6 Wo steht die Frau heute? - Angestellte Schweiz
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Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz Revue des membres Employés Suisse 6/2014 Wo steht die 6 Frau heute? 30 Où sont les femmes aujourd’hui ? 8 Wie sich die Frau vom Mann unterscheidet – oder eben nicht 17 Der Branchenmonitor zur MEM-Industrie 20 Recht: Ein gutes Arbeitszeugnis, aber schlechte Referenzauskünfte – warum das nicht geht 31 Le poids des stéréotypes
IMPRESSUM EDITORIAL Steiniger Weg apunto Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz Aus heutiger Sicht mutet es wie ein schlechter Scherz an: Das Bundesgericht musste 1990 Revue des membres Employés Suisse die störrischen Männer aus Appenzell Innerrhoden zur Vernunft rufen und den Frauen das vorenthaltene kantonale Stimm- und Wahlrecht dekretieren. Notabene 19 Jahre nach der Erscheinungsweise / Fréquence Einführung auf Bundesebene im März 1971. Es war ein steiniger und langer Weg, bis die 6 ≈ pro Jahr / 6 fois par an Schweizer Frauen die gleichen politischen Rechte erkämpft hatten. Noch steiniger, noch härter, noch länger scheint der Kampf um gleiche Rechte, gleiche Löh- Druckauflage / Tirage ne und gleichen Einfluss in der Arbeitswelt zu sein. Während die Forderung «gleicher Lohn 28 000 Exemplare / copies für gleiche Arbeit» oft – auch vor Gericht – Erfolge verzeichnen kann, erleidet der Vertre- tungsanspruch von Frauen in Führungsfunktionen oft Rückschläge. Nur noch neun Prozent Mitgliederauflage (WEMF- der Schweizer Topmanager-Jobs sind derzeit von Frauen besetzt. Zuoberst an der Firmen- beglaubigt) / Tirage certifié REMP spitze stehen gar nur 1,7 Prozent Frauen. Die Forderung nach einer Frauenquote ist deshalb 22 359 Exemplare / copies verständlich. Aber ist sie auch richtig? Es fällt auf, dass die Frauenquote generell rückläufig ist, obwohl viele Firmen – auch aus Herausgeber / Editeur Gründen des Images – Frauenförderung betreiben und Führungspositionen mit Frauen be- Angestellte Schweiz setzen (möchten). Ist es vielleicht einfach so, dass viele Frauen anders ticken, weil sie sich Martin-Disteli-Strasse 9, Postfach 234 den Machtspielen und Intrigen auf den Chefetagen nicht aussetzen möchten und den Kin- 6501 Olten derwunsch höher gewichten? Anders gesagt: Die Absicht von Bundesrätin Simonetta Som- T 044 360 11 11 maruga, per Gesetz einen Anteil von 30 Prozent Frauen in Verwaltungsräten festzuschrei- F 044 360 11 12 ben, ist grundsätzlich zu unterstützen. Aber offen bleibt die Frage: Gibt es überhaupt apunto@angestellte.ch genügend (Karriere-)Frauen? www.angestellte.ch Redaktion / Rédaction Un chemin ardu Hansjörg Schmid (hs), Reto Liniger (rl), Virginie Jaquet (vj) Aujourd’hui, on penserait à une plaisanterie de mauvais goût : en 1990, le Tribunal fédéral Übersetzung / Traduction avait dû ramener à la raison la population masculine d’Appenzell Rhodes Intérieures, et Anne Fritsch, www.verbanet.ch décréter le droit de vote cantonal pour les femmes. Soit dit en passant, cette avancée interve- nait dix-neuf ans après l’introduction de ce droit au niveau fédéral en mars 1971. Un chemin Anzeigen / Annonces long et ardu avait précédé l’accès des femmes suisses à l’égalité des droits politiques. Stämpfli AG, 3001 Bern La lutte pour l’égalité des droits, des salaires et de l’influence entre hommes et femmes dans le Anzeigenmanagement monde du travail s’annonce encore plus ardue, plus difficile et plus longue. Alors que la reven- Dominik N. Kittelmann dication « à travail égal, salaire égal » enregistre régulièrement des succès, y compris devant T 031 300 63 82 les tribunaux, la représentation des femmes dans les fonctions de direction essuie toujours de inserate@staempfli.com nouveaux revers. 9 % seulement des postes de managers suisses sont aujourd’hui détenus par des femmes. Au sommet de la hiérarchie de l’entreprise, on trouve 1,7 % seulement de femmes. Adressmutationen / Mutations La revendication d’un quota de femmes est donc compréhensible. Mais est-elle juste? mutationen@angestellte.ch De toute évidence, le taux de femmes tend à reculer, même si bon nombre d’entreprises en- mutations@employes.ch couragent la promotion féminine, notamment pour des questions d’image, et font appel (ou souhaitent faire appel) à des membres de la gent féminine pour pourvoir des postes de direc- Druck / Impression tion. La plupart des femmes fonctionnent peut-être autrement et ne souhaitent pas s’expo- Stämpfli AG, 3001 Bern ser aux intrigues et manigances qui se jouent dans les instances supérieures de l’organisa- tion. Peut-être privilégient-elles aussi le souhait d’avoir des enfants. Autrement dit : le Gestaltung / Conception projet de la conseillère fédérale Simonetta Sommaruga, qui souhaite recourir à la loi pour sofie’ s Kommunikationsdesign, Zürich imposer une proportion de 30 % de femmes dans les conseils d’administration, mérite d’être soutenu. Mais on peut se demander s’il y a suffisamment de femmes carriéristes. Nachdruck mit ausdrücklicher Geneh- migung des Herausgebers gestattet. La reproduction n’ est permise qu’ avec l’ autorisation expresse de l’ éditeur. Titelseite: iStockphoto / Thinkstock — Stefan Studer, Geschäftsführer Angestellte Schweiz Directeur d’Employés Suisse
INHALT / SOMMAIRE 5 DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 6 Der Kampf für Gleichberechtigung von Mann SUJET PRINCIPAL : OÙ SONT LES FEMMES AUJOURD’HUI ? und Frau – ein langer Weg 8 Sind Frauen tatsächlich anders als Männer? Foto: Thinkstock 10 Wo Frauen heute stehen – zwei Politikerinnen 12 Frauen als Leaderinnen 13 So sehen Mitglieder die Rolle der Frauen 14 Kolumne 30 Un long chemin DIE ARBEITSWELT LE MONDE DU TRAVAIL 15 Warum die Pauschalbesteuerung abgeschafft gehört Foto: Thinkstock 16 Branchenmonitor Chemie/Pharma 17 Branchenmonitor MEM-Industrie 18 Ältere Mitarbeitende fördern 19 Kurzmeldungen 33 Moniteurs des branches DER VERBAND L’ ASSOCIATION 20 Rechtsartikel: Schlechte Referenzen trotz gutem Arbeitszeugnis Foto: Thinkstock 22 Erweitertes Angebot der Bank Coop 23 Reiseversicherung mit 25 % Rabatt 24 Neue Weiterbildungsangebote von Sekulab 25 Kurzmeldungen 34 Sécurité pour votre famille et vos amis AUSSERDEM ... EN OUTRE … 27 Whisky made in Switzerland 28 Türkische Ägäis: mehr als all-inclusive
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 6 Ein langer Weg Die Gleichberechtigung von Mann und Frau – die Französische Revolution hat diese Forderung geboren. Erst 1981 wird der Grundsatz in der Schweizer Verfassung verankert. Doch bis zur absoluten Gleichstellung von Mann und Frau gibt es noch viel zu tun.
