FÜR MORGEN BEFÄHIGEN - Stifterverband

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FÜR MORGEN BEFÄHIGEN - Stifterverband
Hochschul-Bildungs-Report 2020

                      FÜR MORGEN BEFÄHIGEN

                                  Jahresbericht 2019

In Kooperation mit:
FÜR MORGEN BEFÄHIGEN - Stifterverband
INHALT

EINLEITUNG                                                                          02

01 WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT?                                   06

  1.1   Einleitung                                                                  06
  1.2   Das Future-Skills-Framework: 18 Fähigkeiten in drei Kategorien              07
  1.3   Der Qualif izierungsbedarf bis 2023                                         10
  1.4   Zwischenfazit und Empfehlungen                                              14

02 FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN                                  15

  2.1 Künftige Herausforderungen für die Personalarbeit                             15
  2.2 Personalentwicklung: Mehr Zeit für Weiterbildung                              16
  2.3 Zwischenfazit und Empfehlungen                                                21

03 HOCHSCHULEN ALS LERNORT FÜR FUTURE SKILLS                                        22

  3.1   Future-Skills-Bedarfe: Strategien von Hochschulen                           23
  3.2   Konzipierung neuer Studiengänge                                             24
  3.3   Weiterentwicklung der Curricula                                             26
  3.4   Vermittlung von Data Literacy                                               26
  3.5   Schaffung neuer Lernumgebungen und agiler Innovationsräume                  27
  3.6   Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter                   28
  3.7   Nutzung von Plattformen für lebenslanges Lernen                             29
  3.8   Neue Formen der Zertif izierung und Kompetenznachweise entwickeln           29
  3.9   Zwischenfazit und Empfehlungen                                              32

04 VON EDUCATION-START-UPS LERNEN                                                   33

  4.1   Education-Start-ups als wichtige Vermittler von Future Skills               33
  4.2   Technologische Future Skills als Schwerpunktthema von Education-Start-ups   35
  4.3   Anwendungsorientierung als attraktives Wertversprechen                      35
  4.4   Niedrige Einstiegsbarrieren durch alternative Erlösmodelle                  36
  4.5   Zwischenfazit und Empfehlungen                                              37
INHALT                                       1

05 BILDUNGSPL ATTFORMEN ALS LERNORTE FÜR FUTURE SKILLS                                             40

  5.1   Noch eine neue Bildungsplattform? Eine Frage der Betrachtungsweise                         40
  5.2   Die bestehende (inter-)nationale Plattformlandschaft im Kontext des lebenslangen Lernens   41
  5.3   Szenarien für Plattformökosysteme im Zeitalter von Future Skills                           43
  5.4   Erfolgsfaktoren für neue Plattformen                                                       46
  5.5   Empfehlungen                                                                               47

06 DER HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX: ENTWICKLUNG UND HANDLUNGSFELDER                                   49

  Hochschul-Bildungs-Index 2010 bis 2017                                                           49
  Chancengerechte Bildung                                                                          52
  Beruf lich-akademische Bildung                                                                   54
  Quartäre Bildung                                                                                 56
  Internationale Bildung                                                                           58
  Lehrer-Bildung                                                                                   60
  MINT-Bildung                                                                                     62

METHODIK UND DATENGRUNDL AGE                                                                       66

LITERATUR                                                                                          70

IMPRESSUM                                                                                          72
2                                    HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

     EINLEITUNG

     FUTURE SKILLS: FÜR MORGEN BEFÄHIGEN                    Modellen (Bezahlen nur für Premiuminhalte) über
     Welche Fähigkeiten benötigen Menschen für ihr          Abonnements bis hin zur Bezahlung nach Kurser-
     berufliches, aber auch für ihr gesellschaftliches      folg. Der Hochschul-Bildungs-Report untersucht
     Leben in den kommenden Jahren? Wie muss sich           den Erfolg von Education-Start-ups erstmals ge-
     das Bildungssystem entwickeln, um seinen Beitrag       nauer und zeigt die Bereiche auf, wo Hochschulen
     zur Vermittlung dieser Fähigkeiten zu leisten?         von ihnen lernen können.
     Antworten auf diese Fragen bietet der aktuelle
     Hochschul-Bildungs-Report 2020. Mittlerweile
     zum fünften Mal liefert die Untersuchung die           DER HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX:
     relevanten Zahlen zum Status der Hochschulbil-         ­Z ENTRALE ZIELE WERDEN VERFEHLT
     dung in Deutschland – in sechs Handlungsfeldern        Der Hochschul-Bildungs-Index erreicht 2017
     entlang von 70 Indikatoren.                            auf seiner Skala von 0 bis 100 Punkten lediglich
                                                            46 Punkte. Das ist zwar im Jahresvergleich ein
     Fokusthema in diesem Jahr ist das Handlungsfeld        Plus von 5 Punkten, aber viel zu wenig, um das
     Quartäre Bildung, in dem es um wissenschaftliche       Ziel von 70 Punkten zu erreichen, das für die
     Weiterbildung geht. Eine zentrale Erkenntnis:          sechs Handlungsfelder für das Jahr 2017 gesetzt
     Education-Start-ups mischen zunehmend den              wurde. Diese Zahl erreicht nur ein Handlungs-
     Weiterbildungsmarkt auf – auch im akademischen         feld: die Internationale Bildung mit 75 Punkten.
     Bereich. Diese relativ jungen und innovativen Un-      Die Indikatoren in diesem Handlungsfeld weisen
     ternehmen und Onlineplattformen punkten durch          alle darauf hin, dass die Internationalisierung
     ihre aktuellen Future-Skills-Angebote, durch eine      des deutschen Hochschulsystems weiterhin in
     hohe Anwendungsorientierung und durch inno-            einem beachtlichen Tempo voranschreitet. Mit
     vative Erlösmodelle. So bieten acht der zehn um-       47 Punkten liegen die Indikatoren für eine Chan-
     satzstärksten Education-Start-ups technologische       cengerechte Bildung im Mittelfeld – ebenso wie
     Future Skills an. Das Lernen ist häufig projektba-     die Indikatoren des Handlungsfelds Beruflich-
     siert, individualisiert – also auf einzelne Lernende   akademische Bildung (40 Punkte) – und kommen
     oder Gruppen von Lernenden zugeschnitten –             deutlich langsamer als die Internationale Bildung
     und an der Anwendungsrealität orientiert. Die          voran. Der Bereich der MINT-Bildung konnte
     Erlösmodelle halten die monetäre Hemmschwelle          mit einem Plus von 6 Punkten zwar etwas über-
     zumeist niedrig und reichen von Freemium-              durchschnittlich zulegen, bleibt mit 41 Punkten
EINLEITUNG                                             3

aber ebenfalls weit hinter der Zielsetzung von           nehmen Fähigkeiten, die immer wichtiger
70 Punkten zurück.                                       werden.

                                                      Eine für diesen Report durchgeführte Unterneh-
SCHLUSSLICHTER: LEHRER-BILDUNG UND                    mensumfrage belegt, dass der deutschen Wirt-
QUARTÄRE BILDUNG                                      schaft etwa 700.000 Technologie-Spezialisten
Schlusslichter bilden die beiden Handlungsfel-        bereits in den kommenden fünf Jahren fehlen.
der Lehrer-Bildung und Quartäre Bildung. Die          Und: Jeder vierte Erwerbstätige aus der Wirt-
Lehrer-Bildung erreicht 30 Punkte (plus 1) und        schaft hat (Nach-)Schulungsbedarf in digitalen
die Quartäre Bildung 31 Punkte. Im Laufe der          und nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen.
vergangenen zwei Jahre hat der Index nur 4
Punkte hinzugewonnen. Um im Jahr 2020 die
Zielmarke von 100 Punkten zu erreichen, muss          ABBILDUNG 1: SKILLS-PYRAMIDE
der Wert eines Handlungsfeldes aber jährlich um
10 Punkte zulegen. Konkret heißt das: Fast kein
Indikator im Bereich Weiterbildung hat sich groß
bewegt. Der Anteil der Studierenden im Teilzeit-,
Fern- oder Weiterbildungsstudium verharrt auf
niedrigem Niveau. Der Anteil an weiterbildenden
Masterstudiengängen war sogar rückläufig. Einen
Lichtblick gibt es: Der Anteil der berufsbeglei-                                Technologische
tenden Masterstudiengänge hat sich seit 2013                                      Fähigkeiten
fast verdoppelt. Die Zahlen des Indexes sind
alarmierend, insbesondere da es durch die rasan-
te Veränderung der Arbeitswelt einen enormen
Weiterbildungsbedarf gibt.

