Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung

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Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Ausgabe 3/2015

                  Bringt ein

                  fehlgeleitetes
                  Verständnis
                  von individueller Förderung
                  unsere Schüler um
                  Zukunftschancen?

                         u f ruf!
                      -A
                   VRB n was!
                       tu egen
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                                       Realschule plus: Erster Jahrgang erreicht Mittlere Reife
                 Besuch Studienseminar: Ausbildung stärken! Einstellungsperspektiven sichern!
                                     Baustelle Schulqualität: Lerndefizite bei Schulabgängern
                            Gerichtsurteil Lehrerarbeitszeit: 23,5 Wochenstunden sind genug
                         KlarText Dienstrechtsänderungsgesetz: Altersgerechte Entlastungen
                                                                      statt neuer Belastungen
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Inhalt

                               Inhalt der Ausgabe Oktober 2015
    Titelthema                                                      Unterrichten – Pädagogik, Didaktik und Methodik
    Missverständnis „Individuelle Förderung“:                       Pinnwand      …………………………………………………… 37
    Bringt ein fehlgeleitetes Verständnis von individueller
                                                                    VRB-Aufruf: Wir tun was! Schulen gegen Hass, Hetze und
    Förderung unsere Schüler um Zukunftschancen? ………… 5
                                                                    Mobbing im Cyberspace …………………………………… 38
    Bildungspolitik
                                                                    VRB-Bezirke
    Pinnwand       …………………………………………………… 11
                                                                    Bezirk Neustadt: VRB-Senioren beim Südwestfunk und
    PfalzMetall-Tag: Wie ticken Jugendliche – Wer sind die          Landtag        ………………………………………………… 40
    Auszubildenden von morgen? ……………………………… 12
                                                                    VRB-Mitglieder in der Kunsthalle Mannheim: Der Kühle
    Baustelle Schulqualität: Lerndefizite bei Schulabgängern … 14    Blick – Graphiken der Neuen Sachlichkeit ………………… 41

    VRB-Verbandsarbeit                                              Bezirk Koblenz: VRB an der Universität Koblenz: „Fit in den
                                                                    Vorbereitungsdienst!“ ……………………………………… 42
    FOS: Ministerium muss für personelle Beständigkeit sorgen 17
                                                                    VRB-Senioren auf der Festung Ehrenbreitstein                  ………… 42
    VRB: Landesdelegiertentag 2015 …………………………… 18
                                                                    Nachruf: Peter Nußbaum war der Chefredakteur der
    VRB-Pressemitteilung: Realschulen plus: Bildungsministerin      ersten Stunde ………………………………………………… 43
    will Personalausstattung verbessern ………………………… 19
    VRB-Pressemitteilung: Generation Realschule plus – erster       Kurz notiert: Termine, Service und Internes
    Durchgang nach der Schulstrukturreform verlässt die Schule.     Geburtstagswünsche            ………………………………………
                                                                                                               ……
                                                                                                                … 44
    VRB: Landesregierung in der Pflicht ………………………… 19
                                                                    KlarText!
    VRB-Pressemitteilung: Tag der Berufs- und Studienorien-
    tierung: Weiterer Baustein der vielfältigen Angebotspalette     Altersgerechte Entlastung statt neuer Belastungen!
                                                                                                                    n! …
                                                                                                                       ………
                                                                                                                         …… 4
                                                                                                                            46
    der Realschule plus ………………………………………… 20
    VRB-Pressemitteilung: Realschule plus gewinnt an
    Bedeutung …………………………………………………… 20
    Landeshaupvorstand (LHV) tagte traditionell in der letzten
    Ferienwoche in Bad Marienberg……………………………… 21
                                                                        Impressum
    Schule in Rheinland-Pfalz                                           Herausgeber                                  Redaktion
                                                                        VRB Verband Reale Bildung                    Michael Eich
    Kann Inklusion (nur) eine Frage der Haltung sein? ………… 22           Landesverband Rheinland-Pfalz e. V.          Trifelsstraße 1a
                                                                                                                     76751 Jockgrim
    EFWI-Direktor Dr. Günter Geishardt verabschiedet: Neue Her-         Landesvorsitzender                           Tel: 0 72 71 / 12 92 74
    ausforderungen vor Augen ………………………………… 23                           Bernd Karst                                  michael.eich@vrb-rlp.de
                                                                        Grolsheimer Weg 5
    Stabwechsel in der Schulabteilung der ADD Trier ………… 23             55411 Bingen                                 Layout
                                                                        Tel: 0 67 21 / 99 49 99                      Daniela Boudgoust
    Erster Jahrgang der Realschule plus erreicht Mittlere Reife:        bernd.karst@vrb-rlp.de                       www.bizzdesign.de
    Perspektiven und Verpflichtungen ………………………… 24
                                                                        Zentrale Mitgliederkartei und Inkasso        Auflage und Druck
                                                                        Wolfgang Seebach                             5.000 Stück,
    Schule und Recht                                                    Unterstraße 19                               flyeralarm GmbH, Würzburg
    Pinnwand       …………………………………………………… 27                              56814 Faid
                                                                        Tel: 0 26 71 / 85 49
    VRB-Justiziarin Antonia Dufeu: Heimliche Aufnahmen                  Fax: 0 32 12 / 965 73 31
    vom Unterricht und ihre Verbreitung in sozialen Medien…… 27         schatzmeister@vrb-rlp.de

    OVG Lüneburg: 23,5 Wochenstunden sind genug! ……… 28
                                                                        Zuschriften
                                                                        Einsender von Manuskripten, Briefen u. Ä. erklären sich mit redaktioneller
    Beruf Lehrer                                                        Bearbeitung einverstanden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
    Pinnwand       …………………………………………………… 30                              nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

    dbb rheinland-pfalz: Frühjahrstagung des Landesvorstandes 31        Für unverlangt eingesandte Bücher, Schriften oder Arbeitsmittel wird kei-
                                                                        ne Verpflichtung übernommen. Rücksendung erfolgt nur, wenn ausrei-
    Landesgesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften:           chend Rückporto beiliegt. Beiträge, Zuschriften und Besprechungsstücke
    Anhebung der Pensionsaltersgrenze und andere                        an die Redaktion erbeten. Nachdruck, auch auszugsweise gerne, aber
                                                                        nur mit Genehmigung.
    Regelungen für Lehrkräfte ………………………………… 32
                                                                        Bildmaterial
    9. Dienständerungsgesetz: Ein Blick hinter die Kulissen …… 33       Bitte senden Sie uns Ihr Bildmaterial ausschließlich in digitalisierter Form
                                                                        zu und achten Sie auf eine druckfähige Auflösung (300 dpi).
    Lehrerbildung
                                                                        Anzeigenberatung und -preisliste
    Besuch Studienseminar: Ausbildung stärken! Einstellungs-            Bitte wenden Sie sich an Michael Eich (michael.eich@vrb-rlp.de). Es gilt
    perspektiven sichern! ……………………………………… 35                            die Anzeigenpreisliste vom Mai 2014.

