Fahr ab - twinkle, twinkle, all the stars - Sie isch vom Amt ufbotte gsi - Networking für kritische Geister - Im Gespräch mit Manuela Pfrunder ...
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AZB CH-3012 Bern bärner studizytig #14 dezember 2018 — Fahr ab — twinkle, twinkle, all the stars — Sie isch vom Amt ufbotte gsi — Networking für kritische Geister — Im Gespräch mit Manuela Pfrunder — SUB-Seiten: Was haben Sie mit uns vor, Frau Häsler?
Editorial #14 Liebe Freund*innen, noch einmal menstruieren häregluegt4 und dann ist Weihnachten – Fahr ab Nähe, Nächstenliebe, Freundschaft, Nachsicht, Liebe und Vergebung dri guslet 9 hausieren derzeit in allen Ecken des Landes. Es ist die Zeit der verordneten Besinnlichkeit und die Welt hält sich daran: Im Angesicht der knisternden Autofeuer in den Pariser – twinkle, twinkle, all the stars Strassen schmiegt sich Ostermundigen an die starke Berner Schulter, Alec von Graffenried es gchäär 11 stellt sich stundenlang neben die Bläser*innen der Heilsarmee und verteilt Decken an frierende Kulturschaffende, Erich Hess zieht mit seinem Elektroroller von Tür zu Tür, – Sie isch vom Amt ufbote gsi um Spenden für mittelständische Unternehmen zu sammeln, die wegen der horrenden Gewinnsteuer die betriebsinterne Weihnachtsfeier vom Schweizerhof ins Ibis Budget inägspienzlet20 verlegen müssen. Und wie Recherchen dieser Zeitung nicht zeigen, erweiterte der Bundes- Beratungsstelle der Berner rat das Rahmenabkommen um eine «Kaminfeuer-Klausel», deren Inhalt bisher zwar – Networking für Hochschulen offiziell erst dem Christkind bekannt ist, von der sich gut unterrichtete Quellen jedoch nichts weniger als eine «heisse Liebesrevolution im Verhältnis EU-Schweiz» versprechen. kritische Geister plöiderlet22 Beratung / Coaching Bei so viel Kitsch kommt die 14. Ausgabe der bärner studizytig gerade richtig, ... m it Manuela Pfrunder Persönliche Beratungen zu Themen wie: Studiengestaltung (Studienplanung, Studienfachwechsel und Fächerkombination, Alternativen zum Studium, Koordination von Studium und Erwerbs- denn bei uns findet sich keine Spur vorweihnachtlicher Weltverklärung. Stattdessen arbeit, Studium und Familie, Studienfinanzierung), Arbeits- und Lerntechniken und Bewältigung schauen wir dorthin, wo die Nächstenliebe ein Schattendasein fristet. Beispielsweise wärweisetä26 von Prüfungen, Laufbahnplanung und Berufseinstieg, Konflikte in persönlichen und studienbezo- genen Beziehungen, Schwierigkeiten, Krisen und persönliche Entwicklung. nach Bern und Neuenburg, wo den Fahrenden auch in der kalten Jahreszeit wenig Mailberatung für Studierende zu Informationsfragen und bei persönlichen Anliegen unter Wärme entgegengebracht wird. Wintergrau entpuppt sich auch der Kontakt mit den www.beratungsstelle.bernerhochschulen.ch grümschelichischtä27 Sozialhilfebehörden der Stadt, wie unser umfangreicher Erfahrungsbe- Unsere Angebote sind vertraulich und unentgeltlich. Telefonische oder persönliche Anmeldun- richt zeigt. Ein Bericht von der Langen Nacht der Bildung beschreibt, wie gen nimmt das Sekretariat entgegen. die Studierenden gegen die zunehmende Ökonomisierung der Bildung auf- sub-seiten28 begehren und im Interview mit Manuela Pfrunder geht es um das, was Information Weihnachten und die Welt im Innersten zusammenhält – Dinero. Infos, Tipps und Downloads zu Lern- und Studienkompetenzen, z.B. zum Lernen, zum wissen- – Was haben Sie mit uns schaftlichen Schreiben, zum Referieren, zur Prüfungs- und Stressbewältigung, gegen das Auf- vor, Frau Häsler? schieben (Prokrastination). Wegweiser zur Studienfinanzierung. Hilfreiche Infos und Materialien zu verschiedene Studienphasen: Studienbeginn, Übergang Bachelor-Master, Doktorat sowie zum Lehnt euch also zurück und befeuchtet die trockene Kehle mit warmem Eier- – Quo vadis, Academia? Berufseinstieg: Kompetenzprofil, Berufsfelder, Stellensuche, Bewerbung, Vorstellungsgespräch. Ein Studium so spannend wie vielfältig www.beratungsstelle.bernerhochschulen.ch likör, die studizytig fährt ein: zwar weder mit Schlitten noch Geschenken, dafür rotnasig und mit einem grossen Sack voller Geschichten. Wir wünschen viel Spass bei der Lektüre. Job-Aussichten in der öffentlichen Verwaltung, gemeinnützigen Zu studiumsbezogenen und zu psychologischen Themen (z.B. persönliche Entwicklung, Bezie- Organisationen, im Journalismus, Forschung und Lehre u.v.a.m. hungen, Depressionen, Ängste, Konflikte) finden Sie ausgewählte Fachliteratur in unserer Biblio- thek. Eure Redaktion Deine Ausrüstung für Kaderstellen und internationale Einsätze redaktion@studizytig.ch Interdisziplinär, akademisch und berufspraktisch Workshops Austauschsemester an den Partneruniversitäten Lausanne und Wir leiten Workshops zu Themen wie: Lern- und Arbeitstechniken, Referatskompetenz, wissen- schaftliches Schreiben, Prüfungssituation, Stressbewältigung, persönliche Entwicklung und Sozial- Lugano sowie an ausländischen Partneruniversitäten möglich kompetenz, Berufseinstieg, Laufbahnplanung, Mentoring (Programm auf unserer Website). Alle Informationen unter: Beratungsstelle der Berner Hochschulen Erlachstrasse 17, 3012 Bern www.pmp.unibe.ch oder 031 631 53 11 oder pmp@kpm.unibe.ch Tel. +41 31 635 24 35 E-Mail: beratungsstelle.bernerhochschulen@erz.be.ch Anmeldung via ZIB bis 31. August 2019 (für Bärner Studis Website: www.beratungsstelle.bernerhochschulen.ch gebührenfrei) Montag bis Freitag 8.00 - 12.00 und 13.30 - 17.00 Uhr (Freitag bis 16.30 Uhr) Die Bibliothek ist am Mittwochvormittag geschlossen. Die Beratungsstelle ist auch während der Semesterferien geöffnet. Titelbild: manuela pfrunder, ivie onaiwu 25.07.2017 bst/RN 1-MPMP-Aff-A1.indd 1 01.12.15 12:06
häregluegt häregluegt Fahr ab Rekurs ans Bundesgericht zeltende Tourist*innen und ausser Kont- niedergelassen. Die Anwohner des 300-See- Zwei Neuenburger*innen jeni- rolle geratene Pfadilager angegangen wer- len-Dorfes waren darüber alles andere als scher Herkunft, der jenische Verein schäft den sollen, liegt auf der Hand – der Artikel erfreut: Sie beklagten sich über Abfall und qwant und die Menschenrechtsorgani- ist unbestritten auf die Wegweisung von Fäkalien; Gemüsebauern fürchteten um sation Gesellschaft für bedrohte Völker fahrenden Minderheiten zugeschnitten. ihre Ernte. Eine polizeiliche Räumung des haben beim Bundesgericht Rekurs gegen Dass deren Halten mit einfachem touris- Areals gestaltete sich mangels gesetzlicher Jährlich passieren unterschiedlichste Gruppen ausländischer Fahrender das Neuenburger Gesetz eingereicht. tischem «Campieren» gleichgesetzt wird, Grundlage als äusserst kompliziert. Mit während den Sommermonaten die Schweiz. Nur sechs offizielle «Das Gesetz wurde ohne Ein- bezug der fahrenden Minderheiten erar- ist unter dem Gesichtspunkt des Diskrimi- nierungsverbotes umso bedenklicher. Der dem neuen Polizeigesetz soll dies künftig erleichtert werden. Transitplätze stehen ihnen für Durchgangshalte zur Verfügung. beitet und gewisse Passagen