Gerda Eichmann-Ingwersen (Hg.) Individuelle Förderung im Gymnasium _ Praxisbeispiele - Lernpotenziale 2014 _ Heft
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ISSN 2199-8205 Lernpotenziale 2014 _ Heft 1 Gerda Eichmann-Ingwersen (Hg.) Individuelle Förderung im Gymnasium _ Praxisbeispiele
Folgende Publikationen entstanden im Rahmen des Pro- jekts Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium. Lernpotenziale 2014 Heft 1 Gerda Eichmann-Ingwersen (Hg.). Lernpotenziale. Individu- ell fördern im Gymnasium. — Praxisbeispiele Lernpotenziale 2014 Heft 2 Ute Gerken (Hg.). Lernzeiten am Gymnasium — Rahmen- bedingungen, Voraussetzungen und Praxisbeispiele Lernpotenziale 2014 Heft 3 Kirsten Althoff (Hg.). Die Netzwerkarbeit im Projekt Lernpo- tenziale — Rahmenbedingungen und Erfahrungen (erscheint im Dezember 2014) Gerda Eichmann-Ingwersen (Hg.) Impressum Gemeinsame Partner des Projekts sind das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Individuelle Förderung im Gymnasium _ Erscheinungsort Münster, Nordrhein-Westfalen die Stiftung Mercator und das Institut für soziale Arbeit e. V. als Träger der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein - Westfalen. Praxisbeispiele Herausgeber Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW ist eine gemeinsame Einrichtung des MSW NRW, MFKJKS Institut für soziale Arbeit e.V. NRW, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gGmbH und Friesenring 40 des Instituts für soziale Arbeit e.V. 48147 Münster serviceagentur.nrw@ganztaegig-lernen.de Für die konstruktive Begleitung des Projekts sei an dieser Stel- info@isa-muenster.de le Dank ausgesprochen an die Mitglieder der Steuergruppe: www.isa-muenster.de www.nrw.ganztaegig-lernen.de Für die Stiftung Mercator: Katharina Tesmer www.ganztag.nrw.de Für das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW: Redaktion Renate Acht, Kay Brügmann, Paul-Dieter Eschbach, Kirsten Althoff Dr. Norbert Reichel Herbert Boßhammer Gerda Eichmann-Ingwersen Für das Ministerium für Familie, Kinder, Jugendliche, Kunst Birgit Schröder und Sport: Uwe Schulz Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW Für die Qualitäts- und Unterstützungsagentur — Landesinsti- Gestaltung und Herstellung tut für Schule NRW: Eva Adelt Agentur für Kommunikation www.pars-pro-toto.de Für die Schulaufsicht: Joachim Schöpke, Bezirksregierung Düsseldorf Druck Bitter und Loose GmbH — Print mit Konzept Für das Institut für soziale Arbeit, die Serviceagentur www.bitterundloose.de „Ganztägig lernen“ NRW: Kirsten Althoff, Herbert Boßham- mer, Gerda Eichmann-Ingwersen, Birgit Schröder, Truda Ann 2014 © by Institut für soziale Arbeit e.V. Smith.
Vorwort Inhalt Vorworte 5 Die Broschüre im Überblick 7 Dimensionen individueller Förderung 9 Vorwort des Ministeriums für Schule und Weiterbil- dung des Landes Nordrhein-Westfalen 1 Schülerinnen und Schüler gestalten ihren individuellen Lernprozess — Lernpotenziale im Gymnasium wahrnehmen 9 Kirsten Althoff Das Recht auf individuelle Förderung ist für jede Schülerin Fördern umfasst immer mehrere Ebenen und beschränkt und jeden Schüler in Nordrhein-Westfalen im Schulgesetz sich nicht auf einzelne Fördermaßnahmen oder einzelne 2 Lernpotenziale entdecken und individuell fördern: Herausforderungen für die Einzelschule 13 verankert. Doch muss der Anspruch, individuell gefördert zu Fächer. Individuelle Förderung bedeutet, grundsätzlich von Claudia Solzbacher werden und zu fördern, auch mit Leben gefüllt werden. Hier Lernenden aus zu denken und ihr und sein Lernen und indi- setzt das Projekt „Lernpotenziale — Individuell fördern im viduellen Kompetenzzuwachs in den Vordergrund zu rücken. 3 Stärkenorientierung in Schule und Unterricht 16 Gymnasium.“ an und widmet sich der Frage: Wie können wir Das Projekt „Lernpotenziale“ ist deshalb ein Zukunftspro- Ulrike Stadler-Altmann Schülerinnen und Schüler in Gymnasien so fördern, dass sie jekt für unsere Gymnasien. Denn wir brauchen hoch quali- ihre individuellen Entwicklungspotenziale bestmöglich ent- fizierte und hoch motivierte Menschen, die sich zutrauen, decken und entfalten können? ihre eigenen Potenziale zu entdecken und selbstständig wei- Praxisbeispiele 23 Die drei aus dem Projekt resultierenden Broschüren präsen- terzuentwickeln, zu ihrem Nutzen und zum Nutzen unserer tieren viele Antworten auf diese Frage. Drei Aspekte möchte demokratischen Gesellschaft. 4 Implementierung von transparenten und kompetenzorientierten Diagnoseverfahren ich besonders hervorheben: 137 Gymnasien haben sich an dem Projekt „Lernpotenzia- in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik 23 le“ beteiligt. Das unterstreicht, wie bedeutsam für unse- Landrat-Lucas-Gymnasium, Leverkusen • Individuelle Förderung muss bei den Stärken der Schüle- re Gymnasien das Konzept der individuellen Förderung ist. rinnen und Schüler ansetzen. Hier gibt es viele verschie- Mich hat sehr beeindruckt, wie viele Lehrerinnen und Lehrer 5 Individuelle Förderung durch Selbstdiagnose und begleitende Lernstandsrückmeldung dene Möglichkeiten. Gemeinsam ist ihnen der partizipativ ihre Schülerinnen und Schüler nachhaltig und mit großem in Jahrgangsstufe 5 und 6 in Englisch und Mathematik 26 angelegte Dialog zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Engagement individuell fördern und damit ganzheitlich bil- Städtisches Gymnasium Steinheim Schülern und ihren Eltern in der Diagnostik, der Lernbeglei- den. Das verdient Respekt und Anerkennung, und ich freue tung und der in den Schulen gepflegten Rückmeldekultur. mich daher sehr, dass wir zusammen mit der Stiftung Merca- 6 Guter Mathematikunterricht für alle 32 tor und der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW ein Fol- Freiherr-von-Stein-Gymnasium, Münster • Die Integration von Hausaufgaben in schulische Lernzeiten geprojekt vereinbaren konnten. „Lernpotenziale II“ — wie ermöglicht individualisierte Wege zur Entdeckung und ich es nenne — kann die Wirkung von „Lernpotenziale“ wei- 7 Lerncoaching — Vom Feuerlöscher zum Rauchmelder 35 Entwicklung der Lernpotenziale jeder einzelnen Schülerin ter vertiefen und ermöglicht auch weiteren Schulen, sich zu Julius-Stursberg-Gymnasium, Neukirchen-Vluyn und jedes einzelnen Schülers. beteiligen. 8 Förderkonferenzen 38 • Für die Entwicklung erfolgreicher individueller Förder- Mein herzlicher Dank gilt allen Schulen, die sich an dem Pro- Gymnasium Marianum, Warburg konzepte brauchen Schulen Rückhalt und Unterstützung. jekt „Lernpotenziale“ beteiligen und es weiter tragen, und Die Netzwerke des Projekts und die Begleitung durch besonders der Stiftung Mercator dafür, dass wir gemeinsam 9 Schülerberatung intensivieren — Schüler-Elternsprechtage 41 qualifizierte Moderatorinnen und Moderatoren helfen da- dieses wichtige Schulentwicklungsvorhaben auf den Weg ge- Weser-Gymnasium, Vlotho bei und ermöglichen Schulen, auch ungewohnte Wege zu bracht haben und es nun im Sinne zeitgemäßer Unterrichts- gehen. und Schulentwicklung weiter ausgestalten. 10 Individuelle Förderung im bewertungsfreien Projektunterricht in der Jahrgangstufe 8 44 Erzbischöfliches St. Josef-Gymnasium, Rheinbach 11 Freie Lernzeiten für besonders begabte Schülerinnen und Schüler und für Förderschülerinnen und Förderschüler mit Migrationshintergrund 46 Sylvia Löhrmann Theodor-Fliedner-Gymnasium, Düsseldorf Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 12 Fächerübergreifende Sprachbildung: Textverständnis und Textproduktion verbessern 51 Leibniz-Montessori-Gymnasium, Düsseldorf 13 Neigungskursmodell — „Interessen erkennen, Talente fördern“ 54 Landfermann-Gymnasium Duisburg Autorinnen und Autoren 57