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 7 Es ist ein kalter Novembertag im Jahre 1793. Dunkle Wolken liegen über kommt ein Wandel in Gang. Elisabeth Kopp wird 1984 erste Bundesrä- Paris, als drei Gerichtsdiener eine Frau vor das Revolutionstribunal tin. Seit 2000 sieht das Scheidungsrecht die Teilung der zweiten Säule führen. Sie ist schwach und erschöpft. Ihre Kleider sind zerrissen – die bei Scheidung vor, seit 2002 können Frauen eine Schwangerschaft in drei Monate im Gefängnis haben ihr zugesetzt. Sie wird aufgefordert, den ersten 12 Wochen straffrei abbrechen, seit 2005 haben sie Anrecht ihre Personalien anzugeben. «Marie Olympe de Gouges», sagt sie. «38 auf einen Mutterschaftsurlaub. Der wohl bedeutendste Schritt in Rich- Jahre alt, Literatin, wohnhaft in Paris.» tung Gleichberechtigung ist aber das steigende Bildungsniveau der Frau. Nie waren Frauen in der Schweiz besser ausgebildet als heute, ihre Der Gerichtspräsident verliest die Anklageschrift – sie wird des Verrates Beteiligung am Erwerbsleben hat stark zugenommen. an der Republik beschuldigt. De Gouges verteidigt sich, um einer schwe- ren Strafe zu entgehen. Nichts hilft. Das Tribunal erachtet sie als schul- Lohndiskriminierung noch stark dig und verurteilt sie zum Tode. Doch einzig um Staatsverrat ging es in dieser Sache nicht. Das Revolutionstribunal wollte in der Frauenfrage Baustellen gibt es aber noch so einige, wie der Ende Oktober vom eid- ein Exempel statuieren. Olympe de Gouges hat «die Tugenden, die ihrem genössischen Departement des Innern veröffentlichte «Aktionsplan Geschlecht gebühren, verleugnet», schreibt das Revolutionstribunal in Schweiz zur Gleichstellung von Mann und Frau» zeigt: Das Armutsrisi- der Urteilsbegründung. Und weiter: «Seid einfach in Eurer Kleidung, ko ist bei Frauen um ein Vielfaches höher als bei Männern. Der Anteil fleissig in Eurem Haushalt. Folgt niemals den Volksversammlungen mit der Frauen in der Politik stagniert seit 2007, häusliche Gewalt ist immer dem Wunsch, dort selbst zu sprechen.» noch weit verbreitet und Mädchen werden auf ihrem beruflichen Weg weiterhin stark von Stereotypen beeinflusst. Nicht zuletzt ist die Lohn- De Gouges aber trat unablässig öffentlich auf und forderte gleiche Rech- diskriminierung immer noch spürbar. «Gleiche Arbeit für gleichen te für beide Geschlechter. So lautet der wohl berühmteste Satz aus ihrer Lohn» – dieser in der Verfassung verankerte Grundsatz ist bis heute Erklärung von 1793: «Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; nicht garantiert. Frauen verdienen in der Privatwirtschaft bei gleicher sie muss gleichermassen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen.» Bildung und Arbeit bis 20 Prozent weniger als Männer. Und gerade auf Fundament ihres Denkens ist das Naturrecht von Jean Jacques Rous- Kaderstufe sind sie krass untervertreten. Ein Grund dafür ist, dass viele seau: Jeder Mensch ist durch seine Geburt mit unveräusserlichen Rech- Mütter nur Teilzeit arbeiten. 2013 arbeiteten nur 40 Prozent der er- ten ausgestattet – unabhängig von seiner Nationalität, der Staatsform werbstätigen Frauen mehr als 90 Prozent; bei den Männern waren es 85 oder dem Geschlecht. Das Naturrecht gilt ewig und kann durch nichts Prozent. Auf dem Weg zur Gleichberechtigung bleibt die Vereinbarkeit beschnitten werden. von Beruf und Familie ein Schlüsselthema. De Gouges wird zur Pionierin des Feminismus. Ihre Ideen sind für da- Bundesrätin Sommaruga will der Gleichberechtigung mit mehr Regulie- malige Verhältnisse visionär und kühn. Meilenweit ist die Gesellschaft rung weiter auf die Sprünge helfen. Die Lohndiskriminierung von Frau- des 18. Jahrhunderts vom Naturrechts entfernt. Die Mehrheit der Be- en will sie mit staatlichen Kontrollen bekämpfen, und vergangenen Sep- völkerung waren damals Bauern, Tagelöhner und Handwerker. Sie tember hat sie vorgeschlagen für die Verwaltungsräte kotierter Firmen kämpften auf den Feldern und Werkstätten ums tägliche Brot – da inte- eine Frauenquote von 30 Prozent festzuschreiben. Der sich anbahnende ressierte sie die Diskussion um Gleichberechtigung wenig. Generell gilt: Fachkräftemangel könnte der Gleichberechtigung neuen Schwung ver- Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Mehrheit der Bevölkerung weitge- leihen. Künftig braucht es die Frauen. Studien gehen davon aus, dass hend rechtlos. Nicht nur die Frau, sondern auch der Mann. 2020 eine massive Lücke auf dem Arbeitsmarkt klaffen könnte – von 170 000 unbesetzten Stellen wird gesprochen. Dieser Mangel katapultiert Rollenbilder festigen sich die Frauen in eine markant vorteilhaftere Verhandlungsposition. Apple und Facebook haben gar angekündigt, ihren Mitarbeiterinnen das Ein- Mit dem Aufkommen des modernen Bürgertums um 1850 ertönt der frieren der Eierstöcke zu bezahlen, damit sie vor dem Kinderkriegen Ruf nach Gleichberechtigung lauter. Voraussetzung dafür sind die libe- Karriere machen können – willkommen im 21. Jahrhundert. ralen Revolutionen, vor allem aber der wirtschaftliche Aufschwung. Er ermöglicht breiteren Schichten, die Frau vom Broterwerb zu befreien. Seit dem gewaltsamen Tod von Olympe de Gouges hat sich vieles zum So festigen sich Rollenbilder: dem Mann der Broterwerb, der Frau den Guten verändert. Ob man mit mehr Regulierung der Gleichberechti- Haushalt. Erst diese Konstellation bietet so richtig Sprengstoff. Die gung einen Schritt näher kommt, ist fraglich. Heute sind nicht fehlende Frau wird vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. In Bildung, Familie, Gesetze für die ungleiche Behandlung der Geschlechter verantwortlich, Politik und Beruf nimmt sie eine dem Mann komplett untergeordnete sondern festgefahrene Stereotypen und Rollenbilder in den Köpfen der Stellung ein: Der Zugang zu den Universitäten ist ihr untersagt; eben- Menschen. Solche traditionellen Denk- und Verhaltensmuster halten falls die Mitgliedschaft in einer politischen Partei. Vom Frauenstimm- sich in einer Gesellschaft hartnäckig. Die Zeit wird sie vergessen ma- recht gar nicht zu reden. So sind die erklärten Ziele der ersten Frauenbe- chen. Aufhalten lässt sich die Entwicklung nicht – de Gouges wusste wegungen im 19. Jahrhundert: Recht auf Erwerbsarbeit, Recht auf das. Als das Revolutionstribunal sein Urteil gefällt hatte, trat sie selbst- Bildung, Recht auf politisches Handeln, Zulassung zu Universitäten. bewusst vor und entgegnete. «Meine Stimme wird sich noch aus des Grabes Tiefe Gehör verschaffen.» Sie hat recht behalten. Die zwei grossen Kriege des 20. Jahrhunderts bremsen die Gleichbe- — rechtigung in Europa. Erst 1971 erlangen die Frauen in der Schweiz das Reto Liniger Stimm- und Wahlrecht auf nationaler Ebene. 1981 wird die Gleichbe- rechtigung von Mann und Frau in der Verfassung verankert – Olympe de Gouges wird sich in ihrem Grab gefreut haben. Der Verfassungsarti- kel löst jedoch keine gesellschaftliche Revolution aus. Nur schleichend
