken wagen steht. Jenes langgestreckte Fahrzeug, das früher ein- mal etwas griffiger als Leichenwagen bezeichnet wurde. Da- „Am Anfang der Ausbildung wollten meine Freunde mir gar neben öffnen wir eine Tür und betreten den Hygieneraum. nicht mehr die Hand zur Begrüßung geben. Als ich ihnen Es riecht nach Desinfektionsmitteln, an den Fenstern befin- dann sagte, wie hoch der Hygienestandard bei uns ist und den sich lange blickdichte Vorhänge, eine flache Edelstahl- ich meine Hände halt ständig wasche, war es dann aber auch wanne dient dem Verstorbenen als Auflage. „Ich bin ehrlich wieder gut. Die kannten das halt nicht.“ Deutschlandweit gesagt gerne in diesem Raum. Im Grunde ist es sogar mein gibt es etwa 5.500 Bestattungsunternehmen, die über 500.000 liebster Arbeitsbereich. Hier habe ich irgendwie die meisten kirchliche Bestattungen durchführen. Die weitaus meisten Fähigkeiten erworben – am Anfang noch sehr zaghaft, mitt- Hinterbliebenen wünschen eine Erd- oder Urnenbestattung. lerweile sehr routiniert.“ Hier wird der Tote gewaschen und Das Unternehmen, in dem Marco Ortmann arbeitet, bietet geschminkt, angezogen und im Sarg aufgebahrt. So sehen darüber hinaus auch Seebestattungen und Beisetzungen in ihn die Angehörigen später. Wenn dies sein bevorzugter einem Friedwald an. Auch Schmuckstücke vom Fingerab- druck des Hinterbliebenen sind lieferbar. Mittlerweile ha- ben sich Freunde wie Familie nicht nur an seine Berufswahl Marco Ortmann gewöhnt. „Mein Vater erzählt seinen Bekannten ganz stolz „Dies ist kein Beruf von der Stange, davon, dass sein Sohn Bestatter ist. Das findet der total gut.“ zugleich ist er weder langweilig noch gruselig.“ Herzensangelegenheiten Während des Gesprächs laufen die Angehörigen eines jüngst Verstorbenen durch das Institut. Sie bringen die Kleidung für den Toten und suchen den Sargausschlag aus. Wir warten derweil im Hygieneraum, bis wieder Ruhe auf den Gängen herrscht. Die meisten Menschen machen um den Tod einen großen Bogen, und zugleich gibt es Berufsgruppen, die ihre Augen nicht verschließen können und wollen. Marco Ort- mann hat einen solchen Beruf gewählt und ist total zufrie- den mit seiner Lebensentscheidung: „Ich hätte in der Vergan- genheit wohl auch nicht gesagt, dass dies mein Traumberuf werden könnte. Mittlerweile ist er das aber geworden. Es ist längst ein Herzwerk und nicht nur ein Handwerk.“ 18
Ihre Meinung Leserbriefe Seit der ersten einwort-Ausgabe erhalten wir Rückmeldungen von unseren LeserInnen. Briefe, die wir gerne (gekürzt) abdrucken. Offen und ehrlich 01 / „Ich freue mich immer sehr auf das einwort. Eben das Vor- keit auch wirklich nie ankommen und sesshaft werden bei wort gelesen und schon bin ich wieder ganz gespannt auf die uns Menschen hier … Weil direkt auf JESUS und das NT (das tollen Texte, die da noch kommen werden. Auch wieder ein tol- Neue Testament, Anm. d. Redaktion) der Bibel angesprochen les Thema! Vielen Dank für deine und eure Mühen. Ihr macht heute sofort von den Menschen dicht gemacht wird. Wir gehen das ganz toll!“ mal wieder mit dem einwort-Magazin den Weg des geringsten Julia Kranert, Bottrop Widerstandes und hoffen, dass es gut geht.“ Ulrich Hübner-Füser, Bottrop 02 / „Mit diesem Magazin könnten Sie bundesweit Leserschaft gewinnen – bemerkenswert gut – ich kann mich nur immer 05 / „Ganz unerwartet packt es mich. Die Fantasie wird ange- wiederholen. Alles – der Inhalt, die Aufteilung, der Text, das regt und lädt ein auf ‚Reisen’ zu gehen. Jede Ausgabe ist eine Layout/Design – top.