Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten

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Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
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                           endlich
          Das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop
Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
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      EDITORIAL
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      KEINE ZEIT ZU TRAUERN

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                                  STREIFLICHTER
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                                  ICH HAB SCHON VIELE KERZEN GESEHEN

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                HERZWERK

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                                                   LESERBRIEFE
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                                                   HEIL MACHEN ...

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           EHRENSACHE
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           LIEBES (DIGITALES) TAGEBUCH ...

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Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
endlich
                                                                E D I TO R I A L :
                                                                L . K R E N G E L , P FA R R E R I N

Liebe Leserin, lieber Leser,

als der Arzt anruft, sitzen meine Eltern auf gepackten Koffern.
Eigentlich wollten sie mit unserem Sohn für ein paar Tage in
den Urlaub fahren. Daraus wird nichts. Ab ins Krankenhaus.
Einige Untersuchungen später hat mein Vater, haben wir alle
Gewissheit: Krebs. Unheilbar.

Vielleicht sind es nur noch wenige Monate, wenn es gut          Dieses Heft beschäftigt sich mit dem Sterben, dem Tod,
läuft ein bis zwei Jahre. In den ersten Tagen und Wochen        der Trauer, dem Umgang mit der eigenen Endlichkeit und
frage ich mich: Wie sollen wir so leben? In dem Wissen um       dem, was trösten kann in diesen Zeiten. Themen, die uns
den Tod und den bevorstehenden Abschied? Die Erfah-             alle irgendwann betreffen und oft zutiefst berühren. Das
rung hat mir gezeigt: Es geht. Mal besser, mal schlechter.      haben wir schon in der Planung und Vorbereitung dieses
Und es kostet viel Kraft.                                       Heftes im Redaktionsteam gemerkt. Deshalb ist dieses
                                                                Heft auch ein sehr persönliches geworden.
Mein Vater stirbt letztes Jahr am Karsamstag. Wir sind
dabei. Eine Erfahrung, die mein Leben nachhaltig und            Ich hoffe, dass unsere Texte und Geschichten Sie anspre-
zutiefst verändert hat. Am nächsten Morgen, dem Oster-          chen und berühren und wünsche Ihnen trotz der Ernst-
sonntag predige ich in der Martinskirche über die Aufer-        haftigkeit des Themas viel Freude beim Lesen,
stehung. Erst denke ich: Das geht nicht, ich schaff es nicht.
Aber es ging. Heute bin ich dankbar für die Gemeinschaft
im Gottesdienst und die Menschen an meiner Seite, die
mich unterstützt haben.                                                                            Ihre Lisa J. Krengel

                                                                                                                          03
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Keine
     Zeit
        zu
     trauern

                T E XT : K. VO L L , P FA R R E R I N

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Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
Kristiane Voll
Pfarrerin in der Ev. Kirche im Rheinland,
Ev. Kirchengemeinde Lüttringhausen, Trauerbegleiterin,
Mitbegründerin und Mitarbeiterin der Internetseite www.trauernetz.de

                                                                       „Ich komme nicht zur Beerdigung meines
                                                                       Mannes! Dann breche ich zusammen!“ –
                                                                       Ich schrecke zusammen bei dieser
                                                                       Vorankündigung.

In unserer Zeit haben sich der Umgang mit Abschiedneh-                 scheint kaum vorstellbar. Dazu fehlen mittlerweile Vorbil-
men im Angesicht des Todes und das Leben mit Trauer                    der: Menschen, bei und mit denen man erlebt, dass es ei-
merklich verändert. Dabei wird vermehrt in heutiger Zeit               nen Weg durch die Trauer gibt und man sie nicht im weiten
aus „mit Trauer umgehen“: „Ich umgehe die Trauer und                   Bogen umgehen muss.
mache einen weiten Bogen um sie herum, um sie zu ver-
meiden.“ Dabei lässt sich „umgehen“ in unserem Sprach-                           Warum? Was fehlt? – (Ganz oft) Zeit!
gebrauch ebenso verstehen als: „Ich bin (oder werde) fähig
und bin einer Sache mächtig.“ Dass dies als eigentlich heil-           Menschen wollen oder können sich nicht die Zeit nehmen,
sames Ziel der Trauer innewohnt, geht oft verloren; denn               die sie für ihr Trauern bräuchten. Nicht zuletzt ihr Umfeld
Trauer mit ihren ungezählten Facetten von tiefer Trau-                 scheint es immer weniger möglich zu machen. Während
rigkeit bis hin zu großer Dankbarkeit gibt es als lebens-              über Medien „fremdes“ Leid unter einer noch nie dagewe-
notwendige Reaktion, damit man sich in eine veränderte                 senen Beobachtung steht, wird „nahes“ Leid zunehmend
Lebenssituation einleben kann. Jesus hat es einmal so ge-              als Zumutung erlebt. Es mangelt an Geduld (ein Zeitfak-
sagt: „Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden.“            tor), für andere in einer schwierigen, irritierenden, trau-
(Matthäus 5,4): Trauer als Lebensgabe, als Segen!                      rigen Zeit da zu sein und sie mit auszuhalten, was ein-
                                                                       schließen kann, sich selbst einzugestehen, in mancherlei
Doch die Angst „Ich breche zusammen.“, weil einem un-                  Hinsicht ohn-mächtig zu sein und „nur“ ertragen oder bes-
bekannte, düstere und umwälzende Empfindungen be-                      ser: mit-tragen zu können. Wer aber erlebt: „Da trägt einer
gegnen können, lässt nicht wenige zurückschrecken. Sie                 mit.“, erfährt: „Ich bin nicht allein.“ Das ist dann schon die
ziehen sich einen emotionalen Regenmantel an, an dem                   halbe Miete von Trost. Das hilft zum Leben und ins Leben.
Regentropfen wie Traurig-Sein, Stille, Sich-einsam-Füh-                Es braucht nicht viel dazu – „nur“ Zeit … ein wenig Zeit.
len und Leere abperlen. Dass ein gelingender Abschied
aber unter anderen auch solche Erfahrungen braucht, um
zu einem guten Weg in ein verändertes Leben zu werden,                                    Kristiane Voll, Pfarrerin

                                                                                                                                 05
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Streiflichter

                    Darwin Award                                                  Beerdigungslieder

Der Verhaltensforscher Charles Darwin gilt als Begründer        Musik spendet bei einer Trauerfeier Trost, erinnert an Mo-
einer modernen Genetik und Abstammungslehre. Neben              mente mit dem Verstorbenen und schafft so Gemeinschaft.
seiner wissenschaftlichen Bedeutung taucht der Name aber        Doch welche Musik kommt hier zum Einsatz? Auf der ei-
auch beim genauen Gegenteil einer erfolgreichen Evolution       nen Seite sind natürlich die etablierten Kirchenlieder zu
auf. Im Darwin Award werden nämlich seit 1994 jene Men-         nennen. Ein mächtiger Kanon, aus dem die Trauergemein-
schen posthum prämiert, die auf besonders dösige Art zu         de auswählen kann, mit Stücken wie: Großer Gott, wir loben
Tode kamen. Es sind tatsächlich wissenschaftlich korrekt        dich, Von guten Mächten treu und still umgeben, Wir sind nur
ermittelte Fälle, einer dümmer als der andere. Beispiele? Ein   Gast auf Erden. Oftmals von Orgel oder Klavier angestimmt
Terrorist versendet eine Briefbombe, verschätzt sich beim       und von der Gemeinde begleitet. Seit vielen Jahren hört
Porto. Der Brief kommt zurück, er öffnete ihn und … Oder        man aber auch immer häufiger zeitgenössische Musik, die
ein Dieb stielt aus einem Fahrstuhl das Seil, an dem der        dem Verstorbenen zeitlebens wichtig war und mit der
Fahrstuhl befestigt war. Beim Lösen der letzten Schraube        auch die Gemeinde ganz unmittelbare Erlebnisse verbin-
dachte er nicht daran, dass sein Fahrstuhl an eben diesem       det. In my life (Beatles), Hallelujah (Leonard Cohen), Tears in
Seil hing, das er gerade löste. Der Darwin Award ist eine       Heaven (Eric Clapton) oder auch Someone like you (Adele) –
skurrile Sammlung unglücklicher Todesfälle, der seinerseits     das Repertoire ist gleichsam unerschöpflich. Mitunter
von der Wissenschaft beachtet wird. Der Direktor des Insti-     werden diese Stücke von Livemusikern präsentiert, oft
tute of Cellular Medicine in Newcastle, John Dudley Isaacs,     aber auch schlichtweg von der CD eingespielt. Wenn die
veröffentlichte im angesehenen „British Medical Journal“        Musikwünsche skurril sind, weil den Verstorbenen und
eine Studie, aus der hervorgeht, dass von den 332 bislang       die Trauergemeinde beispielsweise die Liebe zum Hard-
beschriebenen Fällen 282 Awards an Männer gingen und            rock verbindet, entscheidet sicherlich jeder Geistliche im
nur 36 Frauen aufgeführt sind. Der Unterschied sei statis-      Vorfeld ganz individuell, wie passend die Auswahl nun
tisch hoch signifikant, schreiben die Forscher. Männer sind     wirklich ist. Fest steht: Die letzte Musik ist frei wählbar.
offensichtlich risikobereiter. Oder schlichtweg dösiger.        Ergo: I did it my way.

