FÜR MORGEN BEFÄHIGEN - Stifterverband
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INHALT EINLEITUNG 02 01 WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? 06 1.1 Einleitung 06 1.2 Das Future-Skills-Framework: 18 Fähigkeiten in drei Kategorien 07 1.3 Der Qualif izierungsbedarf bis 2023 10 1.4 Zwischenfazit und Empfehlungen 14 02 FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN 15 2.1 Künftige Herausforderungen für die Personalarbeit 15 2.2 Personalentwicklung: Mehr Zeit für Weiterbildung 16 2.3 Zwischenfazit und Empfehlungen 21 03 HOCHSCHULEN ALS LERNORT FÜR FUTURE SKILLS 22 3.1 Future-Skills-Bedarfe: Strategien von Hochschulen 23 3.2 Konzipierung neuer Studiengänge 24 3.3 Weiterentwicklung der Curricula 26 3.4 Vermittlung von Data Literacy 26 3.5 Schaffung neuer Lernumgebungen und agiler Innovationsräume 27 3.6 Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter 28 3.7 Nutzung von Plattformen für lebenslanges Lernen 29 3.8 Neue Formen der Zertif izierung und Kompetenznachweise entwickeln 29 3.9 Zwischenfazit und Empfehlungen 32 04 VON EDUCATION-START-UPS LERNEN 33 4.1 Education-Start-ups als wichtige Vermittler von Future Skills 33 4.2 Technologische Future Skills als Schwerpunktthema von Education-Start-ups 35 4.3 Anwendungsorientierung als attraktives Wertversprechen 35 4.4 Niedrige Einstiegsbarrieren durch alternative Erlösmodelle 36 4.5 Zwischenfazit und Empfehlungen 37
INHALT 1 05 BILDUNGSPL ATTFORMEN ALS LERNORTE FÜR FUTURE SKILLS 40 5.1 Noch eine neue Bildungsplattform? Eine Frage der Betrachtungsweise 40 5.2 Die bestehende (inter-)nationale Plattformlandschaft im Kontext des lebenslangen Lernens 41 5.3 Szenarien für Plattformökosysteme im Zeitalter von Future Skills 43 5.4 Erfolgsfaktoren für neue Plattformen 46 5.5 Empfehlungen 47 06 DER HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX: ENTWICKLUNG UND HANDLUNGSFELDER 49 Hochschul-Bildungs-Index 2010 bis 2017 49 Chancengerechte Bildung 52 Beruf lich-akademische Bildung 54 Quartäre Bildung 56 Internationale Bildung 58 Lehrer-Bildung 60 MINT-Bildung 62 METHODIK UND DATENGRUNDL AGE 66 LITERATUR 70 IMPRESSUM 72
2 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 EINLEITUNG FUTURE SKILLS: FÜR MORGEN BEFÄHIGEN Modellen (Bezahlen nur für Premiuminhalte) über Welche Fähigkeiten benötigen Menschen für ihr Abonnements bis hin zur Bezahlung nach Kurser- berufliches, aber auch für ihr gesellschaftliches folg. Der Hochschul-Bildungs-Report untersucht Leben in den kommenden Jahren? Wie muss sich den Erfolg von Education-Start-ups erstmals ge- das Bildungssystem entwickeln, um seinen Beitrag nauer und zeigt die Bereiche auf, wo Hochschulen zur Vermittlung dieser Fähigkeiten zu leisten? von ihnen lernen können. Antworten auf diese Fragen bietet der aktuelle Hochschul-Bildungs-Report 2020. Mittlerweile zum fünften Mal liefert die Untersuchung die DER HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX: relevanten Zahlen zum Status der Hochschulbil- Z ENTRALE ZIELE WERDEN VERFEHLT dung in Deutschland – in sechs Handlungsfeldern Der Hochschul-Bildungs-Index erreicht 2017 entlang von 70 Indikatoren. auf seiner Skala von 0 bis 100 Punkten lediglich 46 Punkte. Das ist zwar im Jahresvergleich ein Fokusthema in diesem Jahr ist das Handlungsfeld Plus von 5 Punkten, aber viel zu wenig, um das Quartäre Bildung, in dem es um wissenschaftliche Ziel von 70 Punkten zu erreichen, das für die Weiterbildung geht. Eine zentrale Erkenntnis: sechs Handlungsfelder für das Jahr 2017 gesetzt Education-Start-ups mischen zunehmend den wurde. Diese Zahl erreicht nur ein Handlungs- Weiterbildungsmarkt auf – auch im akademischen feld: die Internationale Bildung mit 75 Punkten. Bereich. Diese relativ jungen und innovativen Un- Die Indikatoren in diesem Handlungsfeld weisen ternehmen und Onlineplattformen punkten durch alle darauf hin, dass die Internationalisierung ihre aktuellen Future-Skills-Angebote, durch eine des deutschen Hochschulsystems weiterhin in hohe Anwendungsorientierung und durch inno- einem beachtlichen Tempo voranschreitet. Mit vative Erlösmodelle. So bieten acht der zehn um- 47 Punkten liegen die Indikatoren für eine Chan- satzstärksten Education-Start-ups technologische cengerechte Bildung im Mittelfeld – ebenso wie Future Skills an. Das Lernen ist häufig projektba- die Indikatoren des Handlungsfelds Beruflich- siert, individualisiert – also auf einzelne Lernende akademische Bildung (40 Punkte) – und kommen oder Gruppen von Lernenden zugeschnitten – deutlich langsamer als die Internationale Bildung und an der Anwendungsrealität orientiert. Die voran. Der Bereich der MINT-Bildung konnte Erlösmodelle halten die monetäre Hemmschwelle mit einem Plus von 6 Punkten zwar etwas über- zumeist niedrig und reichen von Freemium- durchschnittlich zulegen, bleibt mit 41 Punkten
EINLEITUNG 3 aber ebenfalls weit hinter der Zielsetzung von nehmen Fähigkeiten, die immer wichtiger 70 Punkten zurück. werden. Eine für diesen Report durchgeführte Unterneh- SCHLUSSLICHTER: LEHRER-BILDUNG UND mensumfrage belegt, dass der deutschen Wirt- QUARTÄRE BILDUNG schaft etwa 700.000 Technologie-Spezialisten Schlusslichter bilden die beiden Handlungsfel- bereits in den kommenden fünf Jahren fehlen. der Lehrer-Bildung und Quartäre Bildung. Die Und: Jeder vierte Erwerbstätige aus der Wirt- Lehrer-Bildung erreicht 30 Punkte (plus 1) und schaft hat (Nach-)Schulungsbedarf in digitalen die Quartäre Bildung 31 Punkte. Im Laufe der und nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen. vergangenen zwei Jahre hat der Index nur 4 Punkte hinzugewonnen. Um im Jahr 2020 die Zielmarke von 100 Punkten zu erreichen, muss ABBILDUNG 1: SKILLS-PYRAMIDE der Wert eines Handlungsfeldes aber jährlich um 10 Punkte zulegen. Konkret heißt das: Fast kein Indikator im Bereich Weiterbildung hat sich groß bewegt. Der Anteil der Studierenden im Teilzeit-, Fern- oder Weiterbildungsstudium verharrt auf niedrigem Niveau. Der Anteil an weiterbildenden Masterstudiengängen war sogar rückläufig. Einen Lichtblick gibt es: Der Anteil der berufsbeglei- Technologische tenden Masterstudiengänge hat sich seit 2013 Fähigkeiten fast verdoppelt. Die Zahlen des Indexes sind alarmierend, insbesondere da es durch die rasan- te Veränderung der Arbeitswelt einen enormen Weiterbildungsbedarf gibt. Digitale Nichtdigitale FUTURE SKILLS FÜR DIE ARBEITSWELT Schlüssel- Schlüssel- qualifikationen qualifikationen Durch die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung verändert sich die Arbeitswelt in Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019 einer bisher unbekannten Geschwindigkeit. Einige Fähigkeiten, Kompetenzen und Eigenschaften werden infolge dieser Veränderungen für die gesellschaftliche Teilhabe – im Privaten wie im Beruf – wichtiger, während andere dramatisch an Bedeutung verlieren. Welche Fähigkeiten und NEUE WEGE IN DER PERSONAL ARBEIT Kompetenzen in absehbarer Zukunft konkret an UND -ENTWICKLUNG Bedeutung gewinnen werden, haben Stifterver- Diese Zahlen verdeutlichen: Unsere Gesellschaft band und McKinsey untersucht. In Zusammenar- steht vor enormen Herausforderungen. Um die- beit mit mehr als 40 Personalverantwortlichen ist sen zu begegnen, ist eine veränderte und daran dabei ein Framework aus 18 Zukunftskompeten- angepasste Personalarbeit und -entwicklung zen, sogenannten Future Skills mit drei Katego notwendig. Insbesondere das Thema Weiterbil- rien entstanden: dung wird an Bedeutung gewinnen. Die digitale Transformation als Schlüsseltrend bedeutet » Technologische Fähigkeiten: technologisches einen dynamischen und ständigen Prozess der Fachwissen, das in Zukunft relevanter wird, Veränderung, der lebenslanges Lernen als Anpas- » Digitale Schlüsselqualifikationen: Kompeten- sungsmechanismus qua Definition voraussetzt. zen, um sich in einer digitalisierten Umwelt Die Analyse der Education-Start-ups zeigt: Einige grundsätzlich zurechtzufinden und daran aktiv Unternehmen im Bereich der Weiterbildung teilzunehmen, bedienen bereits erfolgreich die gesteigerte » Nichtdigitale Schlüsselqualifikationen: Fähigkei- Nachfrage mit innovativen Konzepten. In Verbin- ten wie Adaptionsfähigkeit, Kreativität oder dung mit Plattformansätzen können nicht zuletzt Durchhaltevermögen – aus Sicht der Unter- Hochschulen von diesen lernen.