2   Reale Bildung verbindet!
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Editorial

                          Liebe Leserinnen und Leser,
die „Flüchtlingskrise“ steht im Zentrum des öffentlichen Inte-      und Absolventen
resses; noch nie musste sich die deutsche Gesellschaft einer        der     Realschulen
ähnlich großen Herausforderung stellen. Deutschland ist das         plus könnten mit
„Hoffnungsland“ dieser Menschen. Auch wenn – bei nüchter-           Zuversicht in die
ner Betrachtung – nicht alle Hoffnungen erfüllt werden können,      Zukunft blicken.
sind Hilfe und Unterstützung für in Not geratene Menschen das       Dem stimmen wir
erste und nicht verhandelbare Gebot der Stunde. Darüber hi-         als VRB gerne zu.
naus müssen unsere demokratischen Parteien politisch darum          Mit großem En-
ringen, wie der vorerst nicht nachlassende Zustrom von Kriegs-      gagement haben
und auch Armutsflüchtlingen dauerhaft bewältigt werden kann.         unsere     Kollegin-
Menschen, die hier bleiben werden, benötigen eine realistische      nen und Kollegen
Perspektive für eine lebenswerte Zukunft jenseits der staatlichen   dazu beigetragen,
Unterstützungssysteme. Sprache und Bildung sind hierfür der         dass unsere Ab-
Schlüssel, und somit kommt der Institution Schule, in Rhein-        gänger sich in der
land-Pfalz insbesondere der Realschule plus, wieder einmal eine     Ausbildung, in den
Schlüsselfunktion bei der Bewältigung einer zentralen gesamt-       weiterführenden
gesellschaftlichen Herausforderung zu.                              Schulen oder im
                                                                    Fachhochschulstudium gut zurecht finden. Das ist unsere „Kern-
Migration ist allerdings auch eine Chance, bildungspolitische
                                                                    aufgabe“, der wir mit Freude nachkommen. Auf der anderen
Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre zu korrigieren.
                                                                    Seite ist es aber vor allem die Realschule plus, die sich immer
Viele dieser Fehlentwicklungen setzten nach „PISA“ ein. Im          neuen Aufgaben stellen muss. Die schulische Bewältigung der
Rückblick müssen wir erkennen, dass zu leichtfertig vermeintlich    Zuwanderung von Flüchtlingen ist hierfür nur das aktuellste Bei-
„innovativen“ und „progressiven“ Lösungsansätzen vertraut           spiel. Wenn eine Schulart für ihre gute Arbeit gelobt wird und
wurde, nicht selten von gesellschaftlichen Gruppen propagiert       wenn man ihr für viele gesellschaftliche Herausforderungen die
werden, welche „Schule“ und „Unterricht“ als Mittel zur Ver-        Verantwortung überträgt, dann stellt sich die Frage nach einer
änderung unserer Gesellschaft nach ihren Vorstellungen verste-      angemessenen Unterstützung, die über gute Worte hinausgeht.
hen. Gerade die aktuelle Flüchtlingskrise führt uns die negativen   Hier sieht der VRB akuten Nachholbedarf; die ausgesprochene
Auswirkung einer verfehlten bildungspolitischen Schwerpunkt-        Wertschätzung muss endlich auch sicht- und spürbar werden.
setzung vor Augen: Während viele junge Zuwanderer oft nicht
                                                                    Liebe Leserinnen und Leser, wir haben Hoffnung, dass Politik
viel mehr besitzen als das Vertrauen und die Zuversicht in die
                                                                    und Gesellschaft aus der Vergangenheit die richtigen Lehren
eigene Leistungsbereitschaft und -fähigkeit, beobachten wir bei
                                                                    ziehen. Fehlentwicklungen müssen im Interesse unserer Schü-
Kindern, die hier geboren wurden, mit Sorge, dass viele in eine
                                                                    lerinnen und Schüler korrigiert, der Einfluss von schulfernen
passive Erwartungs- und Konsumhaltung abdriften. Warum ein
                                                                    Lobbyisten zurückgenommen werden. Wir erwarten zudem,
falsch verstandenes Versprechen auf „individuelle Förderung“ in
                                                                    dass uns die Landesregierung bei der schulischen Bewältigung
die Unmündigkeit führt und warum wir uns bei der schulischen
                                                                    der Flüchtlingskrise nicht mit ihren ambitionierten Erwartungen
Qualitätsarbeit wieder auf den „anspruchsvollen Unterricht“
                                                                    alleine lässt. Die diesbezüglichen Befürchtungen vieler Kollegin-
fokussieren müssen, können Sie im Titelbericht dieser Ausgabe
                                                                    nen und Kollegen sind vor dem Hintergrund der Erfahrungen,
nachlesen.
                                                                    die wir bei der Umsetzung von Inklusion machen müssen, nicht
Vertreter aus der Wirtschaft und aus den Universitäten stellen      unberechtigt. Die Kosten der Integration von Zuwanderern dür-
immer lauter die Frage nach der Schulqualität. Beklagt werden       fen nicht als Ausrede benutzt werden, unseren Schulen ange-
erhebliche Lerndefizite bei den Schulabgängern, die auch durch       messene Rahmenbedingungen vorzuenthalten, die wir für unser
falsche politische Entscheidungen und Maßnahmen nach „PISA“         „Kerngeschäft“ benötigen, nämlich anspruchsvollen und lern-
verursacht wurden. Die politisch Verantwortlichen müssen diese      wirksamen Unterricht zu gestalten.
Klagen endlich ernstnehmen und die richtigen Konsequenzen
                                                                    Angenehme Lektüre wünscht Ihnen Ihr
daraus ziehen. Nicht ohne Grund sehen auch die rheinland-pfäl-
zischen Wirtschaftsvertreter Zuwanderung als Chance für den
Standort Deutschland, denn für sie sind junge Migranten inzwi-
schen die besseren Auszubildenden. Mehr dazu erfahren Sie in
dieser Ausgabe von Reale Bildung in Rheinland-Pfalz.

Der erste Jahrgang der Realschule plus erreichte im vergangenen
Jahr erstmals die Mittlere Reife. Ministerin Vera Reiß nahm das
zum Anlass, die Realschule plus als attraktiven Bestandteil des
Schulangebots in Rheinland-Pfalz zu loben. Die Absolventinnen

                                                                                                                                        3
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Der Landesvorsitzende hat das Wort

                  Ein positives Signal für die Realschule plus!
            Das notwendige „Gesamtpaket“ ist noch nicht geschnürt

                                                Wenn vom Lehrer-      Das Zuständigkeits-„Plus“ der Realschule plus
                                                beruf die Rede ist,   Die Schülerpopulation verändert sich. Die Spannbreite der He-
                                                sind Schlagzeilen     terogenität ist an keiner Schulart so breit wie an der Realschu-
                                                wie „Halbtagsjob“,    le plus. Inklusion und Migration sind weitere Aufgabenfelder,
                                                „Dauerferien“,        die schwerpunktmäßig der Realschule plus übertragen werden.
                                                „Unkündbarkeit“       Das sind Belastungen, die sich längst auch bei den Studierenden
                                                schon seit gerau-     herumgesprochen haben. Wer überhaupt noch Lehrer werden
                                                mer Zeit nicht mehr   will, entscheidet sich zunehmend für ein anderes Lehramtsstu-
                                                so provozierend zu    dium. Die Studienseminare für das Lehramt an Realschulen plus
                                                vernehmen wie in      befürchten Zahleneinbrüche, die Schulen befürchten eine unzu-
                                                der Vergangenheit.    reichende Unterrichtsversorgung, wenn sich der fachspezifische
                                                Lehrkräfte dienen     Lehrermangel ausweitet.
                                                mittlerweile selte-
                                                                      Latente Unzufriedenheit macht krank
                                                ner als Zielscheibe
                                                                      Berufliche Motivation und Freude sind eine wichtige Erfolgsquel-
                                                öffentlicher Krän-
                                                                      le sowohl für den einzelnen Lehrer als auch für die Schulqualität
                                                kungen. Der allge-
                                                                      generell. Latente Unzufriedenheit macht krank. Dass es nicht nur
                                                meine Einstellungs-
                                                                      gute Tage gibt, ist eine Tatsache, die für alle Lebenssituationen
    wandel hat zahlreiche Ursachen. Darunter wohl auch eine neue,
                                                                      gilt. Dass es aber möglichst viele gute Tage gibt, ist nicht nur
    allerdings nicht erstrebenswerte Form von „Mitleid“.
                                                                      eine Frage der persönlichen Grundhaltung oder Ausgangslage,
    Psychosomatische Fachkliniken spezialisieren sich seit längerem   sondern auch das Ergebnis verantwortlicher Fürsorge seitens des
    auf die „Berufsgruppe Lehrer“, die dramatisch zunehmend der       Arbeitgebers. Das Institut für Lehrergesundheit (IfL) hat aus den
    Gefahr ausgesetzt ist, sich zu überfordern und zu erschöpfen.     Kontakten zu den Schulen den Eindruck gewonnen, „dass die
    Selbst schulexterne Beobachter stellen fest: Die Bedingungen in   Belastung und Beanspruchung von Bediensteten an Realschulen
    der Schule sind schwieriger geworden, die Aufgaben im Schul-      plus höher ist als bei anderen Schularten.“ (Schreiben des IfL vom
    alltag haben ständig zugenommen, die Belastungen der Lehre-       22. Juni 2015 an die Schulleiterinnen und Schulleiter). Eine syste-
    rinnen und Lehrer werden immer größer.                            matische Untersuchung soll dazu beitragen, „neue Erkenntnisse
                                                                      und darauf aufbauende Beratungskonzepte“ zu gewinnen. Das
    Die Folgen der Schulstrukturänderung
                                                                      klingt nicht nach einem tiefgreifenden Unterstützungsangebot.
    Die Schulstrukturänderung hat nicht nur systemische, sondern
                                                                      Mehr allerdings wird das IfL auch nicht versprechen können. Das
    auch personelle Folgewirkungen. Die Lehrkräfte spüren nach-
                                                                      Institut steht in keiner politischen Verantwortung. Die liegt bei
    haltig die Veränderungen sogar über den Schulalltag hinausge-
                                                                      der Landesregierung.
    hend. Die immer schwieriger gewordenen Erziehungsaufgaben
    fordern ihnen ein Übermaß an Energie ab, das sie nicht mehr       Die Realschule plus verdient mehr Unterstützung
    aufbringen können. Mit gewachsenem Selbstverständnis geben        Die Anforderungs- und Belastungsproblematik erfordert ein
    Eltern immer mehr Erziehungsverantwortung an die Schule ab.       Maßnahmenpaket. Veränderte Situationen und veränderte An-
    Viele versagen ihr gleichzeitig den notwendigen Respekt.          sprüche benötigen auch daran angepasste Arbeits- und Rah-
                                                                      menbedingungen. Ein erfreulicher Ansatz ist in Sichtweite: Die
    Auch die Einstellung zur schulischen Leistungsanforderung und
                                                                      Schaffung einer zusätzlichen Funktionsstelle an der Realschule
    Leistungsbeurteilung hat sich verändert. Eine geringe Zahl an
                                                                      plus. Ein positives Signal der Ministerin und zugleich die Erkennt-
    „Sitzenbleibern“ gilt selbst offiziell als ein Gütekriterium für
                                                                      nis, dass diese Schulart mehr Unterstützung benötigt und ver-
    schulische Qualität. Anforderungen und Leistungen verlieren
                                                                      dient.
    offensichtlich an Bedeutung oder werden durch andere Inhal-
    te und Merkmale geprägt. Das bringt Lehrkräfte mit fachlichem     Um den zusätzlichen Aufgaben gerecht zu werden, benötigen
    Anspruch in einen pädagogischen Konflikt. Die gesellschaftli-      die Schulen mehr professionelle Unterstützung durch Schulpsy-
    chen Auswirkungen sind längst bekannt: Mit der allgemeinen        chologen und Schulsozialarbeiter sowie eine Ausweitung des
    Senkung der Anforderungen entstehen ohne sonderliche An-          Zeitbudgets der Lehrkräfte im außerunterrichtlichen Bereich. Die
    strengung „gymnasiale Höchstquoten“ – und dies in der Regel       Kolleginnen und Kollegen haben ihre Belastungsgrenzen längst
    zulasten der Realschule plus. Der dadurch bedingte Mangel an      überschritten. Das notwendige „Gesamtpaket“ ist folglich noch
    Auszubildenden und Fachkräften ist eine logische Konsequenz.      längst nicht geschnürt.