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Schwarzer Humor                                 nachbarten Marl gibt es eine solche Beisetzungsmöglichkeit.
                                                                  Die Zahl der Seebestattungen wächst ebenfalls, bei der der
Was steht am Waldrand und raucht? Ein Kaminchen! Wo-              Verstorbene in einer wasserlöslichen Urne auf dem Meer
rüber wir Menschen lachen, ist so unterschiedlich wie die         beigesetzt wird. Anders die Beisetzung in einem Kolumba-
Menschen selbst. Und es gibt eine Menge Leute, die gerne          rium, bei der jede Urne in ihrem eigenen Schrankfach in ei-
über schwarzen Humor lachen. Also bedauern die einen das          nem geschützten Raum (dem Kolumbarium) verbleibt. Es ist
arme Kaninchen im Einstieg dieses kurzen Artikels, die an-        also auch ein Ort, den die Hinterbliebenen immer wieder
deren müssen zumindest schmunzeln. Chefzyniker im                 besuchen können. Ganz anders sieht es schließlich bei der
deutschen Fernsehen war übrigens viele Jahre lang TV-Mo-          anonymen Bestattung aus, bei der die letzte Ruhestätte des
derator Harald Schmidt. Die einen liebten ihn für sein düs-       Verstorbenen unbekannt ist. Eine Beisetzungsform, die
teres Humorverständnis voller Biss und Zynismus, die an-          langsam, aber stetig steigt.
deren nicht. Dirty Harry halt. Das Institut für Psychologie
der Universität in Wien hat sich übrigens vor wenigen Jah-             Streuselkuchen – Beerdigungskuchen
ren mit diesem Thema beschäftigt und in einer ersten Studie
untersucht, wer eigentlich über schwarzen Humor lachen            Der flache Blechkuchen besteht aus feinem Hefeteig mit ei-
kann. Dazu wurden 80 Männer und 76 Frauen befragt –               nem Krümelbelag aus Zucker, Fett und Mehl – dem Streusel.
Durchschnittsalter der Probanden: 33 Jahre. Unterm Strich         Voilà, fertig ist der Streuselkuchen, Beerdigungskuchen,
kam dabei Folgendes heraus: Menschen, die über schwarzen          Freud-und-Leid-Kuchen oder auch very british: Funeral
Humor lachen können, sind zumeist gebildet, nicht aggres-         Cake. Ein ziemlich einfaches Backwerk, das gerne zu Hoch-
siv und grundweg humorvoll. Alter und Geschlecht spielen          zeiten, Konfirmationen oder aber auch zu Beerdigungen
bei einer Zu- oder Abneigung gegenüber dem derben Hu-             aufgetischt wird. Ursprünglich stammt das Krümelmonster
mor hingegen keine Rolle. Na, dann gibt es noch einen             aus Schlesien und den angrenzenden preußischen Provin-
harmlosen zum Schluss: Treffen sich zwei Planeten. Fragt          zen. Im 19. Jahrhundert machte sich der Kuchen dann mit
der eine: „Na, wie geht‘s?“ „Gar nicht gut. Ich leide furchtbar   den Wanderbewegungen der Schlesier auf den Weg gen
an Homo sapiens.“ „Ah …“ , entgegnet der Fragende erleich-        Westen – und damit auch ins heutige Ruhrgebiet. Warum er
tert, „ … das kenne ich, das geht bald vorüber!“                  allerdings schließlich zum Beerdigungskuchen wurde, ist
                                                                  unklar. Vielleicht weil er relativ einfach zu fertigen ist? Viel-
         Alternative Bestattungsformen                            leicht aber auch einfach nur, weil er zauberhaft schmeckt.
                                                                  Bekannter als der Ursprung des Namens ist hingegen ein
Früher wurden Verstorbene zumeist im Sarg beerdigt. Heu-          altes schlesisches Gedicht zum Streuselkuchen. Hier die ers-
te wählen bereits 60 Prozent aller Hinterbliebenen (oft dem       te von acht Strophen:
Wunsch des Verstorbenen folgend) die Feuerbestattung und
anschließend die Urnenbeisetzung. Tendenz steigend. Zu-
gleich verändern sich aber auch die Orte der letzten Ruhe.
Wer besonders hoch hinaus will, wählt die Weltraumbestat-                                 Sträselkucha
tung. Dazu wird eine kleine Menge der Asche des Verstor-
benen in eine Metallröhre verfüllt und mit einer Rakete ins                          Schlässcher Kucha, Sträselkucha,
Weltall geschossen. Version 1: die kleine Röhre kehrt nach                              Doas ihs Kucha sapperlot,
einigen Erdumrundungen zur Erde zurück und verglüht                                 Wie's uff Herrgotts gruußer Arde

dabei in der Atmosphäre. Version 2: Die Röhre schwebt für                            nernt nich su woas Gudes hoot!

alle Ewigkeiten durchs Weltall. Version 3: Die Röhre wird                             Wär woas noch su leckerfetzig,
                                                                                   Eim Geschmack ooch noch su schien,
zum Mond geschickt. Die Kosten liegen zwischen etwa
                                                                                      Über schlässcha Sträselkucha
5.000,00 und 15.000,00 Euro. Sehr viel weltlicher sind die Ur-
                                                                                     Tutt halt eemol nischt nich gihn!
nen-Beisetzungen in einem natürlichen und speziell dafür
abgegrenzten Fried- oder Bestattungswald. Auch im be-

                                                                                                                               07
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Endlich - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
„Ich habe schon
                 viele Kerzen gesehen.“

    Vor dem Tod sind wir nirgendwo sicher. Das ist sicher. Also macht es durchaus Sinn,
       sich zumindest einen guten Platz in guter Gesellschaft zu suchen, um den letzten
                  Weg zu gehen. Einer davon ist gewiss der Platz in einem Hospiz.

„Als der Arzt mir die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs         gern. Tatsächlich merke ich mittlerweile selbst, wie mir die
nannte, sagte er, dass ich wohl noch sechs Monate zu leben      Speisen – im wahren Wortsinne – im Halse stecken bleiben.“
hätte. Aber derzeit ruht der Krebs und ich bin schon etwas
länger als sechs Monate hier.“ Einen direkteren Gesprächsein-                    Himmel auf Erden
stieg kann man kaum wählen. Ulla Hansen* lebt seit einigen
Monaten im stationären Hospiz in Bottrop. Ihr Zimmer ist        2019 starben in Deutschland rund 940.000 Menschen. Über
hell und erlaubt einen großzügigen Blick ins Grüne – Licht      40 Prozent von ihnen im Krankenhaus, etwa 30 Prozent
spielt im gesamten Gebäude eine zentrale Rolle. Ab 2012         zuhause und ein weiteres Viertel in Pflegeeinrichtungen –
wurde die alte Chefarztvilla neben dem Knappschafts-Kran-       und auch im Hospiz. Ulla Hansen wollte genau dort mit
kenhaus baulich erweitert und im März 2014 als stationäres      uns sprechen, weil es ihr wichtig ist zu erzählen, wie es ihr
Hospiz eröffnet. Seitdem zählte das Haus 883 Gäste, wie die     im stationären Hospiz ergeht. Also: Wie ist es, wenn man
Sterbenden dort genannt werden (Stand: Mitte Juni 2020).        weiß, dass man bald stirbt, in einer Umgebung, die weder
Manch einer bleibt nur wenige Stunden, und bei manchen          Zuhause noch Krankenhaus ist und die zugleich eine hei-
lässt der Tod auf sich warten. Durchschnittlich bleiben die     melige, freundliche Atmosphäre ausstrahlt? „Hier haben
Gäste 18 Tage. „Der Arzt sagt mir immer, dass ich wohl ein      Sie den Himmel auf Erden, weil ich keine Schmerzen habe
starkes Herz habe“, erklärt Hansen und schmunzelt. Über-        und rund um die Uhr versorgt werde. Die Leute hier, die
haupt strahlt die hochbetagte Dame eine Fröhlichkeit aus,       hat mir der Himmel geschenkt.“ Der Himmel, er taucht
die so gar nicht zu ihrem Schicksal passen will. Lebenslust     immer mal wieder in diesem Gespräch auf. Und mit ihm
statt Lebensfrust. Derweil versorgt ein dünner Schlauch die     der unbedingte Wille, Zwiesprache mit einem Gott zu
91-Jährige mit einer Medizin, während sie in ihrem Stuhl sit-   halten. „Ich bete jeden Abend für eine gute Sterbestunde,
zend ein Kreuzworträtsel löst, und dann legt sie das Heftchen   glaube aber auf meine Art, das habe ich auch dem Pas-
wieder zur Seite und spricht über das, was da wohl kommen       tor Heyer gesagt. Zweimal wöchentlich kommt er zu uns
mag. „Ich habe den Arzt gefragt, wie mein Ende werden           ins Hospiz, und wir haben immer etwas zu reden. Man
wird, und er hat gesagt: Sie werden zum Schluss verhun-         könnte auch sagen: Wir reden über Gott und die Welt.“

