Trans Schwerpunkt-Thema: Lübecker AIDS-Hilfe eV
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„Ziemlich viel wird auf ein Körperteil reduziert. Und die erste Frage die kommt: ‚Was hast du denn da unten?‘ … und wenn du da nichts hast, bist du auch kein Mann.“ Jim, ein schwuler Transmann Schwerpunkt -Thema: *Trans Rundbrief Nr. 2-2019 Lübecker 1 AIDS-Hilfe e.V.
Editorial Liebe Freundinnen und Freunde der Lübecker AIDS-Hilfe, wir begrüßen euch ganz riskieren und somit auch mit men oder um sich bei uns testen herzlich zu unserem zweiten HIV und/oder anderen sexuell zu lassen. Rundbrief im Jahre 2019. übertragbaren Infektionen an- stecken könnten, haben wir viel Wir haben viele spannende Arti- Habt ihr auch das Gefühl, dass zu lange ignoriert. Trans*Men- kel zum Thema Trans* sammeln das Thema Trans* in der letzten schen haben in allen unseren können. Wir waren erstaunt da- Zeit omnipräsent ist? Wie viele Broschüren und Botschaften rüber, wieviel Menschen bereit Menschen eine Trans*Identität viel zu wenig Berücksichtigung waren, sich zu äußern. Unser haben, wissen wir nicht genau, gefunden. Dank gilt all denen, die uns tief die meisten Studien gehen aber in ihr (Seelen)leben mit ihren von unter 1 % der Bevölkerung Das wollen wir ändern. Das Beiträgen blicken lassen. aus. Müssen wir uns nun alle Schwerpunktthema unse- damit so intensiv auseinander res Rundbriefes lautet daher Zum Abschluss möchten wir setzen? Trans*. Sicherlich werden wir euch unseren "Offenen Treff" auf unserem Weg zu mehr Ak- jeden Donnerstag von 16 bis Wir denken schon. Trans*Men- zeptanz und Toleranz auch mal 18 Uhr ans Herz legen, der die schen wurden in der Vergangen- das eine oder andere Fettnäpf- Möglichkeit bietet, sich im ent- heit sowohl rechtlich als auch chen nicht auslassen. Aber wir spannten Rahmen zu treffen gesellschaftlich ignoriert, aus- wollen den Weg gehen, Trans*- und ins Gespräch zu kommen! gegrenzt, als psychisch krank Menschen mit ihren Anliegen Vielleicht sehen wir uns dort?! abgestempelt, diskriminiert und gerecht zu werden. Niemand auch kriminalisiert; ihnen Vor- soll sich schämen, bei der Aids- gaben für die Geschlechtsan- hilfe um Rat zu fragen, um eine Till, Antonia und Hildegard passung gemacht, die mehr als Risikoabschätzung zu bekom- nur menschenun- würdig sind. Aber auch wir Aidshilfen müs- sen uns an die ei- gene Nase fassen: Dass Menschen mit einer Trans- identität auch Sex haben, sich dabei 2
Aus der LAH Wir haben geheiratet Nach über 20 gemeinsamen Jahren haben wir loren haben und wie unendlich dankbar wir im April 2019 bei strahlendem Sonnenschein sind, diese schwere Zeit überlebt zu haben. im Neuenburger Schloss (bei Varel) im Kreise Das Thema HIV und AIDS hat uns zusammen- unserer Familie standesamtlich geheiratet. geführt, verbunden und begleitet. So erinnern Anfang Mai fand dann die kirchliche Trauung wir uns gern an die Zeit mit den Menschen statt. Vielleicht kennt der eine oder die andere rund um die LAH und freuen uns über die die Sankt-Jürgen-Kapelle in der Ratzeburger entstandenen Kontakte. Allee / Ecke Sankt-Jürgen-Ring? Diese Kapelle ist relativ klein, aber hell, freundlich und recht Leider kämpfen wir nun seit ein paar Jahren schlicht gehalten. Überraschenderweise be- mit Dörtes Krebserkrankung, aber auch hier kommt man drinnen vom Lärm des Straßen- lassen wir uns nicht unterkriegen. verkehrs nichts mehr mit, man taucht fast ein in eine andere Welt. Nun grüßen wir Euch alle als Ehepaar und danken für die lieben Glückwünsche und das Und so war der Gottesdienst dann auch Geschenk und hoffen auf ein fröhliches und sehr romantisch, nicht zuletzt wegen der möglichst gesundes Wiedersehen zwei Musikstücke auf der Bratsche (mit Dörte und Uwe Orgelbegleitung), von unserem Christian Jon- kisch liebenswerterwei- se vorgetragen. Aber auch der Pastor hat uns begeistert. Schon bei dem Traugespräch war schnell klar, dass wir über alles reden können. Er war noch Kleinkind, als HIV und AIDS in die Welt kamen und so viel Unheil anrichtete. Uwe und mir wurde schmerz- lich bewusst, wie viele liebe Menschen wir ver- 3
Unsere Testangebote in der zweiten Jahreshälfte 2019 MenCheck-Wochen 2019 bei entsprechendem Risiko testen wir dich auch auf Hepatitis C. Das alles für 10,– Euro. Die ersten beiden MenCheck-Wochen 2019 wurden von Männern wieder gut angenommen, CheckPoint es zeigt sich, dass immer mehr Männer aus für MSM in der LAH Lübeck und Umgebung für ihre Gesundheit nicht nur Gewichte stemmen, sondern auch Wert auf Auch unser kostenfreies eine sexuelle Gesundheit legen. HIV-Testangebot für Mittwoch Neben den Tests auf HIV und STIs spielt auch die MSM und Trans*Men- 3. Juli 2019 13 – 19 Uhr PrEP eine immer größere Rolle in der Beratung. schen – immer am ersten Zweimal habt ihr in 2019 noch die Möglichkeit, Mittwoch im Monat – euch kostengünstig checken zu lassen. geht weiter. Unsere weiteren Termine in 2019: Unsere Termine in 2019: Mittwoch 19. – 22. August 2019 7. Aug. 2019 11. – 14. November 2019 13 – 19 Uhr Jeweils von 8 – 16 Uhr, mit Terminabsprache unter 122-5327 (Gesundheitsamt) Wir checken dein Risiko und untersuchen dich auf HIV, Chlamydien, Lues und Gonokokken. Wir Mittwoch checken deinen Impfstatus auf Hepatitis A und B, 4. Sept. 2019 13 – 19 Uhr gegebenenfalls überprüfen wir deinen Titer und Mittwoch 6. Nov. 2019 Mittwoch 13 – 19 Uhr 2. Okt. 2019 13 – 19 Uhr Testtage für alle Unser erster Testtag 2019 für jede*r Mann/ Frau/D im Mai wurde nicht gut angenommen. Mittwoch Wir lassen uns davon aber 30. Nov. 2019 nicht abschrecken und bie- 11 – 19 Uhr ten Menschen, die sich kos- tenfrei testen lassen wollen erneut die Möglichkeit, unser Angebot zu nutzen! 4
Rückblick Theater-Erlebnis Flohmarkt im Krähenbad: Das Theater „Combinale” in der Hüxstraße hat Überflüssiges der LAH Freikarten für das Stück „Kohlhaas“ zur flüssig machen! Verfügung gestellt – mehr als 10 % der LAH-Mit- Wir, das heißt eigentlich die P.I.G., kümmern uns seit glieder haben einen tollen Theater-Abend Jahren um eine Aidsweise in Uganda. Mit der genossen: Beendigung der P.I.G. geht diese Verantwortung aber weiter und so haben wir beschlossen, durch einen – faszinierend der Schauspieler Ulli Haussmann: Flohmarkt Gelder für unser Patenkind zu sammeln. etwa 90 Min. hat er allein den Text gesprochen. Toll seine Fähigkeit, in verschiedene Rollen zu Nach einem Spendenaufruf für überflüssige, aber schlüpfen und dem Drama von Heinrich v. Kleist schöne Dinge, die wir zu Gunsten des Patenkin- Stimme und Körper zu geben. des verkaufen können, bekamen wir viel Rück- – genial die beiden Musiker: Benjamin Lütke meldungen und Spenden. An dieser Stelle noch (Schlagzeug), Daniel Sorour (Cello); rechts und mal vielen Dank