Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
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greta magazin der Münchner grünen Dezember 2017 WOHNEN UND WUCHER EINE NEUE STUDENTENSTADT WIR MÜSSEN WIEDER MEHR BAUEN SCHÖNER WOHNEN MUSS DENN ALLES GLEICH HÄSSLICH SEIN? 1
INHALT DEZEMBER 2017 Foto: Andreas Gregor HOME Ich wohne also bin ich. So ist das. Aber wie wohnen wir denn – und wer wollen SW€€T HOME wir sein? Oder auch: Wer könnten wir sein? Wir haben uns ein paar Gedanken übers Wohnen gemacht und versucht, WOHNEN UND WUCHER mal hinter die ein oder andere Fassade zu gucken. 10 Luxuriöse Fahrräder vor dem Bioladen Wohnen in Giesing. Was sich verändert hat. Was sich ändern muss. Wir haben mit Carmen Dul- linger-Oßwald und Sebastian Wei- senburger darüber gesprochen. von Thorsten Siefarth 13 Preiswerte Wohnungen dringend gesucht Warum wir die Wohnungswende brauchen und wie wir sie angehen können. von Bernd Schreyer 3 Editorial 14 Schöner wohnen 4 Mein Münchenbild Warum bauen wir eigentlich alles gleich hässlich? von Anna Hanusch 7 Hier schreibt der 25 Was bringt Vorstand „Grün klingelt“? 15 Eine neue Studentenstadt Unser Haustürwahlkampf Der Mietwahnsinn trifft besonders von Georg Nitsche Studierende. Ihm muss mit mutigen 7 Einladungen zu den Bauprojekten begegnet werden. Stadtversammlungen von Marcel Rohrlack 26 Meldungen 18 Bericht aus dem Stadtrat 16 Wohnen – 28 Aus den Ortsverbänden was muss sich ändern? 21 Grüne Jugend Einblicke von Mandatsträger*innen 29 Personalia Chris Kühn, MdB Jürgen Mistol, MdL 24 5 Fragen an … Gülseren Demirel, Stadträtin Alexander König und Arne Brach 30 Grüner Terminkalender 2 GRETA 12.2017
EDITORIAL Ich wohne, also bin ich. D ie Grundlage ist das Fundament der Basis. Dieser Satz fiel mir spontan ein, als ich über das Thema Wohnen nachdachte, das Schwerpunktthema dieser Aus- gabe der GRETA. Wohnen ist so grundlegend für unser Leben, so fundamental. Die Basis eben. Gleichwohl ist dieser Satz an sich ein Nullinger: Die Grundlage ist das Fundament der Basis. Oh, Mann! Ein Satz wie aus einer Phrasendreschmaschine. Könnte ein Poli- tiker verbrochen haben. Ich dachte, diesen Satz in früheren Jahren einmal im Kabarett gehört zu haben. Doch weit gefehlt. Bei meiner Suche nach dem Urheber stieß ich auf: Le Corbusier! Und der hat insbesondere als Architekt und Städteplaner mächtig – und nicht unumstritten – Ruhm erlangt. Die Grundlage ist das Fundament der Basis. Was Le Corbusier damit genau sagen wollte, konnte ich nicht herausfinden. Aber es ist doch schon erstaunlich, dass gerade ein Schöpfer von Wohnraum zu einem solchen Satz findet. Vielleicht meinte er tatsäch- lich: Wohnen ist existenziell. Und wird mir der Wohnraum unter dem Hintern weggezo- gen, dann ist das noch existenzieller, geradezu lebensbedrohlich. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt ins Politische. Um existenzielle Bedürfnisse muss sich die Politik ganz besonders kümmern. Vor allem, wenn die Not beim Wohnen so groß ist! Da können wir in München ein Lied davon singen. Wenn es ein Thema gibt, das wir bei Wahlkämpfen an Infoständen immer und immer wieder hören, dann ist es das: Was tut Ihr Grüne gegen explodierende Mieten und gegen die Wohnungsnot? Die Wohnsituation ist vielleicht das größte Sorgenkind in München. Dabei müssen wir Grüne uns keineswegs verstecken. Wir haben in unserem Wahl- programm zur Kommunalwahl viele konkrete Vorschläge gemacht. Dennoch müssen wir an dem Thema dranbleiben. In den Stadtteilen, auf Münchner, bayerischer und Bundesebene. Deswegen diese GRETA mit diesem Schwerpunktthema: Wohnen. Viel Spaß bei der Lektüre! Für die Redaktion Andreas Gregor, Gudrun Lux, Anna Schmidhuber, Thorsten Siefarth WOHNEN UND WUCHER 3
mit Die Münchnerinnen und Münchner haben entschieden: Wir wol- len dieses Kraftwerk nicht länger als nötig betreiben! Ende 2022 machen! muss abgeschaltet werden. Was bleibt, ist Geschichte. Doch für Was ist Dein Münchenbild? Schick es Sentimentalität ist kein Anlass. Das Heizkraftwerk Nord wird uns mit kurzer Beschrei- noch ein paar Jahre betrieben. Bis dahin mahnt es, sich anzustren- bung an greta@ gen für die Energiewende. gruene-muenchen.de Danke! FAMILIE UND GESELLSCHAFT 5
PLASTIKMÜLL VERMEIDEN LEITUNGSWASSER TRINKEN WASSERFLASCHE AUFFÜLLEN REFILL-DEUTSCHLAND.DE 6 GRETA 12.2017
HIER SCHREIBT DER VORSTAND Wir werden immer mehr! von Gudrun Lux Gleich sechs Bewerber*innen konkurrierten Anfang Oktober Delegierten für die nächste Bundes- und Bezirksversammlung um den freien Platz in unserer Doppelspitze. Am Ende setzte wählen, die leider voraussichtlich gleichzeitig in Berlin und In- sich klar Sylvio Bohr, der dem Vorstand seit April als Beisitzer golstadt tagen werden. Wer den Kreisverband vertreten möchte, angehört hatte, durch. Um die dadurch freiwerdende Position kann sich bereits vor der Stadtversammlung online bewerben. bewarben sich immerhin noch drei Personen, Julian Zuber wurde Zur Stadtversammlung sind alle Mitglieder der Münchner schließlich gewählt. Wir freuen uns sehr, dass der Vorstand wie- Grünen eingeladen und stimmberechtigt. Und das sind ganz der komplett ist und haben uns im neuen Team schon voll in die schön viele: Zehn Prozent Mitgliederzuwachs haben wir seit der Parteiarbeit gestürzt. Was für ein tolles Signal sind die vielen Be- Bundestagswahl zu verzeichnen. Allen Neuen ein herzliches Will- werber*innen: So viele wollen sich einbringen und mitgestalten. kommen bei uns! Beim Neumitgliedertreffen am 12. Dezember Vielen Dank dafür auch allen, die nicht gewählt wurden. stehen wir Euch Rede und Antwort und informieren Euch über Hinter uns Münchner Grünen liegt ein sehr anstrengendes, viele Möglichkeiten, Euch bei den Grünen aktiv einzubringen. arbeitsintensives aber auch erfolgreiches Jahr. Wir haben das Euch allen wünschen wir frohe Advents- und Weihnachts- zweitbeste Bundestagswahlergebnis unserer Geschichte geholt tage. Kommt gut ins neue Jahr und tankt viel Kraft. Mit der und in allen Münchner Wahlkreisen massiv zugelegt. Mit Dieter Radoffensive, der Bezirkstagswahl und der Landtagswahl haben Janecek und Margarete Bause sind wir Münchner Grüne auch wir Grüne auch 2018 viel vor! Wir freuen uns schon darauf! im neuen Bundestag mit zwei Abgeordneten vertreten. Abschied nehmen in dieser Rolle müssen wir leider von Doris Wagner. Euer Stadtvorstand Doris war 2013 bis 2017 Bundestagsabgeordnete und hat sich Gudrun, Sylvio, insbesondere in die Themenfelder Verteidigung und Demografie Christian, Helena, tief eingearbeitet und politisch viele Anstöße gegeben. Herzli- Julia und Julian chen Dank für Dein Engagement, liebe Doris, und alles Gute für den neuen Lebensabschnitt! Der Vorstand Im Oktober und November haben wir in den neun Münchner der Münchner Grünen Stimmkreisen unsere Direktkandidat*innen für Landtag und Bezirkstag gewählt. Wir als Vorstand werden der Stadtver- sammlung am 7. Dezember vorschlagen, eine Reihung unserer (v.l.: Helena Geißler, Sylvio Bohr, Kandidat*innen für die Aufstellung der beiden Listen Ende Ja- Christian Smolka, Gudrun Lux, nuar vorzunehmen. Zudem werden wir am 7. Dezember unsere Julian Zuber, nicht im Bild: Julia Post) EINLADUNG ZU DEN DONNERSTAG, 7. DEZEMBER Stadtversammlungen 19 Uhr, Kolpinghotel St. Theresia, Hanebergstr. 8 —— Wahl der Delegierten für die Bezirksversammlung —— Wahl der Delegierten für die Bundesversammlung (BDK) —— Reihung unserer Kandidat*innen für den Bezirks- und Landtag —— Rechenschaftsbericht/Kassenprüfung 2016 DIENSTAG, 23. JANUAR 19 Uhr, Echardinger Einkehr, Bad-Kreuther-Str. 8 —— Satzungsänderung zu Delegiertenwahlen —— u.a. 7 Die genauen Tagesordnungen findet Ihr rechtzeitig auf unserer Website.
