Erste Informationen zur Therapie - MEDIAN Klinik Tönisstein - Median Kliniken

 
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MEDIAN Klinik Tönisstein

Das Leben leben
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© MEDIAN Klinik Tönisstein
Hochstraße 25 · 53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Telefon +49 (0)2641 914-0
Telefax +49 (0)2641 914-201
toenisstein-kontakt@median-kliniken.de
www.median-kliniken.de

Stand: März 2021

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Erste Informationen zur Therapie - MEDIAN Klinik Tönisstein - Median Kliniken
Inhalt

Begrüßung                  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Wichtige Telefonnummern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Symptomliste nach Jellinek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

ICD-10 Kriterien für Abhängigkeitserkrankungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

„Ich bin Alkoholiker“ (von Christian Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Der instinktive und der paradoxe Weg (von Franz Strieder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Loslassen (von Franz Strieder)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Hausordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Literaturhinweise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

                                                                                                                                                                                     3
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Liebe Patientin, lieber Patient,

Sie haben sich zu einer Entwöhnungsbehandlung entschlossen, zu der wir Sie in der MEDIAN Klinik Tö-
nisstein herzlich willkommen heißen.

Die ersten Tage Ihres Aufenthaltes verbringen Sie in der Aufnahmegruppe unseres Hauses, in der Sie
erste Schritte vollziehen, die für den Übergang in die Stammgruppe Voraussetzung sind. Die für die Auf-
nahmegruppe verantwortlichen Therapeuten werden Sie in dieser Zeit begleiten.

Hier sind einige Texte zusammengefasst, die auch über die Aufnahmegruppe hinaus Bedeutung für Ihre
Therapie haben. Darüber hinaus finden Sie die für Sie derzeit wichtigen Kontaktpersonen.

Für Ihre Therapie wünschen wir Ihnen guten Erfolg!

Dr. Hubert C. Buschmann                               Oliver Kreh
Chefarzt                                              Leitender Psychologe
Facharzt für Neurologie                               Psychologischer Psychotherapeut
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

    Wichtige Telefonnummern

                                                      Raum                                   Telefon

    Aufnahmestation                                   356a                                       130

    Aufnahmetherapeuten                               246 und 259                       159 und 158

    Aufnahmesekretariat
    Frau Hassel                                       010                                        102

    Verwaltung
    Frau Kopp                                         604                                        101

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Symptomliste der Abhängigkeit
nach Jellinek

Einführung

Bereits in den dreißiger Jahren führte der ame-      Im Verlauf der jahrelangen praktischen Arbeit mit
rikanische Professor Dr. E. M. Jellinek im Auf-      der Symptomliste nach Jellinek hat sich gezeigt,
trag der WHO (World Health Organisation) eine        dass dieser Symptomkatalog mit geringfügigen
grundlegende Untersuchung über die Krankheit         Abweichungen und Umstellungen ebenso auf die
Alkoholismus durch. Er erhob mehrere tausend         Entwicklung anderer stoffgebundener Abhängig-
Fallgeschichten von Alkoholikern und fasste das      keitserkrankungen angewandt werden kann.
Ergebnis in einem Schema von vier Phasen und –
innerhalb dieser – 45 Symptomen zusammen. Auf        Daher haben wir in der hier vorliegenden Fassung
der Grundlage dieser Untersuchung wurde Alko-        der Symptomliste die Symptomatik für das Ge-
holismus durch die WHO als Krankheit anerkannt.      samtbild der stoffgebundenen Suchterkrankungen
Die von Jellinek beschriebenen Phasen V, A, K und    beschrieben und nur bei einzelnen Symptomen
C beschreiben eine zunehmende Chronifizierung        auf Besonderheiten hingewiesen, die sich durch
der Abhängigkeit. Die Übergänge zwischen den         die jeweils konsumierte Substanz ergeben.
Phasen sind fließend, und nicht jeder Betroffene
muss alle Symptome entsprechend der vorgege-         Der entscheidende Vorteil dieses Symptomkatalo-
benen Reihenfolge erleben.                           ges liegt darin, dass er es dem Suchtmittelabhän-
                                                     gigen ermöglicht, seine Abhängigkeit und deren
Die innerhalb der Phasen beschriebenen 45 Symp-      Entwicklungsstand selbst zu erkennen.
tome stellen jedoch besonders typische Merkmale
der fortschreitenden Suchterkrankung dar, die im     Die Symptomliste nach Jellinek ist somit ein Instru-
Einzelfall bedingt durch die jeweilige Lebenssitu-   mentarium zur Selbstdiagnose.
ation und Persönlichkeit des Betroffenen unter-
schiedlich ausgestaltet sein können. Die Symp-
tome treten häufig, aber durchaus nicht immer,
erstmalig in der Phase auf, in der sie beschrieben
sind. Ist ein Symptom einmal aufgetreten, wird es
in der Regel beibehalten und prägt sich im weite-
ren Verlauf der Suchterkrankung zunehmend aus.

Einzelne Symptome können übersprungen wer-
den, auch nicht erwähnte Merkmale können evtl.
hinzukommen.

Bildhaft kann gesagt werden: Die Symptome tref-
fen wie Mosaiksteine aufeinander und zeichnen
erst in ihrer Gesamtheit das Bild des Suchtmittel-
abhängigen.

                                                                                                         5
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ICD-10 Kriterien
für Abhängigkeitserkrankungen

Bevor wir nun im Weiteren zur Beschreibung der          Abhängigkeitssyndrom
einzelnen Phasen der Suchterkrankung kom-
men, möchten wir Ihnen die Kriterien vorstellen,        1.   Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, die
die international herangezogen werden, um die                Substanz zu konsumieren
Diagnose einer Suchterkrankung zu stellen. Diese        2.   Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des
Kriterien sind letztendlich aus der Jellinekschen            Beginns, der Beendigung und der Menge des
Symptombeschreibung heraus entwickelt worden                 Konsums
und finden sich daher auch in der Symptomliste          3.   Ein körperliches Entzugssyndrom bei Been-
nach Jellinek wieder.                                        digung oder Reduktion des Konsums
                                                        4.   Nachweis einer Toleranz
ICD steht für „International Classification of Disea-   5.   Fortschreitende Vernachlässigung anderer
ses“ (Internationale Klassifikation von Erkrankun-           Interessen zugunsten des Konsums
gen) und gibt klinisch diagnostische Leitlinien für     6.   Anhaltender Substanzkonsum trotz Nach-
verschiedene Erkrankungen.                                   weises eindeutiger schädlicher Folgen

                                                        Die Diagnose einer Suchterkrankung gilt als ge-
                                                        sichert, wenn während des letzten Jahres min-
                                                        destens drei der oben beschriebenen Kriterien
                                                        gleichzeitig vorhanden waren.

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A. Vorphase                                               bei sich mehr oder weniger zufällig ergebenden
                                                          geselligen Gelegenheiten zu konsumieren. Der
In der Vorphase nimmt die Suchterkrankung                 spätere Abhängige dagegen geht allmählich dazu
keimhaft ihren Anfang. Dabei gewinnt das Sucht-           über, vermehrt solche Situationen aufzusuchen
mittel für den späteren Abhängigen zunehmend              oder herbeizuführen, in denen beiläufig konsu-
an Funktion, was ihm jedoch meist nicht bewusst           miert wird. Da er sich weiterhin im geselligen Rah-
ist. Dynamik erwächst dieser Ausgangssituation            men bewegt, wird ihm sein vermehrter Konsum
durch die hier einsetzende Erhöhung der Tole-             zunächst oft nicht bewusst. Nicht selten schreibt
ranz (=Verträglichkeit) und die gleichzeitig immer        er dabei seine positive Stimmungsveränderung
geringer werdende Bereitschaft und Fähigkeit des          eher der Geselligkeit als dem Konsum zu, z. B. der
Abhängigen, seelische Belastungen ohne Sucht-             Party, der Diskothek, dem Stammtisch.
mittel zu ertragen.
                                                          Auch der spätere Medikamentenabhängige erlebt
                                                          die Wirkung der Substanz zunächst als ausge-
Symptomatik der Vorphase                                  sprochen positiv und hilfreich und nimmt diese
                                                          nun immer häufiger ein. Anders als der spätere
Alkohol ist in unserem Kulturkreis fest verwurzelt        Alkohol- oder Drogenabhängige ist der Einsatz
und wird üblicherweise bei geselligen Gelegen-            des jeweiligen Medikamentes aber von Beginn an
heiten getrunken. Die ersten Erfahrungen mit              bewusst zielgerichtet.
Alkohol werden in der Regel beim geselligen
Zusammensein mit anderen gemacht. Die Wirkung             Auf diese Weise ergibt sich bei dem künftigen
von Alkohol wird mehr oder weniger bewusst als            Suchtkranken ein sich kontinuierlich steigernder
angenehm und anregend oder auch als entspan-              Gewöhnungseffekt, d.h. körperlich verträgt er bald
nend und beruhigend erlebt. Dem Konsumenten               mehr von seiner Substanz als früher, er braucht
fällt es unter Alkoholeinfluss in aller Regel leichter,   jetzt jedoch auch größere Mengen, um die gesuch-
aus sich herauszugehen.                                   te Wirkung zu erreichen.