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„Ich habe
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                                                                                                 wie mein Ende
                                                                                                 werden wird,
                                                                                                 und er hat
                                                                                                 gesagt:
                                                                                                 Sie werden
                                                                                                 zum Schluss
                                                                                                 verhungern.“

              Stationär und ambulant

Wer an hospizliche Arbeit denkt, hat oft ein stationäres Hos-   en Situation immer ein Stück Aufgeregtheit. Aber genau das
piz vor Augen. Also jenen Ort, an dem ein Mensch seine          hält mich wach und empfindsam“, erklärt Peter Lüdeke, der
allerletzte Lebenszeit gut verleben kann. Dass daneben das      seit 2010 ehrenamtlicher Sterbebegleiter bei der ambulanten
ambulante Hospiz im Grunde einer ähnlichen Idee folgt, ist      Hospizgruppe ist. Der ehemalige Bergmann hat damals die
hingegen weniger bekannt. Warum eigentlich? Schließlich         10-monatige Qualifizierung zum Sterbebegleiter absolviert
gehen die ambulanten Hospize dorthin, wo der Schwerster-        und seitdem zahlreiche Sterbende begleitet. Und das waren
krankte lebt. Ins Krankenhaus, ins Pflegeheim und auch          nicht seine ersten Kontakte mit dem Tod. „In den 1980er Jah-
nach Hause.                                                     ren sind mir nach schweren Unfällen unter Tage drei Kol-
                                                                legen in den Armen verstorben. Das sind Erfahrungen, die
Während im stationären Hospiz in Bottrop 18 hauptamtli-         mich sehr geprägt haben.“
che Pflegekräfte maximal 8 Gäste rund um die Uhr betreu-
en, sind bei der ambulanten Hospizgruppe Bottrop über 60                       Das Gesicht des Todes
qualifizierte Ehrenamtliche für mehr Begleitungen vor Ort
einsetzbar. Die Aufgaben sind ähnlich, aber nicht gleich.       Jeder ehrenamtliche Sterbebegleiter hat seine ganz eigenen
Während die stationäre Versorgung eine konzentrierte wie        Gründe, warum er sich mit den Themen Sterben, Tod und
(zumeist) kurzzeitige Versorgung der Sterbenden fokussiert,     Trauer auseinandersetzt. Während die meisten Bürger sa-
sind die ambulanten Sterbebegleiter vor allem für den Pati-     gen: „Respekt, dass du das machst, das könnte ich ja nicht!“,
enten da, sie halten aus, sprechen oder singen, basteln oder    sehen sie ganz genau hin und machen. So wie seine Kolle-
beten. Ein kostenloses Angebot für den schwersterkrankten       gin Ingeborg Busch. Die ehemalige Lehrerin ist nicht nur
Menschen, aber auch für die nahen Angehörigen. „Wir müs-        seit 2014 Sterbebegleiterin, sondern auch Mitglied des Vor-
sen als Sterbebegleiter ja immer sehr genau beobachten, was     stands der ambulanten Hospizgruppe Bottrop. Und sie ist
in der Begleitung passiert. Daher gibt es auch bei jeder neu-   immer noch vor Ort, wenn das Leben geht. „Ich war bei ei-

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Familie war ihr immer sehr wichtig. Oft denkt sie
   an ihren Bruder, der bereits 1943 in der Schlacht
   von Kiew als junger Mensch fiel.

ner stark sedierten Frau mit schwerer                  de. Ihre längst verstorbenen Eltern rah-    Berührung. Aber der Tod gehört nun
COPD, die nachts in meinem Beisein                     men dort das Bild eines jungen Solda-       mal zum Leben. Sobald Sie auf die
verstarb. Im Grunde war der Übergang                   ten ein. Es ist ihr Bruder, der auch ein    Welt kommen, ist der Tod vorprogram-
vom Leben zum Tod ruhig. Trotzdem                      bemerkenswertes Ölgemälde malte,            miert“, erklärt sie und hat sich längst
habe ich mich im ersten Moment er-                     wenige Wochen bevor er in der Schlacht      wieder gefasst – weil sie wieder ganz
schreckt. Tatsächlich habe ich eigent-                 von Kiew 1943 fiel. Heute hängt es in       bei sich ist.
lich nur gesehen, dass sich das Gesicht                ihrem Hospiz-Zimmer. Während sie
plötzlich veränderte. Man kann diese                   über das gesamte Gespräch mit einer                   Drei Prozent
Veränderung schwer beschreiben, aber                   fast irritierenden Leichtigkeit über den
es ist nicht mehr der Mensch, den man                  eigenen Tod spricht, trifft sie die kurze   „Wir erleben hier auch manchmal
noch vor wenigen Momenten sah.“                        Erzählung über ihren Bruder weitaus         kleine Wunder“, erzählt die leitende
                                                       tiefer. Wie viele Tränen hat sie wohl       Pflegefachkraft Bettina Alkemper. Mit-
         Besonderes Bild                               in den zurückliegenden Jahrzehnten          unter stabilisiert sich der Gast in der
                                                       über diesen Verlust vergossen? Wäh-         Ruhe des stationären Hospizes so ein-
Ulla Hansen blättert durch eine Zeit-                  rend dieses Gesprächs kommen weite-         deutig, dass die Mitarbeiter ihn oder
schrift und blickt immer mal wieder                    re hinzu. „Wer im Krieg aufgewachsen        sie „wieder zurück ins Leben schi-
rüber zu den Bildern auf der Kommo-                    ist, kam zwangsläufig mit dem Tod in        cken“. Nach Hause oder in eine Alten-

                                                                                                                                       11
Mitunter stabilisiert sich der Gast in
     der Ruhe des stationären Hospizes
      so eindeutig, dass die Mitarbeiter
       ihn oder sie „wieder zurück ins
              Leben schicken“.

12
bildet sich, während das Aufnahmegerät ihre ausgesproche-
                                                              nen Gedanken festhält, eine besonders rührige Atmosphäre,
                                                              als würden wir uns schon viel länger kennen. Irgendwann
                                                              entsteht dann ein erstes zaghaftes Foto von den Bildern auf
                                                              der Anrichte, vom Ölgemälde und ihrer Tochter, ein Foto
                                                              von ihr im Gegenlicht, von ihren Händen und auch wenn
                                                              wir sie nicht komplett sehen, wirft sie sich von ihrem Stuhl
                                                              aus in Pose. Vielleicht so wie früher, als sie bei Karstadt die
                                                              Menschen brauchte, den Rummel, die Lautstärke und das
                                                              genaue Gegenteil von Langeweile.