WOHNEN UND WUCHER „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ – über diesen Werbeslogan können die- jenigen, die in München auf Wohnungssuche sind, nur müde lächeln. Denn Wohnen, das wär’s! W ohnungen sind Mangelware, die Stadt ist überfüllt, für vie- le steigen die Ansprüche, sie wollen mehr Platz, bessere Anbindung, zentraler wohnen als noch ihre Eltern und Großeltern. Wer nicht mithalten kann, fällt hinten runter. Eine besondere Herausforderung ist Wohnen in München für Student*innen. Denn für sie ist es oft schier unmöglich, eine Wohnung zu finden und nur für einen Bruchteil stehen geförderte Wohn- heimsplätze zu Verfügung. Marcel Rohr- lack, Soziologiestudent und ehemaliger Sprecher der Grünen Jugend München, fordert deshalb eine neue Studenten- stadt. Warum bauen wir eigentlich alles gleich hässlich?“ fragt Anna Hanusch, Architektin, Bezirksausschussvorsitzende und Stadträtin in ihrem Text und erklärt, wie es kommt, dass Wohnungen heutzu- tage sehr glattgebügelt sind und wenig individuell. Diese und weitere Schlag- lichter zum Thema Wohnen findet Ihr in diesem Schwerpunkt. SCHWERPUNKT WOHNEN UND WUCHER 9
LUXURIÖSE FAHRRÄDER VOR DEM BIOLADEN Wohnen in Giesing. Was sich verändert hat. Was sich ändern muss. Wir haben mit Carmen Dullinger-Oßwald und Sebastian Weisenburger darüber gesprochen. von Thorsten Siefarth C armen, Du bist Mitglied und Vorsitzende im Bezirksaus- bestimmter Menschenschlag wie in manch anderen Vierteln und schuss 17 (Obergiesing-Fasangarten), Du, Sebastian im trotzdem – oder gerade deshalb – kommen die Leute wunderbar Bezirksausschuss 18 (Untergiesing-Harlaching). Damit miteinander zurecht. seid Ihr auch für das Wohnen in Euren Stadtvierteln Carmen: Da ist eben noch so ein Leben und Lebenlassen. zuständig. Wohnt Ihr gerne dort? Gibt es Unterschiede, die Eure Viertel von anderen abgrenzen? Carmen: Ich wohne ja schon mein Leben lang in diesem Viertel. Carmen: Also ich finde, durch die Sechz'ger sind wir ganz anders Ich kenne es in- und auswendig. Ich liebe es, weil es dort ziem- als alle anderen Viertel. Da haben wir eine Klientel, die alle vier- lich normal zugeht. Es ist nicht so überspitzt. Außerdem mag ich zehn Tage immer so eine schöne Aufregung hierherbringt. Da ist mein Viertel, weil ich die Leute dort kenne. Es ist mir im Laufe was los. Die einen begrüßen das, während es die Anderen nur meines Lebens wirklich ans Herz gewachsen. dulden. Das ist ja schon fast eine Liebeserklärung. Und Du, Sebastian? Sebastian: Das stimmt natürlich. Das ist außergewöhnlich, so Sebastian: Mir geht’s da ähnlich. Was ich an Giesing wahnsin- ein Stadion mitten in der Stadt, das jetzt auch wieder stark be- nig gerne mag, dass es eine bunte und wilde Durchmischung spielt wird. Sogar von der ersten Mannschaft – wenn’s auch nur von Leuten hat. So kann man bei uns in bestimmten Ecken zum die vierte Liga ist. Außerdem ist Giesing einerseits ein historisch Beispiel noch richtig heftige Graffiti finden. Meine Freunde aus gewachsenes Viertel. Keines, das am Reißbrett entworfen und anderen Vierteln sind da teilweise ziemlich erstaunt. Und meine hochgezogen wurde. Noch dazu war es Vorstadt und hat damit Frau, die gebürtige Berlinerin ist, sagt, Giesing sei „kiezig“. einen besonderen Charakter. Anders als die Innenstadt, aber Inwiefern „kiezig“? auch anders als die „neuen“ Viertel am Stadtrand. Sebastian: Giesing hat einen ganz speziellen Charme. Es gibt Carmen: Giesing war ja auch ein ziemlich eigenständiges Viertel. die Anzugträger, aber auch diejenigen, die Samstagabends im Erst durch die Eisenbahn hat sich dann einiges verändert. Mit ihr Supermarkt nur drei Tiefkühlpizzen und 'ne Chipstüte kaufen. Es kamen neue Unternehmen. Und viele Arbeiter. Darum war Gie- gibt die erwähnten Graffiti, aber auch wunderschöne Alleen mit sing lange auch ein Arbeiterviertel. Mittlerweile sind die Firmen Kirschbäumen. Und wenn nachts auf der Straße Leute vor Deiner allerdings weg. Und mit ihnen auch die Arbeiter. Das merkt man Haustür rumgrölen, dann kannst Du sagen, naja, das gehört auch schon deutlich zum Beispiel an der Tegernseer Landstraße oder dazu, das ist halt Giesing. Bei uns lebt zum Glück nicht nur ein am Giesinger Bahnhof oder als die Firma Agfa weggegangen ist. 10 GRETA 12.2017
Fotos: Andreas Gregor Dadurch ist ein großer Platz freigeworden. Immerhin kam dann sehr luxuriöse Fahrräder mit Anhängern stehen. Meines Erach- dort ein großes Wohnquartier hin. Auch Siemens oder Osram tens auch ein Anzeichen dafür, wie ärmere Teile der Bevölkerung gibt es bei uns nicht mehr. verdrängt werden. Sebastian: Ich merke sehr deutlich, wie nach und nach die alten Damit sind wir beim Thema Gentrifizierung. Was könnt Ihr von Industrieflächen überbaut werden. den Bezirksausschüssen dagegen unternehmen? Wo sind eigentlich die Arbeiter hingezogen? Carmen: Auf mich kommen Bürger zu, die aus ihren Wohnungen Carmen: Ja, das würde mich auch mal interessieren. Teilweise verdrängt werden. Vermieter stellen ihnen zum Beispiel einfach sind die natürlich schon geblieben, da viele ja die Möglichkeiten die Heizung ab. Zwar bieten sie hin und wieder auch andere hatten, in firmeneigenen Wohnungen zu leben. Das ist auch ein Wohnungen an, die sind aber meist völlig unzureichend oder viel Modell, um der Wohnungsnot entgegenzutreten, Firmenwoh- zu teuer. Einmal hat mich eine schwerkranke Dame angespro- nungen! Aber die müssen nun teilweise pendeln, um ihre weiter chen, die aus ihrer Wohnung raussollte. Ich habe dann den Kon- entfernten Arbeitsplätze zu erreichen. Andererseits haben sie takt hergestellt zu unserer Mietbeauftragten, die wir im Bezirk- dadurch, dass sie teilweise Jahrzehnte in den Firmen gearbeitet sausschuss haben. Sie hat sich dann sehr für die Dame engagiert haben, ein gewisses Polster angespart. So konnten sich manche und ist mit ihr zum Mieterverein und zu vielen anderen Stellen sogar Wohnungen kaufen. gegangen. Letztlich musste diese Frau aber dann doch nach au- Sebastian: Eine andere Sache ist aber der Spekulationsdruck. ßerhalb ziehen. In eine Wohnung, die sie sich leisten konnte. Der ist in den letzten Jahren viel stärker geworden. Wo immer Die von Dir geschilderten Beispiele sind Einzelfälle, in denen Ihr was frei ist, wird in den allermeisten Fällen versucht, das Maxi- vermitteln könnt. Ist das wirklich alles? male an Geld rauszuquetschen. Das ist für die Bevölkerung, die Carmen: Leider sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt. Wir nicht jede Mieterhöhung mitgehen kann, sehr schwierig. Da gibt in Giesing haben unseren Schwerpunkt auf die Erhaltungssatz es gerade einen sehr skurrilen Fall. Das Haus in der Hans-Mie- ungen gelegt. Das hat die Stadt aber gar nicht gerne. Sie kämpft lich-Straße 1a wurde an die SOS-Kinderdörfer vererbt. Und was um jedes Haus und will verhindern, dass es in den Schutz mit haben die