Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München

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Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
greta
magazin der Münchner grünen                 Dezember 2017

                        WOHNEN UND WUCHER

EINE NEUE
STUDENTENSTADT
WIR MÜSSEN WIEDER
MEHR BAUEN

SCHÖNER
WOHNEN
MUSS DENN ALLES
GLEICH HÄSSLICH SEIN?

                                                        1
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
INHALT
DEZEMBER 2017

                                                                                Foto: Andreas Gregor
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                                                                                                       wie wohnen wir denn – und wer wollen

SW€€T HOME
                                                                                                       wir sein? Oder auch: Wer könnten wir
                                                                                                       sein? Wir haben uns ein paar Gedanken
                                                                                                       übers Wohnen gemacht und versucht,
WOHNEN UND WUCHER                                                                                      mal hinter die ein oder andere Fassade
                                                                                                       zu gucken.

10   Luxuriöse Fahrräder
     vor dem Bioladen
     Wohnen in Giesing. Was sich
     verändert hat. Was sich ändern
     muss. Wir haben mit Carmen Dul-
     linger-Oßwald und Sebastian Wei-
     senburger darüber gesprochen.
     von Thorsten Siefarth

13   Preiswerte Wohnungen
     dringend gesucht
     Warum wir die Wohnungswende
     brauchen und wie wir sie angehen
     können.
     von Bernd Schreyer                   3 Editorial

14   Schöner wohnen                       4 Mein Münchenbild
     Warum bauen wir eigentlich alles
     gleich hässlich?
     von Anna Hanusch                     7	Hier schreibt der                25	Was bringt
                                             Vorstand                             „Grün klingelt“?
15   Eine neue Studentenstadt                                                                          Unser Haustürwahlkampf
     Der Mietwahnsinn trifft besonders                                                                 von Georg Nitsche
     Studierende. Ihm muss mit mutigen
                                          7	Einladungen zu den
     Bauprojekten begegnet werden.
                                             Stadtversammlungen
     von Marcel Rohrlack
                                                                              26 Meldungen
                                         18 Bericht aus dem Stadtrat
16   Wohnen –                                                                 28 Aus den Ortsverbänden
     was muss sich ändern?               21 Grüne Jugend
     Einblicke von Mandatsträger*innen
                                                                              29 Personalia
     Chris Kühn, MdB
     Jürgen Mistol, MdL                  24	5 Fragen an …
     Gülseren Demirel, Stadträtin            Alexander König und Arne Brach   30 Grüner Terminkalender

2                                                                                                                             GRETA 12.2017
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
EDITORIAL

                    Ich wohne,
                    also bin ich.

                    D
                             ie Grundlage ist das Fundament der Basis. Dieser Satz fiel mir spontan ein, als
                             ich über das Thema Wohnen nachdachte, das Schwerpunktthema dieser Aus-
                             gabe der GRETA. Wohnen ist so grundlegend für unser Leben, so fundamental.
                             Die Basis eben.
                        Gleichwohl ist dieser Satz an sich ein Nullinger: Die Grundlage ist das Fundament
                    der Basis. Oh, Mann! Ein Satz wie aus einer Phrasendreschmaschine. Könnte ein Poli-
                    tiker verbrochen haben. Ich dachte, diesen Satz in früheren Jahren einmal im Kabarett
                    gehört zu haben. Doch weit gefehlt. Bei meiner Suche nach dem Urheber stieß ich auf:
                    Le Corbusier! Und der hat insbesondere als Architekt und Städteplaner mächtig – und
                    nicht unumstritten – Ruhm erlangt.
                        Die Grundlage ist das Fundament der Basis. Was Le Corbusier damit genau sagen
                    wollte, konnte ich nicht herausfinden. Aber es ist doch schon erstaunlich, dass gerade
                    ein Schöpfer von Wohnraum zu einem solchen Satz findet. Vielleicht meinte er tatsäch-
                    lich: Wohnen ist existenziell. Und wird mir der Wohnraum unter dem Hintern weggezo-
                    gen, dann ist das noch existenzieller, geradezu lebensbedrohlich.
                        Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt ins Politische. Um existenzielle Bedürfnisse
                    muss sich die Politik ganz besonders kümmern. Vor allem, wenn die Not beim Wohnen
                    so groß ist! Da können wir in München ein Lied davon singen. Wenn es ein Thema gibt,
                    das wir bei Wahlkämpfen an Infoständen immer und immer wieder hören, dann ist es
                    das: Was tut Ihr Grüne gegen explodierende Mieten und gegen die Wohnungsnot? Die
                    Wohnsituation ist vielleicht das größte Sorgenkind in München.
                        Dabei müssen wir Grüne uns keineswegs verstecken. Wir haben in unserem Wahl-
                    programm zur Kommunalwahl viele konkrete Vorschläge gemacht. Dennoch müssen
                    wir an dem Thema dranbleiben. In den Stadtteilen, auf Münchner, bayerischer und
                    Bundesebene. Deswegen diese GRETA mit diesem Schwerpunktthema: Wohnen.
                        Viel Spaß bei der Lektüre!

                    Für die Redaktion
                    Andreas Gregor, Gudrun Lux, Anna Schmidhuber, Thorsten Siefarth

WOHNEN UND WUCHER                                                                                            3
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
MEIN MÜNCHENBILD

Auslaufmodell
von Andreas Gregor

4                    GRETA 02.2017
                           12.2017
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
mit
                           Die Münchnerinnen und Münchner haben entschieden: Wir wol-
                           len dieses Kraftwerk nicht länger als nötig betreiben! Ende 2022
                                                                                                  machen!
                           muss abgeschaltet werden. Was bleibt, ist Geschichte. Doch für            Was ist Dein
                                                                                                Münchenbild? Schick es
                           Sentimentalität ist kein Anlass. Das Heizkraftwerk Nord wird         uns mit kurzer Beschrei-
                           noch ein paar Jahre betrieben. Bis dahin mahnt es, sich anzustren-       bung an greta@
                           gen für die Energiewende.                                             gruene-muenchen.de
                                                                                                         Danke!

FAMILIE UND GESELLSCHAFT                                                                                                   5
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
PLASTIKMÜLL VERMEIDEN
    LEITUNGSWASSER TRINKEN
    WASSERFLASCHE AUFFÜLLEN

        REFILL-DEUTSCHLAND.DE

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Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
HIER SCHREIBT DER VORSTAND

          Wir werden immer mehr!
          von Gudrun Lux

           Gleich sechs Bewerber*innen konkurrierten Anfang Oktober               Delegierten für die nächste Bundes- und Bezirksversammlung
           um den freien Platz in unserer Doppelspitze. Am Ende setzte            wählen, die leider voraussichtlich gleichzeitig in Berlin und In-
           sich klar Sylvio Bohr, der dem Vorstand seit April als Beisitzer       golstadt tagen werden. Wer den Kreisverband vertreten möchte,
           angehört hatte, durch. Um die dadurch freiwerdende Position            kann sich bereits vor der Stadtversammlung online bewerben.
           bewarben sich immerhin noch drei Personen, Julian Zuber wurde              Zur Stadtversammlung sind alle Mitglieder der Münchner
           schließlich gewählt. Wir freuen uns sehr, dass der Vorstand wie-       Grünen eingeladen und stimmberechtigt. Und das sind ganz
           der komplett ist und haben uns im neuen Team schon voll in die         schön viele: Zehn Prozent Mitgliederzuwachs haben wir seit der
           Parteiarbeit gestürzt. Was für ein tolles Signal sind die vielen Be-   Bundestagswahl zu verzeichnen. Allen Neuen ein herzliches Will-
           werber*innen: So viele wollen sich einbringen und mitgestalten.        kommen bei uns! Beim Neumitgliedertreffen am 12. Dezember
           Vielen Dank dafür auch allen, die nicht gewählt wurden.                stehen wir Euch Rede und Antwort und informieren Euch über
                Hinter uns Münchner Grünen liegt ein sehr anstrengendes,          viele Möglichkeiten, Euch bei den Grünen aktiv einzubringen.
           arbeitsintensives aber auch erfolgreiches Jahr. Wir haben das              Euch allen wünschen wir frohe Advents- und Weihnachts-
           zweitbeste Bundestagswahlergebnis unserer Geschichte geholt            tage. Kommt gut ins neue Jahr und tankt viel Kraft. Mit der
           und in allen Münchner Wahlkreisen massiv zugelegt. Mit Dieter          Radoffensive, der Bezirkstagswahl und der Landtagswahl haben
           Janecek und Margarete Bause sind wir Münchner Grüne auch               wir Grüne auch 2018 viel vor! Wir freuen uns schon darauf!
           im neuen Bundestag mit zwei Abgeordneten vertreten. Abschied
           nehmen in dieser Rolle müssen wir leider von Doris Wagner.             Euer Stadtvorstand
           Doris war 2013 bis 2017 Bundestagsabgeordnete und hat sich             Gudrun, Sylvio,
           insbesondere in die Themenfelder Verteidigung und Demografie           Christian, Helena,
           tief eingearbeitet und politisch viele Anstöße gegeben. Herzli-        Julia und Julian
           chen Dank für Dein Engagement, liebe Doris, und alles Gute für
           den neuen Lebensabschnitt!                                                                                             Der Vorstand
                Im Oktober und November haben wir in den neun Münchner                                                            der Münchner Grünen
           Stimmkreisen unsere Direktkandidat*innen für Landtag und
           Bezirkstag gewählt. Wir als Vorstand werden der Stadtver-
           sammlung am 7. Dezember vorschlagen, eine Reihung unserer                                          (v.l.: Helena Geißler, Sylvio Bohr,
           Kandidat*innen für die Aufstellung der beiden Listen Ende Ja-                                      Christian Smolka, Gudrun Lux,
           nuar vorzunehmen. Zudem werden wir am 7. Dezember unsere                                           Julian Zuber, nicht im Bild: Julia Post)