verstossen Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer spricht Einschränkend wird geregelt, Verschiedene Kantone beschliessen derweil Regelungen, die das Rasten unserer Ansicht nach gegen bundes- und völkerrechtliche Vorgaben. Auch das Recht in einem juristischen Gutachten zu besag- tem Artikel von einer unzulässigen rechtli- dass die polizeiliche Wegweisung von Fah- renden nur dann erlaubt sein soll, wenn auf Privatgrundstücken erheblich erschweren und Wegweisungen auf Rekurs wird verletzt. In anderen Kanto- chen Gleichbehandlung. ein Transitplatz zur Verfügung steht. Hier erleichtern. Alternativen in Form von offiziellen Transitplätzen sind nen wie etwa Bern werden ähnliche Rege- lungen eingeführt, deshalb wollen wir die Wie in Neuenburg ist auch die restriktive Berner Gesetzgebung haupt- zeigt sich aber dasselbe Problem wie im Nachbarkanton: Es gibt schlicht zu wenige. Mangelware – obwohl die Schweiz zu deren Bereitstellung Rechtslage vom Bundesgericht überprü- sächlich eine Reaktion auf einen jüngeren Wie das Gesetz zu einer Lösung des Kon- verpflichtet wäre. fen lassen, um hier Klarheit zu schaffen», sagt Angela Mattli, Kampagnenleiterin der Vorfall: Rund 500 ausländische Fahrende hatten sich im Sommer 2017 in Wilerolti- fliktes um die Aufenthaltsmöglichkeiten von Fahrenden beitragen soll, bleibt offen. Gesellschaft für bedrohte Völker. Der fehlen- gen auf einem Feld neben der Autobahn Gegen das neue Polizeigesetz de Einbezug der fahrenden Gemeinschaften wurde das Referendum ergriffen – unter Mit dem «Loi sur le stationnement des com- unklar: Mehr offizielle Aufenthaltsmöglich- Beherbergen von Fahrenden in Landwirt- bei einem sie betreffenden Gesetz verstosse anderem wegen besagtem Wegweisungs- munautés nomades» (LSCN) hat der Kanton keiten im Kanton anzubieten, wird im Ge- schaftszonen wird privaten Grundeigen- gegen das Rahmenübereinkommen für den «Hauptsache, die artikel. Somit wird im Februar 2019 die Neuenburg im Februar dieses Jahres ein setz bloss als erstrebenswerte Idee in einer tümer*innen schliesslich für höchstens Schutz von Minderheiten. Das Neuenburger Berner Stimmbevölkerung über die po- Gesetz erlassen, das den Aufenthalt von generellen Absichtserklärung erwähnt. zweimal 30 Tage im Jahr erlaubt. Das gilt Gesetz sei als Kurzschlussreaktion zu be- fahrenden Jeni- lizeiliche Behandlung von Fahrenden Fahrenden auf Kantonsgebiet regeln soll. Explizit wird hingegen festgehalten, dass für Weiden ebenso wie für brachliegende trachten: Im Jahr 2016 habe es Probleme mitentscheiden können. Das Gesetz war im Kantonsparlament ohne Plätze soweit möglich ausserhalb des Felder, ungenutzte Landwirtschaftsbetrie- mit einer Gruppe ausländischer Fahrender schen, Sinti und nennenswerte Opposition beschlossen Kantons vermittelt und bereitgestellt wer- be, Hof- oder Reitplätze. auf dem damals noch geöffneten Neuen- Die Suche nach Transitplätzen worden. Zurzeit besteht im Kanton Neu- den sollen. Nur wenn es nicht anders geht, Wird irgendeine dieser Aufla- burger Transitplatz gegeben. Die Situation Roma kommen Es ist offensichtlich, dass ge- enburg ein einziger Transitplatz für den sollen in Neuenburg provisorische Aufent- gen nicht befolgt oder besteht ein überwie- sei komplex gewesen, die Polizei involviert, setzliche Regelungen wie jene in Neuen- befristeten Aufenthalt ausländischer Fah- haltsmöglichkeiten geschaffen werden. gendes öffentliches Interesse, so liegt laut die Rechtslage unklar. «Da hat sich alles nicht mehr. Das burg und Bern vor allem einen Ausbau des render. Dieser wurde 2016 eigentlich ge- Zudem wird im Gesetz verankert, dass nur Gesetz ein «illegales Campieren» vor. Darauf hochgekocht und man sagte sich: Jetzt Angebots an offiziellen Aufenthaltsmög- schlossen, wird nun aber jeweils während die spezifische Kategorie der Transitplätze kann mit sofortiger polizeilicher Räumung machen wir ein Gesetz und fertig», erklärt war der Konsens.» lichkeiten für fahrende Minderheiten nach der Sommermonate kurzfristig wieder ausländischen Fahrenden offensteht. Die und Wegweisung reagiert werden. Die rele- Mattli. Das Gesetz stiess im Conseil d'Etat, geöffnet. Das Areal bietet Platz für rund strikte Trennung zwischen schweizeri- vanten öffentlichen Interessen nennt das dem Neuenburger Kantonsparlament, auf 70 Wohnwagen und ist ausgestattet mit schen und ausländischen Fahrenden wird Gesetz auch gleich selbst: Natur- und Was- äusserst wenig Gegenwehr: Ein einziger einem einzigen ToiToi-WC. Fliessend Was- sowohl vom Europarat als auch von der serschutz, Sicherheit, Schutz vor unlaute- Antrag gegen die polizeiliche Wegwei- Das Provisorium in Brügg ser, Duschen oder Strom sucht mensch Gesellschaft für bedrohte Völker kritisiert, rem Wettbewerb, öffentliche Gesundheit. sungsklausel wurde deutlich abgelehnt. dort vergeblich. Faktisch gibt es für den weil sie potenziell eine ablehnende Hal- Interessen der fahrenden Gemeinschaften «Hauptsache, die fahrenden Jenischen, Kanton Neuenburg in Bezug auf den Auf- tung gegenüber letzteren fördere. bleiben dabei gänzlich unerwähnt. Schutz- Sinti und Roma kommen nicht mehr. Das enthalt von fahrenden Minderheiten dem- Als wäre das der Einschränkun- fristen bei der Räumung oder aufschieben- war der Konsens», kommentiert Angela nach praktisch nichts zu verwalten. Wozu gen noch nicht genug, werden auch private de Wirkung bei einer Anfechtung derselben Mattli den Gesetzgebungsprozess. also ein ganzes neues Gesetz? Grundeigentümer*innen, die ihr Grund- gibt es keine. Eine Räumung betrifft sodann Wann ein Entscheid des Bun- Das LSCN weckt den Anschein, stück freiwillig für spontane Halte zur Ver- jeweils die ganze Gruppe Rastender – Unter- desgerichts zu erwarten ist, wissen die Re- raumplanerische Vorgaben zu machen – fügung stellen möchten, mit restriktiven scheidungen nach einzelnen Personen oder kurrierenden nicht. in der Tat ist es aber primär Polizeigesetz. Regulierungen eingedeckt: Ein Beherber- Wohnwagen sind nicht vorgesehen. Förderung oder Unterstützung der fah- gen von Fahrenden setzt mit dem Inkraft- Auch Bern will wegweisen renden Gemeinschaften findet sich darin treten des LSCN zwingend einen schriftli- In das Berner Polizeigesetz hat nicht, dafür aber ein ganzes Sortiment an chen, vom Kanton vorgegebenen Vertrag Interessen der sich im Zuge seiner Totalrevision ebenfalls polizeilichen Kontroll- und Sanktionsmög- voraus. Bei Ankunft der Fahrenden müs- ein Artikel eingeschlichen, der die polizei- lichkeiten. sen diese den Vertrag bei der kantonalen fahrenden liche Wegweisung von fahrenden Minder- Jede fahrende Gemeinschaft, Kontrollstelle registrieren und überprü- heiten erleichtern soll. Elegant wird im die einen Halt auf Kantonsgebiet machen fen lassen, welche dann gleich noch eine Gemeinschaften Gesetz vermieden, die Fahrenden expli- möchte, muss neu im Vornherein bei einem Garantiesumme in bar einzieht. Die Dauer zit zu nennen – es geht um «unerlaubtes Kontrollorgan vorsprechen und strengen des Aufenthalts spielt dabei keine Rolle bleiben gänzlich Campieren auf privatem und öffentlichem Auflagen zustimmen. Wo genau dieser Halt – eine Nacht reicht aus, um die administ- Boden». Dieses stellt neu einen legitimen schlussendlich stattfinden soll, ist höchst rative Maschinerie in Gang zu setzen. Das unerwähnt. Wegweisungsgrund dar. Dass damit nicht 4 5