Vorwort Die Broschüre im Überblick Die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern — diese Zentrale Inhaltsfelder der entwickelten Schulprojekte sind Leitidee ist seit 2006 im nordrhein-westfälischen Schulge- die Pädagogische Diagnostik, die Lernberatung/das Lern- setz verankert. Sie schlägt sich auch in der Ausbildungs- und coaching und unterschiedliche Maßnahmen und Modelle Prüfungsordnung für die Schulen der Sekundarstufe I nieder. der individuellen Förderung im Unterricht/in Lernzeiten. Das Projekt „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymna- Die hier vorgestellten Praxisbeispiele bilden die Bandbrei- sium.“ 1 greift diese Leitidee auf. Halbtags- und Ganztags- te der entwickelten Konzepte zur individuellen Förderung gymnasien soll(t)en 2 zu innovativen Entwicklungen angeregt ab: sie sind fachgebunden oder fachübergreifend ausge- und begleitet werden, um den unterschiedlichen Lern- und richtet, sie haben alle Schülerinnen und Schüler mit oder Vorwort der Stiftung Mercater Förderbedarfen von Schülerinnen und Schülern gerechter ohne besondere Merkmale im Blick, sie sind stärken- oder zu werden. Ziel war es, die Gymnasiastinnen und Gymna- förderungsorientiert. Kirsten Althoff, zuständig für die wis- Bildungschancen sind in Deutschland immer noch herkunfts- den. Wir freuen uns daher sehr, gemeinsam mit dem MSW siasten von den zunehmenden Belastungen der Schulzeit- senschaftliche Begleitung und Evaluation im Projekt Lernpo- bedingt, sodass viele Schülerinnen und Schüler nicht ihr volles das Projekt „Lernpotenziale“ bis 2018 zu verlängern und verkürzung durch die individuelle Förderung in Lernzeiten tenziale, fasst in ihrem Beitrag weitere Ergebnisse aus einer Potenzial ausschöpfen können. Unser Ziel ist es, dass alle Kin- auszuweiten, um sowohl die nachhaltige Verankerung indi- innerhalb und außerhalb des Unterrichts zu entlasten und Befragung der Projektschulen und aus der wissenschaftli- der und Jugendlichen, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, vidueller Förderung in der Schulkultur als auch den Transfer die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. chen Begleitung über den gesamten Projektzeitraum von den gleichen Zugang zu Bildung haben und nicht an unge- gelungener Projektideen in die Schullandschaft zu ermögli- zwei Jahren zusammen. rechten Stolpersteinen im Bildungssystem scheitern. chen. Die vorliegende Broschüre möchte anderen Schulen mit den Mit einer gezielten individuellen Förderung und Unterstüt- vorgestellten Projektergebnissen Anregungen für die eige- Zwei Beiträge in dieser Broschüre geben den fachwissen- zung kann Chancengleichheit erreicht werden. Das Projekt Anhand von erfolgreichen Beispielen können Sie sich von nen Entwicklungsanliegen geben und ermutigen, sie vor Ort, schaftlichen Hintergrund für die beschriebenen Schulpro- „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ er- dem Gelingen des bisherigen Vorhabens in dieser und zwei den Bedürfnissen der Schulgemeinde angepasst, umzuset- jekte: probt Ideen und Strukturen, um dieses Vorhaben an Schulen folgenden Publikationen zum Projekt „Lernpotenziale“ zen. zu realisieren. überzeugen. Im Namen der Stiftung Mercator bedanke ich Claudia Solzbacher beleuchtet in ihrem Artikel die Heraus- mich an dieser Stelle sehr für das große Engagement der Lehrerinnen und Lehrer aus 137 Gymnasien haben im Pro- forderungen, die sich einer Schule stellen, die individuelle Mit der Förderung von „Lernpotenziale“ vertieft die Stiftung Schulen und Netzwerke und die kompetente Begleitung des jekt „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ Förderung auf Dauer implementieren und ihre Lernkultur Mercator ihr Engagement im Bereich schulischer Netzwer- Projekts durch das Projektteam. Wir sind gespannt auf viele im Laufe von zwei Jahren ihre Projektideen zu Konzepten in diesem Sinne nachhaltig verändern will. Anspruchsvoll ke. Diese sind für die Entwicklung von Innovationen beson- weitere Impulse. der individuellen Förderung ausgebaut. Begleitet und un- zu fördern erfordere nicht nur Abstimmungen im Kollegi- ders gut geeignet — die gemeinsame Arbeit motiviert und terstützt wurden sie dabei durch eine gemeinsame Entwick- um, eine feste Gremienkultur bzgl. der Fallbesprechung eröffnet neue Perspektiven. Die strukturelle Verankerung lungsarbeit und den kollegialen Austausch im Netzwerk, jedes einzelnen Kindes und systematische Planung der Un- von praxiserprobten Ideen zu individueller Förderung ge- ebenso wie durch die moderierten und zielführenden Netz- terrichtsprozesse, sondern insbesondere die Ressourceno- lingt durch Kooperation. Die Netzwerktreffen erweisen werktreffen und den bedarfsorientierten Input aus Wissen- rientierung anstelle einer Defizitorientierung als zentrales sich in diesem Prozess als wichtige Knotenpunkte für die schaft und Praxis. pädagogisches Handlungsprinzip: „Alle Schülerinnen und beteiligten Schulen. Sie bieten Raum, um gemeinsam zu Winfried Kneip Schüler haben Begabungen, die es zu finden gilt und an die- überlegen, wie das schulische Lehren und Lernen nachhal- Geschäftsführer Ausgehend von ihren je eigenen Entwicklungsbedarfen hat- sen Motivatoren muss angeknüpft werden.“ tig verbessert und alle Schülerinnen und Schüler bedarfsge- Stiftung Mercator ten die teilnehmenden Gymnasien die Möglichkeit, ihre recht gefördert werden können. Eine transparente Struktur schuleigenen Vorstellungen von individueller Förderung zu Ulrike Stadler-Altmann beschreibt in ihrem Beitrag die und eine stetige Begleitung durch geschulte Netzwerk- entwickeln und umzusetzen. Für die Aufnahme eines Gym- „indirekt(en), aber dennoch wirkkräftig(en)“ Einflüsse der moderatorinnen und -moderatoren tragen dazu bei, dass nasiums in das Projekt „Lernpotenziale. Individuell fördern Schüler(innen)selbstkonzeptentwicklung und der Selbst- eine gemeinsam entwickelte Idee auf den Weg gebracht im Gymnasium.“ war es nicht ausschlaggebend, wo die wirksamkeitsüberzeugung auf die Lernbereitschaft, die und in der Schulstruktur implementiert wird. Kurz gesagt: Schule im Prozess der Schulentwicklung stand, ob sie mit Lernfreude und den Schulerfolg. Sie zeigt auf, dass Elemen- Die 137 am Projekt „Lernpotenziale“ beteiligten Halbtags- ihrer Projektidee erste Schritte hin zur Umsetzung indivi- te der individuellen Förderung, der Lernberatung und der und Ganztagsgymnasien in Nordrhein-Westfalen profitieren, dueller Förderung gehen oder ob sie bereits vorhandene Diagnostik positiv auf die Verstärkung der Schülerselbstkon- indem sie Wissen weitergeben und voneinander lernen. Konzepte ausbauen und weiter entwickeln wollte. Dem- zepte und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Schü- zufolge unterscheiden sich die Entwicklungsprozesse der lerinnen und Schüler Einfluss nehmen und gibt Hinweise Mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Lan- Schulen deutlich voneinander. In jedem Fall aber — und darauf, welche Unterrichtsmethoden sinnvolle und erfolg- des Nordrhein-Westfalen (MSW) steht dem Projekt der rich- so vermitteln es die Projektdarstellungen in dieser versprechende Ansätze bieten. An konkreten Beispielen tige Partner zur Seite, um schulische Veränderungsprozesse Broschüre — sind erfolgreiche Entwicklungen in den wird verdeutlicht, wie vertraute Unterrichtsmethoden und anstoßen zu können. Veränderungen brauchen Zeit —Ideen Schulen angestoßen und umgesetzt worden. 3 -situationen um die Aspekte der Selbstkonzeptförderung müssen reifen, ausprobiert, verbessert und verstetigt wer- und Stärkenorientierung erweitert werden können. 1 Dieses Projekt wird in den folgenden Textbeiträgen gelegentlich auch Projekt „Lernpotenziale“ genannt. 2 Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Broschüre war entschieden, dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW und die Stiftung Mercator mit dem Projekt „Verstetigung Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ Ganztags- und Halbtagsgymnasien mit dem Ziel, die individuelle Förderung dauerhaft als Leitmotiv der Schulkultur zu verankern, für drei weitere Jahre (2015 — 2018) fördern will. 3 Weitere Publikationen im Rahmen des Projekts Lernpotenziale sind folgende: Ute Gerken (Hg.): Lernzeiten am Gymnasium — Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Praxisbeispiele, Lernpotenziale 2014 Heft 2 und Kirsten Althoff (Hg.): Die Netzwerkarbeit im Projekt Lernpotenziale — Rahmenbedingungen und Erfahrungen Lernpotenziale 2014 Heft 3 (erscheint im Dezember 2014)