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 8 Frauen ticken anders – oder doch nicht? Frauen unterscheiden sich biologisch klar von Männern. Andere Unterschiede sind wohl eher den Rollenbildern geschuldet. Rita: Du, mein Knie schmerzt wieder. Ich kann weiblich. Dazwischen gebe es alle Schattierungen. Die meisten Frauen die Treppe kaum mehr laufen. hätten aber ein mehrheitlich weibliches Gehirn, die Männer ein männli- Robert: Jetzt ist es aber wirklich Zeit, dass das ein Arzt sieht! ches. Alle diese Aussagen belegen Allan und Barbara Pease mit wissen- Rita: Ich habe es Sonja gezeigt, sie meint, ich solle schaftlichen Studien. Nach der Lektüre des Buchs hat man den Ein- das Knie einige Wochen schonen. druck, dass sich Frauen und Männer fundamental unterscheiden. Robert: Sonja ist gelernte Pflegerin – und zudem arbeitet sie seit Jahren nicht mehr auf dem Beruf. Die Mär vom anderen «Frauenhirn» Du brauchst einen Arzt! Rita: Benita hatte das auch, bei ihr war es plötzlich wieder weg. Das Buch erschien in der englischen Originalausgabe 1999. Halten die Robert: Du klagst seit Jahren über dein Knie Aussagen neueren Erkenntnissen stand, oder sind wir einfach immer und unternimmst nie etwas. Morgen gehst du zum Arzt! noch den Rollenbildern verhaftet? Der an der Universität Zürich lehren- (Schweigen) de Neuropsychologe Professor Dr. Lutz Jäncke ist der Frage nachgegan- Rita: Morgen Abend habe ich mit Norma zu einem Bier gen, inwieweit sich die Gehirne von Männern und Frauen unterschei- abgemacht. Kommst du auch? den. Dabei hat er diverse (neue) Studien ausgewertet. Sein Befund: Robert: Nie hörst du auf meine Ratschläge! «Meines Erachtens werden viele Geschlechtsunterschiede im Verhalten Rita: Und du hörst nie zu, wenn ich was erzähle! und Denken überbewertet. Die entsprechenden Geschlechtsunterschie- de in unseren Kulturen sind viel kleiner als die Unterschiede innerhalb der Geschlechter im Verhalten zwischen den Kulturen.» In anderen K ommt Ihnen dieser Dialog bekannt vor? Rita und Robert reden Worten: «In vielen Verhaltensweisen sind sich Männer und Frauen ähn- aneinander vorbei. Allan und Barbara Pease bieten in ihrem licher, als man es bislang vermutet hat.» Der einzige Bereich, für den populären Ratgeber «Warum Männer nicht zuhören und Frau- biologisch verankerte Geschlechtsunterschiede wahrscheinlich seien, en schlecht einparken» eine Erklärung dafür an: Frauen wollen über ihre beträfen das Geschlechts- und Sozialverhalten. Aber auch dieser Ver Probleme sprechen, und sie wollen, dass man ihnen dabei zuhört. Män- haltensbereich stehe zunehmend unter kulturellen Einflüssen. Profes- ner hingegen wollen Probleme lösen. Das ist einer der fundamentalen sor Jäncke fände es «viel interessanter, nach den kulturellen Einfluss- Unterschiede zwischen den Geschlechtern, welche im Buch beschrieben grössen auf unser Verhalten zu fahnden». werden. Andere sind: Frauen haben eine Rundumsicht, Männer einen Tunnelblick; Frauen beherrschen Multitasking, Männer können nur ein Rollenstereotype haben einen Preis Ding aufs Mal tun; Frauen sind sprachorientiert, Männer haben ein gu- tes räumliches Vorstellungsvermögen; Frauen sind konsensorientiert, Die Unterschiede unter den Frauen schätzt auch die emeritierte Profes- Männer aggressiv. Diese und viele weitere Unterschiede führt das ver- sorin für Betriebswirtschaft und ehemalige Präsidentin der Gleichstel- heiratete Autorenpaar auf die Gene, die Hormone und vor allem die un- lungskommission der Uni Zürich, Dr. Margit Osterloh, als grösser ein als terschiedliche Entwicklung und Ausformung der weiblichen und männ- die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Wir seien aber gefan- lichen Gehirne zurück. Je nachdem, ob das Gehirn in bestimmten gen in den Rollenstereotypen: «Diese werden weiter gepflegt und perpe- Schwangerschaftswochen mehr männliche oder mehr weibliche Hormo- tuiert.» Für die Frauen sei die Rollenteilung mit Kosten verbunden, sagt ne erhalte, entwickle es sich anders – eben typisch männlich oder typisch Osterloh und nennt ein Beispiel: «Es gibt empirische Studien, die zeigen,
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 9 dass junge Männer, die einen akademischen Abschluss haben, zu 50 Pro Foto: Thinkstock zent ihr erstes Gehalt verhandeln – und zwar nach oben. Frauen tun dies nur zu 10 Prozent. Warum tun es die Frauen nicht? Nicht, weil sie nicht auch mehr Geld wollen, sondern weil sie sich nicht mehr geliebt und an- erkannt fühlen, wenn sie nicht typisch als Frau auftreten. Das heisst, die Frauen müssen eine finanzielle Einbusse hinnehmen und gleich auch noch die Liebe, Anerkennung, Zuneigung aufs Spiel setzen. Das ist ein bisschen viel. Dann verzichten sie doch lieber aufs Geld.» «In vielen Verhaltensweisen sind sich Männer und Frauen ähnlicher, als man es bislang vermutet hat.» Professor Dr. Lutz Jäncke, Neuropsychologe an der Universität Zürich Krass zutage treten die Auswirkungen der Rollenbilder bei der Bildung. «Viele Mädchen wären gut in Mathematik, wenn nicht die Rollenbilder hineinspielen würden», ist Margit Osterloh überzeugt. «In gemischten Klassen beginnen die Mathematikleistungen der Mädchen dann zu sin- ken, wenn sie ihre weibliche Rolle einüben, in der Pubertät.» Die Profes- sorin, die selber in eine Mädchenschule ging und unter anderem Maschi- nenbau studiert hat, ist darum zur Verfechterin von getrennter Ausbil- dung in «sensiblen Fächern wie Mathematik, Informatik und Ähnli- chem» geworden. Ebenso spricht sie sich für eine Frauenquote in den oberen Etagen von Unternehmen aus. Dass es auch mehr Kinderbetreu- ungseinrichtungen geben müsse, darüber rede sie schon gar nicht mehr. Frauen haben sich emanzipiert, Männer noch nicht Billy Elliott ist im gleichnamigen, Mitte der Achtzigerjahre spielenden Film ein Junge, der ins Ballett möchte. Sein Vater ist entsetzt. «Jungs spielen Fussball, boxen oder ringen», hämmert er seinem Sohn ein. 30 Jahre später haben sich die Argumente nicht geändert. Dies zeigt das Beispiel der Familie Bischof, deren vierjähriger Gionas Ballettstunden Die Frauen haben sich emanzipiert und dadurch viel gewonnen. besucht. Franziska Bischof ist Geschäftsführerin der Powermanagement GmbH, die Menschen im Bereich Work-Life-Management berät. Sie stellt fest: «Es ist immer noch fest in den Köpfen verankert, was ein Wer sich auseinanderlebt, lässt sich heute scheiden. Tatsächlich ist die Junge und was ein Mädchen darf.» Allerdings gebe es einen wichtigen Scheidungsrate bei Paaren mit klassischer Rollenteilung höher als bei Unterschied zwischen den Geschlechtern: «Mädchen und Frauen haben Paaren, welche sich die Rollen teilen. Die Frau ist dann doppelt und sich emanzipiert. Wir Frauen haben unseren Handlungsspielraum er- dreifach bestraft, weil sie nicht nur den Partner verliert, sondern auf weitert, unsere Freiheiten erhalten. Wir dürfen Jeans tragen oder peppi- dem Arbeitsmarkt den Anschluss verpasst hat und somit auch finanziell ge Röcke, wir dürfen Ballett machen oder Automechanikerin werden.» schlecht dasteht. Die Männer und Jungs hingegen seien stehen geblieben. «Sie sind nicht gleich frei wie die Mädchen, das beeinflusst ihr Verhalten.» Fazit des männlichen Schreibenden «Die Rollenbilder sind tiefer in uns verankert als auch schon», stellt Die Frauen sind nach neusten Erkenntnissen gar nicht so anders als wir Franziska Bischof fest. So gebe es bezeichnenderweise keine geschlechts- Männer. Sie haben sich emanzipiert und dadurch viel gewonnen. Wir neutralen Kleider für Babys, und in Schulbüchern kommen keine Mau- Männer sollten sie wohl zum Vorbild nehmen. rerinnen vor, dafür einkaufende Mütter. Auch für Bischof ist klar, dass — das Leben der Rollenbilder einen Preis hat. «Wir legen uns damit ein Hansjörg Schmid Korsett an», sagt sie nüchtern. Die klassische Rollenteilung möge kurz- fristig gesehen zwar das einfachere Modell sein, aber man lebe sich län- gerfristig eher auseinander. Nur wenn die Frau arbeite und der Mann im Haushalt helfe, könne sich das Paar darüber austauschen und sich ge- genseitig wertschätzen.