dafür. Der Flohmarkt fand am links platziert – gaben sie einen schlichten, aber 12. Mai im Altstadtbad „Krähenteich” statt und stimmigen Rahmen für das ganze Geschehen: ist bekannt dafür, dass dort nur Privatpersonen räumlich, aber vor allem durch ihre total stim- und gemeinnützige Organisationen verkaufen mige musikalische Begleitung des Dramas. dürfen, also keine Händler. – genial einfach die Bühne: vor allem ein großer Das macht den Flohmarkt zu einem besonderen Tisch, dessen eine Hälfte manchmal auf leich- Erlebnis. Nach einigen Mühen einem geeigneten teste Weise verschoben wurde. Davor ein Stroh- Platz für unseren Stand zu finden, hatten wir ei- ballen. Als Requisite war der schwarze Tisch nen Premiumplatz, direkt am Eingang. Wir staun- äußerst flexibel. Man konnte tatsächlich einen ten nicht schlecht, als um 11 Uhr die Türen für Schweinestall oder den Wirtshaustisch „sehen”, die Kunden geöffnet wurden, wie viele Menschen und zuletzt die Bühne für die Hinrichtung. da hineinströmten. Gefühlt waren es Tausende. Nach der Aufführung bleiben Fragen. Bei mir Aber dann ging auch schon das Handeln, Verkau- z.B.: aus Kohlhaas' Kampf gegen Unrecht wird fen, Informieren und die Gespräche los. Wir waren ein maßloser Rachefeldzug. Was mache ich sel- zu sechst am Stand und haben uns fünf Stunden ber mit meinem manchmal auftretenden Gefühl den Mund fusselig geredet, hatten viel Spaß, von Ohnmacht? viele tolle Menschen getroffen und viel verkauft. Ein wunderbarer TheaterAbend! Am Ende hatten wir fast 400,- € Einnahmen und Ich habe mir echt vorgenommen, bald mal wie- Spenden. 300,– € gehen an das Patenkind, 100,– € der ins „Combinale” zu gehen: die Intensität des an die Lübecker AIDS-Hilfe. Spiels und die Atmosphäre des Theaters haben Besonders bedanken möchten wir uns bei dem mich bereichert. Und mit so vielen netten Leuten Team des Krähenteichs, das es uns ermöglicht hat's richtig Spaß gebracht! hat, unbürokratisch und kostenfrei diesen Stand Wolfgang zu machen. Hildegard 5
Gregor Gysi in Lübeck Am 3. Juni war Gregor Gysi, MdB und Präsident der europäischen LINKEN in Lübeck. Da haben wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, ihn auch über die Arbeit der Lübecker AIDS-Hilfe e.V. zu informieren. Er bekam eine Tasche von uns mit unseren Materialien und unseren „lübschen Kondomen”. G ysi war sehr interessiert und lies sich noch nicht mal von den köstlichen Schnittchen ablenken. Begleitet wurde Gysi von Cornelia Möhring, die für die LINKE Schleswig- Holstein im Bundestag sitzt und uns demnächst gerne in der LAH besuchen möchte. Die LAH freut sich, dass ihre Tasche nun öfter im Bundestag und im Fernsehen zu sehen sein wird. Alles hat seine Zeit … wir 2 × im Jahr einen Flohmarkt in der Breiten Straße. Von einer Krankenschwester die für Die Gruppe PIG (Positive Interessen „Ärzte ohne Grenzen” arbeitet, bekamen wir Gemeinschaft), eine selbstorganisierte eine „Aids-Waise” in Uganda vermittelt, die Gruppe, innerhalb der LAH, hat nun wir seither unterstützen. Sie war damals noch ihr endgültiges Ende gefunden. im Kindergarten-Alter und besucht jetzt die Highschool. Es gab aber nicht nur Erfreuliches, Sie wurde bereits vor meinem Eintritt gegrün- sondern auch Missverständnisse, Kränkungen… det. Das Motto: „Gut leben, trotz HIV”, hat mich eben ein Gruppenleben! Ein Auflösungsprozess sofort angesprochen. Es ging um gemeinsam begann, die Wege trennten sich. Geblieben sind vorbereitete Freizeit-Aktivitäten jeglicher Art, die Erinnerungen an besondere Menschen und aber auch um ganz Alltägliches. Das Besondere weiterhin erhält Irene in Uganda 2 × im Jahr daran: Auch Freunde und Angehörige konnten 150,- Euro, finanziert durch Kaffee- u. Kuchen- sich einbringen, nicht nur HIV-positive Men- verkauf, sowie einem Flohmarkt. Dafür werden schen. Wir veranstalteten Flohmärkte, fuhren wir in afrikanischen Gebeten „eingeschlossen” – nach Berlin zum CSD, nach Haithabu, Fehmarn, das kann nicht Helgoland, in das Waldschlösschen, in den Zoo, jeder von sich in das Badeparadies Wismar, Schloss Schwerin, behaupten. gingen zum Bowling, ins Theater, genossen Hildegard Grillabende und Picknicke am Meer … Das Ge- Mitglieder der meinsame stand immer im Vordergrund! Um PIG beim leckeren Geldspenden zu bekommen, veranstalteten Frühstück 6
TITELTHEMA Trans* Unser ehrenamtlicher Mitarbeiter Joe hat sich Gedanken gemacht, Trans* welche Wörter eigentlich alle kennen sollten. Das kleine Trans*-ABC Trans*Menschen fühlen sich ist selbstverständlich nicht vollständig, gibt aber einen Einblick nicht dem Geschlecht zugehö- über die wichtigsten Bedeutungen rig, das ihnen bei ihrer Geburt Trans*-ABC zugewiesen wurde. Sie können sowohl binär (männlich / weib- lich) als auch nicht-binär sein. Cis* Medizinische Transition Das Sternchen steht für ver- Cis*-Menschen fühlen sich dem und Geschlechts- schiedene Endungen wie z.B. Geschlecht zugehörig, das ihnen angleichende Operationen –gender, -geschlechtlich, -ident bei Geburt zugewiesen wurde. Trans*Menschen können ih- oder auch –sexuell, wobei letz- ren Körper äußerlich durch die teres von einigen Trans*Men- Dritte Geschlechtsoption Einnahme „gegengeschlechtli- schen wegen der Verwechslung § 22 und § 45 des Personen- cher” Hormone und/oder durch mit sexuellen Orientierungen standgeset zes regeln die operative Eingriffe ihrer Ge- kritisiert wird. Für einige Men- medizinisch festgestellte ge- schlechtsidentität angleichen. schen stehen verschiedene En- schlechtliche Unbestimmt- dungen auch für verschiedene heit, welche sich ausschließlich Nicht-binär Unterformen von Transiden- auf Inter*-Menschen bezieht Nicht-binäre Menschen iden- tität, einheitliche Definitionen (nicht-binäre Trans*Menschen tifizieren sich weder als (aus- diesbezüglich gibt es allerdings können diese Option nicht wäh- schließlich) Mann noch als (aus- nicht. len). Seit dem 22. Dezember schließlich) Frau. Viele Trans*Menschen durch- 2018 ist es somit für Inter*- Geschlecht kann als Spektrum laufen eine soziale, gesell- Menschen möglich, den Ge- zwischen den beiden binären schaftliche und/oder medizi- schlechtseintrag „divers” zu Geschlechtern aufgefasst wer- nische Transition; das Ausmaß wählen. den, wobei einige Identitäten ist von Person zu Person indi- sich auch außerhalb dessen viduell und weniger Transitions- Inter* befinden z.B. „neutrois” als schritte invalidieren nicht das Inter*-Menschen können auf- neutrale Identität zwischen Geschlecht einer Trans*Person. grund von körperlichen Merk- Mann und Frau vs. „agender” malen nicht eindeutig in die (geschlechtslos) als außerhalb Transe Kategorien „Mann” oder „Frau” befindlich. Transe wurde oft als Schimpf- eingeordnet werden. Sie wei- Nicht-binäre Identitäten sind für wort und Synonym für alle For- chen chromosomal, hormonell binäre Menschen oft schwierig men des Transvestitismus und und/oder bzgl. ihrer äußeren nachzuvollziehen, was auch an der Transsexualität verwendet. Geschlechtsmerkmale von der der großen Vielfalt an Identitä- Es ist verletzend, diskriminie- binären Norm ab. ten liegt. rend und inkorrekt. 7
