Energie & Umwelt - Schweizerische Energie-Stiftung
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Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 4/2019 Mühleberg vom Netz – Und jetzt? > AKW Mühleberg: Einstieg in den Atomausstieg? > Zweifel am Sicherheitsnachweis von Beznau I > Rezepte für eine erfolgreiche Energiewende
INHALT Mühleberg vom Netz – Und jetzt? 4 Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben Atomausstieg made in Switzerland: Am 20. Dezember 2019 wird Mühleberg stillgelegt. Weil die BKW 2013 zu rechnen anfing. Beznau läuft derweil trotz rekordverdächtigen 50 Jahren Betrieb weiter. Weil sich die Axpo finanziell hoffnungslos verrannt hat. 8 Energie aktuell 10 Zweifel am Sicherheitsnachweis von Beznau I Reaktor 1 des AKW Beznau stand jüngst noch wegen Sicherheitsbedenken ganze drei Jahre lang still. Eine Studie des Öko-Instituts wirft neue Zweifel an der Sicherheit des Alt-Reaktors auf. 12 AKW Mühleberg: Einstieg in den Atomausstieg? Am 20. Dezember 2019 geht mit dem AKW Mühleberg das erste Schweizer Atomkraft- werk vom Netz. AKW-KritikerInnen ziehen eine persönliche Bilanz. 14 Angeschlagene Atomlobby träumt von Revival Wegen der Klimaerwärmung träumen Atomfreunde von einem Revival der «klima freundlichen» Atomkraft. Manche fordern sogar den Bau neuer AKW in der Schweiz. Doch wie stark ist die Atomlobby noch? 18 Rezepte für eine erfolgreiche Energiewende Im europäischen Vergleich ist die Schweiz bei Wind- und Solarenergie auf den hintersten Rängen. Eine neue Studie zeigt, wie es vorwärts gehen und wie die Schweiz ihre Klimaziele dank erneuerbarer Energien erreichen kann. 20 SES aktuell 22 Deutschlands Energiewende im Faktencheck Energiewende-Pionier Deutschland trimmt sein Energiesystem seit Jahren auf erneuer- bar. Die deutsche Förderpolitik wird dabei von einer kritischen öffentlichen Debatte begleitet. Was ist dran an den Vorwürfen? Die SES macht den Faktencheck. Schweizerische Energie-Stiftung SES 044 275 21 21, info@energiestiftung.ch, energiestiftung.ch Spenden-Konto 80-3230-3, IBAN CH69 0900 0000 8000 3230 3 2 Energie & Umwelt 4/2019
EDITORIAL Mühleberg ade! Liebe Leserinnen und Leser Ich bin im Kanton Tessin aufgewachsen und nahm die aren die ehemalige zuständige Regierungsrätin, der w Proteste gegen die Atomenergie damals nicht besonders damalige Direktor der BKW, mehrere Grossräte, ein de- wahr. In der italienischen Schweiz waren weder Atom- motivierter Leiter der Energiefachstelle sowie Vertreter kraftwerke noch Endlager geplant, sodass das Thema der Umweltorganisationen. Geleitet wurde der runde eher vage blieb. Dafür atmeten wir im Südkanton auf, Tisch von einem Moderator, der verzweifelt versuchte, als die Italiener ihre AKW stilllegten, bzw. gar nicht übergeordnete Fragen sowie Emotionen und Ängste auf mehr in Betrieb nahmen. Zahlen und Grafiken zu reduzieren. Politisiert wurde ich in der Deutschschweiz. 1986 lief Neben zahlreichen Protokollen und unbrauchbaren die Unterschriftensammlung zu den Initiativen «Aus- Berichten, die bei mir in einer Schachtel liegen, hat der stieg aus der Atomenergie» und «Stopp dem Atomkraft- runde Tisch nichts gebracht. Es ist nämlich unmöglich, werkbau (Moratorium)», welche vier Jahre später dann einen Kompromiss zu finden, wenn die Erwartungen auch zur Abstimmung kamen. Damals studierte ich an derartig diametral einander widersprechen. Die Um- der ETH in Zürich, wo unser Professor für Kernphysik weltorganisationen verlangten einen Stilllegungsplan mehrere Vorlesungen dazu missbrauchte, Propaganda für das alte AKW. Die Besitzer und Betreiber wollten gegen die Initiativen zu betreiben. Mit voller Über hingegen einen möglichst langen Betrieb, damit weiter zeugung erklärte er uns jungen und unerfahrenen hin Geld fliesst. Studenten und Studentinnen, dass die Kernenergie sauber, billig und sicher sei. Als es dann zum Super-GAU Heute, 23 Jahre später, geht plötzlich alles sehr schnell. von Tschernobyl kam, wurde der Professor sehr still. In wenigen Tagen wird Mühleberg abgestellt. Das ak Wenn ich mich recht daran erinnere, war er für den tuelle Magazin widmet das Schwerpunktthema der Rest des Semesters krankgeschrieben. Frage, wie es zum Stilllegungsentscheid für das AKW Als die SES mich später angefragt hat, mich als Stif- Mühleberg gekommen ist und weshalb das noch ältere tungsrätin zu engagieren, fühlte ich mich sehr geehrt AKW Beznau immer noch weiterbetrieben wird. Klar und machte voller Tatendrang mit. ist: Das Thema Atomkraft wird uns noch lange beschäf tigen – auch nach der Ausserbetriebnahme des ersten 1996 wurde ein runder Tisch einberufen, um die Strom- Schweizer AKW. politik des Kantons Bern gemeinsam neu auszurichten, und ich durfte die SES im Gremium vertreten. Ziel des Ich wünsche eine gute Lektüre. Kantons war es, einen Konsens für den weiteren Betrieb des AKW Mühleberg zu erlangen und gleichzeitig den Giuse Togni kritischen Stimmen das Gefühl zu geben, dass sie ernst SES-Beirätin, Vorstand Schweizerische genommen werden. Mitglieder dieser Begleitgruppe Agentur für Energieeffizienz S.A.F.E. Energie & Umwelt 4/2019 3
AKW Mühleberg, blitzblank geputzt vor der Pension. © Esther Michel, www.esthermichel.com Stilllegung AKW Mühleberg & Weiterbetrieb AKW Beznau Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben Atomausstieg made in Switzerland: Am 20. Dezember 2019 wird Mühleberg stillgelegt. Weil die BKW 2013 zu rechnen anfing. Beznau läuft derweil trotz rekordverdächtiger 50 Jahre Betrieb weiter. Weil sich die Axpo finanziell hoffnungslos verrannt hat. Von Nils Epprecht Was war geschehen? Was unterscheidet das AKW Müh- SES-Geschäftsleiter leberg (Jahrgang 1971) vom AKW Beznau (Reaktor 1: 1969, Reaktor 2: 1971) ? – Eine politische, kulturelle und «Dies ist ein definitiver Entscheid», so verlieh Urs Gasche, ökonomische Aufarbeitung der bis heute wirkenden Verwaltungsratspräsident des Berner Stromunterneh- Treiber im Schweizer Atomausstieg. mens BKW, am 30. Oktober 2013, an der Pressekonferenz seinen Worten Nachdruck. Und machte damit den Tag AKW als Identitätsfaktor historisch: Das AKW Mühleberg wird Ende 2019 nach Am 20. Dezember 2019 um die Mittagszeit wird das 47 Betriebsjahren stillgelegt! Urs Gasche begründete AKW Mühleberg für immer abgeschaltet. Die BKW zele- den Entscheid zuallererst unternehmerisch: «Der Lang- briert diesen Tag. Sie lädt JournalistInnen in das blitz- fristbetrieb wird sich langfristig kaum rechnen.» blank geputzte Werk ein, zählt in einem öffentlichen Countdown Tage und Stunden bis zur Ausserbetriebnah Zur gleichen Zeit bauten – rund 100 Kilometer