Trans Schwerpunkt-Thema: Lübecker AIDS-Hilfe eV

 
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Trans Schwerpunkt-Thema: Lübecker AIDS-Hilfe eV
„Ziemlich viel wird auf
           ein Körperteil reduziert.
           Und die erste Frage die
           kommt: ‚Was hast du
           denn da unten?‘ … und
           wenn du da nichts hast,
           bist du auch kein Mann.“
            Jim, ein schwuler Transmann

Schwerpunkt -Thema:
*Trans
Rundbrief Nr. 2-2019 Lübecker
                       1
                              AIDS-Hilfe e.V.
Trans Schwerpunkt-Thema: Lübecker AIDS-Hilfe eV
Editorial
Liebe Freundinnen und Freunde
der Lübecker AIDS-Hilfe,
wir begrüßen euch ganz             riskieren und somit auch mit       men oder um sich bei uns testen
herzlich zu unserem zweiten        HIV und/oder anderen sexuell       zu lassen.
Rundbrief im Jahre 2019.           übertragbaren Infektionen an-
                                   stecken könnten, haben wir viel    Wir haben viele spannende Arti-
Habt ihr auch das Gefühl, dass     zu lange ignoriert. Trans*Men-     kel zum Thema Trans* sammeln
das Thema Trans* in der letzten    schen haben in allen unseren       können. Wir waren erstaunt da-
Zeit omnipräsent ist? Wie viele    Broschüren und Botschaften         rüber, wieviel Menschen bereit
Menschen eine Trans*Identität      viel zu wenig Berücksichtigung     waren, sich zu äußern. Unser
haben, wissen wir nicht genau,     gefunden.                          Dank gilt all denen, die uns tief
die meisten Studien gehen aber                                        in ihr (Seelen)leben mit ihren
von unter 1 % der Bevölkerung      Das wollen wir ändern. Das         Beiträgen blicken lassen.
aus. Müssen wir uns nun alle       Schwerpunktthema unse-
damit so intensiv auseinander      res Rundbriefes lautet daher       Zum Abschluss möchten wir
setzen?                            Trans*. Sicherlich werden wir      euch unseren "Offenen Treff"
                                   auf unserem Weg zu mehr Ak-        jeden Donnerstag von 16 bis
Wir denken schon. Trans*Men-       zeptanz und Toleranz auch mal      18 Uhr ans Herz legen, der die
schen wurden in der Vergangen-     das eine oder andere Fettnäpf-     Möglichkeit bietet, sich im ent-
heit sowohl rechtlich als auch     chen nicht auslassen. Aber wir     spannten Rahmen zu treffen
gesellschaftlich ignoriert, aus-   wollen den Weg gehen, Trans*-      und ins Gespräch zu kommen!
gegrenzt, als psychisch krank      Menschen mit ihren Anliegen        Vielleicht sehen wir uns dort?!
abgestempelt, diskriminiert und    gerecht zu werden. Niemand
auch kriminalisiert; ihnen Vor-    soll sich schämen, bei der Aids-
gaben für die Geschlechtsan-       hilfe um Rat zu fragen, um eine          Till, Antonia und Hildegard
passung gemacht, die mehr als      Risikoabschätzung zu bekom-
nur menschenun-
würdig sind.
Aber auch wir
Aidshilfen müs-
sen uns an die ei-
gene Nase fassen:
Dass Menschen
mit einer Trans-
identität auch Sex
haben, sich dabei
                                                  2
Trans Schwerpunkt-Thema: Lübecker AIDS-Hilfe eV
Aus der LAH
Wir haben geheiratet
Nach über 20 gemeinsamen Jahren haben wir                loren haben und wie unendlich dankbar wir
im April 2019 bei strahlendem Sonnenschein               sind, diese schwere Zeit überlebt zu haben.
im Neuenburger Schloss (bei Varel) im Kreise             Das Thema HIV und AIDS hat uns zusammen-
unserer Familie standesamtlich geheiratet.               geführt, verbunden und begleitet. So erinnern
 Anfang Mai fand dann die kirchliche Trauung             wir uns gern an die Zeit mit den Menschen
statt. Vielleicht kennt der eine oder die andere         rund um die LAH und freuen uns über die
die Sankt-Jürgen-Kapelle in der Ratzeburger              entstandenen Kontakte.
Allee / Ecke Sankt-Jürgen-Ring? Diese Kapelle
ist relativ klein, aber hell, freundlich und recht       Leider kämpfen wir nun seit ein paar Jahren
schlicht gehalten. Überraschenderweise be-               mit Dörtes Krebserkrankung, aber auch hier
kommt man drinnen vom Lärm des Straßen-                  lassen wir uns nicht unterkriegen.
verkehrs nichts mehr mit, man taucht fast ein
in eine andere Welt.                                     Nun grüßen wir Euch alle als Ehepaar und
                                                         danken für die lieben Glückwünsche und das
Und so war der Gottesdienst dann auch                    Geschenk und hoffen auf ein fröhliches und
sehr romantisch, nicht zuletzt wegen der                 möglichst gesundes Wiedersehen
zwei Musikstücke auf der Bratsche (mit                                                Dörte und Uwe
Orgelbegleitung), von
unserem Christian Jon-
kisch liebenswerterwei-
se vorgetragen. Aber
auch der Pastor hat uns
begeistert. Schon bei
dem Traugespräch war
schnell klar, dass wir
über alles reden können.
Er war noch Kleinkind,
als HIV und AIDS in die
Welt kamen und so viel
Unheil anrichtete. Uwe
und mir wurde schmerz-
lich bewusst, wie viele
liebe Menschen wir ver-

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Unsere Testangebote
in der zweiten Jahreshälfte 2019
MenCheck-Wochen 2019                                    bei entsprechendem Risiko testen wir dich auch
                                                        auf Hepatitis C. Das alles für 10,– Euro.
Die ersten beiden MenCheck-Wochen 2019
wurden von Männern wieder gut angenommen,               CheckPoint
es zeigt sich, dass immer mehr Männer aus               für MSM in der LAH
Lübeck und Umgebung für ihre Gesundheit nicht
nur Gewichte stemmen, sondern auch Wert auf             Auch unser kostenfreies
eine sexuelle Gesundheit legen.                         HIV-Testangebot für              Mittwoch
Neben den Tests auf HIV und STIs spielt auch die        MSM und Trans*Men-             3. Juli 2019
                                                                                         13 – 19 Uhr
PrEP eine immer größere Rolle in der Beratung.          schen – immer am ersten
Zweimal habt ihr in 2019 noch die Möglichkeit,          Mittwoch im Monat –
euch kostengünstig checken zu lassen.                   geht weiter.
Unsere weiteren Termine in 2019:                        Unsere Termine in 2019:                   Mittwoch
19. – 22. August 2019                                                                           7. Aug. 2019
11. – 14. November 2019                                                                           13 – 19 Uhr
Jeweils von 8 – 16 Uhr, mit Terminabsprache unter
122-5327 (Gesundheitsamt)
Wir checken dein Risiko und untersuchen dich
auf HIV, Chlamydien, Lues und Gonokokken. Wir                                                  Mittwoch

checken deinen Impfstatus auf Hepatitis A und B,                                            4. Sept. 2019
                                                                                              13 – 19 Uhr
gegebenenfalls überprüfen wir deinen Titer und
                                                           Mittwoch
                                                         6. Nov. 2019       Mittwoch
                                                          13 – 19 Uhr     2. Okt. 2019
                                                                           13 – 19 Uhr

                                                        Testtage für alle
                                                        Unser erster Testtag 2019 für jede*r Mann/
                                                        Frau/D im Mai wurde nicht gut
                                                        angenommen.
                                                                                              Mittwoch
                                                        Wir lassen uns davon aber     30. Nov. 2019
                                                        nicht abschrecken und bie-      11 – 19 Uhr
                                                        ten Menschen, die sich kos-
                                                        tenfrei testen lassen wollen
                                                        erneut die Möglichkeit, unser
                                                        Angebot zu nutzen!