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 10 Judith Uebersax, Präsidentin SVP Frauen «Frauen haben alle Möglichkeiten» Was für eine Frau sind Sie? Braucht es staatliche Massnahmen, Ich bin eine Frau, die viele Hüte trägt, wie die um Frauen zu fördern? meisten Frauen: Geschäftsfrau, Mutter, Politi- Staatliche Frauenförderung braucht es nicht. kerin. Für mich ist es wichtig, dass ich in mei- Diese Zeiten sind vorbei. Wir haben das Frauen nem Leben erfolgreich bin. Wobei ich selber de- stimmrecht und die verfassungsmässig garan- finieren möchte, was das bedeutet. tierte Gleichstellung. Alles, was es jetzt noch braucht, sind Frauen, die wollen und bereit Welchen Platz haben die Frauen für Sie sind, für sich und ihre Lebensvorstellungen ein- heute in der Gesellschaft? zustehen. Was ich mir wünsche, wäre ein biss- Jeden Platz, den sie wollen. Für Frauen gibt es chen mehr Diversity-Denken von der Wirtschaft. fast keine Hindernisse. Ich bin stolz, eine Frau Es braucht den Willen von bestehen den Ge- der neuen Generation zu sein, die sich nicht in schäftsleitungen, mehr Frauen in den Teams – eine Schublade drängen lässt. Wir können so- «Staatliche Frauenförderung auch im höchsten Kader – zu haben. Dazu reicht wohl Hausfrauen und Mütter sein als auch es nicht mehr, wenn der Gender-Gedanke im Geschäftsfrauen. Wir können beides nachein- braucht es nicht.» Leitbild steht; es braucht Taten: z. B. Teilzeit ander tun oder gleichzeitig. Die Möglichkeiten modelle, Krippenangebote in den Firmen, För- scheitern praktisch nur am Durchhaltewillen Judith Uebersax dermodelle für die Mutterschaftszeit etc. ist Vizpräsidentin der SVP Schweiz und Präsidentin oder an den Finanzen. der SVP Frauen. Sie ist zudem Geschäfts- — führerin des Personalvermittlers Swiss Link Personal. Interview: Virginie Jaquet, Hansjörg Schmid Warum finden sich denn immer noch so wenige Frauen in Kaderpositionen, Jede Familie muss sich ihr Lebensmodell selber und warum verdienen sie weniger schaffen. Den Frauen ein «schlechtes Gewis- als die Männer? sen» zu machen, weil einige für eine bestimmte Wo Frauen Wenn ein Arbeitgeber den Grundsatz «gleiche Zeit die Mutterrolle vorziehen, finde ich unfair. Arbeit – gleicher Lohn» verletzt, kann eine Wir hätten auch längst nicht genügend Ar- heute stehen – zwei Frau ihre Rechte durchsetzen, was natürlich beitsplätze, wenn alle Frauen arbeiten wollten. alles andere als angenehm ist, das ist mir be- Es fehlen insbesondere Fachkräfte, und viele Beispiele wusst. Was die Kaderpositionen betrifft, da dieser Berufe sind nun mal eher Männerberufe. sind die Gründe vielfältig. Einer der wichtige- Ich kenne nur wenige Mechanikerinnen, Mau- ren hängt mit der Familienplanung und der rerinnen oder Gleisbauerinnen. Nicht zuletzt Die Frauen haben sich in der Schweiz, zumin- Anerkennung für Familienarbeit zusammen. übernehmen Frauen viel häufiger unbezahlte dest juristisch, die Gleichstellung erkämpft. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, Hilfeleistungen für Verwandte oder Bekannte Dieser Kampf wurde vorwiegend auf der politi- ist für beide schwierig – aber für Frauen als Männer. Wer soll diese Arbeit ausführen, schen Ebene geführt. Viele Frauen sind selber schwieriger. In vielen Unternehmen sind auch wenn alle Frauen Vollzeit arbeiten würden? Da Politikerin geworden. Wie schätzen sie heute Teilzeitstellen noch nicht bis in die Kaderposi- geht es um weit mehr als die Gender-Frage: um die Situation der Frau ein? Wir haben eine linke tionen akzeptiert, obwohl es sich selbst auf einen Kulturwandel. und eine rechte Politikerin gefragt. (hs) höchster Stufe problemlos einrichten liesse. Der Ball liegt bei der Wirtschaft. Was machen Sie in der Politik für die Frauen? Frauen sind heute gut ausgebildet, und die Ich versuche, Frauen in jeder Lebensphase für Wirtschaft ist auf sie angewiesen. Wie lässt die Politik zu motivieren. Frauen dürfen ihre sich eine reine Mutter- oder Hausfrauen- eigene Meinung haben und diese vertreten. Wir rolle noch rechtfertigen? dürfen da noch mutiger werden.