                                                                       Digitale               Nichtdigitale
FUTURE SKILLS FÜR DIE ARBEITSWELT                                    Schlüssel-                Schlüssel-
                                                                  qualifikationen            qualifikationen
Durch die fortschreitende Digitalisierung und
Automatisierung verändert sich die Arbeitswelt in
                                                      Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
einer bisher unbekannten Geschwindigkeit. Einige
Fähigkeiten, Kompetenzen und Eigenschaften
werden infolge dieser Veränderungen für die
gesellschaftliche Teilhabe – im Privaten wie im
Beruf – wichtiger, während andere dramatisch
an Bedeutung verlieren. Welche Fähigkeiten und        NEUE WEGE IN DER PERSONAL ARBEIT
Kompetenzen in absehbarer Zukunft konkret an          UND -ENTWICKLUNG
Bedeutung gewinnen werden, haben Stifterver-          Diese Zahlen verdeutlichen: Unsere Gesellschaft
band und McKinsey untersucht. In Zusammenar-          steht vor enormen Herausforderungen. Um die-
beit mit mehr als 40 Personalverantwortlichen ist     sen zu begegnen, ist eine veränderte und daran
dabei ein Framework aus 18 Zukunftskompeten-          angepasste Personalarbeit und -entwicklung
zen, sogenannten Future Skills mit drei Katego­       notwendig. Insbesondere das Thema Weiterbil-
rien entstanden:                                      dung wird an Bedeutung gewinnen. Die digitale
                                                      Transformation als Schlüsseltrend bedeutet
»	
  Technologische Fähigkeiten: technologisches         einen dynamischen und ständigen Prozess der
  Fachwissen, das in Zukunft relevanter wird,         Veränderung, der lebenslanges Lernen als Anpas-
»	
  Digitale Schlüsselqualifikationen: Kompeten-        sungsmechanismus qua Definition voraussetzt.
  zen, um sich in einer digitalisierten Umwelt        Die Analyse der Education-Start-ups zeigt: Einige
  grundsätzlich zurechtzufinden und daran aktiv       Unternehmen im Bereich der Weiterbildung
  teilzunehmen,                                       bedienen bereits erfolgreich die gesteigerte
»	
  Nichtdigitale Schlüsselqualifikationen: Fähigkei-   Nachfrage mit innovativen Konzepten. In Verbin-
  ten wie Adaptionsfähigkeit, Kreativität oder        dung mit Plattformansätzen können nicht zuletzt
  Durchhaltevermögen – aus Sicht der Unter-           Hochschulen von diesen lernen.
4                                    HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

     PERSPEKTIVEN DES WEITERBILDUNGS­                        Säule ihrer Aufgaben strategisch entwickeln.
     SYSTEMS                                                 Dafür ist auch die verstärkte Kooperation mit
     Aus der Analyse der Future Skills sowie aus             Education-Start-ups sinnvoll.
     den Recherchen zur Weiterentwicklung des
     Weiterbildungssystems lassen sich konkrete
     Handlungsempfehlungen für Hochschulen und            EMPFEHLUNGEN FÜR DIE POLITIK
     Politik ableiten.                                    »	Mehr Ressourcen für Lehrinnovationen
                                                          	Politik sollte gezielt Lehrinnovationen finanziell
                                                             fördern und das in allen Bildungsbereichen.
     EMPFEHLUNGEN FÜR DIE HOCHSCHULEN                        Eine Möglichkeit ist es, das Kriterium der
     »	Neue Lerninhalte                                     Innovativität in der öffentlichen Beschaffung
     	Eine zentrale Aufgabe von Hochschulen ist es,         von Weiterbildung stärker zu gewichten. Des
        Menschen auf Leben und Beruf vorzubereiten.          Weiteren sollte die Finanzierung von Educa-
        Wenn sich Lebens- und Berufswelt radikal             tion-Start-ups mit entsprechenden staatlichen
        ändern, müssen die Hochschulen sich ent-             Wagniskapital-Fonds unterstützt werden.
        sprechend anpassen, um ihrer Aufgabe weiter
        gerecht zu werden. Dazu bedarf es der Ein-        »	Befähigung von Hochschulen
        richtung von Studiengängen, die spezifischer      	Wenn Hochschulen neben den Aufgaben
        auf technologische Future Skills ausgerichtet        Ausbildung und Forschung auch verstärkt im
        sind, um Studierenden eine Spezialisierung in        Weiterbildungsmarkt tätig sein sollen, ist zu
        Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Zudem           gewährleisten, dass sie dies auch können. Da-
        sollte Data Literacy – die Fähigkeit der Daten-      her muss Politik hierfür finanzielle Ressourcen
        analyse und -bewertung – als Querschnitts-           zur Verfügung stellen.
        kompetenz in allen Studiengängen etabliert
        werden. Insbesondere in der akademischen          »	Plattformökosysteme unterstützen
        Welt wird diese Fähigkeit von zentraler Bedeu-    	Der immer stärkeren Verbreitung von digitalen
        tung sein. Angesichts der Schnelligkeit von          Insellösungen ist durch anschlussfähige Platt-
        Wissensproduktion und -verfall müssen die            formen für digitale Hochschulbildung zu be-
        Curricula flexibel und anpassungsfähig werden.       gegnen. Die Politik hat dafür Sorge zu tragen,
        Das Verfahren der Systemakkreditierung               dass durch solche Plattformen die einzelnen
        ermöglicht den Hochschulen neue Freiheits-           fragmentierten Bildungsangebote leicht
        grade, die sie nutzen sollten.                       auffindbar und intelligent miteinander vernetzt
                                                             sind. Nationale Konzepte wie beispielsweise
     »	Neue Lernorte                                        das MILLA-Konzept (Modulares Interaktives
     	Kreativität, Kooperation, Agilität – alle diese       Lebensbegleitendes Lernen für Alle, ein Kon-
        Fähigkeiten entwickeln sich besser in ent-           zept für den Aufbau einer nationalen Weiter-
        sprechend eingerichteten physischen oder             bildungsplattform) sind mit entsprechenden
        virtuellen Lernräumen. Hochschulen sollten           europäischen Initiativen zu verzahnen.
        entsprechende Orte für ihre Studierenden
        schaffen.

     »	Positionierung auf dem Weiterbildungsmarkt
     	Egal, wie gut die Hochschulen in der Wis-
        sens- und Kompetenzvermittlung sind oder
        werden – um in einem Bereich up to date zu
        bleiben, bedarf es ständiger Weiterbildung
        auch nach dem Studium. Hochschulen sollten
        als zentrale Orte von Expertenwissen und
        Know-how in der Wissens- und Kompetenz-
        vermittlung stärker als bisher auch in die
        wichtiger werdende quartäre Bildung einbe-
        zogen werden. Sie sollten neben Ausbildung
        und Forschung die Weiterbildung als dritte
EINLEITUNG                                          5

                                   41           46

                  HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX

                  DIE ENTWICKLUNG
                   AUF EINEN BLICK
                            ZIEL FÜR 2017: 70 PUNKTE
46      47                                                                         31
                                                                              27

                              62                75

        35   40                                                          35   41

                                     29        30

 2016                                                                                   2017
                    Zielerreichungsgrad in Punkten (mehr auf Seite 50)
6                                  HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

     01

     WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN
     IN ZUKUNFT BENÖTIGT?

       » Unsere Arbeitswelt und Berufsbilder sind im     » In den kommenden fünf Jahren werden in
          Umbruch, entsprechend verändert sich auch,        Deutschland rund 700.000 Mitarbeiter
          welche Fähigkeiten zukünftig auf dem Arbeits-     mehr benötigt, die über technologische
          markt benötigt werden und gefragt sind.           Fähigkeiten verfügen.

       » Das Framework Future Skills identifiziert       » Mehr als 2,4 Millionen Erwerbstätige müssen
          18 Fähigkeiten in drei Kategorien, die in         in Schlüsselqualifikationen wie agilem Arbei-
          Zukunft an Bedeutung gewinnen.                    ten oder digitalem Lernen befähigt werden.