Auch Drogen (insbesondere Cannabis, Kokain,               In dem Maße, in welchem dem zukünftigen Sucht-
Amphetamine u. Ä.) werden in der Regel zunächst           kranken die für ihn positive Wirkung der Substanz
in Gesellschaft bei Partys und anderen Gelegen-           bewusst wird, neigt er jetzt dazu, die suchterzeu-
heiten konsumiert. Anders als beim Alkohol müs-           gende Substanz auch gezielt in für ihn schwierigen
sen die Konsumenten sich jedoch ein Stück aus             oder unangenehmen Situationen einzusetzen
der „normalen“ Gesellschaft heraus begeben, da            oder sie dazu zu benutzen, gezielt bereits vor-
der Konsum dieser Substanzen nicht legal ist.             handene positive Stimmungslagen zu verstärken.
                                                          Dadurch, dass die Wirkung des Suchtmittels sich
Stimmungsverändernde Medikamente (Benzodia-               hierbei als zuverlässiges Hilfsmittel erweist, be-
zepine, Schlafmittel, opioidhaltige Schmerzmittel)        ginnt der zukünftige Suchtkranke, diese Erfahrung
dagegen werden nicht in Gesellschaft sondern              auf immer mehr Situationen zu übertragen. Im
zunächst bei akuten Befindlichkeitsstörungen              Laufe dieser Entwicklung verliert der Betroffene
(Schlafstörungen, Angstgefühle, Niedergeschla-            so allmählich die Bereitschaft und das Zutrauen,
genheit, Schmerzen u. ä.) eingesetzt, wobei sie           andere Lösungswege zu suchen oder anzuwenden
entweder vom Arzt verschrieben oder freiverkäuf-          (beginnende psychische Abhängigkeit). Unab-
lich erworben werden können.                              hängig davon, ob dieses zielgerichtete Verhalten
                                                          bewusst oder unbewusst erlebt wird, erscheint der
Die meisten Alkohol – und Drogenkonsumenten               Konsum in dieser Phase jedoch weder dem Betrof-
bleiben im weiteren Verlauf dabei, die Substanz           fenen noch seinen Angehörigen oder Freunden
mit ihrer angenehmen Wirkung nur oder fast nur            verdächtig.

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B. Anfangsphase                                       Gedächtnislücken unter dem Einfluss von stim-
                                                      mungsverändernden Medikamenten gleichen im
Die Anfangsphase ist dadurch gekennzeichnet,          Allgemeinen den oben beschriebenen. Wegen der
dass Suchtmittel wie Alkohol und Drogen ihren         Langzeitwirkung verschiedener derartiger Medi-
Charakter als Genussmittel für den Abhängigen         kamente ist es jedoch möglich, dass es auch noch
noch weiter verlieren und nun mehr und mehr           im Verlauf des darauf folgenden Tages zu dadurch
einen Stellenwert als universelles Hilfs- und Heil-   bedingten Erinnerungslücken kommt (z. B. nach
mittel erhalten. Gleichzeitig beginnt der Umgang      abendlicher Einnahme von Schlaftabletten).
mit dem Suchtmittel und das Verhalten des
Betroffenen in diesem Zusammenhang immer
mehr von dem in der Gesellschaft üblichen Muster      2. Heimlicher Konsum
abzuweichen.
                                                      Im Verlauf entwickelt sich bei dem Betroffenen die
Bei Medikamentenabhängigkeit ist die Anfangs-         vage Vorstellung, dass er sein Suchtmittel anders
phase daran zu erkennen, dass Medikamente             als andere konsumiert. Um nun zu verhindern,
nicht mehr spezifisch für bestimmte konkrete          dass andere die Menge oder Häufigkeit oder den
Beschwerden und zeitlich streng befristet, sondern    Zeitpunkt oder Anlass seines Konsums bemerken,
zunehmend als universelles Hilfs- und Heilmittel      bemüht er sich z.B. im täglichen Alltag, vor, wäh-
eingesetzt werden. In diesem Prozess verändern        rend oder nach Geselligkeiten unbemerkt zu kon-
sich oft auch Verhalten und Einstellungen des         sumieren oder auch sein Suchtmittel unauffällig zu
Betroffenen.                                          besorgen bzw. Verpackungsmaterial zu entsorgen.
                                                      Im Gespräch wird die Konsummenge herunterge-
                                                      spielt oder verleugnet, unter den Augen anderer
1. Gedächtnislücken                                   werden „vorzeigbare“ Mengen konsumiert oder
                                                      Abstinenz vorgeführt. Je nach Lebenssituation
Unter der Wirkung von Alkohol kann es zu Ge-          kann es auch jetzt schon vorkommen, dass Sucht-
dächtnislücken (sog. Erinnerungslücken, Filmrisse,    mittel versteckt werden.
Amnesien) kommen. Sie sind daran erkennbar,
dass es dem Betroffenen schwer fällt oder ganz        Da stimmungsverändernde Medikamente in der
und gar unmöglich ist, sich an Tätigkeiten oder       Regel ohnehin nicht im Beisein anderer genom-
Begebenheiten zu erinnern, die während dieses         men werden, tritt das verheimlichende Verhalten
Zustandes verrichtet wurden bzw. vorgefallen sind.    hier meist noch nicht in Erscheinung. Es ist aber
Manchmal jedoch ist es noch möglich, durch Hin-       auch hier bereits durchaus möglich, dass der
weise von anderen, Erinnerungsfetzen oder noch        Betroffene aufhört, über seinen Medikamenten-
auffindbare Spuren, die fehlenden Gedächtnisin-       konsum (auch z.B. dem Arzt gegenüber) offen zu
halte zumindest teilweise zu rekonstruieren.          sprechen und verstärkt darauf achtet, dass nie-
                                                      mand seine Medikamente sieht oder die Einnahme
Gedächtnislücken können auch ohne äußere              beobachtet.
Anzeichen von Trunkenheit auftreten, wobei
sogar eine vernünftige Unterhaltung geführt oder
schwierige Arbeit geleistet werden kann, ohne
dass später eine Erinnerung daran vorhanden ist.

In dieser Form finden sich Gedächtnislücken unter
der Wirkung von Drogen in der Regel nicht.

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3. Häufiges Denken an Suchtmittel                     6. Vermeiden von Anspielungen
                                                      auf Suchtmittel
Da der Suchtkranke sich inzwischen daran
gewöhnt hat, sein Suchtmittel sowohl in Belas-        Aus dem oben beschriebenen Schuldgefühl
tungssituationen als auch als Verstärker positiver    heraus oder auch unbewusst neigt der Betroffe-
Stimmungslagen einzusetzen, taucht der Gedanke        ne dazu, Gesprächen oder Medieninformationen
an Suchtmittel nun immer häufiger in Verbindung       über die Suchtthematik auszuweichen.
mit unterschiedlichen Lebenssituationen auf.
Dabei muss dies vom Betroffenen nicht bewusst         Eine Auseinandersetzung mit von wohlmeinenden
registriert werden. So wird z.B. die Freude auf den   Freunden oder Familienmitgliedern zur Verfügung
Feierabend automatisch mit dem Gedanken an            gestelltem Informationsmaterial zu dieser The-
den Konsum verknüpft oder eine Einladung zu           matik vermeidet er. Sein gesamtes Verhalten zielt
Geselligkeiten dahingehend geprüft, ob der Gast-      darauf ab, seinen Kenntnisstand zu diesem Thema
geber genügend oder überhaupt Suchtmittel zur         möglichst gering zu halten oder aber sich nur im
Verfügung stellen wird.                               Verborgenen zu informieren.