nordöst- me und positioniert sich als Pionierin der Ingenieurs lich auf der künstlichen Aare-Insel Beznau – Bauarbei kunst. Die öffentliche Wahrnehmung des Kraftwerks ter an zwei Gebäuden für je zwei neue Notstrom-Diesel durchlief in den vergangenen zwei Jahren eine der generatoren. Diese sollten im AKW Beznau im Notfall spektakulärsten Umdeutungen, die die Schweiz je ge- die Stromversorgung verbessern. Die Arbeiter setzten sehen hat: Vom jahrzehntelangen Zankapfel wandelte um, was 2009 bis 2012 von der Betreiberin Axpo aufge- sich Mühleberg in Hochglanzprospekten zum Wahrzei- gleist worden war: Das AKW Beznau sollte mit vielerlei chen für verantwortungsvolles Unternehmertum. Nachrüstungen für insgesamt 700 Mio. Franken fit ge- macht werden – für just denselben Langfristbetrieb, Mühleberg wird zur unverdächtigen Projektionsfläche der sich gemäss Gasche in Mühleberg bereits 2013 nicht für Technik-Fans und HobbyingenieurInnen. Die BKW mehr rechnete. scheut keinen Aufwand «ihr» AKW zu inszenieren: Mit 4 Energie & Umwelt 4/2019
AKW Beznau, auf grün gemacht. © Thomas Egli / Lunax zahllosen Führungen und Events inklusive Hüpfburg Rückzug der Politik und Wurststand ist ein Atomkraftwerk zum Anfassen Atomstrom fürs Klima, das ist alter Wein in neuen und Ausschneiden für die ganze Familie entstanden Schläuchen. Denn läuft das AKW Beznau weiter, wird – Seifenblasen inklusive. Nüchtern betrachtet zeigt deswegen kein einziges Kohlekraftwerk stillgelegt. Die diese Metamorphose neben den PR-Künsten der BKW Geschichte lehrt vielmehr, dass für das definitive Ein vor allem eines: Ein AKW ist für Schweizer Strom und Aus von Kraftwerken meist nicht der Markt, son- firmen absolut identitätsstiftend. Sogar weit über dessen dern die Politik verantwortlich zeichnet – Strommarkt «Ableben» hinaus. zum Trotz. Das war bereits vor dem Ersten Weltkrieg und dann besonders in den 1950ern und 60ern in der Imagekorrektur dank Klimadebatte Schweiz so, als die öffentliche Hand mit grossen Inves- Die BKW ist nicht allein. Auch die PR-Leute der Axpo titionen nicht nur die AKW, sondern auch zahlreiche polieren das Image: Zum 50. Jahrestag der kommerzi- Wasserspeicherkraftwerke baute. Das ist auch jetzt in ellen Inbetriebnahme von Beznau wird das Kernkraft- Deutschland wieder so, wo seit zwei Jahrzehnten die werk zum Klimakraftwerk (KKW). Denn seit die Klima- Energiewende im Gange ist. Der Ausbau von Wind- und debatte an Fahrt gewonnen hat, frönt die Axpo einer Solarenergie hat alle Prognosen in den Schatten gestellt neuen Leidenschaft: Der Rettung des Klimas! und erreicht einen Anteil von fast 40 % im Strommix (vgl. Artikel auf S. 22). Die letzten AKW schalten 2022, Das zeigt sich beispielsweise in gewagten Berechnun- die letzten Kohlekraftwerke 2038 ab. gen zu den dank Beznau eingesparten CO2-Emissionen. Die Rechnung übersieht geflissentlich, dass im Schlepp Diese Transformation ist das Resultat von harten poli- tau der AKW auch der Stromverbrauch der Schweiz tischen Ausmarchungen zwischen Umweltverbänden markant gestiegen ist und beispielsweise atomstrom- und -parteien, der Strombranche, den Gewerkschaften, fressende Elektroheizungen schweizweit propagiert den Regionen und der Industrie. Doch die Umsetzung wurden. Oder in Vorschlägen an die Politik, wie die stolpert über die Realpolitik: Anstatt das Stromüber Schweiz die Klimaziele erreichen sollte. Wenig erstaun- angebot abzubauen in dem klima- und umweltschäd lich mit einer CO2-Abgabe auf Strom, von der auch alte liche Kraftwerke vorzeitig geschlossen würden, fördert AKW profitieren würden. Atomkraft soll neu eine Deutschlands Regierung über den Export billigen «Brückentechnologie» fürs Klima sein. – Ein Narrativ, Stroms lieber die Volkswirtschaften umliegender Län- das bislang nur die von der Dekarbonisierung existen- der. Nüchtern betrachtet eine verpasste Chance für ziell bedrohte Gasbranche für sich beanspruchte. einen rascheren Ausstieg aus der Atomenergie in der Energie & Umwelt 4/2019 5
Schweiz. Denn nie mehr werden wir in Zukunft so sieben Jahren über eine Milliarde Franken in das Kraft- sicher und günstig auf einheimischen Strom verzichten werk. Dass die BKW ihren grossen Investitionsentscheid können wie gerade jetzt. im Unterschied zur Axpo erst nach Fukushima fällen musste, war Schicksal. Ob die Axpo in der Position der In der Schweiz trug die 2013 in Bern hängige Initiative, BKW ebenfalls stillgelegt hätte, scheint angesichts der die eine sofortige Stilllegung Mühlebergs forderte, mass Unternehmenskultur jedoch mehr als fraglich. geblich zum Stilllegungsentscheid bei. Realpolitik ob- siegte aber auch hierzulande auf die gutschweizerische Festhalten an Altbewährtem Art und Weise: Sowohl «Mühleberg vom Netz» als auch Die BKW gehört zu über 50 % dem Kanton Bern, der dem die 2016 folgende nationale Atomausstiegsinitiative Unternehmen bislang kaum etwas vorgeschrieben hat. wurden von der Bevölkerung abgelehnt. Die Politik zog Die Axpo gehört den Nordostschweizer Kantonen, wobei sich zurück und lagerte die Frage der Restlaufzeit der die Kantone Aargau und Zürich den Löwenanteil besit- AKW an die Unternehmen aus – und reduzierte sie zen. Dazu kommen verschiedene mittelgrosse kanto damit auf eine rein betriebswirtschaftliche Optik. nale Energieunternehmen. Noch immer basiert dieser Aktionärspool auf einem Gründungsvertrag aus dem Zum Timing von Investitionen Jahr 1914, der weder eine Kündigung noch eine Veräus Ob Beznau Strom liefert oder nicht, spielt für die Axpo serung der Anteile erlaubt. Die Ablösung dieses Vertrags eine grosse Rolle. Denn mit den Investitionsentscheiden durch einen modernen Aktionärsbindungsvertrag ge- von 2009 startete die Axpo einen neuen Zyklus von Ab- staltet sich seit Jahren als Herkulesaufgabe. Die Bezie- schreibungen. Wie bei einem Haus, das saniert wird, hungen zwischen Axpo und ihrer Eigentümerschaft sind sollten Investitionen in der Folge abgeschrieben werden, extrem verpolitisiert und verkrustet und die Interessen bevor das Haus abgebrochen und neu gebaut werden an der Axpo unterscheiden sich zum Teil diametral. Das kann. Vor Fukushima wollte die Axpo-Konzernleitung schlägt sich auf das Unternehmen nieder: Eine Neu die beiden Altreaktoren von Beznau noch durch ein neu- orientierung, wie sie bei der BKW ab 2013 eingeleitet es, modernes AKW ersetzen. Das alte Beznau sollte so wurde, war bei der Axpo bislang undenkbar. Das Fest- lange weiterlaufen, bis das neue Beznau betriebsbereit halten an Altbewährtem war in der Vergangenheit der gewesen wäre. Irgendwann zwischen 2025 und 2030. Weg des geringsten