     1.1 Einleitung

     Unsere Arbeitswelt wird künftig immer mehr von       für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch für die
     digitalen Informationen und Abläufen geprägt.        gesellschaftliche Teilhabe. Doch welche Fähig-
     Herkömmliche Berufsbilder wandeln sich, neue         keiten werden in den Arbeits- und Lebenswelten
     Anforderungsprofile entstehen. Der Umgang            künftig konkret benötigt? Wie groß ist der Bedarf
     mit digitalen Technologien und internetbasierten     der deutschen Unternehmen an diesen Zukunfts­
     Anwendungen wird in fast allen Branchen und          kompetenzen oder auch Future Skills?
     Berufen wichtiger werden. Auch außerhalb der
     Arbeitswelt beeinflussen neue Formen der Inter-      Für Future Skills existieren bereits eine Reihe
     aktion und Wissensproduktion den Alltag und ver-     von Kompetenzkategorisierungen, zum Beispiel
     ändern nahezu alle Lebensbereiche. Angesichts        von OECD, World Economic Forum, McKinsey
     dieser voranschreitenden gesellschaftlichen          Global Institute oder der Ashoka Foundation.
     Transformation wird der kompetente Umgang            Bislang fehlt es allerdings an einem konkreten
     mit digitalen Technologien sowie Kollaborations-     Überblick über die aktuellen Kompetenzbedarfe
     techniken zur zentralen Voraussetzung nicht nur      der Unternehmen in Deutschland. Stifterverband
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT?                                                       7

und McKinsey haben deshalb gemeinsam mit             Frameworks ersetzen. Er zielt vielmehr darauf ab,
Unternehmen die aktuellen Herausforderungen          gegenwärtige Trends und Bedarfe der deutschen
beim Thema Future Skills analysiert und daraus ein   Wirtschaft abzubilden, Kompetenzlücken zu antizi-
Framework der derzeit relevanten Fähigkeiten,        pieren und dadurch kurz- bis m ­ ittelfristige Impulse
Kompetenzen und Eigenschaften erarbeitet.            für Bildungspolitik und (Weiter-)Bildungs­anbieter
Methodisch basiert die Analyse auf einem Mix         zu geben. Das Framework wird in regel­mäßigen
von quantitativen und qualitativen Befragungen       Abständen aktualisiert und neuen Umweltbedin-
(siehe Infokasten unten und auf Seite 14 für         gungen angepasst. Es begleitet die Initiative Future
mehr Informationen zur Methodik). Der Future-        Skills des Stifterverbandes, die sich mit verschie-      INFORMATIONEN
Skills-Rahmen soll keine starre allgemeingültige     denen Programmen für eine bessere Vermittlung            ZUR INITIATIVE:
Kategorisierung sein und die oben genannten          entsprechender Kompetenzen stark macht.                  www.future-skills.net

1.2 Das Future-Skills-Framework: 18 Fähigkeiten in drei Kategorien

Was sind Future Skills? Future Skills werden in      In dieser Definition sind sämtliche Fähigkeiten
dieser Studie definiert als Kompetenzen, Fähigkei-   ausgeklammert, die entweder zu branchen- oder
ten und Eigenschaften, die in den nächsten fünf      fachspezifisch sind oder deren Bedeutung relativ
Jahren für das Berufsleben und/oder die gesell-      zu anderen Fähigkeiten abnehmen wird. Der
schaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden –     Zeithorizont von fünf Jahren (Befragung 2018,
und zwar über alle Branchen und Industriezweige      Prognosejahr 2023) wurde gewählt, da er lang
hinweg. Das heißt: Als Future Skills wird eine       genug ist, um die Effekte bereits heute abseh-
wichtige Teilmenge aller in Zukunft erforderlichen   barer Entwicklungen realistisch einzubeziehen.
Kompetenzen bezeichnet – zum einen zeitlich          Gleichzeitig ist diese Spanne noch kurz genug, um
eingegrenzt auf die kommenden fünf Jahre, zum        trotz der rasanten technologischen Entwicklung
anderen inhaltlich fokussiert auf das Merkmal der    belastbare Aussagen zu diesen Kompetenzen
branchenübergreifend wachsenden Bedeutung.           treffen zu können.

KONTEXT UND METHODIK DER FUTURE-SKILLS-ERHEBUNG
Das Future-Skills-Framework wurde von Stifter-       und Banken. Flankierend wurden 20 leitfaden-
verband und McKinsey erarbeitet. Es liefert den      gestützte Experteninterviews mit Personalver-
analytischen Rahmen für die Programminitiative       antwortlichen aus Unternehmen durchgeführt.
Future Skills des Stifterverbandes. Methodisch       Stets wurde berücksichtigt, dass Unternehmen
basieren die Ergebnisse auf einer Kombination        jeder Größe, von Start-ups über den Mittelstand
aus quantitativem und qualitativem Vorgehen:         bis zu Großkonzernen, in der Stichprobe ver-
Zunächst wurde ein Workshop mit 40 Teilneh-          treten sind. Darüber hinaus basiert die Studie
mern aus Start-ups, etablierten Unternehmen,         auf den bisherigen Erkenntnissen der Initiative
Bildungseinrichtungen sowie aus Politik, Verwal-     Future Skills des Stifterverbandes sowie den
tung und Verbänden veranstaltet. Anschließend        Arbeiten von McKinsey zu diesem Thema.
erfolgte eine standardisierte Onlinebefragung
von insgesamt 607 deutschen Unternehmen aus
der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen
8                                           HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

     ABBILDUNG 2: DIE ZWEIFACHE SKILLS-HERAUSFORDERUNG

     Herausforderung in der Spitze und in der Breite

                                                                          Herausforderung in der Spitze:
                                                                          Spezialisten für den Umgang mit
                                     Technologie-
                                                                          transformativen Technologien werden in
                                      Spezialisten
                                                                          allen Branchen benötigt und sind eine
                                     (zum Beispiel
                                                                          knappe Ressource am Arbeitsmarkt
                                  Big-Data-Analysten,
                                     UX-Designer,
                                  Robotikentwickler)

                                Digitale      Nichtdigitale
                             Schlüssel-       Schlüssel-
                                                                          Herausforderung in der Breite:
                       qualifikationen        qualifikationen
                                                                          Neue Arbeitsformen erfordern ein ver-
                          (zum Beispiel       (zum Beispiel
                                                                          ­ändertes Set an Schlüsselqualifikationen
                         Data Literacy,       Adaptionsfähigkeit,
                                                                           bei allen Mitarbeitern
                         Kollaboration,       unternehmerisches
                      digitales Lernen)       Denken)

     Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019

     Bereits in diesem überschaubaren Zeithorizont                    oder nutzerzentriertes Design) sowie Fähig-
     werden Digitalisierung und neue Arbeitsformen                    keiten für neu entstehende Arbeitsfelder (zum
     die Unternehmen vor zwei H  ­ erausforderungen                   Beispiel Blockchain- oder Smart-Hard­ware-
     stellen, und zwar in der Spitze wie in der B
                                                ­ reite               Entwicklung). Ein besonders großer Bereich
     (siehe Abbildung 2). Das Stellenportfolio ver­                   ist die Fähigkeit zur Analyse komplexer Daten,
     schiebt sich zum einen weiter in Richtung IT-­                   die auch die Entwicklung von künstlicher
     Stellen, deren Besetzung insbesondere in den                     Intelligenz umfasst. Wer Technological Skills
     Bereichen der transformativen Technologien,                      beherrscht, verfügt über neuestes (informa-
     beispielsweise Blockchain oder künstliche Intelli-               tions-)technologisches Fachwissen und kann es
     genz, ein zunehmendes Problem ist. Zum anderen                   praktisch anwenden. Diese Fähigkeiten werden
     verändern sich gleichzeitig für einen Großteil                   über alle Wirtschaftsbereiche hinweg neue Be-
     aller Mitarbeiter die Arbeitsformen und die Tätig-               rufsprofile schaffen, etwa den Data Scientist,
     keitsanforderungen. Viele Mitarbeiter benötigen                  der Datenquellen verknüpft, entschlüsselt und
     deshalb ein verändertes Set an digitalen und                     auswertet. Insbesondere in Start-ups werden
     nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen.                         schon heute viele Berufsprofile durch Techno-
                                                                      logical Skills geprägt.
     Auf Basis der Aussagen von Personalverantwort­
     lichen und unter Einbezug bestehender Skills-                  »	
                                                                      Digital Citizenship Skills als zweite Kategorie
     Frameworks haben Stifterverband und McKinsey                     beinhalten Kompetenzen, durch die Menschen
     ein Future-Skills-Framework entwickelt, das zwi-                 in der Lage sind, sich in einer digitalisierten
     schen drei Arten von Fähigkeiten unterscheidet:                  Umwelt zurechtzufinden und aktiv an ihr teilzu-
                                                                      nehmen. Diese Fähigkeiten werden im Berufs-
     »	
       Technological Skills sind Fähigkeiten, die für die             leben sowie für die gesellschaftliche Teilhabe
       Gestaltung von transformativen Technologien                    in Zukunft benötigt und von Arbeitgebern bei
       notwendig sind. Dazu zählen Fähigkeiten für                    ihren Mitarbeitern zunehmend vorausgesetzt.
       bereits etablierte transformative Technologien                 Dazu zählen die digitale Wissenserschließung
       wie das Internet (zum Beispiel Webentwicklung                  (digital gestütztes Lernen) und der informierte
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT?                                        9