damit gemacht? Sie haben das Haus luxussaniert. Eine aufgenommen wird. vermeintlich gemeinnützige Organisation! Dadurch haben sie Was ist eine Erhaltungssatzung? superteure Wohnungen produziert. Eine Wohnung mit 130 Qua- Sebastian: Eine Erhaltungssatzung ist dazu da, die Struktur und dratmetern wurde zum Beispiel für 2800 Euro Miete angeboten. das Milieu zu erhalten. Im Geltungsbereich einer solchen Sat- Nicht in Bogenhausen, sondern in Untergiesing! Das hat mich zung bedürfen der Abbruch, die Änderung oder die Nutzungsän- wahnsinnig geärgert. derung einer zusätzlichen Genehmigung durch die Verwaltung. Carmen: Ein ähnliches Phänomen haben wir an der Tegernseer Man kann dadurch die negativen Auswirkungen von Ausverkäu- Landstraße. Die Gründerhäuser dort wurden oft mehrfach wei- fen etwas abfedern. Zum Beispiel geben diese Satzungen der terverkauft und dann von den Investoren luxussaniert und teuer Stadt unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht. vermietet. Dort ziehen dann so Latte-Macchiato-Mütter ein (wir Dadurch kann sie die Bewohner vor Luxussanierungen und damit lachen). Ich beobachte auch, wie vor den Bioläden immer mehr vor drohenden Mietsteigerungen schützen. SCHWERPUNKT WOHNEN UND WUCHER 11
keine sehr teure Sache. Bislang wissen die Bauträger leider sehr genau, dass sie weitgehend sanktionslos gegen viele Vorgaben verstoßen können. Also mehr Personal. Aber kann man auch noch etwas struktu- reller an die Sache herangehen? Carmen: Also meine Forderung ist und bleibt: Genossenschafts- wohnungen. Das ist meiner Meinung nach das einzige, was uns retten kann vor diesem Mietwucher. Wobei es ganz verschiede- ne Formen gibt, wie man solche Genossenschaftswohnungen organisieren kann. Sebastian: Also beim Thema Wohnen, da dürfen wir Grüne uns durchaus mal selbst loben. Wir haben dazu ein sehr gutes kommunalpolitisches Wahlprogramm geschrieben. Da sind Carmen: Diese Möglichkeit hat die Stadt bei uns aber noch nie in viele ganz konkrete Maßnahmenvorschläge drin. Vom sozialen Anspruch genommen und das finde ich sehr schade. Wohnungsbau bis zum Thema Stadtflächenentwicklung und Sebastian: Bei uns auch sehr, sehr selten. Grünflächenerhaltung. Ich möchte da mal zwei Beispiele nennen: Die Bezirksausschüsse sind also relativ machtlos? Erstens die Verdichtung. Momentan ist es so, dass alles wild Sebastian: Ja, das stimmt schon. Wir können den Stadtrat aber durcheinander gebaut wird. Wir hatten vor der Kommunalwahl immerhin ärgern. Es ging zum Beispiel mal um eine Anpassung den Bürgermeister aus Neubiberg eingeladen und wollten von der Erhaltungssatzung an den realen Mietmarkt. Da hatten wir ihm wissen, wie die das verhindern. Die Neubiberger haben das von Giesing aus eine Initiative ergriffen, um das zu ändern. Wir ganz toll gelöst. Sie haben verbindliche Flächen ausgewiesen, für haben die Stadt dann so lange genervt, bis sie endlich mitge- die eine Verdichtung gewünscht ist, und andere Flächen, die sie zogen ist. Außerdem gibt es aber auch noch die Möglichkeit, davor schützen wollen. Ihr Konzept war zwar „auf Kante genäht“, Öffentlichkeit herzustellen. Wie zum Beispiel bei der Geschichte aber – ganz wichtig! – rechtlich haltbar. Eine sehr kluge Lösung. um das von den SOS Kinderdörfern übernommene Haus. Das Das müsste in München dann aber auch in ein übergeordnetes Thema erhitzte die Gemüter und kam dann in den Bezirksaus- Stadtentwicklungskonzept eingebettet werden. Mein zweites schuss. Die Aufregung dort ging über die Parteigrenzen hinweg. Beispiel: Die Stadt muss massiv ihren eigenen Wohnungsbau Und es gelang schließlich, das Thema in die Zeitung zu bringen. ausweiten. Gerade jetzt, wo die Zinsen so niedrig sind. Und damit auf die öffentliche Tagesordnung. Carmen: Völlig richtig. Und hinzukommt, es fehlt uns nicht nur Carmen: Wie bei uns mit dem Uhrmacherhäusl. Das wurde in ein Wohnkonzept. Es fehlt auch ein Verkehrskonzept. Wir haben einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgerissen. Diese Aktion hat auch da keinen übergeordneten Plan. Das macht uns insbeson- einen derartigen Aufruhr erzeugt, dass ich von der überregiona- dere in den Bezirksausschüssen die Arbeit recht schwer. Hier for- len Presse aus Hamburg, Berlin, Nürnberg und anderen Städten dern wir die Stadt auf, endlich derartige Konzepte zu entwickeln! angefragt wurde. Übrigens, jeden Freitag ab 18 Uhr ist dort eine Carmen und Sebastian, ganz herzlichen Dank für das Gespräch Mahnwache, die sehr gut besucht wird. mit Euch! Sebastian: In diesem Fall hat die Reaktion in der Öffentlichkeit dann auch dazu geführt, dass sich der Oberbürgermeister ein- geschaltet und verlangt hat, dass das Haus wieder so aufgebaut wird, wie es war. Ich kann mich noch erinnern, wie sich die Ver- waltung zunächst sehr zögerlich verhalten hat. Aber irgendwann hat der Reiter dann gemerkt, dass er sich ein Zögern politisch Sebastian Weisenburger nicht leisten kann – und hat auf den Tisch gehauen. Hinzu Jahrgang 1983, ist Vater von zwei Münchner kommt noch, dass die Sache letztlich nur deswegen so hochge- Kindern und seit 2003 in der Landeshauptstadt kocht ist, weil ein Bürger den Abriss zufällig mitbekommen, sich daheim. Seit 2008 ist er mit kurzer Pause im Be- dem Bagger entgegengestellt, die Polizei gerufen und auch die zirksausschuss 18 (Untergiesing-Harlaching) tätig. Verwaltung eingeschaltet hat. Von 2011 bis 2014 war er Vorsitzender der Münch- Viel hängt also von dem Engagement Einzelner ab. Und von der ner Grünen. Verwaltung, die noch dazu sehr zögerlich ist. Wie könnte man die Verwaltung denn auf Trab bringen? Sebastian: Also wir haben schon in unserem grünen Wahlpro- gramm für 2014 gefordert, dass die Stadt ihre Stellen endlich Carmen Dullinger-Oßwald so weit aufstocken muss, dass sie wirksam kontrollieren kann. Jahrgang 1951, ist ein echtes Münchner Kindl. Seit Das Problem mit der mangelhaften Kontrolle haben wir übrigens langem ist sie in Giesing tief verwurzelt und eine nicht nur beim Bauen, sondern gerade auch beim Baumschutz. richtige Netzwerkerin. Insbesondere wenn es um Die Behörden müssen endlich mit genügend Leuten ausgestattet Kultur, Vereine und Initiativen geht. Sie ist Vorsit- werden, die durch die Stadtviertel gehen und kontrollieren, ob da zende des Bezirksausschusses 17 (Obergiesing-Fa- alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Noch dazu wäre das ja sangarten). 12 GRETA 12.2017