Transsexuellengesetz (TSG) schen außerdem dauerhaft schlecht kleidet. Transvestitis- Das „Gesetz über die Änderung fortpflanzungsunfähig sein, um mus ist unabhängig von der se- der Vornamen und die Fest- ihren Personenstand ändern xuellen Orientierung und kommt stellung der Geschlechtszuge- lassen zu können. Bis auf dieses bei jeder Orientierung und je- hörigkeit in besonderen Fällen Außerkraftsetzen wurde das dem Geschlecht vor. Transvesti- – TSG” (verabschiedet im Jahre TSG seit 1980 nicht verändert. tismus beschreibt ein Spektrum 1980) regelt die Vorgehenswei- Zurzeit wird an einer Reform mit verschiedenen Arten der se transidenter Menschen, die gearbeitet. Ausprägung, der Motivation und ihren Vornamen und/oder ihren auch der Lebensweise. Personenstand rechtlich ändern Transvestit Transvestitismus ist nicht zu lassen möchten. Dafür sind (von lat. „trans” über etw. hinaus, verwechseln oder gleichzuset- zwei unabhängige Gutachten „vestire” sich kleiden) zen mit Trans*. notwendig. Ein Transvestit ist ein Mensch, Joe Bis 2011 mussten Trans*Men- der sich wie ein anderes Ge- Fiete ist der Sohn von Karina. Beide geben uns einen ganz persönlichen Einblick über den langen und schweren Weg, den Trans*Menschen gehen. Fiete hat sich dabei mit seinem Freund Florian zusammengesetzt. Sie erzählen sehr beeindruckend ihre gemeinsame und doch so unterschiedliche Geschichte. Fiete, 21 Jahre und Florian, 19 Jahre alt Wir sitzen hier und überlegen, wie wir unsere leicht mädchenhaft oder aus der Mädchenabtei- Leben am besten auf Papier bringen können. Das lung war. Und das war und ist allgemein bekannt ist ganz schön schwierig. Am besten fangen wir und akzeptiert. am Ende an. Florian war kein Paradebeispiel. Er trug Mäd- Heute ist der 16. Mai 2019 und es sind genau chenkleidung und hatte – bis er 15 war – lange 11° C draußen. Wir, das sind Fiete und Florian. 21 Haare. Und das störte ihn auch nicht unbedingt. und 19 Jahre alt. Und wir haben uns durch Zufall Bis er wusste, warum es sich nicht immer gut kennengelernt. Und dann vier Monate um den anfühlte. Eines Abends guckte er ein Video. Ein heißen Brei herumgeredet. Diese vier Monate Coming-Out Video um genau zu sein. Und da hatte Fiete gebraucht um zu fragen: „Du warst wusste er, wieso es sich nicht mehr gut anfühl- nicht schon immer Florian, oder?” „Nein.” Und te und wieso sein Name sich noch nie passend Fiete war sehr doll erleichtert, weil er selbst seit angehört hatte. noch nicht mal einem Monat mehr oder weniger Fiete hat deutlich länger gebraucht. Wahrschein- offiziell Fiete ist. Und ab dem Augenblick hatten lich, weil er in seiner Kindheit nie so richtige wir beide einen Verbündeten! Wir redeten oft Probleme dadurch bekommen hatte. Er guckte über unsere Erfahrungen. Nur weil wir beide ebenfalls ein Video, aber erst mit 21. Und merkte, trans* sind, heißt das nämlich nicht, dass wir was alles möglich ist. Zuerst erzählte er es sei- dieselben Erfahrungen haben (außer die relativ ner Schwester, seinen Eltern und seinen besten regelmäßigen Zweifel, die wir später näher er- Freunden und sie waren alle erwartet un-über- läutern werden). Zum Beispiel unsere Kindheit. rascht. Mit der Zeit erzählte er es mehr und mehr Fiete hatte ein Paradebeispiel einer Trans*Kind- Leuten, die alle positiv reagierten. Also weiterhin heit. Er trug unter anderem ausschließlich Jun- ein (etwas altes) Paradebeispiel. genkleidung, weil er sich sträubte, sobald etwas Florians Coming-Out verlief nicht ganz so po- 8
sitiv. Zuerst erzählte er es seiner Freundin und Aus der Sicht einer Mutter seiner Therapeutin, die beide sehr unterstützend reagierten. Die Freundin half ihm sogar seinen Ich bin die Mutter von Fiete. Für mich bedeutet neuen Namen zu finden. Dann kam die Zeit es Fietes Entscheidung als Mann weiter durchs seinen Eltern zu erzählen und er schrieb einen Leben zu gehen nur die logische Konsequenz aus Brief. Eine Woche lang ließ er ihn auf seinem seinem bisherigen Leben und ich hatte schon Schreibtisch liegen, bis er sich traute, ihn seinen lange damit gerechnet. Eltern zu geben. Sie lasen ihn am Abend und am Mir war das schon sehr früh aufgefallen, dass nächsten Morgen war nichts wirklich anders. mein Kind kein „normales” Mädchen war. Zu Bis er ihnen einfach eine Woche später seinen seinem 2. Geburtstag bekam er von einer lieben neuen Namen sagte und sie immer wieder kor- Bekannten ein Kleid geschenkt, das war aus gelb- rigierte, wenn sie Fehler machten. Dann erzählte blau kariertem Leinen und ziemlich schlicht und er es nach und nach seiner Familie und seinen unaufdringlich. Ich wollte es ihm anziehen und restlichen Freunden und bis auf eine reagierten ein Foto davon der Schenkerin als Dankeschön sie alle positiv. schicken, aber (… jetzt weiß ich nicht: soll ich „sie” Im Großen und Ganzen war unsere Jugend nicht schreiben, den jahrelangen Vornamen oder Fiete? besonders toll. Von wegen: Der Körper verändert Zu der Zeit war er ja noch meine „Tochter”. Ich sich, man passt nirgends richtig dazu usw... Kann bleibe jetzt einfach konsequent beim „er”, denn man sich bestimmt selbst denken, also reden wir jetzt ist mir klar, dass das „sie” damals schon nicht weiter darüber. falsch gewesen sein muss …) Fiete wehrte sich Jetzt sind wir uns sicher, dass wir Hormone neh- mit Händen und Füßen das Kleid anzuziehen. men wollen, aber trotzdem haben wir oft Zweifel. Ich habe mich dann doch durchgesetzt, aber der Ist das die richtige Entscheidung? Werde ich es Gesichtsaufdruck auf dem Foto sprach Bände! bereuen? Sollte ich noch warten? Fühle ich mich Das Foto war zum Verschicken ungeeignet. Ein damit wohl? Kann ich nicht einfach so weiterma- schönes Foto wollte nicht gelingen. Das war nur chen? Belüge ich mich selber? Wurde ich zu sehr eine kleine Episode, die erste, an die ich mich von außen beeinflusst? Will ich nur Aufmerksam- erinnere. Das zog sich dann durchgehend so keit? Akzeptieren meine Freunde mich wirklich? fort: selbst die Slips durften keine Schleifchen, Unterstützt meine Familie mich wirklich? Stelle Mausezahnsäume, Herzchen oder dergleichen ich andere Trans*Personen dadurch als lächerlich aufweisen. Die Lieblingsklamotten waren die, dar? Nehmen mich andere ernst? welche er von seinem jüngeren, aber größeren Aber selbst wenn? Das schlimmste ist immer Cousin geerbt hatte. Die Haare mussten kurz noch nicht so schlimm wie so