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 11 Lea Kusano, SP Bern «Die Männer müssen sich emanzipieren» Was für eine Frau sind Sie? ben ein massiv höheres Risiko, bei einer Tren- Mir ist neben der Familie die Unabhängigkeit nung sozialhilfeabhängig zu werden. Zudem wichtig – das Wissen, dass ich es jederzeit allei- ist es volkswirtschaftlich unsinnig, Frauen ne schaffen würde. Deshalb wollte ich eine gute teuer auszubilden und dieses Kapital brach Ausbildung machen und nach der Geburt der liegen zu lassen. Eine Quotenregelung in der Kinder im Beruf bleiben. Bundesverwaltung finde ich in Ordnung, der Staat soll mit gutem Beispiel vorangehen. Dass Sind Sie eine traditionelle oder eine dies in der Privatwirtschaft angebracht ist, be- emanzipierte Frau? zweifle ich im Moment. Ich bin emanzipiert, was die finanzielle und berufliche Unabhängigkeit anbelangt, und Diese Aussage überrascht von einer traditionell, was die Familie und deren Wert SP-Politikerin. in der Gesellschaft angeht. Ich wollte immer «Wo bleibt bei den Die Verwaltung wird mit Steuergeldern finan- Kinder haben und bin jung Mutter geworden. ziert und hat deshalb eine Vorbildrolle einzu- Männern der nehmen. Die politischen Mehrheiten bei femi- Welchen Platz haben die Frauen heute politische Ungehorsam?» nistischen Themen haben sich geändert, die in der Gesellschaft? Quotenregelung in der Stadtverwaltung von Frauen leisten mehr denn je. Die meisten ar- Lea Kusano Bern wurde massgeblich von bürgerlichen beiten und sind gleichzeitig Hauptzuständige ist Mitglied der Geschäftsleitung der SP Frauen und Kräften unterstützt. Wenn wir jetzt kleine war bis Juli 2014 Stadträtin in Bern. für die Haus- und Familienarbeit. Das wird Beruflich ist sie Politik- und Kommunikationsberaterin Schritte anpeilen, wie mit einer Quotenrege- nicht genügend honoriert. Der Mutterschafts- bei Köhler, Stüdeli & Partner GmbH. lung in der Bundesverwaltung, werden Mehr- urlaub ist minimal, für den gleichen Job ver- heiten vielleicht möglich. Ein weiterer Schritt dienen Frauen weniger, und frauentypische misse ich diese politische Bewegung. Wo blei- wären gleichstellungspolitische Forderungen Berufe sind unterbezahlt. Durch die Doppel ben die Demos für die Einführung eines im Beschaffungsrecht. Idealerweise entsteht so belastung ist es für Frauen schwierig, gewisse Vaterschaftsurlaubes? Wo der politische Unge- ein Hebeleffekt auch in der Privatwirtschaft. Karriere- und Lohnhürden zu nehmen. Hier horsam, wenn auf regulärem Wege nichts ge- — sind die Männer gefragt: Solange sie den schieht? Interview: Virginie Jaquet, Hansjörg Schmid Schritt der Emanzipation nicht machen, wird sich auch für die Frauen nicht viel ändern. Was machen Sie in der Politik für die Frauen? Was heisst für Sie Emanzipation Im Stadtrat habe ich mich erfolgreich für die der Männer konkret? familienergänzende Kinderbetreuung einge- Die Männer sollten sich aus ihrer Ernährerrolle setzt. Zudem habe ich zusammen mit Stadträ- lösen. Sie sollten darauf bestehen, dass die Frau tinnen aller Parteien eine Motion für Ge- arbeitet, und gleichzeitig Hand bieten, ihren schlechterquoten im Kader der Stadtverwaltung Teil in der Haus- und Familienarbeit zu über- erfolgreich überwiesen. nehmen. Die meisten merken heute erst bei ei- ner Trennung, wie traditionell sie gelebt haben. Braucht es staatliche Massnahmen, um Frauen zu fördern? Wie soll diese Emanzipation der Ja, bis zu einem gewissen Grad. So ist es zum Männer erreicht werden? Beispiel richtig, familienergänzende Kinder- Wir Frauen mussten lange für gewisse Errun- betreuung staatlich mittels Subventionen zu genschaften kämpfen. Bei den Männern ver- unterstützen. Frauen, die nicht arbeiten, ha-
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 12 Die Macht der Stereotype Die Jahre ziehen vorbei, und die Zahl der Frauen in den Chefetagen der Unternehmen steigt nur langsam. Haben die Frauen keine Lust zu führen, oder sind sie dafür nicht gemacht? D ie Frauen machen 50 Prozent der schreibt er diesem geschlechtsspezifische Ver- wünschten Richtungswechsel. Sie sind be Bevölkerung aus, sind jedoch auf haltensmuster zu. Gerade bei leitenden Funk- sonders geeignet, um Stereotype langfristig Chefsesseln immer noch krass unter tionen wirken sich solche Rollenbilder für abzubauen, weil sie Erfahrungen mit einer vertreten. 2013 besetzten 16 Prozent der er Frauen negativ aus. Eine Studie zeigt Erstaun- grösseren Anzahl von Frauen in Führungspo- werbstätigen Frauen eine leitende Funktion, liches: Für die Zusammensetzung eines Orches- sitionen ermöglichen. Schreckgespenster sind gegenüber 25 Prozent der berufstätigen ters liess man Musiker vorspielen. Einmal sah Quoten nicht mehr. Mit ihrem Engagement für Männer. Auf einem Chefsessel sitzen 8 Pro- und hörte die für das Engagement zuständige Quoten ist Osterloh in guter Gesellschaft: So- zent der erwerbstätigen Männer und lediglich Person die Musiker, einmal hörte sie sie nur. gar die Frauen der liberalen FDP setzen sich 4 Prozent der Frauen. Sah die für das Engagement zuständige Person für Quoten in Verwaltungsräten von börsen die Musiker nicht, erhöhte sich die Wahr- kotierten Firmen sowie der Bundesverwaltung Für Karrieren ist noch immer ein Vollzeitpen- scheinlichkeit, das Engagement zu erhalten, ein. Norwegen führte 2003 Quoten in Verwal- sum eine Voraussetzung, Frauen arbeiten je- für Frauen um 50 Prozent. tungsräten kotierter Firmen ein. Eine Revolu- doch verbreitet nur in kleinen Pensen – dies ist tion löste diese Regulierung nicht aus. Sie ver- eine Erklärung dafür, dass Frauen auf den grösserte aber bei jungen Frauen den Ehrgeiz, Teppichetagen untervertreten sind. Lösungs- «Ein Kulturwandel in den in die Führung aufzusteigen, und brachte eine ansätze gibt es bereits: Die Vereinbarkeit von wichtige gesellschaftspolitische Debatte er- Job und Familie spielt dabei eine Schlüssel Unternehmen ist nötig.» neut auf den Tisch. Damit leistete sie einen rolle. Flexible Arbeitszeitmodelle, mehr Krip- weiteren Schritt Richtung Gleichberechtigung. Doris Aebi, Mitbegründerin der renommierten pen, Home-Office – an Steigbügeln, die es — Executive Search Firma Aebi + Kuehni AG Frauen erlauben würden, in der Firmenhierar- Virginie Jaquet chie aufzusteigen, mangelt es nicht. Schwie riger wird es, wenn Rollenbilder verantwort- Pikant ist: Es sind nicht nur die Männer, son- Foto: Thinkstock lich für die Untervertretung von Frauen in dern auch die Frauen selber, welche ihren Kol- Führungsgremien sind. leginnen bestimmte Rollen zuschreiben. «Ver- halten sich Frauen nicht entsprechend den Fest verwurzelte Rollenbilder ihnen zugeschriebenen Rollen, bezahlen sie einen hohen Preis – sie verlieren die Sympathie «Karriere und Kinder wird bei Vätern als bei den Männern und manchmal auch bei an- Selbstverständlichkeit anerkannt. Bei Müttern deren Frauen», sagt Margit Osterloh, emeri- wird dies immer noch hinterfragt», sagt Doris tierte Professorin für Betriebswirtschaft und Aebi, Mitbegründerin der renommierten Exe- ehemalige Präsidentin der Gleichstellungs- cutive Search Firma Aebi + Kuehni AG in Zü- kommission der Uni Zürich. Stereotype sind rich. Ausschlaggebend für die Untervertretung vergleichbar mit einem gläsernen Dach, das von Frauen in Chefsesseln ist auch die verbrei- die Frauen nicht durchschlagen können und tete Ansicht, Frauen seien risikoscheuer und das sie daren hindert, die Karriereleiter em- weniger wettbewerbsorientiert als Männer; porzusteigen. Wie kann man die Macht der gerade für einen Chefposten wären diese Ei- Stereotype begrenzen oder tilgen? genschaften aber wesentlich. Die Frau als Se- kretärin und der Mann als Direktor – solche Eine radikale Lösung Rollenbilder halten sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen und bestimmen unbe- Für Doris Aebi braucht es einen Kulturwandel: wusst ihr Handeln. Blättert ein Personalver- «Der Weg für mehr Frauen in den Chefetagen antwortlicher in Bewerbungsunterlagen, be- öffnet sich erst, wenn sich die Chefs der Macht ginnen solche Rollenbilder zu wirken. Sobald der Rollenbilder bewusst werden.» Für Margit er das Geschlecht eines Bewerbers kennt, Osterloh bringen vor allem Quoten den ge- Wer ist der Chef?