4 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 PERSPEKTIVEN DES WEITERBILDUNGS Säule ihrer Aufgaben strategisch entwickeln. SYSTEMS Dafür ist auch die verstärkte Kooperation mit Aus der Analyse der Future Skills sowie aus Education-Start-ups sinnvoll. den Recherchen zur Weiterentwicklung des Weiterbildungssystems lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen für Hochschulen und EMPFEHLUNGEN FÜR DIE POLITIK Politik ableiten. » Mehr Ressourcen für Lehrinnovationen Politik sollte gezielt Lehrinnovationen finanziell fördern und das in allen Bildungsbereichen. EMPFEHLUNGEN FÜR DIE HOCHSCHULEN Eine Möglichkeit ist es, das Kriterium der » Neue Lerninhalte Innovativität in der öffentlichen Beschaffung Eine zentrale Aufgabe von Hochschulen ist es, von Weiterbildung stärker zu gewichten. Des Menschen auf Leben und Beruf vorzubereiten. Weiteren sollte die Finanzierung von Educa- Wenn sich Lebens- und Berufswelt radikal tion-Start-ups mit entsprechenden staatlichen ändern, müssen die Hochschulen sich ent- Wagniskapital-Fonds unterstützt werden. sprechend anpassen, um ihrer Aufgabe weiter gerecht zu werden. Dazu bedarf es der Ein- » Befähigung von Hochschulen richtung von Studiengängen, die spezifischer Wenn Hochschulen neben den Aufgaben auf technologische Future Skills ausgerichtet Ausbildung und Forschung auch verstärkt im sind, um Studierenden eine Spezialisierung in Weiterbildungsmarkt tätig sein sollen, ist zu Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Zudem gewährleisten, dass sie dies auch können. Da- sollte Data Literacy – die Fähigkeit der Daten- her muss Politik hierfür finanzielle Ressourcen analyse und -bewertung – als Querschnitts- zur Verfügung stellen. kompetenz in allen Studiengängen etabliert werden. Insbesondere in der akademischen » Plattformökosysteme unterstützen Welt wird diese Fähigkeit von zentraler Bedeu- Der immer stärkeren Verbreitung von digitalen tung sein. Angesichts der Schnelligkeit von Insellösungen ist durch anschlussfähige Platt- Wissensproduktion und -verfall müssen die formen für digitale Hochschulbildung zu be- Curricula flexibel und anpassungsfähig werden. gegnen. Die Politik hat dafür Sorge zu tragen, Das Verfahren der Systemakkreditierung dass durch solche Plattformen die einzelnen ermöglicht den Hochschulen neue Freiheits- fragmentierten Bildungsangebote leicht grade, die sie nutzen sollten. auffindbar und intelligent miteinander vernetzt sind. Nationale Konzepte wie beispielsweise » Neue Lernorte das MILLA-Konzept (Modulares Interaktives Kreativität, Kooperation, Agilität – alle diese Lebensbegleitendes Lernen für Alle, ein Kon- Fähigkeiten entwickeln sich besser in ent- zept für den Aufbau einer nationalen Weiter- sprechend eingerichteten physischen oder bildungsplattform) sind mit entsprechenden virtuellen Lernräumen. Hochschulen sollten europäischen Initiativen zu verzahnen. entsprechende Orte für ihre Studierenden schaffen. » Positionierung auf dem Weiterbildungsmarkt Egal, wie gut die Hochschulen in der Wis- sens- und Kompetenzvermittlung sind oder werden – um in einem Bereich up to date zu bleiben, bedarf es ständiger Weiterbildung auch nach dem Studium. Hochschulen sollten als zentrale Orte von Expertenwissen und Know-how in der Wissens- und Kompetenz- vermittlung stärker als bisher auch in die wichtiger werdende quartäre Bildung einbe- zogen werden. Sie sollten neben Ausbildung und Forschung die Weiterbildung als dritte
EINLEITUNG 5 41 46 HOCHSCHUL-BILDUNGS-INDEX DIE ENTWICKLUNG AUF EINEN BLICK ZIEL FÜR 2017: 70 PUNKTE 46 47 31 27 62 75 35 40 35 41 29 30 2016 2017 Zielerreichungsgrad in Punkten (mehr auf Seite 50)
6 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 01 WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? » Unsere Arbeitswelt und Berufsbilder sind im » In den kommenden fünf Jahren werden in Umbruch, entsprechend verändert sich auch, Deutschland rund 700.000 Mitarbeiter welche Fähigkeiten zukünftig auf dem Arbeits- mehr benötigt, die über technologische markt benötigt werden und gefragt sind. Fähigkeiten verfügen. » Das Framework Future Skills identifiziert » Mehr als 2,4 Millionen Erwerbstätige müssen 18 Fähigkeiten in drei Kategorien, die in in Schlüsselqualifikationen wie agilem Arbei- Zukunft an Bedeutung gewinnen. ten oder digitalem Lernen befähigt werden. 1.1 Einleitung Unsere Arbeitswelt wird künftig immer mehr von für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch für die digitalen Informationen und Abläufen geprägt. gesellschaftliche Teilhabe. Doch welche Fähig- Herkömmliche Berufsbilder wandeln sich, neue keiten werden in den Arbeits- und Lebenswelten Anforderungsprofile entstehen. Der Umgang künftig konkret benötigt? Wie groß ist der Bedarf mit digitalen Technologien und internetbasierten der deutschen Unternehmen an diesen Zukunfts Anwendungen wird in fast allen Branchen und kompetenzen oder auch Future Skills? Berufen wichtiger werden. Auch außerhalb der Arbeitswelt beeinflussen neue Formen der Inter- Für Future Skills existieren bereits eine Reihe aktion und Wissensproduktion den Alltag und ver- von Kompetenzkategorisierungen, zum Beispiel ändern nahezu alle Lebensbereiche. Angesichts von OECD, World Economic Forum, McKinsey dieser voranschreitenden gesellschaftlichen Global Institute oder der Ashoka Foundation. Transformation wird der kompetente Umgang Bislang fehlt es allerdings an einem konkreten mit digitalen Technologien sowie Kollaborations- Überblick über die aktuellen Kompetenzbedarfe techniken zur zentralen Voraussetzung nicht nur der Unternehmen in Deutschland. Stifterverband