4   Reale Bildung verbindet!
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

X M I S S V E R S T Ä N D N I S „INDIVIDU ELLE FÖRDERU NG“

Bringt ein

fehlgeleitetes
Verständnis
von individueller Förderung
unsere Schüler um
Zukunftschancen?

Mit dem schwachen Abschneiden deutscher                      „PISA-Katastrophe“ die Hauptverantwor-
Schülerinnen und Schüler bei der von der                     tung zugesprochen wurde, mit Misstrauen.
Organisation für wirtschaftliche Zusam-                      PISA war die Gelegenheit für Schulkritiker
menarbeit und Entwicklung (OECD) erho-                       und Reformer jeglicher Herkunft zur Durch-
benen internationalen Schulleistungsstu-                     setzung eigener Interessen und Wertevor-
die „Programme for International Student                     stellungen. Alles, auch Bewährtes (z. B. Fach-
Assessment“ (PISA) wurden tiefgreifende                      lichkeit oder Leistungsorientierung), stand
Veränderungen und Reformen in allen Bun-                     zur Disposition. Oft genug wurden überhas-
desländern begründet und durchgesetzt.                       tet „neue Akzente“ gesetzt. Die Vorstellung
Gleichzeitig begegneten die Kultusminister                   von den (unbegrenzten) Möglichkeiten indi-
ihren Lehrkräften, denen für die sogenannte                  vidueller Förderung gehört dazu.

                                                                                                                                5
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

              SCHULSTRUKTURREFORMEN                                                     Schulstrukturreform hat den rheinland-pfälzischen
                                                                                        Haupt- und Realschullehrern viel abverlangt. Den-
             BRACHTEN VERUNSICHERUNG                                                    noch ist zu konstatieren, dass viele Probleme (z. B.
                                                                                        Umgang mit Erziehungsdefiziten und Heterogenität)
                                                                                        nicht gelöst werden konnten. Im Gegenteil: Durch
                               Obwohl die Pisa-Studien gezeigt haben, dass Schulst-     bildungspolitische Akzentverschiebungen, z. B. bei
                               rukturen für die Leistung weniger wichtig sind, führ-    der einseitigen Delegation der Verantwortlichkeit für
                               ten nahezu alle Bundesländer Schulstrukturreformen       Lernerfolg an uns Lehrkräfte, haben sich viele Pro-
                               durch. Die Überwindung der Dreigliedrigkeit wurde        bleme verschärft. Die bildungspolitisch Verantwort-
                               dabei allerdings allenfalls halbherzig ausgerufen; das   lichen müssen sich die Frage stellen, ob ihnen nach
                               Gymnasium blieb unangetastet, denn keine Partei          PISA nicht der Kompass für nachhaltige Schul- und
                               wollte und will sich den Unwillen gymnasialorientier-    Unterrichtsentwicklung verloren gegangen ist und
                               ter Eltern zuziehen. In Rheinland-Pfalz entstanden       ob sie sich bei der „individuellen Förderung“ auf ei-
                               durch die Fusion von Haupt- und Realschule neue          nen fragwürdigen Kurs haben führen lassen.
                               Realschulen plus oder Integrierte Gesamtschulen. Die

                               Kritisch hinterfragt werden muss vor allem, wel-            BERUF LEHRER: VOM
                               chen tatsächlichen und nicht nur behaupteten Stel-
                               lenwert uns Lehrkräften und unserer Kernaufgabe,
                                                                                           WISSENSVERMITTLER ZUM
                               dem Unterrichten, noch beigemessen wird. Fatal ist          FÖRDERER INDIVIDUELLER
                               die Entwicklung (siehe Beitrag auf Seite 28), dass
                               sich inzwischen ein Missverhältnis zwischen Zeit für        DISPOSITIONEN
                               Unterricht und Zeit für außerunterrichtliche oder er-
                               zieherische Tätigkeiten abzeichnet, von denen viele
                               der individuellen Förderung der Schüler dienen sol-      sogenannten „Input-Orientierung“ (u. a. Steuerung
                               len (z. B. Erstellung von Förderplänen, Kooperationen    durch Lehrerausbildung, Curricula und Stundenta-
                               mit außerschulischen Partnern). Es droht die Gefahr,     feln) zur „Output-Orientierung“ (Lernwirksamkeit)
                               dass der Unterricht, dessen Anspruch und Niveau für      war ein richtiger und wichtiger Schritt. Der Bildungs-
                               den Lernerfolg eine Schlüsselfunktion hat, zu einer      wissenschaftler und Unterrichtsforscher Andreas
                               „Randerscheinung“ des pädagogischen und schu-            Helmke, der auch am Konzept des Orientierungs-
                               lischen Arbeitens wird. Nach PISA gab es durchaus        rahmenplans Schulqualität maßgeblich mitgewirkt
                               reflektierte Ansätze, wie guter und moderner Unter-       hat, fasste das, was guten Unterricht ausmacht, wie
                               richt aussehen muss und welche Verantwortung uns         folgt zusammen: „Die Qualität (…) des Unterrichts
                               Lehrkräften dabei zukommt. Der Wechsel von der           bemisst sich konsequenterweise primär daran, ob auf
                                                                                        Seiten der Schüler Lernprozesse initiiert werden und
                                                                                        wie nachhaltig diese sind. „Guter“ Unterricht hieße
                                    Lehrer anno 2015:                                   demnach „lernwirksamer“ Unterricht“ (HELMKE,
                                                                                        Andreas 2009 2, S. 20). Diese schlichte Feststellung
                                                                                        hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
                                    )EWWenW^erKE_Ier
                                                Methodentrainer                         Von unterschiedlich motivierten „Profiteuren“ der
                                                                                        Nach-PISA-Krise wurde die Vorstellung von gutem
                                                                                        Unterricht zum Teil mit unterrichtsfremden und eher
                                     a3hIehrer                                          gesellschaftspolitischen Aspekten und Ansprüchen
                                                      Lern2e>Ieiter                     (siehe „Bildungsideal Gleichheit“ weiter unten) über-
                                                                                        frachtet. Deren negative Auswirkungen spüren wir
                                      eYaIter ^on roFeGten                              immer deutlicher. Da wurden beispielsweise offene
                                                                                        Unterrichtsformen als demokratisch gefeiert und der
                                          Ɨrderer indi^idUeIIer                         Frontalunterricht bzw. der klar instruierende Unter-
                                                                                        richt als autoritär und undemokratisch verdächtigt.
                                               Dispositionen                            Sitzenbleiben und überhaupt Noten sollten als In-
                                                                                        strumente der sozialen Selektion und Unterdrü-
                                                                                        ckung abgeschafft, verbale Beurteilungen und indi-