Widerstands – und die wohl einzige Überlebensmöglichkeit für den CEO. Auch in Mühleberg wären ab dem Jahr 2000 grosse In- vestitionen ins Haus gestanden. Allerdings schaffte es Wenn die Stilllegung zu teuer ist die BKW, diese trotz grosser Sicherheitsbedenken immer «Weiter-wie-bisher» ist in disruptiven Märkten wie dem wieder hinauszuzögern. Erst mit dem Super-GAU von aktuellen Strommarkt keine gute Idee. Die Ablösung Fukushima im Rücken blieb die Atomaufsicht standhaft. der fossilen und nuklearen Vergangenheit wirbelt alles Der auf die Katastrophe folgende Stresstest hatte in Müh- durcheinander. Die Strommarktöffnung in Europa er- leberg viel Nachbesserungsbedarf geortet: Kostenpunkt möglichte der Axpo zwar die Expansion in mittlerweile gegen 400 Mio. Franken. Das Risiko, derart viel Geld in knapp 40 Länder. Die teilweise Marktöffnung auf dem eine Technologie zu stecken, deren Verfallsdatum mit Heimmarkt, bei dem kleines Gewerbe und private Haus- dem Atomausstiegsentscheid des Bundesrats nach Fu- halte weiterhin im Monopol verblieben, sorgte aber für kushima vom Juni 2011 bedrohlich nah gekommen war, ungleichlange Spiesse: Die Axpo fungiert seit jeher als war Urs Gasche und seiner CEO Suzanne Thoma schlicht Produzentin und Grosshändlerin und liefert im Gegen- zu gross. Bis 2019 blieb eine angemessene Frist, sich auf satz zur BKW keinen Strom an private Haushalte. die Stilllegung vorzubereiten. Seit 2009 muss sie den von ihr produzierten Strom zu Marktpreisen an der europäischen Börse verkaufen. Vor Fukushima wollte die Axpo-Konzernleitung die Indessen verkauft die BKW weiterhin auch im Monopol beiden Altreaktoren von Beznau noch durch ein neues, und kann die vollen Produktionskosten plus Gewinn- modernes AKW ersetzen. marge verrechnen. Im Falle Mühleberg erlaubte ihr dies, wenigstens einen Teil der Kosten für Rückbau und Entsorgung auf die Kundschaft abzuwälzen. Das ist ge- wichtig, denn ab 2013 lagen die werkspezifischen Pro- Bei der Axpo wiederum gesellte sich 2015 zum Unglück duktionskosten in Mühleberg oder Beznau zeitweise des falschen Investitionsentscheids noch das Pech hin- über dem Doppelten des europäischen Börsenpreises. zu: Im Reaktordruckbehälter (RDB) – dem Herzstück Und noch heute ist wenig wahrscheinlich, dass der der Anlage – wurden Einschlüsse von Aluminiumoxid Strompreis langfristig ein Niveau erreicht, um Beznau gefunden. Ein weltweit neuartiges Phänomen, das zu profitabel zu machen. einem Stillstand von einem halben Jahr (Beznau II) bzw. drei Jahren (Beznau I) führte. Der Sicherheitsnachweis Dass Beznau trotzdem weiterläuft, liegt an den geschil- (vgl. Artikel S. 10) kostete die Axpo zusammen mit den derten Investitionen – und den hohen Fixkosten von durch den langen Stillstand entgangenen Einnahmen Atomkraftwerken, den «ohnehin-Kosten». Denn un aus dem Stromverkauf rund 350 Millionen Franken. abhängig davon, ob ein AKW Strom produziert oder Insgesamt investierte die Axpo somit in den letzten nicht: Es braucht viel Personal, um die Sicherheit zu 6 Energie & Umwelt 4/2019
gewährleisten. Die Brennstäbe müssen gekühlt und die siert sind, wird nach deren Ausserbetriebnahme kaum Anlage gewartet werden. So gesehen «lohnt» sich für mehr zusätzliches Geld einzutreiben sein. Dass aus die Axpo die Stromproduktion in Beznau sogar dann, gerechnet die Axpo die grössten Anteile an diesen bei- wenn sie damit praktisch nichts mehr verdient. Die den AKW besitzt (40 % bzw. 53 %), macht die Sache Axpo spricht dann von «positiven Deckungsbeiträgen» nicht besser. für Ausgaben, die sie ohnehin hat. Gut möglich, dass der Stilllegungsentscheid für Beznau Mit der Stilllegung verschärft sich diese Situation. In dereinst den Anfang für einen politischen Deal bildet, der sogenannten «Nachbetriebsphase» müssen die wie er auch in Deutschland nach Fukushima geschlossen Brennstäbe in der Anlage weitergekühlt werden, bis wurde. Dabei kauften sich die AKW-Betreiber mit einer keine spontane Kettenreaktion mehr auftreten kann. Einmalzahlung ein für allemal von künftigen Entsor- Bei Mühleberg dauert das fünf Jahre. Während dieser gungskosten frei. Die Axpo hat sich für diesen Verhand- Zeit müssen viele Prozesse im Kraftwerk aufrechterhal- lungspoker gewappnet: Eine Aufspaltung in «Axpo ten werden – einfach ohne dass Strom produziert und Power» und «Axpo Solutions» kann innerhalb eines damit Geld verdient wird. Der Rückbau des Reaktors Jahres vollzogen werden. Explodieren dereinst die Ent- beginnt erst danach. sorgungskosten, werden die lukrativen Unternehmens teile – welche Ironie: unter anderem die lange Zeit ge An sich wäre vorgesorgt. Beim Bund müssen AKW-Be- ächteten Erneuerbaren – nicht mehr in den Abgrund treiberinnen für die Stilllegung und Entsorgung der gerissen. Die SteuerzahlerInnen dürfen übernehmen. radioaktiven Abfälle seit zwanzig Jahren Geld an sparen. Einzige Ausnahme: Den Nachbetrieb müssen die Konzerne direkt aus dem eigenen Portemonnaie Die Führungsriege der Axpo war lange Zeit so von der berappen. Bei Mühleberg macht das rund 400 Millionen Atomkraft überzeugt, dass sie keine Kosten scheute und Franken aus. Urs Gasche bezeichnete den Nachbetrieb sich damit hoffnungslos verspekulierte. deshalb als «die teuerste Phase» der Stilllegung. Die Stilllegung wird damit zum Paradoxon: Der Konzern muss sie sich erst einmal leisten können. Augen zu und durch Hoffen auf Plan B(evölkerung) Sämtliche betriebswirtschaftlichen Anreize motivie- Das Paradoxon verschärft sich weiter mit Blick auf die ren die Axpo, die Stilllegung nicht nur von Beznau, Unternehmensbilanzen der AKW-Betreiberinnen. Dort sondern auch von Gösgen und Leibstadt hinauszuzö- sind die hiesigen AKW trotz hohen Alters noch mit Sach- gern. Entweder, weil die Axpo-Spitze hofft, dann wirt- werten in Milliardenhöhe verbucht. Sollen sie innert schaftlich gesunder dazustehen als heute. Oder weil die weniger Jahre abgeschrieben werden, braucht es Einnah- Chancen weiter steigen, dass die Bevölkerung Teile der men, die gerade im Falle der Axpo in den letzten Jahren Kosten übernimmt. Die BKW hat gut gepokert und so- beinahe überall ausblieben. Das Eigenkapital schrumpf- lange es irgendwie ging Investitionen ins alt und rissig te in drei Jahren von über 8 auf knapp 5 Milliarden Fran- gewordene AKW Mühleberg hinausgeschoben. Die Füh- ken. Eine weitere kostenintensive Baustelle wollte und rungsriege der Axpo war derweil lange Zeit so von der konnte sich die Konzernspitze nicht leisten. Atomkraft überzeugt, dass sie keine Kosten scheute und sich damit hoffnungslos verspekulierte. Ein offenes Kapitel bleiben zudem die