Preiswerte Wohnungen dringend gesucht WARUM WIR DIE WOHNUNGSWENDE BRAUCHEN UND WIE WIR SIE ANGEHEN KÖNNEN von Bernd Schreyer Foto: Andreas Gregor D ie Landeshauptstadt Mün- spät auf die Dynamik des Bevölkerungs- in Aussicht zu stellen. chen ist mit ihrem Umland die zuwachses seit 2008 reagiert und mit Das in der Perspektive München ver- wirtschaftsstärkste Region Schwarz-Rot ab 2014 wurden bis heute ankerte Ziel „kompakt, urban, grün“ darf Deutschlands mit dem größten keine ausreichenden Programmziele und nicht nur ein unverbindliches Schlagwort Bevölkerungszuwachs, dem höchsten Planungsgrundlagen zur Versorgung der sein, sondern muss offensiv umgesetzt Entwicklungspotential und der geringsten Münchner*innen mit bezahlbarem Wohn- werden. Wir brauchen die Verdichtung, Arbeitslosigkeit. Deshalb bleibt die Region raum forciert, verabschiedet oder um- sie muss aber urban, schön und attraktiv auch zukünftig ein höchst anziehen- gesetzt. Die Grünen waren die einzigen, sein, so wie die zunehmenden In-Viertel der Magnet für Menschen mit hoher die 2013 mit Aufnahme von mindestens rund um die Münchner Altstadt. Städ- Qualifizierung und Menschen, die aus 9.000 Neubauwohnungen per anno, da- tische Dichte bedeutet mehr Höhen wirtschaftlich und sozial marginalisier- von 3.000 bezahlbare Mietwohnungen, in entwicklung beim Wohnungsbau, sie ten Regionen in und außerhalb Europas ihr Kommunalwahlprogramm, die Zeichen bedeutet Vielfalt kleiner Geschäfte durch zu uns kommen, um hier besser und der drohenden Entwicklung erkannt und verdichtete Kaufkraft und mehr begrünte ungefährdeter zu leben und ihre Existenz eine Wende gefordert hatten. Auch das und kommunikative öffentliche Räume. sichern zu können. Ende des Verkaufs städtischer Grund- Solche urban geprägten Stadtviertel müs- Allein seit Beginn des Jahres 2010 stücke für hochpreisigen freifinanzierten sen sich über den Mittleren Ring hinaus haben die Einwohnerinnen und Einwoh- Wohnungsbau sowie eine Verdreifachung entwickeln können. ner der Landeshauptstadt München um der Bautätigkeit städtischer Wohnungs- Durch die Umsetzung der oben ge- ca. 200.000 Menschen (etwa 100.000 baugesellschaften und Genossenschaften nannten Ziele und der weiteren Schärfung Haushalte) zugenommen. In der gleichen basieren auf Programmen und Anträgen der Instrumente Erhaltungssatzung, Zwe- Zeit hat sich der Münchner Wohnungs- der Münchner Grünen und ihrer Stadt- ckentfremdung und Belegrechtskauf lässt bestand aber lediglich um weniger als ratsfraktion. sich der Freisinger Appell vom 17. Juni 50.000 Wohnungen erhöht. Es besteht Das im Herbst 2016 verabschiedete 2015, jeweils 3.000 bezahlbare Wohnun- also bereits jetzt ein riesiges Defizit an städtische Handlungsprogramm „Woh- gen in München und weitere 3.000 in der angemessenem bezahlbaren Wohnraum nen in München VI“ wird den genannten Region zu schaffen, gut umsetzen. Und und dieses Defizit wird bei dem prog- Anforderungen einer sozialen Wohnungs- dies ist angesichts der weiter anhaltenden nostizierten Zuwachs von mindestens politik jedoch nicht gerecht. Für den Wohnungsnot in München zwingend 20.000 bis 30.000 Menschen jährlich geförderten Wohnungsbau (Sozialwoh- geboten. weiter steigen. nungen) wurde die Zielzahl gegenüber Die Münchner Mietpreise erreichen den Vorgänger-Handlungsprogrammen seit Jahren immer neue Rekordhöhen. sogar gesenkt und mit der Förderung von Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit (Ver- bezahlbarem Wohnraum in der Größen- Bernd Schreyer dreifachung seit 2010), prekäre Wohn- ordnung von nur 2.000 Wohnungen OV Au/Haidhausen verhältnisse und Gentrifizierung nehmen per anno insgesamt wird das Ziel weit engagiert sich für soziale extrem zu. verfehlt, den Münchner*innen eine Pers- Gerechtigkeit – Wohnen spielt Leider hat die Stadtpolitik viel zu pektive auf kostengünstigen Wohnraum da eine zetrale Rolle. SCHWERPUNKT WOHNEN UND WUCHER 13
Schöner wohnen WARUM BAUEN WIR EIGENTLICH ALLES GLEICH HÄSSLICH? von Anna Hanusch N eben der Kosten stehen auch der Baustil und die Gleichförmigkeit von neuer Wohnungsarchitektur immer wieder in der Kritik. Was hier provokativ als „hässlich“ tituliert wird, ist es nicht zwingend im Einzelfall, aber in der Masse und der Wiederholung. Zu den Gründen hier ein paar Thesen: 1. Niemand muss Experi- mente wagen, wenn sich 20er Jahren war damals nachvollziehbar, 6. Wohnungen werden alles vermieten lässt. aber seitdem gelten „zeitlose“ funktionale nicht von denen geplant, Schlichtheit und Stringenz als sehr hohe Daher müssen gar keine Zeit und somit Güter in der Gestaltung und zu Buntes die später darin wohnen. Geld eingesetzt werden, um zu hinterfra- oder Verspieltes wird häufig abgelehnt. Die Entscheidungen über Aussehen und gen, ob es neue Wohnbedürfnisse gibt. Zuschnitte von Wohnungen treffen zu Sondern das, was am Markt funktioniert, wird einfach mit leichten Variationen 4. Der Spielraum beim Bau häufig Immobilienabteilungen, die den reproduziert. Kein Risiko wegen neuen wird durch viele Regeln Markt sondieren und sehr selten die zukünftigen möglichen Bewohnerinnen Materialien, Details oder Grundrissen, und Vorschriften verengt. und Bewohner. Wenn diese tatsächlich die nicht den Standards entsprechen. Anforderungen zur Belichtung, Belüftung in aufwendigen Verfahren bei Genos- Und noch mehr unterschiedliche Woh- und dem Brandschutz sorgen dafür, dass senschaften mit eingebunden werden, nungstypen zu mischen bedeutet mehr bestimmte Wohnungs- und Gebäudety- kommen meist ganz andere Gebäude und Planungsaufwand. pen besonders gut funktionieren und da- Wohnungen heraus. her auch häufig wiederholt werden. Auch Daher sollten wir weiter die Bauherrn 2. Im internationalen im sozialen Wohnungsbau gibt es relativ und Planer unterstützen, die sich Zeit Markt werden immer ähn- starre Vorgaben zur Größe und Anzahl nehmen zum Nachdenken und Entwi- lichere Bilder reproduziert. von Zimmern. Um der Förderfähigkeit und ckeln wie etwa die Genossenschaften. Vergleichbarkeit willen soll keiner einen Laden wir mehr „Normalbürger“ ein sich Wohnungen sind langfristige Geldanla- Erker mehr erhalten. an der Diskussion in Wettbewerben zu gen und werden weltweit vermarktet. beteiligen. Und lernen wir von unse- So schlägt auch hier die Globalisierung zu. Das zeigt sich beispielhaft im Sie- 5. Jeder Quadratmeter zählt. rem gebauten Erbe. Die Bauherrn der Genossenschaftswohnungen von vor 100 geszug der bodentiefen Fenster – egal Um möglichst viel aus dem Grundstück Jahren haben das in der Mischung von in welchem Klima ich baue oder der hell herauszuholen, gibt es ein Flachdach Funktionalität, Gemeinschaftsbildung und verputzten Fassaden und Parkettböden – statt eines teilweise nicht nutzbaren Gestaltung schon ziemlich gut hinbekom- egal welche Materialien regional sind und Satteldach-Geschosses. Keine groß- men, nur dummerweise sind die Woh- historisch verwendet wurden. zügigen Treppenhäuser, weil die als nungen meist nicht barrierefrei. Wohnraum fehlen und optimierte und 3. Die Verteufelung des erprobte Grundrisse statt Versuche hier Ornaments wirkt in der neue Lebensentwürfe zu berücksichti- gen. Flächen, die nicht klar definiert sind, Architektur nachhaltig. gemeinschaftlich genutzt werden oder Im sehr amüsant zu lesenden Buch „From aufgrund von schrägen Wänden nicht Anna Hanusch Bauhaus to our House“ von Tom Wol- optimal möbliert werden können sind in OV Neuhausen/Nymphenburg fe wird schon 1981 der Siegeszug der so einer Rechnung in Abzug zu bringen. Lebt in ihrer 18. Wohnung und weißen Kisten angeprangert. Der radikale Dabei machen sie den Charme von vielen plant als Architektin aber mehr Befreiungsschlag der Architekten in den Wohnungen erst aus. Schul- und Bürosanierungen. 14 GRETA 12.2017