weiter zu leben und sein! Bloß keine langen Haare! Wenn Fietes sich zu fragen: Was wäre, wenn? Also müssen Schwester aber mal hübsche Mädchensachen wir es probieren! trug, sagte er schon ab und zu, dass er es hübsch Das sind jetzt nur zwei Beispiele, aber natürlich fände. Ich sagte „dann zieh du es doch mal an” sind alle Erlebnisse anders und jeder hat andere aber das war ein vollkommen absurder Vorschlag. Ziele. Und jeder kann machen, was er will und Einmal an der Supermarktkasse half er mir die kann selbst entscheiden, wie weit er gehen will. Waren auf das Förderband und wieder zurück in Und manche können auch nicht alles machen, den Wagen zu legen. Da war er etwa 4 Jahre alt. was sie wollen und trotzdem sind sie nicht we- Die Verkäuferin lächelte und sagte freundlich: niger wert! „Das macht er aber gut, der Kleine”. Ich pflich- So muss man einfach jeden so akzeptieren, wie tete ihr bei und sagte ihr dann, dass es aber er ist. Und das gilt nicht nur für Trans*Menschen! ein Mädchen sei. Das war der Verkäuferin dann Florian und Fiete ein bisschen peinlich und sie entschuldigte sich 9
bei dem Kind. Als wir aus dem Laden draußen sein Kind so wie es ist. waren, sagte Fiete: „Mama, das sollst du nicht Dass ich mir keine Sorgen machte, war vielleicht immer sagen!” Er wollte nicht, dass ich die Leu- etwas naiv. Schwieriger wurde es nämlich mit te korrigiere, wenn sie ihn als Jungen sahen. Es dem Schulwechsel zur 7. Klasse auf das Gymna- war ihm unangenehm, dass die Leute dann in sium. Die Mädchen kamen in die Pubertät und eine peinliche Situation gerieten. Ich habe mich fingen an sich zu schminken, irgendwelche Jungs dann auch darangehalten, aber manchmal, z. B. süüüß zu finden, Cliquen zu bilden und das ganze bei offiziellen Gelegenheiten, ließ es sich dann Programm. Für Fiete war das nichts, konnte da- doch nicht vermeiden, und jedes Mal war es dem mit rein gar nichts anfangen. Er wäre lieber in der Gegenüber peinlich. Pause bei den Jungs gestanden, aber die wussten Oft wurde ich auch gefragt, ob das Kind ein ja, dass es ein Mädchen war und wollten lieber Mädchen oder ein Junge sei. Manchmal habe unter sich sein. Richtige Freundschaften konnten ich dann geantwortet: „Im Kopf ein Junge und nicht entstehen. Das war ein echtes Dilemma in der Hose ein Mädchen”. Und ich fragte mich und ging so weit, dass er sich fast komplett dann auch manchmal, warum die Leute das geweigert hat zur Schule zu gehen. Sein Vater wissen wollen? Was geht es die eigentlich an, hat viele Gespräche mit den Lehrern geführt was das Kind in der Hose hat? Aber ich kann es und irgendwie haben wir es geschafft, dass er ihnen nicht übelnehmen, erwische mich selbst weiter zur Schule ging und die Leistungen waren manchmal bei solchen Fragen und der Mensch glücklicherweise noch immer ziemlich gut. In ist einfach so: er möchte einordnen können dieser Zeit des großen Unglücks mit dem Gefühl und zwar am liebsten in bekannte Kategorien. des Ausgeschlossenseins haben wir Eltern uns Darunter kann er sich etwas vorstellen und es teilweise nächtelang gefragt, was wir machen besser einschätzen. können. Wir haben erwägt einen Psychologen Im Kindergarten und in der Grundschulzeit war zu Rate zu ziehen, aber erstens wollte Fiete das Fiete vornehmlich mit Jungs befreundet, war z.B. nicht und zweitens gab es monatelange War- oft das einzige „Mädchen” auf einer Geburtstags- tezeiten, um überhaupt einen Termin bei einem feier. Die Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen Kinderpsychologen zu bekommen. hatten kein Problem damit. Er war einfach so Um Fiete dazu zu bringen mit anderen Schülern und wurde so akzeptiert. Das war allerdings auch außer den Klassenkameraden in Kontakt zu kom- leicht, weil er ein eher zurückhaltender Mensch men, machten wir den Vorschlag in die Theater war, klein, unauffällig, niedlich, und niemandem AG der Schule zu gehen. Das wollte er partout etwas zu Leide getan hat. Die schulischen Leis- nicht. Wir haben gesagt, er müsse ja nicht auf tungen waren obendrein sehr gut, das Lernen die Bühne, vielleicht wäre ja die Mitwirkung am fiel ihm leicht und er war immer aufrichtig. Es Bühnenbild oder bei der Technik geeignet? Nein, gab nichts zu beklagen. er wollte nicht. Aus der Not heraus haben wir Manch einer erzählte mir von Frauen, die sie ihn dann aber dazu gezwungen es wenigstens kennen würden, welche ebenfalls als Kind sehr einmal zu versuchen, dort ein paar Mal hinzuge- jungenhaft gewesen wären, aber später dann hen. Wenn es dann gar nichts wäre, könne er ja doch richtige Mädchen wurden. Ich solle mir wieder aufhören. Darauf hat er sich eingelassen keine Sorgen machen, das würde sich bestimmt … zum Glück!!! Wider Erwarten hat er gleich eine noch ändern. Ich war mir da schon zu 95% sicher, kleine Rolle bekommen im Schultheaterstück, dass es sich nicht ändern würde. Aber Sorgen und es hat ihm richtig viel Spaß gemacht. Dort machte ich mir nicht. Wichtig war doch, dass es waren auch andere „Verrückte”, die Freude am meinem Kind gut geht, unabhängig davon, ob es Spielen hatten. Es hat ihm so viel Spaß gemacht, ein Mädchen oder ein Junge ist. Man liebt doch dass er mehr machen wollte. Und so ging er zum 10
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Theater und kam in einen Spielclub. Hier war er Leben gehen zu wollen und eine entsprechende genau richtig, konnte in Rollen schlüpfen, sich Behandlung anzustreben. Ehrlich gesagt: Das austoben, lernte Freunde kennen und konnte war jetzt doch überraschend, denn inzwischen einfach so sein wie er war. Ein Befreiungsschlag. hatte ich damit nicht mehr wirklich gerechnet. Dafür bin ich den Theatermenschen unendlich Aber irgendwie war ich erleichtert, dass nichts dankbar. Coole Leute! Schlimmes passiert war. Und wundern tut es Ich könnte noch zig Begebenheiten erzählen mich auch gar nicht bei der Vorgeschichte. Gott zu dem Thema, aber das würde den Rahmen sei Dank ist Fietes Vater dem Ganzen auch offen definitiv sprengen. gegenüber, auch wenn es ihm ganz offensichtlich Mittlerweile wurde ich natürlich auch sensibler schwer fällt „Fiete” und „er” zu sagen. für das Trans-Thema, hatte schon ein bisschen im Es fiel mir in diesem Bericht in manchen Episoden Internet dazu rumgesurft. Aber ich wollte mein nicht leicht immer „er” zu schreiben. Aber so ist Kind auf keinen Fall zu so einem Schritt drängen. das. Wenn man 21 Jahre geglaubt hat eine Toch- So etwas muss man ganz alleine entscheiden ter zu haben (wenn auch mit stark männlichem und ich rechnete jederzeit damit. Wesen) und immer von „ihr” gesprochen hat, Einmal gab’s im Fernsehen eine Reportage dann fällt die Umstellung schwer. Vor allem auch über Balian Buschbaum, der früher eine Frau wenn ich aus früherer