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Rückblick
Theater-Erlebnis                                            Flohmarkt im Krähenbad:

Das Theater „Combinale” in der Hüxstraße hat
                                                            Überflüssiges
der LAH Freikarten für das Stück „Kohlhaas“ zur             flüssig machen!
Verfügung gestellt – mehr als 10 % der LAH-Mit-
                                                            Wir, das heißt eigentlich die P.I.G., kümmern uns seit
glieder haben einen tollen Theater-Abend
                                                            Jahren um eine Aidsweise in Uganda. Mit der
genossen:
                                                            Beendigung der P.I.G. geht diese Verantwortung aber
                                                            weiter und so haben wir beschlossen, durch einen
– faszinierend der Schauspieler Ulli Haussmann:
                                                            Flohmarkt Gelder für unser Patenkind zu sammeln.
   etwa 90 Min. hat er allein den Text gesprochen.
   Toll seine Fähigkeit, in verschiedene Rollen zu          Nach einem Spendenaufruf für überflüssige, aber
   schlüpfen und dem Drama von Heinrich v. Kleist           schöne Dinge, die wir zu Gunsten des Patenkin-
   Stimme und Körper zu geben.                              des verkaufen können, bekamen wir viel Rück-
– genial die beiden Musiker: Benjamin Lütke                meldungen und Spenden. An dieser Stelle noch
   (Schlagzeug), Daniel Sorour (Cello); rechts und          mal vielen Dank dafür. Der Flohmarkt fand am
   links platziert – gaben sie einen schlichten, aber       12. Mai im Altstadtbad „Krähenteich” statt und
   stimmigen Rahmen für das ganze Geschehen:                ist bekannt dafür, dass dort nur Privatpersonen
   räumlich, aber vor allem durch ihre total stim-          und gemeinnützige Organisationen verkaufen
   mige musikalische Begleitung des Dramas.                 dürfen, also keine Händler.
– genial einfach die Bühne: vor allem ein großer           Das macht den Flohmarkt zu einem besonderen
   Tisch, dessen eine Hälfte manchmal auf leich-            Erlebnis. Nach einigen Mühen einem geeigneten
   teste Weise verschoben wurde. Davor ein Stroh-           Platz für unseren Stand zu finden, hatten wir ei-
   ballen. Als Requisite war der schwarze Tisch             nen Premiumplatz, direkt am Eingang. Wir staun-
   äußerst flexibel. Man konnte tatsächlich einen           ten nicht schlecht, als um 11 Uhr die Türen für
   Schweinestall oder den Wirtshaustisch „sehen”,           die Kunden geöffnet wurden, wie viele Menschen
   und zuletzt die Bühne für die Hinrichtung.               da hineinströmten. Gefühlt waren es Tausende.
Nach der Aufführung bleiben Fragen. Bei mir                 Aber dann ging auch schon das Handeln, Verkau-
z.B.: aus Kohlhaas' Kampf gegen Unrecht wird                fen, Informieren und die Gespräche los. Wir waren
ein maßloser Rachefeldzug. Was mache ich sel-               zu sechst am Stand und haben uns fünf Stunden
ber mit meinem manchmal auftretenden Gefühl                 den Mund fusselig geredet, hatten viel Spaß,
von Ohnmacht?                                               viele tolle Menschen getroffen und viel verkauft.
Ein wunderbarer TheaterAbend!                               Am Ende hatten wir fast 400,- € Einnahmen und
Ich habe mir echt vorgenommen, bald mal wie-                Spenden. 300,– € gehen an das Patenkind, 100,–  €
der ins „Combinale” zu gehen: die Intensität des            an die Lübecker AIDS-Hilfe.
Spiels und die Atmosphäre des Theaters haben                Besonders bedanken möchten wir uns bei dem
mich bereichert. Und mit so vielen netten Leuten            Team des Krähenteichs, das es uns ermöglicht
hat's richtig Spaß gebracht!                                hat, unbürokratisch und kostenfrei diesen Stand
                                            Wolfgang        zu machen.                             Hildegard
                                                        5
Gregor Gysi in Lübeck
Am 3. Juni war Gregor Gysi, MdB und Präsident der europäischen LINKEN in Lübeck.
Da haben wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, ihn auch über die Arbeit der Lübecker
AIDS-Hilfe e.V. zu informieren.
Er bekam eine Tasche von uns mit unseren Materialien und unseren „lübschen Kondomen”. G  ­ ysi
war sehr interessiert und lies sich noch nicht mal von den köstlichen Schnittchen ablenken.
Begleitet wurde Gysi von Cornelia Möhring, die für die LINKE Schleswig- Holstein im Bundestag
sitzt und uns demnächst gerne in der LAH besuchen möchte.

                                                       Die LAH freut sich, dass ihre Tasche nun öfter im Bundestag
                                                       und im Fernsehen zu sehen sein wird.

Alles hat seine Zeit …                                 wir 2 × im Jahr einen Flohmarkt in der Breiten
                                                       Straße. Von einer Krankenschwester die für
Die Gruppe PIG (Positive Interessen                    „Ärzte ohne Grenzen” arbeitet, bekamen wir
Gemeinschaft), eine selbstorganisierte                 eine „Aids-Waise” in Uganda vermittelt, die
Gruppe, innerhalb der LAH, hat nun                     wir seither unterstützen. Sie war damals noch
ihr endgültiges Ende gefunden.                         im Kindergarten-Alter und besucht jetzt die
                                                       Highschool. Es gab aber nicht nur Erfreuliches,
Sie wurde bereits vor meinem Eintritt gegrün-          sondern auch Missverständnisse, Kränkungen…
det. Das Motto: „Gut leben, trotz HIV”, hat mich       eben ein Gruppenleben! Ein Auflösungsprozess
sofort angesprochen. Es ging um gemeinsam              begann, die Wege trennten sich. Geblieben sind
vorbereitete Freizeit-Aktivitäten jeglicher Art,       die Erinnerungen an besondere Menschen und
aber auch um ganz Alltägliches. Das Besondere          weiterhin erhält Irene in Uganda 2 × im Jahr
daran: Auch Freunde und Angehörige konnten             150,- Euro, finanziert durch Kaffee- u. Kuchen-
sich einbringen, nicht nur HIV-positive Men-           verkauf, sowie einem Flohmarkt. Dafür werden
schen. Wir veranstalteten Flohmärkte, fuhren           wir in afrikanischen Gebeten „eingeschlossen” –
nach Berlin zum CSD, nach Haithabu, Fehmarn,                                           das kann nicht
Helgoland, in das Waldschlösschen, in den Zoo,                                         jeder von sich
in das Badeparadies Wismar, Schloss Schwerin,                                          behaupten.
gingen zum Bowling, ins Theater, genossen                                                    Hildegard
Grillabende und Picknicke am Meer … Das Ge-
                                                                                                Mitglieder der
meinsame stand immer im Vordergrund! Um                                                         PIG beim leckeren
Geldspenden zu bekommen, veranstalteten                                                         Frühstück

                                                   6
TITELTHEMA Trans*
Unser ehrenamtlicher Mitarbeiter Joe hat sich Gedanken gemacht,        Trans*
welche Wörter eigentlich alle kennen sollten. Das kleine Trans*-ABC    Trans*Menschen fühlen sich
ist selbstverständlich nicht vollständig, gibt aber einen Einblick     nicht dem Geschlecht zugehö-
über die wichtigsten Bedeutungen                                       rig, das ihnen bei ihrer Geburt

