Fi - Alpenverein München & Oberland

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Fi - Alpenverein München & Oberland
SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                           SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                                                                                     Bergfilm
                        Foto: Credit picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection

                                                                                                                                                                                Berge in Bewegung

                                                                                                                                                                                „Overtourism“, „Laufsteg Berg“, „Schutzgebiete“. Nach
                                                                                                                                                                                 einigen mehr oder minder kontroversen Schwerpunkt-
                                                                                                                                                                                 themen widmet sich diese alpinwelt-Ausgabe einem
                                                                                                                                                                                 vermeintlich harmlosen Thema: dem „Bergfilm“. Ver-
                                                                                                                                                                                 meintlich deshalb, weil kein anderes Medium eine
                                                                                                                                                                                 vergleichbare Macht besitzt, das Bild unserer Leiden-
                                                                                                                                                                                 schaft zu prägen: Bisweilen stellt schon das Anschauen
                                                                                                                                                                                 eines Dokumentarfilms berufliche Weichen, wie wir
                                                                                                                                                                                 im Doppelinterview mit einer Regisseurin und einer
                                                                                                                                                                                 Kamerafrau (S. 28–33) erfahren. Alles andere als harm-
                                                                                                                                                                                 los geht es auch in den meisten Kletter- und Skifilmen
                                                                                                                                                                                 zu, weshalb wir versuchen, einen Blick hinter die Ku-
                                                                                                                                                                                 lissen solcher Actionproduktionen (S. 36–39) zu werfen.
                                                                                                                                                                                 Und die große alpine Spielfilm-Retrospektive (S. 16–23)
                                                                                                                                                                                 hinterfragt zu Recht, wo eigentlich die Frauen im Berg-
                                                                                                                                                                                 film bleiben. In diesem Sinne: Film ab!

                                                                                                                Charlie Chaplins „Goldrausch“ von 1925 wird selten
                                                                                                                zum einschlägigen Bergfilm-Kanon gezählt. Dabei

                                                                                                                                                                                                                                             alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                dreht sich das gesamte Genre eigentlich bis heute
                                                                                                                um dieses Thema: Jemand sucht sein Glück in den
                                                                                                                Bergen, und macht sich dabei mehr oder weniger
                                                                                                                zum Clown.

                                                                                                           14                                                                            15
Fi - Alpenverein München & Oberland
Es war ein Vortrag, der auf ganzer Linie überraschte. Es war 2013,
 SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                                                                                                           beim jährlichen Fachübungsleiter-Symposium des Alpenvereins
                                                                                                                                                                                           München & Oberland, das Thema mutete zunächst eher trocken an:
                                                                                                                                                                                          „Konflikte – Erfolgreich Gruppen leiten mit themenzentrierter Inter-
                                                                                                                                                                                           aktion“. Aber dann: Auf dem Podium zeigte Manfred Huber, Dozent
                                                                                                                                                                                           vom Institut Gauting, alte Spielfilmausschnitte in Schwarz-Weiß
                                                                                                                                                                                           und setzte sie dann in einem großen Wurf in den Kontext zu Grup-
                                                                                                                                                                                           pendynamik, Persönlichkeitsentwicklung und zur „Heldenreise“ als
                                                                                                                                                                                           Schema menschlicher Erfahrung. Luis Trenkers Liebesbriefe aus dem
                                                                                                                                                                                           Engadin von 1938 als Vorlage für modernes Konfliktmanagement?

                                                                                                                                                                                                  Film ab: Ein Zug rauscht durch ein tief verschneites Tal.
                                                                                                                                                                                           Schnitt. Im Inneren des Waggons sitzt ein mondänes Stadtmädel in
                                                                                                                                                                                           weichen Kissen. Schnitt. Oberhalb tobt ein wildes Abfahrtsrennen,
                                                                                                                                                                                           auf meterlangen Holzlatten über die unverspurten Steilhänge. Stür-
                                                                                                                                                                                           ze im Schnee. Eine Raserei in Weiß. Doch immer wieder entkommt
                                                                                                                                                                                                                                                                    Ein und dasselbe Erzähl-
                                                                                                                                                                                           der schneidige Toni Anewanter (Luis Trenker) seinen Verfolgern.          schema für Filme ganz
                                                                                                                                                                                           Er will, er muss den Zug erreichen, in welchem sein Gspusi gerade
                                                                                                                                                                                           davonflitzt. Dann bricht ein Ski entzwei, jetzt hängt der Toni fest.
                                                                                                                                                                                                                                                                    unterschiedlicher Couleur?
                                                                                                                                                                                           Rafft sich auf. Klaut einen Ski, irgendwoher – weiter geht’s. Hinauf     Das funktioniert.
                                                                                                                                                                                           und hinab. Hin und her. Fast zehn Filmminuten dauert die Hatz
                                                                                                                                                                                           über die Hänge, ein bis heute gern wiederholtes Motiv des Bergfilms
                                                                                                                                                                                           (James Bond!). Und doch stecke in diesen Szenen weit mehr, erklär-                                                              „Gemäß Campbell ist die Heldenreise
                                                                                                                                                                                           te Huber dann. Die Zugfahrt im Tal im Schnitt gegen die gleißenden                                                        ein uraltes Erzählprinzip, ein Destillat, das

                                                                          Foto: picture alliance / akg-images
                                                                                                                                                                                           Gipfel: der Kontrast von Stadt und Natur. Oben die lebendige Jagd in                                                      auf psychologischen menschlichen Erfah-
                                                                                                                                                                                           einer fremden Bergwelt voller Abenteuer: die Welt der Freiheit, die                                                       rungen beruht“, sagte Manfred Huber. Be-
                                                                                                                                                                                           neue Welt. Unten im Tal die Zivilisation, in der es routiniert wie auf                                                    einflusst von der Tiefenpsychologie und
                                                                                                                                                                                           Schienen läuft, eine industrialisierte Komfortzone – schon damals.                                                        von C. G. Jung gliederte Campbell das Sche-
                                                                                                                                                                                           Die urbane Welt: Im Bergfilm ist sie die Welt des Mangels und des                                                         ma für diesen Weg der Wandlung in zwölf
                                                                                                                                                                                           Unglücklichseins. Grund genug für Sinnsuche und Aufbruch ins                                                              Stationen. Ein Schema, das in gestraffter
                                                                                                                                                                                           Ungewisse: So beschreibt es Mythenforscher Joseph Campbell (1904                                                          und reduzierter Form auch für Film-Dreh-
                                                                                                                                                                                           bis 1987) in seinem 1949 erschienenen Buch „Der Heros in tausend                                                          bücher gilt: Ein Protagonist („Held“) macht
                                                                                                                                                                                           Gestalten“. Er skizziert die ewige Suche des Menschen nach Erfolg,                                                        sich auf, ein Ziel zu erreichen. Er kommt vo-
                                                                                                                                                                                           Glück und Veränderung, mit allen Irrungen und Wirrungen auf dem                                                           ran, trifft Helfer und Mentoren, Gegner und
                                                                                                                                                                                           Weg zum Ziel. Es ist das Prinzip der Heldenreise. Auch genannt:                                                           Widerstände. Er erlebt Wendungen, Krisen,
                                                                                                                                                                                          „The Quest“.                                                                                                               Schmerzen, Verluste, Konflikte, dann den
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Punkt, der eine Umkehr unmöglich macht –
                        in Weiß
                        Raserei