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? 7 und McKinsey haben deshalb gemeinsam mit Frameworks ersetzen. Er zielt vielmehr darauf ab, Unternehmen die aktuellen Herausforderungen gegenwärtige Trends und Bedarfe der deutschen beim Thema Future Skills analysiert und daraus ein Wirtschaft abzubilden, Kompetenzlücken zu antizi- Framework der derzeit relevanten Fähigkeiten, pieren und dadurch kurz- bis m ittelfristige Impulse Kompetenzen und Eigenschaften erarbeitet. für Bildungspolitik und (Weiter-)Bildungsanbieter Methodisch basiert die Analyse auf einem Mix zu geben. Das Framework wird in regelmäßigen von quantitativen und qualitativen Befragungen Abständen aktualisiert und neuen Umweltbedin- (siehe Infokasten unten und auf Seite 14 für gungen angepasst. Es begleitet die Initiative Future mehr Informationen zur Methodik). Der Future- Skills des Stifterverbandes, die sich mit verschie- INFORMATIONEN Skills-Rahmen soll keine starre allgemeingültige denen Programmen für eine bessere Vermittlung ZUR INITIATIVE: Kategorisierung sein und die oben genannten entsprechender Kompetenzen stark macht. www.future-skills.net 1.2 Das Future-Skills-Framework: 18 Fähigkeiten in drei Kategorien Was sind Future Skills? Future Skills werden in In dieser Definition sind sämtliche Fähigkeiten dieser Studie definiert als Kompetenzen, Fähigkei- ausgeklammert, die entweder zu branchen- oder ten und Eigenschaften, die in den nächsten fünf fachspezifisch sind oder deren Bedeutung relativ Jahren für das Berufsleben und/oder die gesell- zu anderen Fähigkeiten abnehmen wird. Der schaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden – Zeithorizont von fünf Jahren (Befragung 2018, und zwar über alle Branchen und Industriezweige Prognosejahr 2023) wurde gewählt, da er lang hinweg. Das heißt: Als Future Skills wird eine genug ist, um die Effekte bereits heute abseh- wichtige Teilmenge aller in Zukunft erforderlichen barer Entwicklungen realistisch einzubeziehen. Kompetenzen bezeichnet – zum einen zeitlich Gleichzeitig ist diese Spanne noch kurz genug, um eingegrenzt auf die kommenden fünf Jahre, zum trotz der rasanten technologischen Entwicklung anderen inhaltlich fokussiert auf das Merkmal der belastbare Aussagen zu diesen Kompetenzen branchenübergreifend wachsenden Bedeutung. treffen zu können. KONTEXT UND METHODIK DER FUTURE-SKILLS-ERHEBUNG Das Future-Skills-Framework wurde von Stifter- und Banken. Flankierend wurden 20 leitfaden- verband und McKinsey erarbeitet. Es liefert den gestützte Experteninterviews mit Personalver- analytischen Rahmen für die Programminitiative antwortlichen aus Unternehmen durchgeführt. Future Skills des Stifterverbandes. Methodisch Stets wurde berücksichtigt, dass Unternehmen basieren die Ergebnisse auf einer Kombination jeder Größe, von Start-ups über den Mittelstand aus quantitativem und qualitativem Vorgehen: bis zu Großkonzernen, in der Stichprobe ver- Zunächst wurde ein Workshop mit 40 Teilneh- treten sind. Darüber hinaus basiert die Studie mern aus Start-ups, etablierten Unternehmen, auf den bisherigen Erkenntnissen der Initiative Bildungseinrichtungen sowie aus Politik, Verwal- Future Skills des Stifterverbandes sowie den tung und Verbänden veranstaltet. Anschließend Arbeiten von McKinsey zu diesem Thema. erfolgte eine standardisierte Onlinebefragung von insgesamt 607 deutschen Unternehmen aus der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen
8 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 ABBILDUNG 2: DIE ZWEIFACHE SKILLS-HERAUSFORDERUNG Herausforderung in der Spitze und in der Breite Herausforderung in der Spitze: Spezialisten für den Umgang mit Technologie- transformativen Technologien werden in Spezialisten allen Branchen benötigt und sind eine (zum Beispiel knappe Ressource am Arbeitsmarkt Big-Data-Analysten, UX-Designer, Robotikentwickler) Digitale Nichtdigitale Schlüssel- Schlüssel- Herausforderung in der Breite: qualifikationen qualifikationen Neue Arbeitsformen erfordern ein ver- (zum Beispiel (zum Beispiel ändertes Set an Schlüsselqualifikationen Data Literacy, Adaptionsfähigkeit, bei allen Mitarbeitern Kollaboration, unternehmerisches digitales Lernen) Denken) Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019 Bereits in diesem überschaubaren Zeithorizont oder nutzerzentriertes Design) sowie Fähig- werden Digitalisierung und neue Arbeitsformen keiten für neu entstehende Arbeitsfelder (zum die Unternehmen vor zwei H erausforderungen Beispiel Blockchain- oder Smart-Hardware- stellen, und zwar in der Spitze wie in der B reite Entwicklung). Ein besonders großer Bereich (siehe Abbildung 2). Das Stellenportfolio ver ist die Fähigkeit zur Analyse komplexer Daten, schiebt sich zum einen weiter in Richtung IT- die auch die Entwicklung von künstlicher Stellen, deren Besetzung insbesondere in den Intelligenz umfasst. Wer Technological Skills Bereichen der transformativen Technologien, beherrscht, verfügt über neuestes (informa- beispielsweise Blockchain oder künstliche Intelli- tions-)technologisches Fachwissen und kann es genz, ein zunehmendes Problem ist. Zum anderen praktisch anwenden. Diese Fähigkeiten werden verändern sich gleichzeitig für einen Großteil über alle Wirtschaftsbereiche hinweg neue Be- aller Mitarbeiter die Arbeitsformen und die Tätig- rufsprofile schaffen, etwa den Data Scientist, keitsanforderungen. Viele Mitarbeiter benötigen der Datenquellen verknüpft, entschlüsselt und deshalb ein verändertes Set an digitalen und auswertet. Insbesondere in Start-ups werden nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen. schon heute viele Berufsprofile durch Techno- logical Skills geprägt. Auf Basis der Aussagen von Personalverantwort lichen und unter Einbezug bestehender Skills- » Digital Citizenship Skills als zweite Kategorie Frameworks haben Stifterverband und McKinsey beinhalten Kompetenzen, durch die Menschen ein Future-Skills-Framework entwickelt, das zwi- in der Lage sind, sich in einer digitalisierten schen drei Arten von Fähigkeiten unterscheidet: Umwelt zurechtzufinden und aktiv an ihr teilzu- nehmen. Diese Fähigkeiten werden im Berufs- » Technological Skills sind Fähigkeiten, die für die leben sowie für die gesellschaftliche Teilhabe Gestaltung von transformativen Technologien in Zukunft benötigt und von Arbeitgebern bei notwendig sind. Dazu zählen Fähigkeiten für ihren Mitarbeitern zunehmend vorausgesetzt. bereits etablierte transformative Technologien Dazu zählen die digitale Wissenserschließung wie das Internet (zum Beispiel Webentwicklung (digital gestütztes Lernen) und der informierte
