"ABER SICH ZU WEHREN, IST WICHTIG" - Empowerment - gegen Diskriminierung in Brandenburg

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Herausgeber: Antidiskriminierungsberatung Brandenburg

»ABER SICH ZU WEHREN, IST WICHTIG«
      Empowerment – gegen Diskriminierung in Brandenburg
IMPRESSUM

Herausgeber

OPFERPERSPEKTIVE E.V.
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Vertretungsberechtigter Vorstand:
Marcus Reinert, Stephan Martin, Dagi Knellessen

Registergericht: Amtsgericht Potsdam,
Registernummer VR 2045

Text (soweit nicht anders angegeben): Maica Vierkant
Redaktion: Martin Beck
Lektorat: Jan Ole Arps
Gestaltung: Rebecca Forner
Druck: Hinkelstein Druck

Die Herausgabe wurde gefördert durch die
Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg.

Copyright: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
INHALT

 2 Geleitwort
    Prof. Dr. Karin Weiss, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg

 3 Konsequente Weiterentwicklung
    Antidiskrimierungsarbeit und Gewaltprävention
    Dominique John, Geschäftsführer der Opferperspektive e. V.

 5 Es ist noch mehr möglich
    Antidiskriminierungsarbeit in Brandenburg
    Anke Zwink

 9 Beratung, Intervention, Empowerment, Dokumentation
    Die Arbeit der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg
    Nadja Hitzel-Abdelhamid

14 Diskriminierung ... bei der Arbeit, in der medizinischen Versorgung,
    beim Sport, in der Schule, auf der Straße, bei der Wohnungssuche

22 Die Banalität des Rassismus
    Ausgrenzungserfahrungen beginnen im Alltag
    Mark Terkessidis

26 Trauma, Verstrickung, Stärke
    Die rassistisch markierte Selbsterfahrung
    Paul Mecheril, Astride Velho

31 Per Gesetz gegen Benachteiligung
    Die Entwicklung der Antidiskriminierungspolitik in Deutschland
    Rüdiger J. Hamm

36 Anlaufstellen
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                                             GELEITWORT

    B   randenburg ist schon seit Langem sehr enga­
        giert, wenn es um die Förderung und Unter-
    stützung von Initiativen, Aktionen und Maßnah-
                                                            leicht erkennbar. Oft sind sie subtil, versteckt oder
                                                            nur mittelbar. Gerade das macht eine Auseinan-
                                                            dersetzung schwierig. Und es fehl(t)en vor allem
    men gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-              Anlaufstellen, die individuell zu solchen Fragen
    lichkeit, Antisemitismus und Rassismus geht.            beraten, rechtliche als auch soziale Unterstützung
    Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“           anbieten.
    besteht bereits seit mehr als zehn Jahren. Unter        In Brandenburg hat sich die Antidiskriminierungsar-
    seinem Dach haben sich verschiedene staatliche          beit langsam entwickelt. Obwohl bereits seit 1999
    und zivilgesellschaftliche Institutionen zusam-         im Büro der damaligen Ausländerbeauftragten
    mengefunden. Mit dem „Brandenburger Aktions­            eine erste Anlaufstelle für Antidiskriminierungsfra-
    bündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus                 gen geschaffen werden konnte, blieb diese Stelle
    und Fremdenfeindlichkeit“ haben sich ebenfalls          doch lange aufgrund mangelnder Kapazitäten in
    landes­weit tätige Verbände und Organisationen          ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt und in
    mit unterschiedlichen Ansätzen, Konzepten und           ihren Wirkungen als einzige Anlaufstelle in einem
    Verbandszielen zusammengeschlossen. Daneben             großen Flächenland eingeschränkt. Erst seit 2009
    gibt es zahlreiche Einzelprojekte und Initiativen vor   ist es gelungen, weitere regionale Anlaufstellen zu
    Ort, die sich mit Rechtsextremismus, Rassismus          schaffen, die Betroffenen vor Ort unmittelbar indi-
    und Fremdenfeindlichkeit befassen.                      viduelle Beratung und Unterstützung anbieten.
    Die meisten dieser Ansätze haben eines gemein-          Der hier vorliegende Band soll über die Arbeit ei-
    sam: Sie setzen an den TäterInnen bzw. an den           ner dieser Brandenburger Anlaufstellen berichten,
    potenziellen TäterInnen an. Fast keine der Initiati-    die Erfahrungen reflektieren, das Handeln proble­
    ven, Vereine, Gruppen oder Maßnahmen widmet             matisieren. Und er soll Mut machen. Mut, die
    sich den Opfern von Rassismus und Benachtei-            Herausforderung einer Antidiskriminierungsarbeit
    ligungen. Lediglich die Opferperspektive stellt die     anzunehmen, die sich nicht den TäterInnen, son-
    Perspektive der Opfer in den Mittelpunkt, unter-        dern den Opfern widmet, die oft wenig spektakulär
    stützt sowohl bei der individuellen Verarbeitung        daher kommt, die langdauernd und schwierig ist.
    als auch der rechtlichen Auseinandersetzung mit         Mut aber auch, aus den Erfahrungen der Branden-
    einem rassistischen Vorfall. Aber auch hier ging        burger Anlaufstellen zu lernen.
    es lange Zeit nicht um die Opfer jener alltäglichen     Ich danke allen, die sich dieser Aufgabe aktiv wid-
    Diskriminierung, die ohne direkte körperliche Ge-       men.
    walt vorkommt.
    Bisher fehlt eine Auseinandersetzung mit Dis-
    kriminierungen im alltäglichen Leben, mit Be-
    nachteiligungen z.B. im Bereich Arbeit, Wohnen,
    Bildung oder gesellschaftlicher Teilhabe. Nicht         Karin Weiss, Integrationsbeauftragte des Landes
    immer sind solche Benachteiligungserfahrungen           Brandenburg
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                  KONSEQUENTE WEITERENTWICKLUNG