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 13 «Im Leben will ich keine Rollen spielen» Wie sehen die Mitglieder der Angestellten Schweiz die Rolle der Frauen? Vier aufschlussreiche Antworten – von drei Frauen und einem Mann. Anja Stouten: «Wir haben heute die Freiheit, Catherine Pierrot: «Was mich als Frau aus- unser Leben und unseren Beruf selbst zu be- macht, ist die Möglichkeit, Leben zu geben, stimmen, dafür haben die Generationen vor mich an hormonelle Zyklen anzupassen und uns gekämpft. Ich habe diese Freiheit für mich dadurch Emotionen anders zu spüren. Und ich genutzt und kann heute in einem männlich geniesse es, mich immer wieder neu und farbig dominierten Berufsumfeld erfolgreich als zu kleiden!» Führungskraft arbeiten. Dies ermöglicht mir u. a. auch mein Arbeitgeber, der heute keine «Was mich als Frau geschlechterspezifischen Unterschiede mehr — — kennt. Als Frau im Team habe ich einen positi- Anja Stouten Catherine Pierrot ausmacht, ist die Möglichkeit, ven Einfluss auf das Miteinander und bringe Mitglied Angestellte Angestellten Leben zu geben...» eine neue Perspektive in die täglichen Heraus- Schweiz vereinigung Andritz forderungen ein.» Hydro, Kriens Catherine Pierrot Sébastien Buerki: «In der Abteilung, in der Dagmar Dornbierer: «Ich habe schon viele ich arbeite, sind die Frauen gut vertreten. Mein Bühnenrollen gespielt und getanzt. Auf der Chef ist eine Frau und rund die Hälfte meiner Bühne übernehme ich freiwillig eine ‹Rolle›. Kollegen ebenfalls. Generell bringen Frauen Im Leben will ich keine ‹Rollen spielen› – auch mehr Sensibilität und Empathie in ein Unter- nicht die ‹Rolle der Frau›. Rollen sind vorgege nehmen und besitzen die Fähigkeit des Zuhö- ben – im besten Fall kann ich meine Rolle rens. Sie sind stets gut organisiert, vor allem selbst schreiben. Sprechen wir deshalb lieber die Mütter, was ich bewundere. Die Vielfalt von ‹rollen› als von ‹Rollen›. Das Leben aufrol- trägt wesentlich zum guten Arbeitsklima bei. — — len und ins Rollen bringen, aktiv sein, sich ent- Geschlechtliche und kulturelle Vielfalt im Un- Sébastien Buerki Dagmar Dornbierer falten, das eigene Leben nach den eigenen ternehmen sind wie ein mehrstimmiger Chor. Präsident der Zimmer GmbH Möglichkeiten gestalten – als Mensch.» Durch die verschiedenen Stimmen entstehen Angestellten Syngenta — Schönheit und Harmonie.» Ariane Modaressi Buchtipp Sie verlässt die Schule mit 15 und macht eine Skulptur und kleines Kunstwerk ist die Uhr kaufmännische Lehre. Mit 22 heiratet sie; 1969 ein Erkennungszeichen für engagierte Frauen. wird Ivan geboren, 1971 Rachel. Gleichzeitig Individuell für jede Frau gestaltet, ist sie der Typische Frauen bildet sie sich weiter. 1973 macht sie die Matura Spiegel der Frau, die sie trägt. im naturwissenschaftlichen Bereich, dann das laufbahn Diplom zur Sekundarlehrerin. Schliesslich, im «Butterfly in a storm» Alter von 40 Jahren, ist sie Ingenieurin. 1986 (auf Englisch) bringt sie die Flik-Flak Uhren heraus, dann, als erzählt die Geschichte von Giselle Rufer. Giselle Rufer hat eine typische Frauenlauf- Produktmanagerin bei Omega, schlägt sie die ISBN 978-36408-4-4, 30 Franken. bahn, in der das Leben einer Mutter und Entwicklung einer Frauenuhr vor. Das Projekt — Ehefrau eng verknüpft ist mit der berufli- wird aufgegeben. 1996 kreiert sie die Uhr Bestellung über E-Mail: chen Karriere. Delance, ein Symbol weiblicher Talente. Als giselle.rufer@delance.com
DAS THEMA: WO STEHT DIE FRAU HEUTE? 14 Kolumne Social Freezing: Emanzipation von der biologischen Uhr! W ir Frauen in der westlichen Hemisphäre fühlen uns ja heute punkt aufgetaut, mit dem Sperma des Partners unterm Mikroskop be- sehr emanzipiert. Jede von uns könnte – theoretisch und fruchtet und der Frau unter Narkose wieder eingesetzt werden. Et voilà, rechtlich gesehen – studieren und Karriere machen. Voraus- Geschlechtsakt vollzogen! gesetzt, das intellektuelle Fundament ist vorhanden. Natürlich müsste man an dieser Stelle zunächst einmal Karriere definieren, würde man es Dass hier die Romantik des Kinderzeugens etwas auf der Strecke bleibt, genau nehmen. Aber ich verzichte darauf mal bewusst und gehe davon stört die emanzipierte Frau von heute wenig. Es gibt Schlimmeres! Zum aus, dass Sie, liebe Leser(innen), das Gleiche unter Karriere verstehen Beispiel kinderlos bleiben, weil in den fruchtbaren Zeiten der Frau die wie ich – Sie wissen schon, Führungsposition, gutes Gehalt, finanzielle Karriere vorging. Unabhängigkeit und das ganze Drum-herum-Sorglospaket. Die Firma zahlt Ticktack, ticktack Die Vorteile des Social Freezing haben jetzt auch Konzerne wie Face- Haben wir Frauen dann mal die Karriereleiter erklommen und sitzen book und Apple erkannt: Facebook zahlt seit Januar 2014 seinen Mitar- im eigenen Büro mit tollem Ausblick über die Stadt und mit einem beiterinnen das Prozedere, wenn diese ihre Familienplanung auf einen Team von Leuten, dessen Chefin wir uns schimpfen, sind wir Frauen in späteren Zeitpunkt verschieben. Apple zieht nach und will ab nächstem der Regel Mitte, wenn nicht Ende dreissig. Und eines schönen Tages, Jahr seinen Mitarbeiterinnen einen finanziellen Zuschuss zur Eizellen- hören wir sie: die tickende biologische Uhr! Oder schlimmer noch, un- vorsorge geben. 10 000 Dollar kostet allein das Entnehmen und Ein ser Umfeld macht uns darauf aufmerksam, dass uns nicht mehr viel frieren. Die Aufbewahrung der Eizellen weitere 500 Dollar pro Jahr. Zeit bleibt, uns fortzupflanzen, da unsere Fruchtbarkeit ja minütlich Und das ist erst der Anfang: Ist der richtige Zeitpunkt gekommen und abnimmt. werden die Eizellen aufgetaut, befruchtet und eingesetzt, werden noch mal mehrere Tausend Dollar fällig. Aber die emanzipierte, vorausschauende Frau von heute lässt sich von blöden Sprüchen oder ihrer tickenden biologischen Uhr nicht aus der Alles zu meiner Zeit Ruhe bringen. Sie hat natürlich vorgesorgt und sich frühzeitig ihre – damals noch frischen – Eizellen entnehmen und bei minus 196 Grad Auch braucht Frau zum Mutterwerden nicht unbedingt einen Partner. schockgefrieren lassen (Social Freezing oder auch Eizellenvorsorge Alleinstehende Frauen können sich heute ohne Probleme einen Samen- nennt sich dieses für Gynäkologen äussert lukrative Geschäft). So dass, spender aus diversen Datenbanken aussuchen. Zwar spendet dieser falls die Karriere einem mit Mitte vierzig doch nicht die erhoffe Er anonym, aber Grösse, Haarfarbe oder Augenfarbe des Spenders können füllung bringt, es wenigstens einen Plan B(aby) gibt. Frauen sind ja ausgewählt werden. Zum gewünschten Zeitpunkt werden dessen Sper- schliesslich Strateginnen! mien dann für die Befruchtung benutzt. Wie gesagt: alles zu meiner Zeit. Mutter werden, wenn andere Grossmutter werden Spätestens jedoch, wenn es tatsächlich geklappt hat mit dem Nach- wuchs und Frau endlich ihren Spross in den Armen hält, ist es vorbei Die Frau von heute macht sich unabhängig; nicht nur finanziell, son- mit «Alles zu meiner Zeit», denn dann heisst es: «Alles zu Babys Zeit»: dern auch von ihrer biologischen Uhr. Dies dank den Mitteln der moder- schlafen, stillen, in die Windel pieseln! Die Führungsposition im Haus nen Reproduktionsmedizin. So können heute sogar Frauen, die bereits hat ab sofort der Säugling. in der Menopause sind und vom Alter her längst Oma sein könnten, — noch Mutter werden. Denn auch wenn der Körper keine Eizellen mehr Ariane Modaressi produziert, können die eingefrorenen Eizellen zum gewünschten Zeit- Mutter einer vierjährigen Tochter, ohne Social Freezing