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? 9 TABELLE 1: DIE FUTURE SKILLS KATEGORIE SKILLS BESCHREIBUNG Komplexe Datenanalyse Große Datenmengen effizient mit analytischen Methoden untersuchen, um Informationen zu gewinnen; dies umfasst auch das Entwickeln von künstlicher Intelligenz (KI) Smart-Hardware-/ Physische Komponenten für intelligente Hardware-Software-Systeme Robotikentwicklung (Internet of Things) wie Roboter entwickeln Webentwicklung Programmiersprachen zur Back- und Frontend-Entwicklung für Webapplikationen (insbesondere mobil) beherrschen TECHNO Nutzerzentriertes Produkte so entwerfen, dass sie auf eine optimierte Funktionalität LOGICAL Designen (UX) bei intuitiver Anwendbarkeit und somit attraktive Nutzererfahrung SKILLS abzielen Konzeption und Komplexe IT-Infrastruktur, auch in der Cloud, mit Schnittstellen zu Administration vernetzter weiteren IT-Systemen aufsetzen sowie kontinuierlich verwalten und IT-Systeme weiterentwickeln Blockchain-Technologie- Dezentrale Datenbanken (Distributed Ledgers) mithilfe der Blockchain- Entwicklung Technologie aufbauen Tech Translation Zwischen Technologie-Experten und involvierten Nichtfachleuten moderieren Digital Literacy Grundlegende digitale Skills beherrschen, z. B. sorgsamer Umgang mit digitalen persönlichen Daten, Nutzen gängiger Software, Interagieren mit künstlicher Intelligenz Digitale Interaktion Bei Interaktion über Onlinekanäle andere verstehen und sich ihnen gegenüber angemessen verhalten (digitaler Knigge) Kollaboration Unabhängig von räumlicher Nähe und über verschiedene Disziplinen und Kulturen hinweg effektiv und effizient in Projekten zusammenar- DIGITAL beiten, um als Team bessere Resultate als Einzelpersonen zu erzielen CITIZENSHIP SKILLS Agiles Arbeiten In einem für ein Endprodukt verantwortlichen Team iterativ (Rapid Prototyping) genau das erarbeiten, was dem Kunden Mehrwert stiftet Digital Learning Aus einer Vielzahl digitaler Informationen valides Wissen zu ausgewähl- ten Themengebieten aufbauen Digital Ethics Digitale Informationen sowie Auswirkungen des eigenen digitalen Handelns kritisch hinterfragen und entsprechende ethische Entschei- dungen treffen Problemlösungsfähigkeit Konkrete Aufgabenstellungen, für die es keinen vorgefertigten Lösungsansatz gibt, durch einen strukturierten Ansatz und Urteilskraft lösen Kreativität Originelle Verbesserungsideen (z. B. für bestehende Geschäftsprozes- se) oder Ideen für Innovationen (z. B. für neue Produkte) entwickeln CLASSIC SKILLS Unternehmerisches Eigenständig und aus eigenem Antrieb im Sinne eines Projekts oder Handeln und Eigeninitiative einer Organisation arbeiten Adaptionsfähigkeit Sich auf neue (technologische) Entwicklungen einlassen, sie vorteilhaft nutzen und auf verschiedene Situationen transferieren können Durchhaltevermögen Übernommene Aufgaben, z. B. herausfordernde Projekte, fokussiert, verantwortlich und auch gegen Widerstände zu Ende führen Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
10 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 WAS MEINT WAS? BEGRIFFSERKLÄRUNG Die Begriffe Kompetenz, Skill, Fähigkeit, Kompetenzforschung gibt es Diskussionen über Qualifikation und Eigenschaft sind nicht über- die richtige Abgrenzung der Begriffe. In diesem schneidungsfrei und stehen häufig synonym. Bericht verwenden wir im Folgenden den Begriff Alle – der eine mehr, der andere weniger – zielen Fähigkeiten, jedoch in einem sehr weit gefassten auf die Verbindung von Wissen und Können in Verständnis, das alle in Tabelle 1 aufgelisteten der Bewältigung von Handlungsanforderungen Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und ab (BIBB 2019). Innerhalb der Bildungs- und Eigenschaften umfasst. Umgang mit Daten im Netz (Digital Literacy) vermögen. Wer diese Fähigkeiten mitbringt, ebenso wie die Fähigkeit zum kollaborativen kann sich in neuen Situationen leichter Arbeiten. Wer diese Fähigkeiten beherrscht, zurechtfinden sowie Probleme in einer zuneh- kann in einer immer stärker digital geprägten mend unbeständigen und komplexen (Arbeits-) Welt kooperativ und agil arbeiten, wirkungsvoll Welt besser analysieren und lösen. interagieren und kritische Entscheidungen treffen. Während nur einzelne Personen spe- Für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist zifische Technological Skills benötigen, sollten die Verknüpfung von Technological Skills, Digital Digital Citizenship Skills möglichst von allen Citizenship Skills und Classical Skills von entschei- Menschen beherrscht werden. dender Bedeutung. Es genügt nicht, lediglich Mitarbeiter zu beschäftigen, die nur einzelne, » Classical Skills bilden die dritte Kategorie. spezifische Fähigkeiten mitbringen. Die Heraus- Hier werden Kompetenzen und Eigenschaf- forderung besteht darin, Personen auszuwählen ten erfasst, deren Bedeutung aus Sicht der oder so zu qualifizieren, dass sie ein möglichst Unternehmen in den kommenden Jahren im umfangreiches Bündel aller der für ihren Arbeits- Arbeitsleben zunehmen wird, zum Beispiel Ad- kontext relevanten Future Skills besitzen. aptionsfähigkeit, Kreativität und Durchhalte 1.3 Der Qualifizierungsbedarf bis 2023 Unternehmen stehen angesichts der fortschrei- für Politik und Bildungsinstitutionen von zentraler tenden Digitalisierung und der Entwicklung neuer Bedeutung. Hierzu gehört auch, quantitative Aus- Arbeitsformen vor einer doppelten Herausfor- sagen über die zukünftigen Bedarfe zu treffen, derung: Sie müssen einerseits den Engpass an da diese als Planungs- und Entscheidungshilfen Experten mit Technological Skills bewältigen, die unverzichtbar sind. bereits heute eine knappe Ressource sind und bei deren Rekrutierung sich insbesondere klassische Im Folgenden wird der zukünftige Bedarf an tech- Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen nischen Spezialisten eingeschätzt und anschlie- nach wie vor schwertun. Darüber hinaus müssen ßend der Weiterbildungsbedarf auf Ebene der auch dem Großteil der übrigen Belegschaft neue digitalen und nichtdigitalen Schlüsselqualifikatio- digitale und nichtdigitale Schlüsselqualifikationen nen genauer quantifiziert. In beiden Fällen erfolgt vermittelt werden. Ein besseres Verständnis, die Quantifizierung auf Basis der Onlinebefragung welche Fähigkeiten in welchem Ausmaß benötigt von 607 Unternehmen aus der gewerblichen werden, ist daher für Unternehmen, aber auch Wirtschaft, Versicherungen und Banken.