Die Broschüre im Überblick Dimensionen individueller Förderung 1 Schülerinnen und Schüler gestalten ihren individuellen Lernprozess — Zehn Gymnasien stellen in dieser Broschüre die von ih- Das Erzbischöfliche St. Josef-Gymnasium (Rheinbach) hat Lernpotenziale im Gymnasium wahrnehmen nen entwickelten konkreten Konzepte zur individuellen im Verlauf seiner Teilnahme am Projekt „Lernpotenziale“ Förderung vor und geben damit Umsetzungsbeispiele, die den bewertungsfreien Projektunterricht für die Jahrgang- auch an anderen Gymnasien adaptiert werden können. In stufe 8 weiter entwickelt. Dieser Projektunterricht will den Kirsten Althoff Stellenwert der individuellen Förderung im Kontext Schule ihren Textbeiträgen reflektieren die Autorinnen und Au- entwicklungs- und altersspezifischen Besonderheiten die- toren zudem den eigenen Entwicklungsprozess mit sei- ser Schülerinnen Rechnung tragen und sie Themen jenseits Im Projekt „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymna- Die Umfrageergebnisse zeigen, dass das Thema individuelle nen Gelingensbedingungen und Stolpersteinen und ge- schulfachlicher Inhalte gemäß ihren Interessen und Neigun- sium.“ setzten sich von September 2012 bis Juli 2014 ca. Förderung in den Schulen nach wie vor eine hohe Relevanz ben Ausblick auf weitere schulinterne Entwicklungsziele: gen frei wählen und bearbeiten lassen. 400 Lehrkräfte von 137 Gymnasien in Nordrhein-Westfalen und Aktualität besitzt, aber noch nicht in allen Schulen im mit ihren Konzepten individueller Förderung auseinander. Sinne einer veränderten Lernkultur im Schulalltag ausrei- Das Autor(inn)enteam des Landrat-Lucas-Gymnasiums (Le- Das Theodor-Fliedner-Gymnasium (Düsseldorf-Kaisers- Sie entwickelten auf der Basis der jeweils schulintern ge- chend verankert ist (vgl. Kunze, Solzbacher:S. 31). verkusen) stellt vor, wie die Schülerinnen und Schüler transpa- werth) stellt die Entwicklung von zwei Konzepten zur in- lebten Praxis neue Vorhaben zur individuellen Förderung In der Umfrage wurde nach dem Stand der individuellen rent mit Hilfe von kompetenzorientierten Diagnoseverfahren dividuellen Förderung vor, deren Leitmotiv die Stärkung ihrer Schüler(innen)schaft. Während der zweijährigen Pro- Förderung in der eigenen Schule gefragt. Dabei waren die in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik individu- der Selbststeuerung und Selbstverantwortung (Selbstkon- jektlaufzeit stand neben dem Austausch mit Lehrkräften der Teilnehmenden aufgefordert, den Grad ihrer Zustimmung ell gefördert werden und welche Möglichkeiten der gebun- zept- und Selbstwirksamkeitsstärkung) der Schülerinnen anderen Schulen in Netzwerken und dem fachwissenschaft- bzw. Ablehnung zu einzelnen Aussagen auf einer vierstufigen dene Ganztag bietet, Lern- und Förderzeiten umzusetzen. und Schüler bei der Gestaltung ihrer Lernwege ist. Die lichen Input auf den Netzwerktreffen die schulinterne Ent- Skala4 zu bestimmen (vgl. Grafik 1). Konzepte richten sich an unterschiedliche Zielgruppen, wicklungsarbeit im Schulteam im Vordergrund. Insgesamt stimmten über 90 Prozent der Befragten der Aus- Im Städtischen Gymnasium Steinheim sind für die Fächer leistungsstarke, besonders begabte Schülerinnen und Bereits nach dem ersten Projektjahr wurden alle teilneh- sage, „An unserer Schule entwickeln wir Maßnahmen und Mathematik und Englisch Diagnoseinstrumente entwickelt Schüler einerseits, noch zu fördernde Schülerinnen und menden Gymnasien nach ihren Erfahrungen und Entwicklun- Konzepte individueller Förderung kontinuierlich weiter“ worden, die der Selbst- und Fremdevaluation des Lern- und Schüler mit Migrationshintergrund andererseits. gen im Projekt befragt. Die in diesem Beitrag vorgestell- „voll“ (57 Prozent) bzw. „eher“ (36 Prozent) zu. Darüber Leistungsstandes (vor Klassenarbeiten) dienen. Mit diesen ten Ergebnisse basieren auf dieser Befragung sowie auf den hinaus bestätigten knapp 75 Prozent die Aussage positiv bis Bögen stehen den Lehrkräften aber auch konkrete Bera- Gemäß dem Kerngedanken Montessoris „Hilf mir, es selbst Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung über den ge- eher positiv, dass in ihrer Schule ein Maßnahmenkatalog zur tungsgrundlagen zur Lernförderung zur Verfügung. zu tun“ ist im Leibniz-Montessori-Gymnasium (Düssel- samten Projektzeitraum von zwei Jahren. systematischen Umsetzung entwickelt wird und 68 Prozent dorf) die Individualisierung des Lernens angestrebtes Ziel. gaben an, dass sie im Kollegium eine gemeinsame Definition Das fachbezogene Projekt am Freiherr-vom-Stein- Mit dem Konzept der fächerübergreifenden Sprachbildung von individueller Förderung entwickelt haben. Individuelle Förderung in den teilnehmenden Gymnasien Gymnasium (Münster) verfolgt das Ziel der „Entwick- will es Schülerinnen und Schülern die grundlegenden Kom- Bei der Betrachtung des Items „An unserer Schule haben lung, Einführung und Etablierung von Diagnoseinst- petenzen Textverständnis und Textproduktion systema- 386 Personen aus 85 Gymnasien haben im Herbst 2013 wir eine gemeinsame Definition individueller Förderung rumenten im Fach Mathematik zur Optimierung der tisch und unter Einbezug aller Schulfächer vermitteln. an der online durchgeführten Befragung teilgenommen. im Kollegium entwickelt“ in Grafik 1 zeigt sich jedoch, individuellen Förderung besonders leistungsstarker und 94 Befragte waren Mitglied der (erweiterten) Schulleitung. dass nur knapp 14 Prozent diese Aussage voll bestätigen -schwacher Schülerinnen und Schüler“. Dieser Beitrag Das Landfermann-Gymnasium (Duisburg) möchte mit ei- Insgesamt 57 Prozent der Befragten haben angegeben, an und 55 Prozent ihre Zustimmung nur eingeschränkt ge- fokussiert sehr detailliert Entwicklungs- und Umsetzungs- nem breit angelegten Neigungskursmodell in der Erpro- der Umsetzung des im Projekt Lernpotenziale entwickelten ben. So lässt sich in der Auswertung insgesamt feststellen, schritte sowie Gelingensbedingungen und Stolpersteine. bungsstufe den Schülerinnen und Schülern Raum — frei Vorhabens beteiligt zu sein (entweder durch die Mitwirkung dass die Elemente, die auf eine systematische Veranke- von Bewertung und Leistungsdruck — zur Erprobung und Ent- an der Konzeptentwicklung, die Teilnahme an den Netz- rung der Maßnahmen individueller Förderung im Sinne ei- Das Julius-Stursberg-Gymnasium (Neukirchen-Vluyn) faltung ihrer Stärken, Fähigkeiten und Neigungen geben, um werktreffen oder als Ansprechpartnerinnen und Ansprech- nes allgemeinen Prinzips schulischer Lernkultur5 hinweisen präsentiert sein Lerncoaching-Projekt „Vom Feuerlöscher so Schullaufbahnen zu ermöglichen, die auf die Stärken der partner für Schulleitung und/oder Fachkonferenzen). (z.B. Entwicklung von Indikatoren zur Umsetzung individu- zum Rauchmelder“. Mit diesem fächerunabhängigen Coa- Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind. eller Förderung, systematische Bedarfserhebung des Kol- ching-Angebot fördert das Projekt die Selbstlernkompetenz legiums in den Fachgruppen), noch wenig verbreitet zu der Schülerinnen und Schüler und will sie beim Aufbau Allen Autorinnen und Autoren aus Schule und Wissenschaft sein scheinen. eines Selbstkonzepts unterstützen und ihnen Selbst- sei herzlich gedankt! Allen Leserinnen und Lesern wünsche Grafik 1 wirksamkeitserfahrungen ermöglichen, auf deren ich eine anregende Lektüre! Grundlage schulfachliches Lernen besser gelingen soll. Individuelle Förderung: „An unserer Schule...