“ neue Entdeckungsreise. Was verbirgt sich hinter dem Wort? Almut Jeroma, Hennef Was verbinde ich damit? Ich schlage das Magazin auf und lasse mich jedes Mal liebend gerne aufs Neue überraschen. Für mich 03 / „Gerade habe ich mit Interesse und Spaß einwort 01/20 stellt das Magazin einwort ein Seelengefühl dar, das es schafft, durchblättert und teilgelesen. Inhalt und Gestaltung überra- die persönliche Auseinandersetzung mit sich und dem Glauben schen mich positiv. Schmunzeln musste ich über die Verbin- zeitgemäß anzuregen, was vermutlich die wenigsten Gemein- dung von SUVs und Babyschale. Zustimmung zur Knöllchen- debriefe inhaltlich bieten können. Schillernd und sachlich sind vergabe …! Lösungsvorschlag: Eine Easyriderhaltung benut- hier keine Gegensätze. Mit Geschichten, die an das Herz gehen zen. Damit bin ich mit unserem Sohn vor dem Bauch bereits und/oder schmunzeln lassen und interessanten Themen reicht 1979 zum Einkaufen über den Markt gegangen; wenig Platz die Strahlkraft des Magazins auch bis nach Oberhausen.“ beanspruchend und die Hände frei. Noch ein kritisches Wort Sarah Kaule, Oberhausen dem Bottroper Neubürgerteam in der Redaktion: Mit Sicher- heit ist der TV Blau-Weiß Bottrop nicht der älteste Bottoper 06 / „Wir sind im Herbst 2018 – ich halte die zweite Ausgabe von Sportverein. Er ist der älteste Tennis-Verein in Bottrop. Hej, einwort in den Händen, welche den Titel ‚Maloche’ trägt, ein wer im Redaktionsteam ist Tennisfan? Älter ist die DJK Adler Wort, das mir seit frühester Kindheit vertraut und von seinem 07 Bottrop. Sie hat zwar Schalke 04 den Vortritt gelassen, war Klang, seinem Sound her angenehm sympathisch ist. Beim Blick aber immerhin auch schon vor dem 1. Weltkrieg fußballerisch auf den Herausgeber ... Erstaunen: DAS soll eine Kirchenzeitung aktiv. In der Nazizeit verboten wurde der Verein dann 1947 sein? Ich lese über Arslan Arslan, dem türkischen Bergmann, der wieder gegründet. Älter ist auch der SV 1911. Machen Sie wei- 1971 nach Bottrop gekommen ist, lese von Joachim Gutsche, dem ter so interessante Seiten und bleiben Sie gesund.“ Bienenmann, lerne den Kindergartenerzieher Bernd Okunneck Dieter Schlaefke, Bottrop kennen, Vivian Gadau, die Fahrzeugfrau, und andere. Arbeit, Beruf, Berufung, der tiefere Sinn, die spirituelle Bedeutung von 04 / „Schult doch alle von Kirche gleich um von biblischer Arbeit … Chapeau, einwort, du hast mich neugierig gemacht! Du Theologie auf Psychologie und Psychotherapie. Mir hat Kirche präsentierst mir als Kirchenmagazin den Menschen im Mittel- früher in jungen Jahren Inhalte von JESUS beigebracht. Und punkt – seine Gedanken, seine Träume und Sehnsüchte – und was tun Sie heute? Scheinbar scheint man auch offiziell von seine Suche. Du hast mich so neugierig gemacht ... Ich liebe die kirchlicher Seite sich JESUS und des Evangeliums vom REICH Klarheit deiner Form und deiner Sprache, den Enthusiasmus dei- GOTTES zu schämen, es nicht mehr für angesagt, angebracht ner Macher – und ich bin begeistert von deiner Zuneigung zum und zeitgemäß zu halten, es den Menschen nahe und verständ- Menschen, zu den Bottropern. Danke, einwort!“ lich zu verkündigen. So kann Gottes neue Welt und Wirklich- Jürgen Geppert, Bottrop 19