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? 11 BIS 2023 WERDEN ZUSÄTZLICH RUND 700.000 Vertrieb über Forschung und Entwicklung bis T ECHNOLOGIE-SPEZIALISTEN BENÖTIGT hin zu Personal und Organisation. Aber nicht nur Für den Bereich der Technological Skills lässt in verschiedenen Funktionsbereichen werden sich aus den Umfrageergebnissen bis 2023 ein zukünftig mehr Fachexperten mit Fähigkeiten in zusätzlicher Bedarf von rund 700.000 Personen komplexer Datenanalyse benötigt. Aufgrund der mit speziellen Technological Skills allein in der mit der Digitalisierung verbundenen allgemeinen Wirtschaft ableiten (siehe Abbildung 3). Dieser Ausweitung der Möglichkeiten zur Datenerhe- Bedarf berechnet sich als Differenz zwischen der bung entstehen neben datenintensiven Branchen Zahl von Beschäftigten, die heute schon über wie zum Beispiel der Versicherungswirtschaft einzelne Technological Skills verfügen, und der zunehmend neue Geschäftsmodelle, die auf der Zahl derer, die der Umfrage zufolge in fünf Jahren Analyse und Interpretation großer Datenmengen darüber verfügen sollten (zur Methodik siehe basieren. Expertise in komplexer Datenanalyse Infokasten Seite 14). wird daher branchen- und funktionsbereichsüber- greifend zu einer zentralen Schnittstellenfähigkeit Gliedert man die 693.000 Personen nach den in Unternehmen. zugrundeliegenden Future Skills, so erweist sich der Bedarf an Personen mit der Fähigkeit zu Der Bedarf bei Smart-Hardware-/Robotikent- komplexer Datenanalyse mit 455.000 Personen wicklung wird mit 27.000 Personen deutlich als mit Abstand größter Posten, der sogar mehr geringer eingeschätzt. Eine mögliche Erklärung als die Hälfte des Bedarfs bei den Technological hierfür könnte darin liegen, dass diese Fähigkeit Skills ausmacht. Dieser hohe Wert deutet darauf vergleichsweise nahe an bereits in der Vergan- hin, dass Unternehmen zukünftig noch stärker als genheit wichtigen Skills aus dem Ingenieurwesen bisher große Datenmengen erheben und verar- liegt und hier bereits ein größerer Pool an ent beiten werden und dass künstliche Intelligenz, die sprechend ausgebildeten Mitarbeitern existiert. auf komplexer Datenanalyse basiert, einen immer Aufgrund der anhaltenden und zentralen Be- größeren Stellenwert einnehmen wird. deutung von Software für die Geschäftsmodelle von Unternehmen können die vorliegenden Der Bereich komplexe Datenanalyse hat da- Ergebnisse auch als Beleg für eine mögliche rüber hinaus auch die größte Bedeutung für Fokussierung auf den Bereich Software bezie- Berufsprofile außerhalb von IT-Abteilungen und hungsweise als Beleg für eine Unterschätzung beeinflusst nahezu alle Funktionsbereiche in der Bedeutung von Hardware und Robotik inter- Unternehmen, angefangen bei Marketing und pretiert werden. ABBILDUNG 3: RUND 700.000 PERSONEN MIT TECHNOLOGICAL SKILLS GESUCHT Anzahl der Personen mit Technological Skills, die in Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen und Finanzen bis 2023 zusätzlich benötigt werden Gesamt: Technological Skills 693.000 Komplexe Datenanalyse 455.000 Nutzerzentriertes Designen (UX) 79.000 Konzeption und Administration 66.000 vernetzter IT-Systeme Webentwicklung 66.000 Smart-Hardware-/ 27.000 Robotikentwicklung Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
12 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 Für den Bereich der Blockchain-Technologie Nach Aussagen der Unternehmen kann dieser konnte der konkrete Bedarf von Unternehmen Bedarf auf unterschiedlichen Wegen gedeckt vielfach nicht beziffert werden, sodass er nicht werden: Erstens erfolgt die gezielte Rekrutierung in die Berechnung eingeflossen ist. Dass sich die von Studienabsolventen aus entsprechenden Nachfrage bei dieser Technologie besonders dy- Studiengängen. Zweitens wird die bestehende namisch entwickelt, zeigt sich aber beispielsweise Belegschaft durch entsprechende Weiterbil- in Analysen des Onlinejobportals Indeed, einem dungsmaßnahmen beim Fähigkeitenaufbau der größten Jobportale in Deutschland und welt- unterstützt, zum Beispiel durch Weiterbildungen weit. So wurde allein im Jahr 2017 ein Anstieg der von Maschinenbauingenieuren in Smart Hardware veröffentlichten Stellen mit Blockchain-Bezug und Robotik. Technological Skills werden drittens um 625 Prozent verzeichnet, Suchanfragen unter auch verstärkt in der dualen Ausbildung gelehrt Verwendung des Begriffs Blockchain legten im werden, beispielsweise Webentwicklung oder gleichen Jahr sogar um 661 Prozent zu. Auch UX-Design. Viertens sind deutsche Unternehmen wenn dieser sprunghafte Anstieg bislang noch auf vermehrt auf dem globalen Arbeitsmarkt aktiv geringen absoluten Zahlen beruht, zeigt dieses und werben weltweit um Technologie-Spezialis- Beispiel, wie schnell sich neue Technologien auf ten. Einige Unternehmen geben auch an, dass sie das Angebot beziehungsweise die Nachfrage Technologie-Aktivitäten gezielt an Standorten nach bestimmten Qualifikationen auf dem Ar- in den Ländern ansiedeln, die eine Verfügbarkeit beitsmarkt auswirken können. von Technologie-Spezialisten gewährleisten können. Eine Analyse der Herausforderungen für Ausgehend von dem Bedarf in Höhe von Personalabteilungen und Bildungseinrichtungen 700.000 Personen müssen in den kommenden wird in den Kapiteln 2 und 3 vorgenommen. fünf Jahren also jährlich rund 140.000 Personen fortgeschrittene Technological Skills erwerben – allein für den hier betrachteten Bereich der SCHLÜSSELQUALIFIK ATIONEN: JEDER VIERTE Wirtschaft, der rund 60 Prozent der Erwerbstä- HAT WEITERBILDUNGSBEDARF tigen in Deutschland umfasst. Überträgt man die Von der Vertriebsleiterin bis zum Sachbearbei- Ergebnisse auch auf den Bereich der öffentlichen ter – der routinierte Umgang mit elektronischen Arbeitgeber, steigt der Bedarf an Personen mit Daten, Grundkenntnisse in Fragen des Daten- Technological Skills auf etwa 1,1 Millionen Perso- schutzes, die kollaborative Zusammenarbeit mit nen – ein immenser Qualifikationsbedarf. anderen, ein beständiges Lernen und weitgehend 693.000 Technologie-Spezialisten werden bis zum Jahr 2023 in Deutschland gesucht.