Trans*-ABC
                                                                       zugewiesen wurde. Sie können
                                                                       sowohl binär (männlich / weib-
                                                                       lich) als auch nicht-binär sein.
Cis*                               Medizinische Transition             Das Sternchen steht für ver-
Cis*-Menschen fühlen sich dem      und Geschlechts-                    schiedene Endungen wie z.B.
Geschlecht zugehörig, das ihnen    angleichende Operationen            –gender, -geschlechtlich, -ident
bei Geburt zugewiesen wurde.       Trans*Menschen können ih-           oder auch –sexuell, wobei letz-
                                   ren Körper äußerlich durch die      teres von einigen Trans*Men-
Dritte Geschlechtsoption           Einnahme „gegengeschlechtli-        schen wegen der Verwechslung
§ 22 und § 45 des Personen-        cher” Hormone und/oder durch        mit sexuellen Orientierungen
standgeset zes regeln die          operative Eingriffe ihrer Ge-       kritisiert wird. Für einige Men-
medizinisch festgestellte ge-      schlechtsidentität angleichen.      schen stehen verschiedene En-
schlechtliche Unbestimmt-                                              dungen auch für verschiedene
heit, welche sich ausschließlich   Nicht-binär                         Unterformen von Transiden-
auf Inter*-Menschen bezieht        Nicht-binäre Menschen iden-         tität, einheitliche Definitionen
(nicht-binäre Trans*Menschen       tifizieren sich weder als (aus-     diesbezüglich gibt es allerdings
können diese Option nicht wäh-     schließlich) Mann noch als (aus-    nicht.
len). Seit dem 22. Dezember        schließlich) Frau.                  Viele Trans*Menschen durch-
2018 ist es somit für Inter*-      Geschlecht kann als Spektrum        laufen eine soziale, gesell-
Menschen möglich, den Ge-          zwischen den beiden binären         schaftliche und/oder medizi-
schlechtseintrag „divers” zu       Geschlechtern aufgefasst wer-       nische Transition; das Ausmaß
wählen.                            den, wobei einige Identitäten       ist von Person zu Person indi-
                                   sich auch außerhalb dessen          viduell und weniger Transitions-
Inter*                             befinden z.B. „neutrois” als        schritte invalidieren nicht das
Inter*-Menschen können auf-        neutrale Identität zwischen         Geschlecht einer Trans*Person.
grund von körperlichen Merk-       Mann und Frau vs. „agender”
malen nicht eindeutig in die       (geschlechtslos) als außerhalb      Transe
Kategorien „Mann” oder „Frau”      befindlich.                         Transe wurde oft als Schimpf-
eingeordnet werden. Sie wei-       Nicht-binäre Identitäten sind für   wort und Synonym für alle For-
chen chromosomal, hormonell        binäre Menschen oft schwierig       men des Transvestitismus und
und/oder bzgl. ihrer äußeren       nachzuvollziehen, was auch an       der Transsexualität verwendet.
Geschlechtsmerkmale von der        der großen Vielfalt an Identitä-    Es ist verletzend, diskriminie-
binären Norm ab.                   ten liegt.                          rend und inkorrekt.

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Transsexuellengesetz (TSG)          schen außerdem dauerhaft                 schlecht kleidet. Transvestitis-
Das „Gesetz über die Änderung       fortpflanzungsunfähig sein, um           mus ist unabhängig von der se-
der Vornamen und die Fest-          ihren Personenstand ändern               xuellen Orientierung und kommt
stellung der Geschlechtszuge-       lassen zu können. Bis auf dieses         bei jeder Orientierung und je-
hörigkeit in besonderen Fällen      Außerkraftsetzen wurde das               dem Geschlecht vor. Transvesti-
– TSG” (verabschiedet im Jahre      TSG seit 1980 nicht verändert.           tismus beschreibt ein Spektrum
1980) regelt die Vorgehenswei-      Zurzeit wird an einer Reform             mit verschiedenen Arten der
se transidenter Menschen, die       gearbeitet.                              Ausprägung, der Motivation und
ihren Vornamen und/oder ihren                                                auch der Lebensweise.
Personenstand rechtlich ändern      Transvestit                              Transvestitismus ist nicht zu
lassen möchten. Dafür sind          (von lat. „trans” über etw. hinaus,      verwechseln oder gleichzuset-
zwei unabhängige Gutachten          „vestire” sich kleiden)                  zen mit Trans*.
notwendig.                          Ein Transvestit ist ein Mensch,                                       Joe
Bis 2011 mussten Trans*Men-         der sich wie ein anderes Ge-

Fiete ist der Sohn von Karina. Beide geben uns einen ganz persönlichen Einblick über den langen und
schweren Weg, den Trans*Menschen gehen.
Fiete hat sich dabei mit seinem Freund Florian zusammengesetzt. Sie erzählen sehr beeindruckend
ihre gemeinsame und doch so unterschiedliche Geschichte.