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     bis schließlich der Gipfel erreicht, die Rück-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     kehr ins Tal geglückt, die Trophäe, der Gral,

                                                                                                                                                                                                                                                                              Foto: picture alliance / akg-images:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     das Elixier, die Weltformel, das Allheilmit-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     tel errungen, die Frau/der Mann des Lebens
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     gefunden oder das Böse besiegt ist.
                                    Der Bergfilm gilt als deutsches Genre,
                                     begründet von Pionier Arnold Fanck.                                                                                                                                                                                                                                                    Die Zyklen der Heldenreise finden
                                  Das Bild der alpinen Helden und der Berge                                                                                                                                                                                                                                          sich in der Bibel oder in Sagen der Antike,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     in Shakespeares Dramen, Grimms Märchen
                                   selbst hat sich seither stetig gewandelt.                                                               Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     und in Hollywood-Blockbustern wie Matrix,
                                               Text: Franziska Horn                                                                                                                                                                                                                                                  Star Wars, Pretty Woman, Titanic, Herr der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Ringe oder Harry Potter. Ein und dasselbe
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Erzählschema für Filme ganz unterschied-
                                                                                                                Steile Karriere: Der von                                                                  Neben Arnold Fanck
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     licher Couleur? Das funktioniert. Im wahren
                                                                                                                Arnold Fanck am Arlberg                                                                   prägte vor allem der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Leben kann schon eine einzelne Bergtour
                                                                                                                gedrehte Tonfilm Der                                                                   Südtiroler Luis Trenker

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                weiße Rausch – neue Wun-                                                                (1892–1990) die Früh-                                                                                        zur Heldenreise werden, ein Kletterkurs
                                                                                                                der des Schneeschuhs                                                                     phase des deutschen                                                                                         oder eine Ausbildung zum Fachübungs-
                                                                                                                wurde 1931 im Ufa-Palast                                                                             Bergfims.                                                                                       leiter. Der erste Achttausender. Oder alle
                                                                                                                in Berlin uraufgeführt.                                                                                                                                                                              vierzehn?

                                                        16
Fi - Alpenverein München & Oberland
Zurück zum Film. In Liebesbriefe aus dem        Liskamm hinauf- und wieder hinunterarbeiten. 1923 folgte der
 SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              SCHWERPUNKT BERGFILM
                        Engadin führte Trenker Regie, schrieb das       Stummfilm Berg des Schicksals, für Luis Trenker die erste Hauptrolle
                        Drehbuch, spielte den Protagonisten. Ge-        überhaupt. Der muss hier ein No-Mountains!-Versprechen brechen,
                        lernt hat er zuvor bei Altmeister Arnold        um eine Jugendfreundin zu retten. In Berlin sieht die 21-jährige
                        Fanck, dem Bergfilmpionier schlecht-            Leni Riefenstahl (1902 bis 2003) den Film und bewegt Fanck dazu,
                        hin. Schon 1931 hatte Fanck in Der weiße        eine Rolle für sie zu schreiben: 1926 spielt sie in Der heilige Berg die
                        Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs ein       Tänzerin Diotima, eine Frau zwischen zwei Männern. Eine Kons-
                        Verfolgungsrennen seiner Hauptdarsteller        tellation, die sich wiederholt, vor der Kamera und auch dahinter.
                        Hannes Schneider, Guzzi Lantschner – und        Für die beiden Berghelden, gespielt von Luis Trenker und Ernst
                        Leni Riefenstahl als „Schibaby“ – insze-        Petersen, geht das im Film nicht gut aus. Auch in Fancks erstem
                        niert. Der Geologe Fanck (1889 bis 1974) gilt   Tonfilm von 1928, Stürme über dem Mont Blanc, wirken die bewähr-
                        als Erfinder des Bergfilm-Genres. Er hatte      ten Zutaten: die Bergwelt als Akteur, Pathos und Mystik, eine Ver-                                                                                                                                                                                                            „Der Karl erfriert doch!“ – Maria
                        früh erkannt, dass es nicht genügt, Berge       folgungsjagd, eine Frau zwischen zwei Männern und der Berg, der                                                                                                                                                                                                                Leni Riefenstahl) erhofft Hilfe vom