        Antidiskriminierungsarbeit und Gewaltprävention

S    eit über zehn Jahren beraten MitarbeiterInnen
     des Vereins Opferperspektive Betroffene von
rechter Gewalt in Brandenburg. Versetzten wir uns
                                                        rechter Gewalt Betroffenen professionell und
                                                        schnell Hilfe und Unterstützung zukommen zu
                                                        lassen und gleichzeitig den TäterInnen deutlich zu
zurück an das Ende der 1990er Jahre: Der Druck          machen, dass sie mit ihren Angriffen zivilgesell-
der Straße, die alltägliche Gewalt, die Neonazis        schaftlich anerkannte Grenzen überschritten ha-
ausübten, war immens. Es verging kein Wochen-           ben. Für die gesellschaftliche Bedeutung rechter
ende, an dem nicht ein linker Jugendklub ange-          Gewalt ist entscheidend, dass die Gruppen, ge-
griffen oder MigrantInnen zusammengeschlagen            gen die sich diese Straftaten richten, mehrheitlich
wurde. In einigen Städten und Landesteilen war          auch von institutioneller Diskriminierung betroffen
die kulturelle Dominanz der rechten Cliquen und         sind. Gleichzeitig gelten diese Gruppen in groß-
Kameradschaften so stark, dass eine Verdrän-            en Teilen der Bevölkerung – darunter auch Men-
gung linker und liberaler Milieus zu beobachten         schen, die Gewalttaten strikt ablehnen – als „nicht
war. Vielfach war von rechtsextremer „Hegemonie         zugehörig“.
der kulturellen Räume“, teilweise von „national         Rechte Gewalt knüpft an diese strukturelle Vo-
befreiten Zonen“ die Rede.                              raussetzungen und Einstellungsmuster an. Daher
Heute – über zehn Jahre später – kann man sich          ist sie nicht als isolierte Erscheinung zu begrei-
darüber streiten, ob die eine oder andere Beschrei-     fen, sondern muss vielmehr als Radikalisierung
bung von damals über das Ziel hinaus geschos-           von Einstellungen verstanden werden, die „in der
sen war. Allerdings: Es bedurfte einer Vielzahl von     Mitte der Gesellschaft“ verankert sind und dort –
Anstrengungen und Aktivitäten auf verschiedenen         in anderen Begriffen – als akzeptable Auffas-
gesellschaftlichen Ebenen, um den Rechten das           sungen im Rahmen einer demokratischen Öffent-
schon gewonnene Terrain streitig zu machen und          lichkeit gelten. Dies betrifft Rassismus ebenso wie
gesellschaftliche Räume zurückzuerobern, die als        Sozialdarwinismus, Antisemitismus oder Homo-
fast schon verloren gegolten hatten.                    phobie und Behindertenfeindlichkeit. Die Unter-
In den ostdeutschen Bundesländern war der Wie-          stützung für von Diskriminierung betroffener Men-
deraufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen eine       schen ist daher ein Bestandteil der Abwehr von
wesentliche Facette dieser Anstrengungen. Die           und der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt.
Sichtweise, dass eine professionelle Hilfeleitung       Nach wie vor ist der Kampf gegen die rech-
für Opfer von rechter Gewalt ein notwendiger            ten Schläger auf den Straßen nicht gewonnen.
Baustein dieser Aktivitäten darstellt, setzte sich in   Nach wie vor besteht in Brandenburg die Gefahr
Brandenburg erst nach langwierigen und schwie-          wegen der Hautfarbe, wegen des Aussehens
rigen Auseinandersetzungen durch. Inzwischen ist        oder der zugeschriebenen ethnischen Her-
das Angebot des Vereins anerkannt und die Op-           kunft angegriffen zu werden. Und nicht überall
ferperspektive gehört zum festen Bestandteil des        und auch nicht in jedem Fall gelingt es der Zivilge-
Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“.             sellschaft, auf Angriffe gegen Minderheiten adäquat
Der Verein Opferperspektive steht dafür, den von        zu reagieren. Allerdings: In einigen Landesteilen
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    hat eine gewisse Entspannung der Lage eingesetzt.
    Die Selbstverständlichkeit, mit denen die Rechten Dominique John, Geschäftsführer der Opferper-
    glauben, zuschlagen zu können, scheint hier ins spektive e. V.
    Wanken geraten zu sein.
    Dies gibt dem Verein Opferperspektive die Mög-
    lichkeit einen Schritt weiterzugehen und den ur-
    sprünglichen Ansatz zu ergänzen: Nach Jahren
    der nahezu atemlosen Arbeit mit Opfern rechter
    Gewalt berät der Verein seit September 2009 in
    einem zusätzlichen Projekt auch Menschen, die
    zwar keine Gewalt erfahren haben, aber durch
    Mitmenschen, Organisationen oder den Staat auf-
    grund ihrer Herkunft benachteiligt werden und von
    rassistischer Diskriminierung betroffen sind.
    In den neuen Bereich der Antidiskriminierungs-
    beratung mit seinen zwei Mitarbeiterinnen fließen
    nicht nur die jahrelangen Erfahrungen mit Gewal-
    topfern ein. Es gibt auch eine große Schnittmenge
    zum bisherigen Arbeitsschwerpunkt des Vereins.
    Viele derer, die einen Angriff aus rassistischen
    Gründen erleben mussten, sind ebenfalls von
    anderen Formen der Diskriminierung betroffen.
    Konnte die Opferperspektive früher in solchen
    Fällen wenig tun, so gibt es heute die Möglichkeit
    einen Schritt weiterzugehen und gemeinsam zu
    überlegen, wie sich die Betroffenen auch gegen
    rassistische Diskriminierung zur Wehr setzten
    können.
    Der Verein wird diesen neuen Beratungsschwer-
    punkt mittelfristig ausbauen und dabei neue Netz-
    werke und Kooperationen eingehen. Klar ist: In-
    dem die Opferperspektive das Neue tun, wird sie
    das Alte nicht lassen: Opfer rechter Gewalt werden
    im Verein Opferperspektive weiterhin einen zuver-
    lässigen und professionellen Ansprechpartner in
    Brandenburg finden.
    Der Aufbau der zusätzlichen Beratungskapazitäten
    für Betroffene von rassistischer Diskriminierung
    wird zurzeit ermöglicht durch Mittel der Integrati-
    onsbeauftragten des Landes, der Stiftung :do aus
    Hamburg sowie aus Spenden des Vereins. Wir
    möchten uns an dieser Stelle bei allen Beteiligten
    für das Vertrauen gegenüber der Arbeit des Ver-
    eins bedanken.
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                        ES IST NOCH MEHR MÖGLICH