Medikamentenabhängige achten hier oft schon
besonders darauf, genügend Medikamente                7. Gehäufte Gedächtnislücken
vorrätig und ggf. diese bei sich zu haben.
                                                      Bereits gegen Ende der Anfangsphase kann es zu
                                                      einer allmählichen aber deutlichen Häufung der
4. Verstärktes Verlangen nach Wirkung                 Gedächtnislücken sowohl bei Alkohol- als auch bei
                                                      Medikamentenabhängigkeit kommen.
Um die Suchtmittelwirkung möglichst schnell zu
erreichen, geht der Betroffene mehr und mehr
dazu über, gerade zu Beginn möglichst schnell zu
konsumieren.

Gleichzeitig achtet der Betroffene immer weniger
auf eine genussvolle Gestaltung des Konsums. Ge-
legentlich wird auch hier schon auf schneller oder
stärker wirkende Substanzen zurückgegriffen.

5. Schuldgefühle wegen des Konsums

Wenn dem Betroffenen bewusst wird, dass sich
sein Konsumverhalten (Häufigkeit und Konsumart)
von dem anderer unterscheidet, können bereits zu
diesem Zeitpunkt mehr oder weniger vage Schuld-
gefühle und Selbstvorwürfe auftreten, die zwar
eine verstärkte gedankliche Beschäftigung mit dem
Konsum, jedoch keine konkrete Verhaltensände-
rung bewirken.

                                                                                                          9
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C. Kritische Phase                                     einen Bereich im Leben des Betroffenen (Fami-
                                                       lie, Freunde, Arbeit, Urlaub etc.), in dem sich die
Der Übergang von der Anfangs- in die kritische         Suchterkrankung noch nicht in irgendeiner Form
Phase wird durch das Auftreten erster Kontroll-        ausgewirkt hat.
verluste markiert. Mit dem Kontrollverlust erreicht
die prozesshafte Entwicklung der Abhängigkeit das
Stadium, ab dem man im engeren Sinne von einer         8. Kontrollverlust
Erkrankung sprechen kann. Auch der Kontroll-
verlust selbst, nach dem es dann langfristig kein      Unter Kontrollverlust wird im Allgemeinen der
zurück mehr gibt, zeigt alle Eigenschaften prozess-    fortschreitende Verlust der willentlichen Kontrolle
haften Anwachsens: Vom sich erstmals abzeich-          über die Konsummenge verstanden. Dies zeigt
nenden, immer häufigeren Überschreiten selbst          sich konkret darin, dass der Betroffene, nachdem
gesetzter, die Einnahmemenge betreffender,             er eine kleine Menge seines Suchtmittels zu sich
Grenzen, bis zu völlig haltloser massiver Weiterein-   genommen hat, mit zunehmender Häufigkeit mehr
nahme des Suchtmittels trotz deutlich absehbarer,      konsumiert, als er sich vorgenommen hatte bzw.
erheblicher negativer Konsequenzen (wie in Punkt       mehr, als in der jeweiligen konkreten Situation
40 der chronischen Phase beschrieben).                 angemessen ist. Während zu Beginn der kritischen
                                                       Phase derartige Kontrollverluste gelegentlich noch
Dieses prozesshafte Anwachsen des Symptombil-          durch eigenes „Pflichtgefühl“ oder Einschreiten
des des Kontrollverlustes geht in aller Regel damit    dritter Personen einzudämmen sind, wird dies mit
einher, dass die Entwicklung der psychischen Ab-       zunehmender Ausprägung der Suchterkrankung
hängigkeit seit der Vorphase zu einem als immer        immer schwieriger oder schließlich ganz und gar
übermächtiger empfundenen Verlangen nach der           unmöglich.Der Kontrollverlust im eigentlichen
Wirkung des Suchtmittels wird.                         Sinne bedeutet jedoch nicht, dass der Betroffene
                                                       ständig konsumieren muss, auch für den Abhän-
Dieses zunehmende Verlangen schränkt die Ent-          gigen ist es möglich, phasenweise gar nicht oder
scheidungsfreiheit des Abhängigen bereits im Vor-      wenig zu konsumieren. Jedoch kommt es durch
feld des Kontrollverlustes, also bevor er überhaupt    den Konsum mittel- oder langfristig immer wieder
mit dem Konsum beginnt, immer mehr ein. Ein Wi-        zu Kontrollverlusten.
derstehen gegenüber solchen intensiver werden-
den Wünschen nach Einnahme des Suchtmittels            In diesem Zusammenhang wird auch die Frage
wird zunehmend schwieriger und anstrengender.          erhoben, warum der Betroffene nach seinen
                                                       verhängnisvollen Erfahrungen anlässlich seiner
Das Auftreten von Kontrollverlusten führt im weite-    wiederholten Kontrollverlusterlebnisse trotz-
ren Verlauf der kritischen Phase fast zwangsläufig     dem immer wieder anfängt zu konsumieren. Er
zu den dort weiter beschriebenen Symptomen.            ist in diesem Stadium bereits psychisch von der
Hier zeigen sich zum einen soziale Belastun-           Suchtmittelwirkung abhängig geworden, wenn
gen in Form von Vorwürfen und Kritik aus dem           es ihm auch noch nicht bewusst ist. Sein Wille in
sozialen Umfeld, zum anderen Rechtfertigungen          Verbindung mit dem Suchtmittel ist mindestens
und Schuldzuweisungen. Auch erste körperliche          beeinträchtigt, er selbst jedoch glaubt, dass er
Beschwerden können auftreten.                          seine diesbezügliche Willenskraft nur vorüberge-
                                                       hend verloren hat und sie daher wiedererlangen
Meist gelingt es dem Suchtmittelabhängigen             kann und muss. Er ist sich jedoch darüber nicht
in dieser Phase jedoch noch, solche negativen          im Klaren, dass er bereits suchtkrank geworden
Konsequenzen abzuwenden, die von ihm als be-           ist und es ihm somit unmöglich ist, seinen Sucht-
sonders schwerwiegend erlebt werden. Am Ende           mittelkonsum über längere Zeiträume hinweg
der kritischen Phase jedoch gibt es kaum noch          einzuschränken oder zu kontrollieren.