EINLADUNG ZU DEN
                                                                                                    DONNERSTAG, 7. DEZEMBER
Stadtversammlungen                                                                                  19 Uhr, Kolpinghotel St. Theresia, Hanebergstr. 8
                                                                                                    —— Wahl der Delegierten für die
                                                                                                       Bezirksversammlung
                                                                                                    —— Wahl der Delegierten für die
                                                                                                       Bundesversammlung (BDK)
                                                                                                    —— Reihung unserer Kandidat*innen für den
                                                                                                       Bezirks- und Landtag
                                                                                                    —— Rechenschaftsbericht/Kassenprüfung 2016

                                                                                                    DIENSTAG, 23. JANUAR
                                                                                                    19 Uhr, Echardinger Einkehr, Bad-Kreuther-Str. 8
                                                                                                    —— Satzungsänderung zu Delegiertenwahlen
                                                                                                    —— u.a.

                                                                                                                                                         7
Die genauen Tagesordnungen findet Ihr rechtzeitig auf unserer Website.
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
SCHWERPUNKT
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
WOHNEN
             UND
            WUCHER   „Wohnst du noch oder lebst
                     du schon?“ – über diesen
                     Werbeslogan können die-
                     jenigen, die in München
                     auf Wohnungssuche sind,
                     nur müde lächeln. Denn
                     Wohnen, das wär’s!

                     W
                                   ohnungen sind Mangelware,
                                   die Stadt ist überfüllt, für vie-
                                   le steigen die Ansprüche, sie
                                   wollen mehr Platz, bessere
                     Anbindung, zentraler wohnen als noch
                     ihre Eltern und Großeltern. Wer nicht
                     mithalten kann, fällt hinten runter.
                         Eine besondere Herausforderung ist
                     Wohnen in München für Student*innen.
                     Denn für sie ist es oft schier unmöglich,
                     eine Wohnung zu finden und nur für
                     einen Bruchteil stehen geförderte Wohn-
                     heimsplätze zu Verfügung. Marcel Rohr-
                     lack, Soziologiestudent und ehemaliger
                     Sprecher der Grünen Jugend München,
                     fordert deshalb eine neue Studenten-
                     stadt. Warum bauen wir eigentlich alles
                     gleich hässlich?“ fragt Anna Hanusch,
                     Architektin, Bezirksausschussvorsitzende
                     und Stadträtin in ihrem Text und erklärt,
                     wie es kommt, dass Wohnungen heutzu-
                     tage sehr glattgebügelt sind und wenig
                     individuell. Diese und weitere Schlag-
                     lichter zum Thema Wohnen findet Ihr in
                     diesem Schwerpunkt.

SCHWERPUNKT
WOHNEN UND WUCHER                                                  9
Magazin der münchner grünen dezember 2017 - Grüne München
LUXURIÖSE
FAHRRÄDER
VOR DEM
BIOLADEN
                                 Wohnen in Giesing. Was sich verändert
                                 hat. Was sich ändern muss. Wir haben mit
                                 Carmen Dullinger-Oßwald und Sebastian
                                 Weisenburger darüber gesprochen.
                                 von Thorsten Siefarth

C
        armen, Du bist Mitglied und Vorsitzende im Bezirksaus-     bestimmter Menschenschlag wie in manch anderen Vierteln und
        schuss 17 (Obergiesing-Fasangarten), Du, Sebastian im      trotzdem – oder gerade deshalb – kommen die Leute wunderbar
        Bezirksausschuss 18 (Untergiesing-Harlaching). Damit       miteinander zurecht.
        seid Ihr auch für das Wohnen in Euren Stadtvierteln        Carmen: Da ist eben noch so ein Leben und Lebenlassen.
zuständig. Wohnt Ihr gerne dort?                                   Gibt es Unterschiede, die Eure Viertel von anderen abgrenzen?
Carmen: Ich wohne ja schon mein Leben lang in diesem Viertel.      Carmen: Also ich finde, durch die Sechz'ger sind wir ganz anders
Ich kenne es in- und auswendig. Ich liebe es, weil es dort ziem-   als alle anderen Viertel. Da haben wir eine Klientel, die alle vier-
lich normal zugeht. Es ist nicht so überspitzt. Außerdem mag ich   zehn Tage immer so eine schöne Aufregung hierherbringt. Da ist
mein Viertel, weil ich die Leute dort kenne. Es ist mir im Laufe   was los. Die einen begrüßen das, während es die Anderen nur
meines Lebens wirklich ans Herz gewachsen.                         dulden.
Das ist ja schon fast eine Liebeserklärung. Und Du, Sebastian?     Sebastian: Das stimmt natürlich. Das ist außergewöhnlich, so
Sebastian: Mir geht’s da ähnlich. Was ich an Giesing wahnsin-      ein Stadion mitten in der Stadt, das jetzt auch wieder stark be-
nig gerne mag, dass es eine bunte und wilde Durchmischung          spielt wird. Sogar von der ersten Mannschaft – wenn’s auch nur
von Leuten hat. So kann man bei uns in bestimmten Ecken zum        die vierte Liga ist. Außerdem ist Giesing einerseits ein historisch
Beispiel noch richtig heftige Graffiti finden. Meine Freunde aus   gewachsenes Viertel. Keines, das am Reißbrett entworfen und
anderen Vierteln sind da teilweise ziemlich erstaunt. Und meine    hochgezogen wurde. Noch dazu war es Vorstadt und hat damit
Frau, die gebürtige Berlinerin ist, sagt, Giesing sei „kiezig“.    einen besonderen Charakter. Anders als die Innenstadt, aber
Inwiefern „kiezig“?                                                auch anders als die „neuen“ Viertel am Stadtrand.
Sebastian: Giesing hat einen ganz speziellen Charme. Es gibt       Carmen: Giesing war ja auch ein ziemlich eigenständiges Viertel.
die Anzugträger, aber auch diejenigen, die Samstagabends im        Erst durch die Eisenbahn hat sich dann einiges verändert. Mit ihr
Supermarkt nur drei Tiefkühlpizzen und 'ne Chipstüte kaufen. Es    kamen neue Unternehmen. Und viele Arbeiter. Darum war Gie-
gibt die erwähnten Graffiti, aber auch wunderschöne Alleen mit     sing lange auch ein Arbeiterviertel. Mittlerweile sind die Firmen
Kirschbäumen. Und wenn nachts auf der Straße Leute vor Deiner      allerdings weg. Und mit ihnen auch die Arbeiter. Das merkt man
Haustür rumgrölen, dann kannst Du sagen, naja, das gehört auch     schon deutlich zum Beispiel an der Tegernseer Landstraße oder
dazu, das ist halt Giesing. Bei uns lebt zum Glück nicht nur ein   am Giesinger Bahnhof oder als die Firma Agfa weggegangen ist.