                                                                                      Besondere Bilder
      „Wir müssen als Sterbebegleiter
     ja immer sehr genau beobachten,                          So entstehen in wenigen Minuten intime Fotos einer alten
                                                              Frau, die die Schönheit im Leben so klar formulieren kann
      was in der Begleitung passiert.“                        und dem unvermeidlichen Ende zugleich mit so viel Wohl-
                                                              wollen entgegenblickt. Und die mit wachem Verstand alles
                                                              um sich herum sehr genau wahrnimmt. Eine Frau, die weiß,
                                                              dass sie auf der Zielgeraden des Lebens angekommen ist.
und Pflegeeinrichtung, die noch mal andere Ressourcen         „Ich habe hier schon so viele Leute kommen und gehen se-
hat, um mit den Bewohnern zu backen oder Sport zu trei-       hen. Wenn hier jemand geht, dann brennt vor seiner Türe
ben, denn das ist ausdrücklich nicht die Kernaufgabe eines    eine Kerze, und dann bete ich für diesen Menschen – das
Hospizes. Etwa drei Prozent der Gäste erleben so ein spätes   gibt mir eine innere Ruhe. Ich sage dann: Herrgott, nimm
Aufblühen. Ulla Hansen scheint auch dazuzugehören und         die Leute auf in dein Reich. So unterhalte ich mich mit dem
war doch die gesamte Zeit als Gast gegenwärtig, weil die      lieben Gott und bin mir sicher, dass das auch ankommt. Ja,
Grunderkrankung schlichtweg zu fortgeschritten war. Und       ich habe schon viele Kerzen gesehen.“
ist. Dünn ist sie. Sehr dünn. Ein Foto möchte sie von sich
nicht machen lassen, weil sie sich in den zurückliegenden     *Der Name ist von der Redaktion geändert.
Wochen so verändert habe. Dann spricht sie über die Zeit
unmittelbar nach dem Krieg in Gladbeck, über ihre Tätigkeit
als Trümmerfrau im Wiederaufbau, über die Jahrzehnte als
                                                              Ingeborg Busch (71), pensionierte Lehrerin und der ehemalige
Verkäuferin bei Karstadt und über ihre 71-jährige Tochter,    Bergmann Peter Lüdeke (59) engagieren sich ehrenamtlich als
die derzeit mit einem Oberschenkelhalsbruch im Kranken-       Sterbebegleiter in der ambulanten Hospizgruppe Bottrop.
haus liegt, während der Schwiegersohn mit 81 Jahren selbst
schwerstkrank ist. Draußen vor ihrem Zimmer wird derweil
ein neuer Gast im Rollstuhl vorbeigeschoben.

                 Liebe zum Trubel

„Ich habe auch meine Beerdigung schon geplant. Ich lass
mich nämlich einäschern und will dann im Wald vom
Schloss Westerholt beerdigt werden. Da, wo früher der Lö-
wenpark war, da ist ja heute ein Friedwald, da höre ich die
Vögel zwitschern und die Blätter rauschen.“ Je länger wir
sprechen, umso entspannter wird sie. Nicht, dass sie zum
Beginn des Gesprächs angespannt gewesen wäre. Und doch

                                                                                                                             13
112
W
              ährend auf dem Gelände der Bottroper Be-         ges. Währenddessen erklärt Feuerwehrmann Gregor Schle-
              rufsfeuerwehr eine Übung für die Auszubil-       king die Strukturen vor Ort: „Jeder der rund 175 festange-
              denden stattfindet, fahren Feuerwehrautos        stellten Mitarbeiter hat hier seine fest definierten Aufgaben
umher, Mitarbeiter ziehen Handwagen voller Equipment,          zwischen Rettungsdienstabteilung, Atemschutzwerkstatt,
Kollegen sprechen über technische Details an Fahrzeugen.       Schlauchwäsche und noch viel mehr.“ Der 34-Jährige hat
Es ist ein entspanntes Gewusel auf diesem Innenhof der         2011 seine Ausbildung bei der Feuerwehr abgeschlossen,
Hauptwache an der Hans-Sachs-Straße. Bewegt, aber so           seitdem ist er Teil des Systems und im Rettungsdienst für
gar nicht hektisch, vielschichtig und trotz allem sortiert.    die Aus- und Weiterbildung sowie im Gerätemanagement
Dann kommt eine Durchsage durch die vielfach installier-       tätig. Ein Job zwischen Ausbildung und dem ganz realen
ten Lautsprecher, die einen Einsatz ankündigen. Die Ruhe       Einsatz. Ein Einsatz, der nicht nur manchmal an die Gren-
setzt sich fort, bloß in der Fahrzeughalle bewegt sich eini-   zen geht.

14
Wenn die Feuerwehr gerufen wird, brennt es – dem Klischee zum Trotz –
   nur in Ausnahmefällen. Meistens wird die Notfallnummer gerufen, wenn
   Bürger Angst um ihre Gesundheit haben, sich Unfälle ereignen, aber auch
         Suizide entdeckt werden. Ein Beruf zwischen Leben und Tod.

              Notfallseelsorge inklusive

„Ich habe schon einige Motorradunfälle mit Todesfolge er-
lebt. Einer der schwierigsten war sicherlich das Paar, das
jeweils mit eigener Maschine fuhr. Sie verunglückte töd-
lich, er war am Unfall gar nicht beteiligt. Dort habe ich die
Erstbetreuung des Mannes übernommen, aber auch sofort
einen Notfallseelsorger angefordert, weil das einfach mei-
ne Kompetenzen übersteigt.“ Der Seelsorger wird dann
über die Leitstelle alarmiert. Auch Pfarrer Achim Solty
von der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop ist so ein
Notfallseelsorger. Bei dem Motorradunfall erschien jedoch
eine Kollegin, die schlichtweg näher am Unfallort wohnte.
Während Schleking berichtet, tönt die nächste Durchsage
durch die Lautsprecher. Es ist wieder ein Einsatz, der letz-
te liegt gerade 15 Minuten zurück. Alltag auf einer Feuer-                        Gregor Schleking
wehrhauptwache.
                                                                             Der 34-Jährige hat 2011 seine Ausbildung
                                                                                 bei der Feuerwehr abgeschlossen.
                  Belastende Einsätze

Die weitaus meisten Einsätze fahren die Beamten im Ret-         Schleking hat vor kurzem eine Weiterbildung in der psy-
tungsdienst. Jemand ruft also die 112 und binnen Minu-          chosozialen Unterstützung begonnen. Eine Aufgabe für
ten fahren Notarzt und Sanitäter in tausendfach gelebten        die Mannschaft, gerade wenn es um belastende Einsätze
Abläufen zum Einsatz. Bis dahin ist es Routine und dann         geht oder sogar um den Verlust eines Kollegen. Natürlich
beginnt die Ungewissheit. „Wir versuchen, die Angehöri-         macht sich eine Berufsfeuerwehr mehr als einen Gedanken
gen der betroffenen Personen vor Ort immer etwas auf-           um die Seelenhygiene der Mitarbeiter. Die Feuerwehrleute
zumuntern oder abzulenken. Vor allem bei älteren Men-           erleben schließlich alle früher oder später Momente, die
schen ohne weitere nähere Angehörige. Manchmal halten           an die Substanz gehen. Dann ist es gut zu wissen, dass
wir auch einfach nur Händchen. Man nennt das dann auch          belastende Situationen innerhalb des Teams aufgefangen
psychologische Erste Hilfe. Die Zeit nehmen wir uns.“           werden.

                                                                                                                        15
Wie ein Uhrwerk

„Wir erleben hier auch viel zu oft vollendete Suizide.
Manchmal ist das Bild, das sich uns bei Eintreffen bietet,
kaum auszuhalten. Das stecken wir auch nicht mal eben
so weg.“ Die Kollegen sprechen dann auch untereinander
über das Erlebte, können aber auch eine professionelle Un-
terstützung aufsuchen, wenn die psychische Last zu groß
wird. Und manchmal hilft im alltäglichen Miteinander und
zwischen den Einsätzen auch eine Prise Humor. Eine funk-
tionale Form der Verarbeitung. Im unmittelbaren Vor-Ort-
Kontakt regieren freilich Höflichkeit, Respekt und damit
Professionalität. Was auch sonst! Währenddessen schrillt
der nächste Alarm durch die Wache. Schleking bleibt ruhig,
die Rettungsmaschine läuft wie ein Uhrwerk. Es ist wieder
ein Rettungseinsatz. Das Rolltor öffnet sich, die Ampeln                    Leben und Tod
vor dem Gebäude schalten für die Autofahrer auf Rot, das
                                                                  Wir erleben schließlich alle früher oder später
Blaulicht am Rettungswagen leuchtet und das Martinshorn              Momente, die an die Substanz gehen.
ertönt. Es ist der nächste Einsatz auf Leben und Tod.

                                                               Herzwerk
                                                                      Während seine
                                                                Freunde Automechaniker,
                                                               Betriebswirte, Tischler oder
                                                             Geisteswissenschaftler wurden,
                                                              erlernte Marco Ortmann den
                                                             Beruf des Bestatters. Damit ist
                                                               er der Erste seiner Familie,
                                                               der sich nun hauptberuflich
                                                                  mit Toten beschäftigt.

