"ABER SICH ZU WEHREN, IST WICHTIG" - Empowerment - gegen Diskriminierung in Brandenburg
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Herausgeber: Antidiskriminierungsberatung Brandenburg »ABER SICH ZU WEHREN, IST WICHTIG« Empowerment – gegen Diskriminierung in Brandenburg
IMPRESSUM Herausgeber OPFERPERSPEKTIVE E.V. Rudolf-Breitscheid-Straße 164 14482 Potsdam Telefon: +49 331 8170000 Telefax: +49 331 8170001 Email: info@opferperspektive.de Internet: www.opferperspektive.de Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Reinert, Stephan Martin, Dagi Knellessen Registergericht: Amtsgericht Potsdam, Registernummer VR 2045 Text (soweit nicht anders angegeben): Maica Vierkant Redaktion: Martin Beck Lektorat: Jan Ole Arps Gestaltung: Rebecca Forner Druck: Hinkelstein Druck Die Herausgabe wurde gefördert durch die Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg. Copyright: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
INHALT 2 Geleitwort Prof. Dr. Karin Weiss, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg 3 Konsequente Weiterentwicklung Antidiskrimierungsarbeit und Gewaltprävention Dominique John, Geschäftsführer der Opferperspektive e. V. 5 Es ist noch mehr möglich Antidiskriminierungsarbeit in Brandenburg Anke Zwink 9 Beratung, Intervention, Empowerment, Dokumentation Die Arbeit der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg Nadja Hitzel-Abdelhamid 14 Diskriminierung ... bei der Arbeit, in der medizinischen Versorgung, beim Sport, in der Schule, auf der Straße, bei der Wohnungssuche 22 Die Banalität des Rassismus Ausgrenzungserfahrungen beginnen im Alltag Mark Terkessidis 26 Trauma, Verstrickung, Stärke Die rassistisch markierte Selbsterfahrung Paul Mecheril, Astride Velho 31 Per Gesetz gegen Benachteiligung Die Entwicklung der Antidiskriminierungspolitik in Deutschland Rüdiger J. Hamm 36 Anlaufstellen
2 GELEITWORT B randenburg ist schon seit Langem sehr enga giert, wenn es um die Förderung und Unter- stützung von Initiativen, Aktionen und Maßnah- leicht erkennbar. Oft sind sie subtil, versteckt oder nur mittelbar. Gerade das macht eine Auseinan- dersetzung schwierig. Und es fehl(t)en vor allem men gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind- Anlaufstellen, die individuell zu solchen Fragen lichkeit, Antisemitismus und Rassismus geht. beraten, rechtliche als auch soziale Unterstützung Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ anbieten. besteht bereits seit mehr als zehn Jahren. Unter In Brandenburg hat sich die Antidiskriminierungsar- seinem Dach haben sich verschiedene staatliche beit langsam entwickelt. Obwohl bereits seit 1999 und zivilgesellschaftliche Institutionen zusam- im Büro der damaligen Ausländerbeauftragten mengefunden. Mit dem „Brandenburger Aktions eine erste Anlaufstelle für Antidiskriminierungsfra- bündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus gen geschaffen werden konnte, blieb diese Stelle und Fremdenfeindlichkeit“ haben sich ebenfalls doch lange aufgrund mangelnder Kapazitäten in landesweit tätige Verbände und Organisationen ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt und in mit unterschiedlichen Ansätzen, Konzepten und ihren Wirkungen als einzige Anlaufstelle in einem Verbandszielen zusammengeschlossen. Daneben großen Flächenland eingeschränkt. Erst seit 2009 gibt es zahlreiche Einzelprojekte und Initiativen vor ist es gelungen, weitere regionale Anlaufstellen zu Ort, die sich mit Rechtsextremismus, Rassismus schaffen, die Betroffenen vor Ort unmittelbar indi- und Fremdenfeindlichkeit befassen. viduelle Beratung und Unterstützung anbieten. Die meisten dieser Ansätze haben eines gemein- Der hier vorliegende Band soll über die Arbeit ei- sam: Sie setzen an den TäterInnen bzw. an den ner dieser Brandenburger Anlaufstellen berichten, potenziellen TäterInnen an. Fast keine der Initiati- die Erfahrungen reflektieren, das Handeln proble ven, Vereine, Gruppen oder Maßnahmen widmet matisieren. Und er soll Mut machen. Mut, die sich den Opfern von Rassismus und Benachtei- Herausforderung einer Antidiskriminierungsarbeit ligungen. Lediglich die Opferperspektive stellt die anzunehmen, die sich nicht den TäterInnen, son- Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt, unter- dern den Opfern widmet, die oft wenig spektakulär stützt sowohl bei der individuellen Verarbeitung daher kommt, die langdauernd und schwierig ist. als auch der rechtlichen Auseinandersetzung mit Mut aber auch, aus den Erfahrungen der Branden- einem rassistischen Vorfall. Aber auch hier ging burger Anlaufstellen zu lernen. es lange Zeit nicht um die Opfer jener alltäglichen Ich danke allen, die sich dieser Aufgabe aktiv wid- Diskriminierung, die ohne direkte körperliche Ge- men. walt vorkommt. Bisher fehlt eine Auseinandersetzung mit Dis- kriminierungen im alltäglichen Leben, mit Be- nachteiligungen z.B. im Bereich Arbeit, Wohnen, Bildung oder gesellschaftlicher Teilhabe. Nicht Karin Weiss, Integrationsbeauftragte des Landes immer sind solche Benachteiligungserfahrungen Brandenburg
3 KONSEQUENTE WEITERENTWICKLUNG Antidiskriminierungsarbeit und Gewaltprävention S eit über zehn Jahren beraten MitarbeiterInnen des Vereins Opferperspektive Betroffene von rechter Gewalt in Brandenburg. Versetzten wir uns rechter Gewalt Betroffenen professionell und schnell Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen und gleichzeitig den TäterInnen deutlich zu zurück an das Ende der 1990er Jahre: Der Druck machen, dass sie mit ihren Angriffen zivilgesell- der Straße, die alltägliche Gewalt, die Neonazis schaftlich anerkannte Grenzen überschritten ha- ausübten, war immens. Es verging kein Wochen- ben. Für die gesellschaftliche Bedeutung rechter ende, an dem nicht ein linker Jugendklub ange- Gewalt ist entscheidend, dass die Gruppen, ge- griffen oder MigrantInnen zusammengeschlagen gen die sich diese Straftaten richten, mehrheitlich wurde. In einigen Städten und Landesteilen war auch von institutioneller Diskriminierung betroffen die kulturelle Dominanz der rechten Cliquen und sind. Gleichzeitig gelten diese Gruppen in groß- Kameradschaften so stark, dass eine Verdrän- en Teilen der Bevölkerung – darunter auch Men- gung linker und liberaler Milieus zu beobachten schen, die Gewalttaten strikt ablehnen – als „nicht war. Vielfach war von rechtsextremer „Hegemonie zugehörig“. der kulturellen Räume“, teilweise von „national Rechte Gewalt knüpft an diese strukturelle Vo- befreiten Zonen“ die Rede. raussetzungen und Einstellungsmuster an. Daher Heute – über zehn Jahre später – kann man sich ist sie nicht