DIE ARBEITSWELT 15 Volksabstimmung vom 30. November Angestellte Schweiz für Abschaffung der Pauschal- besteuerung Es gibt keinen Grund, gewisse Bevölkerungskreise steuerlich zu bevorzugen. D iverse reiche Ausländer profitieren in Foto: iStockphoto der Schweiz von einem Steuerprivileg: Sie werden pauschal besteuert. Damit fahren sie (deutlich) besser, als wenn ihre Steu- erabgaben, wie bei den «gewöhnlichen» Ein- wohnern, nach den ökonomischen Verhält nissen berechnet werden. Die Anhänger der Pauschalbesteuerung betonen, dass so reiche Ausländer in unser Land gelockt werden und im Endeffekt ein hoher Steuerertrag generiert wird. Ob der Steuerertrag mit der Pauschalbe- steuerung tatsächlich höher ist als ohne, darf angezweifelt werden. Sicher ist jedoch, dass die Pauschalbesteuerung den Verfassungsgrund- satz verletzt, nach dem jeder gleich besteuert werden muss. «Wieso sollen reiche Ausländer privilegiert werden?» Dies fragt die Zürcher Nationalrätin Maja Ingold von der EVP. Mittelstand benachteiligt Im Gegensatz zu den Pauschalbesteuerten kann der Schweizer Mittelstand seine Steuern Auch wenn die Pauschalbesteuerung abgeschafft wird, können sich die Reichen ihre Pelzmäntel noch leisten. kaum optimieren. Ein Umzug in eine reiche Gemeinde ist für ihn nicht so einfach möglich. muss sich nicht davor fürchten, dass alle sofort «Ich hoffe darauf, dass genug Stimmberechtig- Die Angst, dass die Steuern für den Mittel- die Koffer packen.» te auf Steuergerechtigkeit setzen und sich nicht stand steigen, wenn die Pauschalbesteuerung beeindrucken lassen von der Angstpropaganda abgeschafft wird, ist für die Politikerin Maja Ein Ja für Steuergerechtigkeit der Wirtschaft», sagt Maja Ingold. Dem kön- Ingold unbegründet: «Im Kanton Zürich, der nen sich die Angestellten Schweiz anschlies- dies vollzogen hat, zeigt sich, dass die Wegzüge Werden verschiedene Bevölkerungsgruppen sen. Sie empfehlen bei der Abstimmung ein Ja mehrheitlich ausgeglichen wurden mit neuen steuerlich unterschiedlich behandelt, unter- zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung. Reichen. Sie bewohnen die teuren Liegen- gräbt das die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz — schaften in bevorzugten Lagen.» Die Schweiz unseres Steuersystems und schädigt die Hansjörg Schmid biete hohe Lebensqualität und Sicherheit. «Sie Steuermoral.
DIE ARBEITSWELT 16 Branchenmonitor Chemie/Pharma Robustes Wachstum dank Pharma Was der chemischen Industrie an Dynamik mangelt, macht die Pharmaindustrie mehr als wett. I m Vorjahr verzeichnete die chemisch- Reale Wertschöpfungsentwicklung, 2008 – 2015 Zahl der Erwerbstätigen, 2008 – 2015 pharmazeutische Industrie der Schweiz 10 % 3,0 % ein überdurchschnittliches Wachstum im = Gesamtwirtschaft 8% Vergleich zur übrigen Schweizer Volkswirt- = Chemie/Pharma 2,0 % 6% schaft. Die Exporte der chemisch-pharmazeu- 4% 1,0 % tischen Industrie weisen auf eine Fortsetzung dieses Kurses hin. Sie konnten sich auch in der 2% 0,0 % ersten Jahreshälfte 2014 im Vorjahresvergleich 0% –1,0 % um kräftige 4,7 Prozent steigern. Impulse ka- –2 % = Gesamtwirtschaft = Chemie/Pharma men insbesondere aus Europa und den USA. –4 % –2,0 % Allerdings setzt sich der seit Jahren zu be 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 obachtende Trend fort: Die Bedeutung der Veränderung in % ggü. Vorjahr Veränderung in % ggü. Vorjahr Schweizer Basischemie auf den internationa- Quelle: BAKBASEL Quelle: BAKBASEL len Märkten schrumpft kontinuierlich weiter ( 2,2 %), die Pharmaindustrie hingegen kann weiterhin zulegen (+5,9 %). Auch die Exporte Gute Aussichten Wachstum noch leicht. BAKBASEL erwartet der Agrochemie gaben leicht nach ( 1,2 %). 2015 ein Plus der Erwerbstätigenzahl von Die für 2014 bisher vorliegenden Indikatoren 1,6 Prozent. Der Arbeitsmarkt untermauert das Gesamt- zeigen, dass es der chemischen Industrie auch bild: Während die Pharmaindustrie eine ge- dieses Jahr an Wettbewerbsfähigkeit mangelt Die chemisch-pharmazeutische Industrie dürf- sunde Dynamik der Beschäftigtenzahl in Voll- und sich die pharmazeutische Industrie gut te auch mittelfristig robust wachsen. Sie pro zeitäquivalenten aufweist, lässt die Erholung entwickelt. Die Pharmabranche wird entspre- fitiert auch nach 2016 von der hohen Wett auf dem Arbeitsmarkt der Chemie noch auf chend auch 2014 die Rolle des Wachstums bewerbsfähigkeit, der geografischen Diversi- sich warten. Eine weitere Abnahme der Be- motors einnehmen. BAKBASEL erwartet 2014 fizierung der Güterausfuhren der Schweizer schäftigtenzahl ist auch im laufenden Jahr zu in der chemisch-pharmazeutischen Industrie Pharmabranche sowie der generell stabilen erwarten. ein gesamthaftes Wachstum der realen Brutto- Nachfrage. Die chemische Industrie dagegen wertschöpfung von 3,2 Prozent. befindet sich in einem internationalen Preis- In der Pharmaindustrie macht sich allein der wettbewerb und leidet unter Produktionsaus Druck auf die Produzentenpreise negativ be- Die Erwerbstätigenzahl in der Pharmabranche lagerungen ins Ausland. merkbar. Die Preise entwickeln sich nun schon (+2,2 %) dürfte sich überdurchschnittlich ent- — seit vier Quartalen negativ. Dies ist das Ergeb- wickeln. In der Chemie dürfte 2014 hingegen Max Künnemann, BAKBASEL nis des steigenden Einflusses von Verhandlun- eine Stagnation (+0,1 %) zu beobachten sein. gen über Medikamentenpreise in vielen Märk- Kombiniert führt dies zu einem Plus von Den vollständigen Branchenmonitor finden Sie ten, die durch Sparzwänge in den Gesund- 1,4 Prozent der Erwerbstätigen in der che - auf www.angestellte.ch heitssystemen getrieben werden. misch-pharmazeutischen Industrie – gegen- über 1,1 Prozent in der Gesamtwirtschaft. Im kommenden Jahr beschleunigt sich dieses