Fiete, 21 Jahre und Florian, 19 Jahre alt
Wir sitzen hier und überlegen, wie wir unsere              leicht mädchenhaft oder aus der Mädchenabtei-
Leben am besten auf Papier bringen können. Das             lung war. Und das war und ist allgemein bekannt
ist ganz schön schwierig. Am besten fangen wir             und akzeptiert.
am Ende an.                                                Florian war kein Paradebeispiel. Er trug Mäd-
Heute ist der 16. Mai 2019 und es sind genau               chenkleidung und hatte – bis er 15 war – lange
11°  C draußen. Wir, das sind Fiete und Florian. 21        Haare. Und das störte ihn auch nicht unbedingt.
und 19 Jahre alt. Und wir haben uns durch Zufall           Bis er wusste, warum es sich nicht immer gut
kennengelernt. Und dann vier Monate um den                 anfühlte. Eines Abends guckte er ein Video. Ein
heißen Brei herumgeredet. Diese vier Monate                Coming-Out Video um genau zu sein. Und da
hatte Fiete gebraucht um zu fragen: „Du warst              wusste er, wieso es sich nicht mehr gut anfühl-
nicht schon immer Florian, oder?” „Nein.” Und              te und wieso sein Name sich noch nie passend
Fiete war sehr doll erleichtert, weil er selbst seit       angehört hatte.
noch nicht mal einem Monat mehr oder weniger               Fiete hat deutlich länger gebraucht. Wahrschein-
offiziell Fiete ist. Und ab dem Augenblick hatten          lich, weil er in seiner Kindheit nie so richtige
wir beide einen Verbündeten! Wir redeten oft               Probleme dadurch bekommen hatte. Er guckte
über unsere Erfahrungen. Nur weil wir beide                ebenfalls ein Video, aber erst mit 21. Und merkte,
trans* sind, heißt das nämlich nicht, dass wir             was alles möglich ist. Zuerst erzählte er es sei-
dieselben Erfahrungen haben (außer die relativ             ner Schwester, seinen Eltern und seinen besten
regelmäßigen Zweifel, die wir später näher er-             Freunden und sie waren alle erwartet un-über-
läutern werden). Zum Beispiel unsere Kindheit.             rascht. Mit der Zeit erzählte er es mehr und mehr
Fiete hatte ein Paradebeispiel einer Trans*Kind-           Leuten, die alle positiv reagierten. Also weiterhin
heit. Er trug unter anderem ausschließlich Jun-            ein (etwas altes) Paradebeispiel.
genkleidung, weil er sich sträubte, sobald etwas           Florians Coming-Out verlief nicht ganz so po-
                                                       8
sitiv. Zuerst erzählte er es seiner Freundin und             Aus der Sicht einer Mutter
seiner Therapeutin, die beide sehr unterstützend
reagierten. Die Freundin half ihm sogar seinen               Ich bin die Mutter von Fiete. Für mich bedeutet
neuen Namen zu finden. Dann kam die Zeit es                  Fietes Entscheidung als Mann weiter durchs
seinen Eltern zu erzählen und er schrieb einen               Leben zu gehen nur die logische Konsequenz aus
Brief. Eine Woche lang ließ er ihn auf seinem                seinem bisherigen Leben und ich hatte schon
Schreibtisch liegen, bis er sich traute, ihn seinen          lange damit gerechnet.
Eltern zu geben. Sie lasen ihn am Abend und am               Mir war das schon sehr früh aufgefallen, dass
nächsten Morgen war nichts wirklich anders.                  mein Kind kein „normales” Mädchen war. Zu
Bis er ihnen einfach eine Woche später seinen                seinem 2. Geburtstag bekam er von einer lieben
neuen Namen sagte und sie immer wieder kor-                  Bekannten ein Kleid geschenkt, das war aus gelb-
rigierte, wenn sie Fehler machten. Dann erzählte             blau kariertem Leinen und ziemlich schlicht und
er es nach und nach seiner Familie und seinen                unaufdringlich. Ich wollte es ihm anziehen und
restlichen Freunden und bis auf eine reagierten              ein Foto davon der Schenkerin als Dankeschön
sie alle positiv.                                            schicken, aber (… jetzt weiß ich nicht: soll ich „sie”
Im Großen und Ganzen war unsere Jugend nicht                 schreiben, den jahrelangen Vornamen oder Fiete?
besonders toll. Von wegen: Der Körper verändert              Zu der Zeit war er ja noch meine „Tochter”. Ich
sich, man passt nirgends richtig dazu usw... Kann            bleibe jetzt einfach konsequent beim „er”, denn
man sich bestimmt selbst denken, also reden wir              jetzt ist mir klar, dass das „sie” damals schon
nicht weiter darüber.                                        falsch gewesen sein muss …) Fiete wehrte sich
Jetzt sind wir uns sicher, dass wir Hormone neh-             mit Händen und Füßen das Kleid anzuziehen.
men wollen, aber trotzdem haben wir oft Zweifel.             Ich habe mich dann doch durchgesetzt, aber der
Ist das die richtige Entscheidung? Werde ich es              Gesichtsaufdruck auf dem Foto sprach Bände!
bereuen? Sollte ich noch warten? Fühle ich mich              Das Foto war zum Verschicken ungeeignet. Ein
damit wohl? Kann ich nicht einfach so weiterma-              schönes Foto wollte nicht gelingen. Das war nur
chen? Belüge ich mich selber? Wurde ich zu sehr              eine kleine Episode, die erste, an die ich mich
von außen beeinflusst? Will ich nur Aufmerksam-              erinnere. Das zog sich dann durchgehend so
keit? Akzeptieren meine Freunde mich wirklich?               fort: selbst die Slips durften keine Schleifchen,
Unterstützt meine Familie mich wirklich? Stelle              Mausezahnsäume, Herzchen oder dergleichen
ich andere Trans*Personen dadurch als lächerlich             aufweisen. Die Lieblingsklamotten waren die,
dar? Nehmen mich andere ernst?                               welche er von seinem jüngeren, aber größeren
Aber selbst wenn? Das schlimmste ist immer                   Cousin geerbt hatte. Die Haare mussten kurz
noch nicht so schlimm wie so weiter zu leben und             sein! Bloß keine langen Haare! Wenn Fietes
sich zu fragen: Was wäre, wenn? Also müssen                  Schwester aber mal hübsche Mädchensachen
wir es probieren!                                            trug, sagte er schon ab und zu, dass er es hübsch
Das sind jetzt nur zwei Beispiele, aber natürlich            fände. Ich sagte „dann zieh du es doch mal an”
sind alle Erlebnisse anders und jeder hat andere             aber das war ein vollkommen absurder Vorschlag.
Ziele. Und jeder kann machen, was er will und                Einmal an der Supermarktkasse half er mir die
kann selbst entscheiden, wie weit er gehen will.             Waren auf das Förderband und wieder zurück in
Und manche können auch nicht alles machen,                   den Wagen zu legen. Da war er etwa 4 Jahre alt.
was sie wollen und trotzdem sind sie nicht we-               Die Verkäuferin lächelte und sagte freundlich:
niger wert!                                                  „Das macht er aber gut, der Kleine”. Ich pflich-
So muss man einfach jeden so akzeptieren, wie                tete ihr bei und sagte ihr dann, dass es aber
er ist. Und das gilt nicht nur für Trans*Menschen!           ein Mädchen sei. Das war der Verkäuferin dann
                                     Florian und Fiete       ein bisschen peinlich und sie entschuldigte sich
                                                         9
bei dem Kind. Als wir aus dem Laden draußen         sein Kind so wie es ist.
waren, sagte Fiete: „Mama, das sollst du nicht      Dass ich mir keine Sorgen machte, war vielleicht
immer sagen!” Er wollte nicht, dass ich die Leu-    etwas naiv. Schwieriger wurde es nämlich mit
te korrigiere, wenn sie ihn als Jungen sahen. Es    dem Schulwechsel zur 7. Klasse auf das Gymna-
war ihm unangenehm, dass die Leute dann in          sium. Die Mädchen kamen in die Pubertät und
eine peinliche Situation gerieten. Ich habe mich    fingen an sich zu schminken, irgendwelche Jungs
dann auch darangehalten, aber manchmal, z. B.       süüüß zu finden, Cliquen zu bilden und das ganze
bei offiziellen Gelegenheiten, ließ es sich dann    Programm. Für Fiete war das nichts, konnte da-
doch nicht vermeiden, und jedes Mal war es dem      mit rein gar nichts anfangen. Er wäre lieber in der
Gegenüber peinlich.                                 Pause bei den Jungs gestanden, aber die wussten
Oft wurde ich auch gefragt, ob das Kind ein         ja, dass es ein Mädchen war und wollten lieber
Mädchen oder ein Junge sei. Manchmal habe           unter sich sein. Richtige Freundschaften konnten
ich dann geantwortet: „Im Kopf ein Junge und        nicht entstehen. Das war ein echtes Dilemma
in der Hose ein Mädchen”. Und ich fragte mich       und ging so weit, dass er sich fast komplett
dann auch manchmal, warum die Leute das             geweigert hat zur Schule zu gehen. Sein Vater
wissen wollen? Was geht es die eigentlich an,       hat viele Gespräche mit den Lehrern geführt
was das Kind in der Hose hat? Aber ich kann es      und irgendwie haben wir es geschafft, dass er
ihnen nicht übelnehmen, erwische mich selbst        weiter zur Schule ging und die Leistungen waren
manchmal bei solchen Fragen und der Mensch          glücklicherweise noch immer ziemlich gut. In
ist einfach so: er möchte einordnen können          dieser Zeit des großen Unglücks mit dem Gefühl
und zwar am liebsten in bekannte Kategorien.        des Ausgeschlossenseins haben wir Eltern uns
Darunter kann er sich etwas vorstellen und es       teilweise nächtelang gefragt, was wir machen
besser einschätzen.                                 können. Wir haben erwägt einen Psychologen
Im Kindergarten und in der Grundschulzeit war       zu Rate zu ziehen, aber erstens wollte Fiete das
Fiete vornehmlich mit Jungs befreundet, war z.B.    nicht und zweitens gab es monatelange War-
oft das einzige „Mädchen” auf einer Geburtstags-    tezeiten, um überhaupt einen Termin bei einem
feier. Die Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen       Kinderpsychologen zu bekommen.
hatten kein Problem damit. Er war einfach so        Um Fiete dazu zu bringen mit anderen Schülern
und wurde so akzeptiert. Das war allerdings auch    außer den Klassenkameraden in Kontakt zu kom-
leicht, weil er ein eher zurückhaltender Mensch     men, machten wir den Vorschlag in die Theater
war, klein, unauffällig, niedlich, und niemandem    AG der Schule zu gehen. Das wollte er partout
etwas zu Leide getan hat. Die schulischen Leis-     nicht. Wir haben gesagt, er müsse ja nicht auf
tungen waren obendrein sehr gut, das Lernen         die Bühne, vielleicht wäre ja die Mitwirkung am
fiel ihm leicht und er war immer aufrichtig. Es     Bühnenbild oder bei der Technik geeignet? Nein,
gab nichts zu beklagen.                             er wollte nicht. Aus der Not heraus haben wir
Manch einer erzählte mir von Frauen, die sie        ihn dann aber dazu gezwungen es wenigstens
kennen würden, welche ebenfalls als Kind sehr       einmal zu versuchen, dort ein paar Mal hinzuge-
jungenhaft gewesen wären, aber später dann          hen. Wenn es dann gar nichts wäre, könne er ja
doch richtige Mädchen wurden. Ich solle mir         wieder aufhören. Darauf hat er sich eingelassen
keine Sorgen machen, das würde sich bestimmt        … zum Glück!!! Wider Erwarten hat er gleich eine
noch ändern. Ich war mir da schon zu 95% sicher,    kleine Rolle bekommen im Schultheaterstück,
dass es sich nicht ändern würde. Aber Sorgen        und es hat ihm richtig viel Spaß gemacht. Dort
machte ich mir nicht. Wichtig war doch, dass es     waren auch andere „Verrückte”, die Freude am
meinem Kind gut geht, unabhängig davon, ob es       Spielen hatten. Es hat ihm so viel Spaß gemacht,
ein Mädchen oder ein Junge ist. Man liebt doch      dass er mehr machen wollte. Und so ging er zum
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Theater und kam in einen Spielclub. Hier war er        Leben gehen zu wollen und eine entsprechende
genau richtig, konnte in Rollen schlüpfen, sich        Behandlung anzustreben. Ehrlich gesagt: Das
austoben, lernte Freunde kennen und konnte             war jetzt doch überraschend, denn inzwischen
einfach so sein wie er war. Ein Befreiungsschlag.      hatte ich damit nicht mehr wirklich gerechnet.
Dafür bin ich den Theatermenschen unendlich            Aber irgendwie war ich erleichtert, dass nichts
dankbar. Coole Leute!                                  Schlimmes passiert war. Und wundern tut es
Ich könnte noch zig Begebenheiten erzählen             mich auch gar nicht bei der Vorgeschichte. Gott
zu dem Thema, aber das würde den Rahmen                sei Dank ist Fietes Vater dem Ganzen auch offen
definitiv sprengen.                                    gegenüber, auch wenn es ihm ganz offensichtlich
Mittlerweile wurde ich natürlich auch sensibler        schwer fällt „Fiete” und „er” zu sagen.
für das Trans-Thema, hatte schon ein bisschen im       Es fiel mir in diesem Bericht in manchen Episoden
Internet dazu rumgesurft. Aber ich wollte mein         nicht leicht immer „er” zu schreiben. Aber so ist
Kind auf keinen Fall zu so einem Schritt drängen.      das. Wenn man 21 Jahre geglaubt hat eine Toch-
So etwas muss man ganz alleine entscheiden             ter zu haben (wenn auch mit stark männlichem
und ich rechnete jederzeit damit.                      Wesen) und immer von „ihr” gesprochen hat,
Einmal gab’s im Fernsehen eine Reportage               dann fällt die Umstellung schwer. Vor allem auch
über Balian Buschbaum, der früher eine Frau            wenn ich aus früherer Zeit erzähle. Da war das
war und als Stabhochspringerin sogar bei den           „sie” eben normal. Oder wenn ich mit Menschen
olympischen Spielen war. Wir haben uns das             über Fiete spreche, die ihn schon lange kennen,
angesehen und ich fragte Fiete, ob er das auch         aber eben als „Mädchen” - Nachbarschaft und
machen wollen würde, so eine Geschlechts-„Um-          so, alte Freunde und Kollegen. Dann muss man
wandlung” (sagte ich da noch). Aber er meinte          sich immer erst erklären und das ist manchmal
nein, die vielen Operationen und so, da hätte er       anstrengend oder passt gar nicht zum Thema.
Angst vor. „Und wenn man einfach »Schnipp«             Am einfachsten ist es mit fremden Menschen.
sagen könnte und du wärst ein Mann?” Dann              Da spreche ich jetzt ganz selbstverständlich
könnte er sich das gut vorstellen.                     von meinem Sohn und fertig. Keine Nachfragen,
Nach Fietes Schulabschluss kam es noch zu ei-          alles ganz normal.
nem einjährigen Auslandsaufenthalt in Australi-        Hauptsache mein Kind fühlt sich wohl in seiner
en für Fiete. Etwa zwei Monate vor der Rückkehr        Haut, kann ein möglichst sorgenfreies Leben
bereitete uns seine Schwester darauf vor, dass         führen und muss sich nicht ständig erklären
Fiete uns etwas zu sagen hätte und mit uns             oder wird neugierig beäugt.
telefonieren wolle. Wir haben uns also zu einem
bestimmten Zeitpunkt zum Telefonieren verab-           Nun muss ich aber noch etwas erklären:
redet, damit auch alle Familienmitglieder dabei        Dass ich das alles so locker und frei sehen kann,
wären. Ich habe gerätselt, was es wohl Geheim-         liegt erstens auch mit daran, dass ich schon
nisvolles sein könnte? Hatte schon befürchtet,         so aufgewachsen bin. Fiete ist meiner eigenen
dass er etwa in Australien eine/n Partner/in           ältesten Schwester in vielen Hinsichten sehr
gefunden hätte und dortbleiben wolle. Nein, ver-       ähnlich, die war auch immer sehr jungenhaft und
sicherte mir seine Schwester, das sei es nicht. Ich    eben anders als andere Mädchen. Ich kannte das
hatte tatsächlich KEINE Ahnung, worum es wohl          also schon immer, dass es Menschen gibt, die
gehen könne und fieberte dem Telefongespräch           nicht in die gängige Norm passen und das war
entgegen. Fietes Schwester hat nichts verraten.        für mich ein Stück Normalität. Und zweitens war
Dann war es endlich soweit: nach einigem Rum-          es bei Fiete ja schon von Anfang an so, dass sich
gedruckse kam das Outing. Er hätte sich jetzt          dieser Weg abgezeichnet hat.
doch entschlossen als männliche Person durchs          Ich weiß, es gibt aber auch transgeschlechtliche
                                                      12
Menschen, denen fällt es erst viel später auf. Ich         so etwas ohne Grund auf sich nimmt.
kann verstehen, dass es deren Eltern schwerer              Ich hoffe, ich konnte ein ganz kleines bisschen
fällt das zu akzeptieren. Und auch das sollte              zur Aufklärung beitragen.
man akzeptieren. Letzten Endes bin ich aber der                                         Liebe Grüße , Karina
Meinung, jeder muss das selbst für sich wissen.
Glücklicherweise ist das heutzutage möglich!               PS: Ich bin mir sicher, dass Transsexualität eigentlich
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand             nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern mit Identität!