6   Reale Bildung verbindet!
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

viduelle Förderpläne stattdessen als gerechte Instru-    lehrer zum Lernbegleiter, vom Gestalter von Lern-
mente eingeführt werden. Guter Unterricht wurde          arrangements (oder Projekten) zum Förderer indivi-
dann so verstanden, dass wir Lehrkräfte durch den        dueller Dispositionen. Und da das Misstrauen der po-
Einsatz bestimmter Unterrichtsmethoden individu-         litisch Verantwortlichen uns Lehrkräften gegenüber
elle Förderung leisten und damit erst individuelle       tief saß und sitzt, sollte mittels externer Evaluation si-
Lernfortschritte der Schüler ermöglichen. Anstren-       chergestellt werden, dass dem zentralen Auftrag der
gungsbereitschaft, Eigenverantwortlichkeit sowie         individuellen Förderung auch nachgekommen wird.
Anspruchs- bzw. Leistungsorientierung verloren nach      Dabei haben leider die Ansprüche, die mit individu-
dieser Lesart an Relevanz für den Lernerfolg. Auch die   eller Förderung verbunden werden, eine problemati-
Auslegung der Lehrerrolle wechselt permanent: Vom        sche Eigendynamik entwickelt.
Wissensvermittler zum Methodentrainer, vom Fach-

In Paragraph 10 Satz 1 des rheinland-pfälzischen            INDIVIDUELLE FÖRDERUNG:
Schulgesetzes heißt es: „Jede Schulart und jede
Schule ist der individuellen Förderung der Schülerin-
                                                            EIN MEHR UND MEHR
nen und Schüler verpflichtet“. Ein Auftrag, der in-          UNERFÜLLBARES VERSPRECHEN
zwischen so selbstverständlich geworden ist, dass er
nicht (laut) in Frage gestellt wird, obwohl wir dessen
Auslegung mehr und mehr als unerfüllbares Ver-
                                                         dernden im Dunkeln (…). Es ist zudem ein weiteres
sprechen erfahren. Viele Schülerinnen und Schüler,
                                                         Argument gewonnen, Misserfolge von Schülerinnen
Eltern, Politiker und Interessengruppen interpretieren
                                                         und Schülern den Lehrkräften anzulasten“ (KUNZE,
dieses Satz nämlich so: Die Schulen und Lehrkräfte
                                                         Ingrid 2010, Seite 23). Die Berufsunzufriedenheit
sind allein- oder zumindest hauptverantwortlich für
                                                         vieler Lehrkräfte hängt auch damit zusammen, dass
den Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler,
                                                         wir seitens der Bildungspolitik einen diffusen und für
sie müssen auf deren individuelle Voraussetzungen
                                                         Fehlinterpretationen anfälligen Auftrag zur individu-
eingehen und für jeden einzelnen ein individuelles
                                                         ellen Förderung erhalten, der enorme Zeitressourcen
Lernangebot erstellen, damit das individuelle Poten-
                                                         bindet, an dessen Umsetzung wir uns messen lassen
zial optimal abrufen werden kann. Hat eine Schülerin
                                                         müssen und der noch nicht annähernd verlässlich zu
bzw. ein Schüler schlechte Noten und ist lernunwil-
                                                         den propagierten Erfolgen führt. Es mehren sich die
lig oder unmotiviert, hat die Schule und haben seine
                                                         Indizien und Beweise dafür, dass trotz individueller
Lehrkräfte versagt.
                                                         Förderung die Fähigkeiten und Kompetenzen un-
In der Bildungswissenschaft wird der Begriff der „För-   serer Schulabsolventen in zentralen Bereichen eher
derung“ schon länger kritisch hinterfragt, denn er       schlechter geworden sind, obschon unsere Schüler
betont „einseitig die Tätigkeit des Fördernden und       nachweislich immer bessere Abschlüsse und Noten
lässt die Tätigkeit und Mitverantwortung des zu För-     erzielen.

   DAS BILDUNGSIDEAL                                     oder eher für das, was wir auf unsere Kinder projizie-
                                                         ren, hat sich eine merkwürdige Formel durchgesetzt:
  „GLEICHHEIT“ BRINGT                                    Je weniger Anstrengung, desto mehr Gleichheit (…).
    UNSERE KINDER UM                                     So wird zum Beispiel die Tatsache, dass nicht alle auf-
                                                         grund unterschiedlicher Begabungen dieselben Leis-
    ZUKUNFSTCHANCEN                                      tungen erzielen können, bereits als Ergebnis sozialer
                                                         Ungleichheit gewertet – und die Ursache hierfür in
                                                         einem Zuviel an Anstrengung, Konzentration und
                                                         Komplexität vermutet.
Ursächlich für die Verselbstständigung des Verständ-
nisses von individueller Förderung ist auch ein ge-      Auf diese Weise kann nur Einfachheit zu der ge-
sellschaftlicher Wertewandel, der, so die Politologin    wünschten Gleichheit führen“ (BETHKE, Hannah
Dr. Hannah Bethke, in dem neuen Bildungsideal der        2015). In der Bildungspolitik wird der Begriff der
„Gleichheit“ seinen Niederschlag findet: „In unseren      „Einfachheit“ vermieden, stattdessen wird das Ver-
Vorstellungen davon, was gut ist für unsere Kinder       sprechen der „individuellen Förderung“ gegeben.

                                                                                                                                   7
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

                               Lehrerinnen und Lehrer müssen es ihren Schülern            ben an die unbegrenzten Möglichkeiten der passiv
                               durch individuelle Förderung „einfach“ machen, ihr         erfahrbaren, individuellen Förderung. Anders formu-
                               Potenzial abzurufen und Lernerfolge zu erzielen – so       liert: Für meinen Erfolg sind immer andere verant-
                               das Missverständnis. Da aber die individuelle Förde-       wortlich. Die zunehmend lauter werdenden Klagen
                               rung bei einer passiven Erwartungshaltung der zu           der Ausbildungsbetriebe und Universitäten über die
                               Fördernden nicht funktioniert, kommt es zu Niveau-         mangelnde Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft
                               nivellierungen bei gleichzeitig immer besseren Noten.      ihrer Azubis und Studierenden (siehe Beitrag auf
                               Damit ist vordergründig jedem gedient: Die Bildungs-       Seite 14) stehen mit dieser Fehlentwicklung in ei-
                               administration kann auf „schöne“ Zahlen verweisen          nem engen Zusammenhang. Wir „fördern“ unseren
                               (weniger Schulabbrecher, mehr Abiturienten), die El-       Kindern Chancen auf ein eigenverantwortliches und
                               tern freuen sich über die „guten“ Bildungsabschlüsse       selbstbestimmtes Leben ab und „befördern“ sie, un-
                               ihrer Kinder und die Schulen und Lehrkräfte umge-          ter dem Mantel der Gleichheit, in ökonomische und
                               hen ihr „Versagen“ bei der individuellen Förderung         soziale Abhängigkeiten. Eine Abkehr von dem fehl-
                               angesichts des hohen Erfolgs- und Rechtfertigungs-         geleiteten Bildungsideal „Gleichheit“ und von einer
                               drucks mit der Akzeptanz des Niveauverlustes. Es           falschen Vorstellung von den Möglichkeiten individu-
                               gibt nur einen Verlierer, und das sind eben unsere         eller Förderung ist nicht erkennbar, weil deren Ver-
                               Schülerinnen und Schüler: Die Zuversicht aufgrund          fechter enormen moralischen Druck aufbauen. Das
                               des eigenen Leistungsvermögen aktiv etwas errei-           lässt sich am Beispiel „Inklusion“ zeigen.
                               chen zu können, weicht mehr und mehr dem Glau-