TABELLE 1: DIE FUTURE SKILLS

 KATEGORIE                 SKILLS                        BESCHREIBUNG

                           Komplexe Datenanalyse         Große Datenmengen effizient mit analytischen Methoden untersuchen,
                                                         um Informationen zu gewinnen; dies umfasst auch das Entwickeln von
                                                         künstlicher Intelligenz (KI)

                           Smart-Hardware-/              Physische Komponenten für intelligente Hardware-Software-Systeme
                           Robotikentwicklung            (Internet of Things) wie Roboter entwickeln

                           Webentwicklung                Programmiersprachen zur Back- und Frontend-Entwicklung für
                                                         Webapplikationen (insbesondere mobil) beherrschen

TECHNO­                    Nutzerzentriertes             Produkte so entwerfen, dass sie auf eine optimierte Funktionalität
LOGICAL                    Designen (UX)                 bei intuitiver Anwendbarkeit und somit attraktive Nutzererfahrung
SKILLS                                                   abzielen

                           Konzeption und                Komplexe IT-Infrastruktur, auch in der Cloud, mit Schnittstellen zu
                           Administration vernetzter     weiteren IT-Systemen aufsetzen sowie kontinuierlich verwalten und
                           IT-Systeme                    weiterentwickeln

                           Blockchain-Technologie-       Dezentrale Datenbanken (Distributed Ledgers) mithilfe der Blockchain-
                           Entwicklung                   Technologie aufbauen

                           Tech Translation              Zwischen Technologie-Experten und involvierten Nichtfachleuten
                                                         moderieren

                           Digital Literacy              Grundlegende digitale Skills beherrschen, z. B. sorgsamer Umgang mit
                                                         digitalen persönlichen Daten, Nutzen gängiger Software, Interagieren
                                                         mit künstlicher Intelligenz

                           Digitale Interaktion          Bei Interaktion über Onlinekanäle andere verstehen und sich ihnen
                                                         gegenüber angemessen verhalten (digitaler Knigge)

                           Kollaboration                 Unabhängig von räumlicher Nähe und über verschiedene Disziplinen
                                                         und Kulturen hinweg effektiv und effizient in Projekten zusammenar-
DIGITAL
                                                         beiten, um als Team bessere Resultate als Einzelpersonen zu erzielen
CITIZENSHIP
SKILLS
                           Agiles Arbeiten               In einem für ein Endprodukt verantwortlichen Team iterativ (Rapid
                                                         Prototyping) genau das erarbeiten, was dem Kunden Mehrwert stiftet

                           Digital Learning              Aus einer Vielzahl digitaler Informationen valides Wissen zu ausgewähl-
                                                         ten Themengebieten aufbauen

                           Digital Ethics                Digitale Informationen sowie Auswirkungen des eigenen digitalen
                                                         Handelns kritisch hinterfragen und entsprechende ethische Entschei-
                                                         dungen treffen

                           Problemlösungsfähigkeit       Konkrete Aufgabenstellungen, für die es keinen vorgefertigten
                                                         Lösungsansatz gibt, durch einen strukturierten Ansatz und Urteilskraft
                                                         lösen

                           Kreativität                   Originelle Verbesserungsideen (z. B. für bestehende Geschäftsprozes-
                                                         se) oder Ideen für Innovationen (z. B. für neue Produkte) entwickeln

CLASSIC SKILLS             Unternehmerisches             Eigenständig und aus eigenem Antrieb im Sinne eines Projekts oder
                           Handeln und Eigeninitiative   einer Organisation arbeiten

                           Adaptionsfähigkeit            Sich auf neue (technologische) Entwicklungen einlassen, sie vorteilhaft
                                                         nutzen und auf verschiedene Situationen transferieren können

                           Durchhaltevermögen            Übernommene Aufgaben, z. B. herausfordernde Projekte, fokussiert,
                                                         verantwortlich und auch gegen Widerstände zu Ende führen

Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
10                                    HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

       WAS MEINT WAS? BEGRIFFSERKLÄRUNG
       Die Begriffe Kompetenz, Skill, Fähigkeit,             Kompetenzforschung gibt es Diskussionen über
       Qualifikation und Eigenschaft sind nicht über-        die richtige Abgrenzung der Begriffe. In diesem
       schneidungsfrei und stehen häufig synonym.            Bericht verwenden wir im Folgenden den Begriff
       Alle – der eine mehr, der andere weniger – zielen     Fähigkeiten, jedoch in einem sehr weit gefassten
       auf die Verbindung von Wissen und Können in           Verständnis, das alle in Tabelle 1 aufgelisteten
       der Bewältigung von Handlungsanforderungen            Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und
       ab (BIBB 2019). Innerhalb der Bildungs- und           Eigenschaften umfasst.

         Umgang mit Daten im Netz (Digital Literacy)            vermögen. Wer diese Fähigkeiten mitbringt,
         ebenso wie die Fähigkeit zum kollaborativen            kann sich in neuen Situationen leichter
         Arbeiten. Wer diese Fähigkeiten beherrscht,            zu­rechtfinden sowie Probleme in einer zuneh-
         kann in einer immer stärker digital geprägten          mend unbeständigen und komplexen (Arbeits-)
         Welt kooperativ und agil arbeiten, wirkungsvoll        Welt besser analysieren und lösen.
         interagieren und kritische Entscheidungen
         treffen. Während nur einzelne Personen spe-         Für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist
         zifische Technological Skills benötigen, sollten    die Verknüpfung von Technological Skills, Digital
         Digital Citizenship Skills möglichst von allen      Citizenship Skills und Classical Skills von entschei-
         Menschen beherrscht werden.                         dender Bedeutung. Es genügt nicht, lediglich
                                                             Mitarbeiter zu beschäftigen, die nur einzelne,
       »	
         Classical Skills bilden die dritte Kategorie.       spezifische Fähigkeiten mitbringen. Die Heraus-
         Hier werden Kompetenzen und Eigenschaf-             forderung besteht darin, Personen auszuwählen
         ten erfasst, deren Bedeutung aus Sicht der          oder so zu qualifizieren, dass sie ein möglichst
         Unternehmen in den kommenden Jahren im              umfangreiches Bündel aller der für ihren Arbeits-
         Arbeitsleben zunehmen wird, zum Beispiel Ad-        kontext relevanten Future Skills besitzen.
         aptionsfähigkeit, Kreativität und Durchhalte­

       1.3 Der Qualifizierungsbedarf bis 2023

       Unternehmen stehen angesichts der fortschrei-         für Politik und Bildungsinstitutionen von zentraler
       tenden Digitalisierung und der Entwicklung neuer      Bedeutung. Hierzu gehört auch, quantitative Aus-
       Arbeitsformen vor einer doppelten Herausfor-          sagen über die zukünftigen Bedarfe zu treffen,
       derung: Sie müssen einerseits den Engpass an          da diese als Planungs- und Entscheidungshilfen
       Experten mit Technological Skills bewältigen, die     unverzichtbar sind.
       bereits heute eine knappe Ressource sind und bei
       deren Rekrutierung sich insbesondere klassische       Im Folgenden wird der zukünftige Bedarf an tech-
       Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen            nischen Spezialisten eingeschätzt und anschlie-
       nach wie vor schwertun. Darüber hinaus müssen         ßend der Weiterbildungsbedarf auf Ebene der
       auch dem Großteil der übrigen Belegschaft neue        digitalen und nichtdigitalen Schlüsselqualifikatio-
       digitale und nichtdigitale Schlüsselqualifikationen   nen genauer quantifiziert. In beiden Fällen erfolgt
       vermittelt werden. Ein besseres Verständnis,          die Quantifizierung auf Basis der Onlinebefragung
       welche Fähigkeiten in welchem Ausmaß benötigt         von 607 Unternehmen aus der gewerblichen
       werden, ist daher für Unternehmen, aber auch          Wirtschaft, Versicherungen und Banken.
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT?                                           11