als isolierte Erscheinung zu begrei- darüber streiten, ob die eine oder andere Beschrei- fen, sondern muss vielmehr als Radikalisierung bung von damals über das Ziel hinaus geschos- von Einstellungen verstanden werden, die „in der sen war. Allerdings: Es bedurfte einer Vielzahl von Mitte der Gesellschaft“ verankert sind und dort – Anstrengungen und Aktivitäten auf verschiedenen in anderen Begriffen – als akzeptable Auffas- gesellschaftlichen Ebenen, um den Rechten das sungen im Rahmen einer demokratischen Öffent- schon gewonnene Terrain streitig zu machen und lichkeit gelten. Dies betrifft Rassismus ebenso wie gesellschaftliche Räume zurückzuerobern, die als Sozialdarwinismus, Antisemitismus oder Homo- fast schon verloren gegolten hatten. phobie und Behindertenfeindlichkeit. Die Unter- In den ostdeutschen Bundesländern war der Wie- stützung für von Diskriminierung betroffener Men- deraufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen eine schen ist daher ein Bestandteil der Abwehr von wesentliche Facette dieser Anstrengungen. Die und der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt. Sichtweise, dass eine professionelle Hilfeleitung Nach wie vor ist der Kampf gegen die rech- für Opfer von rechter Gewalt ein notwendiger ten Schläger auf den Straßen nicht gewonnen. Baustein dieser Aktivitäten darstellt, setzte sich in Nach wie vor besteht in Brandenburg die Gefahr Brandenburg erst nach langwierigen und schwie- wegen der Hautfarbe, wegen des Aussehens rigen Auseinandersetzungen durch. Inzwischen ist oder der zugeschriebenen ethnischen Her- das Angebot des Vereins anerkannt und die Op- kunft angegriffen zu werden. Und nicht überall ferperspektive gehört zum festen Bestandteil des und auch nicht in jedem Fall gelingt es der Zivilge- Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“. sellschaft, auf Angriffe gegen Minderheiten adäquat Der Verein Opferperspektive steht dafür, den von zu reagieren. Allerdings: In einigen Landesteilen
4 hat eine gewisse Entspannung der Lage eingesetzt. Die Selbstverständlichkeit, mit denen die Rechten Dominique John, Geschäftsführer der Opferper- glauben, zuschlagen zu können, scheint hier ins spektive e. V. Wanken geraten zu sein. Dies gibt dem Verein Opferperspektive die Mög- lichkeit einen Schritt weiterzugehen und den ur- sprünglichen Ansatz zu ergänzen: Nach Jahren der nahezu atemlosen Arbeit mit Opfern rechter Gewalt berät der Verein seit September 2009 in einem zusätzlichen Projekt auch Menschen, die zwar keine Gewalt erfahren haben, aber durch Mitmenschen, Organisationen oder den Staat auf- grund ihrer Herkunft benachteiligt werden und von rassistischer Diskriminierung betroffen sind. In den neuen Bereich der Antidiskriminierungs- beratung mit seinen zwei Mitarbeiterinnen fließen nicht nur die jahrelangen Erfahrungen mit Gewal- topfern ein. Es gibt auch eine große Schnittmenge zum bisherigen Arbeitsschwerpunkt des Vereins. Viele derer, die einen Angriff aus rassistischen Gründen erleben mussten, sind ebenfalls von anderen Formen der Diskriminierung betroffen. Konnte die Opferperspektive früher in solchen Fällen wenig tun, so gibt es heute die Möglichkeit einen Schritt weiterzugehen und gemeinsam zu überlegen, wie sich die Betroffenen auch gegen rassistische Diskriminierung zur Wehr setzten können. Der Verein wird diesen neuen Beratungsschwer- punkt mittelfristig ausbauen und dabei neue Netz- werke und Kooperationen eingehen. Klar ist: In- dem die Opferperspektive das Neue tun, wird sie das Alte nicht lassen: Opfer rechter Gewalt werden im Verein Opferperspektive weiterhin einen zuver- lässigen und professionellen Ansprechpartner in Brandenburg finden. Der Aufbau der zusätzlichen Beratungskapazitäten für Betroffene von rassistischer Diskriminierung wird zurzeit ermöglicht durch Mittel der Integrati- onsbeauftragten des Landes, der Stiftung :do aus Hamburg sowie aus Spenden des Vereins. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten für das Vertrauen gegenüber der Arbeit des Ver- eins bedanken.
5 ES IST NOCH MEHR MÖGLICH Antidiskriminierungsarbeit in Brandenburg D as Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes ist in Art. 12 der Brandenburger Landesver- fassung aufgenommen und erweitert worden. Da- Aufgabe, Prävention zu leisten und interkulturelle Öffnungsprozesse anzustoßen, hatte die Stelle die Aufgabe zu intervenieren, Betroffene dabei zu mit besteht ein Diskriminierungsverbot der Träger begleiten, sich zu wehren, bzw. sie zu ermutigen, staatlicher Gewalt gegenüber dem Individuum. Ein sich zu wehren, wenn ihnen Unrecht passiert war. eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz, das Die Präventionsarbeit splittete sich im Laufe der weitere rechtliche Möglichkeiten zur Verbesserung Zeit weiter auf. Neben der Bildungsarbeit rückte des Schutzes bieten könnte, besteht hingegen immer stärker der Abbau diskriminierender Struk- nicht. Entsprechende Diskussionen fanden Ende turen in den Fokus. der 1990er Jahre in der Landesregierung keine Wegen bestehender Forschungslücken wurden erforderliche Mehrheit. Allerdings wurde 1999 auch eigene Untersuchungen durchgeführt. Eine die Antidiskriminierungsstelle Brandenburg einge- explorative Studie der Antidiskriminierungsstelle richtet. Mit diesem Schritt wurde der Existenz von Brandenburg aus dem Jahr 2000 hatte beispiels- Diskriminierung und dem daraus resultierenden weise ergeben, dass von 15 untersuchten Dis- Handlungsbedarf Rechnung getragen. kotheken ein Drittel eine diskriminierende Einlas- Die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle spraxis betreibt. Daraufhin wurden Disco-Testings Brandenburg erfolgte somit bereits ein Jahr vor zusammen mit ARD und ORF/RBB vorgenommen Inkrafttreten der EG-Richtlinien, die auf Bun- und in einem Bericht ausgestrahlt. desebene zur Entwicklung eines Gesetzes zum Von 2003 bis 2005 sollte das im Rahmen des Schutz vor Diskriminierung verpflichteten. Die Bundesprogramms CIVITAS geförderte Koope- spezialisierte Stelle im Büro der damaligen Aus- rationsprojekt »Clou – Chancengleichheit lokal länderbeauftragten, inzwischen Büro der Integrati- umsetzen. Antidiskriminierungsverbund Branden- onsbeauftragten des Landes Brandenburg im Mi- burg« der Antidiskriminierungsstelle Brandenburg nisterium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie und der RAA Brandenburg die Umsetzung des (MASF) wurde 2010 in Landesstelle für Chancen- anstehenden Antidiskriminierungsgesetzes des gleichheit – Brandenburg umbenannt. Bundes begleiten. Das Kooperationsprojekt nahm sich unter Einbeziehung aller relevanter staatli- VON DER ANTIDISKRIMINIERUNGSSTELLE cher und nicht-staatlicher Einrichtungen aus der BRANDENBURG ZUR LANDESSTELLE FÜR Migrations- und Integrationsarbeit und politischen CHANCENGLEICHHEIT Bildung vor, regionale Strukturen zu schaffen und verschiedene Zielgruppen für das Thema zu sensi- Die Antidiskriminierungsstelle finanzierte sich im bilisieren. Der Verbund hatte sich auf den Bereich ersten Jahrzehnt über Projektmittel. Ihre Arbeit »ethnische Diskriminierung« fokussiert. folgte der Erkenntnis, dass Integrationsprozesse Am Ende von »Clou« stand fest, dass das Pro- nicht erfolgreich gestaltet werden können, wenn jekt zu früh kam. Da noch kein Bundesgesetz zur Diskriminierung nicht abgebaut wird. Neben der Umsetzung der EG-Richtlinie 2000/43 zur Anwen-