häregluegt häregluegt sich ziehen müssten. Dass diesbezüglich gen, dass ausländischen Fahrenden mit So wehrt sich im Kanton Bern Wi- Auch in Meinisberg, wo 2016 ein Tran- Suche wird also von Neuem beginnen. Fahren, auf die reduziert. Wenn in der gesamten Schweiz ein grosser Man- EU-Bürgerschaft die Einreise und die ge- leroltigen seit zwei Jahren vehement sitplatz geplant war, stiess das Vorhaben Der Kanton will das Problem weiterhin die Schweiz wirklich die ganze Kultur gel besteht, ist unbestritten. Bei den aus- werbliche Betätigung ermöglicht werden. gegen die Einrichtung eines offiziellen auf offene Ablehnung von Seiten der Ge- über dauerhaft gesicherte Transitplätze akzeptieren und ernstnehmen würde, ländischen Fahrenden spitzt sich die Lage «Behördlich ist diese Verpflich- Transitplatzes auf seinem Gemeindege- meinde. Die Meinisberger*innen fanden lösen. Die zuständige Regierungsrätin dann müsste sie von sich aus auf solche in besonderem Masse zu, da ihnen durch tung heute eigentlich unbestritten – was biet. Die Protestaktionen reichen von der ihren eigenen Weg des Protests: Sie ver- Evi Allemann hält auf Anfrage fest: «Der Ideen kommen: dass Fahrende beispiels- die Segregation zwischen Schweizer und fehlt, ist der politische Wille. Dieses The- Schaffung eines Bürgerkomitees über anstalteten ein «Solidaritätsfest» gegen Regierungsrat geht davon aus, dass mit weise auch Kinder haben und dass die ausländischen Fahrenden nur ein Bruch- ma ist einfach zu wenig sexy. Man gewinnt klare Nein-Voten in konsultativen Ab- die Pläne des Kantons. Mit Bier und Brat- der Realisierung des in Wileroltigen vor- auch Spielplätze mögen, genau wie das bei teil der Plätze offensteht. Magere sechs damit keine Wahlen», konstatiert Venanz stimmungen bis hin zum Aufhängen von würsten wurde solidarisch der Antipathie gesehenen Transitplatzes der Bedarf im einem Wohnblock der Fall ist», kommen- Transitplätze, einige davon bloss Proviso- Transparenten oder dem Bepflanzen des gegen die ausländischen Fahrenden, die Kanton Bern gedeckt sein wird. Lang- tiert Venanz Nobel. rien, bieten derzeit Haltemöglichkeiten fraglichen Platzes mit Mais, um den Halt bisher noch gar nie auf Gemeindegebiet fristig bedarf es aber eines schweizwei- für rund 110 Wohnwagen. Nach Aussage «Dieses Thema ist von Fahrenden physisch zu verunmögli- gehalten hatten, Ausdruck verliehen. ten Ansatzes und eines verstärkten En- Kein Massenphänomen von Angela Mattli wären mindestens 10 chen. Als nach den Vorfällen im Sommer Das Projekt scheiterte schlussendlich im gagements des Bundes.» Mit dem Bau in Rund 0,3 Quadratkilometer bis 15 ständige Transitplätze zwingend einfach zu wenig 2017 vernommen wurde, dass sich kurze Bernischen Grossen Rat an den zu hohen Wileroltigen soll frühestens 2022 begon- Land, oder anders ausgedrückt: 0,01% notwendig, um der Nachfrage gerecht zu Zeit später erneut französische Roma auf Kosten. nen werden. Kürzlich informierte der Kan- der planungsrechtlichen Siedlungsfläche werden. sexy.» dem Areal niederlassen wollten, griffen der Schweiz wären gemäss Venanz Nobel Die Schweiz ist denn auch einige Bewohner*innen der Gemeinde gesamtschweizerisch nötig, um das Bedürf- nicht nur aus moralischen oder raumpla- gemäss Medienberichten gar zu Hühner- nis nach Plätzen für sämtliche Fahrenden nerischen Überlegungen heraus zu einem Nobel, selber Jenischer, Mitbegründer mist, Gülle und Betonklötzen, um das Are- Mit Bier und Bratwürsten wurde zu befriedigen. Genaue Zahlen der Anzahl ausreichenden Angebot an Transitplätzen des Vereins schäft qwant und langjähriger al zu verbarrikadieren. Hinnerk Semke, Ge- ausländischer Fahrender, die jährlich die angehalten – sie ist dazu verpflichtet. Die Aktivist für die Anliegen der Jenischen. meindepräsident von Wileroltigen, betont, solidarisch der Antipathie gegen die Schweiz passieren, sind schwer zu finden. Grundrechte gewährleisten Schutz und Ob aus mangelndem politischem Willen, dass ihm keine Vorfälle mit Fäkalien vertei- Schätzungen gehen davon aus, dass sich Anerkennung der fahrenden Lebenswei- Platzmangel oder unklar verteilten Kom- lenden Einheimischen bekannt seien. Er ausländischen Fahrenden Ausdruck in den Sommermonaten jeweils zwischen se. Die Rechtsprechung des Bundesge- petenzen – klar ist, dass die Schweiz enor- sieht die drastischen Reaktionen in seiner 500 und 800 und in Spitzenzeiten bis zu richts sowie des Europäischen Gerichts- me Schwierigkeiten hat, ihren Verpflich- Gemeinde durch die Dynamik der konkre- verliehen. 1'500 Wohnwagen ausländischer Fahren- hofs für Menschenrechte proklamiert seit tungen nachzukommen. Verschiedene ten Situation begründet: «Wir wurden vom der in der Schweiz befinden. Fakt ist: Aus- Jahren die Verpflichtung der Behörden, Akteur*innen auf Gemeinde-, Kantons- Kanton alleingelassen und hatten keine ländische Fahrende sind kein Massenphä- die räumlichen Bedürfnisse der Fahren- und Bundesebene spielen sich den Ball Möglichkeit, etwas gegen die Fahrenden Ein erfrischend anderer Wind weht da- ton Bern deshalb über Pläne, auf dem Areal nomen. den in die Raumplanung zu integrieren. gegenseitig zu. Wo auch immer die Schaf- zu unternehmen.» Als der Regierungsrat gegen in Brügg, dank seiner Lage im der Vollzugsanstalt Witzwil einen nächsten Dass ein ausreichendes Ange- Auch das schweizerische Kulturförde- fung eines Transitplatzes konkret zum endlich aktiv wurde, habe er durch die Seeland ebenfalls beliebter Durchgangs- provisorischen Transitplatz zu eröffnen. bot an Möglichkeiten für legale und geregel- rungsgesetz enthält diese Verpflichtung. Thema wird, stösst das Vorhaben auf heftige Ankündigung eines definitiven Platzes ort für ausländische Fahrende. Als ers- Auch in der Gemeinde Gampelen, zu der te Durchgangshalte sowohl den fahrenden Darüber hinaus muss die Schweiz gemäss Gegenwehr von Seiten der betroffenen nicht zur Klärung, sondern zur Eskalation te Gemeinde im Kanton Bern hat sich die Vollzugsanstalt gehört, regt sich bereits Gemeinschaften als auch den umliegen- dem Freizügigkeitsabkommen dafür sor- Gemeinden. der Situation beigetragen. Brügg freiwillig zur Verfügung gestellt, jetzt erster Widerstand. den Anwohner*innen dient, scheint nahe- einen provisorischen Transitplatz zu eröff- Ein Blick über die Landesgren- liegend, denn nur wenn auf einem Platz nen. Im vergangenen Sommer bot das Areal zen hinaus zeigt, dass die Schweiz sich überhaupt Regeln gelten, können Verstösse Mit Einrichtung des Provisoriums wurden auf allen anderen Plätzen in Brügg Verbotsschilder angebracht zwischen Autobahn und Industrie erstmals schwerer tut