16
M
             arco Ortmann öffnet die Tür zum Beerdigungs-         jährlich weniger als 200 Azubis wählen. Bei Stratmann er-
             institut Stratmann in Kirchhellen. Kühl ist es       hielt er die Einladung zum Vorstellungsgespräch.
             hier, hell, es riecht frisch. An den Wänden hängen
stilvolle Bilder. Dezente wie moderne Blumenarrangements                                  Sidos Weg
in hohen Vasen begrüßen den Besucher. Eine lebensbejahen-
de Atmosphäre. Wer bei Beerdigungsinstituten an dunkle,           Am Abend vor dem Vorstellungsgespräch zappte Ortmann
holzverkleidete Kleinstunternehmen mit gleichsam düsteren         dann mit der Fernbedienung durchs TV-Programm und
Särgen im Eingangsbereich denkt, wird zumindest hier ei-          blieb bei Pro7 hängen. Der Deutsch-Rapper Sido war dort in
nes Besseren belehrt. Wir gehen an zahlreichen Türen vorbei       einer Sendung zu Besuch bei einem Bestatter. Gemeinsam
und betreten einen kleinen Raum mit bodentiefen Fenstern.         mit den Profis erklärte der Musiker mit den zahllosen Tat-
Hier wartet eine lange stählerne Platte tatsächlich auf einen     toos den Zuschauern nun die Vielschichtigkeit des Berufs.
Sarg. Es ist der Raum, in dem die Hinterbliebenen Abschied        Ortmann wurde quasi kurz vor dem Gespräch der Gesprä-
nehmen können. „Ich habe erst mein Fachabitur in Dorsten          che von seinem Lieblingsmusiker unterrichtet. Erfolgreich,
am Berufskolleg gemacht und dann auch dort meine Erzie-           denn das frische Vorwissen überzeugte wenige Stunden
her-Ausbildung angefangen. Aber irgendetwas fehlte mir in         später auch das Institut und stellte ihn kurzerhand ein. Herz-
diesem Beruf. Also brach ich kurz vor der Prüfung ab und          lich willkommen in einem Beruf, bei dem man tatsächlich
orientierte mich neu“, erklärt der 26-Jährige. Die vielen Jahre   mit einem Bein im Grab steht. Und dann kam der erste Tag
ehrenamtliche Arbeit für die Evangelische Kirchengemeinde         und die unvermeidliche Frage: Willst du mal deinen ersten
Bottrop haben ihn geprägt, und doch ging die Berufswahl           Verstorbenen sehen? „Na, dafür war ich ja da. Und da an
einen anderen Weg. Nach einer Phase der Orientierung hat          meinem Startdatum auch direkt eine Beerdigung stattfand,
er sich dann für völlig unterschiedliche Ausbildungsberufe        habe ich halt gesehen, wie der Tote aufgebahrt wurde. Ich
beworben. Auch als Bestattungsfachkraft, einen Beruf, den         habe als kleiner Junge auch meine verstorbene Oma gefun-

                                                                                                                             17
den, das war wirklich ein riesiger Unterschied. Meine Oma       Tätigkeitsbereich ist, so ist die Ausbildung aber noch weit-
lag da mit offenen Augen und geöffnetem Mund. Kein schö-        aus komplexer. Er lernt die kaufmännischen Aspekte dieses
nes Bild. Der Verstorbene hier sah friedlich und einfach an-    Berufs kennen, erwirbt handwerkliche Kenntnisse, es geht
genehm aus.“ Ortmann sagt mehrfach, dass er vor dem Be-         um Kommunikation, eine gute Prise Psychologie und um so
rufswunsch zum Bestatter nichts mit dem Tod zu tun hatte,       viel mehr. Nein, natürlich ist dies kein Beruf von der Stange,
die Geschichte mit seiner Oma spricht eine andere Sprache.      zugleich ist er weder langweilig noch gruselig. ‚Besonders‘
Vielleicht ist dieses frühkindliche Erlebnis nicht der Grund    trifft es vielleicht am besten. Erst 2003 wurde die Bestat-
für seine Berufswahl, aber seine neuen Erfahrungen mit dem      tungsfachkraft zu einem geordneten und bundesweit ein-
weltlichen Wesen des Todes haben dennoch die alten Bilder       heitlich geregelten Ausbildungsberuf ernannt. Vor einigen
revidiert.                                                      Monaten hat Marco Ortmann darin seine Abschlussprüfung
                                                                bestanden. Inhaber Andrea und Gregor Stratmann haben
Wir wechseln den Ort, gehen vorbei an einer Sargausstel-        ihn sofort übernommen.
lung, an Urnen und Sargausschlägen und befinden uns nun
in der Garage, in der auch der blitzsaubere Bestattungskraft-                   Fingerabdruck-Andenken
wagen steht. Jenes langgestreckte Fahrzeug, das früher ein-
mal etwas griffiger als Leichenwagen bezeichnet wurde. Da-      „Am Anfang der Ausbildung wollten meine Freunde mir gar
neben öffnen wir eine Tür und betreten den Hygieneraum.         nicht mehr die Hand zur Begrüßung geben. Als ich ihnen
Es riecht nach Desinfektionsmitteln, an den Fenstern befin-     dann sagte, wie hoch der Hygienestandard bei uns ist und
den sich lange blickdichte Vorhänge, eine flache Edelstahl-     ich meine Hände halt ständig wasche, war es dann aber auch
wanne dient dem Verstorbenen als Auflage. „Ich bin ehrlich      wieder gut. Die kannten das halt nicht.“ Deutschlandweit
gesagt gerne in diesem Raum. Im Grunde ist es sogar mein        gibt es etwa 5.500 Bestattungsunternehmen, die über 500.000
liebster Arbeitsbereich. Hier habe ich irgendwie die meisten    kirchliche Bestattungen durchführen. Die weitaus meisten
Fähigkeiten erworben – am Anfang noch sehr zaghaft, mitt-       Hinterbliebenen wünschen eine Erd- oder Urnenbestattung.
lerweile sehr routiniert.“ Hier wird der Tote gewaschen und     Das Unternehmen, in dem Marco Ortmann arbeitet, bietet
geschminkt, angezogen und im Sarg aufgebahrt. So sehen          darüber hinaus auch Seebestattungen und Beisetzungen in
ihn die Angehörigen später. Wenn dies sein bevorzugter          einem Friedwald an. Auch Schmuckstücke vom Fingerab-
                                                                druck des Hinterbliebenen sind lieferbar. Mittlerweile ha-
                                                                ben sich Freunde wie Familie nicht nur an seine Berufswahl
                     Marco Ortmann                              gewöhnt. „Mein Vater erzählt seinen Bekannten ganz stolz
                  „Dies ist kein Beruf von der Stange,          davon, dass sein Sohn Bestatter ist. Das findet der total gut.“
            zugleich ist er weder langweilig noch gruselig.“
                                                                                Herzensangelegenheiten

                                                                Während des Gesprächs laufen die Angehörigen eines jüngst
                                                                Verstorbenen durch das Institut. Sie bringen die Kleidung für
                                                                den Toten und suchen den Sargausschlag aus. Wir warten
                                                                derweil im Hygieneraum, bis wieder Ruhe auf den Gängen
                                                                herrscht. Die meisten Menschen machen um den Tod einen
                                                                großen Bogen, und zugleich gibt es Berufsgruppen, die ihre
                                                                Augen nicht verschließen können und wollen. Marco Ort-
                                                                mann hat einen solchen Beruf gewählt und ist total zufrie-
                                                                den mit seiner Lebensentscheidung: „Ich hätte in der Vergan-
                                                                genheit wohl auch nicht gesagt, dass dies mein Traumberuf
                                                                werden könnte. Mittlerweile ist er das aber geworden. Es ist
                                                                längst ein Herzwerk und nicht nur ein Handwerk.“

18
Ihre Meinung                                                                                        Leserbriefe
Seit der ersten einwort-Ausgabe erhalten wir Rückmeldungen von unseren
LeserInnen. Briefe, die wir gerne (gekürzt) abdrucken.                                              Offen und ehrlich