6 dung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verab- Um auch die Prozesse auf Landesebene weiter zu schiedet war, fehlte die gesetzliche Grundlage für entwickeln, wurde das Projekt »Chancen (gleich) eine Sensibilisierung und Ausbildung von Hand- heit prüfen – Diversity Mainstreaming für Verwal- lungskompetenz. Die beteiligten Akteure bekamen tungen« in Trägerschaft der Antidiskriminierungs- jedoch weiterhin Fortbildungsangebote gestellt, stelle des Bundes initiiert und in Kooperation mit die in unterschiedlicher Intensität genutzt wurden. ihr entwickelt, das seit Ende 2010 läuft. Im Zentrum der Xenos-Projekte »Zivile Brücken« (2004-2008) und »Vorteil Vielfalt – Zukunft für STAATLICHE ODER ZIVILGESELLSCHAFT- Brandenburg« (2008-2011) standen interkul- LICHE AUFGABE? turelle Öffnungsprozesse bei der Polizei, im Ab- schiebegewahrsam, in Bildungseinrichtungen, in Bundesweit wurde ab den 1990er Jahren die deutsch-polnischen Begegnungen der Zivilgesell- Diskussion geführt, wo eine Anlaufstelle angesie- schaft sowie bei öffentlichen wie privaten Arbeit- delt sein muss, um von Betroffenen in Anspruch geberInnen. genommen zu werden. Sollte sie in staatlicher Entsprechend der Ansiedlung bei der Integrations Trägerschaft stehen oder besser bei einem freien beauftragten lag der Fokus der Arbeit darauf, ras- Träger angesiedelt sein. Die Diskussion um die sistische Diskriminierung und Diskriminierung Frage »staatlich« – »nicht-staatlich« wurde oft aufgrund der Religion abzubauen. Anfragen von als Entweder-oder geführt. In Brandenburg gab es Betroffenen, die wegen anderer Merkmale diskri- eine andere Entwicklung. Angesichts der Existenz miniert wurden, konnten innerhalb des Ministeri- einer staatlichen Stelle ohne gleichzeitige Existenz ums an die zuständigen Fachreferate weitergeleitet spezialisierter Projekte in der Zivilgesellschaft galt werden. Publikationen, die über das Allgemeine es vorrangig, Ansätze in der Zivilgesellschaft und Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) informierten auf kommunaler Ebene zu unterstützen. und dazu ermunterten, sich nach erlittenem Un- Anfänglich vor allem in der Form von Angeboten recht zu wehren, wurden zielgruppenspezifisch zur Fortbildung und zum fachlichen Austausch sowie auch mit horizontaler Perspektive erstellt. liefen seit 2009 Gespräche mit der RAA und dem Früh fand der horizontale Gedanke, d. h. der An- Verein Opferperspektive, eigene Projekte der Bera- satz zielgruppenübergreifend vor Diskriminierung tungsarbeit bei rassistischer oder ethnischer Dis- zu schützen, Eingang in Bildungs- und Fachveran- kriminierung aufzubauen. Durch die Möglichkeit staltungen, da eine Auseinandersetzung mit Dis- Personalstellenanteile dafür aus dem Haushalt der kriminierung nur gelingen kann, wenn sie nicht nur Integrationsbeauftragten zu finanzieren, konnten zielgruppenspezifisch gedacht wird. Im Rahmen beide Projekte mit unterschiedlichen Schwer- des Europäischen Jahres der Chancengleichheit punkten und Ansätzen erfolgreich anlaufen. für alle 2007 konzipierte die Antidiskriminierungs- Andernorts müssen staatliche und nicht-staatli- stelle Brandenburg die »Regionalkonferenz Ost« che Stellen um Fördermöglichkeiten in Konkurrenz für fünf Bundesländer und setzte diese Arbeit mit zueinander treten. Durch die Situation in Branden- einem »Zukunftslabor« im Rahmen des Europä- burg ergibt sich die Chance, Aufgabenteilung und ischen Jahres des interkulturellen Dialogs 2008 Zuständigkeiten frei von eingefahrenen Mustern fort. Aus der Zusammenarbeit mit Organisationen miteinander zu klären. Gleichzeitig können unter der Zivilgesellschaft und kommunalen Beauftrag- Berücksichtigung der Erfahrungen in anderen ten ergaben sich ausbaufähige Beziehungen zur Ländern wichtige Fragen für die Weiterentwicklung Stärkung einer Antidiskriminierungskultur und einer der Antidiskriminierungsarbeit behandelt werden. Kultur der Anerkennung von Unterschiedlichkeit. Dazu gehört u.a. die Frage, in welchem Umfang
7 durch wen Intervention und Prävention geleistet Rolle kann in einem starken Netzwerk von einem werden sollen, oder abzuwägen, ob ein zielgrup- Partner übernommen werden, in Ländern mit ei- penspezifischer oder der horizontale Ansatz mehr ner zentralen Einrichtung aber auch von dieser. erreichen kann sowie ob Einrichtungen mit breitem Die Möglichkeiten der rechtlichen Intervention Aufgabengebiet oder spezialisierte effektiver und waren für die seit den 1990er Jahren existierend wie Qualitätsstandards festzulegen und einzufor- spezialisierten Anlaufstellen gegen Diskriminie- dern sind. Letztendlich stellt sich die Frage, ob rung begrenzt, oft beschränkt auf Artikel 3 (3) Antidiskriminierungsarbeit sich ausschließlich auf Grundgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz das AGG – mit seinen Lücken, definierten Diskri- und das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Suche nach minierungsgründen und Umsetzungsschwierig- anderen Interventionsmöglichkeiten orientierte keiten – beziehen soll, oder ein umfassenderer sich deshalb oft an moralischen Appellen. Mit Ansatz gewählt werden muss, um gesetzte Ziele der Einführung des AGG 2006 stehen heute nicht zu erreichen. nur mehr juristische Möglichkeiten zur Verfügung, sondern auch mehr Möglichkeiten Benachteili- HERAUSFORDERUNGEN – NICHT NUR IN gungen und Diskriminierungen sowie die Existenz BRANDENBURG von Rassismus zu thematisieren. Bislang fehlen aber klare Qualitätsstandards für alle Bereich einer Alle Aufgabengebiete sind in der Praxis eng ver- erfolgreichen Antidiskriminierungsarbeit. zahnt. Aus der Beratung bei individuellen Be- Zwar wurden für den Beratungsbereich erste Qua- schwerden lassen sich Muster analysieren, die litätskriterien entwickelt, etwa durch die Veröffent- Handlungsbedarf aufzeigen, zu