als beispielsweise Frankreich: auch sanktioniert werden. Dass trotzdem offiziell Platz für 21 Wohnwagen. Die Regeln Dort ist jede Gemeinde mit mehr als 5'000 verschärfte Polizeigesetze statt geregelter waren von der Gemeinde klar festgelegt: Einwohner*innen gesetzlich dazu verpflich- Verhältnisse geschaffen werden, spricht für Ausweiskontrolle, Einzug der Miete in bar, tet, einen Platz für fahrende Minderheiten eine gewisse Überforderung und ist wohl klares Platzreglement. Die Kontrolle er- zur Verfügung zu stellen. Dieses Gesetz sei Ausdruck eines tieferliegenden Unbehagens folgte durch eine Gruppe freiwilliger Brüg- zwar in der Realität nicht immer explizit gegenüber der nicht-sesshaften Lebenswei- ger*innen sowie den Gemeindepräsidenten so umgesetzt, doch sei Frankreich definitiv se: Der Schweiz sind die Fahrenden suspekt selbst. «Von Anfang an wurde das Vorhaben auf einem anderen Level als die Schweiz, – zumindest, wenn sie nicht nur fahren, son- in Brügg eng begleitet durch einen Media- betonen Angela Mattli und Venanz Nobel. dern auch noch halten. text: jana schmid , tor, der selbst zur Gemeinschaft der Sinti So unterscheide sich in Frankreich ne- david burgherr; bild: davide della porta und Roma gehört.», erklärt Angela Mattli, ben der Anzahl vor allem die Infrastruktur «Wir hoffen, dass das Schule macht.» Die Ge- der Plätze deutlich von der Schweiz. Viele genwehr in der Bevölkerung war denn auch Plätze seien beispielsweise mit Waschma- gering, und die Erfahrungen des vergange- schinen, Kinderspielplätzen oder Werkstät- Fakt ist: nen Sommers durchwegs positiv. Der einzi- ten ausgestattet. Über solche Dinge wird in ge Haken an diesem Märchen: Das Projekt der Schweiz noch nicht einmal diskutiert Ausländische ist befristet auf zwei Jahre. Im Herbst 2019 – selbst grundlegende Infrastruktur wie wird der Platz seine Tore wieder schliessen sanitäre Anlagen und Wasseranschlüsse Fahrende und Brügg nach eigenem Dafürhalten seine ist keine Selbstverständlichkeit. Hierzu- Dienste getan haben. Andere Gemeinden lande geht es vorderhand um die einfache sind kein Massen- seien dann an der Reihe. Eine langfristige Bereitstellung von Haltemöglichkeiten auf Lösung kommt für Brügg nicht in Frage. Die ungenutzten Arealen. «Es wird alles auf das phänomen. 6 7
häregluegt driguslet twinkle, twinkle, Kommentar Fahrende Minderheiten kämpfen in der Schweiz nach wie vor um Anerkennung. In letzter Zeit scheint sich die Lage gar zu verengen: Gemeinden wehren sich mit all the stars Evi Allemann Venanz Nobel Zuständige Regierungsrätin Kanton Bern Jenischer, Mitbegründer des Vereins schäft qwant, Händen, Füssen, Mais und baulichen Mitglied der Eidg. Kommission gegen Rassismus Massnahmen dagegen, Fahrenden einen «Die grösste Herausforderung besteht Platz zu bieten. Die Kantone wiederum darin, eine Gemeinde zu überzeugen, auf ih- «In den meisten Kantonen ist das Bedürf- reagieren auf den Missmut der Kommunen rem Gebiet einen Transitplatz bereitzustel- nis nach Plätzen für Fahrende heute in mit halbausgegorenen Gesetzen. Auffal- len. Ausländische Fahrende sind teilweise die Richtpläne aufgenommen. Das ist ein lend scheint dabei, dass sich die Legislati- in grossen Gruppen unterwegs, was zu grös- hehres Ziel, doch das Problem liegt bei ven hierzulande nicht ausgiebig mit der seren Belastungen führen kann. Der Wider- der Umsetzung. Es sind viele verschiedene Thematik auseinandersetzen mögen. stand in der Bevölkerung beruht allerdings Akteure, die sich die Aufgabe wie eine heisse Stattdessen wird herumgedruckst und in In der letzten Ausgabe der bsz regnete es Sternchen. Mehr auch auf latenten Vorurteilen, die durch die oftmals negative Berichterstattung in Kartoffel hin und her schieben. Auch in Volksabstimmungen spiegeln sich Vorur- den Bestimmungen finden sich am Ende höchstens blosse Lippenbekenntnis- oder weniger unauffällig rutschten sie in Wörter wie den Medien befördert werden. Die Prob- teile und Unkenntnis über die wahren Ver- se, meist entpuppen sie sich jedoch als «Versicherungslobbyist*innen» oder «Freizeitrevoluzzer*innen» lematik lässt sich nur mittels Schaffung von langfristig gesicherten Transitplätzen hältnisse, verknüpft mit latentem Rassis- mus, wider. Hier liegt aber ein strukturel- Ausweitungen von Repressionsmöglich- keiten. Um das Zusammenspiel von (gesehen im Editorial). Warum wir uns für die Sternchen lösen. Die Erfahrungen in anderen Kanto- les Problem: Interessen von Minderheiten Behörden und fahrenden Minderheiten entschieden haben, erklären wir in diesem Artikel. nen sowie mit dem provisorischen Transit- lassen sich mit demokratischen Mitteln klar und effektiv zu regeln, müssten die platz in Brügg zeigen, dass mit offiziellen kaum erfüllen. Hinzu kommt eine Stigma- Gesetzgeber schon beim Ausarbeiten der Plätzen ein geregelter Betrieb sichergestellt tisierung ausländischer Fahrender in den Erlasse mit den Betroffenen zusammenar- werden kann und illegale Spontanhalte Medien. Das Vorurteil der mangelnden beiten. Wie das Beispiel Neuenburg zeigt, Warum gendern? wider. Und obwohl uns in zahlreichen Programmiersprache steht das Sternchen vermieden werden können.» Hygiene hat sich in den Köpfen festgesetzt. geschieht dies leider nicht. Wahrscheinlich haben mittlerweile die Lebenssituationen eine klare Einteilung für eine beliebige Anzahl an Buchstaben, So entsteht ein schräger Diskurs zwischen Das Ganze lässt sich als Symptom einer meisten davon gehört, dass das generi- von «Mann» und «Frau» in ein binäres Sys- während der Unterstrich einen Zwischen- Tatsachenbehauptungen, Nationalismus, Entwicklung lesen, die seit einigen Jahren sche Maskulin nicht das Gelbe vom Ei ist. tem eingebläut wird – beispielsweise in raum schaffen soll. Ferner gibt es zahlrei- schweizerischem und Einzug in zahlreiche gesellschaftliche Viele Studien zeigen, dass Frauen im All- den Statistikvorlesungen der Uni Bern – che Nischenvorschläge, beispielsweise der offenem Rassismus. » Institutionen hält: Was als bürgerlicher tagsgebrauch nicht mitgedacht werden, greift diese Einteilung zu kurz (siehe Box). dynamische Unterstrich, der innerhalb Konsens gilt, verengt sich stetig. Alles, wenn nur die männliche Form verwendet eines Worts wandert (die Repor_terinnen). was dem Ideal des bürgerlichen Lebens wird. Stattdessen immer die weibliche und Warum Sternchen? Dahinter steht die Kritik am oben genann- ärger zuwider geht als erwünscht, wird männliche Form auszuschreiben oder das Zahlreiche Schreibweisen ver- ten statischen Unterstrich, dieser zemen- Angela Mattli verdrängt, unter den Teppich gekehrt, Binnen-I zu verwenden, wie bis anhin die suchen, die Vielfalt der Geschlechter zu be- tiert die Trennung zwischen der weibli- Kampagnenleiterin Minderheiten & Diskriminierung, unsichtbar gemacht und als unmoralisch bsz, ist ebenfalls nicht der Weisheit letzter rücksichtigen. Am bekanntesten sind das chen und der männlichen Form und stellt Gesellschaft für bedrohte Völker