Sabine, Schwester von Marita und Tante von Fiete
Nie ist mir in den Sinn gekommen, meine                    anders: viele haben von Transsexualität gehört/
Schwester wäre nicht „normal“. Vermutlich liegt            gelesen/im Fernsehen gesehen und gehen da-
es daran, dass sie meine ältere Schwester ist              mit (zumindest, was meinen Kreis betrifft) viel
und ich sie nie anders kennengelernt habe.                 toleranter um.
Marita ist Marita und wäre wohl lieber ein Junge/          Fiete ist nach ein paar Monaten des neuen Na-
Mann. Punkt. Fertig. Auch an das Wort transse-             mens bei mir schon ganz schön doll Fiete ge-
xuell habe ich nie gedacht, eher an Asexualität            worden und ich sehe, wie er sich freut, wenn ich
oder dass es sich bei ihr wohl um eine Art „Gena-          Fiete zu ihm sage. Ich würde lügen, wenn sein
nomalie” handelt – einfach zu viel Testosteron             alter Vorname nicht noch in meinem Kopf wäre
für eine Frau. Ich habe sie immer so respektiert,          und er mir hin und wieder auch noch rausflutscht.
wie sie ist: intelligent, ausgesprochen sorgfältig,        Fiete meinte selbst, das wäre schon alles ganz
verantwortungsbewusst (mehr geht nicht) und                schön komisch. Sicher! Ist doch normal, dass
unglaublich aufrichtig! Ich weiß genau, dass sie           es komisch ist, wenn jemand mehr oder wenig
mich nie anlügen würde und auch nicht für mich             plötzlich nicht nur seinen Namen, sondern auch
lügen würde (einmal habe ich es als Jugendliche            sein Geschlecht öffentlich angleicht – es ist nur
probiert: abgelehnt!). Das ist sehr schön, weil            verständlich, dass die meisten Menschen damit
ich bei ihr immer weiß, woran ich bin: kein Rum-           ihre Problemchen haben – und doch stößt er auf
lamentieren, kein Gerede um den heißen Brei.               viel Akzeptanz.
Nach Fietes Geburt zeigt sich bald, dass er Marita         Maritas Tumorerkrankung ist natürlich ein echter
sehr ähnlich ist: auch so aufrichtig, intelligent,         Mist, aber sie hat auch Gutes mitgebracht: sie
sorgfältig und verantwortungsbewusst. Hm …                 spricht offener über sich: am schönsten war es,
dann ist diese „Genanomalie” wohl irgendwie                als ich sie in Damp in der Reha-Klinik besuchte,
vererbt worden ... Marita war erstgeborene                 wir in der Cafeteria saßen und uns lautstark über
Tochter, Fiete auch. So stellt sich mir tatsächlich        ihre Transsexualität unterhielten. Das hätte ich
die Frage, ob Transsexualität vererbbar ist – oder         vor einem Jahr nicht für möglich gehalten.
ist es schlicht Zufall, dass es in meiner Familie          Ich freue mich auch sehr, dass Marita und Fiete
gleich zwei Männer gibt, die weibliche Körper              (& Karina natürlich auch) bereit waren, für diesen
zugeschustert bekommen haben?                              Mitgliederrundbrief in die Tasten zu hauen um
Ich bin jedenfalls sehr froh, damit aufgewachsen           Transsexualität bekannter zu machen, obwohl
zu sein und entsprechend Toleranz mit auf den              beide immer wieder sagen, sie möchten sich mit
Weg bekommen habe. Sicher gab es Situationen,              ihrer Transsexualität nicht in den Fokus rücken.
in denen ich Marita verteidigen musste, wenn               Der Mensch – insbesondere kleine Menschen
meine jugendlichen Freundinnen meinten, sie                – brauchen Schubladen, in die sie einsortieren
wäre „komisch". Immer mit den Worten: „Sie ist             können: geben wir ihnen eine – sie heißt Trans*!
eben so!” Punkt. Inzwischen ist das tatsächlich                                                        Sabine
                                                      13
Buchbesprechung                                           Endlich ich – Ein transsexueller Pfarrer
                                                          auf dem Weg zu sich selbst
                                                                                         Sebastian Wolfrum

                                                          Als Sebastian Wolfrum an einem Sonntag im
                                                          Oktober 2017 vor der versammelten Gemeinde
                                                          erklärt, dass er sich seit Kindertagen im falschen
                                                          Körper fühlt und fortan als Mann leben wird, sorgt
                                                          die Nachricht deutschlandweit für Schlagzeilen.
                                                          An diesem Sonntag wird der kleinen fränkischen
                                                          Gemeinde bewusst, dass ihr keine Pfarrerin, son-
                                                          dern ein Pfarrer vorsteht. Doch was Gemeinde
                                                          und Presse überrascht, ist für Sebastian Wolfrum
                                                          nur der konsequente letzte Schritt einer lebens-
                                                          langen Auseinandersetzung mit sich selbst, dem
                                                          eigenen Körper und Gott.