Anregungen für lichung einer Handreichung des Antidiskriminie- die Bildungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit füh- rungsverbandes Deutschland (advd), in dem sich ren oder Impulse für Veränderungsprozesse in seit Mai 2007 langjährig tätige Organisationen zu- den Strukturen geben. Dabei ist Beratungsarbeit sammengeschlossen haben. Für den präventiven emotional ungleich belastender und bindet viele Bereich fehlt indes ein umfassendes Konzept, Kapazitäten. Das Angebot ist bislang unzurei- obwohl die Notwendigkeit von Öffentlichkeits- chend, aber Ansätze, dieses im Ehrenamt oder und Sensibilisierungsarbeit nicht nur bei Fachleu- in unbezahlten Überstunden aufzustocken, wie ten unumstritten ist, sondern diese auch in den es bundesweit in einigen Einrichtungen passiert, menschenrechtlichen Dokumenten als geeignete ist kein befriedigender Zustand. Bei dem gesell- Maßnahmen aufgelistet werden. Aber hier gibt es schaftlichen Bedarf an guter Beratung ist eine noch keine Qualitätskriterien, die die Anbietenden Einrichtung schnell am Rande des Machbaren auf dem Bildungsmarkt miteinander teilen. angelangt. Wenn sie neben der Beratung noch weitere Aufgaben für sich definiert, muss sie sich RESSOURCEN KLÄREN UND NUTZEN möglicherweise gegen die Annahme weiterer An- fragen entscheiden. Brandenburg kann als Flächenland nicht sicher- Gleichzeitig ist es für die präventive Arbeit nötig, stellen, dass jeder Mensch wohnortnah eine dass sich die Akteure vom Einzelfall lösen und spezialisierte Einrichtung vorfindet. Deshalb hin zu strukturellen Lösungen kommen. Reichen bietet sich die Lösung an, MultiplikatorInnen für die Kapazitäten nicht aus, bleibt Letzteres leicht die Existenz von Diskriminierung in ihren unter- auf der Strecke. Weitergehende Empfehlungen zu schiedlichen Formen sowie für die Bedeutung des entwickeln und sie politisch einzufordern, stellt Sich-Wehren-Könnens zu sensibilisieren. Auf Ba- jedoch einen eigenen Arbeitsbereich dar. Diese sis einer entsprechenden Verweisungskompetenz
8 zu bekommen, muss für die realistische Wei- terentwicklung der Arbeit geklärt werden, wie auf kommunaler und Landesebene bestehende Ressourcen – etwa durch anderen Aufgabenzu- schnitt – genutzt werden können. Es zeigt sich, dass Förderprogramme, die etwa unter dem As- pekt »Sozialer Zusammenhalt« erlauben würden, Beratungsstellen institutionell zu fördern, nicht dafür genutzt werden. Hier ist noch mehr Infor- mation der politischen EntscheidungsträgerInnen werden dann spezialisierte Einrichtungen benö- nötig, inwiefern Fragen von Diskriminierung ver- tigt, die juristische, pädagogische wie politische woben sind mit kommunalen Herausforderungen Wege kennen. wie Verringerung der Landflucht, Gewinnung von Nur wenige Länder haben wie Brandenburg eine Fachkräften, Zugang zum ersten Arbeitsmarkt, zentrale Einrichtung für Antidiskriminierungsar- Willkommens- und Anerkennungskultur. beit, in keinem Land ist dies bislang über einen ge-Ein Landesprogramm, das anregt bestehende setzlichen Auftrag geregelt. Ohne entsprechende Möglichkeiten auszuschöpfen und Lücken zu Ausstattung können auch die kommunalen Struk- schließen, könnte hier hilfreich sein. Die Lan- turen nur unzureichend unterstützt werden. In desstelle für Chancengleichheit – Brandenburg Brandenburg gibt es auf kommunaler Ebene keine hat sich dies als Schwerpunkt der nächsten Jahre ausschließlich auf Diskriminierung spezialisierten vorgenommen. staatlichen Einrichtungen. Die kommunalen Be- auftragten für Gleichstellung, Migration/Integrati- Anke Zwink ist Leiterin der Landesstelle für Chan- on und die Belange behinderter Menschen kön- cengleichheit - Brandenburg im Büro der Integra- nen aufgrund von Arbeitsüberlastung nicht noch tionsbeauftragten des Landes Brandenburg weitere Aufgaben zu ihren traditionellen Aufgaben übernehmen. Beratungsarbeit bei Diskriminierung mit ihrer zeitintensiven Recherche kann hier nur in vereinzelten Fällen geleistet werden. So wünschenswert es wäre, ein Bundespro- gramm zur institutionellen Förderung angeboten
9 BERATUNG, INTERVENTION, EMPOWERMENT, DOKUMENTATION Die Arbeit der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg D er Verein Opferperspektive unterstützt seit zwölf Jahren Opfer von rechter Gewalt im Land Brandenburg. In der Beratung von Opfern Beraterin bietet die Opferperspektive seit August 2010 eine Antidiskriminierungsberatung mit zwei Mitarbeiterinnen an. rassistischer Gewalt zeigt sich immer wieder, dass der Angriff nur eine Spitze des Eisberges AUSGANGSLAGE UND ZIELE darstellt. Oft sind der Gewalttat Diskriminierungs- DER ANTIDISKRIMINIERUNGSBERATUNG erfahrungen vorausgegangen. Bis vor Kurzem konnte der Verein hier nur wenig helfen. 2009 In Brandenburg leben über das ganze Land ver- gab die Opferperspektive daher den Startschuss streut, verglichen mit anderen Bundesländern für einen neuen Schwerpunkt, um dieser Situation wenige Flüchtlinge, MigrantInnen und Menschen Abhilfe zu leisten. mit Migrationshintergrund. Es existieren kaum In einer zehnmonatigen Vorbereitungsphase wur- eigene Orte, Organisationen oder Communities. den entsprechende Konzepte erstellt und Inhalte Was diese Menschen mit ihren unterschiedlichen erarbeitet, Kooperations- und Fachgespräche Herkünften und Geschichten eint: Viele erfahren in sowie Gespräche mit der Zielgruppe geführt. Im ihrem Alltag Rassismus und Diskriminierung. Von September 2009 startete dann die aufsuchen- ihren Rechten und ihren Möglichkeiten, sich zur de Antidiskriminierungsberatung für Betroffene Wehr zu setzen, wissen die wenigsten. Beratungs von rassistischer Diskriminierung im Land Bran- angebote sind rar gesät. denburg. Seitdem werden in kurzfristigen Be- Wir bieten Betroffenen Beratung, Intervention, Ver- ratungsverhältnissen oder in langfristigen, sich netzung und die Dokumentation von Diskriminie- über mehrere Monate erstreckenden Unterstüt- rungsfällen. Im Zentrum steht dabei die Stärkung zungsprozessen Betroffene begleitet. Dabei geht der Betroffenen. Empowerment bedeutet in un- es um rassistische Diskriminierungen und um serem Beratungsansatz, Betroffene in ihrer Hand- mehrdimensionale Diskriminierungen, bei denen lungskompetenz zu stärken. Wir vermitteln Wis- neben Rassismus noch weitere Dimensionen von sen über die eigenen Rechte und Möglichkeiten Ungleichbehandlung eine Rolle spielen. Bearbeitet und erarbeiten gemeinsam mit den Betroffenen werden Diskriminierungsfälle zum Beispiel in den verschiedene, individuell unterschiedliche Wege, Bereichen Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt, Schu- sich zur Wehr zu setzen und mit Erfahrungen von le/Ausbildung, Sport, Gesundheitsversorgung, Alltagsrassismus und von rassistischer Diskrimi- Güter/Dienstleitungen, staatliche Institutionen nierung umzugehen. und Ämter/Behörden, aber auch vereinzelte Fälle von Alltagsrassismus und rassistischen Beleidi- WAS VERSTEHEN WIR UNTER gungen. RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG? Der Beratungsbedarf ist deutlich höher. Es können jedoch nur so viele Fälle bearbeitet werden, wie Bis sie das erste Mal mit Rassismus konfrontiert es die Kapazitäten zulassen: Zu Beginn mit einer sind, fühlen sich die meisten Betroffenen der Ge-