     EIN „BEGRENZTES“ INKLUSIONS-                                                         chen Bildungspolitiker schließen, die ein Versprechen
                                                                                          auf umfassende individuelle Förderung erteilt haben,
    VERSTÄNDNIS BERUHT AUF EINEM                                                          gerade weil Inklusion, zumindest so wie sie den
      „UNBEGRENZTEN“ GLAUBEN AN                                                           Begriff auslegen, ansonsten nicht funktioniert. Ein
                                                                                          weiteres Beispiel dafür, wie empfindlich die politisch
          INDIVIDUELLE FÖRDERUNG                                                          Verantwortlichen darauf reagieren, wenn ihre Inklu-
                                                                                          sionsversprechen von der Inklusionsrealität eingeholt
                                                                                          werden, ist die Reaktion des Hamburger Bildungsse-
                               „Kultusminister Andreas Stoch verklagt die FAZ“,           nators Ties Rabe auf die Kritik an der Umsetzung der
                               lautet der Titel der Stuttgarter Zeitung vom 2. Sep-       Inklusion in der Hansestadt: „Mit der Inklusion werde
                               tember 2015. Hintergrund ist der Vorwurf der Frank-        endlich ein differenzierter Unterricht mit unterschied-
                               furter Allgemeinen Zeitung, das Kultusministerium          lichen Herausforderungen notwendig (…) Inklusion
                               halte ein angeblich „vernichtendes Gutachten“ zur          ist eine große Idee, die wir uns nicht kaputtreden las-
                               Gemeinschaftsschule unter Verschluss. FAZ-Redak-           sen sollten“ (news4teachers). Auch dieser Fall macht
                               teurin Heike Schmoll schlussfolgert in ihrem Beitrag       deutlich, dass die Politik es sich viel zu einfach macht,
                               „Schwäbisches Himmelfahrtskommando“ aus dem                indem sie sich selbst und der Öffentlichkeit einredet,
                               ihr vorliegenden Gutachten: „Danach gelingt we-            wir Lehrkräfte müssten zum Gelingen von Inklusion
                               der die neue Unterrichtsform des selbstständigen           nur einen individuell fördernden und darum differen-
                               Lernens mit Lehrern als Lernbegleitern noch die In-        zierten „Unterricht mit unterschiedlichen Herausfor-
                               klusion oder die besondere Förderung der Schwächs-         derungen“ anbieten. Die Problematik dieser Unter-
                               ten und Stärksten. Auch die Leistungsbeurteilung ist       stellung liegt eben darin, dass – wie bereits skizziert
                               mehr als fragwürdig.“ Laut des Tübinger Erziehungs-        – individuelle Förderung nicht Lernwirksamkeit und
                               wissenschaftlers Thorsten Bohl ist das auch darauf         Lernerfolg garantiert, sondern im Gegenteil die
                               zurückzuführen, dass es „überhaupt noch keine For-         große Gefahr besteht, dass die Schüler in eine passive
                               schungen zum individuellen Lernen“ gebe. Der skiz-         Konsum- und Erwartungshaltung abgleiten.
                               zierte Fall lässt auf große Nervosität der verantwortli-

                               Es kommt natürlich nicht von ungefähr, dass sich
                               in der Politik Nervosität breitmacht und Inklusion
                                                                                             VOM MORALISCHEN
                               bzw. individuelle Förderung andere Herausforde-               DRUCK AGGRESSIVER
                               rungen wie Unterrichtsqualität und Wertigkeit von
                               Schulabschlüssen überlagern. Unzählige Aktivisten,
                                                                                             GRUPPEN FREIMACHEN

8   Reale Bildung verbindet!
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

Gewerkschaftsvertreter, Initiativen und Vereine mi-       teilhaben lassen wollen. Und es ist nur mit gefühlter
schen beim Thema Inklusion mit und tragen mit ihrer       „moralischer Überlegenheit“ erklärbar, wenn eine
„Lobbyarbeit“, die mehrheitlich von gesellschafts-        Bildungsjournalistin sich nicht davor scheut, einen
politischen Motiven und Wertvorstellungen deter-          Zusammenhang zwischen der Arbeit heutiger Son-
miniert ist, dazu bei, dass es unabhängig von wis-        derpädagogen und dem Nationalsozialismus zu kon-
senschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen aus         struieren: „Damals wuchs unter dem Nationalsozia-
der Praxis zu „Verschiebungen“ kommt, was unter           lismus mit dem Gesetz „Zur Verhütung erbkranken
gutem Unterricht und nachhaltigem Lehren und Ler-         Nachwuchses“ die Bedeutung der Hilfsschullehrer,
nen verstanden wird. „Im Deutschland der Gegen-           während heute die Bedeutung der Sonderpädago-
wart bestimmen Verteilungskämpfe zwischen den             gen mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
verschiedensten Gruppierungen die Agenda, und im          konvention in Schulen zunimmt. Mit dem Bedeu-
Ringen um Macht und Einfluss berufen sich alle auf         tungszuwachs wuchs unter der politischen Vorgabe
die Moral. Als moralisch gilt, was gerecht erscheint“,    der verschärften Selektion mit Hilfe der Hilfsschulleh-
konstatiert der Wirtschaftsjournalist Günter Ogger        rer auch die Zahl der „schwachsinnigen“ Hilfsschul-
in seinem Buch „Die Diktatur der Moral“ (OGGER,           kinder, heute steigt mit Hilfe der Sonderpädagogen
Günter 2015, Seite 50f.) und kritisiert: „Immer wird      unter der politischen Vorgabe der Inklusion die Zahl
dem jeweils anderen die Moral ab- und sich selber         der Kinder mit Lern-und Entwicklungsproblemen, die
zugesprochen“ (ebd. Seite 35).                            von der Sonderpädagogik als „behindert“ behauptet
                                                          werden“ (SCHUMANN 2014). Problematisch ist, dass
Es verwundert deshalb kaum, wenn aus Mainz zu
                                                          diese Stimmen durchaus Einfluss auf die Bildungspo-
hören ist, dass bestimmte Gruppierungen auf die
                                                          litik nehmen, schon deshalb, weil kein Politiker gerne
Landesregierung Druck ausüben und verlangen,
                                                          – und schon gar nicht medienwirksam – an den mo-
dass Eltern, die ihr behindertes Kind an einer Förder-
                                                          ralischen Pranger gestellt wird, weil er sich gegen die
schule anmelden wollen, sich zukünftig schriftlich
                                                          Abschaffung der Förderschulen oder gegen das Ende
rechtfertigen sollen, warum sie ihr Kind nicht am
                                                          der Sonderpädagogik ausspricht.
„inklusiven Unterricht“ an einer Schwerpunktschule

Es ist aus dem Blick geraten, was bei realistischer Be-      GUTER UNTERRICHT IST
trachtung und unter Berücksichtigung wissenschaft-
licher Erkenntnisse unter individueller Förderung
                                                             FORDERNDER UND DAMIT
verstanden werden kann bzw. was mit individueller            LERNWIRKSAMER UNTERRICHT
Förderung erreicht werden kann. Bei der aktuellen
Überfrachtung von Schule und Lehrkräften mit kaum
erfüllbaren Aufgaben, Ansprüchen und Erwartungen
droht immer weniger Berücksichtigung zu finden,
was die „Kernaufgabe“ von Schule und Lehrkräften
ist, nämlich „lernwirksamen“ Unterricht zu ermög-
lichen.