“ Gerda Eichmann-Ingwersen Der Schulleiter des Städtischen Gymnasiums Marianum entwickeln wir Methoden und Konzepte iF kontinuierl. weiter (Warburg) reflektiert den eigenen Schulentwicklungspro- wird ein Maßnahmenkatalog zur systemat. Umsetzung iF entwickelt zess mit dem Ziel der Etablierung von Förderkonferenzen. Er beschreibt ebenfalls, welchen Nutzen das Marianum haben wir eine gemeinsame Definition iF im Kollegium entwickelt für seinen Veränderungsprozess von der Teilnahme an gibt es Fortbildungen iF der Netzwerkarbeit im Projekt „Lernpotenziale“ hatte. werden Förderbedarfe der SuS systemat. erhoben haben wir Indikatoren zur Umsetzung iF entwickelt Das Weser-Gymnasium Vlotho schreibt der Beratung im werden Bedarfe des Kollegiums in den Fachgruppen systemat. Rahmen von individueller Förderung eine große Bedeu- abgefragt tung zu. Das Ziel ist es, die Schülerberatung zu intensi- 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % vieren. Dafür führte die Schule zeitlich umfangreicher angelegte Schüler-Elternsprechtage ein, um anders als in stimmt genau stimmt eher stimmt eher nicht stimmt nicht der bisherigen Praxis alle und nicht vornehmlich nur die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler mit ei- ner Beratung zu erreichen. Beratungsfahrpläne bereiten die Gespräche vor, strukturieren und individualisieren sie. 4 Von 1 = stimmt genau bis 4 = stimmt nicht 5 Vgl. dazu den Artikel von Solzbacher in diesem Heft 8 9
Dimensionen individueller Förderung Zielsetzungen individueller Förderung Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Schülerin/jedes Schülers nach individueller Lernausgangsla- Mit eigenverantwortlichem und selbstgesteuertem Lernen werden eine größere Lernmotivation und ein höheres eigenes mit individueller Förderung vielfältige und zahlreiche Ziel- ge (MW = 1,3), die Verbesserung der Lern- und Leistungsmo- Interesse an den Lerninhalten und damit ein größerer Lernerfolg in der Schule verbunden (vgl. Grafik 3). setzungen verbunden werden und es — sowohl unter den tivation (MW = 1,5) und/oder die Diagnose der Fähigkeiten Zudem bestätigen über 90 Prozent der Befragten die Aussage, dass selbstverantwortliches Lernen eine Grundlage für den wei- Umfrageteilnehmer(innen) generell als auch innerhalb der der Schülerinnen und Schüler (MW = 1,7) verbinden. teren Lebensweg der Schülerinnen und Schüler darstellt. Einzelschulen — ein eher breit angelegtes Verständnis in- dividueller Förderung gibt, das mit anspruchsvollen Zielen Selbständiges und eigenverantwortliches Lernen einhergeht. Ähnlich beschreibt es Fischer (2014:32/34): „In- Grafik 3 dividuelle Förderung ist vielmehr als Sammelbegriff zu ver- Im Rahmen der Umfrage zeichnet sich eine große Überein- stehen, dem sich verschiedene Ansätze und bestehende stimmung im Hinblick auf die Befähigung der Schülerin- „SuS sollen selbstgesteuert und selbstverantwortlich lernen, weil ...“ Konzepte zuordnen lassen. Ziel ist eine optimale Potenzia- nen und Schüler zum selbständigen und selbstverantwort- lentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung aller Schülerin- lichen Lernen als Zielrichtung der Projekte individueller ein eigenes Interesse für Lerninhalte größeren Lernerfolg verspricht nen und Schüler“. Förderung ab. Neben dem generellen Ziel, die Lernleis- diese Kompetenzen heute die Grundlage für den weiteren tungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, wird Lebensweg darstellen Dies bestätigen die Umfrageergebnisse bei der Auswertung von jeweils über 95 Prozent der Befragten die Förderung sie dann motivierter lernen der Frage „Welche persönlichen Ziele verbinden Sie mit indi- des selbstgesteuerten und eigenverantwortlichen Lernens vidueller Förderung?“ (Althoff, 2014). Die Angaben spiegeln sowie die Erhaltung der Lernfreude und der Neugierde Lehrkräfte in selbstgesteuerten Arbeitsphasen zeitliche Freiräume für gezielte Einzelförderung gewinnen sowohl eine hohe Erwartungshaltung als auch eine Vielzahl der Schülerinnen und Schüler genannt (vgl. Grafik 2). an Zielen wider, die mit individueller Förderung erreicht Es fällt auf, dass mit annähernd 75 Prozent voller Zustim- SuS ihre Konsumhaltung überwinden sollen werden sollen: Die Unterstützung schwacher Schülerinnen mung („stimmt genau“) dem Item „Die Schülerinnen und wir an unserer Schule die neurobiolog. Sicht vertreten, und Schüler weist mit einem Mittelwert von 1,1 die höchs- Schüler sollen lernen, selbstgesteuert und selbstverant- dass Lernen ein subjektiver Prozess ist te Zustimmung auf 6 — dicht gefolgt von der Unterstützung wortlich zu lernen“ sogar deutlicher zugestimmt wird, die SuS selbst am besten wissen, was sie lernen wollen starker Schülerinnen und Schüler (MW=1,2). Daneben stim- als dem Item „Die Schülerinnen und Schüler sollen bessere men viele der Befragten aber auch weiteren Items zu, z.B. Lernleistungen zeigen“ (volle Zustimmung 66 Prozent). 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % dass sie mit individueller Förderung die Unterstützung jeder stimme voll und ganz zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme gar nicht zu Grafik 2 Ausrichtung der schulinternen Projekte Ziele der schulinternen Projekte (für SuS) Ein großer Teil der schulinternen Projekte ist fächerüber- die Entwicklung von „individualisierten Lernaufgaben nach Bessere Lernleistungen greifend ausgerichtet und bezieht sich auf die Ausbildung Kompetenzniveaus“. Daneben ist die Einführung/Weiterent- Selbstgesteuertes und eigenverantwortl. Lernen fördern und Förderung sogenannter „Vorläuferkompetenzen“ für wicklung von „Lernzeiten“ und die Einrichtung von „Lern- Lernfreude und Neugierde der SuS erhalten den weiteren Lernprozess (vgl. dazu Solzbacher 2013). büros mit Materialpools“ zum selbstständigen Arbeiten ein So zielen diese Projekte u.a. auf das Erlernen von Metho- weiteres Feld, in dem die Schulen neue Konzepte entwi- Persönlichkeitsentwicklung der SuS stärken den zum selbstständigen Arbeiten oder die Förderung des ckeln und umsetzen. SuS sollen sich in der Schule wohler fühlen Sprach- und Leseverständnisses hauptsächlich in den Jahr- Lernleistung durch Verbesserung der Sprachkompetenzen steigern gängen 5 und 6. „Individuelle Förderung mit Hilfe an Kompetenzniveaus SuS mit erschw. Ausgangslagen adäquat fördern Einen weiteren Schwerpunkt stellen die eher fachspezifi- orientierten Lernzeiten“ Entwicklung von Sozialkompetenzen der SuS stärken schen Projekte in den Fächern Deutsch, Mathematik und Exemplarisch ausgewähltes Projektmotto aus der online-Umfrage weniger Abschulungen Fremdsprachen dar, die überwiegend in Pilotprojekten Voneinander lernen stärken (z. B. koop. Lernformen) der Jahrgänge 7 bis 9 durchgeführt werden. Am Gymnasi- Den Übergang zum Gymnasium erleichtern um kommt dem Fachunterricht ein besonders hoher Stel- Als weitere Maßnahme zur Umsetzung der individuellen Bessere Vorbereitung auf Arbeitsleben nach der Schule lenwert zu. Die Ausrichtung der