10
9. Erklärungen für den Konsum                            können, gerät der Medikamentenabhängige mehr
(Ausreden, Alibis)                                       und mehr in einen Teufelskreis von wachsendem
                                                         Bedarf und gesteigerter Einnahme, die ihm jedoch
Mit dem Einsetzen von Kontrollverlusten erlebt der       vor diesem Hintergrund immer noch als gerecht-
Konsum des Suchtkranken eine erneute Steige-             fertigt erscheint.
rung. Nicht selten führt dies zu heftiger Selbstkritik
und/oder Kritik von anderen. Da der Suchtkran-
ke zu diesem Zeitpunkt jedoch im Allgemeinen             10. Reaktionen der Umwelt
noch nicht bereit ist, seinen Konsum aufzugeben,
empfindet er einen Rechtfertigungszwang, aus             Infolge der zahlreicher und massiver werdenden
dem heraus er sich unbewusst ein Erklärsystem            Kontrollverluste wird das soziale Umfeld des
aufbaut. Er redet sich ein, dass er einen guten          Suchtkranken zunehmend auf sein Konsumver-
Grund zum Konsum gehabt habe und ohne diesen             halten aufmerksam. Familienangehörige, Freunde,
genau so mäßig wie alle anderen konsumieren              Arbeitskollegen und/oder Vorgesetzte sprechen
könne. Diese sog. Konsumalibis führen im weite-          ihn auf Auffälligkeiten an, warnen und kritisieren
ren Verlauf dazu, dass der Suchtkranke sich zwar         ihn oder machen ihm sein Konsumverhalten zum
durch vielerlei Probleme belastet sieht, sein Kon-       Vorwurf. Gegen diese Reaktionen der Umwelt
sumverhalten jedoch lange Zeit nicht als Problem         verteidigt sich der Betroffene oft mit Hilfe seines
erkennen kann.                                           Erklärsystems, das sich dadurch weiter verfestigt.
                                                         Gleichzeitig bemüht er sich daraufhin, seinen Kon-
Solchen Konsumalibis können durchaus reale und           sum noch besser zu verbergen.
massive Probleme zugrunde liegen, die vom Be-
troffenen manchmal unbewusst aufrechterhalten
oder herbeigeführt werden, um sich selbst eine           11. Kompensation des Verlustes
Erlaubnis zum Konsum zu geben und/oder eine              an Selbstachtung
Auseinandersetzung mit dem Konsumverhalten
zu vermeiden. Aus alledem wird ersichtlich, dass         Zunehmende Kontrollverluste und damit im
Erklärsysteme einen deutlich Sucht aufrecht erhal-       Zusammenhang stehende Misserfolgserlebnisse
tenden Charakter haben.                                  sowie die Kritik der Umwelt führen beim Sucht-
                                                         kranken zu einem schleichenden Verlust an Selbst-
Der Medikamentenabhängige verfügt vom Beginn             achtung. Um diesen Verlust an Selbstakzeptanz
der Medikamenteneinnahme an über eine häufig             zu kompensieren (ihm entgegen zu wirken) bzw.
vom Arzt durch Verordnung bestätigte Rechtfer-           ihn nach außen nicht sichtbar werden zu lassen,
tigung der Suchtmitteleinnahme. Aber auch die            stellt der Betroffene für sich und andere vor allem
Einnahme freiverkäuflicher Medikamente erscheint         die Dinge und Bereiche positiv heraus, in denen
dem Betroffenen oft als gerechtfertigt, da Medika-       er noch gut funktioniert. Oft stachelt er sich in die-
mente auch schon im allgemeinen Verständnis als          sem Zusammenhang zu besonderen Leistungen
Hilfs- und Heilmittel gelten.                            an, um sich und anderen zu zeigen, dass er durch
                                                         seinen Suchtmittelkonsum in keiner Weise oder
Im Verlauf der süchtigen Entwicklung beim Einsatz        höchstens in unwesentlichen Bereichen, beein-
dieser Medikamente erhält jedoch die ursprüngli-         trächtigt sei. Manchmal findet dieses Verhalten
che Symptomatik, mehr und mehr Alibicharakter,           auch seinen Ausdruck in besonderer Extravaganz
der jedoch dem Betroffenen oft lange Zeit nicht          und Großspurigkeit, wodurch der Suchtkranke sich
bewusst wird. Dadurch, dass viele stimmungsver-          selbst und vor allem andere davon zu überzeugen
ändernde Medikamente letztendlich bei längerer           versucht, dass er noch nicht so schlecht dran sei,
süchtiger Einnahme, die durch sie ursprünglich be-       wie er manchmal denkt oder wie es nach außen
kämpften Symptome hervorrufen oder verstärken            hin aussehen mag. Infolge der häufig wesentlich

                                                                                                               11
längeren Glaubhaftigkeit und Wirksamkeit des            und seelische Druck zur weiteren Einnahme hier
Erklärsystems bei Medikamentenabhängigen tritt          meist deutlich höher ist. Dies hängt damit zusam-
dieses kompensierende Verhalten seltener und            men, dass der Medikamentenabhängige von der
wenn, dann deutlich später auf.                         Notwendigkeit der Einnahme seines Mittels in der
                                                        Regel tiefer überzeugt ist.

12. Auffällig aggressives Benehmen
                                                        15. Änderung des Konsumsystems
Aufgrund seiner schwindenden Selbstachtung, der
zunehmenden Kritik von anderen und dadurch,             Zur Begrenzung und Vermeidung der uner-
dass er mit seinem Erklärsystem immer weniger           wünschten Folgen des Kontrollverlustes entwickelt
überzeugen kann, legt der Suchtkranke ein im Ver-       der Suchtkranke ein Konsumsystem mit von ihm
gleich zu vorher ungewohnt aktiv oder passiv ag-        festgelegten Regeln. So versucht er z.B. nicht vor
gressives Verhalten an den Tag. Aktiv weist er z. B.    einer bestimmten Tageszeit mit dem Konsum zu
wohlmeinende Ansprachen barsch zurück, schlägt          beginnen, nur noch am Wochenende, an bestimm-
in Auseinandersetzungen verbal rücksichtslos um         ten Orten oder nur noch bestimmte Arten von
sich oder wird sogar handgreiflich. Passiv stellt er    Suchtmitteln zu konsumieren oder ähnliches.
die Kommunikation, insbesondere in der Familie          Gelegentlich versuchen Betroffene auch, die
und mit ihm wohlmeinenden Personen, ganz ein            Einnahmemenge eines Suchtmittels durch die
oder gestaltet sie auffallend einsilbig. In Verbin-     Einnahme eines anderen zu begrenzen oder ein
dung damit erlebt sich der Suchtkranke manchmal         Suchtmittel durch ein anderes „weniger schlim-
auch in einer Opferrolle, wobei er seiner Umwelt        mes“ Mittel zu ersetzen.
die Schuld für sein Verhalten und die daraus ent-
standenen Schwierigkeiten zuschiebt.
                                                        16. Fallenlassen von Freunden
13. Dauerndes Schuldgefühl als Anlass zum
erneuten Konsum                                         Da der Suchtkranke befürchtet, dass sein soziales
                                                        Umfeld die Veränderung in seinem Verhalten,
Das in den Punkten 8 bis 12 beschriebene Verhal-        insbesondere seine Unfähigkeit, seinen Konsum
ten führt trotz aller Abwehrbemühungen des Sucht-       zu kontrollieren, bemerkt, zieht er sich zunehmend
kranken zu immer bedrückenderen Schuldgefühlen,         von seiner Umwelt zurück. Er versucht dabei,
die der Betroffene dann häufig durch erneuten           bewusst oder unbewusst der erwarteten Kritik von
Konsum zu beseitigen versucht (Teufelskreis).           Freunden und Bekannten auszuweichen, was oft
                                                        den Anfang eines umfassenden Prozesses sozialer
                                                        Isolation bedeutet.
14. Zeiträume völliger Abstinenz

Infolge der häufig abschreckenden Kontrollver-          17. Konsequenzen am Arbeitsplatz
lust-Erfahrungen und oft auch des zunehmenden
sozialen Druckes aus der Umwelt gelingt es dem          Der inzwischen gewachsene Drang zum Weiterkon-
Suchtkranken nicht selten, längere oder kürzere         sumieren wirkt sich nunmehr auf das Verhalten am
Zeiträume völliger Suchtmittelabstinenz einzuhal-       Arbeitsplatz aus. Oft merkt der Suchtkranke selbst
ten, die er fälschlicherweise als Beweis dafür nimmt,   ein Nachlassen seiner Arbeitsmotivation, seiner
dass er seinen Konsum wieder „im Griff“ habe und        Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Kollegen
daher auch wieder kontrolliert konsumieren könne.       und Vorgesetzten fällt er nicht selten durch Un-
Dieses Verhalten findet sich bei Medikamenten-          pünktlichkeit, Unzuverlässigkeit, häufige Fehlzeiten,
abhängigen sehr viel seltener, da der körperliche       „Krankfeiern“ oder unangemessenes, reizbares Ver-