Der Bildungsforscher John Hattie, der Indikatoren für
Lernwirksamkeit untersuchte, sieht in den Lehrkräf-
ten und ihrem unterrichtlichen Tun einen der größ-
ten Einflussfaktoren auf den Lernerfolg: „Diejenigen
Lehrpersonen, die bestimmte Unterrichtsmethoden
verwenden, die hohe Erwartungen an alle Lernenden
stellen und die positive Lehrer-Schüler-Beziehungen
aufbauen, haben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit
überdurchschnittliche Effekte auf die Schülerleistun-
gen“ (HATTIE, John 2013, S. 151). Wenn nun aber
die Lehrkräfte keine hohen Erwartungen mehr an
ihre Schüler haben (können), weil sie u.a. den Fo-
kus gar nicht mehr auf hohen Anspruch und hohe            der Erziehungswissenschaftler Professor Hans Wer-
Erwartungen legen können, dann befinden wir uns            ner Heymann, „die versuchen ihren Schülern die
in einer gefährlichen Abwärtsspirale. „Lehrer“, so        Anstrengungen des Lernens durch eine äußerliche

                                                                                                                                  9
Fehlgeleitetes Verständnis - Bringt ein - Verband Reale Bildung
Missverständnis „Individuelle Förderung“

                                Aktivierung zu erleichtern oder gar zu ersparen, hel-
                                fen ihnen in der Regel nicht (…). Lehrer, denen es ge-
                                lingt, ihre Schüler kognitiv zu aktivieren, bieten ihnen
                                die Chance auf ein verstehendes und vernetzendes
                                Lernen. Schüleraktivierung ohne damit verbundene
                                kognitive Aktivierung läuft Gefahr, in Leerlauf zu
                                münden “ (HEYMANN, Hans Werner 2015, S. 7). Wir
                                müssen uns also die Frage stellen, ob wir Lehrkräfte
                                nicht zu viel Zeit für Aktivitäten aufwenden, die nicht
                                zielführend sind.

                                      UNTERRICHT IST KEIN                                    Fazit: Rheinland-Pfalz befindet sich am Scheideweg.
                                        RANDASPEKT DER                                       Auch hierzulande steht inzwischen in Pressemittei-
                                                                                             lungen, dass „Inklusion eine Frage der Haltung“ ist.
                                      SCHULENTWICKLUNG                                       Natürlich ist das so, aber mit dem Verweis darauf
                                                                                             können im Interesse unserer Schülerinnen und Schü-
                                                                                             ler, unserer Kolleginnen und Kollegen unrealistische
                                                                                             Vorstellungen und Fehlentwicklungen nicht einfach
                                                                                             ausgeblendet werden. Die rheinland-pfälzische Lan-
                                                                                             desregierung trägt die Verantwortung für die Rah-
                                                                                             menbedingungen, die lernwirksamen Unterricht
                                                                                             ermöglichen. Wenn Mainz auch aufgrund des mora-
                                Literaturangaben:                                            lischen Drucks, mit der außerschulische Akteure ihre
                                                                                             Interessen und Vorstellungen einer „besseren“ Ge-
                                BETHKE, Hannah: Bildungsideal „Gleichheit“
                                                                                             sellschaft über das Bildungssystem durchsetzen wol-
                                Einfalt statt Vielfalt; in FAZ, 14.07.2015.
                                                                                             len, Schule und Lehrkräfte unerfüllbaren und auch
                                DEUTSCHES INSTITUT FÜR MENSCHENRECHTE (2011):                kontraproduktiven Ansprüchen aussetzen, dann wird
                                Stellungnahme der Monitoringstelle. Eckpunkte zur            Mainz seiner Verantwortung nicht gerecht. Es ist
                                Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primar-     nicht hinnehmbar, dass gerade die Schwächsten der
                                stufe und Sekundarstufen I und II). Empfehlungen an die      Gesellschaft um Zukunftschancen gebracht werden,
                                Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund.      weil die politisch Verantwortlichen unreflektiert ein
                                HATTIE, John (2013): Lernen sichtbar machen; Schneider       Verständnis von Förderung und Unterricht propagie-
                                Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler.                         ren, das junge Menschen in die Unmündigkeit führt.
                                HELMKE, Andreas (20092): Unterrichtsqualität und Lehrer-     Es wäre ein verspäteter PISA-Segen, wenn wir Lehr-
                                professionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung      kräfte nicht weiter mit unterrichtsfernen Aufgaben
                                des Unterrichts; Klett/Kallmeyer, Seelze-Velber.             überfrachtet würden. Nicht von ungefähr fordert der
                                                                                             VRB beharrlich (siehe auch Vorwort des Landesvor-
                                HEYMANN, Hans Werner (2015): Warum sollte Unterricht
                                                                                             sitzenden), dass den Schulen für bestimmte außer-
                                „kognitiv aktivieren“?; in PÄDAGOGIK „Kognitiv aktivie-
                                                                                             unterrichtliche und erzieherische Aufgaben profes-
                                ren“, 67. Jahrgang, Heft 5/Mai 2015.
                                                                                             sionelle Unterstützung (z. B. Schulsozialarbeiter und
                                KUNZE, Ingrid 2010, Seite 23: Begründung und Prob-           Schulpsychologen) ermöglicht werden muss. Unter-
                                lembereiche individueller Förderung in der Schule, in:       richt ist nicht ein Randaspekt der Schulentwicklung,
                                KUNZE, Ingrid/ SOLZBACHER, Claudia (20103): Individuelle     es ist ihr zentraler Dreh- und Angelpunkt. Hier sind
                                Förderung in der Sekundarstufe I und II, Schneider-Verlag,   wir Lehrkräfte in der Pflicht und in der Verantwor-
                                Seite 23.                                                    tung, und genau dieser Verantwortung wollen wir
                                MÜLLER, Andreas: Kultusminister Andreas Stoch verklagt       auch gerecht werden (können).
                                die FAZ; in Stuttgarter-Zeitung.de, 02.09.2015.
                                OGGER, Günter (2015): Die Diktatur der Moral. Wie „das
                                Gute“ unsere Gesellschaft blockiert. Deutscher Taschen-
                                buch Verlag, München.
                                SCHUMANN, Brigitte (2014): Wissenschaftliche Forschung                                      Michael Eich
                                widerlegt Geschichtskonstruktionen der Sonderpädagogik;                                     michael.eich@vrb-rlp.de
                                Gastbeitrag auf bildungsklick.de, 08.12.2014.

10   Reale Bildung verbindet!
Bildungspolitik

X N I V E AU U N T E R S C H IEDE IN DEN BU NDESLÄ NDERN:
Abitur ohne Wert?

FAZ-Redakteurin Heike Schmoll attes-       desländer mit einem leistungsstarken      ben, ist es eben nichts mehr wert“.
tiert in ihrem Kommentar „Abitur ohne      Bildungssystem bei einer Angleichung
                                                                                     Es zeigt sich wieder einmal, dass die
Wert“ (04.07.2015) der Allgemeinen         mit Niveauverlusten rechnen und dass
                                                                                     einseitige Fixierung auf Abitur und
Hochschulreife eine Entwertung. Beim       Bundesländer mit niedrigen Ansprü-
                                                                                     universitäres Studium eine individuelle
Vergleich der in den Bundesländern         chen einen Anstieg der Durchfallquo-
                                                                                     und vor allem auch eine gesellschaft-
uneinheitlich festgelegten Bewertungs-     ten befürchten müssen. Die aus diesem
                                                                                     liche Sackgasse werden kann. Der VRB
und Benotungskriterien kommt sie zu        Grund von der Kultusministerkonferenz
                                                                                     fordert aus diesem Grund die Stärkung
dem Schluss, dass hier eine eklatante      (KMK) getroffene Vereinbarung von
                                                                                     derjenigen Schularten und -formen, die
Ungleichbehandlung der Abiturienten        Bildungsstandards und Aufgabenpools
                                                                                     reale Bildungsinhalte vermitteln und zu
vorliegt. Eine Folge dieser Fehlentwick-   für die Abiturprüfungen sind für Heike
                                                                                     Bildungsabschlüssen führen, die vielen
lung ist die nicht vorhandene Studier-     Schmoll allerdings nur „Beschwichti-
                                                                                     jungen Menschen die Teilhabe am wirt-
reife eines hohen Prozentsatzes der        gungen“ und „Scheinlösungen“. „Die
                                                                                     schaftlichen Wohlstand ermöglichen.
Abiturienten. Zu einer Lösung, z. B.       Kultusminister müssen sich auch ein-
einer bundesweiten Angleichung der         gestehen, dass eine Abiturientenquote           Michael Eich/Quelle: SCHMOLL,
Oberstufenregelungen, konnten sich         von 50 bis 70 Prozent bei einem an-              Heike: „Abitur ohne Wert“; ein
die Bundesländer bislang nicht durch-      spruchsvollen Niveau nicht zu halten              Kommentar in FAZ, 4.7.2015)
ringen. Das liegt u. a. daran, dass Bun-   ist. Wenn am Ende alle das Abitur ha-

                          X DAU ERST RESS MACH T DEPRES S I V
                          Jeder fünfte Student hat psychische Probleme

                          Nach Umfragen und Auswertungen der Techniker Kranken-          Die Ursachen für die Überlastung sind neben gesellschaftli-
                          kasse (TK) hatten laut ärztlicher Diagnosen 30 Prozent der     chem Druck und finanziellen Problemen wohl auch Fehlent-
                          Studentinnen psychische Probleme, unter den männlichen         scheidungen bei der Karriereplanung. Auffällig ist, dass die
                          Kommilitonen waren es 15 Prozent. Dauerstress macht an         psychischen Störungen bei den über 30-jährigen Studieren-
                          deutschen Hochschulen viele Studenten so mürbe, dass sie       den besonders hoch sind. In diesem Alter sollte allerdings die
                          psychotherapeutische Hilfe suchen. Jeder Vierte (27 Prozent)   Berufsausbildung längst abgeschlossen sein.
                          gab in einer Umfrage an, der Druck sei schon mal so hoch
                                                                                                                       Hr / Quelle: wiwo.de, 20.7.15
                          gewesen, dass ihm mit den üblichen Entspannungsstrategien
                          nicht mehr beizukommen war.