Zeit erzähle. Da war das war und als Stabhochspringerin sogar bei den „sie” eben normal. Oder wenn ich mit Menschen olympischen Spielen war. Wir haben uns das über Fiete spreche, die ihn schon lange kennen, angesehen und ich fragte Fiete, ob er das auch aber eben als „Mädchen” - Nachbarschaft und machen wollen würde, so eine Geschlechts-„Um- so, alte Freunde und Kollegen. Dann muss man wandlung” (sagte ich da noch). Aber er meinte sich immer erst erklären und das ist manchmal nein, die vielen Operationen und so, da hätte er anstrengend oder passt gar nicht zum Thema. Angst vor. „Und wenn man einfach »Schnipp« Am einfachsten ist es mit fremden Menschen. sagen könnte und du wärst ein Mann?” Dann Da spreche ich jetzt ganz selbstverständlich könnte er sich das gut vorstellen. von meinem Sohn und fertig. Keine Nachfragen, Nach Fietes Schulabschluss kam es noch zu ei- alles ganz normal. nem einjährigen Auslandsaufenthalt in Australi- Hauptsache mein Kind fühlt sich wohl in seiner en für Fiete. Etwa zwei Monate vor der Rückkehr Haut, kann ein möglichst sorgenfreies Leben bereitete uns seine Schwester darauf vor, dass führen und muss sich nicht ständig erklären Fiete uns etwas zu sagen hätte und mit uns oder wird neugierig beäugt. telefonieren wolle. Wir haben uns also zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Telefonieren verab- Nun muss ich aber noch etwas erklären: redet, damit auch alle Familienmitglieder dabei Dass ich das alles so locker und frei sehen kann, wären. Ich habe gerätselt, was es wohl Geheim- liegt erstens auch mit daran, dass ich schon nisvolles sein könnte? Hatte schon befürchtet, so aufgewachsen bin. Fiete ist meiner eigenen dass er etwa in Australien eine/n Partner/in ältesten Schwester in vielen Hinsichten sehr gefunden hätte und dortbleiben wolle. Nein, ver- ähnlich, die war auch immer sehr jungenhaft und sicherte mir seine Schwester, das sei es nicht. Ich eben anders als andere Mädchen. Ich kannte das hatte tatsächlich KEINE Ahnung, worum es wohl also schon immer, dass es Menschen gibt, die gehen könne und fieberte dem Telefongespräch nicht in die gängige Norm passen und das war entgegen. Fietes Schwester hat nichts verraten. für mich ein Stück Normalität. Und zweitens war Dann war es endlich soweit: nach einigem Rum- es bei Fiete ja schon von Anfang an so, dass sich gedruckse kam das Outing. Er hätte sich jetzt dieser Weg abgezeichnet hat. doch entschlossen als männliche Person durchs Ich weiß, es gibt aber auch transgeschlechtliche 12
Menschen, denen fällt es erst viel später auf. Ich so etwas ohne Grund auf sich nimmt. kann verstehen, dass es deren Eltern schwerer Ich hoffe, ich konnte ein ganz kleines bisschen fällt das zu akzeptieren. Und auch das sollte zur Aufklärung beitragen. man akzeptieren. Letzten Endes bin ich aber der Liebe Grüße , Karina Meinung, jeder muss das selbst für sich wissen. Glücklicherweise ist das heutzutage möglich! PS: Ich bin mir sicher, dass Transsexualität eigentlich Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern mit Identität! Sabine, Schwester von Marita und Tante von Fiete Nie ist mir in den Sinn gekommen, meine anders: viele haben von Transsexualität gehört/ Schwester wäre nicht „normal“. Vermutlich liegt gelesen/im Fernsehen gesehen und gehen da- es daran, dass sie meine ältere Schwester ist mit (zumindest, was meinen Kreis betrifft) viel und ich sie nie anders kennengelernt habe. toleranter um. Marita ist Marita und wäre wohl lieber ein Junge/ Fiete ist nach ein paar Monaten des neuen Na- Mann. Punkt. Fertig. Auch an das Wort transse- mens bei mir schon ganz schön doll Fiete ge- xuell habe ich nie gedacht, eher an Asexualität worden und ich sehe, wie er sich freut, wenn ich oder dass es sich bei ihr wohl um eine Art „Gena- Fiete zu ihm sage. Ich würde lügen, wenn sein nomalie” handelt – einfach zu viel Testosteron alter Vorname nicht noch in meinem Kopf wäre für eine Frau. Ich habe sie immer so respektiert, und er mir hin und wieder auch noch rausflutscht. wie sie ist: intelligent, ausgesprochen sorgfältig, Fiete meinte selbst, das wäre schon alles ganz verantwortungsbewusst (mehr geht nicht) und schön komisch. Sicher! Ist doch normal, dass unglaublich aufrichtig! Ich weiß genau, dass sie es komisch ist, wenn jemand mehr oder wenig mich nie anlügen würde und auch nicht für mich plötzlich nicht nur seinen Namen, sondern auch lügen würde (einmal habe ich es als Jugendliche sein Geschlecht öffentlich angleicht – es ist nur probiert: abgelehnt!). Das ist sehr schön, weil verständlich, dass die meisten Menschen damit ich bei ihr immer weiß, woran ich bin: kein Rum- ihre Problemchen haben – und doch stößt er auf lamentieren, kein Gerede um den heißen Brei. viel Akzeptanz. Nach Fietes Geburt zeigt sich bald, dass er Marita Maritas Tumorerkrankung ist natürlich ein echter sehr ähnlich ist: auch so aufrichtig, intelligent, Mist, aber sie hat auch Gutes mitgebracht: sie sorgfältig und verantwortungsbewusst. Hm … spricht offener über sich: am schönsten war es, dann ist diese „Genanomalie” wohl irgendwie als ich sie in Damp in der Reha-Klinik besuchte, vererbt worden ... Marita war erstgeborene wir in der Cafeteria saßen und uns lautstark über Tochter, Fiete auch. So stellt sich mir tatsächlich ihre Transsexualität unterhielten. Das hätte ich die Frage, ob Transsexualität vererbbar ist – oder vor einem Jahr nicht für möglich gehalten. ist es schlicht Zufall, dass es in meiner Familie Ich freue mich auch sehr, dass Marita und Fiete gleich zwei Männer gibt, die weibliche Körper (& Karina natürlich auch) bereit waren, für diesen zugeschustert bekommen haben? Mitgliederrundbrief in die Tasten zu hauen um Ich bin jedenfalls sehr froh, damit aufgewachsen Transsexualität bekannter zu machen, obwohl zu sein und entsprechend Toleranz mit auf den beide immer wieder sagen, sie möchten sich mit Weg bekommen habe. Sicher gab es Situationen, ihrer Transsexualität nicht in den Fokus rücken. in denen ich Marita verteidigen musste, wenn Der Mensch – insbesondere kleine Menschen meine jugendlichen Freundinnen meinten, sie – brauchen Schubladen, in die sie einsortieren wäre „komisch". Immer mit den Worten: „Sie ist können: geben wir ihnen eine – sie heißt Trans*! eben so!” Punkt. Inzwischen ist das tatsächlich Sabine 13