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T E XT : A . S O LT Y, P FA R R E R Heil machen ... Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 21 „Papa, wo gehst du hin?“, hat meine Weg der Trauer hindurch, durch das über uns Menschen haben. Gott selbst Tochter mich einmal gefragt. Sie Chaos von Verzweiflung, Hoffnung, steht dafür gerade, dass am Ende Frie- muss damals fünf oder sechs Jahre alt Mut und Wut? Gott macht sie, macht den sein wird. Und so wecken diese gewesen sein. „Ich muss zum Friedhof, uns wieder heil. Meine Tochter war biblischen Bilder in mir eine Sehn- eine Frau beerdigen“, erkläre ich. „Ist die zufrieden mit dieser Antwort. sucht nach Heil, die zum Motor wird. gestorben?“, fragt sie. „Ja“, sage ich. Die antreibt, selbst etwas zu verän- „Machst du die jetzt wieder heil?“, will Ich selbst ahne dann wieder, welche dern: Tränen abzuwischen und Hun- sie wissen. „Nein“, sage ich. „Das kann Kraft in dieser Antwort steckt, die ger zu stillen, Wunden zu verbinden ich nicht. Leider.“ Und dann nach einer nicht ich mir ausgedacht habe. Sie ist und Frieden zu stiften. Pause erkläre ich ihr: „Gott macht sie als Vision des Sehers Johannes in der wieder heil.“ Bibel beschrieben. Von einem neuen Himmel und einer neuen Erde wird Noch oft geht mir dieses kurze da erzählt, wo Gott unter den Men- Gespräch durch den Kopf. Und dazu schen wohnt. Wo er selbst den Men- die Bilder der letzten Wochen: Men- schen die Tränen abwischt und wo schen an Beatmungsgeräten, auf der es weder Leid noch Geschrei noch Flucht in überfüllten Lagern und auch Schmerz, ja selbst den Tod nicht mehr Wundpflaster: der Feuerwehrmann, der mit 47 Jah- geben wird. ren gestorben ist. Paul Carl Beiersdorf (* 26. März 1836) gründete in Unser Schmerz hier auf der Erde, der enger Zusammenarbeit mit dem Dermatologen Paul Gott macht sie, macht uns wieder heil. Tod, der Hunger, die Angst: Sie ver- Gerson Unna das Pflastergeschäft und erhielt für Wie leicht ist das gesagt, denke ich. schwinden nicht durch diese Worte. die Guttaperchapflastermulle 1882 die Patentschrift Wie wenig sind diese Worte. Reichen Aber ich spüre, wie die Vision des zur „Herstellung von gestrichenen Pflastern“. Das sie denn, um solchen Bildern zu trot- Johannes mich hoffen lässt, dass nicht Datum der Patentschrift gilt heute als Gründungs- zen? Tragen sie durch den schweren Leid, Gewalt und Tod das letzte Wort datum der Firma Beiersdorf AG. 21
EHRENSACHE In Deutschland üben 23 Millionen Menschen ein Ehrenamt aus. Sie engagieren sich freiwillig und übernehmen wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Auch in unserer Kirchengemeinde. Ulla Heinzerling, Conny Zuchowski-Gemmeke, Peter Frank, 76 Jahre 65 Jahre 58 Jahre Die Bottroperin singt im Frauenchor Nach zahlreichen ehrenamtlichen Der gelernte Krankenpfleger ist seit und in der Kantorei, hat 30 Jahre in Tätigkeiten als junge Mutter hat die langem Inhaber der gleichnamigen der Kleiderkammer gearbeitet und berufstätige Frau erst mit dem Tanzschule. Daneben ist er nicht nur kocht in der Frauenhilfe Kaffee. In Einstieg ins Rentenalter 2016 wieder Vorsitzender der Ambulanten Hospiz- der „Offenen Kirche“ (Mi. + Sa.) führt ein Ehrenamt übernommen, das mit gruppe in Bottrop, sondern auch Mit- sie Aufsicht, verteilt dieses Gemein- einer zweijährigen Ausbildung zur glied im Bezirksausschuss