dargestellt. Es ist an der Zeit, dieser Schluss. Denn ein Binnen-I spiegelt nur die Sternchen und der Unterstrich (die Repor- dadurch die Binarität der Geschlechter Engstirnigkeit entgegenzutreten, am binären Geschlechter «Mann» und «Frau» ter*innen bzw. die Reporter_innen). In der nicht infrage. Der dynamische Unterstrich «Das Ziel sollte sein, Plätze für alle fahren- Hinnerk Semke besten mit der Anerkennung der fahrenden soll zum Ausdruck bringen, dass es keinen den Jenischen, Sinti und Roma zu schaffen, Gemeindepräsident Wileroltigen Minderheiten als Teil dieser Gesellschaft festen Ort gibt, an dem die Grenze zwi- egal ob schweizerische oder ausländische, und Partner*innen auf Augenhöhe in den schen «Mann» und «Frau» verläuft. Aller- mit klaren und fairen Reglementen. In der «Bezüglich des geplanten Transitplatzes in Verhandlungen um Gesetze, die sie inter und trans dings werden die Wörter dadurch schwerer Schweiz sind aber sowohl die Anzahl Plät- unserer Gemeinde bin ich zwiegespalten: betreffen. nop lesbar. Eine andere Variante ist der Dop- ze als auch deren Infrastruktur sowie die Einerseits sehe ich ein, dass der Regie- Neben Mann und Frau gibt es diverse weitere Geschlechter. Unterschieden werden pelpunkt, der die Durchlässigkeit zwischen bürokratischen Hürden sehr problema- rungsrat einen klaren Auftrag des Bundes- die Begriffe inter (oder intergeschlechtlich, intersexuell) und trans (oder transident, Mann und Frau symbolisieren soll (die Re- tisch. Eigentlich sind fahrende Jenische, rats hat, entsprechende Plätze zu suchen. transgender). Intergeschlechtliche Menschen können aufgrund von genetischen, porter:innen). Sinti und Roma die am besten kontrol- Andererseits ist es störend, dass man als anatomischen, hormonellen oder anderen körperlichen Merkmalen nicht klar als Wir haben uns für das Stern- lierten Minderheiten in der Schweiz. Es ist Gemeinde wenig Mitspracherecht hat und männlich oder weiblich eingeordnet werden. Trans-Menschen können meist nach chen entschieden, da es verglichen mit unverständlich, weshalb es solche Gesetze nicht darüber abstimmen kann. Zudem der Geburt klar zugeordnet werden, merken allerdings früher oder später, dass die- den Nischenvorschlägen schon relativ braucht. Das Ganze ist auch ein historisch sind wir ein zu kleines Dorf für eine grös- se Zuordnung für sie nicht passt. Ein Grossteil der Trans-Menschen identifiziert verbreitet ist und uns die Ästhetik des gewachsenes Problem. Die Thematik wur- sere Anzahl Fahrender. Deshalb können sich binär (eine Person wurde nach der Geburt als Mann zugeordnet, identifiziert Sternchens gefiel. Die Lesbarkeit spielte, de viel zu wenig aufgearbeitet, sie ist nicht wir uns einen definitiven Transitplatz auf sich aber als Frau, und umgekehrt). Manche trans-Menschen identifizieren sich als gerade im Vergleich mit dem dynamischen im Bewusstsein der Menschen und das unserem Gemeindegebiet nicht vorstellen. non-binär (oder nicht-binär), sind also zwischen oder ausserhalb der Kategorien Unterstrich, ebenfalls eine Rolle. Aus- spiegelt sich in der Politik wider: Es ist Für eine provisorische Lösung würden wir «Mann» und «Frau». Nichts zu tun haben diese Begriffe mit der sexuellen Orientie- serdem schliesst das Sternchen im Ge- eine Politik der Abwehr und nicht eine der aber durchaus Hand bieten, weil dann jede rung sowie mit Kunstformen wie Drag. gensatz zum Unterstrich nicht nur Leute Offenheit im Hinblick auf die Minderhei- Gemeinde einen Beitrag leisten würde. ein, die sich zwischen «Mann» und «Frau» ten der Jenischen, Sinti und Roma.» Das wäre für uns die beste Alternative.» verorten, sondern auch Menschen, die diese 8 9
inägspienzlet es gchäär Sie isch vom Amt ufbotte gsy «Vom Iigang, d'Schtäge uf, und de nach rächts het sie sech gwändet, isch dür'ne länge Gang, de wider rächts und de graduus, de zrügg, und wider links, bis wo der Korridor het gändet, de wider zrügg und gradus witer – meh und meh konfus.» In einer schwierigen Situation wandte sich meine Freundin an den Sozialdienst. Es war der Beginn einer Odyssee, wie sie Mani Matter schon besang. «Entschuldigen Sie bitte», spreche ich die ten Situation werden. Stattdessen folgte nur noch im Kreis zu drehen. Wenn das Frau vom Schalter an, die gerade durch ein administrativer Spiessrutenlauf, der geschieht, schafft sie es nicht, aus dem eine Tür in den Warteraum getreten ist. mich dazu veranlasst hat, diesen Artikel zu Bett zu kommen. Sie sagt, dass die Proble- «Wir haben gleich einen Termin und ich schreiben. me sie erdrücken. Sofern sie am Nachmit- müsste noch ein Dokument ausdrucken tag aufsteht, nimmt sie sich viel vor, aber und ein weiteres kopieren...». «Hier kön- Probleme über Probleme bringt nichts zustande. Dadurch fühlt sich nen Sie nicht drucken», unterbricht sie Seit über fünf Jahren ist al- noch schlechter. Also räumt sie ihr Zim- mich. «Ok. Aber ich müsste auch noch ein les, was ich Amélie wünsche, eine kurze mer auf, manchmal mehrmals pro Wo- Dokument kopieren. Und da hinten steht Verschnaufpause von ihren Problemen. che. Und trotzdem habe ich ihr Zimmer ein Kopierer, über dem ein Schild mit der Stattdessen wechseln sich die Probleme noch nie in einem ordentlichen Zustand Aufschrift hängt. Der ab, wenn es darum geht, ihr Kopfzerbre- gesehen. Bei der Niedergeschlagenheit Kopierer ist am Strom angeschlossen, lässt chen zu bereiten. Mal dringt das eine von Amélie handelt es sich um ein neues sich aber nicht anschalten», erkläre ich ihr an die Oberfläche, dann das andere. Je Problem. Eine Art Resignation ab dem jah- mein Anliegen. Sie schaut mich kurz an nach Situation lösen sie sich ab oder relangen Kampf gegen die nie endenden und sagt dann: «Kopieren können Sie nur verstärken sich gegenseitig. Wenn sich Existenznöte und familiären Schwierigkei- am Morgen.» Dann geht sie weiter. Da ist es alle Probleme gleichzeitig bemerkbar ten. Ich bin mir noch nicht sicher, ob die- wieder: Dieses Gefühl von Ohnmacht. Mir machen, werden sie zu einem unüber- ses Problem mit den anderen zusammen kommt nicht ein vernünftiger Grund für windbaren Berg, einem Tunnel ohne verschwinden würde, oder ob es schon ein diese Regel in den Sinn. Trotzdem weiss ich, Ende oder einem Waldbrand mit unzäh- Eigenleben führt. Aber was bringt diese dass Nachfragen nichts bringt. «Das ist halt ligen Brandherden. Dann springen die Frage schon? Solange die anderen Prob- so», «Das habe nicht ich entschieden», «Das Gedanken von Amélie von einem Prob- leme da sind, lässt sie sich sowieso nicht Einteilung als solche für sich ablehnen Ist das wirklich wichtig? ohne medizinische Gründe kurz nach der steht im Dokument, das Sie erhalten ha- lem zum anderen, um sich schliesslich beantworten. und Geschlecht als soziales Konstrukt er- Die Frage mag aufkommen, Geburt operiert werden, was deren Men- ben», lauten die Antworten, die keine sind. achten. Diese Idee gefiel uns. ob angesichts von verschiedenen Diskri- schenrechte verletzt. Manchmal gibt es