Buchbesprechung Endlich ich – Ein transsexueller Pfarrer auf dem Weg zu sich selbst Sebastian Wolfrum Als Sebastian Wolfrum an einem Sonntag im Oktober 2017 vor der versammelten Gemeinde erklärt, dass er sich seit Kindertagen im falschen Körper fühlt und fortan als Mann leben wird, sorgt die Nachricht deutschlandweit für Schlagzeilen. An diesem Sonntag wird der kleinen fränkischen Gemeinde bewusst, dass ihr keine Pfarrerin, son- dern ein Pfarrer vorsteht. Doch was Gemeinde und Presse überrascht, ist für Sebastian Wolfrum nur der konsequente letzte Schritt einer lebens- langen Auseinandersetzung mit sich selbst, dem eigenen Körper und Gott. In „Endlich ich” beschreibt er sein Leben als Mann in einem Frauenkörper und was es bedeutet als Teil der protestantischen Kirche mit dem gott- gegebenen Körper zu hadern. Und auch, wie es zu dem konsequent letzten Schritt einer lebens- langen Auseinandersetzung mit sich selbst kam. Frederike ist Studentin der Medizin: über die Peer-Education Gruppe „Mit Sicherheit verliebt” ist sie schon seit vielen Jahren als Präventionistin unterwegs. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Lübeck das Modul „Let’s talk about Sex” der DAH in das Curriculum für das Medizinstudium fest verankert wurde. Seit kurzem engagiert sie sich ehrenamtlich in der Lübecker AIDS-Hilfe. Sie wirft einen kritischen Blick auf die Diagnose Trans* aus medizinischer Sicht. Die Entpathologisierung der Diagnose Trans* – ein langer Weg in der Medizin Wenn man medizinisch behandelt werden der Krankheiten und verwandter Gesundheits- möchte, braucht man zuerst eine Diagnose, die probleme, 10. Version) und wird in Deutschland die Behandlung rechtfertigt – logisch. schon seit Anfang des 21. Jahrhunderts ange- In Deutschland werden alle möglichen Diagnosen wendet. So weit, so gut. in einem Katalog gesammelt, sortiert und jeder Auch wer sich als trans* identifiziert und eine Diagnose wird ein Kode zugeordnet. Diese Kodes Behandlung wünscht, bekommt einen Kode aus helfen Ärzt*innen, die Krankheiten zu klassifizie- der ICD-10 zugeordnet, nämlich „F.64.0 – Transse- ren, und helfen Krankenkassen, die Behandlungen xualismus”. Die Diagnose wird so beschrieben: Der nachzuvollziehen, um die Kosten übernehmen zu Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlech- können. Der aktuelle Krankheits-Katalog heißt tes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der 14
Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen von Entpathologisierung sprechen, wenn es nicht Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach noch eine Wendung der aktuellen Lage gäbe: chirurgischer und hormoneller Behandlung, um Gerade erst, am 25. Mai 2019, haben die Länder den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht der Welt beim jährlichen Treffen der Weltge- soweit wie möglich anzugleichen. sundheitsorganisation eine neue Version der ICD Obwohl diese Diagnose in den vergangenen Jahr- beschlossen, die ICD-11. zehnten für Sichtbarkeit von Trans*Menschen in Die ICD-11 bringt viele Neuerungen für Trans*- der Medizin gesorgt hat und auch viel ermöglicht Menschen: Zum einen gehört die Diagnose nicht hat, wie zum Beispiel die Kostenübernahme von mehr zu den psychiatrischen Erkrankungen, Hormonbehandlungen und geschlechtsanglei- sondern wird einem ganz neuen Kapitel zugeord- chenden Operationen, ist sie doch in vieler Hin- net, zu dem alle „mit der sexuellen Gesundheit sicht problematisch. Angefangen damit, dass zusammenhängenden Umstände” gehören. Zum Transsexualismus in der ICD-10 unter dem Kapitel anderen hat sie einen neuen Namen: „Transse- Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen un- xualismus” wird ersetzt durch „Geschlechtsin- missverständlich als psychiatrische Erkrankung kongruenz”, was so viel bedeutet wie eine Nich- beschrieben ist. Dass die eigene Geschlechtsiden- tübereinstimmung von dem erlebten Geschlecht tität als pathologisch, als krankhaft angesehen mit dem biologischen Geschlecht. wird, kann für die Betroffenen sehr belastend Das ist ein großer Erfolg für alle Expert*innen und sein und bestärken, dass sich Trans*Menschen Aktivist*innen, die sich für die Entstigmatisierung für ihre Identität schämen und von Mitmenschen und gegen die Pathologisierung der Diagnose stigmatisiert werden. Vielmehr sollte trans* als trans* eingesetzt haben. Weltweit soll die ICD- eine Normvariante gesehen werden, die per se 11 ab 2022 gültig werden. Es ist jetzt wichtig, erst einmal gar nichts mit Krankheit oder Ge- dass diese Änderung ihren Weg in das deutsche sundheit zu tun hat. Gesundheitssystem und in die Ausbildung von Darüber hinaus folgt die Beschreibung der jetzigen und zukünftigen Ärzt*innen findet. Das Diagnose einer sehr binären Vorstellung der dafür zuständige Institut kann jedoch über den Geschlechter. Das heißt, dass davon ausgegan- Zeitpunkt der Einführung der ICD-11 in Deutsch- gen wird, dass es zwei Geschlechter gibt – Frau land noch keine Aussagen machen. Es gilt, dran und Mann – und dass ein Trans*Mensch mit zu bleiben. Frederike Booke weiblichem biologischem Geschlecht als Mann leben möchte, mit männlichem biologischem Quellen: Geschlecht als Frau. Die ICD-10 sieht nur diese http://www.icd-code.de/icd/code/F64.-.html beiden Extreme, obwohl ganz viel dazwischen https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikatio- liegt. Manche Trans*Menschen identifizieren nen/icd/icd-10-gm/historie/adaptionsschritte/ sich als non-binär, also weder als Mann noch als https://www.dimdi.de/dynamic/de/klas- Frau. Manche Menschen identifizieren sich als sifikationen/icd/icd-11/index.html trans*, haben aber nicht den Wunsch nach sowohl https://www.tagesspiegel.de/gesell- einer hormonellen als auch einer chirurgischen schaft/queerspiegel/neue-icd-einstu- Behandlung. Diese Menschen werden in dieser fung-who-will-transsexualitaet-als-psychi- Beschreibung bis jetzt nicht berücksichtigt und sche-krankheit-streichen/22709114.html kriegen dann trotzdem diese Diagnose, obwohl https://www.who.int/news-room/de- sie nicht wirklich stimmt. Aber Krankenkassen tail/25-05-2019-world-health-assembly-update zahlen nichts ohne Diagnose-Kode, es geht also https://icd.who.int/browse11/l-m/ nicht anders. en#/http%3a%2f%2fid.who.int%- Der Titel dieses Artikels würde natürlich nicht 2ficd%2fentity%2f411470068 15