Altstadt, demagazin, wohnt einmal monatlich ehrenamtlichen Seelsorgerin bei seit sechs Jahren gewählter Presby- dem Bezirksverband der Frauenhilfe R.O.S.E. begann. Seit 2018 ist sie nun ter und wurde 2018 nach zweijähriger bei und kümmert sich nicht zuletzt einmal wöchentlich mehrere Stun- Ausbildung zum Prädikanten beru- um das Tässchen Kaffee nach dem den im Knappschaftskrankenhaus fen. In dieser Funktion gestaltet er sonntäglichen Gottesdienst. als Seelsorgerin tätig. einmal monatlich einen Gottesdienst. 22
Conny Zuchowski-Gemmeke Ich war zunächst auf der Inneren im Knappschaftskrankenhaus, Ulla Heinzerling Peter Frank zu der 2019 auch die Ich habe meine Oma, Onkologie hinzukam. Ich bin in der meine Schwiegermutter ambulanten Hospizgruppe und meinen Stiefvater „Daher sind dort nun auch zunehmend als Vorsitzender tätig, jeweils vier Jahre Zuhause Personen mit schweren und schwersten weil mich schon immer Erkrankungen anzutreffen. Auch in meiner Wohnung das Thema Tod spielt zunehmend interessiert hat, wie in unserer gepflegt. eine Rolle. Das war für mich eine Gesellschaft gestorben wird. mächtige Herausforderung. Gut, dass wir bei R.O.S.E. auch für uns eine „Alle nacheinander. Ich habe immer professionelle Supervision nutzen „Und wie würdevoll oder würdelos gesagt: Bei mir geht keiner ins Heim! können. der Übergang vom Leben in den Tod In meiner vierzigjährigen Zugehörig- vonstatten gehen kann. Dabei spielten keit zur Frauenhilfe haben wir schon Viele Patienten haben nach natürlich auch meine Erfahrungen als sehr viele Frauen beerdigt. Die Älteste der Erstdiagnose erst mal eine junger Krankenpflegeschüler in den war 91. Trotzdem spielt das Thema Sterbensangst. Da kommt das ganze frühen 80ern mit. Heute sieht das Sterben und Tod innerhalb der Frau- Entsetzen heraus und die Frage: Was deutlich besser aus. enhilfe nahezu keine Rolle. Stattdessen passiert jetzt mit mir? In dieser Phase laden wir gerne einen Pastor ein und wollen die Menschen oft gar nicht Ich habe meine beiden Eltern auf dem der oder die haben dann ihre eigenen sprechen, sondern nur die Wut über ihre letzten Stück des Weges begleitet. Das Themen dabei. Oder wir spielen inner- Lebenssituation äußern. Das musste ich waren für mich bewegende Momente, halb der Frauenhilfe Bingo oder singen auch erst mal lernen, dass das so ist. weil es mir in gewisser Weise einen miteinander. Eher sowas. Einblick gegeben hat, was da nach dem Vor kurzem wurde ich gebeten, einen Tod passiert. Oder anders ausgedrückt: Auch in meinem gesamten Umfeld Mann zu besuchen, der lange keinen Ich hatte bei beiden Eltern den wird das Thema Sterben, Tod und Besuch mehr hatte. Der Herr blickte Eindruck, dass da nach dem letzten Trauer nicht thematisiert. Irgendwie mich mit großen Augen wortlos an, Atemzug noch mehr passiert ist. sprechen wir alle da nicht er bewegte sich auch nicht. Und dann wirklich drüber. erst sah ich, dass er auch nicht mehr Mir ist schon bewusst, dass der größere atmete. Ich war zunächst total irritiert, Teil meines Lebens vorbei ist. Die Wenn ich mal im Krankenhaus bin informierte dann die Schwester und Auseinandersetzung mit dem Tod und und sehe, wie die Menschen da manch- ging doch noch mal zurück zu ihm mein Glauben helfen mir aber, damit mal an Schläuchen angeschlossen sind, und war dann alleine mit einem in Frieden zu leben. Ich glaube auch, dann weiß ich, dass ich das nicht will. Menschen, der soeben gestorben ist. dass Menschen beruhigter sterben, Da wünsche ich mir für mich, dass ich Irgendwann fing ich dann an zu beten wenn sie glauben und damit auf etwas lieber einen Herzschlag bekomme und hatte so noch Zeit, mich von ihm zu Jenseitiges schauen können und nicht und weg bin.“ verabschieden.“ bloß aufs Leben zurückblicken.“ 23