Fotos: micro compact home ltd. Eine neue Studentenstadt DER MIETWAHNSINN TRIFFT BESONDERS STUDIERENDE. IHM MUSS MIT MUTIGEN BAUPROJEKTEN BEGEGNET WERDEN. von Marcel Rohrlack H undert Meter lange Schlangen Der Großteil der Wohnheimsplätze viele Studierende zum Monatsende kein bei Wohnungsmassenbesichti- stammt noch aus der Zeit Hans-Jochen Geld? Man kann doch einfach welches gungen, Quadratmeterpreise an Vogels vor einem halben Jahrhundert. abheben.“) Ein harmloser Witz, der mit der Grenze zum gesetzwidrigen Seit den frühen Siebzigerjahren wurde die Klischees spielt, aber auch Wahrheit Wucher und eine Vermieterschaft, die Zahl der Plätze zwar schrittweise etwa enthält. Denn wenn es so weiter geht, jedes Stereotyp vom rücksichtslosen verdoppelt, mit dem enormen Bedarf wird sich in Zukunft nur noch Justus ein Gierschlund bestätigt: Eine Wohnungssu- durch steigende Mieten am freien Markt Studium in München leisten können. che hat in München völlig zu Recht einen und Rekordzahlen an Studierenden kann Universitäten wären dann nicht mehr die Ruf als Spießrutenlauf weg. Man könnte sie jedoch nicht mithalten. Denn seit Chancen-Schmieden, die sie sein sollten. die Stadt dafür hassen, wie beliebt sie ist. der Nachkriegszeit hat sich die Zahl der Denn es geht nicht nur um gerechte Würden doch bloß weniger Menschen Studierenden der LMU etwa verfünffacht Möglichkeiten heute, sondern es geht in hier wohnen wollen! und die Mieten am freien Markt gehen der Frage des studentischen Wohnens Exzellente Universitäten ziehen jeden durch die Decke. um einen gerechten Zugang zu den Chan- Herbst tausende neue Studierende an, Die meisten müssen also eine Woh- cen von morgen. die selbstverständlich irgendwo wohnen nung auf dem freien Markt finden. Das Das Klein-Klein beim Bauen für Stu- müssen. In Wohnungsanzeigen lesen sie Institut der deutschen Wirtschaft Köln dierende muss endlich ein Ende finden. jedoch, dass Vermieter*innen gar nicht hat in einem Gutachten 2016 ausgerech- Die Mutlosigkeit der letzten Jahrzehnte erst an Studierende vermieten, und das net, was eine „studentische Musterwoh- schafft Ungerechtigkeiten und verbaut Studentenwerk ist überlastet und kann nung“ in unterschiedlichen deutschen Chancen, gerade weil nicht gebaut wird. nur den wenigstens einen Wohnheims- Städten kostet. Für eine Wohnung von Es muss ein neuer Baumut entstehen, um platz anbieten. 30m² mit normaler Ausstattung in der die große Herausforderung einer wach- Auf 127.000 Studierende kommen Nähe der Universität müssen Münchner senden Stadt, die für alle zugänglich ist, nämlich lediglich 11.000 Wohnheimplät- Studierende im Jahr 2015 im Schnitt 580 zu bewältigen. Dafür muss wieder groß ze. Weniger als ein Zehntel der Stu- Euro zahlen – 62 Euro mehr als noch fünf und auch hoch gedacht werden. Vierzig dierenden kann also einen geförderten Jahre früher. In Berlin wäre ein ver- Jahre nach der Fertigstellung der Studen- Wohnheimplatz nutzen. Darüber hinaus gleichbare Behausung 194 Euro billiger. tenstadt ist es darum Zeit für eine neue entsteht eine Gerechtigkeitslücke, da nur Offenbar sind bei den Preisen alle Dämme Studentenstadt. ein Bruchteil derer, die eine preiswerte gebrochen und in München zu leben wird Wohnung bräuchten, das Glück haben im mehr und mehr zum Luxus. Vergabeverfahren einen Platz zu bekom- In den sozialen Medien haben sich Marcel Rohrlack men. Auch die Zahl der über die Privat- währenddessen sogenannte Justus-Wit- OV Neuhausen-Nymphenburg zimmervermittlung angebotenen Zimmer ze verbreitet. Justus, ein TUM-BWL-Stu- wünscht sich neuen Bauboom, hat sich seit den frühen Zweitausendern dent, kommt aus betuchtem Haus und damit alle in München gut und sogar mehr als halbiert. kennt keine Geldsorgen. („Warum haben bezahlbar leben können. SCHWERPUNKT WOHNEN UND WUCHER 15
Wohnen – was muss sich ändern? EINBLICKE VON MANDATSTRÄGER*INNEN ALLER EBENEN Endlich eine funktionie- Zweckentfremdung rende Mietpreisbremse! verhindern! von Chris Kühn, MdB von Jürgen Mistol, MdL W W ohnen ist gerade in Städ- aus, die Neuvertragsmieten zu begrenzen. ohnraum für alle Menschen ten wie München, aber Auch für die Bestandsmieten muss es im Freistaat – schnell, nach- auch Hamburg, Berlin oder einen wirkungsvollen Schutz geben. Die haltig und bezahlbar. Das sind Stuttgart, zum drängendsten Modernisierungsumlage müsste dazu die drei Ansprüche, die wir sozialen Problem geworden. Nirgendwo beispielsweise deutlich abgesenkt und Grüne im Landtag an den Bau der vielen zeigt sich die Spaltung der Gesellschaft Erhöhungen auf Basis des Mietspiegels neuen Wohnungen stellen, die wir in deutlicher als auf dem Wohnungsmarkt: begrenzt werden. Bayern so dringend benötigen. Wir lassen Wo Geringverdienende, Familien, Studie- Neben diesen mietrechtlichen Maß- nicht zu, dass Menschen mit geringem rende oder Rentner keine Wohnung mehr nahmen müssen wir dringend in dauer- Einkommen im Wettbewerb um knappen bekommen und auch die Mittelschicht haft bezahlbare Wohnungen investieren. Wohnraum insbesondere in Ballungs- immer weitere Pendelwege auf sich Wir brauchen mindestens 500 Millionen räumen wie München auf der Strecke nehmen muss, ist fundamental etwas aus mehr für den sozialen Wohnungsbau und bleiben. Entscheidend ist nicht nur leist- dem Gleichgewicht geraten. müssen die Wohnungsgemeinnützigkeit baren und lebenswerten Wohnraum zu Was muss sich also ändern? Die wieder einführen. Mit einer Neuen Woh- schaffen, sondern auch gleichzeitig den Antwort ist so einfach wie kompliziert. nungsgemeinnützigkeit könnten in zehn sozialen Zusammenhalt zu stärken: Wohnen muss für alle und jeden wie- Jahren eine Million dauerhaft bezahlbare Schnell – Durch eine aktive Lie- der bezahlbar sein. Wohnraum darf Wohnungen entstehen. genschaftspolitik soll der Freistaat den kein Spekulationsobjekt mehr sein. Auf Leider sind unsere Anträge und Kommunen geeignete Grundstücke für Bundesebene haben wir Grüne in der Gesetzentwürfe für mehr Mieterschutz den Wohnungsbau zu wirtschaftlich letzten Legislatur alle Hebel in Bewegung allesamt an der Großen Koalition geschei- tragfähigen Preisen bereitstellen. Wir gesetzt, diesem Ziel wieder näher zu kom- tert. Deswegen wollen wir Grüne auch fordern zudem, das Grundsteuergesetz men. Wir brauchen dringend eine funkti- diejenige Kraft sein, die in einer mögli- um eine neue Komponente zur Mobilisie- onierende Mietpreisbremse. Das Gesetz chen Jamaikakoalition den Mieterschutz rung von Liegenschaften im Innenbereich in seiner momentanen Ausgestaltung hochhält. Beim bezahlbaren Wohnen soll zu ergänzen. ist wirkungslos. Die vielen Ausnahmen sich endlich wieder was bewegen. Denn Außerdem fordern wir die Kommu- und Schlupflöcher gehören abgeschafft Wohnen darf kein Luxus sein. nen auf, in der Bauleitplanung verant- und durch eine Auskunftspflicht für den wortungsvoll vom neuen Baugebietstyp Vermieter ersetzt. Es reicht aber nicht „Urbanes Gebiet“ Gebrauch zu machen. 16 GRETA 12.2017