langfristig an fallenden Entsorgungskosten. Solange die Axpo mit Doch dieses betriebswirtschaftliche Primat des schweize Beznau Deckungsbeiträge erwirtschaftet und damit die rischen Atomausstiegs wird den Gefahren der hiesigen beim Bund fälligen Beiträge bezahlen kann, hält sie Altreaktoren nicht gerecht. Selbst wenn die Axpo mit das Vertrauen aufrecht, diese Kosten vollumfänglich ihren Investitionen die Sicherheit in Beznau punktuell tragen zu können. Mit der Ausserbetriebnahme von verbessert hat: Struktur und Design des AKW bleiben un Beznau wird sich dies schlagartig ändern. Steigen dann genügend. Je älter das Kraftwerk wird, umso schwieriger die Kostenprognosen für die Entsorgung der radioakti- wird es, die Wechselwirkungen zwischen bekannten ven Abfälle weiter an – was sie in der Vergangenheit und unbekannten Mängeln korrekt einzuschätzen. verlässlich taten –, muss die Axpo diese Mehrkosten plötzlich aus den nicht-nuklearen Geschäftsbereichen 2016 hat die Politik die Augen verschlossen und die Ver- berappen. Das latente Risiko ungedeckter Mehrkosten antwortung für den Atomausstieg voll und ganz der kann schnell zum Klumpfuss werden. Denn die Bewer- 150-köpfigen Belegschaft der Atomaufsicht aufgeladen, tung des Unternehmens ist das A und O, wenn es darum die sich seither alleine gegen die Milliardeninteressen von geht, Kredite und Garantien zu erhalten, die für das Axpo und Co. durchsetzen soll. Damit ist das wirtschaft- tägliche Geschäft unerlässlich sind. liche Wohlergehen der Axpo zum dominierenden Faktor für die weitere Entwicklung geworden. Doch d iese hat Zwar werden nach Beznau noch die grösseren und jün- gar nicht den Spielraum für einen Befreiungsschlag. Die geren AKW Gösgen und Leibstadt vom Netz gehen. Doch grosse Frage ist, wann dies die Politik anerkennt und die da diese jeweils als Aktiengesellschaften mit wenig Sicherheit unseres Landes nicht mehr einzig den Jahres- Eigenkapital und verschiedenen Eigentümern organi- ergebnissen der Axpo unterordnet. < Energie & Umwelt 4/2019 7
Energie aktuell > CO2-Gesetz: Stand der Dinge > Energiestrategie: neue Ziele braucht das Land © Parlamentsdienste 3003 Bern © BFE fb. Seit Januar 2018 beschäftigt sich das Schweizer Par- fn. Wer den jüngsten Monitoring-Bericht des Bundes- lament mit dem neuen CO2-Gesetz für die zukünftige amts für Energie (BFE) zur Energiestrategie 2050 liest, Klima- und Energiepolitik zwischen 2021 und 2030. kriegt das Gefühl, die Schweiz sei gut unterwegs. Die Nächste Etappe: In der Frühlingssession 2020 berät der Richtwerte für den Ausbau der erneuerbaren Energien Nationalrat das CO2-Gesetz. Kommt das Referendum und für den Verbrauch von Energie für das Jahr 2020 der SVP wie angekündigt zu Stande, käme es frühestens werden problemlos erreicht. Längerfristig brauche es im Herbst 2020 zur Abstimmung. Als Erstrat hat der mehr Anstrengungen, räumt das BFE ein. Um die Richt- Ständerat Massnahmen vorgeschlagen mit dem Ziel, werte für das Jahr 2035 zu erreichen, muss das Tempo den Ausstoss bis 2030 zu halbieren, sodass man 2050 leicht gesteigert werden. Die Krux: Mit den Ausbauzie- auf Null ist. Dieser Vorschlag enthält schärfere Massnah- len für erneuerbare Energien bis 2035 wird gerade mal men, als sie der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen die Hälfte des Atomstroms ersetzt. Es ist aber höchste hatte. Doch will die Schweiz bis 2050 Netto-Null-Emis- Zeit, endlich realistische Ziele, die mit den Heraus sionen erreichen und damit die Ziele des Pariser Klima- forderungen des Klimawandels kompatibel sind, zu abkommens einhalten, muss im CO2-Gesetz ein deut- setzen. Die SES fordert eine vollständig erneuerbare lich höheres Inlandziel bis 2030 verankert werden. Energieversorgung. Siehe auch S. 16 / 17. > Die Gletscher-Initiative ist eingereicht > Strommarkt: flankierende Massnahmen nötig © zVg © zVg fb. Die SES hat zusammen mit vielen weiteren Unterstüt- fn. Ex-Bundesrätin Doris Leuthard wollte der Strom- zerInnen am 27. November 2019 die Gletscher-Initiative branche mit der Vorlage zur vollen Liberalisierung des bei der Bundeskanzlei eingereicht. Nach nur 7 Monaten Strommarkts ein Abschiedsgeschenk machen. In der haben mehr als 112'000 Bürgerinnen und Bürger die Vernehmlassung kam allerdings von vielen Seiten – Initiative unterschrieben. auch von der SES – die Rückmeldung, dass eine Öff- Das schnelle Zustandekommen zeigt den Wunsch der nung ohne flankierende Massnahmen für den Ausbau Bevölkerung, mehr für den Klimaschutz zu tun. Die Ini erneuerbarer Energien nicht akzeptabel ist. tiative ist nötig, weil die bisherige Politik den Verpflich- tungen von Paris nicht genügend Rechnung trägt. Mit Dem trägt der Bundesrat jetzt Rechnung, indem er der Initiative sollen der Klimaschutz und die Zielsetzun- Ende September die neue Departementsvorsteherin des gen von Paris in der Verfassung verankert und die Treib- UVEK, Simonetta Sommaruga, beauftragt, eine Revi hausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Null ge- sion des Energiegesetzes auszuarbeiten. Parallel zur senkt werden. Ab dann dürften keine fossilen Brenn- Liberalisierung sollen die Investitionsanreize in er und Treibstoffe mehr verbrannt werden. Nun muss sich neuerbare Energien verbessert werden, nicht zuletzt, der Bundesrat mit der Initiative befassen. um die Versorgungssicherheit zu stärken. Die SES wird die Vorlage unter die Lupe nehmen und Verbesserungs- » www.gletscher-initiative.ch vorschläge einbringen. 8 Energie & Umwelt 4/2019
> Einspeisevergütung frühzeitig abgeschafft > Grossbank EIB steigt aus fossilen Energien aus © CC Palauenc05 © zVg fn. Das Bundesamt für Energie (BFE) hat am 22. Oktober sb. Im November 2019 hat die Europäische Investitions- mitgeteilt, dass Photovoltaikanlagen bis Ende 2020 end- bank (EIB), die zu den grössten Banken der Welt gehört, lich weniger als ein Jahr auf zugesicherte Einmalver entschieden, keine Investitionen in fossile Energien mehr gütungen warten müssen. Das ist zwar immer noch zu zu tätigen. Bisher unterstützte sie z.B. die Gasindustrie, lang, aber eine deutliche Verbesserung. Weiter steht in was sie künftig nicht mehr tun wird. Dafür versprach sie, der Mitteilung, dass das BFE das Einspeisevergütungs in den nächsten 10 Jahren 1 Billion Euro für Klimaschutz system mit einer letzten Freigabe im Juli 2020 abschafft. und ökologische Nachhaltigkeit aufzuwenden. Investiti- Das Gesetz sieht vor, dass es per Ende 2022 ausläuft onen in Atomkraft wird sie nicht ausbauen, nachdem (EnG Art. 38 Abs. 1). Auf der Warteliste wären nur noch diskutiert wurde, ob sie als Lösung