WELCHE FÄHIGKEITEN WERDEN IN ZUKUNFT BENÖTIGT? 13 ABBILDUNG 4: KOLL ABORATIVES ARBEITEN ERWÜNSCHT Anteil der Mitarbeiter, welche in fünf Jahren diese Kompetenzen beherrschen sollten, in Prozent (Auswahl) Kollaboration 86 Durchhaltevermögen 76 Digital Literacy 76 Unternehmerisches Handeln 74 und Eigeninitiative Digital Learning 72 Agiles Arbeiten 66 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019 selbstständiges Arbeiten werden allesamt zu Bedarf besteht bei der Fähigkeit Digital Learning: Schlüsselqualifikationen in der Arbeitswelt 4.0. Damit in fünf Jahren rund zwei Drittel der Be- Dieser Befund wird auch vonseiten der befragten schäftigten die Fähigkeit zum digitalen Lernen be- Personalverantwortlichen bestätigt, die überein- sitzen, müssen bis dahin 3,8 Millionen Menschen stimmend davon ausgehen, dass in den digitalen weitergebildet werden. Bei rund 2,8 Millionen und nichtdigitalen Schlüsselqualifikationen der Personen sollten in diesem Zeitraum die digitalen größte Weiterbildungsbedarf in den kommenden Grundkenntnisse (Digital Literacy) vertieft wer- Jahren liegen wird (siehe Abbildung 4). den, ebenso hoch ist der Weiterbildungsbedarf bei Kollaboration und digitaler Interaktion. Der Die wichtigste Kompetenz, welche die meisten geringste Bedarf besteht beim unternehmerischen Mitarbeiter den Umfrageergebnissen zufolge in Handeln, das bei rund 2,4 Millionen Personen Zukunft benötigen, ist die Fähigkeit zur Kollabora- trainiert werden sollte. tion, die zunehmend durch digitale Technologien unterstützt und geprägt sein wird. Neun von zehn Angesichts der Radikalität und des Tempos, mit Mitarbeitern sollten sie beherrschen können. Je- denen Automatisierung und Digitalisierung die weils rund drei Viertel der Mitarbeiter benötigen Arbeitswelt verändern, erscheint dieser Bedarf digitale Grundkenntnisse und sollten Durchhal- zwar hoch, aber dennoch nicht unrealistisch. Die tevermögen und Eigeninitiative beweisen. Der Bedeutung der Weiterbildung hat in den vergan- Bedarf an Personen, die agil arbeiten können, ist genen Jahren kontinuierlich zugenommen und am geringsten, aber immer noch zwei Drittel der der Kreis der Weiterbildungsteilnehmer hat sich Beschäftigten sollten diese Fähigkeit beherrschen. ständig vergrößert. 2016 nahm etwa jeder zweite der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildungen teil, Der Vergleich zwischen den Personen, die heute sodass die Deckung des Bedarfs zwar ambitio- bereits über die einzelnen Fähigkeiten verfügen, niert, aber nicht unmöglich erscheint. und denjenigen, die in fünf Jahren aus Sicht von Unternehmen darüber verfügen müssten, zeigt einen hohen Weiterbildungsbedarf. Der höchste
14 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 Die Qualifizierungslücke im Bereich der über- ausreichend sein, vielmehr gilt es im Sinne eines fachlichen Fähigkeiten lässt sich nur schließen, lebenslangen Lernens, eine systematische und indem Menschen im Berufsleben konsequent kontinuierliche betriebliche Weiterbildung zu und kontinuierlich weitergebildet werden. Hier- entwickeln. für werden punktuelle Schulungen allein nicht 1.4 Zwischenfazit und Empfehlungen Ein Bedarf von rund 700.000 Personen mit der Bundesagentur für Arbeit zu ergänzen, die Technological Skills und ein Weiterbildungsbedarf sich immer kurzfristiger wandelnden Bedarfe des von jeweils mehr als zwei Millionen Personen bei Arbeitsmarktes kontinuierlich zu analysieren und überfachlichen Classical Skills – diese Zahlen diese Entwicklungen auch öffentlichkeitswirksam verdeutlichen die Größe der Herausforderung in zu kommunizieren. Auf Grundlage dieses konti- den kommenden Jahren, vor der Deutschland im nuierlichen Monitorings könnten Unternehmen Bereich der Bildung steht. Dabei ist die hier vor- und private Weiterbildungsanbieter zudem gezielt gelegte Ermittlung des Bedarfs als Annäherung neue Angebote entwickeln sowie bestehende und Versuch einer näherungsweisen Quantifizie- Inhalte und Formate anpassen. Entscheidend ist, rung zu verstehen. Wie auch immer die konkreten dass sich auch das Bildungs-, Hochschul- und Bedarfe in der Zukunft ausfallen werden, schon Berufsbildungssystem stärker an den zukünftig jetzt besteht die Notwendigkeit zum Handeln: benötigten Fähigkeiten orientiert und entspre- Es gilt einerseits, die bestehenden Instrumente chende Bildungsangebote (weiter-)entwickelt. METHODIK DER UMFRAGE UND HOCHRECHNUNG DES FUTURE-SKILLS-BEDARFS 607 Unternehmen, darunter Großunternehmen, ren aus Sicht von Unternehmen darüber verfügen Start-ups sowie kleine und mittlere Unterneh- müssten. Beispielsweise ergibt sich für die kom- men, wurden im Juni 2018 online dazu befragt, plexe Datenanalyse, dass in fünf Jahren 455.000 inwieweit ihre Mitarbeiter über einzelne der oben Spezialisten mehr benötigt werden, als heute beschriebenen Future Skills verfügen bezie- in diesem Bereich arbeiten. Die gerundete Zahl hungsweise verfügen müssten. Die Schätzungen 700.000 berechnet sich dabei als prozentuale der Unternehmen bilden die Grundlage für die Differenz (Anteil Personen an allen Mitarbeitern, Hochrechnung. die Skills in fünf Jahren benötigen werden, ab- züglich des Anteils, der ihn heute bereits besitzt) Der zusätzliche Bedarf an Technological Skills multipliziert mit der Gesamtzahl Erwerbstätiger ergibt sich als Differenz zwischen den Erwerbs- der gewerblichen Wirtschaft, Versicherungen tätigen der gewerblichen Wirtschaft, Versiche- und Banken mit hohem Bildungsstand. rungen und Banken mit hohem Bildungsstand (ISCED 5 und 6), die heute über die einzelnen Skills verfügen, und denjenigen, die in fünf Jah-
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN 15 02 FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN » Die Unternehmen in Deutschland stehen » Die Unternehmen in Deutschland wollen den vor zwei Herausforderungen: genügend Umfang der Weiterbildung pro Mitarbeiter Personal mit technologischen Skills in fünf Jahren um ein Drittel ausweiten und zu rekrutieren und gleichzeitig mittels die Anzahl der Weiterbildungstage auf fünf Weiterbildung neue überfachliche Fähig- Tage erhöhen. keiten der bestehenden Belegschaft zu entwickeln. » Unternehmen wollen das informelle Lernen am Arbeitsplatz deutlich ausweiten. 2.1 Künftige Herausforderungen für die Personalarbeit Die Zahlen und Fakten aus Kapitel 1 haben ge- tenzen bedeutsamer. In den USA haben zuletzt zeigt, wie und in welchem Umfang künftig in der 15 große Firmen sogar den College-Abschluss Arbeitswelt neue fachliche und überfachliche als formale Einstellungsvoraussetzung abge- Fähigkeiten erforderlich sind. Sie vermitteln einen schafft. Auswahlentscheidend ist dort fortan das Eindruck davon, mit welch großen Herausfor- Screening von teils zertifizierten, teils informell derungen sich Unternehmen in den Bereichen erworbenen Qualifikationen innerhalb von zuneh- Personalentwicklung und Personalrekrutierung mend individualisierten Kompetenzportfolios. Das in den kommenden Jahren konfrontiert sehen. macht den Auswahlprozess für die Unternehmen Interviews mit Personalverantwortlichen zeigen: aufwendiger und komplexer. Allerdings kommen Die Mehrzahl der Unternehmen reagiert auf zunehmend innovative Formate und Instrumente diese Herausforderung mit einer Ausweitung und zum Einsatz, mit denen die technischen Mög- Differenzierung ihrer Rekrutierungsstrategien. lichkeiten der Digitalisierung nutzbar gemacht Neben formalen Abschlüssen werden für das werden (siehe Exkurs auf Seite 18). jeweilige Unternehmen relevante Mikrokompe-