Marita hat sich schon als Kind in ihrem Körper unwohl gefühlt. Ihr langer Weg zeigt sehr deutlich auf, wie wichtig es ist, dass wir endlich eine Gesellschaft gründen in der Menschen, die anders fühlen als ihnen mal zugewiesen wurde, angst- und diskriminierungsfrei leben können. Marita, 62 Jahre Wochen depressive Verstimmungen reichte. Das Dass man besser daran tut, ein Junge zu sein, heißt, eigentlich war ich ständig depressiv ver- merkte ich zuerst daran, dass mein kleiner stimmt. Ich hasste nicht nur die Kerle, die ich am Bruder viel mehr durfte als ich. liebsten eigenhändig kastriert hätte, sondern vor Das war nicht die Schuld unserer Eltern; Zeltlager allem den blöden, schlappen Weiberkörper, in den z.B. waren für Mädchen einfach nicht im Angebot. ich eingesperrt war und der mir das ganze Elend Auch das Dasein meiner Mutter fand ich äußerst einbrockte. Leider kam ich erst mit 18 auf den ret- abschreckend: Eingezwängt in Hüfthalter, BH, tenden Trick: Hosenbeine hochkrempeln! Sobald enge Röcke, Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe, Dau- meine schönen, naturbelassenen Männerwaden erwelle, die nicht nass werden durfte – da konnte zum Vorschein kamen, blieb jedem Lüstling der doch unmöglich Freude aufkommen. Die Erwach- Pfiff im Halse stecken. War das ein Spaß! senen versuchten, meinen Sinn für Realitäten zu schärfen, indem sie mir die Unausweichlichkeit Auch die Blutungen setzten früh ein und blieben dieser scheußlichen Dinge klarmachten: „Kein BH? stets unregelmäßig, so dass ich schließlich einen Willst du die Brust denn über die Schulter werfen?” Frauenarzt aufsuchte. Nach monatelangem Tem- Zu meinem großen Verdruss fing sie schon mit peraturmessen und einem Hormontest beschied 11 Jahren an zu wachsen, aber ich schob den BH er mir, es sei ein Übermaß männlicher Hormone, so lange auf, bis ich merkte, dass er überflüssig die den Zyklus immer wieder durcheinander- war, außer beim Sport. Quietschbunte Oberteile brachte. Welcher Triumph! Ich war also gar nicht taten es auch. Entsprechend verfuhr ich mit den so verrückt, wie alle dachten, sondern tatsäch- anderen Quäl-Kleidungsstücken. lich ein halber Mann! Ungesund sei das nicht, versicherte der Arzt, aber wenn ich schwanger Mit 13 fand ich in der hinteren Reihe des väterli- werden wollte, würde das wohl kaum ohne Hor- chen Bücherschranks die Gebrauchsanweisung, montherapie klappen. Ich wollte nicht schwanger nach der ich entstanden war. Ich las sie ganz werden. Vor allem waren es die Vorarbeiten, die durch, wenn ich sie auch zwischendurch öfter mal mich abschreckten. wütend in die Ecke schmiss. Unglaublich, welche Mich „umoperieren” zu lassen, war für mich erniedrigende Rolle Frauen beim Fortpflanzungs- aber keine Option, nicht nur, weil das damals geschäft spielen mussten! Es war mir immer extrem exotisch war. Ein richtiger Mann konnte klar gewesen, dass ich niemals heiraten würde. ich ja doch nicht werden. Es gibt bis heute keine Aber nun wusste ich auch, warum. Sex war mit Laserkanone, die in jeder einzelnen Körper- mir nicht zu machen. Das würde ich mit allen zelle dem richtigen Chromosom ein Beinchen erlaubten und unerlaubten Mitteln verhindern. abschießt, ja noch nicht mal funktionierende Gegenstände in meiner Scheide, und sei es nur der männliche Geschlechtsorgane könnte ich be- eigene Finger, waren für mich immer undenkbar. kommen. Und selbst wenn: Wer würde schon einen „Umoperierten” als Mann anerkennen? Allerdings hatte ich das Pech, süß und mädchen- Denn das war es doch, worum es ging: Weniger haft auszusehen. An lüsternen Pfiffen herrsch- der Frauenkörper war das Problem, sondern die te kein Mangel. Ich fühlte mich so abgrundtief Art, wie die anderen damit umgingen. Dass sie erniedrigt, dass einmal Nachpfeifen für zwei einen als Schlappschwanz, Dummchen, Lust- 16
und Beschützungsobjekt behandelten. Dass sie zum „Trostpflaster in diesem elenden Weiber- einem die Fixierung auf Mode, Kosmetik, Frisur dasein” ernannte. und Klatsch unterstellten. Und vor allem, dass ich keinen richtigen Männerfreund haben konnte, So ging es viele Jahrzehnte. Ich wurde nie damit also einen, bei dem das Abrutschen ins Sexuelle fertig, als alte Jungfer nachzuholen, was kleine ausgeschlossen war, so ungefähr wie bei Win- Mädchen nicht durften. Jetzt bin ich über 60 netou und Old Shatterhand. Das war es, was ich und habe meinen Frieden mit meinem Körper von den Jungs (zweimal auch Mädels) wollte, in gemacht. Das lästige Bluten ist lange vorbei, mir die ich mich verliebte. Aber leider musste ich auf pfeift niemand mehr nach, niemand hält mich Distanz gehen, weil es ja sonst unweigerlich zum mehr automatisch für ein schlappes Dummchen, Sex gekommen wäre (glaubte ich). Übrigens flog und mein Rückenmarkstumor hätte in einem ich nur auf Jungs, die leicht mädchenhaft wirkten Männerkörper genauso viel Schaden angerich- und meinen Beschützerinstinkt weckten. tet. Und wäre ich ein richtiger Mann, hätte ich wahrscheinlich die Erfahrung gemacht, dass es Wenigstens war ich nun volljährig und konnte die schöne, edle Männerfreundschaft nur bei Karl meine „männlichen” Interessen austoben. Ich May gibt. Überhaupt treffen die Eigenschaften, die studierte Vermessungswesen, lernte Karate, ich mir an meinem idealen Freund wünschte, ein- lief Marathon, zog mit Kochgeschirr und Zelt ins deutig eher auf eine Katze als auf einen Menschen nordskandinavische Fjäll und verdiente meine zu. Katzen sind selbständig und tolerant. Einen Brötchen mit Software-Entwicklung. Während ganz normalen Mann in einem ganz normalen des Studiums spross mir zu meinem größten Frauenkörper findet mein Kater genau richtig! Vergnügen etwas Flaum aus dem Kinn, den ich Marita Lassen wir Joe doch noch mal zu Wort kommen – hier erzählt er nun seinen Weg. Eine Entscheidung? trans* zu sein. Meine Antwort ist immer dieselbe: „Dass es so nicht funktioniert.” Man kann sich Disclaimer: Ich bin kein*e Ärzt*in oder Thera- nicht entscheiden, trans* zu sein und ich be- peut*in. Das meiste beruht auf meiner eigenen zweifle, dass Menschen sich dazu entscheiden Erfahrung und kann von Person zu Person würden, wenn es so funktionierte. variieren. Was das Rechtliche betrifft, gibt es Es ist schwierig genug von der Gesellschaft und immer wieder Neuerungen – vor allem auch der Familie akzeptiert zu werden und möchte fachlich intern – weshalb einige Vorgaben / Vor- man dann Schritte gehen, um sich auch körper- aussetzungen veraltet sein können. lich wohl(er) zu fühlen, muss man viele weitere Hürden überwinden. Außerdem wurde ich bei Geburt als weiblich Bis vor einigen Jahren mussten Trans*Menschen eingeordnet, weshalb meine Transition in Rich- mindestens ein Jahr in psychotherapeutischer tung männlich (ich identifiziere mich allerdings Behandlung sein sowie ebenso lange einen als nicht-binär) verläuft und ich daher wenig zur Alltagstest machen – öffentlich im gefühlten Transition von Transfrauen* sagen kann. Geschlecht leben – bis eine Indikation für die Hor- In Schulworkshops werde ich immer wieder ge- montherapie gestellt wurde. Natürlich hängt es fragt, warum ich mich dafür entschieden habe, zusätzlich von dem/der Therapeut*in ab – gerade 17