gegen den Klimawan- wenige Projekte gewesen, es wären also neue, innovative del zu sehen ist. Projekte möglich geworden, die sich mit einer Einmal- Praktisch gleichzeitig veröffentlichte die Ratingagen- vergütung nicht finanzieren können. Dank stark ge tur Standard & Poors eine Einschätzung zur westlichen sunkener Vergütungssätze hätten diese den Netzzu Atomindustrie und stellte ihr ein schlechtes Zeugnis schlagsfonds wenig belastet. Diese Chance will das BFE aus. Wirtschaftlich sei sie wenig lukrativ und dürfte offenbar nicht nutzen. längerfristig keine Erneuerung erleben. > Mehr Geräte, weniger Stromverbrauch > Stilllegung AKW Fessenheim © SES © CC Florival fr fn. Von 2002 bis 2018 hat die Anzahl Elektrogeräte von sb. Nach jahrelangem Ringen um die Stilllegung des 35 auf 47 Mio. Stück zugenommen. Der Stromverbrauch AKW Fessenheim hat sich nun die französische Re dieser Geräte habe im selben Zeitraum aber um 11,8 % gierung doch noch entschieden und nimmt es bis Mit- auf 6,8 TWh abgenommen, heisst es in einer Mitteilung te 2020 vom Netz. Lange wurde argumentiert, dass des Bundesamts für Energie (BFE) von Ende November. Fessenheim erst abgeschaltet werden kann, wenn das Bei den IT-, Büro- und Unterhaltungselektronikgeräten neue Atomkraftwerk Flamanville III am Ärmelkanal sind die Effizienzgewinne doppelt so gross wie bei Strom liefert. Dessen kommerzielle Inbetriebnahme Haushaltgrossgeräten. In der Statistik nicht enthalten verzögert sich nach neuen Konstruktionsfehlern noch- ist die graue Energie, die bei der Herstellung der Geräte mals um mindestens 2 Jahre. anfällt. Diese macht insbesondere bei Unterhaltungs- elektronik viel aus: Für die Herstellung eines Smart Für den Trinationalen Atomschutzverband TRAS, der phones werden 220 kWh benötigt, im Betrieb nur rund von vielen schweizerischen, französischen und deut- 1 kWh pro Jahr. Bei elektronischen Geräten lohnt es schen Gemeinden unterstützt wird, ist dies eine grosse sich, sie möglichst lange zu verwenden und beim Kauf Genugtuung. Schon lange setzen sich diese für die auf Langlebigkeit und Reparierbarkeit zu achten. Schliessung des ältesten AKW Frankreichs ein und se- hen sich nun bald am Ziel. » Siehe www.energiestiftung.ch/graue-energie.html Energie & Umwelt 4/2019 9
AKW-Sicherheit Öko-Institut zweifelt am Sicherheitsnachweis zum AKW Beznau I Die Axpo plant, das älteste AKW der Schweiz 60 Jahre lang zu betreiben. Dabei stand Reaktor 1 des AKW Beznau jüngst noch wegen Sicherheitsbedenken ganze drei Jahre lang still. Nun kommen neue Zweifel an der Sicherheit des Alt-Reaktors auf. Von Simon Banholzer Leiter Fachbereich Atomenergie Reaktordruckbehälter (RDB) in Beznau Grafik: Scriptum; Quellen: ENSI, Axpo, NZZ, Blick Beznau I war drei Jahre lang vom Netz, weil 2015 in der wichtigsten Anomalien, Materialfehler, Komponente überhaupt – dem Schwachstellen Reaktordruckbehälter (RDB) – mit 5–6 mm Hunderte von Materialfehlern ent- Durchmesser deckt wurden. Die Axpo hat im Oberer Kernring publizierten Bericht zum Wieder Stutzenring Primärwasser- anfahren erklärt, dass es sich Kreislauf um Aluminiumoxid-Einschlüsse handle, die keine negativen Einflüsse auf die Sicher- Reaktordruck 8.70 m heit des Reaktors hätten. Die SES und Greenpeace behälter Schweiz haben versucht, Einsicht in den Sicherheits- Stahl nachweis der Axpo zu erlangen – bislang ohne Erfolg. 15 cm Daher wurde das unabhängige Öko-Institut beauftragt, Brennstäbe den Axpo-Sicherheitsnachweis zu analysieren. Das Gutachten zweifelt den Sicherheitsnachweis an, den 3.70 m die Atomaufsicht ENSI akzeptiert hat. Das Öko-Institut kommt zum Schluss, dass die von der Axpo angewand- ten Methoden wissenschaftlichen Standards widerspre- Im Reaktordruckbehälter von Beznau I wurden aufgrund von Ultraschall chen und von keinem internationalen Reglement an- messungen im Stutzenring 119 und im oberen Kernring insgesamt erkannt sind (siehe Interview nebenan). < 830 Anomalien, sprich Materialfehler und Schwachstellen, festgestellt. Petition gegen den fragwürdigen und gefährlichen Weiterbetrieb des AKW Beznau! Sehr geehrte Frau Amherd, sehr geehrte Frau Sommaruga Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrats Mit grosser Sorge haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Entscheid, das AKW Beznau I wieder ans Netz gehen zu lassen, nicht auf wissenschaft- lich anerkannten Grundsätzen beruht. Damit der Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist, bitten wir Sie dringend, das AKW Beznau I so lange vom Netz zu nehmen, bis der notwendige Sicherheitsnachweis nach wissenschaftlichen Kriterien erbracht ist. Besten Dank und freundliche Grüsse Jetzt unterschreiben! Einfach den QR-code mit ihrem Mobiltelefon einlesen oder über folgenden Link im Internet teilnehmen: www.energiestiftung.ch/beznau-petition.html 10 Energie & Umwelt 4/2019
Interview miT Simone Mohr, Spezialistin für Nukleartechnik und Reaktorsicherheit «Offenbar traut das ENSI dem Sicherheitsnachweis der Axpo doch nicht vollständig» E&U: Simone Mohr, Sie waren massgeblich Des Weiteren wurde die Replika nicht den wirklich ausserge- am Gutachten des Öko-Instituts beteiligt: wöhnlichen betrieblichen Belastungen wie der Ring C ausge- Was kritisieren Sie am meisten am Sicher- setzt. Der Reaktordruckbehälter versprödete 50 Jahre lang heitsnachweis der Axpo? aufgrund der radioaktiven Bestrahlung und war hohen mecha- Bereits 2011 zeigten Untersuchungsergeb- nischen und thermischen Belastungen ausgesetzt. Dadurch nisse zum Ring C des RDB von Beznau I eine ist die Bildung von Mikrorissen im Bereich der Einschlüsse so unerwartet hohe Versprödung, dass der nicht auszuschliessen. Diese wären im Ultraschall nicht sicht- Sicherheitsnachweis nur unter Einschrän- bar. Wenn die Ultraschallbilder von Replika und Ring C ähnlich kung von Sicherheitsmargen führbar war. sind, heisst das somit noch nicht, dass man von gleichen Mate- Schon damals musste das ENSI ein neues rialeigenschaften ausgehen kann. Verfahren einführen, das weniger konservativ als das alte ist, also eine erste Einschränkung E&U: Hätte es andere Methoden gegeben, um die Sicherheit von Sicherheitsmargen. von Beznau I zu überprüfen? Nein, man hätte sich eingestehen sollen, dass man bei einer Als dann 2015 die Materialfehler ausgerechnet im stark versprö- so alten Anlage die Sicherheitsmargen nicht beliebig weit aus- deten Ring C entdeckt wurden, musste der Reaktor ausser Be- reizen sollte. trieb genommen werden. Es war klar, dass die Sicherheit des Reaktors nur noch nachzuweisen war, wenn diese Materialfehler E&U: Das ENSI hat ein internationales