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Foto: picture alliance / akg-images
                        dokumentarisch abzufilmen, um die Mas-          Prüfungen in Form von Unwettern schickt. Im selben Jahr erscheint                                                                                                                                                                                                              angeschlagenen Dr. Krafft (Gustav
                        sen ins Kino zu holen. Also entwickelte er      Fancks wohl packendster Film, Die weiße Hölle vom Piz Palü. Beim                                                                                                                                                                                                               Diessl). Mächtige Natur und mensch-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       liche Dramen sind die Zutaten für
                        eine Spielhandlung und setzte den Men-          Dreh lässt Fanck eine Schneewand oberhalb von Leni Riefenstahl
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Die weiße Hölle vom Piz Palü von
                        schen als „Bezwinger“ in ein Spannungs-         absprengen, um Dramatik zu erzielen. Wieder setzt er seine Darstel-                                                                                                                                                                                                            Fanck, 1929. Der riskante Dreh fand
                        verhältnis zum Berg, oft unter Einsatz von      ler hohen Gefahren aus. Der Protagonist muss leiden, so lautet eine                                                                                                                                                                                                            an originalen Schauplätzen im Ber-
                        Lebensgefahr – das galt für den Film-Plot       Drehbuch-Regel gemäß Heldenreise. Im Film versucht Dr. Johannes                                                                                                                                                                                                                nina-Massiv statt – ein Must-see für
                        ebenso wie für die Dreharbeiten vor Ort.        Krafft (Gustav Diessl) immer wieder, die Nordwand des Piz Palü zu                                                                                                                                                                                                              Bergfilmfans!
                        So gelang beides: monumentale Gipfel auf        besteigen, wo seine Frau einst in einer Spalte starb. Dabei trifft er
                        Zelluloid zu bannen – und die Zuschauer         auf ein junges Paar mit demselben Ziel, so entsteht eine Schicksals-
                        durch ein emotionales Narrativ. Dabei griff     gemeinschaft, in der Riefenstahl – genau! – einmal mehr zwischen
                        er durchaus auf romantisierende Veduten         zwei Männern steht. Stürme, Steinschlag und Lawinen beschleuni-                                                                          Trio infernale: Fanck, Trenker, Riefenstahl
                        im Sinne von Caspar David Friedrich zu-         gen Handlung und Dramatik. Krafft findet schließlich Erlösung und
                        rück, aber auch auf moderne Technik. Mit        Katharsis, indem er das Paar quasi als Kompensation retten kann,                                                                         Apropos Politik: Der frühe deutsche Bergfilm war stets politischer                  Als Reaktion auf die Traumata des Zweiten Weltkriegs entsteht
                        Kameramann Sepp Allgeier (1895 bis 1968)        während er sich selbst opfert und am Berg erfriert – in der Nähe                                                                         Instrumentalisierung ausgesetzt. 1932 entsteht der in Südtirol an-           in den Nachkriegsjahren bis ca. 1960 der Heimatfilm mit rund 300
                        setzte Fanck Filmtechniken wie die „ent-        seiner toten Frau. Im Tode vereint. Fanck habe, heißt es später, mit                                                                     gesiedelte Film Der Rebell, dem Leben von Nationalheld Andreas               deutschsprachigen Produktionen. Was diese verbindet: Berge sind
                        fesselte Kamera“ ein, um die Schwenks dy-       seinen Heldenepen der Weimarer Republik einer durch den Ersten                                                                           Hofer nachempfunden. Drehbuch, Regie, Hauptdarsteller: Luis                  hier nicht mehr Bedrohung, sondern heile Welt und Sehnsuchts-
                        namischer zu gestalten, und gründete eine       Weltkrieg gedemütigten Nation neuen Aufwind verschafft.                                                                                  Trenker. Hitler soll den Streifen mehrmals gesehen und wegen                 ort. Eine einfache Welt, in der das Traditionelle häufig klischeehaft
                        eigene Produktionsgesellschaft namens                                                                                                                                                    der nationalen Gesinnung hoch gelobt haben, Goebbels erhob den               und heimattümelnd stilisiert wird, oft mit seichter Spielhandlung.
                        Berg- und Sport-Film GmbH. Um diese he-                                                                                                                                                  Film zum „Vorbild“. Im gleichen Jahr bringt Riefenstahl als Varia-           Es geht um das Wildern oder den Erbstreit, das Gute und das Böse
                        rum entstand die Freiburger Schule, deren                                                                                                                                                tion eines Urmythos Das blaue Licht heraus und gibt das als Regie-           werden scherenschnittartig getrennt. Manche Streifen kommen
                        Kameramänner sich für damalige „Extrem-                                                                                                                                                  debüt aus. Doch verantwortlich für die Regie ist Béla Balázs, den            als romantisierendes Rührstück daher, darunter Verfilmungen von
                        sportarten“ wie Skilaufen, Skispringen und
                                                                        „Fanck gelang beides: monu-                                                                                                              sie nachträglich um Honorar und Anerkennung bringt. Von Fanck                Ludwig-Ganghofer-Romanen, z. B. Das Schweigen im Walde, eine
                        Bergsteigen begeisterten. Dafür schleppte       mentale Gipfel auf Zelluloid zu                                                                                                          hat Riefenstahl in Sachen Körperkult, Heroisierung und Glorifizie-           Romanze zwischen der blonden Sennerin Lore (Belinda Mayne) und
                        Allgeier seine Zehn-Kilo-Kamera auf den                                                                                                                                                  rung der Protagonisten dazugelernt, Anhänger der faschistischen              dem schnöseligen Graf Ettingen (Alexander Stephan), der prompt
                        Berg und ließ sie auch mal von Lawinen
                                                                         bannen – und die Zuschauer                                                                                                              Ideologie ist Fanck jedoch nicht. Mit Der Berg ruft (1938) zementiert        eine Wandlung (Heldenreise!) durchmacht hin zum geläuterten
                        überrollen.                                      durch ein emotionales Narrativ.“                                                                                                        Luis Trenker sein Image vom heimatduseligen Naturburschen für                Waldbesitzer – gedreht im Berchtesgadener Land. Und wer erin-
                                                                                                                                                                                                                 alle Zeiten. Doch während sich Trenker 1940 der NSDAP anschließt,            nert sich noch an den schlimmen „Huisentoni“ (Siegfried Rauch)

                                                                                                                                                                  Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian
                              Die Berge selbst boten ein reiches In-                                                                                                                                             tut Riefenstahl das nicht und reüssiert trotzdem beruflich. Fanck            aus Der Jäger von Fall (1974)? Ähnlich trivial geht es in Der Förster
                        ventar für gute Geschichten und imposan-                                                                                                                                                 wiederum hatte sich früh von der NSDAP distanziert und fällt da-             vom Silberwald mit Rudolf Lenz zu (Österreich, 1954), mit rund 28
                        te „Berghelden“: für äußere Kämpfe gegen                                                                                                                                                 raufhin in Ungnade. Als er 1940 doch noch beitritt, im Versuch einer         Millionen Kinobesuchern ein Klassiker und Kassenschlager des
                        Schneesturm, Lawinen, Gletscherspalten,                                                                                                                                                  späten Anbiederung, ist es zu spät. Hitler propagiert Riefenstahl,           Heimatfilms, in dem die Kritiker „eine durchschnittliche Schnul-
                        Verletzungen, große Kälte oder Konkurren-                                                                                                                                                Goebbels fördert Trenker. Fanck, der den Berg für die Massen er-             ze mit stereotyper, konventioneller Handlung“ sahen. Anders als
                        ten. Oder für die noch größeren inneren                                                                                                                                                  schlossen, das Skilaufen populär und eine ganze Industrie angeregt           bei Fanck, wo der Berg als Akteur dem Menschen seine harschen
                        Kämpfe – wie Verbote, Ängste, Konflikte. Bei                                                                                                                                             hat, stirbt verarmt. An ihm orientieren sich zahllose Filmemacher            Gesetzmäßigkeiten aufzwingt, ist der Blickwinkel im Heimatfilm
                        Fanck häufig zentral: der Konflikt Mensch                                                                                                                                                bis heute, darunter Willy Bogner (Fire & Ice), Leo Dickinson und             touristisch, der Berg eine passiv-liebliche Kulisse – aber auch hier
                        gegen Berg. So müssen sich in Im Kampf mit                                                                                                                                               Reinhold Messner.                                                            schon ein mitunter gefährdetes Stück Natur.
                        dem Berge (1921) Hannes Schneider und Ilse
                        Rohde durch spaltenreiche Gletscher den

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                                                                                                                 „Stets politischer Instrumentalisierung ausgesetzt“: Der frühe
                                                                                                                                                                                                                  Bergfilm und seine beiden Protagonisten Arnold Fanck
                                                                                                                                     Foto: picture alliance/dpa

                                                                                                                                                                                                                  (1889–1974) und Leni Riefenstahl (1902–2003). In sechs seiner
                                                                                                                                                                                                                  Filme spielte sie eine Hauptrolle.