Die Münchner Wohnungsmisere von Gülseren Demirel, Stadträtin W esentliche Ursachen für die ambitioniertes Wohnungsbauprogramm Wohnungsnot in München aufgelegt, um geförderten Wohnungsbau liegen außerhalb der Möglich- wieder möglich zu machen. Als eine der keiten der Kommunalpolitik. ersten Städte hat München eine Zwe- Zum einen sind die Prognosen, die noch ckentfremdungssatzung verabschiedet, vor fünfzehn Jahren ein Schrumpfen der die sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) Bevölkerung vorhersagten, bekanntlich eingeführt mit der Verpflichtung 30 nicht eingetroffen – ganz im Gegenteil. Prozent geförderte Wohnungen zu bauen, Zum anderen wuchs mit der Null-Pro- Erhaltungssatzungen erlassen sowie zent-Zinspolitik und der Finanzkrise der Genossenschaften und Baugemeinschaf- Druck auf dem Immobilienmarkt („Beton- ten durch Vergabe städtischer Flächen gold“) enorm. gefördert. Auf eine Initiative der Grünen In der Folge sind die Preise für unbe- geht der 2013 beschlossene Konzepti- Nachhaltig – Gerade in München, baute Grundstücke für Geschosswoh- onelle Mietwohnungsbau zurück – ein wo kaum mehr Bauland zur Verfügung nungsbau in München in den letzten 10 Paradigmenwechsel in der städtischen steht, müssen wir grundsätzlich dichter Jahren um jährlich 30 Prozent gestie- Grundstückspolitik, die hier das Prinzip und vor allem höher bauen. Das setzt eine gen. Der Anteil der Grundstücke an den des Verkaufs zum Höchstpreis aufgege- moderne Bauordnung voraus, die von Gesamtkosten liegt im Neubau bereits bei ben hat und stattdessen andere Kriterien einer rigiden Stellplatzpflicht abrückt und etwa 60 Prozent. Und natürlich sind auch in den Vordergrund stellt, zum Beispiel auf Maßnahmen zur Begrünung setzt. Zu- die Mieten in dieser Zeit stark gestiegen. eine lange Bindungsfrist als Mietwoh- kunftsfähiges Bauen kann zudem nur in Die Schlangen vor dem Wohnungsamt nung, die Begrenzung der Mieten und ein Verbindung mit Klimaschutz geschehen. sind lang und die Zahl der Obdachlosen Verbot von Eigenbedarfskündigungen. Auch im Rahmen der kommunalen Hoch- hat sich binnen kurzer Zeit verdoppelt. Leider setzt die neue Stadtratsmehrheit bauförderung setzen wir auf mehr Anreize Insbesondere die Zahl der Kinder, die über von CSU und SPD diese Politik nicht für energieeffizientes Bauen. lange Zeit in Heimen und Pensionen leben mit der gleichen Entschlossenheit fort. Bezahlbar – Die Schaffung von be- müssen, steigt dramatisch. Während sich Die neu ausgehandelte SoBoN dient vor zahlbarem Wohnraum kann nur Hand in Bund und Land in den letzten 30 Jahren allem den Investoren und wird das Ziel Hand mit der Verbesserung des Mieter- fast vollständig aus dem Sozialwoh- verfehlen, Wohnraum zu schaffen, der auf schutzes gelingen. Dafür wollen wir das nungsbau verabschiedet haben, hatte die Dauer der Spekulation entzogen ist. Die Zweckentfremdungsgesetz zu einem rot-grüne Stadtratsmehrheit – gegen den städtebaulichen Entwicklungsmaßnah- scharfen Schwert für Kommunen in Fäl- Trend – ihre Anstrengungen verstärkt, be- men im Nord-Osten und Norden kommen len nicht ordnungsgemäßer Nutzung von zahlbares Wohnen zu erhalten und neu zu nicht voran bzw. werden von Teilen der Wohnraum machen. Außerdem müssen schaffen. Trotz der schlechten Haushalts- Stadtratsmehrheit torpediert. Hier geht es mit einer verlässlichen und passgenauen lage in den 00er-Jahren hat die Stadt ihre in erster Linie um die Frage, ob dort fünf Landesförderung dem sozialen Woh- eigenen Wohnungen behalten und mit große Immobilienentwickler gemeinsam nungsbau Vorfahrt eingeräumt sowie ihren eigenen Wohnungsbaugesellschaf- mit 500 Grundeigentümern bestimmen, gemeinnützige Akteure, wie kommunale ten neue gebaut. Aber manches Grund- was passiert, oder ob die Stadt ihre Gesellschaften und Genossenschaften, stück, das damals zur Schuldentilgung Planungshoheit zugunsten von 50.000 gestärkt werden. verkauft wurde, könnte man heute gut Menschen einsetzt, die dort wohnen und gebrauchen. Fast allein auf weiter Flur hat arbeiten können. Hier wird sich zeigen, München schon in den Neunzigern ein wem die Stadt gehört. 17
BERICHT AUS DEM STADTRAT Konzeptskizze HP8: Clemens Bachmann Architekten Ausweichquartier für das Foto) sei „gut geeignet, um in eine ernst- braucht wie seine Hochkultur.“ Kulturzentrum Gasteig: hafte Diskussion über die Integration von Gülseren Demirel: „Wir schlagen vor, möglichst vielen existierenden Mieternut- die von Clemens Bachmann Architekten Grüne fordern Umdenken zungen einzutreten.“ vorgelegte Konzeptskizze ernsthaft zu Dr. Florian Roth: „Der Gasteig benötigt prüfen, denn sie könnte sowohl dem Die Fraktionsvorsitzenden Dr. Florian für seine Institutionen große Flächen – Gasteig als auch den Bestandsmietern Roth und Gülseren Demirel fordern „ein das ist unumstritten. Doch anstatt nun nützen. Voraussetzung für eine solche Umdenken bei der Planung des Ga- die Hand einfach auf das ganze Gelände Lösung ist allerdings der politische Wille, steig-Ausweichquartiers des möglichen des HP8 zu legen und die bestehenden die von den Künstler, Handwerkern und Gasteig-Ausweichquartiers Hans-Preißin- Mieternutzungen weitgehend zu igno- Dienstleister des HP8 entwickelte Vielfalt ger-Str. 8 (HP8) – weg von der Maximie- rieren, sollte der ganze Planungsprozess als wertvoll für die Stadt zu betrachten. rung der Flächen für den Gasteig und hin die Bestandsmieter mit einbeziehen und Über 300 Menschen verdienen hier ihren zu einer integrativen Ansatz, der die ge- auch deren Interessen berücksichtigen. Lebensunterhalt – das darf die Stadt werbliche und kulturelle Vielfalt des Are- Dabei werden beide Seiten Kompromisse nicht einfach für eine Interimslösung als so weit wie irgend möglich bewahrt.“ machen müssen. Langfristig könnte sich plattmachen, die nach einiger Zeit wieder Die von dem im HP8 ansässigen auf dem Gelände Wohnen, Kultur und Ge- verschwinden wird.“ Architektenbüro Clemens Bachmann werbe zu einem zweiten Kreativquartier Architekten vorgelegte Konzeptskizze (s. formieren, das München ebenso dringend 18 GRETA 12.2017