Expertengremium ein- keinerlei negativen Einfluss auf die Materialeigenschaften ha- berufen, um die Ergebnisse der Axpo zu bewerten. Konnte ben. Für diesen Nachweis benötigt man Originalproben des Axpo die internationalen Experten restlos überzeugen? Rings C, die gleichartige Einschlüsse aufweisen und im Reaktor Dazu liegen uns keine direkten Informationen vor. Allerdings bestrahlt wurden. Axpo hat bis heute keine derartigen Material- äussern sich die sieben Experten des internationalen Review proben. Deshalb stand der Reaktor drei Jahre still. Panels IRP in ihrer Stellungnahme teilweise unverbindlich. Sie hatten offenbar nur eingeschränkten Zugang zu den Untersu- E&U: Axpo hat einen Teil des Reaktordruckbehälters, ein chungen und ihre zeitliche Einbindung in die sehr komplexe Replikat des Rings C, nachbauen lassen: Wurde so was schon Nachweisführung war möglicherweise nicht ausreichend. einmal gemacht? Welchen Nutzen erhoffte man sich davon? Statt zu akzeptieren, dass man keine für den Ring C repräsen- E&U: Hat das ENSI Nachkontrollen oder Ähnliches angekün- tativen Materialproben hatte, kam die Axpo auf die Notlösung, digt, um die Situation angemessen zu überwachen? eine Replika des Rings C herzustellen, vor allem mit den glei- Das ENSI fordert 2022 eine Nachkontrolle bestimmter Materi- chen Materialfehlern – als Ersatz für Originalproben. Anders alfehler per Ultraschall am Ring C, vermutlich um zu belegen, als beim Originalring C konnte man der Replika Materialpro- dass sich diese nicht verändern. Offenbar traut das ENSI dem ben entnehmen, um sie zu untersuchen und die Unbedenklich- Sicherheitsnachweis der Axpo doch nicht vollständig. keit der Materialfehler zu belegen. E&U: Was müsste aus Ihrer Sicht nun geschehen? Eine derartige Vorgehensweise zum Nachweis, dass der Re- Das ENSI sollte überlegen, ob ein Weiterbetrieb von Beznau I aktor bei einem Störfall mit Notkühlung keinen Bruch erleidet, noch zu verantworten ist, wenn man die sicherheitstechnischen ist hiermit erstmalig weltweit durchgeführt worden. Und ge- Risiken für die potenziell betroffene Bevölkerung und die Wirt- nau hierin liegt das Problem, denn bei bestrahlten Reaktor- schaftsstrukturen in den umliegenden Ländern berücksichtigt. druckbehältern ist diese Methode nicht durch internationale Reglemente anerkannt. Die hohen Qualitätsanforderungen, Simone Mohr ist Senior Researcher Nukleartechnik & die bei einem RDB anzuwenden sind, verlangen aber aus- Anlagensicherheit beim Öko-Institut e.V. und Mitglied im schliesslich den Einsatz erprobter Verfahren. Ausschuss Reaktorbetrieb der Reaktor-Sicherheitskommissi- on des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau E&U: Wie unterscheidet sich eine Replika vom Original? und Reaktorsicherheit (BMUB) in Deutschland. Mit der Replika hat man versucht, das gleiche Material mit Her- stellungsfehlern zu erzeugen wie vor mehr als 50 Jahren beim Ring C. Allerdings waren zum einen die Dokumentationsunter- lagen des aufwendigen und langwierigen Herstellungspro zesses des Rings C nicht vollständig vorhanden, zum anderen kann man in einer modernen Giesserei nicht exakt gleiche Randbedingungen unterstellen wie 1965. Axpo musste da schon etwas nachhelfen, um das gewünschte Ergebnis zu Download des Gutachtens: erzielen. www.energiestiftung.ch/studien.html Energie & Umwelt 4/2019 11
Stilllegung & Rückbau AKW Mühleberg: Einstieg in den Atomausstieg? Am 20. Dezember 2019 geht mit dem AKW Mühleberg das erste Schweizer Atomkraftwerk vom Netz. Doch langjährige Bewegte und Engagierte sehen nur beschränkt Grund zum Jubeln. AKW-KritikerInnen ziehen eine persönliche Bilanz. « Der Tag nach der Stilllegung ist der Tag vor der nächsten Stilllegung » Jürg Joss Der Automationstechniker Jürg Joss, Präsident von Fokus Anti-Atom, hat in seinem langjährigen Engagement gegen das AKW Mühleberg zahlreiche technische Berichte analysiert, Rechtsverfahren geführt und an unzähligen Demonstrationen teilgenommen. «Als ich im Jahr der Tschernobyl-Katastrophe stellten kritische Fragen, erregten Aufmerk Mit Einsprachen, Stellungnahmen, Behör als Mess-Steuer-Regelungstechniker im AKW samkeit und bewirkten die spätere Ausserbe denkorrespondenz, Infoblättern und unserer Leibstadt arbeitete und dort bei der Arbeit triebnahme-Verordnung. Darin hat das UVEK Website machten wir immer schon auf die kontaminiert wurde, hatte dies zwar medizi die Kriterien definiert, die zu einer vorläufigen Risiken aller Schweizer AKW aufmerksam. Als nisch keine Folgen für mich, aber es änderte Ausserbetriebnahme von AKW führen. die BKW die Waffen streckte und die Abschal meine Sicht auf die Atomtechnologie. Ich be tung des AKW Mühleberg ankündete, freute gann energietechnische Zusammenhänge zu 2003 wurde aus der AMüs der neue Verein ich mich, obwohl ich gleichentags feststellte, hinterfragen. 1989 kaufte ich auf der Strasse «Fokus Anti-Atom», dessen Präsident ich heu dass das AKW trotzdem noch weitere 6 Jahre ein Infoblatt der «Aktion Mühleberg stilllegen te bin. Nach dem Fukushima-GAU waren wir weiterlaufen wird. Dass Mühleberg Ende die – AMüs», welcher ich kurz darauf beitrat. Ich als atomkritische Techniker gefragt und hatten ses Jahres ausser Betrieb genommen wird, erkannte, dass sich in der AMüs AktivistInnen in den ersten sechs Monaten beinahe jede ist dem jahrelangen Druck der Berner Anti- mit viel Wissen in Atomfragen treffen. Ich Woche einen Medienauftritt. Zugleich leitete AKW-B ewegung zu verdanken. Jedoch ist es konnte der technischen Diskussion gut folgen, ich den «Verein Mühleberg Ver-fahren», der für mich kein Tag zum Feiern. Im Ab die politische Arbeit aber musste ich noch das Ziel hatte, dem AKW Mühleberg juristisch schalt-Rummel, den die BKW veranstaltet, erlernen. den Garaus zu machen. Im Trio mit dem Physi geht unter, dass der Atomausstieg noch lange ker Jürg Aerni und dem Juristen Rainer Weibel nicht Tatsache ist. Die AKW Leibstadt, Gösgen Schon bald aber reichte ich meine erste Ein arbeiteten wir Nächte hindurch und verfass und Beznau laufen still weiter, obwohl auch sprache gegen ein Atommüll-Aufbereitungs ten mehrere hundert Seiten lange Eingaben. diese mit Altersgebrechen und Konstruktions gebäude im AKW Mühleberg ein und ich wagte mängeln zu kämpfen haben. es, an einer BKW-Generalversammlung auf In einem Verfahren unterlagen wir vor Bundes zutreten. Später nahm ich mit AMüs an Fach gericht, in einem weiteren erhielten wir Recht. Ich freue mich auf die Stilllegung des dereinst gesprächen mit der HSK (der heutigen Atom Jedoch auferlegte uns das Bundesgericht in letzten Schweizer AKW! Bis dahin gibt es noch aufsicht ENSI) und der KSA (der heutigen Kom noch nie dagewesener Art Verfahrenskosten viel zu tun: Der Tag nach der Stilllegung ist der mission für Nukleare Sicherheit KNS) teil. Wir von bis zu 200'000 Franken – kein Klacks! Tag vor der nächsten Stilllegung!» « Das Resultat jahrzehntelanger, harter Arbeit » Regula Rytz Die Präsidentin der Grünen Partei Schweiz hat in den 1990er-Jahren mit dem Grünen Bündnis Bern unzählige Demos und Aktionen gegen Mühleberg angestossen und organisiert. 