noch einen bedauernden minierungen im Alltag die Sprache ein Die Sprache allein wird es also Blick dazu, nämlich wenn die Person den Was ist mit den Frauen? dringendes Problem ist. Minderheiten nicht richten. Um Geschlechterrollen Sinn einer Weisung selbst nicht nachvoll- Wer sich in die Tiefen des Inter- sprachlich zu berücksichtigen ist wichtig, aufzubrechen, den Zwischen- und Aus- ziehen kann. Ich habe das Gefühl, ein Spiel nets vorwagt, wo gendergerechte Sprache weil es deren Sichtbarkeit erhöht und ein senräumen mehr Platz zuzugestehen und zu spielen, bei dem meine Spielpartner*in- diskutiert wird, trifft auf Skeptiker*innen. Anfang für grundlegende Veränderungen Ungleichheiten zu beseitigen, braucht es nen nach Belieben neue Regeln erfinden, Mit der ganzen Debatte um die Sternchen, sein kann. Noch gibt es diverse Ungleich- mehr als ein paar Sternchen im univer- um mich dann immer auf ein neues Regel- die schlussendlich einer Minderheit die- heiten zwischen Geschlechtern, beispiels- sitären Kontext. Aber Sternchen sind zu- buch zu verweisen. Wer hätte da noch Lust, nen, gehe die Sichtbarkeit der Frauen ver- weise bezüglich Lohn oder der Verein- mindest ein Anfang, weil sie eine Debatte mitzuspielen? Aber zum Spielen sind wir loren, argumentieren manche. Der aufge- barkeit von Familie und Beruf. Über die auslösen. Ausserdem zeigen sie den Stern- sowieso nicht da. Heute ist der erste Ter- regten Debatte würde etwas Gelassenheit Diskussion darf nicht vergessen werden, chen unter uns, dass sie wahrgenommen min von Amélie* beim Sozialdienst Bern, guttun. Schliesslich ist die Idee von oben dass in der Schweiz noch heute Kinder mit werden. Also an alle Sternchen da draus- einen Monat, nachdem wir mit der Anmel- genannten Schreibweisen, alle zu inkludie- Genitalien, die nicht eindeutig als männ- sen: Wir haben euch gesehen. text: alexis dung begonnen haben. Die Anmeldung ren, ohne neue Hierarchien zu schaffen. lich oder weiblich einzuordnen sind, strähl, illustration: nico schmezer sollte der erste Schritt aus ihrer vertrack- 10 11
es gchäär Kapiteltitel Wenn sich alle Probleme gleichzeitig kubinat sind, noch Kinder haben und fak- bemerkbar machen, werden sie zu tisch getrennt sind. Helfe ich ihr hingegen nicht, damit an ihrer Bedürftigkeit auch ja einem unüberwindbaren Berg, einem keine Zweifel entstehen, überlasse ich sie komplett ihrer Misere, bis es zu einer Ent- Tunnel ohne Ende oder einem Wald- scheidung kommt – und die lässt auf sich warten. Doch wer kann einem Menschen brand mit unzähligen Brandherden. in einer solchen Situation zusehen, ohne helfen zu wollen? Besonders, wenn man die Person kennt und sie einem am Herzen liegt? Ausserdem hätte Amélie ohne diese Ende Juli dieses Jahres haben sich die Pro- WG in Biel überhaupt nicht wohl. Bevor sie freien Wochentage für ihre andere Arbeit. Nothilfe nicht einmal die Kraft, das Ver- bleme einmal mehr angestaut. Sie mit all dorthin gezogen war, wohnte sie für einige Mit ihrem Lohn öffnete Amélie Rechnun- fahren fortzuführen. Als ich Mitte August ihren Ursachen und Zusammenhängen Monate bei mir, weil sie sich keine Miete gen, Mahnungen und Betreibungen schon sehe, dass sie von all den Anforderungen ausführlich zu beschreiben, sprengt den leisten konnte. Da zwischen uns unklar ist, gar nicht mehr, sie verschwanden im Cha- komplett entmutigt ist, schlage ich ihr vor, Rahmen dieses Erfahrungsberichtes. Hier ob und wie es weitergehen soll, zog sie im os ihres Zimmers. Hilfe suchte sie sich welche Unterstützung Amélie denn wie Kontoauszüge, Lohnabrechnungen, gemeinsam die Dokumente zusammenzu- soll es nur um die finanziellen Probleme Mai dieses Jahres aber wieder aus. schon seit Langem keine mehr. Einerseits Anspruch hätte und bot ihr an, sie zum der Mietvertrag, die Betreibungen, die letzte stellen und sie bis zum Ende des Verfah- gehen. Einerseits betreffen sie alle ande- Aber nun zu den finanziellen aus Unwissen, dass und wo sie Anspruch Sozialdienst zu begleiten. Steuerveranlagung, die Krankenkassenprä- rens zu begleiten. ren Probleme, andererseits haben sie über Problemen: Das obligatorische Master- darauf hätte, andererseits aufgrund nega- mie und -rechnungen oder Arbeitsverträge die Jahre wohl die meisten Spuren hinter- praktikum in einem Berner Museum gefiel tiver Erfahrungen in der Vergangenheit. 27. Juli – Ein erster Schritt und -zeugnisse. Dass Amélie auch noch die lassen, in sozialer als auch psychischer Amélie sehr, war aber anstrengend. Vor al- Das einzige Mal, als sie sich während Am 27. Juli gehen wir gemein- Scheidungsurkunde ihrer Eltern einrei- Hinsicht. Ganz ohne Kontext geht es aber lem half es ihr, die finanziellen Probleme einer akuten Notlage an einen Sozial- sam zum Sozialdienst Bern. Zuvor haben chen soll, mutet komisch an. Weder kann Nicht nur Amélies nicht, deshalb fasse ich Amélies Situati- eine Zeitlang zu verdrängen. Gelöst waren dienst wandte, wurde ihr gesagt, als Stu- wir uns überlegt, an welchen Sozialdienst ihre Mutter sie unterstützen, noch hat sie on kurz zusammen. Zu den finanziellen sie aber nicht. Der Praktikumslohn reich- dentin müsse sie Stipendien beantragen. wir uns am besten wenden. Amélie hatte Kontakt zu ihrem Vater. Und vor allem ist Gedanken und Problemen gesellten sich noch weitere: te nicht aus, um ihre laufenden Ausgaben Das stimmt zwar. Was aber auch stimmt, ihre Schriften noch in Bern, war also an Amélie dreissig Jahre alt. Trotzdem muss Die familiär bedingten Sorgen nahmen zu decken. Ihrem anderen Job konnte sie ist, dass Sozialdienste dazu verpflichtet meiner Adresse gemeldet und arbeitete sie die finanziellen Verhältnisse ihrer Mut- ihr Zimmer sind im August neue Dimensionen an, Amélie in dieser Zeit kaum nachgehen, ausser sind, Überbrückungshilfe zu leisten. Als hier. Tatsächlich wohnte sie in Biel. Da die ter auch noch offenlegen. litt wegen ihres Studiums unter grossen sie musste am Wochenende im Museum sie nämlich 2013 Stipendien beantragte, Wohnsituation in Biel aber provisorisch war Nachdem wir den Sozialdienst chaotisch, auch Versagensängsten und fühlte sich in ihrer arbeiten. In diesem Fall nutzte sie ihre bekam sie erst nach mehreren prekären und jeder weitere administrative Schritt wie verlassen haben, atmet Amélie auf, bedankt Monaten eine negative Entscheidung mit die Abmeldung in Bern und Anmeldung in sich und meint, dass sie nun alleine wei- mit den Doku- dem Angebot, ein zinsloses Darlehen auf- Biel sie entmutigte, beschlossen wir, uns termachen könne. Jedes Mal, wenn sie zunehmen, für welches sie derzeit betrieben an den Sozialdienst Bern zu wenden – Eine etwas Mut schöpft, bin ich erleichtert. Da- menten sieht es wird. Wenn ich ihr jeweils half, schämte sie Entscheidung, die wir in den nächsten bei hätte ich es besser wissen müssen. In sich abgrundtief, egal wie sehr ich ihr zu Monaten noch einige Male bereuen wür- den nächsten Wochen sehen wir uns etwas nicht besser aus. erklären versuchte, dass auch ich für