 BIS 2023 WERDEN ZUSÄTZLICH RUND 700.000                         Vertrieb über Forschung und Entwicklung bis
­T ECHNOLOGIE-SPEZIALISTEN BENÖTIGT                              hin zu Personal und Organisation. Aber nicht nur
Für den Bereich der Technological Skills lässt                   in verschiedenen Funktionsbereichen werden
sich aus den Umfrageergebnissen bis 2023 ein                     zukünftig mehr Fachexperten mit Fähigkeiten in
zusätzlicher Bedarf von rund 700.000 Personen                    komplexer Datenanalyse benötigt. Aufgrund der
mit speziellen Technological Skills allein in der                mit der Digitalisierung verbundenen allgemeinen
Wirtschaft ableiten (siehe Abbildung 3). Dieser                  Ausweitung der Möglichkeiten zur Datenerhe-
Bedarf berechnet sich als Differenz zwischen der                 bung entstehen neben datenintensiven Branchen
Zahl von Beschäftigten, die heute schon über                     wie zum Beispiel der Versicherungswirtschaft
einzelne Technological Skills verfügen, und der                  zunehmend neue Geschäftsmodelle, die auf der
Zahl derer, die der Umfrage zufolge in fünf Jahren               Analyse und Interpretation großer Datenmengen
darüber verfügen sollten (zur Methodik siehe                     basieren. Expertise in komplexer Datenanalyse
Infokasten Seite 14).                                            wird daher branchen- und funktionsbereichsüber-
                                                                 greifend zu einer zentralen Schnittstellenfähigkeit
Gliedert man die 693.000 Personen nach den                       in Unternehmen.
zugrundeliegenden Future Skills, so erweist sich
der Bedarf an Personen mit der Fähigkeit zu                      Der Bedarf bei Smart-Hardware-/Robotikent-
komplexer Datenanalyse mit 455.000 Personen                      wicklung wird mit 27.000 Personen deutlich
als mit Abstand größter Posten, der sogar mehr                   geringer eingeschätzt. Eine mögliche Erklärung
als die Hälfte des Bedarfs bei den Technological                 hierfür könnte darin liegen, dass diese Fähigkeit
Skills ausmacht. Dieser hohe Wert deutet darauf                  vergleichsweise nahe an bereits in der Vergan-
hin, dass Unternehmen zukünftig noch stärker als                 genheit wichtigen Skills aus dem Ingenieurwesen
bisher große Datenmengen erheben und verar-                      liegt und hier bereits ein größerer Pool an ent­
beiten werden und dass künstliche Intelligenz, die               sprechend ausgebildeten Mitarbeitern existiert.
auf komplexer Datenanalyse basiert, einen immer                  Aufgrund der anhaltenden und zentralen Be-
größeren Stellenwert einnehmen wird.                             deutung von Software für die Geschäftsmodelle
                                                                 von Unternehmen können die vorliegenden
Der Bereich komplexe Datenanalyse hat da-                        Ergebnisse auch als Beleg für eine mögliche
rüber hinaus auch die größte Bedeutung für                       Fokussierung auf den Bereich Software bezie-
Berufsprofile außerhalb von IT-Abteilungen und                   hungsweise als Beleg für eine Unterschätzung
beeinflusst nahezu alle Funktionsbereiche in                     der Bedeutung von Hardware und Robotik inter-
Unternehmen, angefangen bei Marketing und                        pretiert werden.

ABBILDUNG 3: RUND 700.000 PERSONEN MIT TECHNOLOGICAL SKILLS GESUCHT

Anzahl der Personen mit Technological Skills, die in Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen und
­Finanzen bis 2023 zusätzlich benötigt werden

Gesamt: Technological Skills                                                                                           693.000

Komplexe Datenanalyse                                                                   455.000

Nutzerzentriertes Designen (UX)               79.000

Konzeption und Administration
                                            66.000
vernetzter IT-Systeme

Webentwicklung                              66.000

Smart-Hardware-/
                                        27.000
Robotikentwicklung

Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
12                                    HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

       Für den Bereich der Blockchain-Technologie           Nach Aussagen der Unternehmen kann dieser
       konnte der konkrete Bedarf von Unternehmen           Bedarf auf unterschiedlichen Wegen gedeckt
       vielfach nicht beziffert werden, sodass er nicht     werden: Erstens erfolgt die gezielte Rekrutierung
       in die Berechnung eingeflossen ist. Dass sich die    von Studienabsolventen aus entsprechenden
       Nachfrage bei dieser Technologie besonders dy-       Studiengängen. Zweitens wird die bestehende
       namisch entwickelt, zeigt sich aber beispielsweise   Belegschaft durch entsprechende Weiterbil-
       in Analysen des Onlinejobportals Indeed, einem       dungsmaßnahmen beim Fähigkeitenaufbau
       der größten Jobportale in Deutschland und welt-      unterstützt, zum Beispiel durch Weiterbildungen
       weit. So wurde allein im Jahr 2017 ein Anstieg der   von Maschinenbauingenieuren in Smart Hardware
       veröffentlichten Stellen mit Blockchain-Bezug        und Robotik. Technological Skills werden drittens
       um 625 Prozent verzeichnet, Suchanfragen unter       auch verstärkt in der dualen Ausbildung gelehrt
       Verwendung des Begriffs Blockchain legten im         werden, beispielsweise Webentwicklung oder
       gleichen Jahr sogar um 661 Prozent zu. Auch          UX-Design. Viertens sind deutsche Unternehmen
       wenn dieser sprunghafte Anstieg bislang noch auf     vermehrt auf dem globalen Arbeitsmarkt aktiv
       geringen absoluten Zahlen beruht, zeigt dieses       und werben weltweit um Technologie-Spezialis-
       Beispiel, wie schnell sich neue Technologien auf     ten. Einige Unternehmen geben auch an, dass sie
       das Angebot beziehungsweise die Nachfrage            Technologie-Aktivitäten gezielt an Standorten
       nach bestimmten Qualifikationen auf dem Ar-          in den Ländern ansiedeln, die eine Verfügbarkeit
       beitsmarkt auswirken können.                         von Technologie-Spezialisten gewährleisten
                                                            können. Eine Analyse der Herausforderungen für
       Ausgehend von dem Bedarf in Höhe von                 Personalabteilungen und Bildungseinrichtungen
       700.000 Personen müssen in den kommenden             wird in den Kapiteln 2 und 3 vorgenommen.
       fünf Jahren also jährlich rund 140.000 Personen
       fortgeschrittene Technological Skills erwerben –
       allein für den hier betrachteten Bereich der         SCHLÜSSELQUALIFIK ATIONEN: JEDER VIERTE
       Wirtschaft, der rund 60 Prozent der Erwerbstä-       HAT WEITERBILDUNGSBEDARF
       tigen in Deutschland umfasst. Überträgt man die      Von der Vertriebsleiterin bis zum Sachbearbei-
       Ergebnisse auch auf den Bereich der öffentlichen     ter – der routinierte Umgang mit elektronischen
       Arbeitgeber, steigt der Bedarf an Personen mit       Daten, Grundkenntnisse in Fragen des Daten-
       Technological Skills auf etwa 1,1 Millionen Perso-   schutzes, die kollaborative Zusammenarbeit mit
       nen – ein immenser Qualifikationsbedarf.             anderen, ein beständiges Lernen und weitgehend

                                     693.000
                                              Technologie-Spezialisten
                                              werden bis zum Jahr 2023
                                               in Deutschland gesucht.
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT?                                       13

ABBILDUNG 4: KOLL ABORATIVES ARBEITEN ERWÜNSCHT

Anteil der Mitarbeiter, welche in fünf Jahren diese Kompetenzen beherrschen sollten, in Prozent (Auswahl)

Kollaboration                                                                                                     86

Durchhaltevermögen                                                                                          76

Digital Literacy                                                                                            76

Unternehmerisches Handeln                                                                               74
und Eigeninitiative

Digital Learning                                                                                      72

Agiles Arbeiten                                                                                  66

                                       0      10    20       30       40       50       60       70          80       90   100

Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019

selbstständiges Arbeiten werden allesamt zu                       Bedarf besteht bei der Fähigkeit Digital Learning:
Schlüsselqualifikationen in der Arbeitswelt 4.0.                  Damit in fünf Jahren rund zwei Drittel der Be-
Dieser Befund wird auch vonseiten der befragten                   schäftigten die Fähigkeit zum digitalen Lernen be-
Personalverantwortlichen bestätigt, die überein-                  sitzen, müssen bis dahin 3,8 Millionen Menschen
stimmend davon ausgehen, dass in den digitalen                    weitergebildet werden. Bei rund 2,8 Millionen
und nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen der                   Personen sollten in diesem Zeitraum die digitalen
größte Weiterbildungsbedarf in den kommenden                      Grundkenntnisse (Digital Literacy) vertieft wer-
Jahren liegen wird (siehe Abbildung 4).                           den, ebenso hoch ist der Weiterbildungsbedarf
                                                                  bei Kollaboration und digitaler Interaktion. Der
Die wichtigste Kompetenz, welche die meisten                      geringste Bedarf besteht beim unternehmerischen
Mitarbeiter den Umfrageergebnissen zufolge in                     Handeln, das bei rund 2,4 Millionen Personen
Zukunft benötigen, ist die Fähigkeit zur Kollabora-               trainiert werden sollte.
tion, die zunehmend durch digitale Technologien
unterstützt und geprägt sein wird. Neun von zehn                  Angesichts der Radikalität und des Tempos, mit
Mitarbeitern sollten sie beherrschen können. Je-                  denen Automatisierung und Digitalisierung die
weils rund drei Viertel der Mitarbeiter benötigen                 Arbeitswelt verändern, erscheint dieser Bedarf
digitale Grundkenntnisse und sollten Durchhal-                    zwar hoch, aber dennoch nicht unrealistisch. Die
tevermögen und Eigeninitiative beweisen. Der                      Bedeutung der Weiterbildung hat in den vergan-
Bedarf an Personen, die agil arbeiten können, ist                 genen Jahren kontinuierlich zugenommen und
am geringsten, aber immer noch zwei Drittel der                   der Kreis der Weiterbildungsteilnehmer hat sich
Beschäftigten sollten diese Fähigkeit beherrschen.                ständig vergrößert. 2016 nahm etwa jeder zweite
                                                                  der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildungen teil,
Der Vergleich zwischen den Personen, die heute                    sodass die Deckung des Bedarfs zwar ambitio-
bereits über die einzelnen Fähigkeiten verfügen,                  niert, aber nicht unmöglich erscheint.
und denjenigen, die in fünf Jahren aus Sicht von
Unternehmen darüber verfügen müssten, zeigt
einen hohen Weiterbildungsbedarf. Der höchste
14                                    HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

       Die Qualifizierungslücke im Bereich der über-        ausreichend sein, vielmehr gilt es im Sinne eines
       fachlichen Fähigkeiten lässt sich nur schließen,     lebenslangen Lernens, eine systematische und
       indem Menschen im Berufsleben konsequent             kontinuierliche betriebliche Weiterbildung zu
       und kontinuierlich weitergebildet werden. Hier-      entwickeln.
       für werden punktuelle Schulungen allein nicht

       1.4 Zwischenfazit und Empfehlungen

       Ein Bedarf von rund 700.000 Personen mit             der Bundesagentur für Arbeit zu ergänzen, die
       Technological Skills und ein Weiterbildungsbedarf    sich immer kurzfristiger wandelnden Bedarfe des
       von jeweils mehr als zwei Millionen Personen bei     Arbeitsmarktes kontinuierlich zu analysieren und
       überfachlichen Classical Skills – diese Zahlen       diese Entwicklungen auch öffentlichkeitswirksam
       verdeutlichen die Größe der Herausforderung in       zu kommunizieren. Auf Grundlage dieses konti-
       den kommenden Jahren, vor der Deutschland im         nuierlichen Monitorings könnten Unternehmen
       Bereich der Bildung steht. Dabei ist die hier vor-   und private Weiterbildungsanbieter zudem gezielt
       gelegte Ermittlung des Bedarfs als Annäherung        neue Angebote entwickeln sowie bestehende
       und Versuch einer näherungsweisen Quantifizie-       Inhalte und Formate anpassen. Entscheidend ist,
       rung zu verstehen. Wie auch immer die konkreten      dass sich auch das Bildungs-, Hochschul- und
       Bedarfe in der Zukunft ausfallen werden, schon       Berufsbildungssystem stärker an den zukünftig
       jetzt besteht die Notwendigkeit zum Handeln:         benötigten Fähigkeiten orientiert und entspre-
       Es gilt einerseits, die bestehenden Instrumente      chende Bildungsangebote (weiter-)entwickelt.

       METHODIK DER UMFRAGE UND HOCHRECHNUNG
       DES FUTURE-SKILLS-BEDARFS
       607 Unternehmen, darunter Großunternehmen,           ren aus Sicht von Unternehmen darüber verfügen
       Start-ups sowie kleine und mittlere Unterneh-        müssten. Beispielsweise ergibt sich für die kom-
       men, wurden im Juni 2018 online dazu befragt,        plexe Datenanalyse, dass in fünf Jahren 455.000
       inwieweit ihre Mitarbeiter über einzelne der oben    Spe­zialisten mehr benötigt werden, als heute
       beschriebenen Future Skills verfügen bezie-          in diesem Bereich arbeiten. Die gerundete Zahl
       hungsweise verfügen müssten. Die Schätzungen         700.000 berechnet sich dabei als prozentuale
       der Unternehmen bilden die Grundlage für die         Differenz (Anteil Personen an allen Mitarbeitern,
       Hochrechnung.                                        die Skills in fünf Jahren benötigen werden, ab-
                                                            züglich des Anteils, der ihn heute bereits besitzt)
       Der zusätzliche Bedarf an Technological Skills       multipliziert mit der Gesamtzahl Erwerbstätiger
       ergibt sich als Differenz zwischen den Erwerbs-      der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen
       tätigen der gewerblichen Wirtschaft, Versiche-       und Banken mit hohem Bildungsstand.
       rungen und Banken mit hohem Bildungsstand
       (ISCED 5 und 6), die heute über die einzelnen
       Skills verfügen, und denjenigen, die in fünf Jah-
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN                            15

02

FUTURE-SKILLS-BEDARF:
DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN

   » Die Unternehmen in Deutschland stehen           » Die Unternehmen in Deutschland wollen den
      vor zwei Herausforderungen: genügend               Umfang der Weiterbildung pro Mitarbeiter
      Personal mit technologischen Skills                in fünf Jahren um ein Drittel ausweiten und
      zu ­­re­krutieren und gleichzeitig mittels         die Anzahl der Weiterbildungstage auf fünf
      Weiterbildung neue überfachliche Fähig-            Tage erhöhen.
      keiten der bestehenden Belegschaft zu
      ent­wickeln.                                    » Unternehmen wollen das informelle Lernen
                                                         am Arbeitsplatz deutlich ausweiten.

2.1 Künftige Herausforderungen für die Personalarbeit

Die Zahlen und Fakten aus Kapitel 1 haben ge-         tenzen bedeutsamer. In den USA haben zuletzt
zeigt, wie und in welchem Umfang künftig in der       15 große Firmen sogar den College-Abschluss
Arbeitswelt neue fachliche und überfachliche          als formale Einstellungsvoraussetzung abge-
Fähigkeiten erforderlich sind. Sie vermitteln einen   schafft. Auswahlentscheidend ist dort fortan das
Eindruck davon, mit welch großen Herausfor-           Screening von teils zertifizierten, teils informell
derungen sich Unternehmen in den Bereichen            erworbenen Qualifikationen innerhalb von zuneh-
Personalentwicklung und Personalrekrutierung          mend individualisierten Kompetenzportfolios. Das
in den kommenden Jahren konfrontiert sehen.           macht den Auswahlprozess für die Unternehmen
Interviews mit Personalverantwortlichen zeigen:       aufwendiger und komplexer. Allerdings kommen
Die Mehrzahl der Unternehmen reagiert auf             zunehmend innovative Formate und Instrumente
diese Herausforderung mit einer Ausweitung und        zum Einsatz, mit denen die technischen Mög-
Differenzierung ihrer Rekrutierungsstrategien.        lichkeiten der Digitalisierung nutzbar gemacht
Neben formalen Abschlüssen werden für das             werden (siehe Exkurs auf Seite 18).
jeweilige Unternehmen relevante Mikrokompe-
16                                   HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