Liebes (digitales) Tagebuch … Wer eine schwere oder lebensverkürzende Krankheit hat, setzt sich zumeist im persönlichen Umfeld damit auseinander. Oder tut das genaue Gegenteil und spricht darüber ganz digital bei Facebook, Instagram oder in Blogs. Warum? 24
A uf ihrem Facebook-Profil begrüßt Antonina Rick den Besucher mit einem kreisrunden Portrait, auf dem sie mit langer roter Lockenmähne glänzt. Eine hübsche junge Frau voller Lust am Leben. Und mit einer schweren Blutkrebsdiagnose. Scrollt man die Seite nur ein wenig herunter, sieht man sie mit Schläuchen im Arm und mit chemokurzen Haaren. Der Blutkrebs, mein Leben und ich heißt ihr Facebookprofil. Genauso wie ihr Blog. Zwei pa- rallel digitale Wege – der eine kurz und knackig (Facebook), der andere tiefgründig (Blog). Sie hat sich im Sommer 2019 für diesen öffentlichen Weg entschieden, nachdem die erste Knochenmarks-Transplantation fehlschlug und sie nun wusste, dass sie vielleicht nur noch ein Jahr lebt. Es war der Startschuss für eine schonungslose und nie boshafte Klar- Antonina Rick heit in Worten und Bildern. Auch weil es offenbar schwierig Seit Sommer 2019 nehmen mehr als 6.500 war, Informationen über die Krankheit, ihren Verlauf, über FacebooknutzerInnen digital an ihrem Alltagsleben teil. die Chemo und so viel mehr zu bekommen. Auch wollten die Ärzte mit ihr nur ungern in die direkte Konfrontation gehen und genau erklären, wie ihre gesundheitliche Situ- ation aussieht. Vieles musste sie sich also erarbeiten, und darum geht es ihr in ihrer digitalen Arbeit um Aufklärung und Information. „Ich habe nicht nur darüber geschrieben, was die Leukämie grundsätzlich macht, sondern auch, wie mein Tag aussieht, wie meine Amtsgänge aussehen und wie man das alles finanziell regelt. Da macht sich doch niemand Gedanken drüber. Bei einer Knochenmarks-Transplanta- tion ist man außerdem zwei Monate im Krankenhaus. Wer macht in der Zeit den Haushalt? Wer kümmert sich um den Postkasten? Und: Nach so einer Transplantation muss man erklärt Prof. Dr. Thomas Macho, Leiter des internationalen in eine komplett sterile Wohnung. Aber wer kümmert sich Forschungszentrums der Kulturwissenschaften in Wien. darum? Die Krankenkasse bestimmt nicht.“ Genau – wer Er hat dieses Phänomen der digitalen Selbstpräsentation in kümmert sich darum? Über 6.500 Facebooknutzer haben schwierigsten persönlichen Zeiten untersucht und fand her- ihre Seite mittlerweile abonniert. Die kümmern sich darum. aus, dass für religiös wenig oder nicht verankerte Menschen Zumindest zum Teil. die Sinnfragen des Lebens heute nur noch schwer zu beant- worten sind. Während die eine Hälfte der Deutschen einer Digitaler Alphabetisierungsschub der beiden großen Konfessionen angehört und so im christli- „Die Entwicklung der Sozialen Medien sorgt wie ein zwei- chen Selbstverständnis Halt und Orientierung findet, suchen ter Alphabetisierungsschub dafür, dass heute sehr viel mehr die anderen noch. Vielleicht auch, indem sie ihren (Leidens-) Menschen über ihr Schicksal schreiben als früher. Das ist Weg digitalisieren. „Eine Ersatzantwort ergibt sich nun dar- literarisch manchmal unvollkommen, aber da kann man aus, das eigene Leben als ein Ganzes, als eine Geschichte nur sagen: So what! Auch die ersten Texte und Tagebücher, zu betrachten und zu erzählen, wobei ein solches Bedürfnis die die Menschen nach dem ersten Alphabetisierungspro- eher am Ende eines Lebens auftritt.