01 / „Ich freue mich immer sehr auf das einwort. Eben das Vor-           keit auch wirklich nie ankommen und sesshaft werden bei
wort gelesen und schon bin ich wieder ganz gespannt auf die              uns Menschen hier … Weil direkt auf JESUS und das NT (das
tollen Texte, die da noch kommen werden. Auch wieder ein tol-            Neue Testament, Anm. d. Redaktion) der Bibel angesprochen
les Thema! Vielen Dank für deine und eure Mühen. Ihr macht               heute sofort von den Menschen dicht gemacht wird. Wir gehen
das ganz toll!“                                                          mal wieder mit dem einwort-Magazin den Weg des geringsten
Julia Kranert, Bottrop                                                   Widerstandes und hoffen, dass es gut geht.“
                                                                         Ulrich Hübner-Füser, Bottrop
02 / „Mit diesem Magazin könnten Sie bundesweit Leserschaft
gewinnen – bemerkenswert gut – ich kann mich nur immer                   05 / „Ganz unerwartet packt es mich. Die Fantasie wird ange-
wiederholen. Alles – der Inhalt, die Aufteilung, der Text, das           regt und lädt ein auf ‚Reisen’ zu gehen. Jede Ausgabe ist eine
Layout/Design – top.“                                                    neue Entdeckungsreise. Was verbirgt sich hinter dem Wort?
Almut Jeroma, Hennef                                                     Was verbinde ich damit? Ich schlage das Magazin auf und lasse
                                                                         mich jedes Mal liebend gerne aufs Neue überraschen. Für mich
03 / „Gerade habe ich mit Interesse und Spaß einwort 01/20               stellt das Magazin einwort ein Seelengefühl dar, das es schafft,
durchblättert und teilgelesen. Inhalt und Gestaltung überra-             die persönliche Auseinandersetzung mit sich und dem Glauben
schen mich positiv. Schmunzeln musste ich über die Verbin-               zeitgemäß anzuregen, was vermutlich die wenigsten Gemein-
dung von SUVs und Babyschale. Zustimmung zur Knöllchen-                  debriefe inhaltlich bieten können. Schillernd und sachlich sind
vergabe …! Lösungsvorschlag: Eine Easyriderhaltung benut-                hier keine Gegensätze. Mit Geschichten, die an das Herz gehen
zen. Damit bin ich mit unserem Sohn vor dem Bauch bereits                und/oder schmunzeln lassen und interessanten Themen reicht
1979 zum Einkaufen über den Markt gegangen; wenig Platz                  die Strahlkraft des Magazins auch bis nach Oberhausen.“
beanspruchend und die Hände frei. Noch ein kritisches Wort               Sarah Kaule, Oberhausen
dem Bottroper Neubürgerteam in der Redaktion: Mit Sicher-
heit ist der TV Blau-Weiß Bottrop nicht der älteste Bottoper             06 / „Wir sind im Herbst 2018 – ich halte die zweite Ausgabe von
Sportverein. Er ist der älteste Tennis-Verein in Bottrop. Hej,           einwort in den Händen, welche den Titel ‚Maloche’ trägt, ein
wer im Redaktionsteam ist Tennisfan? Älter ist die DJK Adler             Wort, das mir seit frühester Kindheit vertraut und von seinem
07 Bottrop. Sie hat zwar Schalke 04 den Vortritt gelassen, war           Klang, seinem Sound her angenehm sympathisch ist. Beim Blick
aber immerhin auch schon vor dem 1. Weltkrieg fußballerisch              auf den Herausgeber ... Erstaunen: DAS soll eine Kirchenzeitung
aktiv. In der Nazizeit verboten wurde der Verein dann 1947               sein? Ich lese über Arslan Arslan, dem türkischen Bergmann, der
wieder gegründet. Älter ist auch der SV 1911. Machen Sie wei-            1971 nach Bottrop gekommen ist, lese von Joachim Gutsche, dem
ter so interessante Seiten und bleiben Sie gesund.“                      Bienenmann, lerne den Kindergartenerzieher Bernd Okunneck
Dieter Schlaefke, Bottrop                                                kennen, Vivian Gadau, die Fahrzeugfrau, und andere. Arbeit,
                                                                         Beruf, Berufung, der tiefere Sinn, die spirituelle Bedeutung von
04 / „Schult doch alle von Kirche gleich um von biblischer               Arbeit … Chapeau, einwort, du hast mich neugierig gemacht! Du
Theologie auf Psychologie und Psychotherapie. Mir hat Kirche             präsentierst mir als Kirchenmagazin den Menschen im Mittel-
früher in jungen Jahren Inhalte von JESUS beigebracht. Und               punkt – seine Gedanken, seine Träume und Sehnsüchte – und
was tun Sie heute? Scheinbar scheint man auch offiziell von              seine Suche. Du hast mich so neugierig gemacht ... Ich liebe die
kirchlicher Seite sich JESUS und des Evangeliums vom REICH               Klarheit deiner Form und deiner Sprache, den Enthusiasmus dei-
GOTTES zu schämen, es nicht mehr für angesagt, angebracht                ner Macher – und ich bin begeistert von deiner Zuneigung zum
und zeitgemäß zu halten, es den Menschen nahe und verständ-              Menschen, zu den Bottropern. Danke, einwort!“
lich zu verkündigen. So kann Gottes neue Welt und Wirklich-              Jürgen Geppert, Bottrop

                                                                                                                                     19
20
T E XT : A . S O LT Y, P FA R R E R

                                              Heil machen ...
                   Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde;
                  denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,
                                auch das Meer ist nicht mehr.

                                              Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 21

„Papa, wo gehst du hin?“, hat meine           Weg der Trauer hindurch, durch das            über uns Menschen haben. Gott selbst
Tochter mich einmal gefragt. Sie              Chaos von Verzweiflung, Hoffnung,             steht dafür gerade, dass am Ende Frie-
muss damals fünf oder sechs Jahre alt         Mut und Wut? Gott macht sie, macht            den sein wird. Und so wecken diese
gewesen sein. „Ich muss zum Friedhof,         uns wieder heil. Meine Tochter war            biblischen Bilder in mir eine Sehn-
eine Frau beerdigen“, erkläre ich. „Ist die   zufrieden mit dieser Antwort.                 sucht nach Heil, die zum Motor wird.
gestorben?“, fragt sie. „Ja“, sage ich.                                                     Die antreibt, selbst etwas zu verän-
„Machst du die jetzt wieder heil?“, will      Ich selbst ahne dann wieder, welche           dern: Tränen abzuwischen und Hun-
sie wissen. „Nein“, sage ich. „Das kann       Kraft in dieser Antwort steckt, die           ger zu stillen, Wunden zu verbinden
ich nicht. Leider.“ Und dann nach einer       nicht ich mir ausgedacht habe. Sie ist        und Frieden zu stiften.
Pause erkläre ich ihr: „Gott macht sie        als Vision des Sehers Johannes in der
wieder heil.“                                 Bibel beschrieben. Von einem neuen
                                              Himmel und einer neuen Erde wird
Noch oft geht mir dieses kurze                da erzählt, wo Gott unter den Men-
Gespräch durch den Kopf. Und dazu             schen wohnt. Wo er selbst den Men-
die Bilder der letzten Wochen: Men-           schen die Tränen abwischt und wo
schen an Beatmungsgeräten, auf der            es weder Leid noch Geschrei noch
Flucht in überfüllten Lagern und auch         Schmerz, ja selbst den Tod nicht mehr
                                                                                            Wundpflaster:
der Feuerwehrmann, der mit 47 Jah-            geben wird.
ren gestorben ist.
                                                                                            Paul Carl Beiersdorf (* 26. März 1836) gründete in
                                              Unser Schmerz hier auf der Erde, der
                                                                                            enger Zusammenarbeit mit dem Dermatologen Paul
Gott macht sie, macht uns wieder heil.        Tod, der Hunger, die Angst: Sie ver-          Gerson Unna das Pflastergeschäft und erhielt für
Wie leicht ist das gesagt, denke ich.         schwinden nicht durch diese Worte.            die Guttaperchapflastermulle 1882 die Patentschrift
Wie wenig sind diese Worte. Reichen           Aber ich spüre, wie die Vision des            zur „Herstellung von gestrichenen Pflastern“. Das
sie denn, um solchen Bildern zu trot-         Johannes mich hoffen lässt, dass nicht        Datum der Patentschrift gilt heute als Gründungs-
zen? Tragen sie durch den schweren            Leid, Gewalt und Tod das letzte Wort          datum der Firma Beiersdorf AG.

                                                                                                                                           21
EHRENSACHE
         In Deutschland üben 23 Millionen Menschen ein Ehrenamt aus.
     Sie engagieren sich freiwillig und übernehmen wichtige gesellschaftliche
                  Aufgaben. Auch in unserer Kirchengemeinde.