12
halten auf. Gelegentlich ist ihm der Suchtmittelkon-   tungen Genüge zu tun, vernachlässigt jedoch oft
sum auch am Arbeitsplatz anzumerken. In diesem         bereits deutlich rein persönliche Vorlieben und
Zusammenhang kann es auch zu Abmahnungen,              Interessen (z.B. Hobbys, die sich nicht mit dem
anderen arbeitsrechtlichen oder disziplinarischen      Konsum vereinbaren lassen).
Konsequenzen oder zur Kündigung kommen.
Manchmal übernimmt er auch selbst die Initiative       Dabei wird für den Betroffenen häufig eine zuneh-
und entzieht sich einer derartigen Konfrontation,      mende Gleichgültigkeit und Energielosigkeit spür-
indem er selbst seinen Arbeitsplatz kündigt.           bar, die dazu führt, dass er sich trotz z.B. ausge-
                                                       prägter sportlicher oder kultureller Vorlieben nicht
                                                       mehr zu derartigen Unternehmungen aufrafft.
18. Konsumieren ersetzt soziale Kontakte
                                                       Dieses Verhalten führt zu einer Verstärkung seiner
Inzwischen hat der Konsum des Suchtkranken den         Unzufriedenheitsgefühle, wobei sich nicht selten
Stellenwert eines universellen Hilfs- und Heilmit-     auch das persönliche Interesse an der Arbeit mas-
tels erlangt. Dies führt dazu, dass der Suchtkranke    siv reduziert und die berufliche Tätigkeit nur noch
z.B. in schwierigen Lebenssituationen, bei Proble-     ausgeübt wird, um vorgegebene Leistungsanforde-
men oder Konflikten nicht mehr um soziale Unter-       rungen zu erfüllen (Kritikvermeidung).
stützung nachsucht, sondern eher dazu geneigt
ist, auch hier sein Suchtmittel als Medizin und
Seelentröster einzusetzen. Ebenso neigt er dazu,       20. Der Konsum wird wichtiger
Konfliktsituationen nicht mehr klärend anzugehen,      als die Menschen, die mir nahe stehen
sondern seinen Ärger mit dem Suchtmittelkonsum
beiseite zu schieben. Mit oben beschriebenen           Durch die massiv zunehmende Kritik, auch der
Verhaltensweisen setzt sich beim Suchtkranken          engeren Vertrauenspersonen (Partner, Familie,
der Trend fort, sich sozial durch Rückzug in die       enge Freunde) an seinem Konsumverhalten, gerät
eigene Problem- und Konsumwelt immer mehr zu           der Suchtkranke unter einen erheblichen Druck.
isolieren.                                             Während er einerseits bestrebt ist, seine engen
                                                       Vertrauenspersonen nicht noch weiter zu enttäu-
                                                       schen, erlebt er andererseits immer deutlicher,
19. Der Konsum wird wichtiger als Interessen           dass es ihm nicht gelingt, seinen Konsum unter
und Pflichten                                          Kontrolle zu halten. Trotz ernsthaftester Vorsätze
                                                       und Beteuerungen stößt er diese Menschen durch
Hatte der Suchtkranke bislang seinen Konsum            sein Weiterkonsumieren immer wieder vor den
überwiegend in geeigneten Lücken (Pausen)              Kopf. Er entzieht sich dadurch oft gemeinschaftli-
seines normalen Tagesablaufes unterzubringen           chen Unternehmungen oder beschwört Streiter-
vermocht, so führt sein gesteigertes Konsumbe-         eien herauf, die er dann als Alibi benutzt, um sich
dürfnis nunmehr dazu, seinen Tagesablauf immer         zurückziehen und weiter konsumieren zu können.
mehr zu verändern: Der Tagesablauf wird den
Konsumbedürfnissen angepasst.                          Dieses Verhalten ist beim Suchtkranken somit
                                                       nicht selten auch mit Schuldzuweisungen an die
Je nach individuellen Möglichkeiten, die berufliche    nächsten Angehörigen verbunden. Die Angehöri-
und persönliche Tagesstruktur selbst zu gestalten,     gen gewinnen dabei oft den Eindruck, dass sie jede
zeigt sich ein mehr oder weniger an den Konsum-        Einflussmöglichkeit auf den Suchtkranken verloren
bedürfnissen ausgerichteter Tagesablauf.               haben und ihm wesentlich weniger bedeuten als
                                                       das Suchtmittel.
Dabei versucht der Suchtkranke jedoch nach wie
vor, seinen beruflichen und familiären Verpflich-

                                                                                                             13
21. Auffallendes Selbstmitleid                       Suchtkranken im Auge zu behalten und vor Scha-
                                                     den zu bewahren. Nachdem diese Versuche nicht
Der Suchtkranke bemerkt, dass er sich der von        gefruchtet haben, versuchen die Familienmitglie-
ihm als unangemessen empfundenen Kritik seiner       der im Allgemeinen, dem Suchtkranken aus dem
Umwelt an seinem Konsumverhalten trotz seiner        Weg zu gehen und evtl. eigene Interessen wieder
ernst gemeinten, aber meist erfolglosen Bemü-        aufzunehmen bzw. neue zu entwickeln.
hungen letztlich nicht zu entziehen vermag. Oft
fühlt er sich dabei von allen unverstanden und       Um zu verhindern, dass das Konsumverhalten des
abgelehnt. Er neigt dazu, sich resignierend einem    Betroffenen Außenstehenden bekannt wird, zie-
auffallenden Selbstmitleid zu überlassen, das ihm    hen sich die Familienmitglieder oft auch aus sozia-
nicht selten als Alibi für erneuten Konsum dient.    len Kontakten zurück: Kinder laden keine Freunde
Dieses Verhalten zeigt sich beim Medikamenten-       mehr nach Hause ein oder gehen nicht mehr weg,
abhängigen häufig besonders ausgeprägt, da er        Partner sagen Einladungen ab oder geben soziale
die Einnahme seiner Medikamente auch jetzt noch      Kontakte auf. Häufig reduzieren sich die Kontakte
oft als „medizinisch begründet“ und damit gerecht-   der Familienmitglieder auch untereinander auf
fertigt ansieht.                                     das Notwendigste, wobei der Konsum des Betrof-
                                                     fenen nicht selten zum einzigen Gesprächs- und
                                                     Streitthema wird.
22. Gedankliche oder tatsächliche Flucht
                                                     Kinder leiden sehr unter dieser Situation, da sie
Selbstmitleid, zugespitzter sozialer Druck und       nicht begreifen, was um sie herum geschieht und
die verschärfte soziale Isolation verstärken beim    den damit verbundenen Auswirkungen oft nicht
Suchtkranken die unbestimmte Hoffnung, unter         gewachsen sind. Auch Trennung und Scheidung
veränderten äußeren Gegebenheiten (anderer           sind hier als äußerste Konsequenz dieser Verände-
Wohnort, andere Arbeitsstelle, andere Partner o.     rung zu nennen.
ä.) sein Leben und insbesondere sein Konsumver-
halten wieder „in den Griff“ bekommen zu können.
                                                     24. Grundloser Unwillen
Er versetzt sich in seiner Phantasie in veränderte
Lebensbedingungen, die für ihn günstiger erschei-    Aufgrund seiner Angst vor Kritik, Schuldgefühlen,
nen, wobei diese Gedanken sich zur „fixen Idee“      Selbstzweifeln, unterdrückten Konsumwünschen
verdichten können. Damit verbunden ist häufig        oder Entzugsdruck lebt der Suchtkranke jetzt in
auch die Hoffnung, sich seiner Vergangenheit und     einem anhaltenden Spannungszustand, der oft
damit auch der Folgen seines Konsums entledi-        bei ihm einen grundlosen, d.h. nicht durch einen
gen zu können. Bisweilen kommt es vor, dass der      äußerlich ersichtlichen Anlass gerechtfertigten,
Suchtkranke diese „Fluchtideen“ auch konkret z.      Unwillen auslöst. Dies kann sich z.B. in ausgepräg-
B. durch Umzug an einen anderen Ort in die Tat       ter Ungeduld, auffallender Gereiztheit, raschem
umsetzt.                                             Aufbrausen oder leichter Kränkbarkeit zeigen.