                                                          In „Endlich ich” beschreibt er sein Leben als Mann
                                                          in einem Frauenkörper und was es bedeutet als
                                                          Teil der protestantischen Kirche mit dem gott-
                                                          gegebenen Körper zu hadern. Und auch, wie es
                                                          zu dem konsequent letzten Schritt einer lebens-
                                                          langen Auseinandersetzung mit sich selbst kam.

Frederike ist Studentin der Medizin: über die Peer-Education Gruppe „Mit Sicherheit verliebt” ist sie
schon seit vielen Jahren als Präventionistin unterwegs. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass in
Lübeck das Modul „Let’s talk about Sex” der DAH in das Curriculum für das Medizinstudium fest
verankert wurde. Seit kurzem engagiert sie sich ehrenamtlich in der Lübecker AIDS-Hilfe. Sie wirft
einen kritischen Blick auf die Diagnose Trans* aus medizinischer Sicht.

Die Entpathologisierung der Diagnose Trans* –
ein langer Weg in der Medizin
Wenn man medizinisch behandelt werden                     der Krankheiten und verwandter Gesundheits-
möchte, braucht man zuerst eine Diagnose, die             probleme, 10. Version) und wird in Deutschland
die Behandlung rechtfertigt – logisch.                    schon seit Anfang des 21. Jahrhunderts ange-
In Deutschland werden alle möglichen Diagnosen            wendet. So weit, so gut.
in einem Katalog gesammelt, sortiert und jeder            Auch wer sich als trans* identifiziert und eine
Diagnose wird ein Kode zugeordnet. Diese Kodes            Behandlung wünscht, bekommt einen Kode aus
helfen Ärzt*innen, die Krankheiten zu klassifizie-        der ICD-10 zugeordnet, nämlich „F.64.0 – Transse-
ren, und helfen Krankenkassen, die Behandlungen           xualismus”. Die Diagnose wird so beschrieben: Der
nachzuvollziehen, um die Kosten übernehmen zu             Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlech-
können. Der aktuelle Krankheits-Katalog heißt             tes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser
ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation        geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der
                                                     14
Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen              von Entpathologisierung sprechen, wenn es nicht
Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach            noch eine Wendung der aktuellen Lage gäbe:
chirurgischer und hormoneller Behandlung, um             Gerade erst, am 25. Mai 2019, haben die Länder
den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht            der Welt beim jährlichen Treffen der Weltge-
soweit wie möglich anzugleichen.                         sundheitsorganisation eine neue Version der ICD
Obwohl diese Diagnose in den vergangenen Jahr-           beschlossen, die ICD-11.
zehnten für Sichtbarkeit von Trans*Menschen in           Die ICD-11 bringt viele Neuerungen für Trans*-
der Medizin gesorgt hat und auch viel ermöglicht         Menschen: Zum einen gehört die Diagnose nicht
hat, wie zum Beispiel die Kostenübernahme von            mehr zu den psychiatrischen Erkrankungen,
Hormonbehandlungen und geschlechtsanglei-                sondern wird einem ganz neuen Kapitel zugeord-
chenden Operationen, ist sie doch in vieler Hin-         net, zu dem alle „mit der sexuellen Gesundheit
sicht problematisch. Angefangen damit, dass              zusammenhängenden Umstände” gehören. Zum
Transsexualismus in der ICD-10 unter dem Kapitel         anderen hat sie einen neuen Namen: „Transse-
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen un-             xualismus” wird ersetzt durch „Geschlechtsin-
missverständlich als psychiatrische Erkrankung           kongruenz”, was so viel bedeutet wie eine Nich-
beschrieben ist. Dass die eigene Geschlechtsiden-        tübereinstimmung von dem erlebten Geschlecht
tität als pathologisch, als krankhaft angesehen          mit dem biologischen Geschlecht.
wird, kann für die Betroffenen sehr belastend            Das ist ein großer Erfolg für alle Expert*innen und
sein und bestärken, dass sich Trans*Menschen             Aktivist*innen, die sich für die Entstigmatisierung
für ihre Identität schämen und von Mitmenschen           und gegen die Pathologisierung der Diagnose
stigmatisiert werden. Vielmehr sollte trans* als         trans* eingesetzt haben. Weltweit soll die ICD-
eine Normvariante gesehen werden, die per se             11 ab 2022 gültig werden. Es ist jetzt wichtig,
erst einmal gar nichts mit Krankheit oder Ge-            dass diese Änderung ihren Weg in das deutsche
sundheit zu tun hat.                                     Gesundheitssystem und in die Ausbildung von
Darüber hinaus folgt die Beschreibung der                jetzigen und zukünftigen Ärzt*innen findet. Das
Diagnose einer sehr binären Vorstellung der              dafür zuständige Institut kann jedoch über den
Geschlechter. Das heißt, dass davon ausgegan-            Zeitpunkt der Einführung der ICD-11 in Deutsch-
gen wird, dass es zwei Geschlechter gibt – Frau          land noch keine Aussagen machen. Es gilt, dran
und Mann – und dass ein Trans*Mensch mit                 zu bleiben.                         Frederike Booke
weiblichem biologischem Geschlecht als Mann
leben möchte, mit männlichem biologischem                                                           Quellen:
Geschlecht als Frau. Die ICD-10 sieht nur diese                 http://www.icd-code.de/icd/code/F64.-.html
beiden Extreme, obwohl ganz viel dazwischen
                                                            https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikatio-
liegt. Manche Trans*Menschen identifizieren                   nen/icd/icd-10-gm/historie/adaptionsschritte/
sich als non-binär, also weder als Mann noch als
                                                                    https://www.dimdi.de/dynamic/de/klas-
Frau. Manche Menschen identifizieren sich als                              sifikationen/icd/icd-11/index.html
trans*, haben aber nicht den Wunsch nach sowohl
                                                                        https://www.tagesspiegel.de/gesell-
einer hormonellen als auch einer chirurgischen
                                                                       schaft/queerspiegel/neue-icd-einstu-
Behandlung. Diese Menschen werden in dieser                      fung-who-will-transsexualitaet-als-psychi-
Beschreibung bis jetzt nicht berücksichtigt und                    sche-krankheit-streichen/22709114.html
kriegen dann trotzdem diese Diagnose, obwohl                          https://www.who.int/news-room/de-
sie nicht wirklich stimmt. Aber Krankenkassen              tail/25-05-2019-world-health-assembly-update
zahlen nichts ohne Diagnose-Kode, es geht also                            https://icd.who.int/browse11/l-m/
nicht anders.                                                               en#/http%3a%2f%2fid.who.int%-
Der Titel dieses Artikels würde natürlich nicht                               2ficd%2fentity%2f411470068
                                                    15
Marita hat sich schon als Kind in ihrem Körper unwohl gefühlt. Ihr langer Weg zeigt sehr deutlich auf,
wie wichtig es ist, dass wir endlich eine Gesellschaft gründen in der Menschen, die anders fühlen als
ihnen mal zugewiesen wurde, angst- und diskriminierungsfrei leben können.