“ Auch wenn das Leben zess in der Mitte des 19. Jahrhunderts verfasst haben, waren oftmals Wendungen, Brüche und Verluste aufweist, so ent- nicht automatisch hohe Literatur. Und dennoch stöbern wir steht in der Zusammenfassung offenbar ein Gesamtbild, das heute gerne durch diese alten Tagebücher und verwenden etwas merkwürdig Tröstliches hat. Nach dem Motto: Ach, es sie als Primärliteratur für historische Untersuchungen“, hat sich doch gelohnt! 25
Buch bleibt Bevor Soziale Netzwerke den Weg für den weltweiten Individualtext ebneten, war ein Autor ans Buch gebunden, um gelesen zu werden. Es ist bis heute auch ein Genera- tionenthema, wer welche Medien bevorzugt. Und viele greifen eben lieber zum gedruckten Buch. Die Düsseldor- fer Autorin Susanne Reinker erkrankte 2007 an Brustkrebs und erlebte, was viele Frauen mit dieser Diagnose durch- stehen: OP, Chemo- und Strahlentherapie, gefolgt von einer fünfjährigen Hormontherapie. Heute bezeichnet sie Prof. Dr. Thomas Macho sich als Krebsveteranin und veröffentlichte erst 2019 im Leiter des internationalen Forschungszentrums Ullstein-Verlag ihr Buch Kopf hoch, Brust raus!. „Wer heute der Kulturwissenschaften in Wien Krebs hat, muss nicht nur mit den schrecklichen Zellen kämpfen, sondern obendrein auch mit dem schlimmen Image, das dieser Krankheit anhaftet: Nach dem Motto: Digital wird analog Diagnose, Chemo, Glatze, Rückfall, Tod. Ein Image, das aus „Meine Oma findet das nicht so gut, dass ich das mache. der Frühzeit der Krebstherapie stammt. Darum ist es für Krankheiten hält man unter‘m Deckel. Man erzählt nicht, mich eine ganz große gesellschaftliche Aufgabe, die Krank- wie schlecht es einem geht und welche Gefühle man hat. heit mit meinem Buch aus der Horrorecke zu kriegen.“ In 36 Dabei hilft es mir, meine Dinge im Kopf zu sortieren, nie- kurzen Kapiteln, von A wie „Arzt“, über E wie „Erste-Hil- derzuschreiben und mich so mit meinen eigenen Gefühlen fe-Maßnahmen“ und K wie „Krankenhausbesucher“ bis Z auseinanderzusetzen. Und nicht zuletzt ist die Resonanz wie „Zweitmeinung“. Sehr fundiert, durchaus humoristisch von der Community großartig“, erzählt Rick. Kurz bevor sie und ganz schön analog. Dass das Buch nun auch als Hör- nach der ersten Transplantation ihre beiden Kinder endlich buch auf den Markt kommt und zudem als E-Book erhält- aus der Pflegefamilie zurückholen wollte, verschlechterten lich ist, ist vielleicht ihre ganz persönliche Reminiszenz sich ihre Blutwerte massiv. Ein gesundheitlicher Super-GAU. an die Gegenwart digitaler Medien. „Ich bin mit 57 Jahren Und dann musste sie auch noch aus ihrer Wohnung raus. auch echt kein Digital Native. Als ich erkrankte, gab es in Irgendwie schaffte sie es, auch dieses Drama zu organisieren, Deutschland nicht mal Facebook, das kam erst zwei Jahre und doch ließen mittendrin die Kräfte nach. Die junge Frau später.