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Fotos: Andreas Gregor
Dadurch ist ein großer Platz freigeworden. Immerhin kam dann        sehr luxuriöse Fahrräder mit Anhängern stehen. Meines Erach-
dort ein großes Wohnquartier hin. Auch Siemens oder Osram           tens auch ein Anzeichen dafür, wie ärmere Teile der Bevölkerung
gibt es bei uns nicht mehr.                                         verdrängt werden.
Sebastian: Ich merke sehr deutlich, wie nach und nach die alten     Damit sind wir beim Thema Gentrifizierung. Was könnt Ihr von
Industrieflächen überbaut werden.                                   den Bezirksausschüssen dagegen unternehmen?
Wo sind eigentlich die Arbeiter hingezogen?                         Carmen: Auf mich kommen Bürger zu, die aus ihren Wohnungen
Carmen: Ja, das würde mich auch mal interessieren. Teilweise        verdrängt werden. Vermieter stellen ihnen zum Beispiel einfach
sind die natürlich schon geblieben, da viele ja die Möglichkeiten   die Heizung ab. Zwar bieten sie hin und wieder auch andere
hatten, in firmeneigenen Wohnungen zu leben. Das ist auch ein       Wohnungen an, die sind aber meist völlig unzureichend oder viel
Modell, um der Wohnungsnot entgegenzutreten, Firmenwoh-             zu teuer. Einmal hat mich eine schwerkranke Dame angespro-
nungen! Aber die müssen nun teilweise pendeln, um ihre weiter       chen, die aus ihrer Wohnung raussollte. Ich habe dann den Kon-
entfernten Arbeitsplätze zu erreichen. Andererseits haben sie       takt hergestellt zu unserer Mietbeauftragten, die wir im Bezirk-
dadurch, dass sie teilweise Jahrzehnte in den Firmen gearbeitet     sausschuss haben. Sie hat sich dann sehr für die Dame engagiert
haben, ein gewisses Polster angespart. So konnten sich manche       und ist mit ihr zum Mieterverein und zu vielen anderen Stellen
sogar Wohnungen kaufen.                                             gegangen. Letztlich musste diese Frau aber dann doch nach au-
Sebastian: Eine andere Sache ist aber der Spekulationsdruck.        ßerhalb ziehen. In eine Wohnung, die sie sich leisten konnte.
Der ist in den letzten Jahren viel stärker geworden. Wo immer       Die von Dir geschilderten Beispiele sind Einzelfälle, in denen Ihr
was frei ist, wird in den allermeisten Fällen versucht, das Maxi-   vermitteln könnt. Ist das wirklich alles?
male an Geld rauszuquetschen. Das ist für die Bevölkerung, die      Carmen: Leider sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt. Wir
nicht jede Mieterhöhung mitgehen kann, sehr schwierig. Da gibt      in Giesing haben unseren Schwerpunkt auf die Erhaltungssatz­
es gerade einen sehr skurrilen Fall. Das Haus in der Hans-Mie-      ungen gelegt. Das hat die Stadt aber gar nicht gerne. Sie kämpft
lich-Straße 1a wurde an die SOS-Kinderdörfer vererbt. Und was       um jedes Haus und will verhindern, dass es in den Schutz mit
haben die damit gemacht? Sie haben das Haus luxussaniert. Eine      aufgenommen wird.
vermeintlich gemeinnützige Organisation! Dadurch haben sie          Was ist eine Erhaltungssatzung?
superteure Wohnungen produziert. Eine Wohnung mit 130 Qua-          Sebastian: Eine Erhaltungssatzung ist dazu da, die Struktur und
dratmetern wurde zum Beispiel für 2800 Euro Miete angeboten.        das Milieu zu erhalten. Im Geltungsbereich einer solchen Sat-
Nicht in Bogenhausen, sondern in Untergiesing! Das hat mich         zung bedürfen der Abbruch, die Änderung oder die Nutzungsän-
wahnsinnig geärgert.                                                derung einer zusätzlichen Genehmigung durch die Verwaltung.
Carmen: Ein ähnliches Phänomen haben wir an der Tegernseer          Man kann dadurch die negativen Auswirkungen von Ausverkäu-
Landstraße. Die Gründerhäuser dort wurden oft mehrfach wei-         fen etwas abfedern. Zum Beispiel geben diese Satzungen der
terverkauft und dann von den Investoren luxussaniert und teuer      Stadt unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht.
vermietet. Dort ziehen dann so Latte-Macchiato-Mütter ein (wir      Dadurch kann sie die Bewohner vor Luxussanierungen und damit
lachen). Ich beobachte auch, wie vor den Bioläden immer mehr        vor drohenden Mietsteigerungen schützen.

 SCHWERPUNKT
 WOHNEN UND WUCHER                                                                                                                                     11
keine sehr teure Sache. Bislang wissen die Bauträger leider sehr
                                                                    genau, dass sie weitgehend sanktionslos gegen viele Vorgaben
                                                                    verstoßen können.
                                                                    Also mehr Personal. Aber kann man auch noch etwas struktu-
                                                                    reller an die Sache herangehen?
                                                                    Carmen: Also meine Forderung ist und bleibt: Genossenschafts-
                                                                    wohnungen. Das ist meiner Meinung nach das einzige, was uns
                                                                    retten kann vor diesem Mietwucher. Wobei es ganz verschiede-
                                                                    ne Formen gibt, wie man solche Genossenschaftswohnungen
                                                                    organisieren kann.
                                                                    Sebastian: Also beim Thema Wohnen, da dürfen wir Grüne
                                                                    uns durchaus mal selbst loben. Wir haben dazu ein sehr gutes
                                                                    kommunalpolitisches Wahlprogramm geschrieben. Da sind
Carmen: Diese Möglichkeit hat die Stadt bei uns aber noch nie in    viele ganz konkrete Maßnahmenvorschläge drin. Vom sozialen
Anspruch genommen und das finde ich sehr schade.                    Wohnungsbau bis zum Thema Stadtflächenentwicklung und
Sebastian: Bei uns auch sehr, sehr selten.                          Grünflächenerhaltung. Ich möchte da mal zwei Beispiele nennen:
Die Bezirksausschüsse sind also relativ machtlos?                   Erstens die Verdichtung. Momentan ist es so, dass alles wild
Sebastian: Ja, das stimmt schon. Wir können den Stadtrat aber       durcheinander gebaut wird. Wir hatten vor der Kommunalwahl
immerhin ärgern. Es ging zum Beispiel mal um eine Anpassung         den Bürgermeister aus Neubiberg eingeladen und wollten von
der Erhaltungssatzung an den realen Mietmarkt. Da hatten wir        ihm wissen, wie die das verhindern. Die Neubiberger haben das
von Giesing aus eine Initiative ergriffen, um das zu ändern. Wir    ganz toll gelöst. Sie haben verbindliche Flächen ausgewiesen, für
haben die Stadt dann so lange genervt, bis sie endlich mitge-       die eine Verdichtung gewünscht ist, und andere Flächen, die sie
zogen ist. Außerdem gibt es aber auch noch die Möglichkeit,         davor schützen wollen. Ihr Konzept war zwar „auf Kante genäht“,
Öffentlichkeit herzustellen. Wie zum Beispiel bei der Geschichte    aber – ganz wichtig! – rechtlich haltbar. Eine sehr kluge Lösung.
um das von den SOS Kinderdörfern übernommene Haus. Das              Das müsste in München dann aber auch in ein übergeordnetes
Thema erhitzte die Gemüter und kam dann in den Bezirksaus-          Stadtentwicklungskonzept eingebettet werden. Mein zweites
schuss. Die Aufregung dort ging über die Parteigrenzen hinweg.      Beispiel: Die Stadt muss massiv ihren eigenen Wohnungsbau
Und es gelang schließlich, das Thema in die Zeitung zu bringen.     ausweiten. Gerade jetzt, wo die Zinsen so niedrig sind.
Und damit auf die öffentliche Tagesordnung.                         Carmen: Völlig richtig. Und hinzukommt, es fehlt uns nicht nur
Carmen: Wie bei uns mit dem Uhrmacherhäusl. Das wurde in            ein Wohnkonzept. Es fehlt auch ein Verkehrskonzept. Wir haben
einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgerissen. Diese Aktion hat           auch da keinen übergeordneten Plan. Das macht uns insbeson-
einen derartigen Aufruhr erzeugt, dass ich von der überregiona-     dere in den Bezirksausschüssen die Arbeit recht schwer. Hier for-
len Presse aus Hamburg, Berlin, Nürnberg und anderen Städten        dern wir die Stadt auf, endlich derartige Konzepte zu entwickeln!
angefragt wurde. Übrigens, jeden Freitag ab 18 Uhr ist dort eine    Carmen und Sebastian, ganz herzlichen Dank für das Gespräch
Mahnwache, die sehr gut besucht wird.                               mit Euch!
Sebastian: In diesem Fall hat die Reaktion in der Öffentlichkeit
dann auch dazu geführt, dass sich der Oberbürgermeister ein-
geschaltet und verlangt hat, dass das Haus wieder so aufgebaut
wird, wie es war. Ich kann mich noch erinnern, wie sich die Ver-
waltung zunächst sehr zögerlich verhalten hat. Aber irgendwann
hat der Reiter dann gemerkt, dass er sich ein Zögern politisch
                                                                                 Sebastian Weisenburger
nicht leisten kann – und hat auf den Tisch gehauen. Hinzu                        Jahrgang 1983, ist Vater von zwei Münchner
kommt noch, dass die Sache letztlich nur deswegen so hochge-                     Kindern und seit 2003 in der Landeshauptstadt
kocht ist, weil ein Bürger den Abriss zufällig mitbekommen, sich                 daheim. Seit 2008 ist er mit kurzer Pause im Be-
dem Bagger entgegengestellt, die Polizei gerufen und auch die                    zirksausschuss 18 (Untergiesing-Harlaching) tätig.
Verwaltung eingeschaltet hat.                                                    Von 2011 bis 2014 war er Vorsitzender der Münch-
Viel hängt also von dem Engagement Einzelner ab. Und von der                     ner Grünen.
Verwaltung, die noch dazu sehr zögerlich ist. Wie könnte man
die Verwaltung denn auf Trab bringen?
Sebastian: Also wir haben schon in unserem grünen Wahlpro-
gramm für 2014 gefordert, dass die Stadt ihre Stellen endlich
                                                                                 Carmen Dullinger-Oßwald
so weit aufstocken muss, dass sie wirksam kontrollieren kann.                    Jahrgang 1951, ist ein echtes Münchner Kindl. Seit
Das Problem mit der mangelhaften Kontrolle haben wir übrigens                    langem ist sie in Giesing tief verwurzelt und eine
nicht nur beim Bauen, sondern gerade auch beim Baumschutz.                       richtige Netzwerkerin. Insbesondere wenn es um
Die Behörden müssen endlich mit genügend Leuten ausgestattet                     Kultur, Vereine und Initiativen geht. Sie ist Vorsit-
werden, die durch die Stadtviertel gehen und kontrollieren, ob da                zende des Bezirksausschusses 17 (Obergiesing-Fa-
alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Noch dazu wäre das ja                   sangarten).