10 sellschaft zugehörig. Das ändert sich schlagartig (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft, ihrer Na- in dem Moment, in dem ihnen gesellschaftliche tionalität, ihrer Sprache, ihres Aufenthaltsstatus, Zugehörigkeit und Anerkennung versagt werden. ihrer Hautfarbe oder äußeren Erscheinung, ihres Egal wie sie sich der Gesellschaft zuordnen, es Geschlechts, ihrer Religion und Weltanschauung, bestimmen andere, ob und wie sie zugehörig sein ihres sozialen Status, ihres Familienstandes, ih- dürfen und anerkannt werden. Sie werden mar- rer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen kiert und positioniert. Diese Fremdbestimmung Identität. Auch können Menschen von Diskrimi- wird zum Dreh- und Angelpunkt, der die persön- nierung betroffen sein, weil sich mehrere dieser liche Entwicklung und gesellschaftliche Chancen Merkmale in ein und derselben Person verbinden beeinflusst. Der Umgang mit Rassismus ist für (mehrdimensionale Diskriminierung).“(2) die Opfer schwierig: Er begegnet ihnen in allen Diese Definition und auch unser Arbeitsansatz ge- Lebensbereichen. Gleichzeitig wird ihnen diese hen bewusst über die juristischen Bestimmungen Erfahrung all zu oft abgesprochen. der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien und des Rassismus ist eine soziale Ausschließungspraxis, deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsge- die in jeweiligen spezifischen historischen Kon- setzes (AGG) hinaus. Diskriminierung ist ein ge- texten und Gesellschaftsformen unterschiedlich sellschaftliches Phänomen, das auf individuellen, in Erscheinung tritt.(1) Rassismus hierarchisiert strukturellen und institutionellen Ebenen wirksam Menschen in unterschiedliche Gruppen, denen wird, Ebenen, zwischen denen ein Wechselver- Eigenschaften und Merkmale zugeschrieben wer- hältnis besteht. den. Er konstruiert ein „Wir“ und ein „Die Ande- ren“, wertet eine Gruppe auf und eine andere ab. DER BERATUNGSANSATZ Die Abwertung und die Diskriminierung von Men- schen aufgrund konstruierter gruppenspezifischer In der Beratung stehen die Perspektiven und Merkmale setzt immer die gesellschaftliche Macht Bedürfnisse unserer KlientInnen im Mittelpunkt. einer Mehrheit über eine Minderheit bzw. über eine Die Betroffenen werden ernst genommen und marginalsierte Gruppe voraus. Diskriminierung parteilich in ihrer Auseinandersetzung und ihrem liegt dann vor, wenn Menschen, die einer margi- Umgang mit Alltagsrassismus und rassistischer nalisierten Gruppe angehören, weniger Zugänge Diskriminierung gestärkt und unterstützt. Die Op- zu Ressourcen und weniger Chancen auf Teilhabe ferperspektive bietet in diesem Rahmen eine auf- in einer Gesellschaft erhalten. suchende Beratung im ganzen Land Brandenburg Mit der Definition des Antidiskriminierungsver- an. Sie ist vertraulich, kostenlos, barrierefrei und bandes Deutschland (advd) beschreiben wir Dis- mehrsprachig. kriminierung als „Unterscheidung, Ausschluss, Wir unterstützen Betroffene in der Entwicklung von Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel Strategien, die darauf zielen, sich gegen Diskrimi- oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichbe- nierung zur Wehr zu setzen. Über die Beratung rechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben hinaus beinhaltet dies auch die für die Betroffenen von Menschenrechten und Grundfreiheiten im parteiliche Intervention in die Kontexte, in denen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kultu- Diskriminierung stattfindet. Eine solche parteiliche rellen oder jedem sonstigen Bereich des öffent- Intervention setzt eine von staatlichen Stellen un- lichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird. abhängige Organisation voraus. Diskriminierung trifft Menschen aufgrund ihrer Die Beratung ist auf die Zielgruppe der Betroffenen 1) Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus. Hamburg 2000. S.11. 2) Vgl. Eckpunktepapier des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd): Standards für eine qualifizierte Antidiskriminie- rungsberatung. Berlin 2010. S.5.
11 von rassistischer Diskriminierung spezialisiert. Fall. Mit den Geschädigten werden Bewältigungs-, Gleichwohl hat sie sich einer merkmals- und ziel- Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten erör- gruppenübergreifenden Perspektive verschrieben. tert. Wenn nötig, vermitteln wir zu spezialisierten Für die Zukunft setzen wir auf ein zu entwickeln- RechtsanwältInnen, PsychologInnen und weiteren des Antidiskriminierungsnetzwerk für das Land KooperationspartnerInnen und ziehen weitere Ex- Brandenburg, das den horizontalen Ansatz mit pertInnen und UnterstützerInnen hinzu. einem Netz miteinander verzahnt arbeitender Be- Intervention: Selten bleibt es bei Gesprächen über ratungsstellen zu allen Diskriminierungsmerkma- das Erleben und die Bewältigung von Rassismu- len verwirklicht. serfahrungen. In den meisten Fällen erhoffen sich Die individuelle Auseinandersetzung der Betrof- Betroffene Unterstützung in Form einer Interven- fenen ergänzen wir als Antidiskriminierungsbera- tion, wollen konkret gegen eine diskriminierende tung um eine gesamtgesellschaftliche Dimension. Person oder Stelle vorgehen. Über die Einzelfallberatung und -unterstützung Die Wahl der Mittel und Wege der Auseinander- hinaus, gehört es zu den Aufgaben der Antidis- setzung hängen vom Ziel der Betroffenen ab. Sie kriminierungsberatung, gesellschaftliche Macht- entscheiden, was sie erreichen möchten. Soll verhältnisse und Muster von Diskriminierung die diskriminierende Person/Stelle aufhören, zu zu identifizieren, zu analysieren und sichtbar zu diskriminieren, geht es darum Gleichbehandlung machen. Durch die öffentliche Thematisierung herzustellen? Manche Betroffenen möchten, dass von rassistischer Diskriminierung wird zur gesell- Einsicht gezeigt und sich in Zukunft bewusster mit schaftlichen Aufklärung und Auseinandersetzung der Benachteiligung auseinandergesetzt