schulinternen Schwer- Förderung wird von den Umfrageteilnehmer(inne)n die Die zeitl. Belastung durch Aufgaben zuhause verringern punkte erscheint auf diesem Hintergrund verständlich. Lernprozessberatung und -begleitung der Schülerinnen Gesundheitsförderung Eine eher fachunabhängige Projektausrichtung der schul- und Schüler benannt. Diese zieht die Veränderung der internen Projekte mit dem Fokus auf die Förderung der Lehrer(innen)rolle in Richtung Lernberatung nach sich. Es 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Persönlichkeitsentwicklung, der Übergangsgestaltung werden z.B. Coaches ausgebildet, Tutorinnen und Tutoren (von der Grund- oder Sekundarschule in das Gymnasium) eingesetzt oder auch Schüler-/Elternsprechtage zum Lern- stimmt genau stimmt eher stimmt eher nicht stimmt nicht oder der Förderung des sozialen Lernens wird deutlich sel- standsfeedback eingeführt. tener benannt. „Mehr Eigenständigkeit und Motivation der SuS durch Die Maßnahmen zur individuellen Förderung, die in den individuelle Lernberatung: Hilfe durch Selbsthilfe“ Pilotprojekten der Lernpotenziale-Gymnasien umgesetzt „Schüler-Eltern-Sprechtag: Nur gemeinsam werden, konzentrieren sich zum größten Teil auf die Gestal- kommen wir voran.“ 6 auf einer Skala von 1 = stimmt genau bis 4 = stimmt gar nicht tung des Fachunterrichts. Nach Einschätzung der Befragten Exemplarisch ausgewählte Projektmottos aus der online-Umfrage betreffen die größten unterrichtsbezogenen Neuerungen
Dimensionen individueller Förderung 2 Lernpotenziale entdecken und individuell fördern: Herausforderungen für die Einzelschule Veränderungsprozesse in der Schule Die Praxis individueller Förderung in der eigenen Schule Jedoch hat sich in den zwei Jahren Netzwerkarbeit auch Claudia Solzbacher zu verändern, stellt die daran arbeitenden schulinternen gezeigt, dass die schulinternen Lernpotenziale-Teams, Implementierung individueller Förderung in der Einzel- Lernpotenziale-Teams vor Herausforderungen. Es hat sich die in der Regel aus 2 bis 5 Lehrkräften bestehen, weiter- schule erfordert Abstimmungen im Kollegium Ressourcenorientierung als zentrales Handlungsprinzip gezeigt, dass die Teilnahme am Projekt und insbesondere greifende Veränderungsprozesse nicht allein bewältigen an den Netzwerktreffen die Lehrkräfte bei dieser Entwick- können. Sie benötigen dazu die aktive und steuernde Unter- Ziel des Projektes „Lernpotenziale. Individuell fördern im In unseren8 Studien wurden Lehrkräfte gebeten, ihre De- lungsarbeit unterstützt hat. stützung der Schulleitung — sowohl durch die Beteiligung an Gymnasium.“ ist es, den jeweils unterschiedlichen Lern- finition und ihre Ziele von individueller Förderung zu be- Über 80 Prozent der Befragten gaben an, die schulinter- Planungsprozessen und die verpflichtende Einbindung des und Förderbedarfen von Schülerinnen und Schülern gerech- schreiben. Es dominiert bei diesen Definitionen die indi- ne Zusammenarbeit sei durch die Netzwerkarbeit inten- Themas in die schulischen Gremien und Fachkonferenzen ter zu werden und ihre unterschiedlichen Lernpotenziale viduelle Förderung auf dem Hintergrund einer Stärken-/ siver geworden und jeweils gut 60 Prozent bestätigten als auch durch die Bereitstellung von zeitlichen Ressourcen optimal zu fördern. Schwächen-Analyse der Schülerinnen und Schüler. Im die Aussage, dass sie sich in inhaltlichen Diskussionen (Blockung von gemeinsamen Freistunden ohne Vertretun- Blickpunkt stehen dabei zurzeit eher die Defizite im Lern- zum Thema individuelle Förderung stärker engagieren gen, Freistellungsstunden, Entlastung von Aufsichten…) für Ein solches Projekt bringt große Herausforderungen für stand und grundsätzlich die defizitäre Leistungsfähigkeit und sie Widerständen im Kollegium gelassener begegnen die Entwicklungsarbeit. die Praxis mit sich: Die Schulen müssen zunächst klären, und der Lernstand der Einzelnen/des Einzelnen. Eher we- (vgl. Althoff 2014). Dies spricht dafür, dass die Lehrkräfte was individuelle Förderung überhaupt ist und sein kann, nig ist die Rede von den Neigungen jedes einzelnen Kindes sich durch den Austausch und den inhaltlichen Input auf Um die bisher auf den Weg gebrachten Entwicklungen in denn es gibt zahlreiche Definitionen und Ansätze hierzu, und vom Eingehen auf diese Neigungen. Es dominiert in den Netzwerktreffen, aber auch durch die Zusammenar- Richtung einer Lernkultur individueller Förderung dauer- die natürlich auch mit unterschiedlichen Zielsetzungen den Schulen die individuelle Förderung als die Anpassung beit im schulinternen Lernpotenziale-Team, gegenseitig in haft zu unterstützen, bekommen die Gymnasien auch in verbunden sind. Zudem gehen die teilnehmenden Schu- an Leistungsanforderungen. Dass Heterogenität auch durch ihrer Entwicklungsarbeit bestärken und motivieren. den nächsten drei Jahren die Gelegenheit, ihre im Pro- len damit die Verpflichtung ein, Lernpotenziale erkennen unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Geschlechter Die engagierte Mitarbeit der Lernpotenziale-Kolleginnen jekt Lernpotenziale angefangenen Vorhaben weiterzuent- zu können und Konzepte zu entwickeln, wie man diese oder unterschiedliche soziale Herkünfte und deren je spe- und -Kollegen sorgt somit bereits für zunehmende Verän- wickeln bzw. weitere Prozesse für die individuelle För- je individuellen Potenziale oder Begabungen in Leistung zifische Probleme entsteht, wird dagegen sehr selten wahr- derungen innerhalb der Einzelschulen. Es bilden sich zum derung ihrer Schülerschaft zu initiieren7. überführen kann. Denn fest steht, dass wir im Unterricht genommen und tritt hinter eine vordergründige „Leistungs- Teil neue Teamstrukturen, Mitbestimmungsgremien und nur bereits in Leistung (z. B. beobachtbare Handlungen fähigkeit“ zurück. Wenn aber das Ziel ist, Lernpotenziale zu Fachschaften werden zunehmend in die Projekte zur indi- und Äußerungen) umgesetzte Potenziale erkennen können. entwickeln, dann ist anstelle einer Defizitorientierung eine viduellen Förderung eingebunden und die Kolleginnen und „Ein Konzept kann systematisch entwickelt werden, Um Begabungen in Leistungen zu überführen, bedarf es Ressourcenorientierung gefordert als zentrales pädagogi- Kollegen gewinnen größere Sicherheit im Umgang mit Me- so dass Lehrerinnen und Lehrer sich der Prozesshaftig- sowohl der Bildung der Persönlichkeit — und hier beson- sches Handlungsprinzip, das bei Fachkräften eine Haltung thoden individueller Förderung (vgl. Althoff 2014). keit der individuellen Förderung bewusst werden (z.B. ders der Ausbildung von Selbstkompetenzen (wie Selbstmo- zu einer umfassenden Entwicklungsorientierung voraus- sinnvolle Abfolge von Diagnose; Fördermaßnahmen und tivation, Frustrationstoleranz, Selbstberuhigungsfähigkei- setzt und zwar in Bezug auf die eben genannten Unter- Evaluation des Erfolgs der Maßnahmen mit dem Ergeb- ten etc.) — und geeigneter, d. h. passend gestalteter Lern- schiede der persönlichen und in der Umwelt vorhandenen „Der fachübergreifende Austausch der im engeren nis der eventuellen Modifikation der im Folgenden zu umgebungen sowie eines Schulklimas der Anerkennung. Ressourcen. Spricht man von Ressourcenorientierung in der Netzwerkteam vertretenen Kolleginnen und Kollegen ergreifenden Maßnahmen).“ Hinzu kommt, dass Schule, so wie sie bisher gedacht war, Schule, dann ist damit gemeint, dass zunächst erst einmal fördert die didaktische Diskussion in der Schule ebenso Zitat aus der online-Umfrage zum Nutzen der Projektteilnahme nicht in allen Bereichen auf ein Höchstmaß an Individuali- beobachtet wird, über welche lernrelevanten Ressourcen wie die Einbindung der schulischen Steuergruppe in tät angelegt ist: Die Förderung muss also z. B. so individu- oder Potenziale eine Schülerin oder ein Schüler verfügen, die Umsetzung der Projektziele vor Ort.