23. Änderungen im Familienleben                      25. Sichern des Suchtmittelvorrates und
                                                     verschärfter heimlicher Konsum
Im Zuge dieser Entwicklung treten dann auch
Veränderungen im Zusammenleben der Familie           Die inzwischen massiven Kontrollverlust-Erfahrun-
und im Verhalten der einzelnen Familienmitglie-      gen ebenso wie das inzwischen schon existenti-
der ein. Ursache dieser Veränderung ist zunächst     elle seelische Bedürfnis das Suchtmittel jederzeit
häufig der Versuch der Familienmitglieder, den       greifbar zu haben, veranlassen den Suchtkranken,

14
seinen Suchtmittelvorrat immer zu sichern, wobei        Bei Männern führt die anhaltende organische Ver-
er je nach Lebenssituation spätestens jetzt auch        giftung insbesondere durch Alkohol nicht selten
dazu übergeht, ihn zu verstecken.                       auch dazu, dass sie nicht mehr in der Lage sind,
                                                        den Geschlechtsakt durchzuführen (Impotenz).

26. Vernachlässigung angemessener Ernährung
                                                        29. Suchtmittelbedingte Eifersucht
Da der Suchtkranke immer mehr gedanklich und
in seinem Handeln um das Suchtmittel kreist und         Im Zusammenhang mit dem unter Punkt 28
sich darüber hinaus auch erste Auswirkungen des         beschriebenen Verhalten und insbesondere auch
Konsums auf den Organismus bemerkbar machen             durch den vom Suchtkranken selbst wahrgenom-
(Appetitlosigkeit), beginnt er auch allmählich, seine   menen Verfall der eigenen Attraktivität zeigen
Ernährung zu vernachlässigen.                           Betroffene nicht selten unbegründete eifersüch-
                                                        tige Reaktionen. Dem Partner wird unterstellt, er
In Phasen des Konsums isst er häufig unregelmä-         strebe nach einem attraktiven Ersatz oder habe
ßig oder gar nicht oder ernährt sich überwiegend        diesen bereits gefunden. Dies kann sich zur „fixen
von Fastfood oder Fertigprodukten.                      Idee“ entwickeln.

27. Erste medizinische Behandlungen                     30. Morgendlicher Konsum
werden notwendig
                                                        Aufgrund des sich immer stärker ausprägenden
Abhängig von der konsumierten Substanz werden           Kontrollverlustes führt der nach vorabendlichem
erste organische Schäden akut. Bei Suchtkranken         Konsum über Nacht abgesunkene Suchtmittelspie-
treten z.B. Gastritis (Magenschleimhautentzün-          gel, verbunden mit der zunehmenden Angst, den
dungen), Leberschäden oder vegetative Dystonie          Alltag nicht mehr bewältigen zu können, dazu, dass
(Neigung zu Herzrasen, Blutdruckschwankungen,           der Suchtkranke bereits in den Morgenstunden
vermehrtes Schwitzen) auf. Auch durch den Sucht-        oder am Vormittag einen fast unwiderstehlichen
mittelkonsum bedingte Unfälle können ambulante          Drang zum Konsum verspürt, dem er immer
oder stationäre ärztliche Behandlungen notwendig        häufiger nachgibt. Mit diesem Verhalten steht der
werden lassen. Es kann auch zu ersten stationären       Suchtkranke deutlich außerhalb der gesellschaftli-
Entgiftungen kommen.                                    chen Konventionen. Auch dadurch wird erkennbar,
                                                        wie sehr seine körperliche und moralische Wider-
                                                        standskraft durch die Krankheit bereits untergra-
28. Veränderungen im Sexualverhalten                    ben sind.

Hat zu Beginn die Suchtmittelwirkung noch dazu          In dieser Form gibt es dieses Symptom bei Medi-
beigetragen, sexuelle Hemmungen abzubauen               kamentenabhängigen nicht. Häufig fällt jedoch
und damit möglicherweise zu einer Steigerung            auch bei ihm die Art und/oder Menge der morgens
sexueller Aktivitäten geführt, zeigt sich im Rahmen     oder vormittags eingenommenen Medikamente
der allgemein zugenommenen Initiativlosigkeit des       aus dem Rahmen (z. B. Schlafmittel morgens).
Suchtkranken jetzt eher ein verringertes bis völlig
geschwundenes Interesse an Sexualität. Oft führen
auch die vom Partner wahrgenommenen Auswir-
kungen des Konsums (Alkohol- oder Rauchgeruch,
unangemessenes Verhalten) zu einer gegenseiti-
gen Vermeidung körperliche Annäherung.

                                                                                                            15
mittelwirkung steht. Dabei kann es passieren, dass
                                                     er auch tagsüber deutliche Anzeichen der Sucht-
                                                     mittelwirkung zeigt, die er nicht mehr überspielen
                                                     kann.

                                                     Wegen der oft lang anhaltenden Wirksamkeit
                                                     stimmungsverändernder Medikamente setzt diese
                                                     Symptomatik bei Medikamentenabhängigen relativ
                                                     früh ein. Der Medikamentenabhängige, der bereits
                                                     morgens seine eigenmächtig erhöhte Dosis ein-
                                                     nimmt, diese über den Tag hinweg immer wieder
                                                     eigenmächtig ergänzt und in dieser Weise über
                                                     mehrere Tage verfährt, befindet sich ebenfalls un-
                                                     ter anhaltendem Medikamenteneinfluss. Oft erlebt
                                                     auch der Medikamentenabhängige, dass seine
                                                     Vorsätze, Medikamente vorsichtiger zu dosieren,
                                                     dabei zusammenbrechen. Es kann jetzt durchaus
                                                     vorkommen, dass dem Betroffenen die Medika-
                                                     menteneinnahme am Tag mehr oder weniger
                                                     deutlich anzumerken ist.

                                                     32. Zusammenbruch individueller
                                                     Wertvorstellungen
D. Chronische Phase
                                                     Der sich immer massiver und zwanghafter durch-
Die chronische Phase umfasst zum einen Sym-          setzende Kontrollverlust in Verbindung mit der
ptome körperlichen und seelischen Entzugs            zunehmenden Gleichgültigkeit und Resignation
sowie als Folge langjähriger Suchtmitteleinnahme     des Suchtkranken führen dazu, dass auch wesent-
spezifische körperliche Folgeerkrankungen. Zum       liche eigene Wertvorstellungen nicht mehr befolgt
anderen ist sie dadurch gekennzeichnet, dass das     werden können. D.h. auch, dass der Betroffene
Verhalten des Abhängigen der Suchtmitteleinnah-      ggf. bereit ist, sich im Notfall über alle gesellschaft-
me phasenweise fast uneingeschränkt untergeord-      lichen Regeln und Vorstellungen hinweg zu setzen,
net ist. Dies löst häufig massivste negative Reak-   um sich den Konsum zu ermöglichen.
tionen des Umfeldes aus und führt so zu einem
erheblichen Leidensdruck des Betroffenen.            So kann es zum Beispiel vorkommen, dass er
                                                     Besitz -und Eigentumsverhältnisse außer Acht
                                                     lässt, seine Körperpflege in auffälliger Weise
31. Ununterbrochener Suchtmitteleinfluss             vernachlässigt oder sich völlig über berufliche und
über mehrere Tage                                    private Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten
                                                     hinwegsetzt.
Die zunehmend beherrschende Rolle des Sucht-
mittels, die sich schon im morgendlichen Konsum      Insbesondere Menschen, die von illegalen Drogen
zeigt, lässt den Vorsatz des Suchtkranken, weni-     abhängig sind, kommen hier nicht selten in die
ger oder seltener zu konsumieren immer öfter         Situation, Schulden machen zu müssen oder sich
zusammenbrechen, so dass es vorkommt, dass er        das notwendige Geld zur Beschaffung der Drogen
über mehrere Tage hinweg ständig unter Sucht-        auf illegale Weise anzueignen.