mei- den. Am Schalter weist sich Amélie aus weniger. Amélie wird mit weiteren famili- nen Lebensunterhalt von meinen Eltern und wir erklären kurz ihre Situation. Dar- ären Schwierigkeiten konfrontiert, hat gar abhängig war und sie für ihre Situation ja aufhin muss sie Formulare zu ihrer finan- kein Geld mehr und kann wegen mangeln- 23. August – Arbeitslosigkeit nichts könne. Dass es zwischen uns nicht ziellen Situation ausfüllen und schriftlich dem Arbeitsbedarf nur ein- bis zweimal die schafft Arbeit mehr gut lief, machte es in der letzten Zeit erklären, weshalb sie Sozialhilfe beantragt. Woche arbeiten. Um von Biel zur Arbeit in Nicht nur Amélies Gedanken verständlicherweise noch schwieriger für Anschliessend wird ihr eine Liste mit Bern zu gelangen, muss sie schwarzfahren und ihr Zimmer sind chaotisch, auch mit sie, Hilfe anzunehmen, so sehr wir versu- Dokumenten ausgehändigt, die sie einrei- und wird einmal dabei erwischt. den Dokumenten sieht es nicht besser aus. chen, diese Dinge zu trennen. Gleichzeitig chen muss. Da sie gerade ihr Praktikum Immer wieder gebe ich ihr et- Sie müssen zuerst gefunden oder angefor- schien sie selbst keinen Ausweg aus ihren beendet hat, einer Arbeit nachgeht und was Bargeld für das Nötigste. Dass ich ihr dert werden. Am 23. August verbringen wir Problemen mehr zu sehen. Und so rutsch- studiert, ist die Liste besonders lang. Denn kein Geld überweise, hat damit zu tun, dass einen halben Tag damit, alles zusammen- te sie nach dem Wegfall des Praktikums das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass sie das vom Sozialdienst so aufgefasst würde, zutragen und zu kopieren. Schliesslich langsam in einen depressiven Zustand ab. alle anderen potentiellen Ansprüche auf dass ich willens und fähig bin, sie zu unter- fehlt uns nur noch die Anmeldung beim Zu diesem Zeitpunkt konnte sie seit drei Unterstützung abklärt, bevor sie sich an den stützen. Das ist paradox: Helfe ich ihr, ihre RAV in Bern. Dort angekommen, wartet Monaten ihre Krankenkassenprämie nicht Sozialdienst wendet. Das bedeutet in ihrem grundlegendsten Bedürfnisse bis zur Ent- die nächste Flut an Anweisungen: Abge- mehr bezahlen, hatte Mietrückstände, ein Fall konkret, dass sie Stipendien beantra- scheidung zu decken – und damit meine ich sehen von einem Formular zum letzten gesperrtes Mobilabonnement und wurde gen und sich beim RAV und der Arbeitslo- nicht einmal die Miete oder die Kranken- Anstellungsverhältnis und dem Beginn vom kantonalen Steueramt und der Kran- senkasse anmelden muss, auch wenn ihr kassenprämie, sondern, dass sie zu Essen der Arbeitslosigkeit, einem kompletten kenkasse betrieben. Hinzu kamen weitere letzter Stipendienantrag abgelehnt wurde hat und nicht gezwungen ist, schwarzzu- Bewerbungsdossier und den ehemaligen unbezahlte Rechnungen wie die Imma- und sie laut der Person am Schalter wegen fahren – wird das als Unterstützung aufge- und aktuellen Arbeitsverträgen und -zeug- trikulationsgebühren, die ungeöffnet in der Höhe ihrer Praktikumslöhne kaum Geld fasst und der Sozialdienst könnte die Hilfe nissen, die wir dem RAV abgeben, muss ihrem Zimmer herumlagen. Also erkun- von der Arbeitslosenkasse erhalten wird. verweigern. In diesem Fall wäre sie von mir Amélie für die Arbeitslosenkasse von allen digte ich mich in meinem Umfeld, auf Dazu kommen die üblichen Dokumente abhängig, obwohl wir weder in einem Kon- Arbeitgebern der letzten zwei Jahre eine 12 13
es gchäär es gchäär Einige Tage später erhalte ich einen Brief. 6. September – Nach der kalten sitive bedeutete eine kurze Erleichterung, len und persönlichen Striptease aber gar Mit Abklärungen meinte der Sozialarbeiter, Schulter der warme Empfang einen kleinen Schritt vorwärts. Danach nicht mehr vorstellen, was Amélie hätte dass ich ein Formular zu meiner finanziel- Bei unserem ersten Termin müssen wir uns immer noch mit den verbergen können. Hätte sie noch was auf len Situation ausfüllen und meine letzte beim Sozialdienst Bern werden wir von Schulden, der Jobsuche, dem Studium Offshore-Konten gehabt, hätten wir uns Steuerveranlagung, eine Immatrikulati- Frau Engerer* empfangen. Es ist das erste und psychologischer Hilfe auseinander- dieses Verfahren gespart. onsbestätigung, Lohnausweise und eine Mal, dass Amélie ihre Situation ausführ- setzen, ganz zu schweigen von den fami- Ich erkundige mich bei Frau Deklaration einreichen muss, wonach lich darlegen kann. Frau Engerer ist em- liären Problemen. Und dann vielleicht Engerer, ob Amélie einen Arzttermin mich meine Eltern finanziell unterstüt- pathisch, hört zu und gibt uns Auskunft. mal Amélies WG-Probleme lösen. «Ich vereinbaren könne und wie wir mit der zen. Es ist zum Verzweifeln. Schliesslich Auch sie sagt uns, dass wahrscheinlich der musste zwar etwas dafür kämpfen, aber Rechnung vorgehen müssen. Denn um ist Amélie nur einige Monate zu mir gezo- Sozialdienst Biel für Amélie zuständig ist, wir können Frau Schreiber für den Monat eine Arztrechnung zu bezahlen, reicht gen, weil sie keine Miete bezahlen konnte sie aber in Anbetracht der prekären Situa- September unterstützen, unter der Bedin- das Budget nie und nimmer aus. Frau En- und es zuhause nicht mehr aushielt, nur tion Amélies eine einmalige Unterstützung gung, dass sie bis am 16. September ihren gerer erklärt uns, dass der Sozialdienst um dann nach Biel in eine WG zu ziehen. beantragen wird. Ausschlaggebend für Wohnsitz nach Biel verlegt und sich beim Arztrechnungen nicht direkt bezahlt. Sollte das etwa schon reichen, dass ich für die Zuständigkeit eines Sozialdienstes ist Sozialdienst Biel anmeldet.» Sie bietet an, Entweder der Klient oder die Klientin sie aufkommen muss und sie gezwungen nämlich der Lebensmittelpunkt einer Per- das Dossier von Amélie nach Biel zu schi- oder die Krankenkasse müssten die Rech- wäre, «formell» bei mir zu bleiben? Ich rufe son, wobei Amélie mindestens gleich viel cken, damit wir unter Umständen nicht nung zuerst bezahlen. Der Sozialdienst an und erkläre die Situation: Dass Amélie Zeit in Bern wie in Biel verbringt. mehr alle Dokumente neu einreichen müs- erstattet die Rechnungen erst zurück, Arbeitsbestätigung mit allen Angaben zum stehen zu lassen? Und weshalb kann man Ich frage Frau Engerer unter- sen. Eine Garantie dafür kann sie uns aber wenn die Franchisenabrechnung vor- Lohn und dem Arbeitsverhältnis einrei- nachmittags nicht einfach ein paar Doku- dessen, wie sie denn mit Menschen umge- nicht geben, da jede Gemeinde das selbst- liegt. Ausgerechnet Amélies Kranken- chen. Bei Amélie betrifft das drei Arbeit- mente abgeben? Am nächsten Tag muss hen, die am nächsten Tag aus ihrer Woh- ständig handhabt. kasse ist aber die einzige in der ganzen geber, nämlich zwei Praktikumsstellen Amélie arbeiten und dann ist Samstag. Wir Es gibt angeneh- nung geworfen werden oder sich nichts und ihre unbefristete Arbeitsstelle. Weil sie können die Anmeldung also erst nächste mehr zu Essen leisten könnten? Die viel- trotz «Arbeitslosigkeit» ein