“ ell wie möglich geschehen, aber immer im Gruppenkontext wie sie aktiviert werden und im weiteren Prozess der Be- Zitat aus der online-Umfrage zum Nutzen der Projektteilnahme gedacht werden, da Schule auf Gruppen ausgerichtet ist. gabungsförderung zum Wohle der Person, zur Problemre- Schulen müssen darüber hinaus einen Weg finden, Individu- duzierung und/oder zu ihrer weiteren effektive(re)n Lern- alisierung und Standardisierung zu harmonisieren. Bei der und Persönlichkeitsentwicklung gezielt genutzt werden Darüber hinaus bestätigen die Umfrageergebnisse, dass Literatur Anwendung von Ansätzen und Materialien werden zudem könnten. Die Umsetzung ist mit einer Sichtweise auf Kin- das Projekt weitere prozessförderliche Rahmenbedin- mitunter strukturelle und systemimmanente Dilemmata der und Jugendliche verbunden, die sich an ihren Stärken gungen geboten hat. Die transparente, prozessorientier- Althoff, K. (2014): Evaluationsbericht der online-Umfrage im Projekt wirksam, wenn zum Beispiel Lehrkräfte vor der Entschei- und Kompetenzen orientiert. Alle Schülerinnen und Schüler te Abfolge der Netzwerktreffen, das Instrument der Ziel- „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ (bisher unveröf- dung stehen, die Leistungen der Kinder an der Individual- haben Begabungen, die es zu finden gilt und an diesen Moti- vereinbarung sowie die qualifizierte Moderation durch fentlicht). norm zu messen und gleichzeitig der Selektionsfunktion vatoren muss angeknüpft werden. ausgebildete Moderatorinnen und Moderatoren legten von Schule nachzukommen. Ebenso die Loslösung von der eine gute Basis für die schulinterne Entwicklungsarbeit Fischer, C. (2014): Individuelle Förderung als schulische Herausforde- reinen Produktorientierung bei der Leistungsbewertung Das verlangt z. B. einen stärkeren Ausbau der Lehrer- (vgl. Althoff 2014). rung. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin. hin zur Dokumentation der individuellen Lernentwicklung Schüler-Beziehung. Man benötigt vielfältige Kenntnisse von Kindern (Prozessorientierung) trägt dieses Dilemma über die Schülerinnen und Schüler. Beratung nimmt einen Kunze, I., Solzbacher, C. (2010): Individuelle Förderung in der Sekundar- in sich. Diese hier beispielhaft angeführten Themen müs- größeren Platz ein, ebenso wie das Eingehen auf unter- stufe I und II. Baltmannsweiler. sen im Rahmen von Schulentwicklung diskutiert werden. schiedliche Neigungen. Konsequenz könnte z. B. auch eine Insgesamt erfordert die nachhaltige und umfassende Imple- veränderte Feedbackkultur und Leistungsbewertung sein, Solzbacher, C. (2013): Impulsvortrag. letzter Aufruf: 16.6.2014: http:// mentierung individueller Förderung in der Einzelschule Ab- bei der Stärken kultiviert und Defizite beziehungssensibel lernpotenziale-gymnasium.de/cms/upload/pdf/Vortrag_Lernpotenzia- stimmungen im Kollegium, unter anderem über die pädago- zurückgemeldet werden (z. B. in Form von Lernentwicklungs- le_Hamm.pdf. gische Orientierung und die daraus folgenden Maßnahmen. berichten). Diese Kultur unterstützt Kinder und Jugendliche 7 Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Broschüre war entschieden, dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW und die Stiftung Mercator 8 mit dem Projekt „Verstetigung Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ Ganztags- und Halbtagsgymnasien mit dem Ziel, die individuelle Universität Osnabrück, Prof. Dr. Claudia Solzbacher, in Kooperation mit dem niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung Förderung dauerhaft als Leitmotiv der Schulkultur zu verankern, für drei weitere Jahre (2015 — 2018) fördern will. (nifbe)
Dimensionen individueller Förderung dabei, ein positives Selbstkonzept aufzubauen. Nach dem stalterinnen und Gestaltern ihres Lernprozesses werden. Auch bei der Konzeptionierung von Extralernzeiten steht Ansatz der Ressourcensichtung und -förderung müsste sich Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler regelmäßig die man nicht selten vor einem Dilemma: Sollen diese vornehm- dann auch ein systematisches und im Idealfall kollektives Gelegenheit haben müssen, ihren Interessen und Neigungen lich den Schwächeren zugute kommen, gewähre ich diese Fortbildungskonzept ausrichten: Was ist denn ressourcen- zu folgen. Und sie müssen gleichzeitig erleben, dass sie im- Zeit denen, die zeigen, dass sie etwas leisten wollen und orientierte Diagnostik und wie kann man ressourcenorien- mer wieder an das obere Niveau ihres Leistungsvermögens auch bereits leisten bzw. wie werden Lernzeiten und Leh- tiert fördern — welche Ansätze und Methoden gibt es hier durch entsprechende Lernaufgaben herangeführt werden. reraufmerksamkeit gerecht verteilt? Dort wo es gelingt, die und wer führt in welchem Fach solche Methoden ein (ggf. in Verschiedenheit der Kinder als Ausgangspunkt des eigenen Form eines Spiralcurriculums beginnend in den Klassen 5)? Auf schulischer Ebene sind aktuell in der Regel nur weni- pädagogischen Handelns zu sehen, erleben Lehrerinnen und ge Maßnahmen zur individuellen Förderung in diesem Sinne Lehrer den Widerspruch zwischen einer Förderung von Ver- Diskussionswürdig bei der Einführung von individueller För- systematisch reflektiert und verankert. Im Unterricht wer- schiedenheit auch im Hinblick auf Leistungsanforderungen derung ist ein weiteres Ergebnis unserer Studien: Wer ge- den sie auch unterschiedlich stark und eher unsystematisch und dem Gleichbehandlungsanspruch weniger. Gerechtig- fördert wird, entscheidet zurzeit die Lehrkraft selbst — es genutzt, wie Lehrer(innen)befragungen ergeben haben. keit ist für sie keine Frage von gleicher Verteilung innerhalb gibt aktuell an vielen Schulen noch keine Gremienkultur. Es Schulinterne Curricula oder andere gemeinsame Vereinba- eines selektiven Systems, sondern eher eine Frage der Aner- gibt zwar mehrere (informelle und formelle) Entscheidungs- rungen existieren nicht in allen Fächern, auch wenn dies kennung unterschiedlicher Bedürfnisse und dem Ziel jedem instanzen, aber eher keine feste Gremienkultur bzgl. der so vorgesehen ist. Wenn überhaupt konkrete Maßnahmen Kind „gerecht“ werden zu wollen. Fallbesprechung jedes einzelnen Kindes. Die innovativen implementiert sind, dann sind diese häufig aus der Teilnah- Schulen, die individuelle Förderung seit langem betreiben, me an Programmen erwachsen, an denen sich die Schule Individuelle Förderung als allgemeines Prinzip schulinterner benennen die Kooperation der Lehrkräfte und besonders die beteiligt hat und aus denen Veränderungen hin zu mehr Lernkultur nachhaltig gestalten ausgefeilte Konferenzkultur zur individuellen Förderung als individueller Förderung resultieren (z. B. die Teilnahme ganz wichtiges Instrument der Schulentwicklung in diese am SINUS-Programm im Fach Mathematik; vereinzelt er- Das erklärte Ziel des Projektes „Lernpotenziale. Individuell Richtung. wähnt wird auch das Methodentraining für Lehrkräfte). Da- fördern im Gymnasium.“ ist deshalb zu unterstützen: In- ran wird deutlich, wie wichtig solche Projekte wie in NRW dividuelle Förderung als allgemeines Prinzip schulinterner „Lernpotenziale. Individuell fördern im Gymnasium.