16
Bei medikamentenabhängigen Patienten kann es           Bei Medikamentenabhängigen wird die Form
zu Rezeptfälschungen oder auch – wenn sie in           der Entzugserscheinungen bestimmt durch die
einem entsprechenden Bereich arbeiten – zum            Art des eingesetzten Medikamentes. So wird z.B.
Diebstahl von Medikamenten kommen.                     jemand, der von Beruhigungsmedikamenten und
                                                       Schlafmitteln abhängig ist, im Entzug -ähnlich wie
                                                       der Alkoholiker - Angstgefühle verspüren, während
33. Beeinträchtigung des Denkens                       beim Schmerzmittelabhängigen neben der Un-
                                                       ruhe in der Regel Schmerzen auftreten. Wer von
Das Denkvermögen des Suchtkranken weist inzwi-         Aufputschmitteln abhängig ist, wird sich dagegen
schen erhebliche Ausfallerscheinungen auf. Oft         beim Absinken der Wirkung deutlich niederge-
ist er nicht mehr oder nur noch begrenzt in der        schlagen, körperlich schlapp und abgeschlagen
Lage, seine Situation realitätsgerecht oder mit der    fühlen.
ausreichenden Kritikfähigkeit einzuschätzen. Fol-
gerichtige Überlegungen fallen schwer, schwierige
Zusammenhänge können nur noch mühsam oder              35. Erhebliche körperliche
gar nicht erfasst werden und/oder die Konzentra-       Entzugserscheinungen
tionsfähigkeit ist massiv beeinträchtigt, so dass es
ihm z.B. schwer fällt, längere Texte zu lesen und zu   Beim Alkoholiker können mit dem Absinken des
verstehen. Am Arbeitsplatz zeigt er sich fahrig und    Alkoholspiegels jetzt auch massive körperliche
unaufmerksam. Insbesondere amphetamin- oder            Entzugserscheinungen, wie anhaltendes Zittern,
kokainabhängige Patienten zeigen sich nicht selten     besonders der Hände (Tremor), massive Schweiß-
trotz subjektiv erhöhter Leistungsfähigkeit hektisch   ausbrüche, Herzrasen, Schwindel, Erbrechen
und unstrukturiert.                                    oder Würgen auftreten. Besonders ausgeprägt
                                                       sind diese Symptome häufig morgens, wenn der
Im Zusammenhang mit dem oben Beschriebenen             Betroffene in der Nacht seinen Alkoholspiegel
kann es zu auffälligen beruflichen und privaten        nicht ergänzt hat. Das verräterische Zittern erlebt
Fehlentscheidungen kommen. Ebenso ist es auf-          der Alkoholiker aber auch nicht selten in Situa-
grund der Beeinträchtigung des Denkens bisweilen       tionen, in denen er sich beobachtet fühlt. Auch
auch schwer, neue Sichtweisen und Gedanken - so        diese Zustände kann der Alkoholiker nur noch mit
wie das in einer Therapie notwendig ist – in das       erneutem Trinken unter Kontrolle bringen.
eigene Denksystem aufzunehmen. Nicht selten ist        Bei Kokain- oder Amphitaminkonsumenten zeigen
die gesamte intellektuelle Leistungsfähigkeit jetzt    sich im Entzug häufig eine starke Erschöpfung,
auch in Abstinenzphasen deutlich beeinträchtigt.       Müdigkeit und depressive Verstimmung.
                                                       Cannabiskonsumenten erleben nicht selten Symp-
                                                       tome wie Schwitzen, Magen- und Darmprobleme,
34. Psychische Entzugserscheinungen                    Kopfschmerzen und Muskelzittern.
                                                       Medikamentenabhängige Patienten zeigen ähnli-
Mit dem Absinken des Suchtmittelspiegels treten        che Entzugssymptome wie Alkoholiker. Die Form
beim alkohol- und/oder drogenabhängigen Betrof-        der Entzugserscheinungen wird jedoch, wie unter
fenen unbestimmbare, massive Ängste und aus-           Punkt 34 beschrieben, durch die Art des eingesetz-
geprägte innere Unruhe auf. Er fühlt sich ständig      ten Medikamentes bestimmt.
nervös. Diesen Zustand versucht er mit erneutem
Konsum abzuwehren bzw. zu überspielen, was
ihm jedoch auf Dauer nur gelingen kann, wenn er
seinen Suchtmittelspiegel ständig ergänzt.

                                                                                                          17
36. Veränderungen bei der Wahl der Konsum-            38. Massives Entzugssyndrom
gesellschaft
                                                      Die unter Punkt 35 beschriebene Entzugssym-
Ähnlich wie bei dem unter Punkt 32 beschriebe-        ptomatik kann so ausgeprägt sein, dass es zu
nen „Zusammenbruch individueller Wertvorstel-         schweren Kreislaufstörungen, Blutdruckentglei-
lungen“ kann es jetzt auch vorkommen, dass es         sungen, Herzrhythmusstörungen und anderen
dem Suchtkranken bei der Wahl seines sozialen         körperlichen Beschwerden kommt, die unbedingt
Umfeldes nur noch darauf ankommt, sich den            ärztlicher Hilfe bedürfen, ggf. auch eine Kranken-
Weiterkonsum in Gesellschaft zu sichern. So           hauseinweisung erforderlich machen. Komplizie-
kann es dazu kommen, dass er jetzt auch mit           rend kann insbesondere bei alkohol- oder benzo-
Personen konsumiert, mit denen er sonst kaum          diazepinabhängigen Betroffenen auch ein unter
Kontakt suchen oder den Kontakt sogar unbedingt       Punkt 41 erwähnter Krampfanfall hinzukommen.
vermeiden würde. Oft schließt er sich auch einem
Personenkreis an, dem er sich deutlich überlegen
fühlt und verfährt hier nach dem Motto: „Unter        39. Internistische und neurologische
den Blinden ist der Einäugige König.“                 Folgeerkrankungen

Beim Medikamentenabhängigen tritt dieser Punkt        Schwerwiegende internistische oder neurologische
bisweilen im Zusammenhang mit dem Beschaf-            Folgerkrankungen machen ärztliche, ambulante
fungsverhalten auf (z. B. Schwarzmarktbeschaf-        oder stationäre Behandlungen erforderlich. Bei
fung).                                                Alkoholkranken handelt es sich hier auf inter-
                                                      nistischem Gebiet hauptsächlich um mehr oder
                                                      minder fortgeschrittene Lebererkrankungen,
37. Zuflucht zu Ersatzstoffen                         Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und des
                                                      Verdauungssystems, massive Stoffwechsel -und
Der Drang, weiter zu konsumieren, um Entzugser-       Elektrolytstörungen (Fettstoffwechselstörungen,
scheinungen zu vermeiden, kann jetzt so massiv        Gicht, Diabetes mellitus, Muskelkrämpfe), Blut­
werden, dass der Suchtkranke, falls das eigentliche   hochdruck (Folge: Herzinfarkt und Schlaganfall),
Suchtmittel nicht zur Verfügung steht, zu Ersatz-     schlecht heilende Hauterkrankungen, Verände-
stoffen greift. So konsumiert der Alkoholkranke       rungen des Blutbildes (Blutarmut und Infektan-
im Entzug möglicherweise Kölnisch Wasser oder         fälligkeit) und Herz- und Lungenerkrankungen.
Parfüm, alkoholhaltige Medizin, Melissengeist,        Neurologisch kommt es infolge der chronischen
Spiritus, Franzbranntwein o. Ä. Drogenabhängige       Alkoholintoxikation (Vergiftung) zu Schädigungen
Patienten greifen ggf. auch auf andere Substanzen     des peripheren, d. h. motorischen und sensiblen
zurück (Konsum von zerbröseltem Ecstasy nasal)        Nervensystems, der so genannten Polyneuropa-
oder nehmen Substanzen ein, von denen sie nicht       thie. Sie äußert sich im Frühstadium in Kribbeln
wissen, was sie enthalten.                            und Taubheitsgefühl sowie Kraftminderung oder
                                                      Lähmung, zunächst im Bereich der Hände und
In der beschriebenen Form tritt dieser Punkt bei      Füße. Es kommt z.B. zu brennenden Füßen (beson-
Medikamentenabhängigen in der Regel nicht auf,        ders nachts) und Gangunsicherheit oder Störun-
was jedoch vorkommen kann, ist, dass der Betrof-      gen im Bereich der Hände z.B. beim Greifen. Im
fene in Entzugssituationen Medikamente völlig         weiteren Verlauf der Erkrankung steigt die Polyn-
wahllos und unabhängig von deren Indikation und       europathie immer mehr auf, so dass dann auch
Zielrichtung einsetzt (z. B. Beruhigungsmittel bei    immer mehr die Arme und Beine, später der ganze
Schmerzen).                                           Körper betroffen ist. Es kommt zu immer stärkeren
                                                      Taubheitsgefühlen, Kribbelgefühlen, Schmerzen
                                                      oder Lähmungen.