wird, an- mit Rassismus und Diskriminierung beigetragen. dere bestehen auf eine straf- bzw. zivilrechtliche Ahndung. Manchmal geht es auch um eine Ent- DER BERATUNGS- UND schuldigung oder darum, die Öffentlichkeit über UNTERSTÜTZUNGSPROZESS die Benachteiligung zu informieren oder sie zu dokumentieren. Es gibt aber auch Fälle, in denen Unser Beratungsangebot besteht aus den vier die Betroffenen einfach nur noch Weg finden wol- Elementen Beratung, Intervention, Empowerment/ len, der diskriminierenden Situation zu entfliehen. Vernetzung und Dokumentation. Um das gewünschte Ziel zu erreichen, sind ver- Beratung: Der Anlass für Menschen, unsere Bera- schiedene Schritte denkbar. Je nach Situation tung zu suchen, ist meist nicht die erste Erfahrung handelt es sich um das Recherchieren und Sam- von Diskriminierung, sondern die Eskalation einer meln von Informationen, Indizien oder Beweisen Situation bzw. die eine Rassismuserfahrung zu bzw. die Suche nach ZeugInnen oder die konkrete viel, nach der sich Betroffene entscheiden, aktiv Untersuchung einer Situation durch z. B. Testings, zu werden. Häufig aktualisieren sich mit dem Er- mit dem Ziel, diskriminierende Praxen eines Un- lebten eine Reihe früherer Erfahrungen. ternehmen oder einer Institution zu beweisen. Der Beratungsprozess beginnt mit einem Erstge- Möglich ist auch die Kontaktaufnahme mit dem spräch, in dem das Erlebte und der individuelle Ziel von Vermittlungsgesprächen/Verhandlungen. Umgang damit systematisch besprochen und Gegebenenfalls geht es darum, eine Beschwerde analysiert werden. Es werden Indizien und An- an die diskriminierende Person/Stelle zu richten haltspunkte für eine Diskriminierung diskutiert oder weitere Verantwortliche, wie Betriebsräte, sowie Erwartungen und Ziele des Beratungspro- Verbände, Ämter, Ministerien oder politische Ak- zesses besprochen. Dem Erstgespräch folgen teure hinzuzuziehen. die weitere Analyse und genaue Recherchen zum Eine weitere Option ist der Gang zu Gericht. Juris
12 tische Grundlagen sind dabei unter anderen das werden. Dies trägt zur Qualitätssicherung und AGG, der Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3 Weiterentwicklung der Beratung bei. Durch die Absatz 3 des Grundgesetzes und in Artikel 12 Ab- Erfassung können aber auch gesellschaftliche satz 2 der Brandenburger Landesverfassung. Ne- Muster von Diskriminierung identifiziert, analy- ben der Öffentlichkeitsarbeit zu einem konkreten siert und in die Öffentlichkeit transportiert werden. Diskriminierungsfall oder seiner Skandalisierung Gleichzeitig bedeutet für viele Betroffene die an- ist darüber hinaus in Betracht zu ziehen, gesell- onymisierte Dokumentation vor allem eine Aner- schaftliche UnterstützerInnen zu mobilisieren und kennung der erfahrenen Ungleichbehandlung. Solidarisierungsprozesse zu aktivieren oder Be- troffeneninitiativen zu initiieren. Die verschiedenen Möglichkeiten werden gemein- Nadja Hitzel-Abdelhamid ist Projektleiterin der sam diskutiert, Vor- und Nachteile abgewogen. Antidiskriminierungsberatung Brandenburg/Op- Es geht darum, auf Chancen und Risiken hinzu- ferperspektive e. V., der aufsuchenden Beratung weisen und zu klären, welchen Weg Betroffene für Betroffene von rassistischer Diskriminierung. tatsächlich einschlagen wollen und können. Sich gegen Diskriminierung zu wehren, kostet Energie, Zeit und Kraft. Es bedeutet auch, sich mit dem Erlebten länger beschäftigen zu müssen. Was unternommen wird, entscheiden deshalb die Be- troffenen. Empowerment und Vernetzung: Wie mit Rassis- mus- und Diskriminierungserfahrungen umge- gangen werden kann, ist immer wieder Thema im Beratungsprozess. Helfen kann, sich damit in Gesprächsrunden, Workshops und Trainings aus- einanderzusetzen oder sich als Betroffene zu ver- netzen. Empowerment bedeutet Selbstbefähigung und Selbstermächtigung und meint die Aktivie- rung eigener Potenziale. Im geschützten Rahmen können Rassismus- und Diskriminierungserfah- rungen ausgesprochen und Umgangsstrategien ausgetauscht, reflektiert und erweitert werden. Interessierte werden von uns darin bestärkt, ihre Interessen eigenmächtig und selbstbestimmt zu vertreten. Dokumentation: Stimmen die Betroffenen zu, wer- den in anonymisierter Form die Fälle von Diskrimi- nierung dokumentiert. Durch ihre systematische Erfassung und Auswertung sollen der Fallverlauf und die Ergebnisse unseres Beratungs- und Un- terstützungsprozesses nachvollziehbar gemacht
14 DISKRIMINIERUNG ... bei der Arbeit: »Wir wurden jeden Tag schikaniert und beleidigt« D as Essen ist lecker, das Restaurant läuft gut. Trotzdem ist in dem Lokal am Rande von Potsdam ganz und gar nicht alles in Ordnung. ihr Aufenthaltsstatus nicht mehr gesichert ist. Das erhöht den Druck zusätzlich. Erol und Diab hoffen nun, durch ein Gericht Recht Fünf Leute arbeiten in der Küche, vier weitere im zu bekommen. Die Chancen dafür stehen gar nicht Service. „Das Arbeitsklima war mehr als misera- schlecht, wie uns Frauke Steuber erklärt. Sie ist bel“, berichtet Diab. Er hat bis vor Kurzem hier Rechtsanwältin in Berlin, war bisher unter ande- gearbeitet, zunächst im Service, später in der Kü- rem im Netzwerk Berliner Anwältinnen und Anwäl- che. „Das war kein Zufall“, meint er und erzählt te gegen Diskriminierung aktiv, das unter anderem uns, dass diejenigen, die sich über die Situation Fälle wie den von Erol und Diab bearbeitet. „Im am Arbeitsplatz beschwerten, grundsätzlich in die Arbeitsrecht“, so die Anwältin, „kann man errei- Küche verbannt wurden. chen, dass die erlittene Diskriminierung in Form „Damit aber nicht genug“, ergänzt sein Kollege eines Schmerzensgeldes entschädigt wird.“ Erol. „Wir wurden massiv unter Druck gesetzt, Darum geht es Erol und Diab aber gar nicht. Ihnen wenn wir uns beschweren wollten“, erinnert er ist wichtig, dass Betreiber und Geschäftsführerin sich. Der Druck kam jedoch nicht von den Kolle- für die Diskriminierungen bestraft werden. Selbst gen, sondern von dem Betreiber des Restaurants beim Gang vor ein Gericht ist eine Wiedereinstel- sowie der Geschäftsführerin. Zusätzlich wurde mit lung unwahrscheinlich. „Das will ich aber auch gar Kündigung gedroht. „Es war wirklich schlimm. Die nicht“, meint Diab, und auch Erol kann sich nicht fünf Leute aus der Belegschaft, die keine Deut- vorstellen, noch einmal für seinen ehemaligen schen waren, wurden jeden Tag schikaniert und Arbeitgeber tätig zu werden. „Aber sich zu weh- beleidigt“, bestätigt Diab. ren, ist wichtig“, erzählt er uns. „Ich habe mich Anders als die Kollegen nehmen Diab und Erol die vor Kurzem mit Adam und Nazim getroffen. Im Diskriminierungen nicht schweigend hin, sondern Moment überwiegt die Angst vor Arbeitslosigkeit setzen sich zur Wehr. „Dann ging es richtig los“, und den Konsequenzen für den Aufenthalt. Aber berichtet Diab. „Uns beiden wurde gekündigt, die wenn Adam, Nazim und Krystian merken, dass anderen wurden massiv unter Druck gesetzt und es was bringt, Diskriminierung nicht stillschwei- eingeschüchtert.