“ sind, Lernkultur nachhaltig zu gestalten, indem bestehende An- Systematisch planen, um anspruchsvoll zu fördern um eine systematische Veränderung von Lernkultur auf sätze individueller Förderung und selbstständigen Lernens Nachdem sich eine Schule über die Ziele und Herausforde- die Dauer zu implementieren. zu einem schulischen Konzept weiterentwickelt werden und rungen individueller Förderung verständigt hat, verläuft der diese über die Laufzeit des Projektes in allen relevanten Prozess der individuellen Förderung im jeweiligen Unter- Denn eines ist wichtig zu betonen: Einige der Probleme wer- Fachgruppen zu etablieren. Dies gilt besonders, wenn man richt idealtypisch in fünf Phasen: den sich bei der geplanten flächendeckenden Umsetzung sich auf die folgende Definition einigen möchte: der Inklusion noch verstärken. 1) Beobachtung/ Diagnostik, „Unter individueller Förderung werden alle Aktivitäten 2) Förderplanung: Auswahl der Methoden und Maßnahmen von Pädagoginnen und Pädagogen verstanden, die mit Zeit haben und Zeit managen als Voraussetzungen für ge- sowie Leistungsfeststellung und -bewertung, der Intention erfolgen, die Persönlichkeitsentwicklung rechte Förderung 3) Durchführung der Methoden und Maßnahmen von indivi- und die Entfaltung der Fähigkeiten und Begabungen eines dueller Förderung, Viele Lehrkräfte wünschen sich für die hier nur grob ge- jeden Kindes zu unterstützen. Ausgangspunkt sind die Le- 4) Evaluation der Maßnahmen sowie schilderten Herausforderungen mehr Zeit bzw. einen be- benswelt des Kindes, seine spezifischen Bedürfnisse und 5) die kontinuierliche Dokumentation der Phasen 1 bis 4. wussten und flexiblen Umgang mit Zeit und entsprechen- die Bewältigung seiner Entwicklungsaufgaben. Grundle- de strukturelle Rahmenbedingungen. Eine solche flexiblere gend sind die Pädagog(innen)-Kind-Beziehung und deren Für individuelle Förderung in der Schule steht ein großer Kanon Zeitgestaltung liegt zum Teil in der Eigenverantwortung der Reflexion. Individuelle Förderung orientiert sich an den unterschiedlicher und zum Teil auch zunächst konzeptionell Schulen und sollte hier konsequenter auf die Agenda gesetzt Ressourcen des Kindes. Grundorientierung ist der Res- unverbundener Ansätze und Methoden der Diagnostik und För- werden. Die Ausgestaltung der Schulen in Ganztagsschulen pekt vor Vielfalt (Diversity). Ziel ist die Umsetzung eines derung zur Verfügung. Auf der Ebene der Förderung sind das bietet weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Besonders die ganzheitlichen Bildungsanspruchs. Die Professionalität z. B.: Förderunterricht, fachbezogene individuelle Beratung Beziehungsgestaltung als wichtige Grundlage von Lernen der Pädagoginnen und Pädagogen besteht darin, eine der Schülerinnen und Schüler, Binnendifferenzierung, Frei- benötigt Zeit. Auch die Entwicklung der Selbstkompetenz geeignete Lernumgebung zu arrangieren, die das Kind arbeit, Wochenplanarbeit, individualisierte Lernaufgaben, als wichtigste Voraussetzung für Potenzialentfaltung läuft anregt, seine Entwicklung selbstständig zu gestalten.“ Kompetenzraster, Schüler(innen)selbstbeurteilung, Schüler - maßgeblich über Lehrer-Schüler-Beziehungen: Lernen ist (Solzbacher, Behrensen, Sauerhering, Schwer 2012 und (innen)mitbeurteilung,Lernverträge/Lernbriefe, Lerntage- ohne Emotionen nicht zu haben. Emotionen sind besonders Kunze, Solzbacher 2008) Dass die Einzelschule hierfür bücher, systematische Beobachtung, Förderpläne,Portfolio, in Beziehungen erlebbar — negativ wie positiv. Lernför- Partner benötigt, ist offensichtlich: Schulen in Netzwer- Enrichment (z. B. Anreicherung des Stoffes, sog. Drehtür- derlich sind eine Atmosphäre und Haltung der Wertschät- ken können z.B. ihre Erfahrungen mit gelungenen An- modell), Akzeleration (z. B. Überspringen von Klassen), zung — den Schülerinnen und Schülern gegenüber aber sätzen austauschen. Nicht alle müssen das Rad (d. h. z. B. Literatur Schüler(innen)reflexionsbögen etc. Aufgrund wissenschaft- auch der Lehrkräfte untereinander, die auch das Schulkli- Konzepte, Materialen etc.) neu erfinden. Speziell ausge- licher Analysen können wir grundsätzlich sagen, dass ein ma prägen. Beziehungen finden heute aber unter Zeitdruck bildete Moderatoren und Moderatorinnen können beratend Kunze, I., Solzbacher, C. (2008): Individuelle Förderung in der Sekundar- Unterricht besonders erfolgreich ist, der viele Phasen be- statt, klagen die Lehrkräfte und dies führt zu Fragen von zur Seite stehen und alle zusammen können die professio- stufe I und II, Baltmannsweiler, 4. unveränderte Auflage 2012. inhaltet, in denen Schülerinnen und Schüler zu aktiven Ge- Verteilungsgerechtigkeit der Lehrer(innen)aufmerksamkeit. nell erlebten dafür notwendigen Gelingensbedingungen mit den für Bildungspolitik Verantwortlichen besprechen. Solzbacher, C., Behrensen, B., Sauerhering, M., Schwer, C.(2012): Je- Denn ohne veränderte Rahmenbedingungen sind derart an- dem Kind gerecht werden? Sichtweisen und Erfahrungen von Lehrkräf- spruchsvolle Ziele nachhaltig nicht zu erreichen. ten. München. 14 15
Dimensionen individueller Förderung 3 Stärkenorientierung in Schule und Unterricht Ulrike Stadler-Altmann Mit der Frage nach der gezielten Förderung von Schülerinnen werden, mittels pädagogischer Diagnostik das Selbstkonzept Das Interventionsprojekt KOMPASS hatte ebenfalls die Stär- Ebenso positive Ergebnisse zeigt die Evaluation des Mo- und Schülern hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsentwicklung und die Selbstwirksamkeitsüberzeugung ihrer Schülerinnen kenförderung der Schülerinnen und Schüler zum Ziel (vgl. dellversuchs KOMPASS. Hier sind zusammengefasst vier und ihrer Lernpotenziale haben sich Forscherteams in zwei und Schüler wahrzunehmen. Dann kann es möglich sein, in Scheunpflug, Stadler-Altmann & Zeinz 2012). Hier sollte Hauptergebnisse hervorzuheben, die sich zu Stärkung des Schulforschungsprojekten auseinander gesetzt: im Projekt Lernberatung und individueller Förderung die Schülerinnen durch eine systematische Veränderung der Lern- und Schul- Selbstkonzepts gezeigt haben (detailliert in: Scheunpflug, „Selbstkonzept fördern durch lernplankonforme Förderung“ und Schüler bei der positiven Entwicklung ihres Selbstkon- kultur Lernmotivation und Leistungen der Schülerinnen Stadler-Altmann & Zeinz 2012, S. 160 — 179): (SELF; vgl. Sacher, Stadler-Altmann 2005, 2006), und im Mo- zepts und ihrer Selbstwirksamkeit zu unterstützen. und Schüler verbessert werden. Zentrale Ansatzpunkte dellversuch „Kompetenz aus Stärke und Selbstbewusstsein“ sind dabei das Schulleben und das Unterrichtshandeln. • Bessere Bewältigung des Übertritts in die weiter führen- (KOMPASS; vgl. Scheunpflug, Stadler-Altmann, Zeinz 2012). Damit wurde im Projekt zum einen auf eine umfassende- den Schulen. Erfolgreiche Stärkenförderung Gemeinsam mit den Lehrkräften der beteiligten Schulen re Förderung von Schülerinnen und Schülern, vor allem im • Abfederung der Selbstwert- und Interessenseinbußen wurden Unterrichtkonzepte und Schulprojekte entspre- Die genannten Schulforschungsprojekte verfolgen beide das Hinblick auf Lernfreude, Selbstwertgefühl, Motivation und in den achten und neunten Jahrgangsstufen. chend der jeweiligen schulischen Ausgangslage erarbeitet. Ziel, Schülerinnen und Schüler zu bestärken. Das Projekt Kompetenzen, gezielt. Zum anderen sollte die Stärkenför- • Nachhaltige Effekte einer Stärkenförderung in der Ihr Anliegen war es, die Schülerinnen und Schüler in ihren SELF entstand im Zusammenhang einer Suchtpräventions- derung der Schülerinnen und Schüler durch die Veränderung Sekundarstufe I. individuellen Fähigkeiten und Interessen zu bestärken. Die kampagne für die sechste Jahrgangsstufe an Gymnasien. der Schulkultur von einer Defizitorientierung hin zu einer • Positive Entwicklungen im Lehrerkollegium hinsichtlich Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zeigen, Da aus der Präventionsforschung (Barth 1998; Botvin 2000) auf Anerkennung der Schülerinnen und Schüler ausgerichte- der individuellen Berufszufriedenheit und des Zusam- dass diese Stärkenförderung insbesondere dann erfolgreich bekannt ist, dass Furchtappelle nicht den erwarteten ten Wertschätzung erreicht werden. menhalts im Kollegium. ist, wenn es gelingt, das jeweilige Selbstkonzept und die Erfolg zeigen, stand die Förderung des Selbstkonzepts Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler anzuspre- der Schülerinnen und Schüler im Zentrum des beforsch- Als Anregung aus beiden Projekten lässt sich festhalten, Ergebnisse und Anregungen chen. ten Präventionskonzepts. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die positive Verstärkung des Schüler(innen)selbstkon- dass ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept Sucht und Bei beiden Projekten zeigen die Ergebnisse der wissen- zepts und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Schüle- Suchtverhalten verhindern kann (vgl. Sacher & Stadler- schaftlichen Begleituntersuchung, dass die Stärkenför- rinnen und Schüler sie in Schule und Unterricht erfolgreich Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit Altmann 2005). Der primärpräventive Ansatz des Projekts derung der Schülerinnen und Schüler dann gelingt, wenn machen kann. Unter Erfolg wurde in beiden Projekten So wie sich in der Schulzeit das Wissen und die Fähigkeiten SELF setzt deshalb auf eine Vorbeugungsstrategie. Diese ihr Selbstkonzept und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung die Erhöhung der motivationalen Aspekte (z. B. Lern- und der Schülerinnen und Schüler entwickeln, entwickeln sich stellt die Förderung der Lebens- und Handlungskompe- angesprochen und positiv beeinflusst werden. Schulfreude), der positiven Wahrnehmung des Schul- und auch ihre Persönlichkeit und Lernfähigkeit. Dabei scheinen tenzen der einzelnen Schülerinnen und Schüler mittels Klassenklimas und die Verbesserung der Schulleistung ver- nicht nur die kognitiven Voraussetzungen den Schul- und ressourcenorientierter Stärkung in Schule und Unterricht Aus der vielfältigen Datenbasis des SELF-Unterrichts- standen. Dabei sind in beiden Projekten Elemente der Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen zu beeinflussen. Das in den Mittelpunkt der Maßnahme. Gleichzeitig stärkte SELF projekts kann ein differenziertes Bild der Selbstkonzept- individuellen Förderung, der Lernberatung und der pädago- Selbstkonzept (vgl. im Überblick: Mummendey 2006) und das Selbstkonzept der Kinder und Jugendlichen, indem es verbesserung bei Elf- bis Dreizehnjährigen gezeichnet gischen Diagnostik zum Einsatz gekommen. Aus dem Projekt die Überzeugung von der eigenen Selbstwirksamkeit (vgl. die spezielle Unterrichtsmethodik der neuen Lehr-Lern- werden. Die statistische Überprüfung des Effektes der SELF wurde zudem ein Instrument für die pädagogische Di- Bandura 1997) haben ein hohes Erklärungspotential für die Kultur nutzte (vgl. Stadler-Altmann, Schindele & Schraut Intervention berücksichtigt sowohl Persönlichkeitsmerk- agnostik entwickelt, das es einer Lehrkraft erleichtern soll, Persönlichkeitsentwicklung und das Verhalten eines Men- 2008). Um die thematische und methodische Fokussierung male der einzelnen Schülerinnen und Schüler, als auch das Schüler(innen)selbstkonzept in ihrer Klasse, d.h. die schen. Übereinstimmend hat sich in allen Forschungszusam- auf ein Kernfach zu vermeiden, wurden die Schülerinnen unterschiedliche Kontextbedingungen in den Klassen Ausprägungen des Selbstkonzepts ihrer Schülerinnen und menhängen die Erkenntnis durchgesetzt, dass jeder Mensch und Schüler fächerübergreifend in das Projekt eingebunden. (Sacher & Stadler-Altmann 2006). Es zeigt sich, dass Schüler einzuschätzen: ein Wissen über sich selbst hat, dieses mit zunehmendem Dazu wurden für die Fächer Deutsch, Natur und Technik die Intervention/das Unterrichtsprojekt SELF unter be- Alter ausdifferenziert und, dass sein Handeln bewusst oder (Biologie), Musik, Kunst und Sport einzelne Unterrichtsmo- stimmten Bedingungen erfolgreich ist. Hier ist insbeson- • Als Klassen mit höchstwahrscheinlich unterdurchschnitt- unbewusst durch dieses Wissen beeinflusst wird. Aktuelle dule erstellt. dere die Ausgangslage der jeweiligen Klasse von Bedeutung. lichem Schüler(innen)selbstkonzept können solche gel- Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die gezielte Förde- ten, in denen weniger als 60 Prozent der Schülerinnen rung von Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit in Schule und Die Stärkenförderung im Unterricht kann sich allerdings Auf der Individualebene wurde in einem Mehrebenen- und Schüler einen Notendurchschnitt unter 2,25 (d.h. Unterricht mittel- und langfristig positiv auf den Schulerfolg nur dann selbstkonzeptwirksam auswirken, wenn die Schü- design und mittels Pfadanalysen die Korrelation zwischen besser als 2,25) in den Hauptfächern (Deutsch, 1. und von Schülerinnen und Schülern auswirken kann (vgl. Stad- lerinnen und Schüler auf einer Individualebene (vgl. im Klassen-/Schulklimawahrnehmung, Schülerselbstkonzept 2. Fremdsprache, Mathematik) haben. Eine Klassifikati- ler-Altmann, Zeinz, Scheunpflug & Dresel 2010). Modellhaft Überblick: Filipp 2006) erreicht werden und sich im Zu- und Noten überprüft. Dabei stellte sich — erwartungsge- on nach diesem Kriterium ist bei den SELF-Daten zu ca. lässt sich diese Bestärkung und positive Veränderung mit stand der Selbstaufmerksamkeit (Hannover 1997) befinden. mäß — heraus, dass die direkte Wirkrichtung vom Klima 86 Prozent richtig. dem Schülerselbstkonzept (Stadler-Altmann 2010) beschrei- Dabei ist das Unterrichtsgeschehen (vgl. Jerusalem 1997) auf die Noten minimal ist. Es zeigt sich vielmehr, dass ben. Dieses ermöglicht es, die fortschreitende Selbstkon- als zentrale Komponente zu betrachten. Die Wahrnehmung das Klima indirekt, d.h. vermittelt über das Schülerselbst- • Als Klassen mit höchstwahrscheinlich überdurchschnittli- zeptualisierung im Jugendalter und im Rahmen von Schule des Klassen- und Schulklimas (vgl. Eder & Mayr 2000) der konzept, auf die Noten wirkt (vgl. Stadler-Altmann 2010, chem Klassenklima können jene gelten, in welchen min- und Unterricht genauer zu fassen. einzelnen Schülerinnen und Schüler muss dabei verstärkt S. 137). Für die Schulwirklichkeit und den Unterrichtsalltag destens 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler beim in den Blick genommen werden. Diese Aspekte sollten da- bedeutet dies, dass es sich lohnt, in das Klima, speziell in nachstehenden (aus fünf Fragen bestehenden) Frage- Die Möglichkeit, das Selbstkonzept durch bestimmte Situa- her auch gezielt in die Unterrichts- und Schulentwicklung das Klassen- und Unterrichtsklima, zu investieren. Dadurch bogen zum „Lehrerklima“ (Tab. 1) einen Summenwerte tionen, Stimmungen und Atmosphären (detailliert in: Han- einfließen. Dabei sollten sowohl Schülerinnen und Schüler, wird nicht nur der soziale Zusammenhalt in der Klasse ge- über neun erreichen. Die damit erreichte Prognosesicher- nover 1997) oder die Möglichkeit der Verfolgung selbstge- Lehrkräfte als auch Eltern einbezogen werden. stärkt, sondern auch die Leistung der Schülerinnen und heit liegt bei ca. 85 Prozent. setzter Ziele positiv zu beeinflussen (vgl. Scheunpflug, Zeinz Schüler positiv beeinflusst — ein Zusammenhang, der auch & Stadler-Altmann 2012), kann für Schule und Unterricht in der aktuell diskutierten Hattie-Studie (vgl. Hattie 2002, genutzt werden. Dabei müssen Lehrkräfte zunächst befähigt dt. Version 2013) gezeigt wird.
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