bei unter 18-Jährigen dauert es oft länger – und jedem Zeitpunkt geschehen – es gibt dafür keine dann fordern einige Endokrinolog*innen, dass die medizinischen Voraussetzungen mehr), kommen Indikation von einem/einer Ärzt*in (Psychiater*in weitere Kosten (meine VÄ/PÄ hat über 1.500,– € in dem Fall) gestellt wird. Ich selbst hatte Glück, gekostet – ohne Prozesskostenhilfe allerdings) was meinen Psychiater anging und bekam meine und zwei psychiatrische Gutachten, in dem auch Indikation nach ca. 5 Monaten und hatte dann sehr intime Fragen gestellt werden, auf einen zu. (nach längerer Wartezeit auf einen Termin beim Das ganze dauert dann insgesamt ca. 6 Monate Endokrinologen) kein Jahr nach meinem inneren bis man den Rechtskraftsvermerk in den Hän- Coming-Out Testosteron – das ist jetzt etwa vier den hält und neue Dokumente beantragen kann Jahre her. Seitdem bekomme ich alle 12 Wochen (Geburtsurkunde, Personalausweis, Führerschein die dickflüssige Testosteron-Injektion in einen und was man sonst so hat), was natürlich wieder Muskel am Hintern gespritzt (es gibt schlim- Geld kostet. meres, aber schmerzfrei ist es definitiv nicht). Alternativ gibt es ein Gel, das man jeden Tag Der rechtliche Schritt erfolgt über das TSG auftragen muss – da habe ich aber keine Lust zu. (Transsexuellengesetz), dass, bis auf das Außer- Transfrauen haben die Möglichkeit, eine Tablette kraftsetzen einiger Sätze, seit Beschluss 1980 (im Grunde wie „die Pille”) zu nehmen – das geht nicht geändert wurde (immerhin wurde 2011 bei Testosteron nicht wegen Leberschäden. Man die Pflicht dauerhaft fortpflanzungsunfähig zu muss übrigens jeweils 10,– € Rezeptgebühr für sein, um den Personenstand ändern zu dürfen, 12 Wochen bzw. 3 Monate Testosteron bezahlen, außer Kraft gesetzt). Seit kurzem gibt es einen da das Präparat ziemlich teuer ist. Entwurf zur TSG-Reform, mit dem Aktivist*innen allerdings sehr unzufrieden sind, da es weiter- Um anschließend operative Eingriffe von der hin auf Fremdbestimmung – und nicht, wie in Krankenkasse bezahlt zu bekommen, musste anderen Ländern auch – auf Selbstbestimmung man mindestens sechs Monate „gegenge- beruht, was bedeutet, dass man sich weiterhin schlechtliche” Hormone einnehmen und sich von „Fachpersonal” bestätigen lassen muss, dass erneut von Ärzt*innen (Psychiater*in / Thera- man auch wirklich trans* ist. peut*in sowie Endokrinolog*in) bestätigen lassen, Dazu fällt mir meine damalige Therapeutin ein, dass man trans* ist. Seit der neuen S3-Leitlinie bei der ich mich als erstes geoutet hatte, die nur können operative Eingriffe auch ohne Hormone meinte, ich wüsste am besten, ob ich trans* bin durchgeführt werden, allerdings ist die Leitlinie oder nicht und wenn ich sage, dass ich trans* selbst unter „spezialisierten” (es gibt keine wirk- bin, dann ist das so. liche Spezialisierung für Trans*Behandlungen) Eine dritte Option (wie „divers” für Inter*-Men- Fachärzt*innen nicht oder kaum bekannt. schen) gibt es über das TSG übrigens auch nicht und die Option „divers” gilt nicht für (nicht-binäre) Dennoch ist die Leitlinie ein wichtiger Schritt be- Trans*Menschen. sonders für nicht-binäre Menschen, die nur eine Operation anstreben, aber keine Hormontherapie. Das war erstmal ein grober Überblick zu me- Mich selbst betrifft das nicht, da ich auf jeden dizinischen und rechtlichen Belangen. Und das Fall Testosteron brauchte, allerdings kenne ich hat noch gar nicht die Probleme aufgezeigt, die einige Menschen, die nur oder zumindest vor der innerhalb der Familie, des Freundeskreises, in der Hormontherapie schon eine Mastektomie (Ent- Schule, Uni usw. auftreten können, ebenso wie fernung der weiblichen Brust) bekommen wollten. Diskriminierung in der Gesellschaft allgemein, Und wenn man dann noch Vornamen und Per- aber das ist ein anderes Thema. sonenstand ändern lassen möchte (das kann zu Joe 18
Vereinte Nationen für Trans*-Rechte Alljährlich am 31. März wird der Internationale Tag der Sichtbarkeit von Trans*Menschen gefeiert – in diesem Jahr veröffentlichte die UN-Kampagne „Free & Equal” eine berührende Videobotschaft: https://www.unfe.org/transvisibility/ aussetzungen oft schrecklich: Sterilisation und/ Die Vereinten Nationen schreiben dazu auf ihrer oder Zwangsscheidung. Ohne ordnungsgemä- Free & Equal Homepage: ße Identitätsdokumente sind Trans*Menschen Jeder hat ein tief verwurzeltes Gefühl für sein eige- von vielen täglichen Aktivitäten ausgeschlos- nes Geschlecht. Bei den meisten Menschen stimmt sen – von der Eröffnung eines Bankkontos und ihre Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht der Beantragung eines Jobs bis hin zum Mieten überein, das bei ihrer Geburt in der Geburtsurkunde eines Hauses oder Reisen in ein anderes Land. angegeben ist. Aber für manche ist das zugewie- Ein offenes Leben als ihr wahres Selbst zu leben, sene Geschlecht nicht wie sie wirklich fühlen. Dies ist für die meisten Menschen selbstverständlich. wird häufig als Trans- oder Transgender bezeichnet. Es kann auch andere Namen haben, oft mit tiefen Für Trans*Menschen kann dies sehr gefährlich kulturellen und historischen Wurzeln, wie hijra, sein. Authentisch leben – einfach nur sichtbar sein drittes Geschlecht, Two-Spirit, travesti, fa'afafine, – erfordert enorm viel Mut. Mit der zunehmenden transpinay, transpinoy, muxe, waria und meti. Sichtbarkeit von Trans*Menschen in unseren Ge- Es ist nichts Falsches daran, Trans zu sein: Es ist meinschaften, den Medien und dem öffentlichen Le- einfach ein Teil der reichen Vielfalt der mensch- ben kommt es jedoch zu Bewusstseinsbildung und lichen Natur. Trans*Menschen sind ein wesent- veränderten Einstellungen. Dies ist der Schlüssel licher Bestandteil von Gemeinschaften und Kul- zur Sicherung der Grundrechte der Trans*Menschen. turen – wie sie in der Geschichte der Menschheit schon immer gewesen sind. In einer Welt, in der viele Menschen negative Ansichten hegen und das Bewusstsein für Trans-Themen begrenzt ist, werden Trans*Menschen jedoch häufig mit Feindseligkeit, Diskriminierung und Gewalt kon- frontiert – einfach weil sie so sind, wie sie sind. Trans*Menschen werden viel häufiger gemobbt, angegriffen und ermordet als andere Menschen. Negative Medienberichterstattung und eine Rhe- torik von politischen und kommunalen Führern machen bereits feindselige Umgebungen noch schlimmer und unerträglicher. Diese Feindselig- keit gegenüber Trans*Personen wird oft sogar in Gesetze manifestiert, die Trans*Personen von der Ausübung von Grundrechten abhalten. In den meisten Ländern ist es beispielswei- se nicht möglich, dass Trans*Menschen ihre Es ist an der Zeit, aufzuhören, diejenigen zu beleidi- geschlechtsspezifische Identität in offiziellen gen, die sich von uns unterscheiden. Es ist Zeit, sich Ausweisdokumenten wie Pässen und Führer- für die Rechte der Trans-Community einzusetzen. scheinen erkennen lassen. In den relativ wenigen Es ist Zeit, die Sichtbarkeit von Trans zu feiern! Staaten in denen dies zulässig ist, sind die Vor- Übersetzung: Hartmut 19
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