“ Erol erzählt uns von seinen gend zu erdulden, ist das bestimmt ein wichtiges Kollegen: „Das sind echt nette Jungs – Krystian, Signal für sie.“ Auch Diab hofft, dass die drei sich Adam und Nazim. Aber von denen sagt keiner dann endlich gegen die Diskriminierung wehren. was.“ Diab ist immer noch außer sich: „Die trauen „Schließlich hat sich an den Zuständen im Restau- sich nicht! Die lassen das alles über sich ergehen, rant, seit wir weg sind, nichts geändert – eher im weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Wen Gegenteil“, fügt er hinzu. wundert das? Bei Erol und mir wurde da ja nicht In anderen Fällen sind es durchaus auch mal die lange gezögert.“ Den Arbeitsplatz zu verlieren, Kollegen, die diskriminieren, wissen wir aus Erzäh- kann für manche Mitarbeiter bedeuten, dass auch lungen von Ratsuchenden. „In so einem Fall muss
15 der Arbeitgeber in Haftung genommen werden. Er gibt es im Arbeits- und Zivilrecht eine eindeutige muss dafür sorgen, dass es am Arbeitsplatz nicht gesetzliche Grundlage, um sich zu wehren. Das zu Diskriminierungen kommt“, bestätigt Frauke sieht auch Frauke Steuber so. „Da ist jetzt vieles Steuber. Auch wenn es manchmal mühsam und sehr viel klarer und damit auch einfacher gewor- langwierig ist, lohnt es sich, im Fall von Diskrimi- den, obwohl das Gesetz an einigen Stellen durch- nierung die juristischen Möglichkeiten zu prüfen. aus noch verbesserungsfähig ist.“ Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ... in der medizinischen Versorgung: »Ich fühlte mich der Situation völlig ausgeliefert« „I ch war gerade beim Einkaufen“, erzählt uns Michal. Ein Freund hatte ihn auf uns auf- merksam gemacht. „Auf einmal hatte ich starke einen Operationsschnitt unter dem Arm. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war und fühlte mich der Situation völlig ausgeliefert.“ Schmerzen, irgendwo zwischen Arm und Brust. Vom Krankenhauspersonal erfährt er nichts über Es hat total gekribbelt und ich hatte gar keine Kraft seinen Zustand. Eine Schwester spricht zwar kurz mehr im linken Arm.“ Eine Verkäuferin ruft einen mit ihm, aber er kann sie nicht verstehen. Irgend- Krankenwagen, Michal wird ins nächste Kranken- wann kommt ein unbekannter Arzt, auch er spricht haus eingeliefert. kurz mit ihm. Michal versteht nur, dass irgendetwas Das Personal dort ist zunächst hektisch, dann entfernt wurde. „Ich habe immer wieder versucht, wird er auf einer Liege in einen abgelegenen Be- deutlich zu machen, dass ich die Sprache nicht reich gefahren, muss erstmal warten. Nach einer spreche. Aber ich wurde einfach übergangen.“ Am Weile kommt eine Ärztin. Michal spricht kaum nächsten Tag wird Michal entlassen. „Ich war total deutsch und versucht die Ärztin darauf aufmerk- verwirrt“, sagt er und berichtet uns, dass er danach sam zu machen, dass er eine Übersetzungshilfe gleich zu seinem Hausarzt gegangen ist. „Der wun- braucht. Doch die Ärztin geht nicht darauf ein, derte sich zwar ein bisschen und fragte nach einem sondern drängt Michal stattdessen dazu, Formu- Arztbrief. Aber als ich sagte, dass ich so was nicht lare zu unterschreiben, die er nicht lesen kann. bekommen hatte, hat er sich auch nicht wirklich Dann verabreicht sie ihm Medikamente und Michal weiter gekümmert.“ Als der Arztbrief schließlich bei schläft ein. seinem Arzt ankommt, erfährt Michal, dass er eine „Ich weiß noch, dass ich wahnsinnige Angst hat- Entzündung in der Achselhöhle hatte und sich dort te, dass ich sterben könnte“, erinnert er sich. „Als ein Abszess gebildet hatte. Der Abszess hatte neu- ich die Augen wieder aufmachte, war alles wie im trales Gewebe in Mitleidenschaft gezogen, deswe- Traum. Zuerst wusste ich gar nicht, wo ich bin. Ich gen die Schmerzen und der Funktionsverlust. „Das hatte immer noch Schmerzen, dann entdeckte ich war wirklich schlimm“, sagt Michal heute. „Die
16 haben mir Gewebe entnommen und ich dachte die Krankenhausleitung, „werden wir Patienten mit ganze Zeit: Michal, jetzt hast Du Krebs.“ Sprachschwierigkeiten zukünftig Kopien ihrer Arzt- Nachdem Michal uns von dem Vorfall berichte- briefe mitgeben, damit sie sich diese übersetzen te, wendeten wir uns an das Krankenhaus. Die und erklären lassen können.“ Auch wenn das an Krankenhausleitung reagierte auf die Beschwerde Michals Erfahrungen nicht mehr ändern kann, ist mit einer ausführlichen und ernsthaften Entschul- er trotzdem zufrieden: „Es gibt einem ein gutes Ge- digung. Uns wurde versprochen, dass sie das fühl, wenn eine solche Institution eigene Fehler und Personal auf die durchaus vorhandenen Dolmet- eigenes Versagen zugibt.“ scherlisten hinweisen würden. „Außerdem“, so die ... beim Sport: »Ich denke immer: Mach bloß keine Probleme!« V or einiger Zeit wurde Akil Opfer einer rassis tischen Gewalttat und wandte sich an die Be- ratung für Opfer rechter Gewalt der Opferperspek- haben ja auch als 1. Herren in der Brandenburg liga gespielt.“ Akil bekommt nichts, traut sich aber nicht, sich zu beschweren. „Dann habe ich bei tive. Während der Beratung erwähnte er beiläufig, einem Spiel eine rote Karte bekommen. Dumme dass er aktuell auch Diskriminierung erlebe. Daher Sache, ich habe den Torwart gefoult und wurde wurde Akil zu unserer Antidiskriminierungsbera- zwei Monate gesperrt.“ Darüber hinaus musste tung weiterverwiesen. sein Verein ein Bußgeld zahlen. „Daraufhin sollte „Von klein auf wollte ich immer nur Fußball spie- ich die Strafe abarbeiten. Das war sonst bei uns len. Das ist einfach mein Leben!“ Akils Augen nicht üblich.“ fangen an zu leuchten, wenn er über den Sport Zu dieser Zeit wurde Akil von zwei anderen Fuß- spricht. Um so bitterer waren die Erfahrungen mit ballvereinen angesprochen - er spielte gut, man seinem früheren Verein. Akil lebt zwar seit Jahren wollte ihn abwerben. „Ich wollte über den offi in Brandenburg, sein Aufenthaltsstatus ist jedoch ziellen Weg wechseln“, erklärt er. Daher wand- nicht gesichert. „Meine ganze Situation hat dazu ten sich die Vereine schriftlich an seinen Verein, beigetragen, dass ich immer denke: Mach bloß doch die Angebote kamen angeblich nie an. Im keine Probleme!“ Laufe unserer Beratung entschied sich Akil dazu, Zunächst ist Akil glücklich, dass der Verein ihn den Verein über eine Kündigung zu wechseln. Als so schnell aufnimmt. Er spielt gut, im Angriff als Grund gab er an, sich diskriminiert zu fühlen. Mittelstürmer. „In der letzten Saison habe ich die „Das passte dem Verein gar nicht“, so Akil. Anstatt meisten Tore in meiner Mannschaft geschos- sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, gab sen“, erzählt er stolz. „Aber irgendwann habe der Verein seinen Spielerpass mit einem nega- ich gemerkt, dass die anderen Preisgelder und tiven Eintrag an den Landesverband zurück und Aufwandsentschädigungen bekamen. Naja, wir forderte von ihm die Zahlung angeblich nicht