             Antidiskriminierungsarbeit in Brandenburg

D    as Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes
     ist in Art. 12 der Brandenburger Landesver-
fassung aufgenommen und erweitert worden. Da-
                                                     Aufgabe, Prävention zu leisten und interkulturelle
                                                     Öffnungsprozesse anzustoßen, hatte die Stelle
                                                     die Aufgabe zu intervenieren, Betroffene dabei zu
mit besteht ein Diskriminierungsverbot der Träger    begleiten, sich zu wehren, bzw. sie zu ermutigen,
staatlicher Gewalt gegenüber dem Individuum. Ein     sich zu wehren, wenn ihnen Unrecht passiert war.
eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz, das        Die Präventionsarbeit splittete sich im Laufe der
weitere rechtliche Möglichkeiten zur Verbesserung    Zeit weiter auf. Neben der Bildungsarbeit rückte
des Schutzes bieten könnte, besteht hingegen         immer stärker der Abbau diskriminierender Struk-
nicht. Entsprechende Diskussionen fanden Ende        turen in den Fokus.
der 1990er Jahre in der Landesregierung keine        Wegen bestehender Forschungslücken wurden
erforderliche Mehrheit. Allerdings wurde 1999        auch eigene Untersuchungen durchgeführt. Eine
die Antidiskriminierungsstelle Brandenburg einge-    explorative Studie der Antidiskriminierungsstelle
richtet. Mit diesem Schritt wurde der Existenz von   Brandenburg aus dem Jahr 2000 hatte beispiels-
Diskriminierung und dem daraus resultierenden        weise ergeben, dass von 15 untersuchten Dis-
Handlungsbedarf Rechnung getragen.                   kotheken ein Drittel eine diskriminierende Einlas-
Die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle       spraxis betreibt. Daraufhin wurden Disco-Testings
Brandenburg erfolgte somit bereits ein Jahr vor      zusammen mit ARD und ORF/RBB vorgenommen
Inkrafttreten der EG-Richtlinien, die auf Bun-       und in einem Bericht ausgestrahlt.
desebene zur Entwicklung eines Gesetzes zum          Von 2003 bis 2005 sollte das im Rahmen des
Schutz vor Diskriminierung verpflichteten. Die       Bundesprogramms CIVITAS geförderte Koope-
spezialisierte Stelle im Büro der damaligen Aus-     rationsprojekt »Clou – Chancengleichheit lokal
länderbeauftragten, inzwischen Büro der Integrati-   umsetzen. Antidiskriminierungsverbund Branden-
onsbeauftragten des Landes Brandenburg im Mi-        burg« der Antidiskriminierungsstelle Brandenburg
nisterium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie   und der RAA Brandenburg die Umsetzung des
(MASF) wurde 2010 in Landesstelle für Chancen-       anstehenden Antidiskriminierungsgesetzes des
gleichheit – Brandenburg umbenannt.                  Bundes begleiten. Das Kooperationsprojekt nahm
                                                     sich unter Einbeziehung aller relevanter staatli-
VON DER ANTIDISKRIMINIERUNGSSTELLE                   cher und nicht-staatlicher Einrichtungen aus der
BRANDENBURG ZUR LANDESSTELLE FÜR                     Migrations- und Integrationsarbeit und politischen
        CHANCENGLEICHHEIT                            Bildung vor, regionale Strukturen zu schaffen und
                                                     verschiedene Zielgruppen für das Thema zu sensi-
Die Antidiskriminierungsstelle finanzierte sich im   bilisieren. Der Verbund hatte sich auf den Bereich
ersten Jahrzehnt über Projektmittel. Ihre Arbeit     »ethnische Diskriminierung« fokussiert.
folgte der Erkenntnis, dass Integrationsprozesse     Am Ende von »Clou« stand fest, dass das Pro-
nicht erfolgreich gestaltet werden können, wenn      jekt zu früh kam. Da noch kein Bundesgesetz zur
Diskriminierung nicht abgebaut wird. Neben der       Umsetzung der EG-Richtlinie 2000/43 zur Anwen-
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    dung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verab-          Um auch die Prozesse auf Landesebene weiter zu
    schiedet war, fehlte die gesetzliche Grundlage für    entwickeln, wurde das Projekt »Chancen (gleich)
    eine Sensibilisierung und Ausbildung von Hand-        heit prüfen – Diversity Mainstreaming für Verwal-
    lungskompetenz. Die beteiligten Akteure bekamen       tungen« in Trägerschaft der Antidiskriminierungs-
    jedoch weiterhin Fortbildungsangebote gestellt,       stelle des Bundes initiiert und in Kooperation mit
    die in unterschiedlicher Intensität genutzt wurden.   ihr entwickelt, das seit Ende 2010 läuft.
    Im Zentrum der Xenos-Projekte »Zivile Brücken«
    (2004-2008) und »Vorteil Vielfalt – Zukunft für        STAATLICHE ODER ZIVILGESELLSCHAFT-
    Brandenburg« (2008-2011) standen interkul-                       LICHE AUFGABE?
    turelle Öffnungsprozesse bei der Polizei, im Ab-
    schiebegewahrsam, in Bildungseinrichtungen, in        Bundesweit wurde ab den 1990er Jahren die
    deutsch-polnischen Begegnungen der Zivilgesell-       Diskussion geführt, wo eine Anlaufstelle angesie-
    schaft sowie bei öffentlichen wie privaten Arbeit-    delt sein muss, um von Betroffenen in Anspruch
    geberInnen.                                           genommen zu werden. Sollte sie in staatlicher
    Entsprechend der Ansiedlung bei der Integrations­     Trägerschaft stehen oder besser bei einem freien
    beauftragten lag der Fokus der Arbeit darauf, ras-    Träger angesiedelt sein. Die Diskussion um die
    sistische Diskriminierung und Diskriminierung         Frage »staatlich« – »nicht-staatlich« wurde oft
    aufgrund der Religion abzubauen. Anfragen von         als Entweder-oder geführt. In Brandenburg gab es
    Betroffenen, die wegen anderer Merkmale diskri-       eine andere Entwicklung. Angesichts der Existenz
    miniert wurden, konnten innerhalb des Ministeri-      einer staatlichen Stelle ohne gleichzeitige Existenz
    ums an die zuständigen Fachreferate weitergeleitet    spezialisierter Projekte in der Zivilgesellschaft galt
    werden. Publikationen, die über das Allgemeine        es vorrangig, Ansätze in der Zivilgesellschaft und
    Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) informierten          auf kommunaler Ebene zu unterstützen.
    und dazu ermunterten, sich nach erlittenem Un-        Anfänglich vor allem in der Form von Angeboten
    recht zu wehren, wurden zielgruppenspezifisch         zur Fortbildung und zum fachlichen Austausch
    sowie auch mit horizontaler Perspektive erstellt.     liefen seit 2009 Gespräche mit der RAA und dem
    Früh fand der horizontale Gedanke, d. h. der An-      Verein Opferperspektive, eigene Projekte der Bera-
    satz zielgruppenübergreifend vor Diskriminierung      tungsarbeit bei rassistischer oder ethnischer Dis-
    zu schützen, Eingang in Bildungs- und Fachveran-      kriminierung aufzubauen. Durch die Möglichkeit
    staltungen, da eine Auseinandersetzung mit Dis-       Personalstellenanteile dafür aus dem Haushalt der
    kriminierung nur gelingen kann, wenn sie nicht nur    Integrationsbeauftragten zu finanzieren, konnten
    zielgruppenspezifisch gedacht wird. Im Rahmen         beide Projekte mit unterschiedlichen Schwer-
    des Europäischen Jahres der Chancengleichheit         punkten und Ansätzen erfolgreich anlaufen.
    für alle 2007 konzipierte die Antidiskriminierungs-   Andernorts müssen staatliche und nicht-staatli-
    stelle Brandenburg die »Regionalkonferenz Ost«        che Stellen um Fördermöglichkeiten in Konkurrenz
    für fünf Bundesländer und setzte diese Arbeit mit     zueinander treten. Durch die Situation in Branden-
    einem »Zukunftslabor« im Rahmen des Europä-           burg ergibt sich die Chance, Aufgabenteilung und
    ischen Jahres des interkulturellen Dialogs 2008       Zuständigkeiten frei von eingefahrenen Mustern