                                                                                                                                                                                                                                                                                         19
Fi - Alpenverein München & Oberland
SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             SCHWERPUNKT BERGFILM
                        Moderner Bergfilm: außen heil, innen Hölle
                         Ende der 1970er-Jahre folgt die Phase des modernen Heimat- oder                                       Und Hollywood? Wo die Fiktion versucht, das Leben zu über-                                                                                                                                                                                   Zurück zum Spielfilm: Anders als Hollywood zeigt der deut-                                  (2010) aus – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Action-
                         Bergfilms, die bis heute andauert. Seine Themen zeigen sich nun                                treffen, kann es schon mal absurd zugehen, wie Cliffhanger (1993)                                                                                                                                                                            sche Bergfilm interessantere neue Ansätze. In Nordwand (2008)                                      streifen –, erreicht aber deutlich mehr: Während die Kamera eng
                         differenzierter und realistischer. Die Meilensteine: Herbstmilch von                           mit Sylvester Stallone beweist, gedreht in den Dolomiten. Mons-                                                                                                                                                                              setzt Regisseur Philipp Stölzl das Drama um Andreas Hinterstoißer                                  auf einen Bergretter am Telefon hält, entfaltet die Dramatik ihre
                         Joseph Vilsmaier (1988, mit Werner Stocker und Dana Vávrová) er-                               terartige Abgründe verbreiten hier einen Horror, wie man ihn sonst                                                                                                                                                                           und Toni Kurz in der Eigernordwand von 1936 als menschliche Tra-                                   ganze Wucht ausschließlich in den Köpfen der Zuschauer. Auf ein
                         scheint atmosphärisch dicht und unverkitscht, ebenso Rama dama                                 nur aus Spektakeln wie Der weiße Hai kennt. Der Berg bleibt hier                                                                                                                                                                             gödie in Szene. Stölzl, der zuvor Opern inszenierte und Video-Clips                                Rache-Sujet setzt dagegen Regisseur Andreas Prochaska mit seinem
                         von 1991. Ein ganzes Stück weiter geht Regisseur Hans Steinbich-                               kulissenhaft. Ebenso die alberne Gletscherspalten-Posse aus Verti-                                                                                                                                                                           für Rammstein drehte, sagt: „Der Bergfilm ist unser Western.“ Die                                  Alpen-Western Das finstere Tal (2014) und begreift das hochwinter-
                         ler später mit Hierankl (2003), der glänzend besetzt im Chiemgau                               cal Limit (2000), dem vielleicht schlechtesten Bergfilm aller Zeiten.                                                                                                                                                                        Riefenstahl-Ära bezeichnet er als „politisch kontaminiert“. Stölzl                                 liche Schnalstal gleichnishaft für die klaustrophobische Enge der
                         spielt (Wokalek, Simonischek, Bierbichler, Sukowa), psychologisch                              Mäßig spannend ist auch In eisige Höhen – Sterben am Mount Everest                                                                                                                                                                           überwindet diese Ära, indem sich seine Protagonisten zwar im Berg-                                 Figuren. Ein klassischer Western-Stoff, der an Der Besuch der alten
                         jedoch etwas überfrachtet wirkt. Kritiker Michael Althen schreibt:                             von 1997, der zwar auf der realen Vorlage von Jon Krakauer beruht,                                                                                                                                                                           heldentum versuchen, doch das missglückt auf fatale Weise. „Es                                     Dame von Dürrenmatt erinnert, mit Sam Riley als modern-jungen-
                        „Ein Film, der dem Zuschauer im Halse steckenbleibt (…) an einem                                das wahre Ausmaß dieses Bergdramas aber nicht nachzeichnen                                                                                                                                                                                   geht mir um das Scheitern eines falschen Heldenideals“, so Stölzl.                                 hafter Version von Rächerin Claire Zachanassian. Härte und Ge-
                         Ort, wo Bayern am schönsten ist.“ Anders als beim frühen Berg-                                 kann. Gleiches gilt für den seichten Streifen Everest von 2015, mit                                                                                                                                                                          Puristen bemängeln zwar, dass Stölzl eine Liebesgeschichte in den                                  walt korrespondieren hier mit einer rauen Bergnatur, ebenso wie
                         film, wo die Hölle im Außen für die Hölle im Inneren steht, kehrt                              Josh Brolin und Robin Wright. So erwartbar und durchschnittlich                                                                                                                                                                              Nordwand-Plot hineinknotete und die Eiswand-Szenen im Kühl-                                        im Thriller Fremder Feind mit Ulrich Matthes (2017): Eine einsame
                         der Regisseur hier die Verhältnisse um. Das realistisch abgefilmte                             die Berg-Spielfilme aus dem Hause Hollywood sind, umso opu-                                                                                                                                                                                  haus drehte. Aber: „Der Wahrheit kommt man nicht zwingend da-                                      Berghütte symbolisiert als Seelenlandschaft die Isolation des Pro-
                         Naturidyll scheint die Dynamik des menschlichen Dramas noch                                    lenter und aufwendiger sind neuerdings die amerikanischen Do-                                                                                                                                                                                durch näher, dass man sie minutiös abbildet“, sagt Stölzl. Es gehe                                 tagonisten, der völlig auf sich allein gestellt vom Pazifisten zum
                         zu verstärken.                                                                                 kumentarfilme zum Thema Berg(-sport). Dem US-Regisseur und                                                                                                                                                                                   darum, faktische Handlungen in emotionale Seelenzustände zu                                        Mörder wird. In Höhere Gewalt (Ruben Östlund, Schweden, 2014,
                                                                                                                        Kameramann Jimmy Chin gelang mit Free Solo (2018) über Alex                                                                                                                                                                                  übersetzen. Das Sujet vom Scheitern am Berg scheint dabei so mo-                                   gedreht in Les Arcs) überlebt eine Familie einen Lawinenabgang,
                                                                                                                        Honnolds seilfreie Durchsteigung des El Capitan das Kunststück,                                                                                                                                                                              dern wie nie.                                                                                      doch die Fluchtreaktion des Vaters verstärkt die innere Instabilität
                                                                                                                        mit einem Bergfilm einen Oscar zu gewinnen. Auch beim jüngsten                                                                                                                                                                                                                                                                                  der Familie und zermürbt diese in einem langsamen Prozess. Auch
                                                                                                                        Streaming-Hit über Nirmal Purjas Eil-Besteigung aller 14 Achttau-                                                                                                                                                                                   Zu Joseph Vilsmaiers Streifen Nanga Parbat (2010) über die                                  in Drei Zinnen von Jan Zabeil (2017) fungiert die Natur als Katalysa-
                        „Und Hollywood? Wo die                                                                          sender hatte Chin die Finger im Spiel, 14 Peaks läuft derzeit erfolg-                                                                                                                                                                        Expedition der Messner-Brüder schreibt der Filmdienst: „Ein mäßig                                  tor und setzt familiäre Spannungen frei.
                         Fiktion versucht, das Leben                                                                    reich auf Netflix. Der Erfolg der beiden Produktionen liegt sicher                                                                                                                                                                           spannendes, breit ausgewalztes Schuldkomplex-Drama, dem das
                                                                                                                        auch daran, dass sie einen starken Heldenreisen-Faktor besitzen:                                                                                                                                                                             inszenatorische Gespür für die imposante Landschaft des Hoch-                                            Das Fazit von alledem? Die Hölle ist nicht weiß. Sie ist auch
                         zu übertreffen, kann es                                                                        Es sind Dokumentarfilme, die wie Spielfilme funktionieren.                                                                                                                                                                                   gebirges abgeht.“ Im Sinne der Campbellschen Heldenreise spielt                                    nicht oben am Piz Palü. Die wahre Hölle steckt tief in uns drinnen,
                         schon mal absurd zugehen.“                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  der sieben Millionen Euro teure Film klar auf das biblische Urthema                                das weiß der moderne Bergfilm gut zu transportieren. Campbell
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     von Kain und Abel an. Mit einem Bruchteil der Kosten kommt der                                     hat recht: Das Leben ist eine Heldenreise. Erst recht oben am Berg.
                                                                                                                                                                                                                                                                            „Monsterartige Abgründe“:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     intelligent gemachte belgische Kurzfilm Sleepless night/Nuit blanche
                                                                                                                                                                                                                                                                             Sylvester Stallone in Cliffhanger