Marita, 62 Jahre                                           Wochen depressive Verstimmungen reichte. Das
Dass man besser daran tut, ein Junge zu sein,              heißt, eigentlich war ich ständig depressiv ver-
merkte ich zuerst daran, dass mein kleiner                 stimmt. Ich hasste nicht nur die Kerle, die ich am
Bruder viel mehr durfte als ich.                           liebsten eigenhändig kastriert hätte, sondern vor
Das war nicht die Schuld unserer Eltern; Zeltlager         allem den blöden, schlappen Weiberkörper, in den
z.B. waren für Mädchen einfach nicht im Angebot.           ich eingesperrt war und der mir das ganze Elend
Auch das Dasein meiner Mutter fand ich äußerst             einbrockte. Leider kam ich erst mit 18 auf den ret-
abschreckend: Eingezwängt in Hüfthalter, BH,               tenden Trick: Hosenbeine hochkrempeln! Sobald
enge Röcke, Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe, Dau-             meine schönen, naturbelassenen Männerwaden
erwelle, die nicht nass werden durfte – da konnte          zum Vorschein kamen, blieb jedem Lüstling der
doch unmöglich Freude aufkommen. Die Erwach-               Pfiff im Halse stecken. War das ein Spaß!
senen versuchten, meinen Sinn für Realitäten zu
schärfen, indem sie mir die Unausweichlichkeit             Auch die Blutungen setzten früh ein und blieben
dieser scheußlichen Dinge klarmachten: „Kein BH?           stets unregelmäßig, so dass ich schließlich einen
Willst du die Brust denn über die Schulter werfen?”        Frauenarzt aufsuchte. Nach monatelangem Tem-
Zu meinem großen Verdruss fing sie schon mit               peraturmessen und einem Hormontest beschied
11 Jahren an zu wachsen, aber ich schob den BH             er mir, es sei ein Übermaß männlicher Hormone,
so lange auf, bis ich merkte, dass er überflüssig          die den Zyklus immer wieder durcheinander-
war, außer beim Sport. Quietschbunte Oberteile             brachte. Welcher Triumph! Ich war also gar nicht
taten es auch. Entsprechend verfuhr ich mit den            so verrückt, wie alle dachten, sondern tatsäch-
anderen Quäl-Kleidungsstücken.                             lich ein halber Mann! Ungesund sei das nicht,
                                                           versicherte der Arzt, aber wenn ich schwanger
Mit 13 fand ich in der hinteren Reihe des väterli-         werden wollte, würde das wohl kaum ohne Hor-
chen Bücherschranks die Gebrauchsanweisung,                montherapie klappen. Ich wollte nicht schwanger
nach der ich entstanden war. Ich las sie ganz              werden. Vor allem waren es die Vorarbeiten, die
durch, wenn ich sie auch zwischendurch öfter mal           mich abschreckten.
wütend in die Ecke schmiss. Unglaublich, welche            Mich „umoperieren” zu lassen, war für mich
erniedrigende Rolle Frauen beim Fortpflanzungs-            aber keine Option, nicht nur, weil das damals
geschäft spielen mussten! Es war mir immer                 extrem exotisch war. Ein richtiger Mann konnte
klar gewesen, dass ich niemals heiraten würde.             ich ja doch nicht werden. Es gibt bis heute keine
Aber nun wusste ich auch, warum. Sex war mit               Laserkanone, die in jeder einzelnen Körper-
mir nicht zu machen. Das würde ich mit allen               zelle dem richtigen Chromosom ein Beinchen
erlaubten und unerlaubten Mitteln verhindern.              abschießt, ja noch nicht mal funktionierende
Gegenstände in meiner Scheide, und sei es nur der          männliche Geschlechtsorgane könnte ich be-
eigene Finger, waren für mich immer undenkbar.             kommen. Und selbst wenn: Wer würde schon
                                                           einen „Umoperierten” als Mann anerkennen?
Allerdings hatte ich das Pech, süß und mädchen-            Denn das war es doch, worum es ging: Weniger
haft auszusehen. An lüsternen Pfiffen herrsch-             der Frauenkörper war das Problem, sondern die
te kein Mangel. Ich fühlte mich so abgrundtief             Art, wie die anderen damit umgingen. Dass sie
erniedrigt, dass einmal Nachpfeifen für zwei               einen als Schlappschwanz, Dummchen, Lust-
                                                      16
und Beschützungsobjekt behandelten. Dass sie              zum „Trostpflaster in diesem elenden Weiber-
einem die Fixierung auf Mode, Kosmetik, Frisur            dasein” ernannte.
und Klatsch unterstellten. Und vor allem, dass
ich keinen richtigen Männerfreund haben konnte,           So ging es viele Jahrzehnte. Ich wurde nie damit
also einen, bei dem das Abrutschen ins Sexuelle           fertig, als alte Jungfer nachzuholen, was kleine
ausgeschlossen war, so ungefähr wie bei Win-              Mädchen nicht durften. Jetzt bin ich über 60
netou und Old Shatterhand. Das war es, was ich            und habe meinen Frieden mit meinem Körper
von den Jungs (zweimal auch Mädels) wollte, in            gemacht. Das lästige Bluten ist lange vorbei, mir
die ich mich verliebte. Aber leider musste ich auf        pfeift niemand mehr nach, niemand hält mich
Distanz gehen, weil es ja sonst unweigerlich zum          mehr automatisch für ein schlappes Dummchen,
Sex gekommen wäre (glaubte ich). Übrigens flog            und mein Rückenmarkstumor hätte in einem
ich nur auf Jungs, die leicht mädchenhaft wirkten         Männerkörper genauso viel Schaden angerich-
und meinen Beschützerinstinkt weckten.                    tet. Und wäre ich ein richtiger Mann, hätte ich
                                                          wahrscheinlich die Erfahrung gemacht, dass es
Wenigstens war ich nun volljährig und konnte              die schöne, edle Männerfreundschaft nur bei Karl
meine „männlichen” Interessen austoben. Ich               May gibt. Überhaupt treffen die Eigenschaften, die
studierte Vermessungswesen, lernte Karate,                ich mir an meinem idealen Freund wünschte, ein-
lief Marathon, zog mit Kochgeschirr und Zelt ins          deutig eher auf eine Katze als auf einen Menschen
nordskandinavische Fjäll und verdiente meine              zu. Katzen sind selbständig und tolerant. Einen
Brötchen mit Software-Entwicklung. Während                ganz normalen Mann in einem ganz normalen
des Studiums spross mir zu meinem größten                 Frauenkörper findet mein Kater genau richtig!
Vergnügen etwas Flaum aus dem Kinn, den ich                                                          Marita

Lassen wir Joe doch noch mal zu Wort kommen – hier erzählt er nun seinen Weg.

Eine Entscheidung?                                        trans* zu sein. Meine Antwort ist immer dieselbe:
                                                          „Dass es so nicht funktioniert.” Man kann sich
Disclaimer: Ich bin kein*e Ärzt*in oder Thera-            nicht entscheiden, trans* zu sein und ich be-
peut*in. Das meiste beruht auf meiner eigenen             zweifle, dass Menschen sich dazu entscheiden
Erfahrung und kann von Person zu Person                   würden, wenn es so funktionierte.
variieren. Was das Rechtliche betrifft, gibt es           Es ist schwierig genug von der Gesellschaft und
immer wieder Neuerungen – vor allem auch                  der Familie akzeptiert zu werden und möchte
fachlich intern – weshalb einige Vorgaben / Vor-          man dann Schritte gehen, um sich auch körper-
aussetzungen veraltet sein können.                        lich wohl(er) zu fühlen, muss man viele weitere
                                                          Hürden überwinden.
Außerdem wurde ich bei Geburt als weiblich                Bis vor einigen Jahren mussten Trans*Menschen
eingeordnet, weshalb meine Transition in Rich-            mindestens ein Jahr in psychotherapeutischer
tung männlich (ich identifiziere mich allerdings          Behandlung sein sowie ebenso lange einen
als nicht-binär) verläuft und ich daher wenig zur         Alltagstest machen – öffentlich im gefühlten
Transition von Transfrauen* sagen kann.                   Geschlecht leben – bis eine Indikation für die Hor-
In Schulworkshops werde ich immer wieder ge-              montherapie gestellt wurde. Natürlich hängt es
fragt, warum ich mich dafür entschieden habe,             zusätzlich von dem/der Therapeut*in ab – gerade