Ulla Heinzerling,                        Conny Zuchowski-Gemmeke,                 Peter Frank,
76 Jahre                                 65 Jahre                                 58 Jahre

Die Bottroperin singt im Frauenchor      Nach zahlreichen ehrenamtlichen          Der gelernte Krankenpfleger ist seit
und in der Kantorei, hat 30 Jahre in     Tätigkeiten als junge Mutter hat die     langem Inhaber der gleichnamigen
der Kleiderkammer gearbeitet und         berufstätige Frau erst mit dem           Tanzschule. Daneben ist er nicht nur
kocht in der Frauenhilfe Kaffee. In      Einstieg ins Rentenalter 2016 wieder     Vorsitzender der Ambulanten Hospiz-
der „Offenen Kirche“ (Mi. + Sa.) führt   ein Ehrenamt übernommen, das mit         gruppe in Bottrop, sondern auch Mit-
sie Aufsicht, verteilt dieses Gemein-    einer zweijährigen Ausbildung zur        glied im Bezirksausschuss Altstadt,
demagazin, wohnt einmal monatlich        ehrenamtlichen Seelsorgerin bei          seit sechs Jahren gewählter Presby-
dem Bezirksverband der Frauenhilfe       R.O.S.E. begann. Seit 2018 ist sie nun   ter und wurde 2018 nach zweijähriger
bei und kümmert sich nicht zuletzt       einmal wöchentlich mehrere Stun-         Ausbildung zum Prädikanten beru-
um das Tässchen Kaffee nach dem          den im Knappschaftskrankenhaus           fen. In dieser Funktion gestaltet er
sonntäglichen Gottesdienst.              als Seelsorgerin tätig.                  einmal monatlich einen Gottesdienst.

22
Conny
                                             Zuchowski-Gemmeke

                                                Ich war zunächst
                                               auf der Inneren im
                                            Knappschaftskrankenhaus,
       Ulla Heinzerling                                                                           Peter Frank
                                              zu der 2019 auch die
     Ich habe meine Oma,                      Onkologie hinzukam.                                Ich bin in der
    meine Schwiegermutter                                                                ambulanten Hospizgruppe
    und meinen Stiefvater                 „Daher sind dort nun auch zunehmend               als Vorsitzender tätig,
  jeweils vier Jahre Zuhause              Personen mit schweren und schwersten             weil mich schon immer
                                             Erkrankungen anzutreffen. Auch
      in meiner Wohnung                      das Thema Tod spielt zunehmend            interessiert hat, wie in unserer
           gepflegt.                         eine Rolle. Das war für mich eine          Gesellschaft gestorben wird.
                                           mächtige Herausforderung. Gut, dass
                                            wir bei R.O.S.E. auch für uns eine
  „Alle nacheinander. Ich habe immer         professionelle Supervision nutzen           „Und wie würdevoll oder würdelos
 gesagt: Bei mir geht keiner ins Heim!                    können.                       der Übergang vom Leben in den Tod
 In meiner vierzigjährigen Zugehörig-                                                  vonstatten gehen kann. Dabei spielten
 keit zur Frauenhilfe haben wir schon           Viele Patienten haben nach             natürlich auch meine Erfahrungen als
sehr viele Frauen beerdigt. Die Älteste        der Erstdiagnose erst mal eine           junger Krankenpflegeschüler in den
  war 91. Trotzdem spielt das Thema         Sterbensangst. Da kommt das ganze             frühen 80ern mit. Heute sieht das
 Sterben und Tod innerhalb der Frau-        Entsetzen heraus und die Frage: Was                  deutlich besser aus.
enhilfe nahezu keine Rolle. Stattdessen    passiert jetzt mit mir? In dieser Phase
 laden wir gerne einen Pastor ein und        wollen die Menschen oft gar nicht          Ich habe meine beiden Eltern auf dem
 der oder die haben dann ihre eigenen     sprechen, sondern nur die Wut über ihre      letzten Stück des Weges begleitet. Das
Themen dabei. Oder wir spielen inner-     Lebenssituation äußern. Das musste ich        waren für mich bewegende Momente,
halb der Frauenhilfe Bingo oder singen      auch erst mal lernen, dass das so ist.       weil es mir in gewisser Weise einen
       miteinander. Eher sowas.                                                        Einblick gegeben hat, was da nach dem
                                            Vor kurzem wurde ich gebeten, einen        Tod passiert. Oder anders ausgedrückt:
  Auch in meinem gesamten Umfeld            Mann zu besuchen, der lange keinen              Ich hatte bei beiden Eltern den
  wird das Thema Sterben, Tod und            Besuch mehr hatte. Der Herr blickte         Eindruck, dass da nach dem letzten
 Trauer nicht thematisiert. Irgendwie        mich mit großen Augen wortlos an,             Atemzug noch mehr passiert ist.
      sprechen wir alle da nicht            er bewegte sich auch nicht. Und dann
           wirklich drüber.                  erst sah ich, dass er auch nicht mehr     Mir ist schon bewusst, dass der größere
                                           atmete. Ich war zunächst total irritiert,      Teil meines Lebens vorbei ist. Die
  Wenn ich mal im Krankenhaus bin            informierte dann die Schwester und        Auseinandersetzung mit dem Tod und
und sehe, wie die Menschen da manch-          ging doch noch mal zurück zu ihm          mein Glauben helfen mir aber, damit
mal an Schläuchen angeschlossen sind,          und war dann alleine mit einem           in Frieden zu leben. Ich glaube auch,
dann weiß ich, dass ich das nicht will.      Menschen, der soeben gestorben ist.         dass Menschen beruhigter sterben,
Da wünsche ich mir für mich, dass ich      Irgendwann fing ich dann an zu beten        wenn sie glauben und damit auf etwas
  lieber einen Herzschlag bekomme         und hatte so noch Zeit, mich von ihm zu      Jenseitiges schauen können und nicht
            und weg bin.“                               verabschieden.“                    bloß aufs Leben zurückblicken.“

                                                                                                                           23
Liebes
     (digitales)       Tagebuch …
     Wer eine schwere oder lebensverkürzende Krankheit
     hat, setzt sich zumeist im persönlichen Umfeld damit
     auseinander. Oder tut das genaue Gegenteil und
     spricht darüber ganz digital bei Facebook, Instagram
     oder in Blogs. Warum?
24
A
           uf ihrem Facebook-Profil begrüßt Antonina Rick
           den Besucher mit einem kreisrunden Portrait, auf
           dem sie mit langer roter Lockenmähne glänzt.
Eine hübsche junge Frau voller Lust am Leben. Und mit
einer schweren Blutkrebsdiagnose. Scrollt man die Seite nur
ein wenig herunter, sieht man sie mit Schläuchen im Arm
und mit chemokurzen Haaren. Der Blutkrebs, mein Leben und
ich heißt ihr Facebookprofil. Genauso wie ihr Blog. Zwei pa-
rallel digitale Wege – der eine kurz und knackig (Facebook),
der andere tiefgründig (Blog). Sie hat sich im Sommer 2019
für diesen öffentlichen Weg entschieden, nachdem die erste
Knochenmarks-Transplantation fehlschlug und sie nun
wusste, dass sie vielleicht nur noch ein Jahr lebt. Es war der
Startschuss für eine schonungslose und nie boshafte Klar-                                Antonina Rick
heit in Worten und Bildern. Auch weil es offenbar schwierig                     Seit Sommer 2019 nehmen mehr als 6.500
war, Informationen über die Krankheit, ihren Verlauf, über                FacebooknutzerInnen digital an ihrem Alltagsleben teil.
die Chemo und so viel mehr zu bekommen. Auch wollten
die Ärzte mit ihr nur ungern in die direkte Konfrontation
gehen und genau erklären, wie ihre gesundheitliche Situ-
ation aussieht. Vieles musste sie sich also erarbeiten, und
darum geht es ihr in ihrer digitalen Arbeit um Aufklärung
und Information. „Ich habe nicht nur darüber geschrieben,
was die Leukämie grundsätzlich macht, sondern auch, wie
mein Tag aussieht, wie meine Amtsgänge aussehen und wie
man das alles finanziell regelt. Da macht sich doch niemand
Gedanken drüber. Bei einer Knochenmarks-Transplanta-
tion ist man außerdem zwei Monate im Krankenhaus. Wer
macht in der Zeit den Haushalt? Wer kümmert sich um den
Postkasten? Und: Nach so einer Transplantation muss man          erklärt Prof. Dr. Thomas Macho, Leiter des internationalen
in eine komplett sterile Wohnung. Aber wer kümmert sich          Forschungszentrums der Kulturwissenschaften in Wien.
darum? Die Krankenkasse bestimmt nicht.“ Genau – wer             Er hat dieses Phänomen der digitalen Selbstpräsentation in
kümmert sich darum? Über 6.500 Facebooknutzer haben              schwierigsten persönlichen Zeiten untersucht und fand her-
ihre Seite mittlerweile abonniert. Die kümmern sich darum.       aus, dass für religiös wenig oder nicht verankerte Menschen
Zumindest zum Teil.                                              die Sinnfragen des Lebens heute nur noch schwer zu beant-
                                                                 worten sind. Während die eine Hälfte der Deutschen einer
Digitaler Alphabetisierungsschub                                 der beiden großen Konfessionen angehört und so im christli-
„Die Entwicklung der Sozialen Medien sorgt wie ein zwei-         chen Selbstverständnis Halt und Orientierung findet, suchen
ter Alphabetisierungsschub dafür, dass heute sehr viel mehr      die anderen noch. Vielleicht auch, indem sie ihren (Leidens-)
Menschen über ihr Schicksal schreiben als früher. Das ist        Weg digitalisieren. „Eine Ersatzantwort ergibt sich nun dar-
literarisch manchmal unvollkommen, aber da kann man              aus, das eigene Leben als ein Ganzes, als eine Geschichte
nur sagen: So what! Auch die ersten Texte und Tagebücher,        zu betrachten und zu erzählen, wobei ein solches Bedürfnis
die die Menschen nach dem ersten Alphabetisierungspro-           eher am Ende eines Lebens auftritt.“ Auch wenn das Leben
zess in der Mitte des 19. Jahrhunderts verfasst haben, waren     oftmals Wendungen, Brüche und Verluste aufweist, so ent-
nicht automatisch hohe Literatur. Und dennoch stöbern wir        steht in der Zusammenfassung offenbar ein Gesamtbild, das
heute gerne durch diese alten Tagebücher und verwenden           etwas merkwürdig Tröstliches hat. Nach dem Motto: Ach, es
sie als Primärliteratur für historische Untersuchungen“,         hat sich doch gelohnt!