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    „Der Bergfilm ist unser
                                                                                                                                                                                                                                                                             Der „vielleicht schlechteste
                                                                                                                                                                                                                                                                             Bergfilm aller Zeiten“: Vertical Limit                                                                                                                                                 Western.“ – Philipp Stölzl
                                                                                                                                                                                                                             Foto: United Archives / kpa Publicity Stills

                                                                                                                                                                                                                                                                             Foto: picture alliance/dpa
                                                                                            Foto:picture alliance/dpa

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Foto: picture alliance/dpa
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Foto: picture alliance/dpa
                        Unverkitscht: Dana Vávrová und
                        Werner Stocker in Herbstmilch
                                                                                                                                                                                        Foto: picture alliance / AP Images
                                                                                                                                          Foto: picture alliance / Everett Collection

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Der Toni, der Anderl und der Eiger
                                                          Gewann 2019 den Oscar für den                                                                                                                                                                                                                                                                              (im Hintergrund): Nordwand von 2008,
                                                         besten Dokumentarfilm: Free Solo                                                                                                                                                                                                                                                                            mit Florian Lukas und Benno Fürmann,                                                               Alpiner Neo-Western: Finstere Typen, finstere Blicke, gefangen in klaus-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Regie von Philipp Stölzl.                                                                          trophobischer Enge – Das finstere Tal von Andreas Prochaska, 2014. Gedreht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        im Schnalstal, Südtirol, mit Franz-Xaver Brückner und Tobias Moretti.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   21
Fi - Alpenverein München & Oberland
SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                                                              1

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Foto: United Archives / kpa Publicity Stills
                                                                                                                              Foto: Mary Evans Picture Library 2009

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Foto: picture alliance
                                                                                                                                                                                           3                                 4

                                                                                                                                                                                                                      Foto: picture alliance
                                                           2

                                                                                                                                                                           Foto: picture alliance / akg-images
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Von der Geierwally zu Heidi – wo sind die Frauen im Bergfilm?
                                               Foto: picture alliance/dpa

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bis ins Jahr 2022 gilt: Das traditionelle Spielfilm-Genre    Schlucht steht als Gleichnis für die bedrückende Enge
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bergfilm bot bisher kaum Hauptrollen für Frauen. Und         familiärer Beziehungen. Zeichen seiner Zeit ist auch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    wenn, dann im Rollenfach „love interest“: als Objekt         der mehrfach verfilmte Schwank Kohlhiesels Töchter
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    der Begierde, Liebschaft, als Gspusi, „Schi-Baby“ oder       (1962), gedreht in München und dem Berner Oberland.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    verträumtes Hascherl wie in Das Schweigen im Walde.          Er formuliert den gesellschaftlichen Anspruch der 50er-
                        5                                                                                    6
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Schon Riefenstahl wurde als ewige „Frau zwischen             Jahre, dass eine Frau doch bittschön adrett auszusehen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    zwei Männern“ inszeniert und übernahm diese Kon-             hat – oder chancenlos als Bauerntölpel dasteht. Die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    stellation später in ihren Filmen (Vorsicht, böser           Rollen beider Schwestern verkörpert Lieselotte Pulver,
                                                                            Foto: picture alliance

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Spitzname: „Reichsgletscherspalte“!). Eine Ausnahme          eine Heldinnenreise von „hässlich“ zu „schön“. Tja, wer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    bildet der mehrfach verfilmte Stoff Die Geierwally, ent-     bleibt noch? Natürlich Heidi! Bezeichnend, dass die aus
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    standen nach einer Romanvorlage auf Basis des Lebens         Japan stammende Trickfilmserie (Anime) von 1974 die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    von Anna Stainer-Knittel – die frühe Emanzipations-          Optik der später so beliebten Manga-Comics vorweg-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    geschichte einer nicht angepassten Frau. Eine Version        nimmt. Auch wenn ihre Heldinnenreise vom tief un-
                                                                                                     Foto: picture alliance