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bei unter 18-Jährigen dauert es oft länger – und           jedem Zeitpunkt geschehen – es gibt dafür keine
dann fordern einige Endokrinolog*innen, dass die           medizinischen Voraussetzungen mehr), kommen
Indikation von einem/einer Ärzt*in (Psychiater*in          weitere Kosten (meine VÄ/PÄ hat über 1.500,–  €
in dem Fall) gestellt wird. Ich selbst hatte Glück,        gekostet – ohne Prozesskostenhilfe allerdings)
was meinen Psychiater anging und bekam meine               und zwei psychiatrische Gutachten, in dem auch
Indikation nach ca. 5 Monaten und hatte dann               sehr intime Fragen gestellt werden, auf einen zu.
(nach längerer Wartezeit auf einen Termin beim             Das ganze dauert dann insgesamt ca. 6 Monate
Endokrinologen) kein Jahr nach meinem inneren              bis man den Rechtskraftsvermerk in den Hän-
Coming-Out Testosteron – das ist jetzt etwa vier           den hält und neue Dokumente beantragen kann
Jahre her. Seitdem bekomme ich alle 12 Wochen              (Geburtsurkunde, Personalausweis, Führerschein
die dickflüssige Testosteron-Injektion in einen            und was man sonst so hat), was natürlich wieder
Muskel am Hintern gespritzt (es gibt schlim-               Geld kostet.
meres, aber schmerzfrei ist es definitiv nicht).
Alternativ gibt es ein Gel, das man jeden Tag              Der rechtliche Schritt erfolgt über das TSG
auftragen muss – da habe ich aber keine Lust zu.           (Transsexuellengesetz), dass, bis auf das Außer-
Transfrauen haben die Möglichkeit, eine Tablette           kraftsetzen einiger Sätze, seit Beschluss 1980
(im Grunde wie „die Pille”) zu nehmen – das geht           nicht geändert wurde (immerhin wurde 2011
bei Testosteron nicht wegen Leberschäden. Man              die Pflicht dauerhaft fortpflanzungsunfähig zu
muss übrigens jeweils 10,– € Rezeptgebühr für              sein, um den Personenstand ändern zu dürfen,
12 Wochen bzw. 3 Monate Testosteron bezahlen,              außer Kraft gesetzt). Seit kurzem gibt es einen
da das Präparat ziemlich teuer ist.                        Entwurf zur TSG-Reform, mit dem Aktivist*innen
                                                           allerdings sehr unzufrieden sind, da es weiter-
Um anschließend operative Eingriffe von der                hin auf Fremdbestimmung – und nicht, wie in
Krankenkasse bezahlt zu bekommen, musste                   anderen Ländern auch – auf Selbstbestimmung
man mindestens sechs Monate „gegenge-                      beruht, was bedeutet, dass man sich weiterhin
schlechtliche” Hormone einnehmen und sich                  von „Fachpersonal” bestätigen lassen muss, dass
erneut von Ärzt*innen (Psychiater*in / Thera-              man auch wirklich trans* ist.
peut*in sowie Endokrinolog*in) bestätigen lassen,          Dazu fällt mir meine damalige Therapeutin ein,
dass man trans* ist. Seit der neuen S3-Leitlinie           bei der ich mich als erstes geoutet hatte, die nur
können operative Eingriffe auch ohne Hormone               meinte, ich wüsste am besten, ob ich trans* bin
durchgeführt werden, allerdings ist die Leitlinie          oder nicht und wenn ich sage, dass ich trans*
selbst unter „spezialisierten” (es gibt keine wirk-        bin, dann ist das so.
liche Spezialisierung für Trans*Behandlungen)              Eine dritte Option (wie „divers” für Inter*-Men-
Fachärzt*innen nicht oder kaum bekannt.                    schen) gibt es über das TSG übrigens auch nicht
                                                           und die Option „divers” gilt nicht für (nicht-binäre)
Dennoch ist die Leitlinie ein wichtiger Schritt be-        Trans*Menschen.
sonders für nicht-binäre Menschen, die nur eine
Operation anstreben, aber keine Hormontherapie.            Das war erstmal ein grober Überblick zu me-
Mich selbst betrifft das nicht, da ich auf jeden           dizinischen und rechtlichen Belangen. Und das
Fall Testosteron brauchte, allerdings kenne ich            hat noch gar nicht die Probleme aufgezeigt, die
einige Menschen, die nur oder zumindest vor der            innerhalb der Familie, des Freundeskreises, in der
Hormontherapie schon eine Mastektomie (Ent-                Schule, Uni usw. auftreten können, ebenso wie
fernung der weiblichen Brust) bekommen wollten.            Diskriminierung in der Gesellschaft allgemein,
Und wenn man dann noch Vornamen und Per-                   aber das ist ein anderes Thema.
sonenstand ändern lassen möchte (das kann zu                                                              Joe
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Vereinte Nationen für Trans*-Rechte
Alljährlich am 31. März wird der Internationale Tag der Sichtbarkeit von Trans*Menschen gefeiert –
in diesem Jahr veröffentlichte die UN-Kampagne „Free & Equal” eine berührende Videobotschaft:
https://www.unfe.org/transvisibility/
                                                      aussetzungen oft schrecklich: Sterilisation und/
Die Vereinten Nationen schreiben dazu auf ihrer oder Zwangsscheidung. Ohne ordnungsgemä-
Free & Equal Homepage:                                ße Identitätsdokumente sind Trans*Menschen
Jeder hat ein tief verwurzeltes Gefühl für sein eige- von vielen täglichen Aktivitäten ausgeschlos-
nes Geschlecht. Bei den meisten Menschen stimmt sen – von der Eröffnung eines Bankkontos und
ihre Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht der Beantragung eines Jobs bis hin zum Mieten
überein, das bei ihrer Geburt in der Geburtsurkunde eines Hauses oder Reisen in ein anderes Land.
angegeben ist. Aber für manche ist das zugewie- Ein offenes Leben als ihr wahres Selbst zu leben,
sene Geschlecht nicht wie sie wirklich fühlen. Dies ist für die meisten Menschen selbstverständlich.
wird häufig als Trans- oder Transgender bezeichnet.
Es kann auch andere Namen haben, oft mit tiefen Für Trans*Menschen kann dies sehr gefährlich
kulturellen und historischen Wurzeln, wie hijra, sein. Authentisch leben – einfach nur sichtbar sein
drittes Geschlecht, Two-Spirit, travesti, fa'afafine, – erfordert enorm viel Mut. Mit der zunehmenden
transpinay, transpinoy, muxe, waria und meti. Sichtbarkeit von Trans*Menschen in unseren Ge-
Es ist nichts Falsches daran, Trans zu sein: Es ist meinschaften, den Medien und dem öffentlichen Le-
einfach ein Teil der reichen Vielfalt der mensch- ben kommt es jedoch zu Bewusstseinsbildung und
lichen Natur. Trans*Menschen sind ein wesent- veränderten Einstellungen. Dies ist der Schlüssel
licher Bestandteil von Gemeinschaften und Kul- zur Sicherung der Grundrechte der Trans*Menschen.
turen – wie sie in der Geschichte der Menschheit
schon immer gewesen sind. In einer Welt, in der
viele Menschen negative Ansichten hegen und
das Bewusstsein für Trans-Themen begrenzt
ist, werden Trans*Menschen jedoch häufig mit
Feindseligkeit, Diskriminierung und Gewalt kon-
frontiert – einfach weil sie so sind, wie sie sind.
Trans*Menschen werden viel häufiger gemobbt,
angegriffen und ermordet als andere Menschen.
Negative Medienberichterstattung und eine Rhe-
torik von politischen und kommunalen Führern
machen bereits feindselige Umgebungen noch
schlimmer und unerträglicher. Diese Feindselig-
keit gegenüber Trans*Personen wird oft sogar
in Gesetze manifestiert, die Trans*Personen
von der Ausübung von Grundrechten abhalten.
In den meisten Ländern ist es beispielswei-
se nicht möglich, dass Trans*Menschen ihre Es ist an der Zeit, aufzuhören, diejenigen zu beleidi-
geschlechtsspezifische Identität in offiziellen gen, die sich von uns unterscheiden. Es ist Zeit, sich
Ausweisdokumenten wie Pässen und Führer- für die Rechte der Trans-Community einzusetzen.
scheinen erkennen lassen. In den relativ wenigen Es ist Zeit, die Sichtbarkeit von Trans zu feiern!
Staaten in denen dies zulässig ist, sind die Vor-                                 Übersetzung: Hartmut
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