16 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 Aufwendiger wird der Rekrutierungsprozess vor Vordergrund rücken und Arbeitsweisen der New allem auch für den Bereich der technischen Spe- Economy in ihre Unternehmenskultur integrieren zialisten. Hier ist ein deutlicher Trend zu einem können. globalen Arbeitsmarkt zu erkennen, auf dem Unternehmen zunehmend Mitarbeiter über Län- Viele Unternehmen aus den zuletzt genannten der- und Sprachgrenzen hinweg rekrutieren. Dies Bereichen haben diese Herausforderungen be erfordert zugleich neue Onboarding-Strategien: reits erkannt und orientieren sich bei der Ge- Interne passgenaue Nachqualifizierungen zum staltung ihrer Arbeitsumgebungen und Prozesse Zeitpunkt der Rekrutierung und kulturelle Inte- zunehmend an Elementen der Start-up-Kultur. grationsprogramme gleich nach dem Einstieg In den vertiefenden Experteninterviews wurden werden an Bedeutung gewinnen. hierfür häufig flexible Arbeitszeiten, agile Arbeits- und Co-Working-Kulturen sowie Angebote zu Zwar war es für Unternehmen noch nie einfach, ortsungebundener Arbeit und Homeoffice als neues Personal mit den richtigen Fähigkeiten Beispiele genannt. In großen Unternehmen ist in ausreichender Anzahl zu finden. Besonders zudem seit Längerem ein Trend zum Aufbau schwierig gestaltet sich dies jedoch gegenwärtig konzerneigener Start-ups zu beobachten, die sich für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Ausweis von Dynamik und neuen Geschäfts- in Deutschland, die traditionell nicht zum IT- modellen gezielt an IT-Spezialisten richten. Solche Sektor zählen, aber zunehmend Mitarbeiter mit Arbeitsplätze kombinieren idealerweise die technologischen Fähigkeiten benötigen. So ist Dynamik eines Start-ups mit modernen Arbeits- es für KMU und selbst für sogenannte Hidden bedingungen, der Arbeitsplatzsicherheit und den Champions aufgrund ihrer geringen Größe und Aufstiegsmöglichkeiten in einem internationalen eingeschränkten Bekanntheit oft schwierig, Großunternehmen. Diese Kombination gibt dem eine entsprechende überregionale Sichtbarkeit Unternehmen die Chance, als besonders attrak zu erzielen und als attraktiver Arbeitgeber bei tiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Absolventen und Fachkräften wahrgenommen zu werden. Eine zweite Strategie der Unternehmen, um die Future-Skills-Lücke zu schließen, ist ein erheb- Daneben ist selbst für größere Unternehmen, licher Ausbau der betrieblichen Weiterbildung, die nicht zum IT-Sektor gehören, die verstärkte denn auch die bestehende Belegschaft benötigt Suche nach Mitarbeitern mit technischen Spezial neue überfachliche Fähigkeiten. Die Weiterbil- kenntnissen eine besondere Herausforderung. dung von Mitarbeitern zielt dabei auf die gesamte Diese Unternehmen gehören für Absolventen Bandbreite von Future Skills – von technologi- von IT-Studiengängen aufgrund ihrer bisherigen schen Fähigkeiten über digitale Grundfähigkeiten Geschäftsmodelle nicht zu den typischen Arbeit- bis hin zu klassischen Fähigkeiten – und nutzt gebern, stehen aber mit ihnen im direkten Wett- innovative Weiterbildungsformate (siehe Kapitel bewerb um die besten Talente. Diese etablierten 2.2 und 3). Unternehmen sind in besonderem Maße auf Aktivitäten in den Bereichen Employer Branding Angesichts der skizzierten Entwicklungen werden und Talentmanagement angewiesen, mit denen Bedeutung und Umfang der Personalabteilungen sie die IT- Relevanz ihrer Geschäftsfelder in den in Zukunft deutlich wachsen. 2.2 Personalentwicklung: Mehr Zeit für Weiterbildung Die Schulung und Weiterbildung von Mitarbeitern Qualifikationslücke mindestens zur Hälfte ist ein wichtiger Hebel, um die Belegschaft von schließen wird. Dabei kann die Weiterbildung von Unternehmen mit den erforderlichen Fähigkeiten Mitarbeitern auf die gesamte Bandbreite von auszustatten. In einer Umfrage des McKinsey Future Skills abzielen – von technologischen Fä- Global Institute unter Führungskräften aus dem higkeiten wie nutzerzentriertem Designen bis hin Jahr 2018 sind sogar 75 Prozent der Teilnehmer zu digitalen Grundfähigkeiten wie Digital Literacy. der Meinung, dass die Qualifizierung bestehender Während ein Teil der Fähigkeiten über Schulungen Mitarbeiter die in Unternehmen vorhandene vermittelt werden muss (formales Lernen, zum
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN 17 Beispiel IT-Schulungen), lassen sich andere Fähig- rufen werden (LinkedIn; Academy Cube). Große keiten über das Lernen im Prozess der Arbeit (on Unternehmen experimentieren darüber hinaus the Job) erwerben. Zu diesem informellen Lernen zunehmend mit firmeninternen Lerngruppen gehört zum Beispiel, dass die Fähigkeit zum kol- (Corporate Learning Communities). Bei spiele- laborativen Arbeiten über Projekte erlernt wird, risch gestalteten Events treffen sich Mitarbeiter in denen neue Arten der Zusammenarbeit zum außerhalb von Hierarchien und Abteilungen in Einsatz kommen. neuen Lernumgebungen und vernetzen sich zu Lern-Communities. Darin werden die eigenen Die Analysen von Stifterverband und McKinsey Arbeitsweisen besprochen und Problemlösungen zeigen: Weiterbildung wird nicht nur an Bedeu- gemeinschaftlich erarbeitet. tung gewinnen, sondern zugleich ihren Charakter verändern. Sie setzt früher ein (Onboarding- Laut den Teilnehmern der Umfrage (siehe Info Phase), wird quantitativ ausgeweitet, erhält eine kasten Seite 14) werden bereits heute etwa steigende Relevanz in Arbeitskontrakten und be- 60 Prozent des Weiterbildungsbudgets für Maß- gleitet ein Arbeitsleben deutlich systematischer nahmen ausgegeben, die speziell auf Future Skills als bisher. Auch im Bereich der Weiterbildung wird abzielen. Der Anteil der Unternehmen, die in ihrer Digitalisierung eine zunehmende Rolle spielen. Weiterbildung einen Schwerpunkt auf Future Onlineformate und -plattformen haben eine Skills legen, wird in den nächsten fünf Jahren wei- immer größere Bedeutung für neuartige interne ter steigen – von 65 auf 75 Prozent. Im Hinblick und externe Aktivitäten der Peer-Weiterbildung auf die für formale Weiterbildungsmaßnahmen und des Wissensaustauschs. Unternehmen produ- verfügbare Zeit geben deutsche Unternehmen zieren zunehmend digitale Qualifikationsmodule an, dass ihre Mitarbeiter heute 3,7 Tage pro Jahr und teilen diese mit anderen Unternehmen auf für Weiterbildungen aufwenden; zugleich gehen Onlineplattformen. Lehrinhalte privater und sie davon aus, dass die Weiterbildungszeit über öffentlicher Bildungsanbieter können auf solchen die nächsten fünf Jahre auf durchschnittlich fünf Plattformen integriert und von jedermann abge- Tage pro Jahr steigen wird (siehe Abbildung 5). ABBILDUNG 5: MEHR ZEIT FÜR WEITERBILDUNG Weiterbildung in deutschen Unternehmen in Tagen pro Mitarbeiter und Jahr, heute/in fünf Jahren, in Prozent (nach Aussage von Unternehmen) 6 + 33 % + 34 % + 33 % + 17 % 5,4 5,4 5,0 4,9 5 4,6 4,0 4 3,7 3,7 3 2 1 0 alle Groß- Kleine und mittlere Start-ups Unternehmen unternehmen Unternehmen heute in fünf Jahren + X% Veränderung in den nächsten fünf Jahren Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