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Preiswerte Wohnungen
                       dringend gesucht
                       WARUM WIR DIE WOHNUNGSWENDE BRAUCHEN
                       UND WIE WIR SIE ANGEHEN KÖNNEN
                       von Bernd Schreyer
Foto: Andreas Gregor

                       D
                                ie Landeshauptstadt Mün-             spät auf die Dynamik des Bevölkerungs-      in Aussicht zu stellen.
                                chen ist mit ihrem Umland die        zuwachses seit 2008 reagiert und mit            Das in der Perspektive München ver-
                                wirtschaftsstärkste Region           Schwarz-Rot ab 2014 wurden bis heute        ankerte Ziel „kompakt, urban, grün“ darf
                                Deutschlands mit dem größten         keine ausreichenden Programmziele und       nicht nur ein unverbindliches Schlagwort
                       Bevölkerungszuwachs, dem höchsten             Planungsgrundlagen zur Versorgung der       sein, sondern muss offensiv umgesetzt
                       Entwicklungspotential und der geringsten      Münchner*innen mit bezahlbarem Wohn-        werden. Wir brauchen die Verdichtung,
                       Arbeitslosigkeit. Deshalb bleibt die Region   raum forciert, verabschiedet oder um-       sie muss aber urban, schön und attraktiv
                       auch zukünftig ein höchst anziehen-           gesetzt. Die Grünen waren die einzigen,     sein, so wie die zunehmenden In-Viertel
                       der Magnet für Menschen mit hoher             die 2013 mit Aufnahme von mindestens        rund um die Münchner Altstadt. Städ-
                       Qualifizierung und Menschen, die aus          9.000 Neubauwohnungen per anno, da-         tische Dichte bedeutet mehr Höhen­
                       wirtschaftlich und sozial marginalisier-      von 3.000 bezahlbare Mietwohnungen, in      ent­wick­lung beim Wohnungsbau, sie
                       ten Regionen in und außerhalb Europas         ihr Kommunalwahlprogramm, die Zeichen       bedeutet Vielfalt kleiner Geschäfte durch
                       zu uns kommen, um hier besser und             der drohenden Entwicklung erkannt und       verdichtete Kaufkraft und mehr begrünte
                       ungefährdeter zu leben und ihre Existenz      eine Wende gefordert hatten. Auch das       und kommunikative öffentliche Räume.
                       sichern zu können.                            Ende des Verkaufs städtischer Grund-        Solche urban geprägten Stadtviertel müs-
                           Allein seit Beginn des Jahres 2010        stücke für hochpreisigen freifinanzierten   sen sich über den Mittleren Ring hinaus
                       haben die Einwohnerinnen und Einwoh-          Wohnungsbau sowie eine Verdreifachung       entwickeln können.
                       ner der Landeshauptstadt München um           der Bautätigkeit städtischer Wohnungs-          Durch die Umsetzung der oben ge-
                       ca. 200.000 Menschen (etwa 100.000            baugesellschaften und Genossenschaften      nannten Ziele und der weiteren Schärfung
                       Haushalte) zugenommen. In der gleichen        basieren auf Programmen und Anträgen        der Instrumente Erhaltungssatzung, Zwe-
                       Zeit hat sich der Münchner Wohnungs-          der Münchner Grünen und ihrer Stadt-        ckentfremdung und Belegrechtskauf lässt
                       bestand aber lediglich um weniger als         ratsfraktion.                               sich der Freisinger Appell vom 17. Juni
                       50.000 Wohnungen erhöht. Es besteht               Das im Herbst 2016 verabschiedete       2015, jeweils 3.000 bezahlbare Wohnun-
                       also bereits jetzt ein riesiges Defizit an    städtische Handlungsprogramm „Woh-          gen in München und weitere 3.000 in der
                       angemessenem bezahlbaren Wohnraum             nen in München VI“ wird den genannten       Region zu schaffen, gut umsetzen. Und
                       und dieses Defizit wird bei dem prog-         Anforderungen einer sozialen Wohnungs-      dies ist angesichts der weiter anhaltenden
                       nostizierten Zuwachs von mindestens           politik jedoch nicht gerecht. Für den       Wohnungsnot in München zwingend
                       20.000 bis 30.000 Menschen jährlich           geförderten Wohnungsbau (Sozialwoh-         geboten.
                       weiter steigen.                               nungen) wurde die Zielzahl gegenüber
                           Die Münchner Mietpreise erreichen         den Vorgänger-Handlungsprogrammen
                       seit Jahren immer neue Rekordhöhen.           sogar gesenkt und mit der Förderung von
                       Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit (Ver-          bezahlbarem Wohnraum in der Größen-                       Bernd Schreyer
                       dreifachung seit 2010), prekäre Wohn-         ordnung von nur 2.000 Wohnungen                           OV Au/Haidhausen
                       verhältnisse und Gentrifizierung nehmen       per anno insgesamt wird das Ziel weit                     engagiert sich für soziale
                       extrem zu.                                    verfehlt, den Münchner*innen eine Pers-                   Gerechtigkeit – Wohnen spielt
                           Leider hat die Stadtpolitik viel zu       pektive auf kostengünstigen Wohnraum                      da eine zetrale Rolle.

                         SCHWERPUNKT
                         WOHNEN UND WUCHER                                                                                                               13
Schöner wohnen
WARUM BAUEN WIR EIGENTLICH ALLES GLEICH HÄSSLICH?
von Anna Hanusch

N
          eben der Kosten stehen auch der
          Baustil und die Gleichförmigkeit
          von neuer Wohnungsarchitektur
          immer wieder in der Kritik. Was
hier provokativ als „hässlich“ tituliert wird,
ist es nicht zwingend im Einzelfall, aber in
der Masse und der Wiederholung. Zu den
Gründen hier ein paar Thesen:

1. Niemand muss Experi-
mente wagen, wenn sich                           20er Jahren war damals nachvollziehbar,        6. Wohnungen werden
alles vermieten lässt.                           aber seitdem gelten „zeitlose“ funktionale     nicht von denen geplant,
                                                 Schlichtheit und Stringenz als sehr hohe
Daher müssen gar keine Zeit und somit
                                                 Güter in der Gestaltung und zu Buntes          die später darin wohnen.
Geld eingesetzt werden, um zu hinterfra-
                                                 oder Verspieltes wird häufig abgelehnt.        Die Entscheidungen über Aussehen und
gen, ob es neue Wohnbedürfnisse gibt.
                                                                                                Zuschnitte von Wohnungen treffen zu
Sondern das, was am Markt funktioniert,
wird einfach mit leichten Variationen
                                                 4. Der Spielraum beim Bau                      häufig Immobilienabteilungen, die den
reproduziert. Kein Risiko wegen neuen            wird durch viele Regeln                        Markt sondieren und sehr selten die
                                                                                                zukünftigen möglichen Bewohnerinnen
Materialien, Details oder Grundrissen,           und Vorschriften verengt.                      und Bewohner. Wenn diese tatsächlich
die nicht den Standards entsprechen.
                                                 Anforderungen zur Belichtung, Belüftung        in aufwendigen Verfahren bei Genos-
Und noch mehr unterschiedliche Woh-
                                                 und dem Brandschutz sorgen dafür, dass         senschaften mit eingebunden werden,
nungstypen zu mischen bedeutet mehr
                                                 bestimmte Wohnungs- und Gebäudety-             kommen meist ganz andere Gebäude und
Planungsaufwand.
                                                 pen besonders gut funktionieren und da-        Wohnungen heraus.
                                                 her auch häufig wiederholt werden. Auch            Daher sollten wir weiter die Bauherrn
2. Im internationalen                            im sozialen Wohnungsbau gibt es relativ        und Planer unterstützen, die sich Zeit
Markt werden immer ähn-                          starre Vorgaben zur Größe und Anzahl           nehmen zum Nachdenken und Entwi-
lichere Bilder reproduziert.                     von Zimmern. Um der Förderfähigkeit und        ckeln wie etwa die Genossenschaften.
                                                 Vergleichbarkeit willen soll keiner einen      Laden wir mehr „Normalbürger“ ein sich
Wohnungen sind langfristige Geldanla-
                                                 Erker mehr erhalten.                           an der Diskussion in Wettbewerben zu
gen und werden weltweit vermarktet.
                                                                                                beteiligen. Und lernen wir von unse-
So schlägt auch hier die Globalisierung
zu. Das zeigt sich beispielhaft im Sie-
                                                 5. Jeder Quadratmeter zählt.                   rem gebauten Erbe. Die Bauherrn der
                                                                                                Genossenschaftswohnungen von vor 100
geszug der bodentiefen Fenster – egal            Um möglichst viel aus dem Grundstück
                                                                                                Jahren haben das in der Mischung von
in welchem Klima ich baue oder der hell          herauszuholen, gibt es ein Flachdach
                                                                                                Funktionalität, Gemeinschaftsbildung und
verputzten Fassaden und Parkettböden –           statt eines teilweise nicht nutzbaren
                                                                                                Gestaltung schon ziemlich gut hinbekom-
egal welche Materialien regional sind und        Satteldach-Geschosses. Keine groß-
                                                                                                men, nur dummerweise sind die Woh-
historisch verwendet wurden.                     zügigen Treppenhäuser, weil die als
                                                                                                nungen meist nicht barrierefrei.
                                                 Wohnraum fehlen und optimierte und
3. Die Verteufelung des                          erprobte Grundrisse statt Versuche hier
Ornaments wirkt in der                           neue Lebensentwürfe zu berücksichti-
                                                 gen. Flächen, die nicht klar definiert sind,
Architektur nachhaltig.                          gemeinschaftlich genutzt werden oder
Im sehr amüsant zu lesenden Buch „From           aufgrund von schrägen Wänden nicht                           Anna Hanusch
Bauhaus to our House“ von Tom Wol-               optimal möbliert werden können sind in                       OV Neuhausen/Nymphenburg
fe wird schon 1981 der Siegeszug der             so einer Rechnung in Abzug zu bringen.                       Lebt in ihrer 18. Wohnung und
weißen Kisten angeprangert. Der radikale         Dabei machen sie den Charme von vielen                       plant als Architektin aber mehr
Befreiungsschlag der Architekten in den          Wohnungen erst aus.                                          Schul- und Bürosanierungen.