    fort. Aus der Zusammenarbeit mit Organisationen       miteinander zu klären. Gleichzeitig können unter
    der Zivilgesellschaft und kommunalen Beauftrag-       Berücksichtigung der Erfahrungen in anderen
    ten ergaben sich ausbaufähige Beziehungen zur         Ländern wichtige Fragen für die Weiterentwicklung
    Stärkung einer Antidiskriminierungskultur und einer   der Antidiskriminierungsarbeit behandelt werden.
    Kultur der Anerkennung von Unterschiedlichkeit.       Dazu gehört u.a. die Frage, in welchem Umfang
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durch wen Intervention und Prävention geleistet        Rolle kann in einem starken Netzwerk von einem
werden sollen, oder abzuwägen, ob ein zielgrup-        Partner übernommen werden, in Ländern mit ei-
penspezifischer oder der horizontale Ansatz mehr       ner zentralen Einrichtung aber auch von dieser.
erreichen kann sowie ob Einrichtungen mit breitem      Die Möglichkeiten der rechtlichen Intervention
Aufgabengebiet oder spezialisierte effektiver und      waren für die seit den 1990er Jahren existierend
wie Qualitätsstandards festzulegen und einzufor-       spezialisierten Anlaufstellen gegen Diskriminie-
dern sind. Letztendlich stellt sich die Frage, ob      rung begrenzt, oft beschränkt auf Artikel 3 (3)
Antidiskriminierungsarbeit sich ausschließlich auf     Grundgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz
das AGG – mit seinen Lücken, definierten Diskri-       und das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Suche nach
minierungsgründen und Umsetzungsschwierig-             anderen Interventionsmöglichkeiten orientierte
keiten – beziehen soll, oder ein umfassenderer         sich deshalb oft an moralischen Appellen. Mit
Ansatz gewählt werden muss, um gesetzte Ziele          der Einführung des AGG 2006 stehen heute nicht
zu erreichen.                                          nur mehr juristische Möglichkeiten zur Verfügung,
                                                       sondern auch mehr Möglichkeiten Benachteili-
 HERAUSFORDERUNGEN – NICHT NUR IN                      gungen und Diskriminierungen sowie die Existenz
          BRANDENBURG                                  von Rassismus zu thematisieren. Bislang fehlen
                                                       aber klare Qualitätsstandards für alle Bereich einer
Alle Aufgabengebiete sind in der Praxis eng ver-       erfolgreichen Antidiskriminierungsarbeit.
zahnt. Aus der Beratung bei individuellen Be-          Zwar wurden für den Beratungsbereich erste Qua-
schwerden lassen sich Muster analysieren, die          litätskriterien entwickelt, etwa durch die Veröffent-
Handlungsbedarf aufzeigen, zu Anregungen für           lichung einer Handreichung des Antidiskriminie-
die Bildungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit füh-      rungsverbandes Deutschland (advd), in dem sich
ren oder Impulse für Veränderungsprozesse in           seit Mai 2007 langjährig tätige Organisationen zu-
den Strukturen geben. Dabei ist Beratungsarbeit        sammengeschlossen haben. Für den präventiven
emotional ungleich belastender und bindet viele        Bereich fehlt indes ein umfassendes Konzept,
Kapazitäten. Das Angebot ist bislang unzurei-          obwohl die Notwendigkeit von Öffentlichkeits-
chend, aber Ansätze, dieses im Ehrenamt oder           und Sensibilisierungsarbeit nicht nur bei Fachleu-
in unbezahlten Überstunden aufzustocken, wie           ten unumstritten ist, sondern diese auch in den
es bundesweit in einigen Einrichtungen passiert,       menschenrechtlichen Dokumenten als geeignete
ist kein befriedigender Zustand. Bei dem gesell-       Maßnahmen aufgelistet werden. Aber hier gibt es
schaftlichen Bedarf an guter Beratung ist eine         noch keine Qualitätskriterien, die die Anbietenden
Einrichtung schnell am Rande des Machbaren             auf dem Bildungsmarkt miteinander teilen.
angelangt. Wenn sie neben der Beratung noch
weitere Aufgaben für sich definiert, muss sie sich        RESSOURCEN KLÄREN UND NUTZEN
möglicherweise gegen die Annahme weiterer An-
fragen entscheiden.                                    Brandenburg kann als Flächenland nicht sicher-
Gleichzeitig ist es für die präventive Arbeit nötig,   stellen, dass jeder Mensch wohnortnah eine
dass sich die Akteure vom Einzelfall lösen und         spezialisierte Einrichtung vorfindet. Deshalb
hin zu strukturellen Lösungen kommen. Reichen          bietet sich die Lösung an, MultiplikatorInnen für
die Kapazitäten nicht aus, bleibt Letzteres leicht     die Existenz von Diskriminierung in ihren unter-
auf der Strecke. Weitergehende Empfehlungen zu         schiedlichen Formen sowie für die Bedeutung des
entwickeln und sie politisch einzufordern, stellt      Sich-Wehren-Könnens zu sensibilisieren. Auf Ba-
jedoch einen eigenen Arbeitsbereich dar. Diese         sis einer entsprechenden Verweisungskompetenz
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                                                        zu bekommen, muss für die realistische Wei-
                                                        terentwicklung der Arbeit geklärt werden, wie
                                                        auf kommunaler und Landesebene bestehende
                                                        Ressourcen – etwa durch anderen Aufgabenzu-
                                                        schnitt – genutzt werden können. Es zeigt sich,
                                                        dass Förderprogramme, die etwa unter dem As-
                                                        pekt »Sozialer Zusammenhalt« erlauben würden,
                                                        Beratungsstellen institutionell zu fördern, nicht
                                                        dafür genutzt werden. Hier ist noch mehr Infor-
                                                        mation der politischen EntscheidungsträgerInnen
      werden dann spezialisierte Einrichtungen benö-    nötig, inwiefern Fragen von Diskriminierung ver-
    tigt, die juristische, pädagogische wie politische  woben sind mit kommunalen Herausforderungen
    Wege kennen.                                        wie Verringerung der Landflucht, Gewinnung von
    Nur wenige Länder haben wie Brandenburg eine        Fachkräften, Zugang zum ersten Arbeitsmarkt,
    zentrale Einrichtung für Antidiskriminierungsar-    Willkommens- und Anerkennungskultur.
    beit, in keinem Land ist dies bislang über einen ge-Ein Landesprogramm, das anregt bestehende
    setzlichen Auftrag geregelt. Ohne entsprechende     Möglichkeiten auszuschöpfen und Lücken zu
    Ausstattung können auch die kommunalen Struk-       schließen, könnte hier hilfreich sein. Die Lan-
    turen nur unzureichend unterstützt werden. In       desstelle für Chancengleichheit – Brandenburg
    Brandenburg gibt es auf kommunaler Ebene keine      hat sich dies als Schwerpunkt der nächsten Jahre
    ausschließlich auf Diskriminierung spezialisierten  vorgenommen.
    staatlichen Einrichtungen. Die kommunalen Be-
    auftragten für Gleichstellung, Migration/Integrati- Anke Zwink ist Leiterin der Landesstelle für Chan-
    on und die Belange behinderter Menschen kön- cengleichheit - Brandenburg im Büro der Integra-
    nen aufgrund von Arbeitsüberlastung nicht noch tionsbeauftragten des Landes Brandenburg
    weitere Aufgaben zu ihren traditionellen Aufgaben
    übernehmen. Beratungsarbeit bei Diskriminierung
    mit ihrer zeitintensiven Recherche kann hier nur in
    vereinzelten Fällen geleistet werden.
    So wünschenswert es wäre, ein Bundespro-
    gramm zur institutionellen Förderung angeboten
9
           BERATUNG, INTERVENTION, EMPOWERMENT,
                       DOKUMENTATION