2008 hat sie als Mitglied der Berner Stadtregierung eine offizielle Einsprache gegen die Verlängerung der Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg ausgelöst. «Ich freue mich, dass das AKW Mühleberg position auf der Strasse, in den Parlamenten Schweiz laufen noch vier Reaktoren weiter. endlich vom Netz geht und zurückgebaut wird. und an den Wahlurnen, um dieses Ziel zu er Für ihre Stilllegung und die Energiewende Aber es ist für mich kein Weihnachtsgeschenk, reichen. Leider mussten auch zwei schlimme müssen wir uns also weiterhin mit Leiden sondern das Resultat von harter Arbeit. Es Atomkatastrophen passieren, deren Folgen schaft, Hartnäckigkeit und Ausdauer enga brauchte mehr als 30 Jahre hartnäckige Op bis heute nicht bewältigt sind. Und allein in der gieren.» 12 Energie & Umwelt 4/2019
« Das Ende einer hochrisikoreichen und extrem teuren Energieproduktion » Franziska Herren Zusammen mit Walter Kummer hat Franziska Herren die Initiative «Mühleberg vom Netz» lanciert, 15'000 Unterschriften gesammelt und zur Abstimmung gebracht. Die Ablehnung der Initiative im Mai 2014 – bei 36,7 % Ja-Stimmen – ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die BKW kurz davor die Stilllegung des AKW Mühleberg auf 2019 angekündigt hat. «Am 20.Dezember 2019 geht das AKW Mühle mit dem AKW Mühleberg angehäuft haben. in Zukunft nur noch Technologien eingesetzt berg vom Netz. Es ist das Ende einer hochrisi Diese Hypothek zu beseitigen dauert um eini werden, bei denen von Beginn an die Entsor koreichen und extrem teuren Energieproduk ges länger, als das AKW Mühleberg in Betrieb gung gelöst ist. Dies zum Wohle aller Erdbe tion im Kanton Bern und der Beginn der Ent war und wird die kommenden Generationen wohner.» sorgung und Lagerung des Atommülls, den wir weiterhin beschäftigen. Es ist zu hoffen, dass « … bis das letzte AKW abgeschaltet ist » Markus Kühni Der Informatiker und Betreiber der Website energisch.ch hat in Eigenregie fundierte Gutachten zur Risikoanalyse des AKW Mühleberg erstellt. Mit Hilfe verschiedener Umweltorganisationen (einschliesslich der SES) hat Kühni an mehreren Rechtsverfahren mitgewirkt, welche sich gegen die zu lasche Aufsichtspraxis des ENSI richten. «Es gab schon vor mir sehr engagierte Kritiker rüstungen in dreistelliger Millionenhöhe ver Erfolgs abschneiden darf, bin ich nun doch des AKW Mühleberg. Zeitweise haben wir zu langt wurden, u.a. eine zweite, von der Aare zufrieden. sammengearbeitet. Ich bin schon der Mei unabhängige Wärmesenke, welche Organisa nung, dass der langjährige Druck dieser hart tionen wie AMüs oder Fokus Anti-Atom schon Leider gibt es neben Mühleberg auch noch die näckig sachlich-fachtechnisch und rechtlich seit Jahrzehnten gefordert hatten. Der gravie anderen alten AKW, allen voran das marode operierenden Organisationen einiges zum rende Missstand liess sich nach Fukushima AKW Beznau. Auch dieses beschäftigt mich Entscheid der BKW beigetragen hat, nun das nicht mehr wegdiskutieren oder weiter ver noch, indem ich dort als Fachexperte bei ei AKW stillzulegen. schleppen. Bei der Aufrechterhaltung dieses nem weiteren Rechtsverfahren mitwirke. Das Dieser Entscheid war ökonomisch, ja, aber er Drucks konnte ich am Schluss mitwirken und Thema ist für mich nicht erledigt, bis das letz kam nur darum zu Stande, weil endlich Nach wenn ich mir dafür ein kleines Scheibchen des te AKW abgeschaltet ist.» « Ich bin zuversichtlich, dass die übrigen AKW bald vom Netz gehen werden » Anne-Cécile Reimann Die Präsidentin der Westschweizer Organisation ContrAtom engagiert sich seit 1985 gegen die Atomkraft und organisiert nach wie vor regelmässig Anti-AKW-Demonstrationen in Genf. «Mein erster Gedanke zum Stilllegungsent her finanziell davon profitiert, dass sie trotz Atomkraft in der Schweiz anbelangt, so bin ich scheid der BKW war: Genial, sie machen wei der langen Mängelliste beim AKW Mühleberg zuversichtlich, dass auch die übrigen AKW terhin nichts. Denn das AKW Mühleberg wurde die teuren sicherheitstechnischen Nachrüs bald vom Netz gehen werden – nicht zum 1972 für eine Laufzeit von 30 Jahren in Betrieb tungen nicht umsetzen musste. Wir haben Schutz der Bevölkerung, sondern aus Gründen genommen. Eigentlich hätte das AKW 2002 wirklich Glück, dass bis heute kein grösserer der fehlenden Rentabilität.» abgestellt werden müssen. Die BKW hat seit Vorfall stattgefunden hat. Was die Zukunft der Energie & Umwelt 4/2019 13
Der SES-Atomreport Angeschlagene Atomlobby träumt von Revival Wegen der Klimaerwärmung träumen Atomfreunde von einem Revival der «klimafreundlichen» Atomkraft. Manche fordern sogar den Bau neuer AKW in der Schweiz. Doch wie stark ist die Atomlobby noch? Von Daniel Bütler* Magazin» der Tamedia AG forderte Ex-BFE-Direktor Edu- Freier Journalist ard Kiener gar den Ausstieg vom Atomausstieg. Die Mitarbeitenden im Atomkraftwerk Gösgen pfeifen Steckenpferd Klimaschutz in den Gängen. Die Stimmung ist prächtig am Medien- Die Atomfreunde haben ein neues Argument gefunden: tag des Nuklearforums. Der Leiter des Rundgangs, ein den Klimaschutz. Sie berufen sich auf Prominente wie sympathischer AKW-Mitarbeiter, sagt zum Abschied: Bill Gates, den Harvard-Professor Steven Pinker, die In- «Macht ruhig etwas Werbung für uns, dann haben wir ternationale Energieagentur IEA und stilisieren den Welt noch mehr Besucher.» Dabei sind die Tage des 40-jähri- klimarat IPCC und die Ikone der Klimabewegung, Greta gen AKW doch gezählt. Oder nicht? Thunberg, zu AtombefürworterInnen hoch. Und tat- sächlich: Das «Climate Washing» funktioniert. «Die Dis Schlagzeilen wie «Atomkraft, ja gerne» oder «Atomlobby kussionen über die Klimapolitik scheinen die Wahrneh wittert Morgenluft» lassen auf horchen. In den letzten mung der Kernenergie in der Bevölkerung als CO2-emis- Monaten erschienen in wichtigen Schweizer Medien sionsarme Technologie verstärkt zu haben», kommen- Beiträge, die sich für die Atomkraft aussprachen. Die tierte der Verband swissnuclear seine neuste Demoscope- Botschaft: Angesichts der Klimaerwärmung sei es ein Umfrage. Das Ergebnis war wie üblich: Eine Mehrheit schwerer Fehler, auf AKW zu verzichten, da sie kaum der Bevölkerung befürwortet die Atomenergie. Treibhausgase emittierten. Die nötige CO2-Reduktion sei nur mit Atomenergie zu schaffen. In der «SonntagsZei- Auch die grossen Energiefirmen sprin gen auf den tung» forderte FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler, man Klima-Zug auf. Einen kleinen Coup landete die Axpo. müsse «ernsthaft über die Auf hebung des Kernkraftver- Sie schaltete die Website klimawahl.ch auf! Laut bots und den Einstieg in neue Kernkrafttechnologien «Handelszeitung» hatte Greenpeace die Domain mit nachdenken». Die FDP-Nationalräte Bruno Pezzatti und dem aktuellen Wahlslogan der Grünen aufgegeben. Christian Wasserfallen doppelten nach. Und im «Das Zwar kommen auf klimawahl.ch kontroverse Stimmen 14 Energie & Umwelt 4/2019