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Fotos: micro compact home ltd.

                                 Eine neue Studentenstadt
                                 DER MIETWAHNSINN TRIFFT BESONDERS STUDIERENDE.
                                 IHM MUSS MIT MUTIGEN BAUPROJEKTEN BEGEGNET WERDEN.
                                 von Marcel Rohrlack

                             H
                                           undert Meter lange Schlangen              Der Großteil der Wohnheimsplätze       viele Studierende zum Monatsende kein
                                           bei Wohnungsmassenbesichti-          stammt noch aus der Zeit Hans-Jochen        Geld? Man kann doch einfach welches
                                           gungen, Quadratmeterpreise an        Vogels vor einem halben Jahrhundert.        abheben.“) Ein harmloser Witz, der mit
                                           der Grenze zum gesetzwidrigen        Seit den frühen Siebzigerjahren wurde die   Klischees spielt, aber auch Wahrheit
                                 Wucher und eine Vermieterschaft, die           Zahl der Plätze zwar schrittweise etwa      enthält. Denn wenn es so weiter geht,
                                 jedes Stereotyp vom rücksichtslosen            verdoppelt, mit dem enormen Bedarf          wird sich in Zukunft nur noch Justus ein
                                 Gierschlund bestätigt: Eine Wohnungssu-        durch steigende Mieten am freien Markt      Studium in München leisten können.
                                 che hat in München völlig zu Recht einen       und Rekordzahlen an Studierenden kann       Universitäten wären dann nicht mehr die
                                 Ruf als Spießrutenlauf weg. Man könnte         sie jedoch nicht mithalten. Denn seit       Chancen-Schmieden, die sie sein sollten.
                                 die Stadt dafür hassen, wie beliebt sie ist.   der Nachkriegszeit hat sich die Zahl der    Denn es geht nicht nur um gerechte
                                 Würden doch bloß weniger Menschen              Studierenden der LMU etwa verfünffacht      Möglichkeiten heute, sondern es geht in
                                 hier wohnen wollen!                            und die Mieten am freien Markt gehen        der Frage des studentischen Wohnens
                                     Exzellente Universitäten ziehen jeden      durch die Decke.                            um einen gerechten Zugang zu den Chan-
                                 Herbst tausende neue Studierende an,                Die meisten müssen also eine Woh-      cen von morgen.
                                 die selbstverständlich irgendwo wohnen         nung auf dem freien Markt finden. Das           Das Klein-Klein beim Bauen für Stu-
                                 müssen. In Wohnungsanzeigen lesen sie          Institut der deutschen Wirtschaft Köln      dierende muss endlich ein Ende finden.
                                 jedoch, dass Vermieter*innen gar nicht         hat in einem Gutachten 2016 ausgerech-      Die Mutlosigkeit der letzten Jahrzehnte
                                 erst an Studierende vermieten, und das         net, was eine „studentische Musterwoh-      schafft Ungerechtigkeiten und verbaut
                                 Studentenwerk ist überlastet und kann          nung“ in unterschiedlichen deutschen        Chancen, gerade weil nicht gebaut wird.
                                 nur den wenigstens einen Wohnheims-            Städten kostet. Für eine Wohnung von        Es muss ein neuer Baumut entstehen, um
                                 platz anbieten.                                30m² mit normaler Ausstattung in der        die große Herausforderung einer wach-
                                     Auf 127.000 Studierende kommen             Nähe der Universität müssen Münchner        senden Stadt, die für alle zugänglich ist,
                                 nämlich lediglich 11.000 Wohnheimplät-         Studierende im Jahr 2015 im Schnitt 580     zu bewältigen. Dafür muss wieder groß
                                 ze. Weniger als ein Zehntel der Stu-           Euro zahlen – 62 Euro mehr als noch fünf    und auch hoch gedacht werden. Vierzig
                                 dierenden kann also einen geförderten          Jahre früher. In Berlin wäre ein ver-       Jahre nach der Fertigstellung der Studen-
                                 Wohnheimplatz nutzen. Darüber hinaus           gleichbare Behausung 194 Euro billiger.     tenstadt ist es darum Zeit für eine neue
                                 entsteht eine Gerechtigkeitslücke, da nur      Offenbar sind bei den Preisen alle Dämme    Studentenstadt.
                                 ein Bruchteil derer, die eine preiswerte       gebrochen und in München zu leben wird
                                 Wohnung bräuchten, das Glück haben im          mehr und mehr zum Luxus.
                                 Vergabeverfahren einen Platz zu bekom-              In den sozialen Medien haben sich                     Marcel Rohrlack
                                 men. Auch die Zahl der über die Privat-        währenddessen sogenannte Justus-Wit-                       OV Neuhausen-Nymphenburg
                                 zimmervermittlung angebotenen Zimmer           ze verbreitet. Justus, ein TUM-BWL-Stu-                    wünscht sich neuen Baubo­om,
                                 hat sich seit den frühen Zweitausendern        dent, kommt aus betuchtem Haus und                         damit alle in München gut und
                                 sogar mehr als halbiert.                       kennt keine Geldsorgen. („Warum haben                      bezahlbar leben können.

                                   SCHWERPUNKT
                                   WOHNEN UND WUCHER                                                                                                                15
Wohnen –
was muss sich ändern?
EINBLICKE VON MANDATSTRÄGER*INNEN ALLER EBENEN

Endlich eine funktionie-                                                                Zweckentfremdung
rende Mietpreisbremse!                                                                  verhindern!
von Chris Kühn, MdB                                                                     von Jürgen Mistol, MdL

W                                                                                       W
             ohnen ist gerade in Städ-      aus, die Neuvertragsmieten zu begrenzen.                 ohnraum für alle Menschen
             ten wie München, aber          Auch für die Bestandsmieten muss es                      im Freistaat – schnell, nach-
             auch Hamburg, Berlin oder      einen wirkungsvollen Schutz geben. Die                   haltig und bezahlbar. Das sind
             Stuttgart, zum drängendsten    Modernisierungsumlage müsste dazu                        die drei Ansprüche, die wir
sozialen Problem geworden. Nirgendwo        beispielsweise deutlich abgesenkt und       Grüne im Landtag an den Bau der vielen
zeigt sich die Spaltung der Gesellschaft    Erhöhungen auf Basis des Mietspiegels       neuen Wohnungen stellen, die wir in
deutlicher als auf dem Wohnungsmarkt:       begrenzt werden.                            Bayern so dringend benötigen. Wir lassen
Wo Geringverdienende, Familien, Studie-         Neben diesen mietrechtlichen Maß-       nicht zu, dass Menschen mit geringem
rende oder Rentner keine Wohnung mehr       nahmen müssen wir dringend in dauer-        Einkommen im Wettbewerb um knappen
bekommen und auch die Mittelschicht         haft bezahlbare Wohnungen investieren.      Wohnraum insbesondere in Ballungs-
immer weitere Pendelwege auf sich           Wir brauchen mindestens 500 Millionen       räumen wie München auf der Strecke
nehmen muss, ist fundamental etwas aus      mehr für den sozialen Wohnungsbau und       bleiben. Entscheidend ist nicht nur leist-
dem Gleichgewicht geraten.                  müssen die Wohnungsgemeinnützigkeit         baren und lebenswerten Wohnraum zu
    Was muss sich also ändern? Die          wieder einführen. Mit einer Neuen Woh-      schaffen, sondern auch gleichzeitig den
Antwort ist so einfach wie kompliziert.     nungsgemeinnützigkeit könnten in zehn       sozialen Zusammenhalt zu stärken:
Wohnen muss für alle und jeden wie-         Jahren eine Million dauerhaft bezahlbare        Schnell – Durch eine aktive Lie-
der bezahlbar sein. Wohnraum darf           Wohnungen entstehen.                        genschaftspolitik soll der Freistaat den
kein Spekulationsobjekt mehr sein. Auf          Leider sind unsere Anträge und          Kommunen geeignete Grundstücke für
Bundesebene haben wir Grüne in der          Gesetzentwürfe für mehr Mieterschutz        den Wohnungsbau zu wirtschaftlich
letzten Legislatur alle Hebel in Bewegung   allesamt an der Großen Koalition geschei-   tragfähigen Preisen bereitstellen. Wir
gesetzt, diesem Ziel wieder näher zu kom-   tert. Deswegen wollen wir Grüne auch        fordern zudem, das Grundsteuergesetz
men. Wir brauchen dringend eine funkti-     diejenige Kraft sein, die in einer mögli-   um eine neue Komponente zur Mobilisie-
onierende Mietpreisbremse. Das Gesetz       chen Jamaikakoalition den Mieterschutz      rung von Liegenschaften im Innenbereich
in seiner momentanen Ausgestaltung          hochhält. Beim bezahlbaren Wohnen soll      zu ergänzen.
ist wirkungslos. Die vielen Ausnahmen       sich endlich wieder was bewegen. Denn           Außerdem fordern wir die Kommu-
und Schlupflöcher gehören abgeschafft       Wohnen darf kein Luxus sein.                nen auf, in der Bauleitplanung verant-
und durch eine Auskunftspflicht für den                                                 wortungsvoll vom neuen Baugebietstyp
Vermieter ersetzt. Es reicht aber nicht                                                 „Urbanes Gebiet“ Gebrauch zu machen.