Die Arbeit der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg

D    er Verein Opferperspektive unterstützt seit
     zwölf Jahren Opfer von rechter Gewalt im
Land Brandenburg. In der Beratung von Opfern
                                                      Beraterin bietet die Opferperspektive seit August
                                                      2010 eine Antidiskriminierungsberatung mit zwei
                                                      Mitarbeiterinnen an.
rassistischer Gewalt zeigt sich immer wieder,
dass der Angriff nur eine Spitze des Eisberges              AUSGANGSLAGE UND ZIELE
darstellt. Oft sind der Gewalttat Diskriminierungs-    DER ANTIDISKRIMINIERUNGSBERATUNG
erfahrungen vorausgegangen. Bis vor Kurzem
konnte der Verein hier nur wenig helfen. 2009         In Brandenburg leben über das ganze Land ver-
gab die Opferperspektive daher den Startschuss        streut, verglichen mit anderen Bundesländern
für einen neuen Schwerpunkt, um dieser Situation      wenige Flüchtlinge, MigrantInnen und Menschen
Abhilfe zu leisten.                                   mit Migrationshintergrund. Es existieren kaum
In einer zehnmonatigen Vorbereitungsphase wur-        eigene Orte, Organisationen oder Communities.
den entsprechende Konzepte erstellt und Inhalte       Was diese Menschen mit ihren unterschiedlichen
erarbeitet, Kooperations- und Fachgespräche           Herkünften und Geschichten eint: Viele erfahren in
sowie Gespräche mit der Zielgruppe geführt. Im        ihrem Alltag Rassismus und Diskriminierung. Von
September 2009 startete dann die aufsuchen-           ihren Rechten und ihren Möglichkeiten, sich zur
de Antidiskriminierungsberatung für Betroffene        Wehr zu setzen, wissen die wenigsten. Beratungs­
von rassistischer Diskriminierung im Land Bran-       angebote sind rar gesät.
denburg. Seitdem werden in kurzfristigen Be-          Wir bieten Betroffenen Beratung, Intervention, Ver-
ratungsverhältnissen oder in langfristigen, sich      netzung und die Dokumentation von Diskriminie-
über mehrere Monate erstreckenden Unterstüt-          rungsfällen. Im Zentrum steht dabei die Stärkung
zungsprozessen Betroffene begleitet. Dabei geht       der Betroffenen. Empowerment bedeutet in un-
es um rassistische Diskriminierungen und um           serem Beratungsansatz, Betroffene in ihrer Hand-
mehrdimensionale Diskriminierungen, bei denen         lungskompetenz zu stärken. Wir vermitteln Wis-
neben Rassismus noch weitere Dimensionen von          sen über die eigenen Rechte und Möglichkeiten
Ungleichbehandlung eine Rolle spielen. Bearbeitet     und erarbeiten gemeinsam mit den Betroffenen
werden Diskriminierungsfälle zum Beispiel in den      verschiedene, individuell unterschiedliche Wege,
Bereichen Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt, Schu-          sich zur Wehr zu setzen und mit Erfahrungen von
le/Ausbildung, Sport, Gesundheitsversorgung,          Alltagsrassismus und von rassistischer Diskrimi-
Güter/Dienstleitungen, staatliche Institutionen       nierung umzugehen.
und Ämter/Behörden, aber auch vereinzelte Fälle
von Alltagsrassismus und rassistischen Beleidi-             WAS VERSTEHEN WIR UNTER
gungen.                                                  RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG?
Der Beratungsbedarf ist deutlich höher. Es können
jedoch nur so viele Fälle bearbeitet werden, wie      Bis sie das erste Mal mit Rassismus konfrontiert
es die Kapazitäten zulassen: Zu Beginn mit einer      sind, fühlen sich die meisten Betroffenen der Ge-
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     sellschaft zugehörig. Das ändert sich schlagartig                (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft, ihrer Na-
     in dem Moment, in dem ihnen gesellschaftliche                    tionalität, ihrer Sprache, ihres Aufenthaltsstatus,
     Zugehörigkeit und Anerkennung versagt werden.                    ihrer Hautfarbe oder äußeren Erscheinung, ihres
     Egal wie sie sich der Gesellschaft zuordnen, es                  Geschlechts, ihrer Religion und Weltanschauung,
     bestimmen andere, ob und wie sie zugehörig sein                  ihres sozialen Status, ihres Familienstandes, ih-
     dürfen und anerkannt werden. Sie werden mar-                     rer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen
     kiert und positioniert. Diese Fremdbestimmung                    Identität. Auch können Menschen von Diskrimi-
     wird zum Dreh- und Angelpunkt, der die persön-                   nierung betroffen sein, weil sich mehrere dieser
     liche Entwicklung und gesellschaftliche Chancen                  Merkmale in ein und derselben Person verbinden
     beeinflusst. Der Umgang mit Rassismus ist für                    (mehrdimensionale Diskriminierung).“(2)
     die Opfer schwierig: Er begegnet ihnen in allen                  Diese Definition und auch unser Arbeitsansatz ge-
     Lebensbereichen. Gleichzeitig wird ihnen diese                   hen bewusst über die juristischen Bestimmungen
     Erfahrung all zu oft abgesprochen.                               der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien und des
     Rassismus ist eine soziale Ausschließungspraxis,                 deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsge-
     die in jeweiligen spezifischen historischen Kon-                 setzes (AGG) hinaus. Diskriminierung ist ein ge-
     texten und Gesellschaftsformen unterschiedlich                   sellschaftliches Phänomen, das auf individuellen,
     in Erscheinung tritt.(1) Rassismus hierarchisiert                strukturellen und institutionellen Ebenen wirksam
     Menschen in unterschiedliche Gruppen, denen                      wird, Ebenen, zwischen denen ein Wechselver-
     Eigenschaften und Merkmale zugeschrieben wer-                    hältnis besteht.
     den. Er konstruiert ein „Wir“ und ein „Die Ande-
     ren“, wertet eine Gruppe auf und eine andere ab.                             DER BERATUNGSANSATZ
     Die Abwertung und die Diskriminierung von Men-
     schen aufgrund konstruierter gruppenspezifischer                 In der Beratung stehen die Perspektiven und
     Merkmale setzt immer die gesellschaftliche Macht                 Bedürfnisse unserer KlientInnen im Mittelpunkt.
     einer Mehrheit über eine Minderheit bzw. über eine               Die Betroffenen werden ernst genommen und
     marginalsierte Gruppe voraus. Diskriminierung                    parteilich in ihrer Auseinandersetzung und ihrem
     liegt dann vor, wenn Menschen, die einer margi-                  Umgang mit Alltagsrassismus und rassistischer
     nalisierten Gruppe angehören, weniger Zugänge                    Diskriminierung gestärkt und unterstützt. Die Op-
     zu Ressourcen und weniger Chancen auf Teilhabe                   ferperspektive bietet in diesem Rahmen eine auf-
     in einer Gesellschaft erhalten.                                  suchende Beratung im ganzen Land Brandenburg
     Mit der Definition des Antidiskriminierungsver-                  an. Sie ist vertraulich, kostenlos, barrierefrei und
     bandes Deutschland (advd) beschreiben wir Dis-                   mehrsprachig.
     kriminierung als „Unterscheidung, Ausschluss,                    Wir unterstützen Betroffene in der Entwicklung von
     Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel                      Strategien, die darauf zielen, sich gegen Diskrimi-
     oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichbe-                   nierung zur Wehr zu setzen. Über die Beratung
     rechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben                     hinaus beinhaltet dies auch die für die Betroffenen
     von Menschenrechten und Grundfreiheiten im                       parteiliche Intervention in die Kontexte, in denen
     politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kultu-                  Diskriminierung stattfindet. Eine solche parteiliche
     rellen oder jedem sonstigen Bereich des öffent-                  Intervention setzt eine von staatlichen Stellen un-
     lichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.                abhängige Organisation voraus.
     Diskriminierung trifft Menschen aufgrund ihrer                   Die Beratung ist auf die Zielgruppe der Betroffenen