       Aufwendiger wird der Rekrutierungsprozess vor       Vordergrund rücken und Arbeitsweisen der New
       allem auch für den Bereich der technischen Spe-     Economy in ihre Unternehmenskultur integrieren
       zialisten. Hier ist ein deutlicher Trend zu einem   können.
       globalen Arbeitsmarkt zu erkennen, auf dem
       Unternehmen zunehmend Mitarbeiter über Län-         Viele Unternehmen aus den zuletzt genannten
       der- und Sprachgrenzen hinweg rekrutieren. Dies     Bereichen haben diese Herausforderungen be­
       erfordert zugleich neue Onboarding-Strategien:      reits erkannt und orientieren sich bei der Ge-
       Interne passgenaue Nachqualifizierungen zum         staltung ihrer Arbeitsumgebungen und Prozesse
       Zeitpunkt der Rekrutierung und kulturelle Inte-     zunehmend an Elementen der Start-up-Kultur.
       grationsprogramme gleich nach dem Einstieg          In den vertiefenden Experteninterviews wurden
       werden an Bedeutung gewinnen.                       hierfür häufig flexible Arbeitszeiten, agile Arbeits-
                                                           und Co-Working-Kulturen sowie Angebote zu
       Zwar war es für Unternehmen noch nie einfach,       ortsungebundener Arbeit und Homeoffice als
       neues Personal mit den richtigen Fähigkeiten        Beispiele genannt. In großen Unternehmen ist
       in ausreichender Anzahl zu finden. Besonders        zudem seit Längerem ein Trend zum Aufbau
       schwierig gestaltet sich dies jedoch gegenwärtig    konzerneigener Start-ups zu beobachten, die sich
       für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)           als Ausweis von Dynamik und neuen Geschäfts-
       in Deutschland, die traditionell nicht zum IT-      modellen gezielt an IT-Spezialisten richten. Solche
       Sektor zählen, aber zunehmend Mitarbeiter mit       Arbeitsplätze kombinieren idealerweise die
       technologischen Fähigkeiten benötigen. So ist       Dynamik eines Start-ups mit modernen Arbeits-
       es für KMU und selbst für sogenannte Hidden         bedingungen, der Arbeitsplatzsicherheit und den
       Champions aufgrund ihrer geringen Größe und         Aufstiegsmöglichkeiten in einem internationalen
       eingeschränkten Bekanntheit oft schwierig,          Großunternehmen. Diese Kombination gibt dem
       eine entsprechende überregionale Sichtbarkeit       Unternehmen die Chance, als besonders attrak­
       zu erzielen und als attraktiver Arbeitgeber bei     tiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
       Absolventen und Fachkräften wahrgenommen zu
       werden.                                             Eine zweite Strategie der Unternehmen, um die
                                                           Future-Skills-Lücke zu schließen, ist ein erheb-
       Daneben ist selbst für größere Unternehmen,         licher Ausbau der betrieblichen Weiterbildung,
       die nicht zum IT-Sektor gehören, die verstärkte     denn auch die bestehende Belegschaft benötigt
       Suche nach Mitarbeitern mit technischen Spezial­    neue überfachliche Fähigkeiten. Die Weiterbil-
       kenntnissen eine besondere Herausforderung.         dung von Mitarbeitern zielt dabei auf die gesamte
       Diese Unternehmen gehören für Absolventen           Bandbreite von Future Skills – von technologi-
       von IT-Studiengängen aufgrund ihrer bisherigen      schen Fähigkeiten über digitale Grundfähigkeiten
       Geschäftsmodelle nicht zu den typischen Arbeit-     bis hin zu klassischen Fähigkeiten – und nutzt
       gebern, stehen aber mit ihnen im direkten Wett-     innovative Weiterbildungsformate (siehe Kapitel
       bewerb um die besten Talente. Diese etablierten     2.2 und 3).
       Unternehmen sind in besonderem Maße auf
       Aktivitäten in den Bereichen Employer Branding      Angesichts der skizzierten Entwicklungen werden
       und Talentmanagement angewiesen, mit denen          Bedeutung und Umfang der Personalabteilungen
       sie die IT- Relevanz ihrer Geschäftsfelder in den   in Zukunft deutlich wachsen.

       2.2 Personalentwicklung: Mehr Zeit für Weiterbildung

       Die Schulung und Weiterbildung von Mitarbeitern     Qualifikationslücke mindestens zur Hälfte
       ist ein wichtiger Hebel, um die Belegschaft von     schließen wird. Dabei kann die Weiterbildung von
       Unternehmen mit den erforderlichen Fähigkeiten      Mitarbeitern auf die gesamte Bandbreite von
       auszustatten. In einer Umfrage des McKinsey         Future Skills abzielen – von technologischen Fä-
       Global Institute unter Führungskräften aus dem      higkeiten wie nutzerzentriertem Designen bis hin
       Jahr 2018 sind sogar 75 Prozent der Teilnehmer      zu digitalen Grundfähigkeiten wie Digital Literacy.
       der Meinung, dass die Qualifizierung bestehender    Während ein Teil der Fähigkeiten über Schulungen
       Mitarbeiter die in Unternehmen vorhandene           vermittelt werden muss (formales Lernen, zum
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN                                   17

Beispiel IT-Schulungen), lassen sich andere Fähig-                        rufen werden (LinkedIn; Academy Cube). Große
keiten über das Lernen im Prozess der Arbeit (on                          Unternehmen experimentieren darüber hinaus
the Job) erwerben. Zu diesem informellen Lernen                           zunehmend mit firmeninternen Lerngruppen
gehört zum Beispiel, dass die Fähigkeit zum kol-                          (Corporate Learning Communities). Bei spiele-
laborativen Arbeiten über Projekte erlernt wird,                          risch gestalteten Events treffen sich Mitarbeiter
in denen neue Arten der Zusammenarbeit zum                                außerhalb von Hierarchien und Abteilungen in
Einsatz kommen.                                                           neuen Lernumgebungen und vernetzen sich zu
                                                                          Lern-Communities. Darin werden die eigenen
Die Analysen von Stifterverband und McKinsey                              Arbeitsweisen besprochen und Problemlösungen
zeigen: Weiterbildung wird nicht nur an Bedeu-                            gemeinschaftlich erarbeitet.
tung gewinnen, sondern zugleich ihren Charakter
verändern. Sie setzt früher ein (Onboarding-                              Laut den Teilnehmern der Umfrage (siehe Info­
Phase), wird quantitativ ausgeweitet, erhält eine                         kasten Seite 14) werden bereits heute etwa
steigende Relevanz in Arbeitskontrakten und be-                           60 Prozent des Weiterbildungsbudgets für Maß-
gleitet ein Arbeitsleben deutlich systematischer                          nahmen ausgegeben, die speziell auf Future Skills
als bisher. Auch im Bereich der Weiterbildung wird                        abzielen. Der Anteil der Unternehmen, die in ihrer
Digitalisierung eine zunehmende Rolle spielen.                            Weiterbildung einen Schwerpunkt auf Future
Onlineformate und -plattformen haben eine                                 Skills legen, wird in den nächsten fünf Jahren wei-
immer größere Bedeutung für neuartige interne                             ter steigen – von 65 auf 75 Prozent. Im Hinblick
und externe Aktivitäten der Peer-Weiterbildung                            auf die für formale Weiterbildungsmaßnahmen
und des Wissensaustauschs. Unternehmen produ-                             verfügbare Zeit geben deutsche Unternehmen
zieren zunehmend digitale Qualifikationsmodule                            an, dass ihre Mitarbeiter heute 3,7 Tage pro Jahr
und teilen diese mit anderen Unternehmen auf                              für Weiterbildungen aufwenden; zugleich gehen
Onlineplattformen. Lehrinhalte privater und                               sie davon aus, dass die Weiterbildungszeit über
öffentlicher Bildungsanbieter können auf solchen                          die nächsten fünf Jahre auf durchschnittlich fünf
Plattformen integriert und von jedermann abge-                            Tage pro Jahr steigen wird (siehe Abbildung 5).