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Die Münchner
                                              Wohnungsmisere
                                              von Gülseren Demirel, Stadträtin

                                              W
                                                           esentliche Ursachen für die      ambitioniertes Wohnungsbauprogramm
                                                           Wohnungsnot in München           aufgelegt, um geförderten Wohnungsbau
                                                           liegen außerhalb der Möglich-    wieder möglich zu machen. Als eine der
                                                           keiten der Kommunalpolitik.      ersten Städte hat München eine Zwe-
                                              Zum einen sind die Prognosen, die noch        ckentfremdungssatzung verabschiedet,
                                              vor fünfzehn Jahren ein Schrumpfen der        die sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN)
                                              Bevölkerung vorhersagten, bekanntlich         eingeführt mit der Verpflichtung 30
                                              nicht eingetroffen – ganz im Gegenteil.       Prozent geförderte Wohnungen zu bauen,
                                              Zum anderen wuchs mit der Null-Pro-           Erhaltungssatzungen erlassen sowie
                                              zent-Zinspolitik und der Finanzkrise der      Genossenschaften und Baugemeinschaf-
                                              Druck auf dem Immobilienmarkt („Beton-        ten durch Vergabe städtischer Flächen
                                              gold“) enorm.                                 gefördert. Auf eine Initiative der Grünen
                                                  In der Folge sind die Preise für unbe-    geht der 2013 beschlossene Konzepti-
    Nachhaltig – Gerade in München,           baute Grundstücke für Geschosswoh-            onelle Mietwohnungsbau zurück – ein
wo kaum mehr Bauland zur Verfügung            nungsbau in München in den letzten 10         Paradigmenwechsel in der städtischen
steht, müssen wir grundsätzlich dichter       Jahren um jährlich 30 Prozent gestie-         Grundstückspolitik, die hier das Prinzip
und vor allem höher bauen. Das setzt eine     gen. Der Anteil der Grundstücke an den        des Verkaufs zum Höchstpreis aufgege-
moderne Bauordnung voraus, die von            Gesamtkosten liegt im Neubau bereits bei      ben hat und stattdessen andere Kriterien
einer rigiden Stellplatzpflicht abrückt und   etwa 60 Prozent. Und natürlich sind auch      in den Vordergrund stellt, zum Beispiel
auf Maßnahmen zur Begrünung setzt. Zu-        die Mieten in dieser Zeit stark gestiegen.    eine lange Bindungsfrist als Mietwoh-
kunftsfähiges Bauen kann zudem nur in         Die Schlangen vor dem Wohnungsamt             nung, die Begrenzung der Mieten und ein
Verbindung mit Klimaschutz geschehen.         sind lang und die Zahl der Obdachlosen        Verbot von Eigenbedarfskündigungen.
Auch im Rahmen der kommunalen Hoch-           hat sich binnen kurzer Zeit verdoppelt.       Leider setzt die neue Stadtratsmehrheit
bauförderung setzen wir auf mehr Anreize      Insbesondere die Zahl der Kinder, die über    von CSU und SPD diese Politik nicht
für energieeffizientes Bauen.                 lange Zeit in Heimen und Pensionen leben      mit der gleichen Entschlossenheit fort.
    Bezahlbar – Die Schaffung von be-         müssen, steigt dramatisch. Während sich       Die neu ausgehandelte SoBoN dient vor
zahlbarem Wohnraum kann nur Hand in           Bund und Land in den letzten 30 Jahren        allem den Investoren und wird das Ziel
Hand mit der Verbesserung des Mieter-         fast vollständig aus dem Sozialwoh-           verfehlen, Wohnraum zu schaffen, der auf
schutzes gelingen. Dafür wollen wir das       nungsbau verabschiedet haben, hatte die       Dauer der Spekulation entzogen ist. Die
Zweckentfremdungsgesetz zu einem              rot-grüne Stadtratsmehrheit – gegen den       städtebaulichen Entwicklungsmaßnah-
scharfen Schwert für Kommunen in Fäl-         Trend – ihre Anstrengungen verstärkt, be-     men im Nord-Osten und Norden kommen
len nicht ordnungsgemäßer Nutzung von         zahlbares Wohnen zu erhalten und neu zu       nicht voran bzw. werden von Teilen der
Wohnraum machen. Außerdem müssen              schaffen. Trotz der schlechten Haushalts-     Stadtratsmehrheit torpediert. Hier geht es
mit einer verlässlichen und passgenauen       lage in den 00er-Jahren hat die Stadt ihre    in erster Linie um die Frage, ob dort fünf
Landesförderung dem sozialen Woh-             eigenen Wohnungen behalten und mit            große Immobilienentwickler gemeinsam
nungsbau Vorfahrt eingeräumt sowie            ihren eigenen Wohnungsbaugesellschaf-         mit 500 Grundeigentümern bestimmen,
gemeinnützige Akteure, wie kommunale          ten neue gebaut. Aber manches Grund-          was passiert, oder ob die Stadt ihre
Gesellschaften und Genossenschaften,          stück, das damals zur Schuldentilgung         Planungshoheit zugunsten von 50.000
gestärkt werden.                              verkauft wurde, könnte man heute gut          Menschen einsetzt, die dort wohnen und
                                              gebrauchen. Fast allein auf weiter Flur hat   arbeiten können. Hier wird sich zeigen,
                                              München schon in den Neunzigern ein           wem die Stadt gehört.

                                                                                                                                   17
BERICHT AUS DEM STADTRAT

                                                                                                                                         Konzeptskizze HP8: Clemens Bachmann Architekten
Ausweichquartier für das                     Foto) sei „gut geeignet, um in eine ernst-    braucht wie seine Hochkultur.“
Kulturzentrum Gasteig:                       hafte Diskussion über die Integration von         Gülseren Demirel: „Wir schlagen vor,
                                             möglichst vielen existierenden Mieternut-     die von Clemens Bachmann Architekten
Grüne fordern Umdenken                       zungen einzutreten.“                          vorgelegte Konzeptskizze ernsthaft zu
                                                 Dr. Florian Roth: „Der Gasteig benötigt   prüfen, denn sie könnte sowohl dem
Die Fraktionsvorsitzenden Dr. Florian        für seine Institutionen große Flächen –       Gasteig als auch den Bestandsmietern
Roth und Gülseren Demirel fordern „ein       das ist unumstritten. Doch anstatt nun        nützen. Voraussetzung für eine solche
Umdenken bei der Planung des Ga-             die Hand einfach auf das ganze Gelände        Lösung ist allerdings der politische Wille,
steig-Ausweichquartiers des möglichen        des HP8 zu legen und die bestehenden          die von den Künstler, Handwerkern und
Gasteig-Ausweichquartiers Hans-Preißin-      Mieternutzungen weitgehend zu igno-           Dienstleister des HP8 entwickelte Vielfalt
ger-Str. 8 (HP8) – weg von der Maximie-      rieren, sollte der ganze Planungsprozess      als wertvoll für die Stadt zu betrachten.
rung der Flächen für den Gasteig und hin     die Bestandsmieter mit einbeziehen und        Über 300 Menschen verdienen hier ihren
zu einer integrativen Ansatz, der die ge-    auch deren Interessen berücksichtigen.        Lebensunterhalt – das darf die Stadt
werbliche und kulturelle Vielfalt des Are-   Dabei werden beide Seiten Kompromisse         nicht einfach für eine Interimslösung
als so weit wie irgend möglich bewahrt.“     machen müssen. Langfristig könnte sich        plattmachen, die nach einiger Zeit wieder
    Die von dem im HP8 ansässigen            auf dem Gelände Wohnen, Kultur und Ge-        verschwinden wird.“
Architektenbüro Clemens Bachmann             werbe zu einem zweiten Kreativquartier
Architekten vorgelegte Konzeptskizze (s.     formieren, das München ebenso dringend