                                                                                                                                                          11
Bildungspolitik

     X PFA L Z M E TA L L - TAG 2015

               „Wie ticken Jugendliche – Wer sind die Auszubildenden
                                   von morgen?“
                                Der PfalzMetall-Tag des Verbandes der pfälzischen Metall- und Elektroindustrie findet jedes
                                Jahr im Frühsommer in Neustadt an der Weinstraße statt. Geladene Gäste aus Wirtschaft,
                                Politik und Gesellschaft kommen an diesem Tag zusammen, tauschen sich aus und hören
                                einen Vortrag zu einem aktuellen gesellschaftlichen Thema. Für den VRB nahm in diesem
                                Jahr der stellvertretende Landesvorsitzende Wolfgang Wünschel teil.

                                                                                                 Malu Dreyer betonte die Gleichwertigkeit von Du-
                                                                                                 aler Ausbildung und Abitur: „In der Strategie der
                                                                                                 Berufsvorbereitung haben wir uns noch viel vorge-
                                                                                                 nommen.“

                                                                                                 Julia Klöckner sieht in der Bildung einen Standortfak-
                                                                                                 tor und fordert eine Weichenstellung hin zur realen
                                                                                                 Bildung: „Wir müssen Alternativen zum Abitur för-
                                                                                                 dern!“

                                                                                                 Hauptredner des PfalzMetall-Tages 2015 war Peter
                                                                                                 Martin Thomas, Leiter der Heidelberger SINUS- Aka-
                                                                                                 demie, der zum Thema „Wie ticken Jugendliche –
                                                                                                 Wer sind die Auszubildenden von morgen?“ sprach.
                                                                                                 Der Referent beschrieb die milieuabhängigen Merk-
                                                                                                 male jugendlicher Lebenswelten und zeigte mit Blick
                                                                                                 auf die Werbung für eine Duale Ausbildung auf,
                                                                                                 welche Erwartungen Jugendliche an den Beruf und
                                                                                                 an die Unternehmen haben. Grundlage seiner Aus-
                                                                                                 führungen war eine Zielgruppenstudie des SINUS-
                                Die Stiftung PfalzMetall fördert Projekte, die die Neugier für   Instituts für die Industrie- und Handelskammern in
                                den MINT-Bereich schon im Vorschulbereich wecken                 Baden-Württemberg.

                                                                                                 Erwartungen an den Beruf (Beispiele)
                                Nach der Rede des PfalzMetall-Präsidenten Johannes               UÊ Jugendliche und junge Erwachsene blicken über-
                                Heger („Wir sind das Herz der Wirtschaft – und wir                  wiegend optimistisch in ihre berufliche Zukunft.
                                wollen es bleiben!“) überbrachten Ministerpräsiden-              UÊ Die Berufswahl wird bei den meisten Jugendlichen
                                tin Malu Dreyer und Julia Klöckner, CDU Landes-und                  und jungen Erwachsenen maßgeblich durch in-
                                Fraktionsvorsitzende, Grußworte. Beide rückten bil-                 trinsische Motivationen gesteuert. Für 85 % der
                                dungspolitische Aspekte in den Mittelpunkt ihrer                    Jugendlichen ist der Faktor Spaß besonders wich-
                                Ausführungen.

12   Reale Bildung verbindet!
Bildungspolitik

  tig. Für zwei Drittel sollte der Beruf den eigenen
  Neigungen und Fähigkeiten entsprechen.
UÊ Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung (48 %)
   wird ähnlich häufig in die Top 5 der wichtigsten
   Berufskriterien gewählt wie ein hohes Einkommen
   (51 %) und gute Karrierechancen (47 %).
UÊ Das Kriterium der Krisensicherheit ist immerhin für
   jeden dritten Jugendlichen und jungen Erwachse-
   nen wichtig.

Erwartungen an die Unternehmen (Beispiele)
Bei den Erwartungen an Unternehmen sind den Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen die „weichen“
Faktoren wichtiger als finanzielle Aspekte:

UÊ Ein gutes Verhältnis zwischen Mitarbeitern und ih-
   ren Vorgesetzten sowie die Stimmung unter den
   Kollegen.
UÊ Betriebliche Rahmenbedingungen, die eine bes-
   sere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben be-
   günstigen.
                                                         Peter Martin Thomas, Leiter der Heidelberger SINUS-Akademie: Jungen Menschen sind
UÊ Eine regelmäßige Leistungsbewertung und die           „weiche Faktoren“ wichtiger als finanzielle Aspekte
   Möglichkeit zum Erwerb von Zusatzqualifikatio-
   nen.
                                                         be ist simpel: Mit Hilfe beliebiger Materialien soll
Der Verbandstag bot auch die Gelegenheit aufzuzei-       ein Auto gebaut werden, das möglichst weit fährt.
gen, wie vielfältig sich Pfalzmetall in verschiedenen    Einzige Energiequelle ist eine handelsübliche Mau-
Bildungsprojekten engagiert.                             sefalle. Großes Finale ist der „Grand Prix“, bei dem
Pfalzmetall fördert Projekte aus dem Bereich „Bil-       die zurückgelegte Strecke zählt. Mitmachen können
dung und Erziehung“                                      Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen aller
Pfalzmetall engagiert sich in zahlreichen Bildungspro-   Schulformen in Teams aus drei bis zehn Personen.
jekten und stärkt damit den Fachkräftenachwuchs          Pro Schule kann sich ein Team anmelden. Die Stif-
von der Kita an, über die Grundschulen bis hin zu        tung PfalzMetall lädt die pfälzischen Schulen jeweils
den weiterführenden Schulen. Wie sehr Neugier und        nach den Sommerferien zur „Formel M“ ein.
Begeisterung für den MINT-Bereich schon bei Kin-
dern im Vorschulalter geweckt werden können, zeig-
te eine Kindergartengruppe aus Neustadt.

Projekte für die Sekundarstufe I
Mint-EXPERimenTE:      Naturwissenschaftlich-techni-
sche Experimente für Schülerinnen und Schüler der
Klassen 5 und 6 bietet das Projekt „Mint-EXPERi-
menTE“ in drei unterschiedlichen Workshops an.
Zwei Referenten besuchen dazu Schulen vor Ort und
gestalten an einem Vormittag den NaWi-Unterricht
einer Klasse. Je nach Wahl des Workshops variiert
dabei der Zeitbedarf. Das von den Schülern benötig-
te Experimentiermaterial wird von der Stiftung Pfalz-
Metall ebenso gestellt wie die beiden Referenten.
Ihrer Schule entstehen keine Kosten. Interessierte
Lehrerinnen und Lehrer können ihre Klasse einfach
anmelden.