zu Wort. Doch ist die Eigenwerbung unübersehbar: In Eltern Irene und Simon, beide Physiker, kämpfen seit der Axpo-Sprache wird das überalterte AKW Beznau Jahrzehnten für die Atomenergie. Irene Aegerter war zum «Klimakraftwerk». Chefin der «Women in Nuclear». Vereint engagierten sich die «Atom-Aegerters» gegen die Energiestrategie Zwar ist die traditionelle Atomlobby am Darben. Wich- 2050 und das AKW-Verbot. tige Organisationen wie AVES oder swisselectric (siehe Infobox S. 16 + 17) sind untergegangen. Doch in der er- Ausstieg aus dem Atomausstieg? hitzten Klimadebatte ist der beschlossene Atomausstieg Doch geistert das totgeglaubte Atom-Gespenst tatsäch- nicht mehr tabu. So sprach sich anlässlich einer partei- lich noch durch die Schweiz? «Dass das Rahmenbe internen Umweltbefragung eine Mehrheit der FDP-Mit- willigungsverbot für AKW aufgehoben wird, halte ich glieder für den Neubau von AKW aus – wobei nur 30 % derzeit für chancenlos», sagt selbst FDP-Nationalrat der Teilnehmenden diese Frage beantwortet haben. Christian Wasserfallen. Eine neue Pro-Atom-Bewegung «Die Botschaft der Basis ist klar: Wir wollen saubere im Zeichen des Klimaschutzes sehe er nicht. SVP-Natio Energie, deshalb wollen wir auch ein Comeback der nalrat Lukas Reimann meint ebenfalls: «Eine Atom Atomkraft», sagte Hans-Ulrich Bigler, als Präsident des lobby spüre ich nicht im Bundeshaus. Sehr präsent sind Nuklearforums Schweiz der Cheflobbyist der Atom- aber die grossen Energiefirmen.» branche, laut «nau.ch». Die Forderung scheiterte an der FDP-Delegiertenversammlung, doch bleibt die FDP die Auch Eric Nussbaumer, Baselbieter SP-Nationalrat und «Nuklearpartei» (siehe Grafik S. 16). SES-Beirat, sieht keine Kräfte, die ernsthaft eine Nuk- lear-Renaissance anstreben. «Kaum ein Politiker will Selbstverständlich müsse die Atomkraft eine Option noch direkt mit den AKW in Verbindung gebracht bleiben, denn diese sei im Kampf gegen den Klimawan- werden.» Dabei hätten manche Bürgerliche noch vor del auch gemäss IPCC «Teil der Lösung», weibelt eben- wenigen Jahren mit einem Bekenntnis zur Atomkraft falls FDP-Parteikollege Christian Wasserfallen. Wichtig Wahlwerbung betrieben. Hingegen «setzen sich die Foto: www.edf.fr sei, für neue Atom-Technologien offen zu bleiben. Sprich: Energiefirmen, besonders die Axpo, vehement dafür Die sogenannte vierte Reaktor-Generation. ein, dass sie ihre Atomkraftwerke noch möglichst lang betreiben können». Die Aegerter-Dynastie Dass die neuste AKW-Generation alter Wein in neuen Schaut man die atomfreundlichen Entscheide des Schläuchen ist, zeigt eine Studie1 des deutschen Öko-Ins Bundesrats an, etwa unbegrenzte AKW-Laufzeiten oder tituts im Auftrag der SES. Auch sind AKW keine Lösung Lex Beznau, scheint es: Die Energielobby leistet ganze gegen den Klimawandel. Sie sind viel zu teuer, zu un Arbeit. Laut einem Atomexperten hat die Axpo einen sicher, ihr Bau dauert zu lange. Und eine Lösung für das direkten Draht in Verwaltung und Regierung. Doch Atommüll-Fiasko ist in weiter Ferne. Dennoch beflügelt bezahlt sie Parteien oder Politiker? Die Axpo sagt, sie die neuste Reaktor-Generation die Nuklearfreunde. unterstütze «als Unternehmen in öffentlicher Hand Auch ein Schweizer mischt mit. Daniel S. Aegerter inves weder Parteien noch einzelne Politiker finanziell». An- tierte Millionen in die US-Firma Transatomic. Das Start ders die zweite grosse AKW-Betreiberin Alpiq: Sie unter up der Elite-Uni MIT versprach einen revolutionären stützt «eine kleine Anzahl von Kandidaten mit gerin- Reaktor, der 75 Mal so viel Energie wie ein konventio- gen Beträgen, maximal 1000 Franken pro Kandidat». neller aus dem Uran holen, aber nur einen Bruchteil des Zu den Aufwendungen für Lobbying- und PR-Arbeit Abfalls hinterlassen sollte – der erst noch nach weni- äussern sich beide Firmen nicht. Klar ist: Direkt oder gen hundert Jahren nicht mehr radioaktiv wäre. indirekt finanzieren sie atomfreundliche Organisatio- nen wie das Nuklearforum Schweiz, das Forum VERA, Der Transatomic-Hype erreichte auch die Schweiz, wie den Verband swissnuclear oder die Genossenschaft der Blogger Markus Kühni nachgezeichnet hat. Die Nagra mit (siehe Infobox S. 16 + 17). junge Chefin der Firma machte eine Art PR-Tour, war ans WEF geladen und wurde von diversen Medien inter Offen an einem Comeback der Atomenergie arbeiten viewt. Im «Blick» gestand sie, im tiefsten Inneren sei sie die privaten Atomfreunde. Daniel S. Aegerters Stiftung Umweltaktivistin und wolle bloss die Eisbären retten. «Energy for Humanity» vermarktet sich als Klima- «Sie sind aussergewöhnlich clever und sehr schön», schutz-Organisation. Die international tätige Organisa- fand das Blatt und fragte bewundernd: «Waren Sie eine tion versucht, mit Studien die Vorteile der Atomkraft Art Wunderkind?». Doch das Wunder blieb aus. Die gegenüber den Erneuerbaren zu belegen. «Energy for Versprechungen erwiesen sich als Wunschdenken, Humanity» hat Ableger in Grossbritannien und Finn- Transatomic ging ein. land, ist etwa mit den finnischen «Ökomodernisten» und dem schweizerischen Carnot-Cournot-Netzwerk Trotzdem weibelt Daniel S. Aegerter, der mit dem Ver- (CCN) des Wirtschaftsprofessors Silvio Borner verbunden: kauf seiner IT-Firma Milliarden einnahm und in der einem Altherrenclub von Atomfreunden und Klima Wirtschaftselite gut vernetzt ist, weiter für die Atom skeptikern, die gegen Erneuerbare eifern. < energie. Das ist quasi genetisch bedingt. Er habe «viel- leicht schon radioaktive Muttermilch gehabt», witzelte 1 www.energiestiftung.ch/publikation-studien/neue-reaktorkonzepte-eine-analyse- er im Schweizer Wirtschaftsmagazin «Bilanz». Seine des-aktuellen-forschungsstands.html Energie & Umwelt 4/2019 15
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