18
Gleichzeitig kommt es durch Beeinträchtigung des     so unwiderstehlich erlebt, dass er auch massivste
sog. vegetativen Nervensystems zu Völlegefühl,       negative Folgen in Kauf nimmt und/oder extrem
Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit, morgend-      unverhältnismäßige Risiken bei seinem weiteren
lichem Erbrechen, Herzrasen und Durchblutungs-       Konsum eingeht: So nimmt er z.B. trotz bereits
störungen an Händen und Füßen. Auch vermehrte        bestehender berufliche Probleme in Kauf, gar nicht
Schweißausbrüche sind als Zeichen des gestörten      oder deutlich unter Suchtmittelwirkung stehend
vegetativen Nervensystems zu sehen. Schädigun-       am Arbeitsplatz zu erscheinen oder am Arbeits-
gen des zentralen Nervensystems zeigen sich als      platz weiter zu konsumieren.
irreparable Zerstörungen der Hirnzellen (Hirn-
abbau) mit der Folge von erheblichen Störungen       Der Drang zum Weiterkonsum steuert sein gesam-
der Merk- und Konzentrationsfähigkeit sowie der      tes Verhalten, sodass der fortgesetzte Konsum
Kritikfähigkeit und des Auffassungsvermögens (in     ohne Rücksicht auf Verluste und scheinbar ohne
ausgeprägter Form: sog. Korsakow-Syndrom).           Sinn und Verstand erfolgt.

Im Gegensatz zu vielen Organen ist das Nervensys-    Der Drang weiter zu konsumieren setzt sich über
tem nicht in der Lage, sich zu erneuern.             jegliche kritische Vernunft hinweg, sodass das
                                                     Suchtmittel zum wichtigsten Element der Lebens-
Alle o. g. Symptome können auch mehr oder min-       gestaltung wird.
der ausgeprägt bei Medikamentenabhängigkeit
auftreten. Insbesondere zeigen sich jedoch je nach
Medikament Leber-, Magen- und Nierenerkran-          41. Entzugsbedingte Krampfanfälle
kungen sowie Beeinträchtigungen des vegetativen
Nervensystems bis hin zur Polyneuropathie und        Wenn der alkohol- oder medikamentenabhängi-
des Hirnabbaus.                                      ge Betroffene seinem Körper in dieser Entwick-
                                                     lungsphase der Suchtkrankheit nicht ausreichend
Auch der Konsum von illegalen Drogen kann zu er-     Suchtmittel zuführt bzw. ihm die Substanz gänzlich
heblichen körperlichen Schäden führen, die jedoch    entzieht, kann es zu entzugsbedingten Krampfan-
mehr von der Art der Substanz bestimmt werden.       fällen kommen.
So schädigt der Konsum von Cannabis insbeson-
dere das zentrale Nervensystem und durch den         Der Betroffene verliert - meist ohne Vorwarnung
Konsumweg (Rauchen) die Lunge.                       - plötzlich das Bewusstsein, stürzt und verfällt
                                                     zunächst in eine heftige Verkrampfung der Musku-
Kokain und Amphetamine wirken sich insbesonde-       latur, danach in rhythmische Bewegungsabläufe.
re auf die Gefäßmuskulatur aus und können Herz-      Eine Erinnerung an dieses Ereignis besteht in
infarkte oder Schlaganfälle auslösen. Durch den      aller Regel nicht. Krampfanfälle können zu jeder
Konsumweg über die Nase kommt es auch häufig         Tageszeit - auch im Schlaf - auftreten. Solche
zu massiven Schädigungen der Nasenschleimhaut.       Krampfanfälle sind durch den damit verbundenen
                                                     Atemstillstand lebensbedrohlich.
Auch das Auftreten von Psychosen kommt beim
Konsum derartiger Substanzen nicht selten vor.       Bei stationären Entgiftungsbehandlungen kann mit
                                                     Hilfe von Medikamenten die Wahrscheinlichkeit
                                                     des Auftretens von Krampfanfällen deutlich ge-
40. Konsumieren wird Besessenheit                    senkt werden. In einigen Fällen kann sich auch ein
                                                     dauerhaftes Anfallsleiden entwickeln (alkoholische
Wenn der Suchtkranke in diesem Krankheitssta-        Epilepsie).
dium mit dem Konsum beginnt, kann es ihm pas-
sieren, dass er den Drang zum Weiterkonsum als

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42. Suizidgedanken bzw. -versuche                     Dieses Versagen des Erklärsystems stellt die Vor-
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Auf der Basis häufig sehr massiver Schuldgefühle,     Unterstützung zu bemühen (Selbsthilfegruppen,
Selbstvorwürfe und ausgeprägter Minderwertig-         Beratungsstelle, Therapie).
keitsgefühle, entwickelt sich beim Suchtkranken
oft das nun mehr klare Bewusstsein, dass fortge-
setzter Konsum seine Lebenssituation nur noch         45. Entzugsdelir (Delirium tremens)
verschlimmern kann. Gleichzeitig drängen ihn
die Angst vor Entzugserscheinungen sowie die          Als massivste Entzugserscheinung kann ein Deliri-
inzwischen verschärft bestehende Befürchtung,         um tremens auftreten. Eingeleitet wird es oft mit
seinen Alltag ohne Suchtmittel nicht bewältigen       Schlaf-, Magen-, Darmstörungen und erheblicher
zu können, dazu, weiter zu konsumieren. Hilflos       motorischer Unruhe, ausgeprägter Schreckhaftig-
in diesem Spannungsfeld gefangen, kann er nun         keit, grobschlägigem Händezittern, ausgeprägtem
in einen so verzweifelten Gemütszustand geraten,      Schwitzen und Herzrasen. Es findet sich häufig
dass er ernsthaft Überlegungen anstellt, sich das     Nesteln an der Bettdecke. Es kommt zum Auf-
Leben zu nehmen bzw. dies tatsächlich versucht.       treten meist optischer, selten auch akustischer
                                                      Halluzinationen, d.h. es wird etwas gehört oder
                                                      gesehen, was nicht existiert. Die Unruhe kann
43. Abfall der Toleranz                               sich bis zur Getriebenheit steigern. Es bestehen
                                                      wahnhafte Vorstellungen, die Kritikfähigkeit sowie
Dieses Symptom findet sich nur bei alkoholabhän-      die Orientierung zu Zeit, Ort und Situation sind
gigen Betroffenen.                                    eingeschränkt oder aufgehoben. Es besteht eine
                                                      Steigerung der Beeinflussbarkeit. Das Bewusst-
Durch die massive körperliche Schädigung,             sein ist nicht immer getrübt. Zusätzlich bestehen
insbesondere der Leber, kann es dazu kommen,          schwere Entgleisungen des Herz-Kreislaufsystems
dass die bis dahin stark erhöhte Alkoholtoleranz      mit stark erhöhtem Blutdruck, hoher Herzfrequenz
plötzlich deutlich zurückfällt. Dieser so genannte    und Atemstörungen. Ohne Behandlung besteht
„Toleranzknick“ zeigt sich darin, dass sich der Be-   die hohe Gefahr eines tödlichen Verlaufes.
troffene bereits nach der Einnahme geringer Men-      Das Delirium tremens tritt vor allem beim Entzug
gen Alkohols betrunken fühlt. Da diese Wirkung        von Alkohol oder Medikamenten auf.
jedoch im Allgemeinen nicht lange anhält, trinkt er
jetzt in noch kürzeren Abständen noch hektischer
und zwanghafter.

44. Das Erklärsystem versagt

Das unter Punkt 9 beschriebene Verhalten des
Suchtkranken, rationale Erklärungen und Ent-
schuldigungen für sein Konsumverhalten her-
anzuziehen, wird spätestens in der chronischen
Phase durch das eigene Verhalten so häufig und
unbarmherzig der Wirklichkeit gegenüber gestellt,
dass auch der Betroffene selbst nicht mehr daran
glauben kann. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass
sein Konsum sich weitgehend verselbständigt hat
und somit zu seinem Hauptproblem geworden ist.

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