                                                                                                                                    25
Buch bleibt
                                                                Bevor Soziale Netzwerke den Weg für den weltweiten
                                                                Individualtext ebneten, war ein Autor ans Buch gebunden,
                                                                um gelesen zu werden. Es ist bis heute auch ein Genera-
                                                                tionenthema, wer welche Medien bevorzugt. Und viele
                                                                greifen eben lieber zum gedruckten Buch. Die Düsseldor-
                                                                fer Autorin Susanne Reinker erkrankte 2007 an Brustkrebs
                                                                und erlebte, was viele Frauen mit dieser Diagnose durch-
                                                                stehen: OP, Chemo- und Strahlentherapie, gefolgt von
                                                                einer fünfjährigen Hormontherapie. Heute bezeichnet sie
              Prof. Dr. Thomas Macho                            sich als Krebsveteranin und veröffentlichte erst 2019 im
            Leiter des internationalen Forschungszentrums       Ullstein-Verlag ihr Buch Kopf hoch, Brust raus!. „Wer heute
                   der Kulturwissenschaften in Wien             Krebs hat, muss nicht nur mit den schrecklichen Zellen
                                                                kämpfen, sondern obendrein auch mit dem schlimmen
                                                                Image, das dieser Krankheit anhaftet: Nach dem Motto:
Digital wird analog                                             Diagnose, Chemo, Glatze, Rückfall, Tod. Ein Image, das aus
„Meine Oma findet das nicht so gut, dass ich das mache.         der Frühzeit der Krebstherapie stammt. Darum ist es für
Krankheiten hält man unter‘m Deckel. Man erzählt nicht,         mich eine ganz große gesellschaftliche Aufgabe, die Krank-
wie schlecht es einem geht und welche Gefühle man hat.          heit mit meinem Buch aus der Horrorecke zu kriegen.“ In 36
Dabei hilft es mir, meine Dinge im Kopf zu sortieren, nie-      kurzen Kapiteln, von A wie „Arzt“, über E wie „Erste-Hil-
derzuschreiben und mich so mit meinen eigenen Gefühlen          fe-Maßnahmen“ und K wie „Krankenhausbesucher“ bis Z
auseinanderzusetzen. Und nicht zuletzt ist die Resonanz         wie „Zweitmeinung“. Sehr fundiert, durchaus humoristisch
von der Community großartig“, erzählt Rick. Kurz bevor sie      und ganz schön analog. Dass das Buch nun auch als Hör-
nach der ersten Transplantation ihre beiden Kinder endlich      buch auf den Markt kommt und zudem als E-Book erhält-
aus der Pflegefamilie zurückholen wollte, verschlechterten      lich ist, ist vielleicht ihre ganz persönliche Reminiszenz
sich ihre Blutwerte massiv. Ein gesundheitlicher Super-GAU.     an die Gegenwart digitaler Medien. „Ich bin mit 57 Jahren
Und dann musste sie auch noch aus ihrer Wohnung raus.           auch echt kein Digital Native. Als ich erkrankte, gab es in
Irgendwie schaffte sie es, auch dieses Drama zu organisieren,   Deutschland nicht mal Facebook, das kam erst zwei Jahre
und doch ließen mittendrin die Kräfte nach. Die junge Frau      später.“ Sieben Bücher hat sie mittlerweile geschrieben, eins
hat dieses Drama in ihrem Blog formuliert und dann kamen        landete auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Und selbstredend
über Nacht 40 Personen aus ganz Deutschland und zogen           gehen – themenunabhängig – analoge und digitale Medien
mit ihr um, packten Kisten, bauten Möbel auseinander und        Hand in Hand durch die Gegenwart. Gut so.
zusammen, sammelten Spendengelder, fuhren von A nach B
und richteten ihr Leben neu ein. Eine Riesenaktion, die digi-   Keine Alternative
tal begann und im Hier und Jetzt wahr wurde. So flüchtig        Antonina Rick schreibt derweil weiter an ihrem digita-
die digitalen Medien daherkommen und so oberflächlich           len Tagebuch. Wie ist das also, als junger Mensch mit der
Kommunikation dort sein kann, Facebook & Co. können             Gewissheit zu leben, dass der Tod eine Rolle spielt, und
offenbar auch das genaue Gegenteil bewirken. Schließlich        diese Gewissheit tagaus tagein zu posten? „Meine Überle-
gibt es weltweit etwa 2,5 Milliarden aktive Facebooknut-        benswahrscheinlichkeit liegt bei 11 Prozent. Stell dir also
zer. Hier findet – allen Unkenrufen zum Trotz – auch ech-       vor, du musst Russisch Roulette spielen! Nimmst du dann
tes Leben statt. Solange man lebt. Schätzungen zufolge sind     nicht lieber die Kanone mit den neun Kugeln und der einen
nämlich spätestens im Jahr 2060 die Hälfte aller Nutzer tot     freien Position als die volle Pistole mit den 10 Kugeln? Ich
und grüßen dennoch mit leuchtendem Profilbild. Wenn man         habe einfach keine Alternative. Ich muss leben und hoffen.
von dem sehr spekulativen Ansatz ausgeht, dass es in 40         Und genau darüber schreibe ich. Für meine Kinder, meine
Jahren Facebook überhaupt noch gibt. Aber noch ist es ja da.    Community und auch für mich.“

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· liegt in allen Gemeindehäusern aus
· ist online als Newsletter zu abonnieren
· kann auf Wunsch postalisch zugestellt werden

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              20

                                            Newsletter abonnieren unter:
                                            www.kirchenkreis.org/newsletter-gemeinde-bottrop.html

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Zweimonats-Rhythmus aktuelle                einwortAktuell aus einer unserer               Seniorentreff. Ein bunter Strauß an
Daten, Fakten und Servicehinweise           Einrichtungen mitzunehmen? Dann                Terminen, Kontakten, Adressen und
nach unseren Gemeindebezirken               teilen Sie uns doch im Gemeindebüro            Hinweisen.
sortiert und inklusive einer übersicht-     Ihres Bezirks Ihre postalische Adres-
lichen Liste der Beratungsstellen und       se mit, und ab sofort erhalten Sie eine        Und nicht zuletzt verändert sich
Einrichtungen unserer Kirchenge-            gedruckte Ausgabe von einwortAktu-             einwortAktuell kontinuierlich.
meinde in Bottrop.                          ell per Post.                                  Wir haben hier ein neues Medium
                                                                                           kreiert, das wir mit jeder Ausgabe
Dabei liegt einwortAktuell nicht nur        Grundsätzlich begleitet einwortAktu-           immer weiter für unsere Leser
in allen Gemeindehäusern aus,               ell unser Gemeindemagazin einwort              optimieren – gleich, ob sie einwort-
sondern kann auch als digitaler             mit vielen frischen Details. Wo                Aktuell digital oder analog nutzen.
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