kleines Einkom- Woche abschliessen. meres, als die leicht zu lange gewartet haben, um Hilfe Hätte sie noch was auf Offshore- men erwirtschaftet, muss ihr derzeitiger zu suchen, sie dann aber umso dringender Arbeitgeber darüber hinaus monatlich ein 27. August – Geteilter Kühl- eigenen Bezie- benötigen? Schliesslich haben wir mehre- Konten gehabt, hätten wir Dokument ausfüllen und Auskunft darüber schrank, geteilte Verantwortung re Wochen gebraucht, um einen Termin geben, wie viel sie gearbeitet hat, weshalb Am Montag sind wir wieder hungsprobleme zu erhalten, der dann erst zur Prüfung des uns dieses Verfahren gespart. sie nicht mehr gearbeitet hat, respektive ob zurück, um die Unterlagen einzureichen. Dossiers führt. Frau Engerer sagt, dass der ihr mehr Arbeit angeboten wurde und sie Ein sympathischer Sozialarbeiter nimmt vor unbekannten Sozialdienst ohne Entscheidung nichts diese abgelehnt hat. Auf die Frage, wie viel sie entgegen und geht sie mit uns durch. auszahlt. Das einzige, was sie tun könne, sei Stellenprozente sie sucht, gibt Amélie 60% Als er merkt, dass Amélie als Untermiete- Menschen einen Gutschein für den Ryfflihof-Coop in Dann besprechen wir das Budget für den Schweiz, die das Tiers-Payant-Modell an, weil sie ja noch einen Praktikumsbericht rin in Bern mit mir und einer weiteren in Bern auszustellen. Dort könne man einkau- Monat September. Amélie hat als Einzel- nicht akzeptiert, also keine Rechnung und ihre Masterarbeit schreiben muss – einer Zwei-Zimmer-Wohnung gemeldet ausbreiten zu fen, der Betrag wird dann von der nächsten person in einer WG Anspruch auf 1331.20 im Voraus bezahlt. Aber das sollten wir nochmals eine Entscheidung, die wir be- ist, fragt er uns, ob wir ein Paar seien. Ich Unterstützung abgezogen. Wir verabschie- Franken, wovon 271.10. vom Sozialdienst erst später erfahren, als Amélie eine Arzt- reuen werden. Wir führen mittlerweile eine bejahe, sage aber, dass wir eigentlich nicht müssen. den uns, nachdem wir mit Frau Engerer zurückgehalten werden, weil die Kran- rechnung erhält, auf der sie sitzen bleibt. lange To-do-Liste, um nicht die Übersicht mehr zusammen sind. Es gibt angenehme- den nächsten Termin am 11. September kenkassenprämie direkt von ihm bezahlt In Bezug auf die Schulden und zu verlieren, wem wir welche Dokumente res, als die eigenen Beziehungsprobleme vereinbart haben. Bis dahin sollte der Sozi- wird. Normalerweise wäre der Grundbe- Betreibungen sagt Frau Engerer, dass wir zukommen lassen müssen. vor unbekannten Menschen ausbreiten zu aldienst eine Entscheidung gefällt haben. darf etwas höher, aber da Amélie noch ver- sie laufen lassen müssen, da der Sozial- Am Nachmittag kehren wir müssen. Aus Angst, dass wir an den Sozi- dient, wird vom Grundbedarf auch noch dienst keine Schulden bezahlt. Zuvor ha- zum Sozialdienst zurück, um die Anmel- aldienst Biel verwiesen werden, haben wir in Bern arbeitet und noch bei meiner 11. September – Zurück der Lohn abgezogen. Im Monat August lag ben wir uns mit den Gläubigern in Kontakt dung abzuschliessen. Am Eingang ziehe bisher nämlich nicht gesagt, dass Amélie Adresse gemeldet ist, aber eigentlich in auf Feld eins dieser bei 399.20 Franken. Wegen ihrer gesetzt und Amélies Situation erklärt. Bei- ich ein Ticket. Als wir aufgerufen werden, eigentlich in Biel wohnt. Der Sozialarbei- eine WG in Biel gezogen sei. Mir wird «Und, nervös?», fragt uns Frau Arbeitstätigkeit erhält sie aber eine Zulage de antworteten innerhalb eines Tages, dass erkläre ich der Angestellten, dass wir einige ter meint, dass der Sozialdienst dann auch gesagt, dass dann wohl der Sozialdienst Engerer lächelnd. Es ist der zweite Termin von 100.– Fr. – ein «Zückerchen» für ihre In- sie verpflichtet seien, die Betreibungen Dokumente einreichen müssten, um die noch meine finanzielle Situation abklären Biel zuständig wäre, aber dass wir jetzt mal beim Sozialdienst Bern. Am Morgen hatte tegrationswilligkeit in den Arbeitsmarkt. weiterzuziehen, wenn Amélie zahlungsun- Anmeldung zu vervollständigen. Sie sagt müsse. Ich sage, dass ich Student bin und den ersten Termin abwarten sollten. Es Amélie ihren ersten Termin beim RAV in In Anbetracht dessen, dass Amélie schon fähig sei. Abgesehen davon, dass die Notla- mir, dass ich das falsche Ticket gezogen von meinen Eltern unterstützt werde. «Ach reiche, wenn ich die Deklaration und eine Bern, der schwer an Sinnlosigkeit zu über- immer gearbeitet hat, eine Absurdität. Be- ge einer Person dadurch immer schlimmer habe. Wir gehen zurück und ziehen das so, dann gibt es bei Ihnen sowieso nichts Immatrikulationsbestätigung mitnehme. bieten war, dafür unsere To-Do-Liste noch- vor die Zahlung ausgelöst werden kann, gemacht wird, ergibt das für mich auch öko- richtige. Dann warten wir. Als wir zehn zu holen. Aber die Abklärungen müssen Ich bin immer wieder erstaunt: Wird man mals «bereicherte». Ich bezweifle, dass auf muss Amélie nochmals einige Dokumen- nomisch keinen Sinn. Wir haben eine Raten- Minuten später wieder aufgerufen werden, wir trotzdem machen», meint er mit bedau- aufgefordert, ein Dokument einzureichen, Frau Engerers Begrüssung eine negative te einreichen und andere unterzeichnen. zahlung vorgeschlagen, doch stattdessen fal- stehen wir wieder vor derselben Frau (es ernder Mine. Immerhin gibt er uns einen kann es aber nicht organisieren, wird Entscheidung folgen wird. Ich kann ihr Es geht darum, dass alle potentiellen Ein- len durch die Betreibungen ständig weitere ist dieselbe wie beim Druckervorfall). Als Zettel, auf dem unser erster Termin mit zuerst auf stur gestellt. Erklärt man dann, auch ansehen, dass sie sich für Amélie künfte wie die Arbeitslosenentschädigung administrative Gebühren an, die Amélie of- ich ihr die Dokumente geben möchte, sagt einer Sozialarbeiterin vermerkt ist. Diese aus welchen Gründen man es nicht ein- freut. Trotzdem irritiert mich die Frage oder Stipendien an den Sozialdienst ge- fenbar nicht bezahlen kann. Sollten die Gläu- sie: «Anmeldungen können Sie nur am Mor- ist dafür zuständig, den Anspruch Amélies reichen kann, heisst es, man schaue mal. ein wenig: Es ist ja nicht so, als warteten hen. Zudem muss sie ihr Einverständnis biger daran interessiert sein, dass sie jemals gen machen.» Ich schaue sie entgeistert an. auf Sozialhilfe abzuklären. Der Termin Und schliesslich geht es auch ohne. Diese wir hier auf die Lottozahlen. Eine negati- geben, überwacht zu werden, sollte der wieder auf eigenen Beinen steht und ihre Wäre es ihr nicht möglich gewesen, uns das findet allerdings erst in eineinhalb Wochen einseitige Regelauslegung ist unglaublich ve Entscheidung würde Amélie nämlich Sozialdienst Zweifel an ihren Angaben ha- Schulden zurückzahlen kann, haben sie den gleich mitzuteilen, statt uns nochmals an- statt, am 6. September. frustrierend. komplett in die Apathie treiben. Eine po- ben. Ich kann mir nach diesem finanziel- falschen Weg gewählt. 14 15
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