“ Sieben Bücher hat sie mittlerweile geschrieben, eins hat dieses Drama in ihrem Blog formuliert und dann kamen landete auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Und selbstredend über Nacht 40 Personen aus ganz Deutschland und zogen gehen – themenunabhängig – analoge und digitale Medien mit ihr um, packten Kisten, bauten Möbel auseinander und Hand in Hand durch die Gegenwart. Gut so. zusammen, sammelten Spendengelder, fuhren von A nach B und richteten ihr Leben neu ein. Eine Riesenaktion, die digi- Keine Alternative tal begann und im Hier und Jetzt wahr wurde. So flüchtig Antonina Rick schreibt derweil weiter an ihrem digita- die digitalen Medien daherkommen und so oberflächlich len Tagebuch. Wie ist das also, als junger Mensch mit der Kommunikation dort sein kann, Facebook & Co. können Gewissheit zu leben, dass der Tod eine Rolle spielt, und offenbar auch das genaue Gegenteil bewirken. Schließlich diese Gewissheit tagaus tagein zu posten? „Meine Überle- gibt es weltweit etwa 2,5 Milliarden aktive Facebooknut- benswahrscheinlichkeit liegt bei 11 Prozent. Stell dir also zer. Hier findet – allen Unkenrufen zum Trotz – auch ech- vor, du musst Russisch Roulette spielen! Nimmst du dann tes Leben statt. Solange man lebt. Schätzungen zufolge sind nicht lieber die Kanone mit den neun Kugeln und der einen nämlich spätestens im Jahr 2060 die Hälfte aller Nutzer tot freien Position als die volle Pistole mit den 10 Kugeln? Ich und grüßen dennoch mit leuchtendem Profilbild. Wenn man habe einfach keine Alternative. Ich muss leben und hoffen. von dem sehr spekulativen Ansatz ausgeht, dass es in 40 Und genau darüber schreibe ich. Für meine Kinder, meine Jahren Facebook überhaupt noch gibt. Aber noch ist es ja da. Community und auch für mich.“ 26 05
· liegt in allen Gemeindehäusern aus · ist online als Newsletter zu abonnieren · kann auf Wunsch postalisch zugestellt werden 05 20 Newsletter abonnieren unter: www.kirchenkreis.org/newsletter-gemeinde-bottrop.html In einwortAktuell finden Sie im oder haben keine Möglichkeit, sich Kinderspielzeugflohmarkt bis zum Zweimonats-Rhythmus aktuelle einwortAktuell aus einer unserer Seniorentreff. Ein bunter Strauß an Daten, Fakten und Servicehinweise Einrichtungen mitzunehmen? Dann Terminen, Kontakten, Adressen und nach unseren Gemeindebezirken teilen Sie uns doch im Gemeindebüro Hinweisen. sortiert und inklusive einer übersicht- Ihres Bezirks Ihre postalische Adres- lichen Liste der Beratungsstellen und se mit, und ab sofort erhalten Sie eine Und nicht zuletzt verändert sich Einrichtungen unserer Kirchenge- gedruckte Ausgabe von einwortAktu- einwortAktuell kontinuierlich. meinde in Bottrop. ell per Post. Wir haben hier ein neues Medium kreiert, das wir mit jeder Ausgabe Dabei liegt einwortAktuell nicht nur Grundsätzlich begleitet einwortAktu- immer weiter für unsere Leser in allen Gemeindehäusern aus, ell unser Gemeindemagazin einwort optimieren – gleich, ob sie einwort- sondern kann auch als digitaler mit vielen frischen Details. Wo Aktuell digital oder analog nutzen. Newsletter über www.ev-kirche- einwort die uns umgebende Welt aus Damit Sie immer wissen, wo die bottrop.de abonniert werden. Viel- interessanten Perspektiven betrachtet, evangelische Kirche in Bottrop wann leicht blättern Sie aber auch lieber informiert einwortAktuell vom was anbietet und/oder veranstaltet. 27
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