DIE ARBEITSWELT 17 Branchenmonitor Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie MEM: Aufschwung wird abgebremst Diverse Unsicherheiten führen dazu, dass BAKBASEL seine Prognosen für die MEM-Industrie nach unten korrigiert. N achdem im ersten Quartal 2014 in Reale Wertschöpfungsentwicklung, 2008 – 2015 Zahl der Erwerbstätigen, 2008 – 2015 fast allen MEM-Subbranchen wieder 5,0 % 10 % deutlich mehr als im Vorjahresquartal produziert worden war, haben eine Reihe von 2,2 % 5% Entwicklungen in letzter Zeit die Unsicherheit 0% 0,0 % der Nachfrager von Investitionsgütern gestei- –5 % gert: Die Spannungen in der Ukraine und im –2,5 % –10 % arabischen Raum, ein Stottern des Konjunk- = Gesamtwirtschaft –5,0 % = Gesamtwirtschaft turmotors Deutschland, deflationäre Tenden- = MEM-Industrie –15 % = MEM-Industrie zen in der Eurozone und anstehende geldpoli –7,5 % –20 % tische Richtungsentscheide sind nur einige 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Beispiele. Veränderung in % ggü. Vorjahr Veränderung in % ggü. Vorjahr Quelle: BAKBASEL Quelle: BAKBASEL Die Auswirkungen dieser Unsicherheit sind aktuell bereits an der Entwicklung wichtiger Konjunkturindikatoren zu beobachten: Die Beschäftigungsaufbau dürfte sich verzögern Wir erwarten für das laufende Jahr neu ein Ausr üstungsinvestitionen expandierten im Wachstum der realen Wertschöpfung der zweiten Quartal 2014 deutlich langsamer als In allen Subbranchen mit Ausnahme der Da- MEM-Industrie von 1,0 Prozent, was leicht noch im Vorquartal. Auch die Stimmung der tenverarbeitungsgeräte und Uhren war die Be- unter dem erwarteten gesamtwirtschaftlichen Swissmem-Mitglieder hat sich verschlechtert: schäftigung auch in der ersten Jahreshälfte Wachstum von 1,4 Prozent liegt. Für das Jahr Nur noch 39 Prozent der Befragten gehen von 2014 weiter rückläufig. Zuletzt zeichnete sich 2015 wird dann ein leicht überdurchschnitt einer Besserung der Auftragslage in den kom- eine Verlangsamung dieses Rückgangs ab. Mit liches Wachstum von 2,2 Prozent (Gesamt- menden 12 Monaten aus (nach 54 % Anfang dem Abbremsen der konjunkturellen Erholung wirtschaft: +1,9 %) prognostiziert. des Jahres). Eine Analyse des Einkaufsmana- besteht nun jedoch ein gewisses Risiko, dass gerindex zeigt, dass die Nachfrageentwicklung der Beschäftigungsabbau noch weiter anhält In Bezug auf die Anzahl Erwerbstätige rech- von der Industrie zu Jahresbeginn wohl zu op- bzw. sich ein allfälliger neuerlicher Aufbau nen wir 2014 mit einem unterdurchschnitt timistisch eingeschätzt worden war. Bereits im verzögert. lichen Wachstum in der MEM-Branche von zweiten Quartal 2014 bremste das Wachstum 0,4 Prozent. In der Gesamtwirtschaft wird der Industrieproduktion in der Folge in allen Unsere Erwartungen an die Dynamik des Er- hingegen eine Zunahme um 1,1 Prozent erwar- Subbranchen mit Ausnahme der Datenver holungsprozesses waren in der ersten Jahres- tet. Im kommenden Jahr dürften die Erwerbs- arbeitungsgeräte und Uhren wieder ab. Auch hälfte zu optimistisch. Wir haben unsere Prog- tätigen in der MEM-Branche dann um 1,2 Pro- bei den Exporten ist eine Verlangsamung der nosen für 2014 und 2015 folglich revidiert. Wir zent etwa im Gleichschritt mit der Gesamt- Dynamik erkennbar. Der konjunkturelle Auf- gehen jedoch weiter davon aus, dass die Un wirtschaft (+1,1 %) zunehmen. schwung wird daher wohl langsamer und we- sicherheit die globale Erholung nur vorüber — niger prägnant ausfallen als bisher erwartet. gehend behindert, nicht aber vollständig ab Florian Zainhofer, BAKBASEL zuwürgen vermag. Das wahrscheinlichste Szenario besteht für uns somit weiterhin in ei- Den vollständigen Branchenmonitor finden Sie ner sich beschleunigenden globalen Dynamik. auf www.angestellte.ch
DIE ARBEITSWELT 18 OECD rät, ältere Arbeitnehmer besser zu fördern In der Schweiz sind überdurchschnittlich viele ältere Personen erwerbstätig. Das zeigt ein Vergleich mit anderen OECD-Ländern. Trotzdem sieht die OECD Handlungsbedarf. 86 %, ebenso bei den 55- bis 64-jährigen Hoch- Eine weitere vorgeschlagene Massnahme be- schulabsolventen. Bei den Frauen liegen die trifft die Lohnberechnung. Die OECD rät da- Werte deutlich tiefer: 50 % bei den 60- bis 64- von ab, Lohnerhöhungen automatisch ans Jährigen, ebenso 50 % bei den 55- bis 64-Jäh- Alter zu binden. Vielmehr sollten Produktivi- rigen ohne Abschluss auf Sekundarstufe II. tät und Erfahrung stärker gewichtet werden. Schlecht schneidet die Schweiz bei den älteren Handlungsbedarf erkannt Arbeitslosen ab. Fast 60 % von ihnen sind ein Jahr nach dem Stellenverlust immer noch ohne Der Bundesrat hat den Handlungsbedarf be- Anstellung. Im Schnitt aller 34 OECD-Länder züglich der Förderung älterer Mitarbeitender sind es 47 %. Einen möglichen Grund dafür erkannt. Im Hinblick auf die Umsetzung der sieht die OECD in der altersbedingten Diskri- Masseneinwanderungsinitiative ist er gezwun- minierung bei der Einstellung, «eine Praxis, gen dazu, das Potenzial dieser Bevölkerungs- die in der Schweiz gesetzlich nicht verboten gruppe besser auszunützen. Entsprechende und nach wie vor verbreitet ist». Gegenüber Massnahmen sind bereits aufgegleist, z. B. die Älteren herrschten nach wie vor Vorurteile Fachkräfteinitiative, oder geplant, z. B. eine na- und Klischees. tionale Konferenz zum Thema «Arbeitsmarkt integration von älteren Arbeitnehmenden». Reformbedarf in drei Feldern In der Bundesverfassung ist verankert, dass Wertvoll: ältere Mitarbeiter. Der OECD-Bericht sieht einen Reformbedarf niemand wegen des Alters diskriminiert wer- in den folgenden Feldern: den darf. Ein eigentliches Gesetz gegen die 70,5 % der 55- bis 64-Jährigen sind in der – Stärkung der finanziellen Anreize zur Wei- Altersdiskriminierung lehnt der Leiter der Schweiz berufstätig. Das ist ein Spitzenwert. terarbeit Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat Der Durchschnitt aller Länder der Organisa – Abbau der Hindernisse für einen Verbleib im für Wirtschaft, Boris Zürcher, aber ab. Besser tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Arbeitsmarkt und Rekrutierung von über sei es, die Unternehmen verstärkt für die Prob- Entwicklung (OECD) liegt bei lediglich 54 Pro- 50-Jährigen lematik zu sensibilisieren. Auch das Norm zent. Zurücklehnen sollten wir Schweizer uns – Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit älte- rentenalter will die Schweiz im Gegensatz zu aber nicht. Der OECD-Bericht zur Situation rer Arbeitnehmer den meisten anderen OECD-Ländern nicht auf von älteren Mitarbeitern stellt für die Schweiz 67 erhöhen oder an die erhöhte Lebenserwar- auch Mängel fest und gibt Handlungsempfeh- Die Schweiz sei vor allem im ersten und dritten tung binden. lungen. Bereich tätig geworden. Im zweiten Bereich bleibe dagegen noch viel zu tun. Insbesondere Die Angestellten Schweiz unterstützen die Ini- Ältere bleiben länger arbeitslos was die Diskriminierung auf Grund des Alters tiativen des Bundes und machen sich auf der bei der Einstellung betreffe. Ebenso müsse die Ebene der Sozialpartnerschaft selber für die Die 70,5 % Erwerbstätigen in der Alterskate- Lohnbemessung nach Alter oder Dienstjahren Förderung der älteren Mitarbeitenden stark. gorie 55 – 64 werden nur dank der Hochschul- neu überdacht werden. Positiv hervorgehoben — absolventen und der Männer erreicht: Bei den wird die Sensibilisierung der RAV für die Hansjörg Schmid 55- bis 59-jährigen Männern beträgt der Wert Schwierigkeiten der älteren Arbeitslosen.
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