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    von 1940 wurde mit Heidemarie Hatheyer und Sepp              glücklichen Frankfurter Stadtmädel mit der Antagonis-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Rist auf den Rofenhöfen im Venter Tal gedreht, mit 1,7       tin „Fräulein Rottenmeier“ zurück auf die Alm führt und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Millionen Reichsmark überaus teuer: „Die Summe wur-          damit dem Campbellschen Heldenkosmos entnom-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    de genehmigt, weil man damit die patriarchalischen           men scheint. Mit dem etwas störrischen Geißenpeter
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Bräuche der Bergbauern würdigen wollte.“ (Wikipedia).        als männlichem Sidekick – sonst ist es ja eher anders-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Der Film-Dienst: „Der Film von 1940 zeigt Spuren der         herum. Auf eine Selbstfindung nach Campbellscher
                                                                                                                                                                                                                  ZUR PERSON                                                                                       ‚Blut und Boden‘-Ideologie, hat aber durch Hatheyers          Couleur begibt sich Reese Witherspoon 2014 in Der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Charakterdarstellung und die bestechende Landschafts-        große Trip mithilfe des Pacific Crest Trails. Während
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    fotografie künstlerisches Format.“ Der Wiener Kritiker       Martina Gedeck in Die Wand (2012, nach dem Buch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Herbert Holba schreibt im Geist seiner Zeit: „Ihre her-      von Marlen Haushofer) lernt, mit jener Isolation zu le-
                                                                                                                                                                                                                                                                    Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    be, männlich-aktive Ausstrahlung und herausfordernde         ben, die oft mit den Bergen assoziiert wird. Heimliche
                        Eine Zeitreise in Zelluloid:                                                                                                                                                                                                                                                                Erotik machte sie zur Ausnahmeerscheinung im deut-           Hauptdarstellerin ist hier: die Bergnatur. Die Filmkritik
                        1 — Skiteufel in Äktschn: Fanck am Arlberg beim Dreh von Der weiße Rausch, 1931.                                                                                                                                                                                                            schen Film.“                                                 findet: „(Dem Regisseur) Pölsler gelingt es in seiner be-
                        2 — Nein, in den Bergen ist's nicht immer schön: Hier gerät die Nordwand zur Mordwand,                                                                                                                                                                                                                                                                   merkenswerten Literaturverfilmung, Tiere und Natur
                        		 Film von 2008.                                                                                                                                                                         Franziska Horn                                                                                         Patriarchalische Strukturen spielen auch in Via         ohne Sentimentalität, ohne Kitsch, doch mit größtmög-
                        3 — Geierwally rettet Bärenjosef! Dritte Film-Version, 1956, mit Barbara Rütting, Carl Möhner.                                                                                            Seit die Alpinjournalistin Franziska Horn 2013
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Mala (1961) eine Rolle, mit Christine Kaufmann als           licher Einfühlung in Szene zu setzen. Da filmt einer mit
                        4 — Romeo und Julia auf dem Dorfe: Werner Stocker und Dana Vávrová in Herbstmilch, 1989.                                                                                                  die „Heldenreise“ auf dem FÜL-Symposium ent-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                                                                                                                  deckte, integriert sie das Erzählschema in ihre                                                  „unterdrückter Tochter“. Die Graubündner Viamala-             Achtung, ja Demut vor der Natur.“
                        5 — Wenn der Hubert mit der Liesl: Der Förster vom Silberwald, 1954, mit Rudolf Lenz,
                        		 Anita Gutwell.                                                                                                                                                                         Autorinnenarbeit. Außerdem besucht sie derzeit
                                                                                                                                                                                                                  Drehbuch-Seminare. Aktuelle Lieblingsfilme:
                        6 — Winke winke! Flieger Ernst Udet naht – Rettung aus der Luft! Leni Riefenstahl,
                                                                                                                                                                                                                 „Das finstere Tal“ und „The Power of the Dog“.
                        		 Gustav Diessl, Die weiße Hölle vom Piz Palü, 1929.

                                                                                                                                                                      22                                                                                                                                                                                                    23
Fi - Alpenverein München & Oberland
K2 in Neuseeland? Tibet in Südamerika? Die Rocky Mountains

                          Völlig
                                                                      in den Dolomiten? Mit Originalschauplätzen nehmen es man-
 SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                                                                                                                                                                                                           Alpen: James-Bond-Filme
                                                                      che Bergfilm-Regisseure nicht allzu genau, andere dagegen                                                                                                                                                            Mindestens zehn Mal jagte 007 unserer Zählung
                                                                      sehr. Und: Wo in den Alpen jagte Bond Bösewichte? Eine klei-                                                                                                                                                         nach in den Alpen Bösewichte, zuletzt etwa für

                          verdreht
                                                                                                                                                                                                                                                                                          „Spectre“ in Sölden und Obertilliach. In Erinnerung
                                                                      ne, subjektive Auswahl an Drehorten von Bergfilmen.                                                                                                                                                                  bleiben v. a. die Stunts am Flugplatz von Courchevel,
                                                                                                                                                                                                                                                                                           am Schilthorn und an der Staumauer des Lago di
                                                                      Recherche: Christian Rauch                                                                                                                                                                                           Vogorno.