Mehr architektonische Quoten oder Wild Cards auch jüngere und keinerlei Information oder Formen des Vielfalt durch mehr Offen- weniger bekannte Büros teilnehmen kön- Erinnerns. Dies soll ein ThemenGe- nen. Die Stadt soll außerdem Jurysitzun- schichtsPfad zur Rock- und Popgeschich- heit bei Wettbewerben gen durch die Öffnung für die Öffentlich- te Münchens ändern.“ keit transparent machen und einmal im In einem weiteren Antrag regen die Stadträtin Anna Hanusch fordert mehr Jahr einen Ideenwettbewerb für Studen- Grünen – rosa liste an, das Leben und Varianz bei den städtischen Architek- tinnen und Studenten ausloben. Schaffen von Rock-Legende Freddie tur-Wettbewerben. Zwar sei es grund- Anna Hanusch: „Der Verdacht liegt Mercury in München in den KulturGe- sätzlich zu begrüßen, dass in München nahe, dass häufig die immer gleichen schichtsPfad Ludwigsvorstadt-Isarvor- immer noch relativ viele Wettbewerbe bereits etablierten Büros und bekannten stadt mit aufzunehmen. Der Sänger und stattfinden. Die Ergebnisse stießen je- Juroren eingeladen werden - sich letztlich Frontmann der Gruppe „Queen“ lebte von doch immer wieder auf Ablehnung bei also die immer selben Personen gegen- 1979 bis 1985 im Glockenbachviertel. Ins- Bürgerinnen und Bürgern, denn viele seitig bewerten. Am Beispiel des Krea- gesamt bewohnte er während dieser Zeit Siegerentwürfe wiesen immer wiederkeh- tivquartiers kann man aber beobachten, dort mehrere Wohnungen und verkehrte rende gleichförmige Stilmerkmale auf und dass es sich lohnt, bei passenden Flächen u.a. in den Szeneclubs „Frisco“ und „Old ähnelten sich entsprechend. Hanusch hat auch mal offene Wettbewerbe zu wagen. Mrs. Henderson“ in der Rumfordstraße daher beantragt, die Architektur-Wett- Mehr Vielfalt wird es nur mit mehr Mut sowie in den Lokalen „Ochsengarten“ bewerbe weiter zu öffnen, mehr unter- zur Offenheit geben!“ und in der „Deutschen Eiche“. Im Hender- schiedliche Verfahren durchzuführen und son-Club feierte Mercury denn auch Mitte mehr Abwechslung unter Teilnehmenden der 80er Jahre seinen 39. Geburtstag und und Fachpreisrichtern herzustellen. Sie will außerdem bei Wettbewerben dafür ThemenGeschichtsPfad produzierte während dieser rauschenden sorgen, dass durch offene Verfahren oder soll an Freddie Mercurys Party das Video zu seinem ersten großen Solo-Hit „Living on my own“. bei beschränkten Wettbewerben dank Münchner Zeit erinnern Stadtrat Thomas Niederbühl: „Freddie Mercury hat als Frontmann einer der Stadträtin Lydia Dietrich erfolgreichsten Rockbands der Welt hat vorgeschlagen, einen Musikgeschichte geschrieben. Dass er ThemenGeschichtsPfad viele Jahre im von ihm geliebten Mün- zur Rock- und Popge- chen verbrachte, hat über die Grenzen schichte Münchens auf- unserer Stadt hinaus Bedeutung. Er sollte zulegen, denn hierzu gibt daher bei der nächsten Überarbeitung des es - im Gegensatz zur KulturGeschichtsPfads aufgenommen klassischen Musik – im werden.“ öffentlichen Raum Mün- chens kaum Hinweise. Lydia Dietrich: „Rund um Mozart, Strauss Israel-Kritiker verbannt – und Wagner gibt es z.B. Grüne warnen vor Gefähr- Musikspaziergänge oder dung der Meinungsfreiheit Erinnerungstafeln. Es gibt aber auch in der Fraktionschef Florian Roth hat vor einer Rock- und Popgeschich- schleichenden Aushöhlung der Mei- Foto: Carl Lender, CC BY-SA 3.0 te Persönlichkeiten, die nungsfreiheit in städtischen Institutionen einen Teil ihres Lebens gewarnt. Hintergrund ist das erneute Vor- in München verbrachten gehen der Gasteig-Geschäftsführung ge- und sich hier kreativ gen eine Veranstaltung mit Kritikern der waren. Für diesen Teil israelischen Regierungspolitik, die wegen der Musikgeschichte gibt ihres Eintretens für die Kampagne BDS es bislang in München (Boykott, Desinvestitionen und Sanktio- 19
nen) aus den Räumen Gasteigs verbannt Veranstaltungen mit solchen Personen daher unverzüglich mit den überarbei- werden sollten. anderer Organisationen. Damit wären, teten vorhandenen Plänen das Planfest- Bereits Ende September war der unabhängig vom Veranstalter, selbst grö- stellungsverfahren einleiten, bevor im Gasteig vor dem Landgericht München ßere Podien unmöglich, wenn bestimmte Bayerischen Kabinett erneut ein Mei- damit gescheitert, eine Vermietungszusa- Teilnehmer als personae non gratae auf nungsumschwung eintritt.“ ge für einen Vortrag von Judith Bernstein einer schwarzen Liste stünden. In einem zweiten Antrag setzt von der Jüdisch-Palästinensischen Dia- Dr. Florian Roth: „Auch wir lehnen die Bickelbacher sich dafür ein, Münchner loggruppe aus formalen Gründen nach- BDS-Kampagne auf das Schärfste ab, Tramzüge mit der sogenannten Super- träglich zurückzuziehen. Diesmal zielte die da sie zu einem völligen Boykott Israels cap-Technologie auszustatten. Dabei Ablehnung einer Raumvermietung direkt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch handelt es sich um Energiespeicher mit auf das politische Engagement von Judith wissenschaftlich und kulturell auffordert hoher Leistungsdichte und Energieeffizi- Bernstein: Ihr sollte, gemeinsam mit und - zumindest in ihrer internationa- enz, wodurch sie herkömmlichen Akkus ihrem Mann Reiner, der Preis „Aufrechter len Fassung - das Existenzrecht Israels wirtschaftlich überlegen sind. Da sie in Gang“ der Humanistischen Union verlie- implizit in Frage stellt. BDS-Veranstaltun- der Lage sind, Bremsenergie optimal hen werden. Die Humanistische Union ist gen und Organisationen, die sich klar und zurückzugewinnen, können Trambah- eine angesehene linksliberale, maßgeblich aktiv für BDS einsetzen, sind deshalb von nen mit dieser Technik der kurzfristigen von Intellektuellen getragene Bürger- der Stadt München nicht zu fördern. Doch Energiespeicherung kurze Strecken ohne rechtsorganisation, in deren Beirat etwa selbst bei kommerziellen Vermietungen Oberleitung zurücklegen – gerade für die Klaus Hahnzog, Hartmut von Hentig, von Räumen städtischer jegliche Teilnah- Strecke durch den Englischen Garten also Burkhard Hirsch, Claudia Roth und Klaus me von Personen 'aus dem BDS-Umfeld' eine sinnvolle Investition. Staeck Mitglied sind. pauschal als Absagegrund geltend zu In seinem dritten Antrag schlägt Die Gasteig-Geschäftsführung hatte machen, geht entschieden zu weit. Auch Bickelbacher vor, die nach Steinhausen eine Raumvermietung nun mit dem Hin- wer die BDS-Kampagne ablehnt, kann führende Trambahn über den Zamila- weis abgelehnt, für den Gasteig kämen eine derart weitreichende Ausgrenzung park nach Daglfing zu verlängern - mit „Veranstaltungen von oder mit Personen, nicht rechtfertigen. Die Stadt wäre gut der Option, sie später in den Bereich der aus dem Umfeld der BDS-Kampagne beraten, mit mehr Augenmaß zu handeln. städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme entsprechend unserer Mietbedingungen Freiheit, so schmerzhaft das manchmal im Nordosten fortzuführen. Paul Bickel- nicht in Frage“ und bezieht sich dabei auf ist, ist eben auch die Freiheit des And- bacher: „Umsteigefreies Fahren mit der einen von CSU und SPD gestellten Antrag ersdenkenden.