18 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2019 EXKURS BEDEUTUNG DIGITALER TOOLS ZUR KOMPETENZ- ERFASSUNG NIMMT STARK ZU Die Digitalisierung stellt die Personalabteilungen entscheiden. Vor allem in den Bereichen Program- nicht nur vor große Herausforderungen bei der mieren und Webentwicklung sind beispielsweise Rekrutierung und Weiterbildung von Mitarbei- Code Challenges und Live Coding Tests mittler tern. Sie bietet für die Personalgewinnung auch weile Standardelemente im Auswahlverfahren. Chancen beim Bewältigen dieser Herausforde- rungen und wird die Personalarbeit ebenso stark Der Trend zur Automatisierung der Auswahlins- transformieren wie andere Funktionsbereiche. trumente schlägt sich auch in unseren Analysen nieder: Wie die Umfrage unter 607 deutschen Personalabteilungen können bei der Personalaus Unternehmen zeigt, werden digitale Auswahl- wahl auf neue technische Möglichkeiten zurück tests, Spiele und Plattformen wie LinkedIn oder greifen, die einen wesentlich größeren Automati- GitHub in den nächsten Jahren an Relevanz sierungsgrad erreichen. Sie können das bestehende gewinnen (siehe Abbildung 6). Heute nutzt nur Portfolio von Auswahlinstrumenten ergänzen und knapp jedes siebte Unternehmen digitale Aus- auch Fähigkeiten erfassen, die bisher kaum im Rah- wahltests und -spiele, in fünf Jahren wird es jedes men von Auswahlprozessen zu beurteilen waren. vierte sein. Jedes dritte Unternehmen wird Be- Computergestützt werden fundierte Entschei- werberprofile auf Skill-Plattformen analysieren. dungen für oder gegen Kandidaten möglich. Das erleichtert Personalabteilungen die Auswahl der Bei den Großunternehmen sind die Zahlen sogar Mitarbeiter, die über den zukünftigen Erfolg mit- noch höher: Jedes zweite (52 Prozent) wird in ABBILDUNG 6: DIGITALE AUSWAHLTESTS, SPIELE UND PL ATTFORMEN GEWINNEN ZUR F ESTSTELLUNG VON FÄHIGKEITEN DEUTLICH AN BEDEUTUNG Anteil der Unternehmen, die angeben, dass sie das Instrument heute/in fünf Jahren nutzen, in Prozent 15,3 Digitale Auswahltests und Spiele 27,8 + 82 % 28,1 Vorstellungsgespräche (digital) 48,4 + 72 % Analyse von Bewerberprofilen 22,5 auf Plattformen wie LinkedIn, Klout, GitHub 35,1 + 56 % Assessment-Center oder 17,3 Recruitment-Camps vor Ort 23,0 + 33 % Automatisierte Vorauswahl 31,7 von Bewerbern auf Basis der eingereichten Unterlagen 41,2 + 30 % 71,3 Vorstellungsgespräche (analog) 61,0 – 15 % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 heute in fünf Jahren +/– X % Veränderung in den nächsten fünf Jahren Quelle: Stifterverband/McKinsey 2019
FUTURE-SKILLS-BEDARF: DIE ROLLE DER UNTERNEHMEN 19 Zukunft auf diese Auswahlinstrumente setzen. Daneben werden auch Plattformen wie Klout Selbst wenn sie ausschließlich für Akademiker Score (inzwischen nicht mehr am Markt aktiv) zum Einsatz kommen, werden in fünf Jahren wichtiger. Diese beurteilen die Reichweite und jährlich rund 280.000 Einstellungen mit Unter- Wirkung der Social-Media-Aktivitäten einer stützung von Onlinetools vorgenommen werden. Person. Diese Informationen ermöglichen HR- Jedes zweite Unternehmen wird in Zukunft Vor Abteilungen eine erste Einschätzung der Eignung stellungsgespräche digital durchführen. Dafür dieser Person für spezifische Jobs mit Bezug zu dürfte vor allem die zunehmende Internationa- Social-Media-Marketing. Im Bereich IT hat sich lisierung der Personalrekrutierung verantwort- mittlerweile mit GitHub eine Standardplattform lich sein. Aber auch klassische Verfahren wie für Arbeitsreferenzen etabliert. Die befragten Assessment-Center (+33 Prozent) und die auto- Unternehmen sehen in diesen Arbeitsproben matisierte Vorauswahl von Bewerbern auf Basis einen wichtigen Nachweis von Fähigkeiten. eingereichter Unterlagen (+30 Prozent) nehmen Der Mehrwert, der von den beschriebenen deutlich an Bedeutung zu, während analoge Plattformen ausgeht, liegt in der mit wenig ma- Vorstellungsgespräche (–15 Prozent) weniger nuellem Aufwand verbundenen Einschätzung der wichtig werden. Die bestehenden Methoden der Fähigkeiten eines Kandidaten. In vergleichbarem Personalauswahl sind und bleiben also wichtig. Umfang wäre dies allein auf der Basis der Analyse Die Digitalisierung ermöglicht es in erster Linie, einer klassischen Bewerbung nicht möglich, mehr Kontextinformationen über Bewerber zu sodass mit der Verbreitung dieser Plattformen sammeln und diese auf Basis digitaler Instrumente ein deutlicher Transparenzgewinn über Qualifi automatisch auszuwerten. kationsprofile für Unternehmen verbunden ist. Doch wie können diese neuen digitalen Instru- Weiteres digitales Rekrutierungspotenzial be- mente konkret dazu beitragen, die Future-Skills- steht auch durch die Anreicherung fachlicher Herausforderung zu lösen? Für die Rekrutierung Auswahlinstrumente um spielerische Elemente von Technologie-Spezialisten gewinnen Job- (Gamification): Diese spielerischen Ansätze bieten Matching-Plattformen zunehmend an Bedeu- besondere Möglichkeiten, die überfachlichen tung, die auf dem amerikanischen Markt b e- Fähigkeiten von Kandidaten automatisiert zu be- reits in großer Zahl vertreten sind und gezielt urteilen. Sie schaffen es zudem, durch spielerische auf den Nachweis von technologischen Fähig Aufgabenstellungen konkrete Praxissituationen zu keiten zielen. simulieren und die Bewerber bei der Suche nach Lösungen zu beobachten. Ein prominentes Beispiel Plattformen wie zum Beispiel Portfolium ermög- für den Gamification-Ansatz im Bereich klassischer lichen es den Nutzern, mit geringem Aufwand überfachlicher Skills ist das Spiel Wasabi Waiter Arbeitsproben auf die Plattform zu laden, etwa des Silicon-Valley-Start-ups Knack. Hier schlüpfen Hausarbeiten oder Projektarbeiten. Diese Ein Spieler in die Rolle eines Kellners, der dafür sorgen träge werden anschließend automatisch analy- muss, dass das Sushi rechtzeitig auf dem Tisch siert und mit Informationen über eingetragene steht, neue Gäste einen Platz finden, Teller gespült Berufserfahrungen und die hierbei erworbenen sind und Ordnung gehalten wird. Über einen Fähigkeiten verknüpft. Durch ein systematisches Algorithmus wird aus den Daten, die während des Matching dieser Millionen von Nutzerprofilen mit Spiels erfasst werden, ein individuelles Qualifi- veröffentlichten Stellenausschreibungen ergeben kationsprofil erstellt, beispielsweise zu Problem- sich umfangreiche technische Qualifikations- lösungsfähigkeit, Kreativität, sozialer Intelligenz profile, auf deren Basis einzelne Kandidaten mit und Selbstkontrolle. Das Spiel kann, entsprechend geeigneten Unternehmen in Kontakt gebracht angepasst, für die Auswahl von Kandidaten in einer werden können. Vielzahl von Bereichen eingesetzt werden.
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