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Mehr architektonische                      Quoten oder Wild Cards auch jüngere und      keinerlei Information oder Formen des
                                  Vielfalt durch mehr Offen-                 weniger bekannte Büros teilnehmen kön-       Erinnerns. Dies soll ein ThemenGe-
                                                                             nen. Die Stadt soll außerdem Jurysitzun-     schichtsPfad zur Rock- und Popgeschich-
                                  heit bei Wettbewerben                      gen durch die Öffnung für die Öffentlich-    te Münchens ändern.“
                                                                             keit transparent machen und einmal im            In einem weiteren Antrag regen die
                                  Stadträtin Anna Hanusch fordert mehr
                                                                             Jahr einen Ideenwettbewerb für Studen-       Grünen – rosa liste an, das Leben und
                                  Varianz bei den städtischen Architek-
                                                                             tinnen und Studenten ausloben.               Schaffen von Rock-Legende Freddie
                                  tur-Wettbewerben. Zwar sei es grund-
                                                                                 Anna Hanusch: „Der Verdacht liegt        Mercury in München in den KulturGe-
                                  sätzlich zu begrüßen, dass in München
                                                                             nahe, dass häufig die immer gleichen         schichtsPfad Ludwigsvorstadt-Isarvor-
                                  immer noch relativ viele Wettbewerbe
                                                                             bereits etablierten Büros und bekannten      stadt mit aufzunehmen. Der Sänger und
                                  stattfinden. Die Ergebnisse stießen je-
                                                                             Juroren eingeladen werden - sich letztlich   Frontmann der Gruppe „Queen“ lebte von
                                  doch immer wieder auf Ablehnung bei
                                                                             also die immer selben Personen gegen-        1979 bis 1985 im Glockenbachviertel. Ins-
                                  Bürgerinnen und Bürgern, denn viele
                                                                             seitig bewerten. Am Beispiel des Krea-       gesamt bewohnte er während dieser Zeit
                                  Siegerentwürfe wiesen immer wiederkeh-
                                                                             tivquartiers kann man aber beobachten,       dort mehrere Wohnungen und verkehrte
                                  rende gleichförmige Stilmerkmale auf und
                                                                             dass es sich lohnt, bei passenden Flächen    u.a. in den Szeneclubs „Frisco“ und „Old
                                  ähnelten sich entsprechend. Hanusch hat
                                                                             auch mal offene Wettbewerbe zu wagen.        Mrs. Henderson“ in der Rumfordstraße
                                  daher beantragt, die Architektur-Wett-
                                                                             Mehr Vielfalt wird es nur mit mehr Mut       sowie in den Lokalen „Ochsengarten“
                                  bewerbe weiter zu öffnen, mehr unter-
                                                                             zur Offenheit geben!“                        und in der „Deutschen Eiche“. Im Hender-
                                  schiedliche Verfahren durchzuführen und
                                                                                                                          son-Club feierte Mercury denn auch Mitte
                                  mehr Abwechslung unter Teilnehmenden
                                                                                                                          der 80er Jahre seinen 39. Geburtstag und
                                  und Fachpreisrichtern herzustellen. Sie
                                  will außerdem bei Wettbewerben dafür
                                                                             ThemenGeschichtsPfad                         produzierte während dieser rauschenden
                                  sorgen, dass durch offene Verfahren oder   soll an Freddie Mercurys                     Party das Video zu seinem ersten großen
                                                                                                                          Solo-Hit „Living on my own“.
                                  bei beschränkten Wettbewerben dank         Münchner Zeit erinnern                           Stadtrat Thomas Niederbühl: „Freddie
                                                                                                                          Mercury hat als Frontmann einer der
                                                                                             Stadträtin Lydia Dietrich
                                                                                                                          erfolgreichsten Rockbands der Welt
                                                                                             hat vorgeschlagen, einen
                                                                                                                          Musikgeschichte geschrieben. Dass er
                                                                                             ThemenGeschichtsPfad
                                                                                                                          viele Jahre im von ihm geliebten Mün-
                                                                                             zur Rock- und Popge-
                                                                                                                          chen verbrachte, hat über die Grenzen
                                                                                             schichte Münchens auf-
                                                                                                                          unserer Stadt hinaus Bedeutung. Er sollte
                                                                                             zulegen, denn hierzu gibt
                                                                                                                          daher bei der nächsten Überarbeitung des
                                                                                             es - im Gegensatz zur
                                                                                                                          KulturGeschichtsPfads aufgenommen
                                                                                             klassischen Musik – im
                                                                                                                          werden.“
                                                                                             öffentlichen Raum Mün-
                                                                                             chens kaum Hinweise.
                                                                                                 Lydia Dietrich: „Rund
                                                                                             um Mozart, Strauss
                                                                                                                          Israel-Kritiker verbannt –
                                                                                             und Wagner gibt es z.B.      Grüne warnen vor Gefähr-
                                                                                             Musikspaziergänge oder       dung der Meinungsfreiheit
                                                                                             Erinnerungstafeln. Es
                                                                                             gibt aber auch in der        Fraktionschef Florian Roth hat vor einer
                                                                                             Rock- und Popgeschich-       schleichenden Aushöhlung der Mei-
Foto: Carl Lender, CC BY-SA 3.0

                                                                                             te Persönlichkeiten, die     nungsfreiheit in städtischen Institutionen
                                                                                             einen Teil ihres Lebens      gewarnt. Hintergrund ist das erneute Vor-
                                                                                             in München verbrachten       gehen der Gasteig-Geschäftsführung ge-
                                                                                             und sich hier kreativ        gen eine Veranstaltung mit Kritikern der
                                                                                             waren. Für diesen Teil       israelischen Regierungspolitik, die wegen
                                                                                             der Musikgeschichte gibt     ihres Eintretens für die Kampagne BDS
                                                                                             es bislang in München        (Boykott, Desinvestitionen und Sanktio-

                                                                                                                                                                 19
nen) aus den Räumen Gasteigs verbannt         Veranstaltungen mit solchen Personen          daher unverzüglich mit den überarbei-
werden sollten.                               anderer Organisationen. Damit wären,          teten vorhandenen Plänen das Planfest-
    Bereits Ende September war der            unabhängig vom Veranstalter, selbst grö-      stellungsverfahren einleiten, bevor im
Gasteig vor dem Landgericht München           ßere Podien unmöglich, wenn bestimmte         Bayerischen Kabinett erneut ein Mei-
damit gescheitert, eine Vermietungszusa-      Teilnehmer als personae non gratae auf        nungsumschwung eintritt.“
ge für einen Vortrag von Judith Bernstein     einer schwarzen Liste stünden.                    In einem zweiten Antrag setzt
von der Jüdisch-Palästinensischen Dia-             Dr. Florian Roth: „Auch wir lehnen die   Bickelbacher sich dafür ein, Münchner
loggruppe aus formalen Gründen nach-          BDS-Kampagne auf das Schärfste ab,            Tramzüge mit der sogenannten Super-
träglich zurückzuziehen. Diesmal zielte die   da sie zu einem völligen Boykott Israels      cap-Technologie auszustatten. Dabei
Ablehnung einer Raumvermietung direkt         nicht nur wirtschaftlich, sondern auch        handelt es sich um Energiespeicher mit
auf das politische Engagement von Judith      wissenschaftlich und kulturell auffordert     hoher Leistungsdichte und Energieeffizi-
Bernstein: Ihr sollte, gemeinsam mit          und - zumindest in ihrer internationa-        enz, wodurch sie herkömmlichen Akkus
ihrem Mann Reiner, der Preis „Aufrechter      len Fassung - das Existenzrecht Israels       wirtschaftlich überlegen sind. Da sie in
Gang“ der Humanistischen Union verlie-        implizit in Frage stellt. BDS-Veranstaltun-   der Lage sind, Bremsenergie optimal
hen werden. Die Humanistische Union ist       gen und Organisationen, die sich klar und     zurückzugewinnen, können Trambah-
eine angesehene linksliberale, maßgeblich     aktiv für BDS einsetzen, sind deshalb von     nen mit dieser Technik der kurzfristigen
von Intellektuellen getragene Bürger-         der Stadt München nicht zu fördern. Doch      Energiespeicherung kurze Strecken ohne
rechtsorganisation, in deren Beirat etwa      selbst bei kommerziellen Vermietungen         Oberleitung zurücklegen – gerade für die
Klaus Hahnzog, Hartmut von Hentig,            von Räumen städtischer jegliche Teilnah-      Strecke durch den Englischen Garten also
Burkhard Hirsch, Claudia Roth und Klaus       me von Personen 'aus dem BDS-Umfeld'          eine sinnvolle Investition.
Staeck Mitglied sind.                         pauschal als Absagegrund geltend zu               In seinem dritten Antrag schlägt
    Die Gasteig-Geschäftsführung hatte        machen, geht entschieden zu weit. Auch        Bickelbacher vor, die nach Steinhausen
eine Raumvermietung nun mit dem Hin-          wer die BDS-Kampagne ablehnt, kann            führende Trambahn über den Zamila-
weis abgelehnt, für den Gasteig kämen         eine derart weitreichende Ausgrenzung         park nach Daglfing zu verlängern - mit
„Veranstaltungen von oder mit Personen,       nicht rechtfertigen. Die Stadt wäre gut       der Option, sie später in den Bereich der
aus dem Umfeld der BDS-Kampagne               beraten, mit mehr Augenmaß zu handeln.        städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme
entsprechend unserer Mietbedingungen          Freiheit, so schmerzhaft das manchmal         im Nordosten fortzuführen. Paul Bickel-
nicht in Frage“ und bezieht sich dabei auf    ist, ist eben auch die Freiheit des And-      bacher: „Umsteigefreies Fahren mit der
einen von CSU und SPD gestellten Antrag       ersdenkenden.“                                Tram ist deutlich attraktiver als die aktuell
zu diesem Thema.                                                                            diskutierte Verbesserung des Busverkehrs
    Dr. Florian Roth: „Es kann nicht                                                        zwischen Steinhausen und Zamilapark.
angehen, dass städtische Gesellschaften       Antragspaket soll neuen                       Zudem gilt es die Voraussetzungen für
bestimmte Meinungen und Personen              Schwung für den Ausbau                        die ÖV-Erschließung des Bereichs der
nur auf Grund von Stadtratsanträgen aus                                                     städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme
ihren Räumen verbannen – auch wenn            der Trambahn bringen                          im Nordosten zu schaffen.“
diese Anträge von den Mehrheitsfrakti-
onen stammen. Ein solch vorauseilender        Mit einem dreiteiligen Antragspaket will
Gehorsam ist geeignet, die politische Kul-    Stadtrat Paul Bickelbacher dem Ausbau
tur ernsthaft zu gefährden - denn wozu        der Trambahn neuen Schwung verlei-
noch Stadtratssitzungen abhalten, wenn        hen. Vor allem bei der Tram durch den
der Wille der Großen Koalition ohnehin        Englischen Garten muss die Stadt aufs
für verbindlich gehalten wird?“               Tempo drücken, denn nach der überra-
    Verschärfend kommt laut Dr. Roth          schenden Zustimmung des Bayerischen
hinzu, dass der Gasteig die Intention         Ministerpräsidenten gegen den Willen
des vorliegenden Antrags auch noch            Münchner CSU könnte diese wichtige
erweiternd interpretiert hat, indem er        Tangentialverbindung wieder in Gefahr         IMPRESSUM
sie nicht nur auf Veranstaltungen von         geraten, falls Horst Seehofer demnächst       Herausgegeben von der Stadtratsfraktion
Organisationen und Personen „aus dem          gezwungen sein sollte, sein Amt aufzuge-      Bündnis 90/Die Grünen – rosa liste
BDS-Umfeld“ bezieht, sondern auch auf         ben. Paul Bickelbacher: „Die Stadt sollte     gruene-fraktion-muenchen.de