ABBILDUNG 5: MEHR ZEIT FÜR WEITERBILDUNG

Weiterbildung in deutschen Unternehmen in Tagen pro Mitarbeiter und Jahr, heute/in fünf Jahren, in Prozent
(nach Aussage von Unternehmen)

       6
                                + 33 %                      + 34 %                        + 33 %          + 17 %
                                                                  5,4                                         5,4
                                       5,0                                                    4,9
       5
                                                                                                       4,6

                                                          4,0
       4                       3,7                                                      3,7

       3

       2

       1

       0

                               alle                        Groß-                 Kleine und mittlere    Start-ups
                           Unternehmen                  unternehmen                 Unternehmen

     heute           in fünf Jahren    + X%   Veränderung in den nächsten fünf Jahren

Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
18                                               HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019

       EXKURS

       BEDEUTUNG
       ­         DIGITALER TOOLS ZUR KOMPETENZ-
       ERFASSUNG
       ­         NIMMT STARK ZU

       Die Digitalisierung stellt die Personalabteilungen                                entscheiden. Vor allem in den Bereichen Program-
       nicht nur vor große Herausforderungen bei der                                     mieren und Webentwicklung sind beispielsweise
       Rekrutierung und Weiterbildung von Mitarbei-                                      Code Challenges und Live Coding Tests mittler­
       tern. Sie bietet für die Personalgewinnung auch                                   weile Standardelemente im Auswahlverfahren.
       Chancen beim Bewältigen dieser Herausforde-
       rungen und
                ­­  wird die Personalarbeit ebenso stark                                 Der Trend zur Automatisierung der Auswahlins-
       transformieren wie andere Funktionsbereiche.                                      trumente schlägt sich auch in unseren Analysen
                                                                                         nieder: Wie die Umfrage unter 607 deutschen
       Personalabteilungen können bei der Personalaus­                                   Unternehmen zeigt, werden digitale Auswahl-
       wahl auf neue technische Möglichkeiten zu­rück­                                   tests, Spiele und Plattformen wie LinkedIn oder
       greifen, die einen wesentlich größeren Automati-                                  GitHub in den nächsten Jahren an Relevanz
       sierungsgrad erreichen. Sie können das bestehende                                 gewinnen (siehe Abbildung 6). Heute nutzt nur
       Portfolio von Auswahlinstrumenten ergänzen und                                    knapp jedes siebte Unternehmen digitale Aus-
       auch Fähigkeiten erfas­sen, die bisher kaum im Rah-                               wahltests und -spiele, in fünf Jahren wird es jedes
       men von Auswahlprozessen zu beurteilen waren.                                     vierte sein. Jedes dritte Unternehmen wird Be-
       Computer­gestützt werden fundierte Entschei-                                      werberprofile auf Skill-Plattformen analysieren.
       dungen für oder gegen Kandidaten möglich. Das
       erleichtert Personalabteilungen die Auswahl der                                   Bei den Großunternehmen sind die Zahlen sogar
       Mitarbeiter, die über den zukünftigen Erfolg mit-                                 noch höher: Jedes zweite (52 Prozent) wird in

       ABBILDUNG 6: DIGITALE AUSWAHLTESTS, SPIELE UND PL ATTFORMEN GEWINNEN ZUR
       ­F ESTSTELLUNG VON FÄHIGKEITEN DEUTLICH AN BEDEUTUNG

       Anteil der Unternehmen, die angeben, dass sie das Instrument heute/in fünf Jahren nutzen, in Prozent

                                                                 15,3
       Digitale Auswahltests und Spiele
                                                                                  27,8                                                        + 82 %
                                                                                  28,1
       Vorstellungsgespräche (digital)
                                                                                                          48,4                                + 72 %
       Analyse von Bewerberprofilen                                       22,5
       auf Plattformen wie LinkedIn,
       Klout, GitHub
                                                                                           35,1                                               + 56 %
       Assessment-Center oder                                      17,3
       Recruitment-Camps vor Ort                                           23,0                                                               + 33 %
       Automatisierte Vorauswahl                                          31,7
       von Bewerbern auf Basis der
       eingereichten Unterlagen
                                                                                                  41,2                                        + 30 %
                                                                                                                                  71,3
       Vorstellungsgespräche (analog)
                                                                                                                      61,0                    – 15 %
                                              0          10       20             30         40           50      60          70          80   90   100

            heute           in fünf Jahren    +/– X %   Veränderung in den nächsten fünf Jahren

       Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN                              19

Zukunft auf diese Auswahlinstrumente setzen.         Daneben werden auch Plattformen wie Klout
Selbst wenn sie ausschließlich für Akademiker        Score (inzwischen nicht mehr am Markt aktiv)
zum Einsatz kommen, werden in fünf Jahren            wichtiger. Diese beurteilen die Reichweite und
jährlich rund 280.000 Einstellungen mit Unter-       Wirkung der Social-Media-Aktivitäten einer
stützung von Onlinetools vorgenommen werden.         Person. Diese Informationen ermöglichen HR-
Jedes zweite Unternehmen wird in Zukunft Vor­        Abteilungen eine erste Einschätzung der Eignung
stellungsgespräche digital durchführen. Dafür        dieser Person für spezifische Jobs mit Bezug zu
dürfte vor allem die zunehmende Internationa-        Social-Media-Marketing. Im Bereich IT hat sich
lisierung der Personalrekrutierung verantwort-       mittlerweile mit GitHub eine Standardplattform
lich sein. Aber auch klassische Verfahren wie        für Arbeitsreferenzen etabliert. Die befragten
Assessment-Center (+33 Prozent) und die auto-        Unternehmen sehen in diesen Arbeitsproben
matisierte Vorauswahl von Bewerbern auf Basis        einen wichtigen Nachweis von Fähigkeiten.
eingereichter Unterlagen (+30 Prozent) nehmen        Der Mehrwert, der von den beschrie­benen
deutlich an Bedeutung zu, während analoge            Plattformen ausgeht, liegt in der mit wenig ma-
Vor­stellungsgespräche (–15 Prozent) weniger         nuellem Aufwand verbundenen Einschätzung der
wichtig werden. Die bestehenden Methoden der         Fähigkeiten eines Kandidaten. In vergleichbarem
Personalauswahl sind und bleiben also wichtig.       Umfang wäre dies allein auf der Basis der Analyse
Die Digitalisierung ermöglicht es in erster Linie,   einer klassischen Bewerbung nicht möglich,
mehr Kontextinformationen über Bewerber zu           sodass mit der Verbreitung dieser Plattformen
sammeln und diese auf Basis digitaler Instrumente    ein deut­licher Transparenzgewinn über Qualifi­
automatisch auszuwerten.                             kationsprofile für Unternehmen verbunden ist.

Doch wie können diese neuen digitalen Instru-        Weiteres digitales Rekrutierungspotenzial be-
mente konkret dazu beitragen, die Future-Skills-     steht auch durch die Anreicherung fachlicher
Herausforderung zu lösen? Für die Rekrutierung       Auswahlinstrumente um spielerische Elemente
von Technologie-Spezialisten gewinnen Job-­          (Gamification): Diese spielerischen Ansätze bieten
Matching-Plattformen zunehmend an Bedeu-             besondere Möglichkeiten, die überfachlichen
tung, die auf dem amerikanischen Markt b  ­ e-       Fähigkeiten von Kandidaten automatisiert zu be-
reits in großer Zahl vertreten sind und gezielt      urteilen. Sie schaffen es zudem, durch spielerische
auf den Nachweis von technologischen Fähig­          Aufgabenstellungen konkrete Praxissituationen zu
keiten zielen.                                       simulieren und die Bewerber bei der Suche nach
                                                     Lösungen zu beobachten. Ein prominentes Beispiel
Plattformen wie zum Beispiel Portfolium ermög-       für den Gamification-Ansatz im Bereich klassischer
lichen es den Nutzern, mit geringem Aufwand          überfachlicher Skills ist das Spiel Wasabi Waiter
Arbeitsproben auf die Plattform zu laden, etwa       des Silicon-Valley-Start-ups Knack. Hier schlüpfen
Hausarbeiten oder Projektarbeiten. Diese Ein­        Spieler in die Rolle eines Kellners, der dafür sorgen
träge werden anschließend automatisch analy-         muss, dass das Sushi rechtzeitig auf dem Tisch
siert und mit Informa­tionen über eingetragene       steht, neue Gäste einen Platz finden, Teller gespült
Berufserfahrungen und die hierbei erworbenen         sind und Ordnung gehalten wird. Über einen
Fähigkeiten verknüpft. Durch ein systematisches      Algorithmus wird aus den Daten, die während des
Matching dieser Millionen von Nutzerprofilen mit     Spiels erfasst werden, ein individuelles Qualifi-
veröffentlichten Stellenausschreibungen ergeben      kationsprofil erstellt, beispielsweise zu Problem-
sich umfangreiche technische Qualifikations-         lösungsfähigkeit, Kreativität, sozialer Intelligenz
profile, auf deren Basis einzelne Kandidaten mit     und Selbstkontrolle. Das Spiel kann, entsprechend
geeigneten Unternehmen in Kontakt gebracht           angepasst, für die Auswahl von Kandidaten in einer
werden können.                                       Vielzahl von Bereichen eingesetzt werden.
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