17 geleisteter Beiträge. „Der Gipfel war aber, dass gleich gesagt, dass ich immer zu ihnen kommen der Verein dann überall verbreitete, er hätte mich kann, wenn was ist. Und sie haben mir sogar eine rausgeworfen!“ Mitfahrgelegenheit organisiert, damit ich nach Nachdem der Verein auf Akils Kontaktversuche dem Training nicht allein an irgendeiner Bushalte- nicht reagierte, wünschte er sich Unterstützung stelle sitzen muss.“ durch uns. Er wollte sich das Verhalten des Ver- Rassismus erlebt Akil heute woanders: „Bei den eins nicht weiter gefallen lassen. Durch unsere Spielen muss man sich schon einiges gefallen Vermittlung kam es zwar zu Gesprächen zwischen lassen, vor allem von den Zuschauern.“ Auch Akil und dem Verein, eine Entschuldigung oder Sexismus und Homophobie seien in diesem Zu- ähnliches gab es jedoch nicht. Heute spielt Akil sammenhang wichtige Themen, meint Akil. „Mei- bei einem anderen Verein. „Ich bin echt glücklich, ne Mannschaft und mein Verein stehen hinter mir. dass ich gewechselt habe“, erzählt er uns. „In Und wir machen alle den Mund auf, wenn wir meinem jetzigen Verein ist alles anders: Mir wurde dumme diskriminierende Sprüche hören.“ ... in der Schule: »Ich wäre gern länger zur Schule gegangen, aber es ging einfach nicht mehr.« „M eine Schwester hat sich durch diese Sa- che schon ganz schön verändert“, erzählt uns Rumina und blickt dabei auf die 16-jährige die Situation schließlich: Severina wird vor der versammelten Schule von einer Mitschülerin an- gegriffen. Dabei zeigte die Angreiferin gleich zwei- Severina. „Früher hab ich immer gleich den Mund mal den „Hitlergruß“. aufgemacht, wenn irgendwas war“, bestätigt sie. „Keiner hat was unternommen“, erinnert sich „Naja, mittlerweile lässt Du Dir aber auch nicht Severina. „Das fand ich fast genauso schlimm mehr alles gefallen. Zum Glück bist Du fast wieder wie die Schläge.“ Severina wurde aufgrund ih- die alte Severina!“, entgegnet Rumina und zwin- rer Verletzungen krankgeschrieben. Als sie in die kert ihrer Schwester zu. Schule zurückkam, wurde sie sehr feindselig auf- Schon seit vielen Jahren wohnen die beiden genommen. Ein Grund dafür war, dass die Polizei Schwestern mit ihren Eltern in einer Kleinstadt in der Zwischenzeit mehrere LehrerInnen wegen in Süd-Brandenburg. In der Schule wurde Seve- des Vorfalls vernommen hatte. „Die Situation war rina vom ersten Tag an rassistisch beleidigt und unerträglich. Ich wäre gern länger zur Schule ge- ausgegrenzt. „Ich bin anfangs selbst zur Schullei- gangen, aber es ging einfach nicht mehr.“ tung gegangen und habe mich über das Verhalten Nachdem Severina die Schule verlassen hatte, gegenüber meiner Tochter seitens der Mitschüle- meldete sie sich bei uns. Wir suchten das Ge- rInnen beschwert - leider ohne Erfolg“, berichtet spräch mit der Schule, um den Vorfall zumindest uns Severinas Vater. Bei einem Schulfest eskaliert aufzuarbeiten. Wir stießen jedoch auf eine Wand
18 von Abwehr. In dem Gespräch mit der Schullei- „Nicht so empfindlich ist gut“, meint Severina, als terin und dem Klassenlehrer wurde bestritten, wir sie darauf ansprechen. „Der Junge hat sich dass es den Angriff in dieser Dramatik überhaupt nicht getraut, sich zu wehren. Ich habe ihn ein gegeben hatte. Schließlich, so wurde uns erzählt, paar Mal gefragt: Wieso lässt Du Dir das alles ge- sei Severina ja auch nicht gerade ein Unschulds- fallen? Da hat er nur mit den Schultern gezuckt.“ lamm. Im Gegenteil: Während ihrer Schulzeit sei Als die Schule alle weiteren Gesprächsversuche sie wiederholt durch rebellisches Verhalten aufge- ablehnt, bittet uns Severina, nichts weiter zu un- fallen. Außerdem sei sie „emotional und von ih- ternehmen. „Vielleicht hat mein Vater ja recht: Be- rer Entwicklung her hinterher gewesen“. Was die schweren bringt nichts.“ Allerdings hat sich nach rassistischen Beleidigungen angeht, dürfe man der ganzen Geschichte eine ehemalige Mitschüle- sich nicht immer alles so zu Herzen nehmen. Ein rin bei ihr gemeldet, um ihr zu sagen, dass sie auf anderer Schüler mit migrantischem Hintergrund Severinas Seite sei. „So gesehen bringt es also sei da im Gegensatz zu Severina auch nicht so doch was, den Mund aufzumachen“, sagt sie und empfindlich, hieß es. schmunzelt. ... auf der Straße: »Ich wollte für mich einen Punkt setzen, an dem ich sage: Stopp!« „I ch hatte das Auto vor meinem Haus geparkt, um Getränke auszuladen“, erinnert sich Joel. „Mir ist einfach der Kragen geplatzt. Ich dachte die vor seinem Haus stattgefunden hat, auch als eher harmlos. „Als ich die Getränkekisten auf den Gehweg stellte, kam ein Mann vorbei und regte mir, dieses Mal schluck ich das nicht einfach sich fürchterlich auf“, erinnert er sich. „Zuerst runter.“ Nachdem Joel bei der Polizei Anzeige er- schimpfte er nur darüber, dass man da ja gar nicht stattet hatte, kam er zu uns. „Ich habe vorhin in durchkäme.“ Joel entschuldigt sich zunächst, er- eure Broschüre über Alltagsrassismus in Potsdam klärt ihm, dass er nur kurz das Auto ausladen reingelesen“, meint er. „Einige von den dort ge- will. „Aber der Mann hörte gar nicht wieder auf. schilderten Fällen kommen mir durchaus bekannt Er wurde immer aggressiver, schrie mich an und vor.“ Er blickt zum Fenster. „Ich weiß, so wie mir beleidigte mich auf wirklich üble rassistische Art geht es vielen.“ Und er fügt hinzu: „Es ist bitter, und Weise.“ aber Rassismus gehört offensichtlich zu meinem Joel geht zur Polizei. „Viel konnte ich mit der Alltag - und zu dem vieler anderer auch.“ Anzeige nicht bewirken, aber darum ging es mir Es ist schon häufiger vorgekommen, dass er auf auch gar nicht“, erzählt er uns. „Ich habe das der Straße beleidigt wurde. Aus diesem Grund hat hauptsächlich für mich selbst getan. Ich wollte für er gelernt, frühzeitig zu erkennen, wann eine Situa- mich einen Punkt setzen, an dem ich sage: Stopp, tion eskaliert. Daher bezeichnet Joel die Situation, jetzt muss ich was unternehmen.“ Jede Diskrimi-
Sie können auch lesen