“ Tram ist deutlich attraktiver als die aktuell zu diesem Thema. diskutierte Verbesserung des Busverkehrs Dr. Florian Roth: „Es kann nicht zwischen Steinhausen und Zamilapark. angehen, dass städtische Gesellschaften Antragspaket soll neuen Zudem gilt es die Voraussetzungen für bestimmte Meinungen und Personen Schwung für den Ausbau die ÖV-Erschließung des Bereichs der nur auf Grund von Stadtratsanträgen aus städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme ihren Räumen verbannen – auch wenn der Trambahn bringen im Nordosten zu schaffen.“ diese Anträge von den Mehrheitsfrakti- onen stammen. Ein solch vorauseilender Mit einem dreiteiligen Antragspaket will Gehorsam ist geeignet, die politische Kul- Stadtrat Paul Bickelbacher dem Ausbau tur ernsthaft zu gefährden - denn wozu der Trambahn neuen Schwung verlei- noch Stadtratssitzungen abhalten, wenn hen. Vor allem bei der Tram durch den der Wille der Großen Koalition ohnehin Englischen Garten muss die Stadt aufs für verbindlich gehalten wird?“ Tempo drücken, denn nach der überra- Verschärfend kommt laut Dr. Roth schenden Zustimmung des Bayerischen hinzu, dass der Gasteig die Intention Ministerpräsidenten gegen den Willen des vorliegenden Antrags auch noch Münchner CSU könnte diese wichtige erweiternd interpretiert hat, indem er Tangentialverbindung wieder in Gefahr IMPRESSUM sie nicht nur auf Veranstaltungen von geraten, falls Horst Seehofer demnächst Herausgegeben von der Stadtratsfraktion Organisationen und Personen „aus dem gezwungen sein sollte, sein Amt aufzuge- Bündnis 90/Die Grünen – rosa liste BDS-Umfeld“ bezieht, sondern auch auf ben. Paul Bickelbacher: „Die Stadt sollte gruene-fraktion-muenchen.de 20 GRETA 12.2017
WEHRT EUCH! VON MATTHIS TRÜMNER Vor Kurzem war ich in München mit Aber es ist eben nicht gut. Laut zu sehen, dann werden Menschen wie einigen Freundinnen feiern. Elektroni- einer Studie der EU aus dem Jahr 2012 jener Typ im Club immer weitermachen. sche Musik aus lauten dumpfen Boxen, gaben mehr als ein Viertel der Frauen in Es ist eindeutig eine Grenze überschritten ausgelassene Stimmung; eigentlich ein Deutschland an, dass sie schon einmal worden und das muss deutlich gemacht vielversprechender Abend. Doch dann sexuell belästigt wurden. Andere Stu- werden. Wer nichts unternimmt bestärkt war da dieser Typ - stellte sich vor eine dien kommen zu noch viel drastische- nicht nur den Täter in seinem Verhalten, Freundin, bewegt seine Hand vor seinem ren Zahlen. Als Frau erlebt man solche sondern spielt auch mit unserer Frei- Mund hin und her und presste rhyth- Situationen, wie die oben Beschriebene, heit. Denn kann ich mich wirklich frei mische seine Zunge an die Innenseite wahrscheinlich viel zu häufig. Das Aus- verhalten, wenn solche Typen ungehin- seiner Wange. Die Botschaft war nicht maß dieses Missstandes lässt sich mit dert wüten können? Kann ich als nicht schwer zu verstehen: Blas mir einen! Ab- Hilfe der aktuellen #MeToo Kampagne heterosexueller Mensch meine Sexualität wechselnd bedrängte er die Frauen, mit erahnen, welche jedoch nur die Spitze des frei ausleben ohne mich unsicher zu füh- denen ich an diesem Abend unterwegs Eisberges ist. Unter diesem Hashtag pos- len, wenn neben mir Menschen sexuell war, welche sich nur angeekelt von ihm ten in den sozialen Netzwerken tausende belästigt werden? Kann ich mich frei und wegdrehten. Er presste seinen Körper an Personen weltweit über ihre Diskrimi- respektiert fühlen, egal wie ich aussehe, die Körper anderer Frauen, sein Glied an nierungs- und Belästigungserfahrungen. wenn neben mir einem Menschen jegli- den Hintern von jeder Frau, welche das Verfolgt man diese Entwicklung fällt zum cher Respekt abgesprochen wird? Dieser Pech hatte vor ihm aufzutauchen. Ich einen auf, dass der Diskurs fast nur von kurze Beitrag soll deshalb vor allem als war geschockt und mir wurde schlecht, Frauen geführt wird und Männer, welche Appell gelesen werden. Wir können ein konnte nicht glauben, dass so was gerade zumeist die Täter sind, schweigen. Zum solches Verhalten nicht akzeptieren. Das vor meinen Augen passierte. Als weißer, anderen wird deutlich, dass Menschen gilt für diejenigen, welche belästigt wer- junger und heterosexueller Mann bin jeglicher Gesellschaftsschicht, Religions- den. Seid laut und hört auf es hinzuneh- ich so etwas nicht gewohnt. Diskrimi- zugehörigkeit und ethnischer Herkunft men, wenn ihr belästigt werdet. Holt euch nierung ist für mich ein diffuser Begriff, angegrapscht, erniedrigt und vergewaltigt von den Umstehenden Hilfe und lasst über den ich vor allem lese und von dem werden. Sogar Spitzenpolitiker*innen nicht zu, dass man euch so behandelt. ich höre, aber nicht in meinem Alltag wie die schwedische Außenministerin Aber das gilt auch für alle, die als stumme tangiert werde. Nachdem ich also aus der berichten von sexueller Belästigung. Doch Beobachter nur danebenstehen. Men- Schockstarre erwachte, wollte ich zum was online Hoffnung bereitet, nämlich schen wie mich, die selbst nie belästigt Türsteher eilen, damit er diesen Widerling dass Menschen Stellung beziehen und werden. Schreitet ein und macht deutlich, doch bitte rausschmeißen sollte. Doch ich Probleme ansprechen, hat wenig der Si- dass ein solches Verhalten nicht okay wurde zurückgehalten und es fielen Sätze tuation in der analogen Welt zu tun. Dort ist. Lasst nicht zu, dass vor euren Augen wie: „Nein, mach das nicht, er hat ja noch wird noch viel zu häufig im Angesicht von Unrecht geschieht. Natürlich könnte der gar nichts gemacht“ - „Sie können schon Ungerechtigkeit der Blick abgewandt. Täter aggressiv werden, ihr könntet als selbst auf sich aufpassen“ - „Das ist doch Sich klein machen, die Situation her- überempfindlich abgestempelt werden normal, dass man so was im Club erlebt“ unterspielen und sie zu ignorieren sind und es könnte sogar sein, dass ihr selbst - „Ich will mir nicht schon wieder den wahrscheinlich Verhaltensweisen, welche rausgeschmissen werdet. Vielleicht macht Abend verderben lassen.“ Ich ließ mich am wenigsten Komplikationen mit sich ihr am Ende eine riesige Szene und keiner überreden und ging nicht zum Türsteher, bringen. Vielleicht sind sie sogar manch- nimmt euch ernst. Mut ist zu handeln, was ich immer noch bereue. Der Typ war mal am sichersten. Doch bringen sie auch obwohl der Ausgang ungewiss ist und dann im Übrigen auch weg und wir sahen ein großes Problem mit sich. Wenn nicht negative Konsequenzen mit sich bringen ihn für den Rest des Abends nicht wieder. deutlich gemacht wird, dass es nicht kann. Doch genau diesen Mut braucht die Am Ende gingen alle recht gut gelaunt okay ist eine andere Person ohne deren Welt, damit wir alle in Gleichheit und in nach Hause. Alles war wie immer. Alles Einverständnis anzufassen, dass es nicht Würde leben können. Wehrt euch! war gut. okay ist jemanden als bloßes Sexobjekt 21
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