                                                                                                                                  Der Bergdoktor
                                                                                                                                      Ellmau, Österreich
                                                                                                                     Wohl kein Drehort hat eine solch
                                                                                                                      steile Karriere hingelegt wie der
                                                                                                                   Gruberhof von Hans Sigl alias Martin                                                                                                                                                           Sissi
                                                                                                                     Gruber alias dem Bergdoktor: Seit                                                                                                                                                            Fuschlsee, Österreich
                                                                                                                   2007 lockt die ZDF-Serie ein Millio-                                                                                                                                                           Alle Jahre wieder schnulzt uns „Sissi“
                                                                                                                     nenpublikum vor die Glotze – und                                                                                                                                                             in der 1955er-Fassung über die
                                                                                                                   Tausende Fan-Pilgerer zum Drehort                                                                                                                                                              Weihnachtsfeiertage entgegen. Das
                                                                                                                 in Söll am Wilden Kaiser, etwa per ge-                                                                                                                                                           heimatliche Schloss Possenhofen
                                                                                                                                   führter Traktorfahrt.                                                                                                                                                          steht aber nicht am Starnberger See,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  sondern am Fuschlsee. Die Kletter-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  partie vom „Frrranz“ in Teil 2 nach dem
                                                                                                    Free solo                                                                                                                                                                                                     Edelweiß wurde dafür im Karwendel
                                                                                                    El Capitan, Yosemite                                                                                                                                                                                          gedreht.
                                                                                                   „Free Solo“ hat 2019 einen Oscar als
                                                                                                    bester Dokumentarfilm erhalten und ist
                                                                                                    damit der erste oscarprämierte Berg-                                                                                                                                                                    Nordwand
                                                                                                    film überhaupt. Jimmy Chin filmte den                                                                                                                                                                   Dachstein, Österreich
                                                                                                    seilfreien Durchstieg Alex Honnolds                                                                                                                                                                     Die moderne Fassung des Dramas
                                                                                                    durch die aalglatte Route „Freerider“ am                                                                                                                                                                (2008) um Toni Kurz und Andreas
                                                                                                    El Capitan – u. a. mit fest installierten                                                                                                                                                               Hinterstoißer in der Eigernordwand
                                       Sturz ins Leere                                              Kameras an den Schlüsselstellen, damit                                                                                                                                                                  entstand u. a. im Hofbrauhaus
                                          Siula Grande, Peru                                        niemand den Protagonisten aus dem                                                            Die weiße Hölle vom Piz Palü                                                                               Berchtesgaden, der Gebirgsjägerka-
                           Die packende Story um ein durch-                                         Flow bringen würde.                                                                          Piz Palü, Schweiz                                                                                          serne Bischofswiesen und am
                         geschnittenes Seil, eine tiefe Glet-                                                                                                                                    Bergfilm-Pionier Arnold Fanck ließ sich für „Die weiße                                                     Dachstein.
                           scherspalte und eine nicht mehr                                                                                                                                       Hölle vom Piz Palü“ (1929) nicht lumpen und drehte
                        für möglich gehaltene Rückkehr ins                                                                                                                                       originalgetreu im Berninamassiv, teils auch nachts in
                             Leben wurde teils am Original-                                                                                                                                      60 Meter tiefen Gletscherspalten.
                         schauplatz in den Anden, teils aber
                           auch in den französischen Alpen
                                                    gedreht.                                                                                                                                                                              Schnalstal
                                                                                                                                                                                                                                         Südtirol, Italien
                                                                                                                                                                                                                                         Im Südtiroler Schnalstal tummeln sich
                                                                                                                                                                                                                                         die Kameras: Zuletzt diente es als
                                                                                                                                                                                                                                         Kulisse für den Alpen-Western „Das
                                                                                                                                                                                                                                         finstere Tal“ (2014) und sogar als
                                                                                                                                                                                                                                         Ersatz für die Himalaja-Szenen in
                                       Sieben Jahre in Tibet                                                                                                                                                                            „Everest“ (2015).
                                             Uspallata, Argentinien
                                                                                                                                                                                                       Heidi
                              Die Dreharbeiten für „Sieben Jahre in
                                                                                                                                                                                               Bergün, Schweiz
                        Tibet“ waren aus politischen Gründen sehr                                                Cerro Torre: Schrei aus Stein                       Nicht alle Dreharbeiten für „Heidi“ (1952)
                         aufwendig: Die heilige Stadt Lhasa wurde                                                Cerro Torre, Patagonien                               konnten am Originalschauplatz des Ro-
                         in Argentinien aufgebaut. Mönche, Köche,                                                In Werner Herzogs Bergsteiger-Drama von 1991        mans stattfinden: Maienfeld war baulich zu
                            Lebensmittel wurden extra eingeflogen,                                               liefern sich zwei Kletterprofis einen erbitterten        stark verändert, weshalb vor allem in
                                                                                                                                                                                                                                                                                           Vertical Limit
                         damit das Set so authentisch wie möglich                                                Kampf darum, als Erster den Gipfel der legen-                                                                                                                         Mount Cook, Neuseeland
                                                                                                                                                                       der Gegend von Bergün gedreht wurde.
                             war. Nur wenige Szenen konnten unter                                                dären Felsnadel in Patagonien zu erreichen. Der                                                                               Die Dreharbeiten zum Actiondrama „Vertical Limit“ fanden nicht
                                                                                                                                                                         Wegen der Trümmer des Zweiten Welt-
                           einem Vorwand an Originalschauplätzen                                                 Film hat zwar keinen direkten historischen Be-                                                                                     am Originalschauplatz am K2 statt, sondern am Mount Cook

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                                                                       kriegs musste man sich bei den Außen-
                                                   gedreht werden.                                               zug, aber er enthält Parallelen zum Streit um die                                                                            in Neuseeland. Die dortige Bergwelt entspräche laut Produktions-
                                                                                                                                                                         aufnahmen in Frankfurt teilweise mit
                                                                                                                 umstrittene Erstbesteigung des Cerro Torre im                                                                                    firma am ehesten den Verhältnissen am K2. Ziemlich verdreht
                                                                                                                                                                        Aufnahmen von Basel und Fotomon-
                                                                                                                 Jahr 1959 durch Cesare Maestri und Toni Egger,                                                                                              waren dann auch die meisten Seilmanöver im Film.
                                                                                                                                                                                                tagen behelfen.
                                                                                                                 der während des Abstieges tödlich abstürzte.

                                                                                        24                                                                                                                                                                25
Fi - Alpenverein München & Oberland
SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                               SCHWERPUNKT BERGFILM
                        Story vor Technik
                                                                      Was hat ein Bergfilmer heutzutage im Rucksack? Regisseur und
                                                                      Kameramann Valentin Rapp, beim letzten Tegernseer Bergfilmfest
                                                                      mit dem Otto-Guggenbichler-Preis ausgezeichnet, zeigt uns das
                                                                      Equipment für sein neuestes Projekt – und erklärt, warum es letzt-
                                                                      lich eher auf die Geschichte ankommt als auf die Technik.
                                                                      Protokoll: Thomas Ebert, Fotos: Valentin Rapp