     1) Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus. Hamburg 2000. S.11.
     2) Vgl. Eckpunktepapier des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd): Standards für eine qualifizierte Antidiskriminie-
     rungsberatung. Berlin 2010. S.5.
11
von rassistischer Diskriminierung spezialisiert.      Fall. Mit den Geschädigten werden Bewältigungs-,
Gleichwohl hat sie sich einer merkmals- und ziel-     Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten erör-
gruppenübergreifenden Perspektive verschrieben.       tert. Wenn nötig, vermitteln wir zu spezialisierten
Für die Zukunft setzen wir auf ein zu entwickeln-     RechtsanwältInnen, PsychologInnen und weiteren
des Antidiskriminierungsnetzwerk für das Land         KooperationspartnerInnen und ziehen weitere Ex-
Brandenburg, das den horizontalen Ansatz mit          pertInnen und UnterstützerInnen hinzu.
einem Netz miteinander verzahnt arbeitender Be-       Intervention: Selten bleibt es bei Gesprächen über
ratungsstellen zu allen Diskriminierungsmerkma-       das Erleben und die Bewältigung von Rassismu-
len verwirklicht.                                     serfahrungen. In den meisten Fällen erhoffen sich
Die individuelle Auseinandersetzung der Betrof-       Betroffene Unterstützung in Form einer Interven-
fenen ergänzen wir als Antidiskriminierungsbera-      tion, wollen konkret gegen eine diskriminierende
tung um eine gesamtgesellschaftliche Dimension.       Person oder Stelle vorgehen.
Über die Einzelfallberatung und -unterstützung        Die Wahl der Mittel und Wege der Auseinander-
hinaus, gehört es zu den Aufgaben der Antidis-        setzung hängen vom Ziel der Betroffenen ab. Sie
kriminierungsberatung, gesellschaftliche Macht-       entscheiden, was sie erreichen möchten. Soll
verhältnisse und Muster von Diskriminierung           die diskriminierende Person/Stelle aufhören, zu
zu identifizieren, zu analysieren und sichtbar zu     diskriminieren, geht es darum Gleichbehandlung
machen. Durch die öffentliche Thematisierung          herzustellen? Manche Betroffenen möchten, dass
von rassistischer Diskriminierung wird zur gesell-    Einsicht gezeigt und sich in Zukunft bewusster mit
schaftlichen Aufklärung und Auseinandersetzung        der Benachteiligung auseinandergesetzt wird, an-
mit Rassismus und Diskriminierung beigetragen.        dere bestehen auf eine straf- bzw. zivilrechtliche
                                                      Ahndung. Manchmal geht es auch um eine Ent-
          DER BERATUNGS- UND                          schuldigung oder darum, die Öffentlichkeit über
        UNTERSTÜTZUNGSPROZESS                         die Benachteiligung zu informieren oder sie zu
                                                      dokumentieren. Es gibt aber auch Fälle, in denen
Unser Beratungsangebot besteht aus den vier           die Betroffenen einfach nur noch Weg finden wol-
Elementen Beratung, Intervention, Empowerment/        len, der diskriminierenden Situation zu entfliehen.
Vernetzung und Dokumentation.                         Um das gewünschte Ziel zu erreichen, sind ver-
Beratung: Der Anlass für Menschen, unsere Bera-       schiedene Schritte denkbar. Je nach Situation
tung zu suchen, ist meist nicht die erste Erfahrung   handelt es sich um das Recherchieren und Sam-
von Diskriminierung, sondern die Eskalation einer     meln von Informationen, Indizien oder Beweisen
Situation bzw. die eine Rassismuserfahrung zu         bzw. die Suche nach ZeugInnen oder die konkrete
viel, nach der sich Betroffene entscheiden, aktiv     Untersuchung einer Situation durch z. B. Testings,
zu werden. Häufig aktualisieren sich mit dem Er-      mit dem Ziel, diskriminierende Praxen eines Un-
lebten eine Reihe früherer Erfahrungen.               ternehmen oder einer Institution zu beweisen.
Der Beratungsprozess beginnt mit einem Erstge-        Möglich ist auch die Kontaktaufnahme mit dem
spräch, in dem das Erlebte und der individuelle       Ziel von Vermittlungsgesprächen/Verhandlungen.
Umgang damit systematisch besprochen und              Gegebenenfalls geht es darum, eine Beschwerde
analysiert werden. Es werden Indizien und An-         an die diskriminierende Person/Stelle zu richten
haltspunkte für eine Diskriminierung diskutiert       oder weitere Verantwortliche, wie Betriebsräte,
sowie Erwartungen und Ziele des Beratungspro-         Verbände, Ämter, Ministerien oder politische Ak-
zesses besprochen. Dem Erstgespräch folgen            teure hinzuzuziehen.
die weitere Analyse und genaue Recherchen zum         Eine weitere Option ist der Gang zu Gericht. Juris­
12
     tische Grundlagen sind dabei unter anderen das       werden. Dies trägt zur Qualitätssicherung und
     AGG, der Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3     Weiterentwicklung der Beratung bei. Durch die
     Absatz 3 des Grundgesetzes und in Artikel 12 Ab-     Erfassung können aber auch gesellschaftliche
     satz 2 der Brandenburger Landesverfassung. Ne-       Muster von Diskriminierung identifiziert, analy-
     ben der Öffentlichkeitsarbeit zu einem konkreten     siert und in die Öffentlichkeit transportiert werden.
     Diskriminierungsfall oder seiner Skandalisierung     Gleichzeitig bedeutet für viele Betroffene die an-
     ist darüber hinaus in Betracht zu ziehen, gesell-    onymisierte Dokumentation vor allem eine Aner-
     schaftliche UnterstützerInnen zu mobilisieren und    kennung der erfahrenen Ungleichbehandlung.
     Solidarisierungsprozesse zu aktivieren oder Be-
     troffeneninitiativen zu initiieren.
     Die verschiedenen Möglichkeiten werden gemein-       Nadja Hitzel-Abdelhamid ist Projektleiterin der
     sam diskutiert, Vor- und Nachteile abgewogen.        Antidiskriminierungsberatung Brandenburg/Op-
     Es geht darum, auf Chancen und Risiken hinzu-        ferperspektive e. V., der aufsuchenden Beratung
     weisen und zu klären, welchen Weg Betroffene         für Betroffene von rassistischer Diskriminierung.
     tatsächlich einschlagen wollen und können. Sich
     gegen Diskriminierung zu wehren, kostet Energie,
     Zeit und Kraft. Es bedeutet auch, sich mit dem
     Erlebten länger beschäftigen zu müssen. Was
     unternommen wird, entscheiden deshalb die Be-
     troffenen.
     Empowerment und Vernetzung: Wie mit Rassis-
     mus- und Diskriminierungserfahrungen umge-
     gangen werden kann, ist immer wieder Thema
     im Beratungsprozess. Helfen kann, sich damit in
     Gesprächsrunden, Workshops und Trainings aus-
     einanderzusetzen oder sich als Betroffene zu ver-
     netzen. Empowerment bedeutet Selbstbefähigung
     und Selbstermächtigung und meint die Aktivie-
     rung eigener Potenziale. Im geschützten Rahmen
     können Rassismus- und Diskriminierungserfah-
     rungen ausgesprochen und Umgangsstrategien
     ausgetauscht, reflektiert und erweitert werden.
     Interessierte werden von uns darin bestärkt, ihre
     Interessen eigenmächtig und selbstbestimmt zu
     vertreten.
     Dokumentation: Stimmen die Betroffenen zu, wer-
     den in anonymisierter Form die Fälle von Diskrimi-
     nierung dokumentiert. Durch ihre systematische
     Erfassung und Auswertung sollen der Fallverlauf
     und die Ergebnisse unseres Beratungs- und Un-
     terstützungsprozesses nachvollziehbar gemacht
14                                     DISKRIMINIERUNG
                                          ... bei der Arbeit:
                        »Wir wurden jeden Tag
                     schikaniert und beleidigt«

     D   as Essen ist lecker, das Restaurant läuft gut.
         Trotzdem ist in dem Lokal am Rande von
     Potsdam ganz und gar nicht alles in Ordnung.
                                                           ihr Aufenthaltsstatus nicht mehr gesichert ist. Das
                                                           erhöht den Druck zusätzlich.
                                                           Erol und Diab hoffen nun, durch ein Gericht Recht
     Fünf Leute arbeiten in der Küche, vier weitere im     zu bekommen. Die Chancen dafür stehen gar nicht
     Service. „Das Arbeitsklima war mehr als misera-       schlecht, wie uns Frauke Steuber erklärt. Sie ist
     bel“, berichtet Diab. Er hat bis vor Kurzem hier      Rechtsanwältin in Berlin, war bisher unter ande-
     gearbeitet, zunächst im Service, später in der Kü-    rem im Netzwerk Berliner Anwältinnen und Anwäl-
     che. „Das war kein Zufall“, meint er und erzählt      te gegen Diskriminierung aktiv, das unter anderem
     uns, dass diejenigen, die sich über die Situation     Fälle wie den von Erol und Diab bearbeitet. „Im
     am Arbeitsplatz beschwerten, grundsätzlich in die     Arbeitsrecht“, so die Anwältin, „kann man errei-
     Küche verbannt wurden.                                chen, dass die erlittene Diskriminierung in Form
     „Damit aber nicht genug“, ergänzt sein Kollege        eines Schmerzensgeldes entschädigt wird.“
     Erol. „Wir wurden massiv unter Druck gesetzt,         Darum geht es Erol und Diab aber gar nicht. Ihnen
     wenn wir uns beschweren wollten“, erinnert er         ist wichtig, dass Betreiber und Geschäftsführerin
     sich. Der Druck kam jedoch nicht von den Kolle-       für die Diskriminierungen bestraft werden. Selbst
     gen, sondern von dem Betreiber des Restaurants        beim Gang vor ein Gericht ist eine Wiedereinstel-
     sowie der Geschäftsführerin. Zusätzlich wurde mit     lung unwahrscheinlich. „Das will ich aber auch gar
     Kündigung gedroht. „Es war wirklich schlimm. Die      nicht“, meint Diab, und auch Erol kann sich nicht
     fünf Leute aus der Belegschaft, die keine Deut-       vorstellen, noch einmal für seinen ehemaligen
     schen waren, wurden jeden Tag schikaniert und         Arbeitgeber tätig zu werden. „Aber sich zu weh-
     beleidigt“, bestätigt Diab.                           ren, ist wichtig“, erzählt er uns. „Ich habe mich
     Anders als die Kollegen nehmen Diab und Erol die      vor Kurzem mit Adam und Nazim getroffen. Im
     Diskriminierungen nicht schweigend hin, sondern       Moment überwiegt die Angst vor Arbeitslosigkeit
     setzen sich zur Wehr. „Dann ging es richtig los“,     und den Konsequenzen für den Aufenthalt. Aber
     berichtet Diab. „Uns beiden wurde gekündigt, die      wenn Adam, Nazim und Krystian merken, dass
     anderen wurden massiv unter Druck gesetzt und         es was bringt, Diskriminierung nicht stillschwei-
     eingeschüchtert.“ Erol erzählt uns von seinen         gend zu erdulden, ist das bestimmt ein wichtiges
     Kollegen: „Das sind echt nette Jungs – Krystian,      Signal für sie.“ Auch Diab hofft, dass die drei sich
     Adam und Nazim. Aber von denen sagt keiner            dann endlich gegen die Diskriminierung wehren.
     was.“ Diab ist immer noch außer sich: „Die trauen     „Schließlich hat sich an den Zuständen im Restau-
     sich nicht! Die lassen das alles über sich ergehen,   rant, seit wir weg sind, nichts geändert – eher im
     weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Wen     Gegenteil“, fügt er hinzu.
     wundert das? Bei Erol und mir wurde da ja nicht       In anderen Fällen sind es durchaus auch mal die
     lange gezögert.“ Den Arbeitsplatz zu verlieren,       Kollegen, die diskriminieren, wissen wir aus Erzäh-
     kann für manche Mitarbeiter bedeuten, dass auch       lungen von Ratsuchenden. „In so einem Fall muss
15
der Arbeitgeber in Haftung genommen werden. Er          gibt es im Arbeits- und Zivilrecht eine eindeutige
muss dafür sorgen, dass es am Arbeitsplatz nicht        gesetzliche Grundlage, um sich zu wehren. Das
zu Diskriminierungen kommt“, bestätigt Frauke           sieht auch Frauke Steuber so. „Da ist jetzt vieles
Steuber. Auch wenn es manchmal mühsam und               sehr viel klarer und damit auch einfacher gewor-
langwierig ist, lohnt es sich, im Fall von Diskrimi-    den, obwohl das Gesetz an einigen Stellen durch-
nierung die juristischen Möglichkeiten zu prüfen.       aus noch verbesserungsfähig ist.“
Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