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WEHRT EUCH!
VON MATTHIS TRÜMNER

Vor Kurzem war ich in München mit                Aber es ist eben nicht gut. Laut         zu sehen, dann werden Menschen wie
einigen Freundinnen feiern. Elektroni-       einer Studie der EU aus dem Jahr 2012        jener Typ im Club immer weitermachen.
sche Musik aus lauten dumpfen Boxen,         gaben mehr als ein Viertel der Frauen in     Es ist eindeutig eine Grenze überschritten
ausgelassene Stimmung; eigentlich ein        Deutschland an, dass sie schon einmal        worden und das muss deutlich gemacht
vielversprechender Abend. Doch dann          sexuell belästigt wurden. Andere Stu-        werden. Wer nichts unternimmt bestärkt
war da dieser Typ - stellte sich vor eine    dien kommen zu noch viel drastische-         nicht nur den Täter in seinem Verhalten,
Freundin, bewegt seine Hand vor seinem       ren Zahlen. Als Frau erlebt man solche       sondern spielt auch mit unserer Frei-
Mund hin und her und presste rhyth-          Situationen, wie die oben Beschriebene,      heit. Denn kann ich mich wirklich frei
mische seine Zunge an die Innenseite         wahrscheinlich viel zu häufig. Das Aus-      verhalten, wenn solche Typen ungehin-
seiner Wange. Die Botschaft war nicht        maß dieses Missstandes lässt sich mit        dert wüten können? Kann ich als nicht
schwer zu verstehen: Blas mir einen! Ab-     Hilfe der aktuellen #MeToo Kampagne          heterosexueller Mensch meine Sexualität
wechselnd bedrängte er die Frauen, mit       erahnen, welche jedoch nur die Spitze des    frei ausleben ohne mich unsicher zu füh-
denen ich an diesem Abend unterwegs          Eisberges ist. Unter diesem Hashtag pos-     len, wenn neben mir Menschen sexuell
war, welche sich nur angeekelt von ihm       ten in den sozialen Netzwerken tausende      belästigt werden? Kann ich mich frei und
wegdrehten. Er presste seinen Körper an      Personen weltweit über ihre Diskrimi-        respektiert fühlen, egal wie ich aussehe,
die Körper anderer Frauen, sein Glied an     nierungs- und Belästigungserfahrungen.       wenn neben mir einem Menschen jegli-
den Hintern von jeder Frau, welche das       Verfolgt man diese Entwicklung fällt zum     cher Respekt abgesprochen wird? Dieser
Pech hatte vor ihm aufzutauchen. Ich         einen auf, dass der Diskurs fast nur von     kurze Beitrag soll deshalb vor allem als
war geschockt und mir wurde schlecht,        Frauen geführt wird und Männer, welche       Appell gelesen werden. Wir können ein
konnte nicht glauben, dass so was gerade     zumeist die Täter sind, schweigen. Zum       solches Verhalten nicht akzeptieren. Das
vor meinen Augen passierte. Als weißer,      anderen wird deutlich, dass Menschen         gilt für diejenigen, welche belästigt wer-
junger und heterosexueller Mann bin          jeglicher Gesellschaftsschicht, Religions-   den. Seid laut und hört auf es hinzuneh-
ich so etwas nicht gewohnt. Diskrimi-        zugehörigkeit und ethnischer Herkunft        men, wenn ihr belästigt werdet. Holt euch
nierung ist für mich ein diffuser Begriff,   angegrapscht, erniedrigt und vergewaltigt    von den Umstehenden Hilfe und lasst
über den ich vor allem lese und von dem      werden. Sogar Spitzenpolitiker*innen         nicht zu, dass man euch so behandelt.
ich höre, aber nicht in meinem Alltag        wie die schwedische Außenministerin          Aber das gilt auch für alle, die als stumme
tangiert werde. Nachdem ich also aus der     berichten von sexueller Belästigung. Doch    Beobachter nur danebenstehen. Men-
Schockstarre erwachte, wollte ich zum        was online Hoffnung bereitet, nämlich        schen wie mich, die selbst nie belästigt
Türsteher eilen, damit er diesen Widerling   dass Menschen Stellung beziehen und          werden. Schreitet ein und macht deutlich,
doch bitte rausschmeißen sollte. Doch ich    Probleme ansprechen, hat wenig der Si-       dass ein solches Verhalten nicht okay
wurde zurückgehalten und es fielen Sätze     tuation in der analogen Welt zu tun. Dort    ist. Lasst nicht zu, dass vor euren Augen
wie: „Nein, mach das nicht, er hat ja noch   wird noch viel zu häufig im Angesicht von    Unrecht geschieht. Natürlich könnte der
gar nichts gemacht“ - „Sie können schon      Ungerechtigkeit der Blick abgewandt.         Täter aggressiv werden, ihr könntet als
selbst auf sich aufpassen“ - „Das ist doch   Sich klein machen, die Situation her-        überempfindlich abgestempelt werden
normal, dass man so was im Club erlebt“      unterspielen und sie zu ignorieren sind      und es könnte sogar sein, dass ihr selbst
- „Ich will mir nicht schon wieder den       wahrscheinlich Verhaltensweisen, welche      rausgeschmissen werdet. Vielleicht macht
Abend verderben lassen.“ Ich ließ mich       am wenigsten Komplikationen mit sich         ihr am Ende eine riesige Szene und keiner
überreden und ging nicht zum Türsteher,      bringen. Vielleicht sind sie sogar manch-    nimmt euch ernst. Mut ist zu handeln,
was ich immer noch bereue. Der Typ war       mal am sichersten. Doch bringen sie auch     obwohl der Ausgang ungewiss ist und
dann im Übrigen auch weg und wir sahen       ein großes Problem mit sich. Wenn nicht      negative Konsequenzen mit sich bringen
ihn für den Rest des Abends nicht wieder.    deutlich gemacht wird, dass es nicht         kann. Doch genau diesen Mut braucht die
Am Ende gingen alle recht gut gelaunt        okay ist eine andere Person ohne deren       Welt, damit wir alle in Gleichheit und in
nach Hause. Alles war wie immer. Alles       Einverständnis anzufassen, dass es nicht     Würde leben können. Wehrt euch!
war gut.                                     okay ist jemanden als bloßes Sexobjekt

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