Formel M: Der jährliche Schüler-Wettbewerb „Formel                                                                          Fotos: Wünschel
M“ verbindet Technik und Konstruktion mit Spaß,
Fantasie und Kreativität. In Teamarbeit konstruieren                                                                 Wolfgang Wünschel
                                                                                                                     wolfgang.wuenschel@
Jugendliche einen Mausefallen-Boliden. Die Aufga-                                                                    vrb-rlp.de

                                                                                                                                              13
Bildungspolitik

     X BAU S T E L L E S C H U LQUA LIT Ä T

     Lerndefizite bei Schulabgängern
     Sind die rheinland-pfälzischen Qualitäts-
     sicherungsmaßnahmen ausreichend?
     SSeit
       eit
         it JJahren
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                                     „Schulqualität“,
                                      Sch
                                        hullquali
                                               litä
                                                  tät“
                                                    t“, h
                                                        haupt-
                                                          auptt-
      sächlich nach Veröffentlichungen von Studienergeb-
      nissen, in der Öffentlichkeit immer wieder aufgegrif-
      fen. Bildungspolitiker sind bemüht, die Öffentlichkeit
      zu beruhigen, kleine Erfolge groß zu reden und bei of-
      fensichtlichen Mängeln zu beschwichtigen und Besse-
      rung in Aussicht zu stellen. Externe Evaluation heißt
      seit Jahren das Zauberwort der Bildungspolitiker in
      allen Bundesländern, das Schulen auf die Sprünge zur
      mehr Schulqualität verhelfen soll. Umso mehr ver-
      wundert es, dass die Landesregierung die Agentur für
      Qualitätssicherung (AQS), die mit großem Aufwand
      und hohen Erwartungen eingerichtet wurde, kurzer-
      hand schließt. Qualitätssicherung hat offenbar an
      Bedeutung verloren. Vermutlich will man es gar nicht
      mehr so genau wissen.

     Unzufriedenheit über Schulleistungen
     der Abschlussschüler wächst
     Rückmeldungen zu den in den Abschlusszeugnissen der Sekun-
     darstufen dokumentierten schulischen Leistungen zeigen immer
     wieder die Unzufriedenheit der Abnehmer schulischer Bildung
     auf. Dies gilt für die betriebliche Ausbildung wie auch für das
     wissenschaftliche Studium gleichermaßen. Die Hinweise auf
     schulische Qualitätsmängel, die auch Landespolitiker in ihren
     Wahlkreisen in den Gesprächen mit den Kammern und Betrie-
     ben wie auch an den Universitäten zu hören bekommen dürf-
     ten, scheinen kaum Wirkungen auf die Landespolitik entfalten
     zu können. Insbesondere die Abgeordneten der Regierungspar-

14   Reale Bildung verbindet!
Bildungspolitik

  teien vertrauen mehr auf die Aussagen der Bildungspolitiker aus     Analysen der aktuellen Ausbildungssituation
  ihren Reihen, die den Erfolg ihrer Schulpolitik hauptsächlich an    zur Qualitätssicherung nutzen
  den Quoten der Schulabschlüsse und an der rückläufigen Zahl          Angesichts des demographischen Wandels zeigt sich die Wirt-
  der Sitzenbleiber gemessen sehen wollen. Eine zu verändernde        schaft besorgt, qualifizierte Nachwuchskräfte für die duale
  Unterrichtspraxis und entsprechend angepasste Leistungsmes-         Ausbildung zu finden. Die vorliegenden Zahlen zur dualen Aus-
  sung werden als Garanten von Schulqualität erklärt und an den       bildung geben keinen Anlass zu Optimismus. Claudia Sturm,
  Schulen über die Agenturen, die die externe Evaluation durch-       Landesvorsitzende von DIE FAMILIENUNTERNEHMER in Rhein-
  führen, implementiert.                                              land-Pfalz, startete in den Sommerferien einen öffentlichen
                                                                      Weckruf. Die Rheinzeitung berichtete darüber 3). Für Claudia
                                                                      Sturm ist besonders schlimm, dass sich die wenigen Jugendli-
   „Die Bildungsdiskussion der vergangenen                            chen, die sich für eine Ausbildung gewinnen lassen, nicht be-
      Jahre wurde in Deutschland häufig                                sonders leitungsstark zeigen. In ihrem Betrieb in der Baubran-
   mit einem völlig irrationalen Blick auf die                        che, blieben fünf Stellen unbesetzt, weil die Schulabgänger die
       Quote von Universitäts- und Fach-                              Eignungstests nicht bestanden und die Grundrechenarten und
                                                                      die Grammatik nicht beherrschten. Ihre eigenen Erfahrungen
    hochschulabsolventen geführt, obwohl
                                                                      würden nach ihrer Darstellung durch eine bundesweite Umfra-
diese Quote an sich überhaupt nichts aussagt.“                        ge der Familienunternehmer unter 665 Firmen bestätigt. Mehr
                                                                      als ein Drittel der Firmen fänden keine geeigneten Bewerber. 57
         Familienunternehmer zur Bildungspolitik 1)
                                                                      Prozent der Unternehmer gaben die schlechte Vorbildung der
                                                                      Bewerber als Grund an. 38 Prozent erklärten, dass sie gar keine
                                                                      Bewerber haben.

                                                                      Die Familienunternehmer stehen mit ihren Einschätzungen nicht
  Den Orientierungsrahmen Schulqualität                               alleine dar. Die IHK Koblenz kommt in der Auswertung 2015
  in allen Feldern berücksichtigen                                    ihrer Ausbildungsumfrage in ihrem Kammerbezirk zu ähnlichen
  Die kritischen Stimmen aus Wirtschaft und Wissenschaft zur          Ergebnissen: „Die Gründe, warum die Ausbildungsstellen bisher
  Qualität schulischer Bildung werden in unserem Bundesland           nicht besetzt werden konnten, sind nach Auffassung der Unter-
  (noch) nicht genügend ernstgenommen. Diese passen scheinbar         nehmen eine Frage der Qualität und der Quantität: 70 Prozent
  nicht ins bildungspolitische Weltbild der für die Bildung verant-   der befragten Betriebe haben bisher keine oder zu wenige ge-
  wortlichen Landespolitiker. Dabei hat nicht nur das rheinland-      eignete Bewerbungen erhalten. 20 Prozent der insgesamt 586
  pfälzische Bildungsministerium einen Orientierungsrahmen            befragten Unternehmen lagen bisher gar keine Bewerbungen
  Schulqualität herausgegeben, der als wesentliches Qualitätsfeld     vor. 16 Prozent geben an, dass Ausbildungsverträge wieder ge-
  neben den Rahmenbedingungen und den schulischen und un-             löst worden sind“ 4).
  terrichtlichen Prozessen auch die Ergebnisse und Wirkungen
  benennt. Diesem Qualitätsfeld sind als Bereiche die Kompeten-
  zen, Abschlüsse, Bildungs- und Berufslaufbahnen wie auch die
                                                                          „Unternehmen müssen sich darauf verlassen
  Zufriedenheit der abnehmenden Einrichtungen und Betriebe
  zugeordnet. Allerdings spielt dieses Qualitätsfeld bei den rhein-
                                                                            können, dass Elternhaus und Schule eine
  land-pfälzischen Qualitätssicherungsmaßnahmen im Gegensatz             stabile Grundlage schaffen, auf der die Ausbil-
  zu den anderen Bundesländern momentan kaum eine Rolle.                             dung aufbauen kann.“
  Rheinland-Pfalz glaubt, auf das Qualitätsinstrument der Ab-
  schlussprüfungen verzichten zu können, und nimmt dabei eine                   Erwartungen der IHKs und HWKs Rheinland-Pfalz
  Sonderstellung im Kreis der Bundesländer ein.                                                und Saarlands 5)

                                                                      Betriebe mit den Lerndefiziten nicht alleine lassen
  „Unter den Leistungsüberprüfungen haben                             Diese Zahlen verwundern die Schulpraktiker nicht. Seit Jahren
      diese zentralen Überprüfungen eine                              klagen die Ausbildungsbetriebe über fehlende Ausbildungsrei-
  herausragende Bedeutung, weil mit ihnen                             fe der Schulabgänger. Angesichts der großen Herausforderung,
                                                                      Fachkräfte zu sichern, sehen sich Betriebe gezwungen, initiativ
   die Vergabe von Abschlüssen und Berech-                            zu werden. 50 % der von der IHK befragten Unternehmen re-
   tigungen verbunden ist. Sie ermöglichen                            agieren auf mangelnde Ausbildungsreife mit innerbetrieblicher
Rückschlüsse auf Schul- und Unterrichtsqualität                       Nachhilfe. Es verwundert nicht, wenn Claudia Sturm die Zuwan-
 und wirken in hohem Maße orientierend für                            derungen nach Deutschland als Chance für den Wirtschafts-
          Schüler, Eltern und Lehrer.“                                standort Deutschlands sieht: „Migranten sind inzwischen die
                                                                      besseren Auszubildenden, weil sie eine Ausbildung in Deutsch-
         Sächsisches Staatsministerium für Kultus2)                   land als Privileg ansehen“. Auch die IHK Koblenz benennt in
                                                                      ihrer Auswertung 2015 die Schwachstelle: „Fehlende Disziplin,

                                                                                                                                        15
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