                    ... in der medizinischen Versorgung:
            »Ich fühlte mich der Situation
                 völlig ausgeliefert«

„I   ch war gerade beim Einkaufen“, erzählt uns
     Michal. Ein Freund hatte ihn auf uns auf-
merksam gemacht. „Auf einmal hatte ich starke
                                                        einen Operationsschnitt unter dem Arm. Ich hatte
                                                        keine Ahnung, was passiert war und fühlte mich
                                                        der Situation völlig ausgeliefert.“
Schmerzen, irgendwo zwischen Arm und Brust.             Vom Krankenhauspersonal erfährt er nichts über
Es hat total gekribbelt und ich hatte gar keine Kraft   seinen Zustand. Eine Schwester spricht zwar kurz
mehr im linken Arm.“ Eine Verkäuferin ruft einen        mit ihm, aber er kann sie nicht verstehen. Irgend-
Krankenwagen, Michal wird ins nächste Kranken-          wann kommt ein unbekannter Arzt, auch er spricht
haus eingeliefert.                                      kurz mit ihm. Michal versteht nur, dass irgendetwas
Das Personal dort ist zunächst hektisch, dann           entfernt wurde. „Ich habe immer wieder versucht,
wird er auf einer Liege in einen abgelegenen Be-        deutlich zu machen, dass ich die Sprache nicht
reich gefahren, muss erstmal warten. Nach einer         spreche. Aber ich wurde einfach übergangen.“ Am
Weile kommt eine Ärztin. Michal spricht kaum            nächsten Tag wird Michal entlassen. „Ich war total
deutsch und versucht die Ärztin darauf aufmerk-         verwirrt“, sagt er und berichtet uns, dass er danach
sam zu machen, dass er eine Übersetzungshilfe           gleich zu seinem Hausarzt gegangen ist. „Der wun-
braucht. Doch die Ärztin geht nicht darauf ein,         derte sich zwar ein bisschen und fragte nach einem
sondern drängt Michal stattdessen dazu, Formu-          Arztbrief. Aber als ich sagte, dass ich so was nicht
lare zu unterschreiben, die er nicht lesen kann.        bekommen hatte, hat er sich auch nicht wirklich
Dann verabreicht sie ihm Medikamente und Michal         weiter gekümmert.“ Als der Arztbrief schließlich bei
schläft ein.                                            seinem Arzt ankommt, erfährt Michal, dass er eine
„Ich weiß noch, dass ich wahnsinnige Angst hat-         Entzündung in der Achselhöhle hatte und sich dort
te, dass ich sterben könnte“, erinnert er sich. „Als    ein Abszess gebildet hatte. Der Abszess hatte neu-
ich die Augen wieder aufmachte, war alles wie im        trales Gewebe in Mitleidenschaft gezogen, deswe-
Traum. Zuerst wusste ich gar nicht, wo ich bin. Ich     gen die Schmerzen und der Funktionsverlust. „Das
hatte immer noch Schmerzen, dann entdeckte ich          war wirklich schlimm“, sagt Michal heute. „Die
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     haben mir Gewebe entnommen und ich dachte die        Krankenhausleitung, „werden wir Patienten mit
     ganze Zeit: Michal, jetzt hast Du Krebs.“            Sprachschwierigkeiten zukünftig Kopien ihrer Arzt-
     Nachdem Michal uns von dem Vorfall berichte-         briefe mitgeben, damit sie sich diese übersetzen
     te, wendeten wir uns an das Krankenhaus. Die         und erklären lassen können.“ Auch wenn das an
     Krankenhausleitung reagierte auf die Beschwerde      Michals Erfahrungen nicht mehr ändern kann, ist
     mit einer ausführlichen und ernsthaften Entschul-    er trotzdem zufrieden: „Es gibt einem ein gutes Ge-
     digung. Uns wurde versprochen, dass sie das          fühl, wenn eine solche Institution eigene Fehler und
     Personal auf die durchaus vorhandenen Dolmet-        eigenes Versagen zugibt.“
     scherlisten hinweisen würden. „Außerdem“, so die

                                           ... beim Sport:
                         »Ich denke immer:
                     Mach bloß keine Probleme!«

     V   or einiger Zeit wurde Akil Opfer einer rassis­
         tischen Gewalttat und wandte sich an die Be-
     ratung für Opfer rechter Gewalt der Opferperspek-
                                                          haben ja auch als 1. Herren in der Brandenburg­
                                                          liga gespielt.“ Akil bekommt nichts, traut sich aber
                                                          nicht, sich zu beschweren. „Dann habe ich bei
     tive. Während der Beratung erwähnte er beiläufig,    einem Spiel eine rote Karte bekommen. Dumme
     dass er aktuell auch Diskriminierung erlebe. Daher   Sache, ich habe den Torwart gefoult und wurde
     wurde Akil zu unserer Antidiskriminierungsbera-      zwei Monate gesperrt.“ Darüber hinaus musste
     tung weiterverwiesen.                                sein Verein ein Bußgeld zahlen. „Daraufhin sollte
     „Von klein auf wollte ich immer nur Fußball spie-    ich die Strafe abarbeiten. Das war sonst bei uns
     len. Das ist einfach mein Leben!“ Akils Augen        nicht üblich.“
     fangen an zu leuchten, wenn er über den Sport        Zu dieser Zeit wurde Akil von zwei anderen Fuß-
     spricht. Um so bitterer waren die Erfahrungen mit    ballvereinen angesprochen - er spielte gut, man
     seinem früheren Verein. Akil lebt zwar seit Jahren   wollte ihn abwerben. „Ich wollte über den offi­
     in Brandenburg, sein Aufenthaltsstatus ist jedoch    ziellen Weg wechseln“, erklärt er. Daher wand-
     nicht gesichert. „Meine ganze Situation hat dazu     ten sich die Vereine schriftlich an seinen Verein,
     beigetragen, dass ich immer denke: Mach bloß         doch die Angebote kamen angeblich nie an. Im
     keine Probleme!“                                     Laufe unserer Beratung entschied sich Akil dazu,
     Zunächst ist Akil glücklich, dass der Verein ihn     den Verein über eine Kündigung zu wechseln. Als
     so schnell aufnimmt. Er spielt gut, im Angriff als   Grund gab er an, sich diskriminiert zu fühlen.
     Mittelstürmer. „In der letzten Saison habe ich die   „Das passte dem Verein gar nicht“, so Akil. Anstatt
     meis­ten Tore in meiner Mannschaft geschos-          sich mit den Vorwürfen auseinanderzu­setzen, gab
     sen“, erzählt er stolz. „Aber irgendwann habe        der Verein seinen Spielerpass mit einem nega-
     ich gemerkt, dass die anderen Preisgelder und        tiven Eintrag an den Landesverband zurück und
     Aufwandsentschädigungen bekamen. Naja, wir           forderte von ihm die Zahlung angeblich nicht
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geleisteter Beiträge. „Der Gipfel war aber, dass     gleich gesagt, dass ich immer zu ihnen kommen
der Verein dann überall verbreitete, er hätte mich   kann, wenn was ist. Und sie haben mir sogar eine
rausgeworfen!“                                       Mitfahrgelegenheit organisiert, damit ich nach
Nachdem der Verein auf Akils Kontaktversuche         dem Training nicht allein an irgendeiner Bushalte-
nicht reagierte, wünschte er sich Unterstützung      stelle sitzen muss.“
durch uns. Er wollte sich das Verhalten des Ver-     Rassismus erlebt Akil heute woanders: „Bei den
eins nicht weiter gefallen lassen. Durch unsere      Spielen muss man sich schon einiges gefallen
Vermittlung kam es zwar zu Gesprächen zwischen       lassen, vor allem von den Zuschauern.“ Auch
Akil und dem Verein, eine Entschuldigung oder        Sexismus und Homophobie seien in diesem Zu-
ähnliches gab es jedoch nicht. Heute spielt Akil     sammenhang wichtige Themen, meint Akil. „Mei-
bei einem anderen Verein. „Ich bin echt glücklich,   ne Mannschaft und mein Verein stehen hinter mir.
dass ich gewechselt habe“, erzählt er uns. „In       Und wir machen alle den Mund auf, wenn wir
meinem jetzigen Verein ist alles anders: Mir wurde   dumme diskriminierende Sprüche hören.“

                                    ... in der Schule:
     »Ich wäre gern länger zur Schule
   gegangen, aber es ging einfach nicht
                  mehr.«

„M       eine Schwester hat sich durch diese Sa-
         che schon ganz schön verändert“, erzählt
uns Rumina und blickt dabei auf die 16-jährige
                                                     die Situation schließlich: Severina wird vor der
                                                     versammelten Schule von einer Mitschülerin an-
                                                     gegriffen. Dabei zeigte die Angreiferin gleich zwei-
Severina. „Früher hab ich immer gleich den Mund      mal den „Hitlergruß“.
aufgemacht, wenn irgendwas war“, bestätigt sie.      „Keiner hat was unternommen“, erinnert sich
„Naja, mittlerweile lässt Du Dir aber auch nicht     Severina. „Das fand ich fast genauso schlimm
mehr alles gefallen. Zum Glück bist Du fast wieder   wie die Schläge.“ Severina wurde aufgrund ih-
die alte Severina!“, entgegnet Rumina und zwin-      rer Verletzungen krankgeschrieben. Als sie in die
kert ihrer Schwester zu.                             Schule zurückkam, wurde sie sehr feindselig auf-
Schon seit vielen Jahren wohnen die beiden           genommen. Ein Grund dafür war, dass die Polizei
Schwestern mit ihren Eltern in einer Kleinstadt      in der Zwischenzeit mehrere LehrerInnen wegen
in Süd-Brandenburg. In der Schule wurde Seve-        des Vorfalls vernommen hatte. „Die Situation war
rina vom ersten Tag an rassistisch beleidigt und     unerträglich. Ich wäre gern länger zur Schule ge-
ausgegrenzt. „Ich bin anfangs selbst zur Schullei-   gangen, aber es ging einfach nicht mehr.“
tung gegangen und habe mich über das Verhalten       Nachdem Severina die Schule verlassen hatte,
gegenüber meiner Tochter seitens der Mitschüle-      meldete sie sich bei uns. Wir suchten das Ge-
rInnen beschwert - leider ohne Erfolg“, berichtet    spräch mit der Schule, um den Vorfall zumindest
uns Severinas Vater. Bei einem Schulfest eskaliert   aufzuarbeiten. Wir stießen jedoch auf eine Wand
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     von Abwehr. In dem Gespräch mit der Schullei-          „Nicht so empfindlich ist gut“, meint Severina, als
     terin und dem Klassenlehrer wurde bestritten,          wir sie darauf ansprechen. „Der Junge hat sich
     dass es den Angriff in dieser Dramatik überhaupt       nicht getraut, sich zu wehren. Ich habe ihn ein
     gegeben hatte. Schließlich, so wurde uns erzählt,      paar Mal gefragt: Wieso lässt Du Dir das alles ge-
     sei Severina ja auch nicht gerade ein Unschulds-       fallen? Da hat er nur mit den Schultern gezuckt.“
     lamm. Im Gegenteil: Während ihrer Schulzeit sei        Als die Schule alle weiteren Gesprächsversuche
     sie wiederholt durch rebellisches Verhalten aufge-     ablehnt, bittet uns Severina, nichts weiter zu un-
     fallen. Außerdem sei sie „emotional und von ih-        ternehmen. „Vielleicht hat mein Vater ja recht: Be-
     rer Entwicklung her hinterher gewesen“. Was die        schweren bringt nichts.“ Allerdings hat sich nach
     rassistischen Beleidigungen angeht, dürfe man          der ganzen Geschichte eine ehemalige Mitschüle-
     sich nicht immer alles so zu Herzen nehmen. Ein        rin bei ihr gemeldet, um ihr zu sagen, dass sie auf
     anderer Schüler mit migrantischem Hintergrund          Severinas Seite sei. „So gesehen bringt es also
     sei da im Gegensatz zu Severina auch nicht so          doch was, den Mund aufzumachen“, sagt sie und
     empfindlich, hieß es.                                  schmunzelt.

                                          ... auf der Straße:
              »Ich wollte für mich einen Punkt
              setzen, an dem ich sage: Stopp!«

     „I   ch hatte das Auto vor meinem Haus geparkt,
          um Getränke auszuladen“, erinnert sich Joel.
     „Mir ist einfach der Kragen geplatzt. Ich dachte
                                                            die vor seinem Haus stattgefunden hat, auch als
                                                            eher harmlos. „Als ich die Getränkekisten auf den
                                                            Gehweg stellte, kam ein Mann vorbei und regte
     mir, dieses Mal schluck ich das nicht einfach          sich fürchterlich auf“, erinnert er sich. „Zuerst
     runter.“ Nachdem Joel bei der Polizei Anzeige er-      schimpfte er nur darüber, dass man da ja gar nicht
     stattet hatte, kam er zu uns. „Ich habe vorhin in      durchkäme.“ Joel entschuldigt sich zunächst, er-
     eure Broschüre über Alltagsrassismus in Potsdam        klärt ihm, dass er nur kurz das Auto ausladen
     reingelesen“, meint er. „Einige von den dort ge-       will. „Aber der Mann hörte gar nicht wieder auf.
     schilderten Fällen kommen mir durchaus bekannt         Er wurde immer aggressiver, schrie mich an und
     vor.“ Er blickt zum Fenster. „Ich weiß, so wie mir     beleidigte mich auf wirklich üble rassistische Art
     geht es vielen.“ Und er fügt hinzu: „Es ist bitter,    und Weise.“
     aber Rassismus gehört offensichtlich zu meinem         Joel geht zur Polizei. „Viel konnte ich mit der
     Alltag - und zu dem vieler anderer auch.“              Anzeige nicht bewirken, aber darum ging es mir
     Es ist schon häufiger vorgekommen, dass er auf         auch gar nicht“, erzählt er uns. „Ich habe das
     der Straße beleidigt wurde. Aus diesem Grund hat       hauptsächlich für mich selbst getan. Ich wollte für
     er gelernt, frühzeitig zu erkennen, wann eine Situa-   mich einen Punkt setzen, an dem ich sage: Stopp,
     tion eskaliert. Daher bezeichnet Joel die Situation,   jetzt muss ich was unternehmen.“ Jede Diskrimi-
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