                                            „Was da links zu sehen ist, ist die Ausrüstung für das            Bergvideos auf YouTube eigentlich nur von Profis.
                                             Projekt ‚Seven Summits’. Damit habe ich letztes Jahr             Der Rest war amateurhaft, verwackelt. Damals war es
                                             Lukas Irmler gefilmt, wie er auf dem jeweils höchsten            noch einfacher, aus der Masse herauszustechen. Heute
                                             Gipfel der sieben Alpenländer eine Slackline begeht.             bieten auch kleinste Kameras hohe Auflösungen und
                                             Der Film ist gerade im Schnitt und wird hauptsäch-               gute Stabilisierungen, damit können auch Leute mit
                                             lich online laufen, aber auch bei Filmfestivals. Rich-           wenig Bezug zum Film hohe Produktionsstandards
                                             tige Kinokameras sind nochmal größer, aber am Berg               erreichen. Die meisten Bergfilme sind heute optisch
                                             ist die Ausrüstung eben immer ein Kompromiss zwi-                top. Aber zu einem packenden Film gehört für mich
                                             schen Qualität und Gewicht. In diesem Fall musste ja             mehr, als den Italienurlaub mit der neuesten GoPro zu
                                             auch noch die Hochtourenausrüstung dazu. Ich habe                filmen. Abheben kann man sich heute vor allem mit
                                             keinen engen Bezug zu meinen Kameras, das würde                  guten Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden.
                                             sonst zu sehr weh tun, wenn die Kamera mal in den                Ich bin kein Fan davon, Dinge mittels Technik größer
                                             Schnee fällt. Denn das Material leidet natürlich, gerade         aufzubauschen, als sie sind – die Technik dient nur
                                             die Objektive im Fels. Zwei oder drei Drohnen habe ich           zum Einfangen der Geschichte. Insofern war der Nach-
                                             auch schon zerstört. Natürlich ist alles versichert, aber        wuchspreis beim Tegernseer Bergfilmfest, wo ja auch
                                             das bringt dir am Berg nichts, der Dreh muss unter-              eher tiefergehende Filme laufen als Red-Bull-Action-
                                             brochen werden.                                                  streifen, eine tolle Auszeichnung.“

                                                  Gute Technik ist wichtig, aber nicht alles. Es gibt
                                            ein hohes Grundniveau, unter das man nicht fallen                                     Valentin Rapps Film
                                            darf, denn wir alle sind verwöhnt von scharfen und                                   „Alpine Highlining“
                                            stabilen Bergfilmen. Als ich während meiner Schul-                                    (13 min) gibt es in voller
                                            zeit angefangen habe zu filmen, gab es technisch gute                                 Länge auf vimeo.

                                                                                                                                                               QR-Code

                                            Die Ausrüstung: Kamera A – Red Scarlet-W, Akkus, Speicherkarten, Objektive 18–35 mm, 24–105 mm, 70–200 mm, Kamera B –

                                                                                                                                                                                 alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                            Sony Alpha 7s III, Akkus, Speicherkarten, Objektive 20 mm, 24–105 mm, 70–200 mm, Drohne, Akkus, Fernbedienung, ND-Filter,
                                            Aufsteckmikro, Funkmikros, 2× GoPro + Akkus, Leichtes Stativ, Gimbal, Funkgeräte, Helm, Hochtourengurt, Karabiner, Band-
                                            schlingen, Eisschraube, Spaltenrettung, Steigeisen, Pickel, Seil, LVS, Erste Hilfe, Biwaksack, Stirnlampe, Daunenjacke, Wechsel-
                                            shirt, Verpflegung, Handschuhe, Mütze, Sonnenbrille, Rucksack

                                                                                              27
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                                                                                                                                                                                                             SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                               „Ich will keine
                                                                                                             Heldengeschichten
                                                                                                                  erzählen.“

                                                                                                 Traumjob – oder Knochenarbeit? Als Filmteam begleiteten
                                                                                              Lisa Röösli und Caroline Fink eine Achttausender-Expedition in
                                                                                                Nepal. Mehrere Wochen filmten sie zwischen Gletscherspalten,
                                                                                               bei zweistelligen Minustemperaturen und Schlechtwetter – und
                                                                                                  das auf über 6000 Metern Höhe. Was es bedeutet, einen
                                                                                             Film dort zu drehen, wo selbst trainierte Bergsteiger an ihre Grenzen
                                                                                                   kommen – ein Gespräch über Dokumentarfilme am Berg.

                                                                                                                      Interview: Rabea Zühlke

                                                                                                                                                                                       Foto: Caroline Fink
                                              Strahlend und erholt einige Wochen nach
                                              der Expedition: Regisseurin Lisa Röösli
                                              und Kamerafrau Caroline Fink in der Züricher

                                                                                                                                                                                                               alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                              Bergsport-Buchhandlung Piz Buch & Berg
                        Foto: Urs Nett

                                                                                                                                                Eisige Nächte in der Höhe: das zweite Lager
                                                                                                                                                auf über 6400 Metern Höhe am Dhaulagiri

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                                                                                                                                                                                                                   „Filmen ist oft unangenehm,
                                                                                                                                                                                                                                                                   wir dringen in die Privat-
                                                                                                                                                                                                                                                                    sphäre anderer ein.“— Caroline Fink

                                                                                                                                                                                                                                             Foto: Urs Nett
                                                                         sprachigen Schweizer Fernsehens machen            teressiert mich der Film nicht. Ich möchte       sagt nicht: „Es sterben so viele Menschen,            Caroline: Filmen ist oft unangenehm.          ihrer letzten Eis-Prüfung gefilmt. Die Rou-
                        Was zeichnet einen guten Berg-
                                                                         durfte, das auf Porträts spezialisiert ist, kam   wissen, was dahintersteht.                       ich mache es trotzdem und bin ein Held,         Man dringt in die Privatsphäre der Men-             te war extrem anspruchsvoll. Die junge
                        film aus?                                        meinem Interesse sehr entgegen.                          Lisa: Beim Bergsteigen geht es immer      weil ich meine Angst überwinde.“                schen ein, deswegen ist das Vertrauen               Frau hat echt gekämpft, sie hat geschrien
                               Caroline: Ich will möglichst nah an der         Caroline: Es ist ein Porträt über eine      um den Gipfel. Das hat dieser Sport so an                                                        ganz wichtig.                                       und geheult – und die Route geschafft. Am
                        Realität sein und keine Heldengeschichten        Persönlichkeit, die wirklich spannend und         sich. Der Schluss des Filmes ist in dem          Wie sieht eure Herangehensweise                       Lisa: Was am Berg der Unterschied ist:        Abend sagte sie mir, ich könne alles Mate-
                        erzählen.                                        vielschichtig ist.                                Sinne klar. Aber es gibt eine Erzählung da-                                                      Niemand hat Zeit und Energie, um elend              rial verwenden. Das hat viel damit zu tun,
                               Lisa: Außer es sind Helden.                                                                 vor. In unserem Film ist man in der Hälfte
                                                                                                                                                                            an einen Bergfilm aus?                          lange Diskussionen zu führen. Trotzdem              sich Zeit zu nehmen und Vertrauen auf-
                               Caroline: Aber auch Helden sind ganz      War es für euch das erste Film-                   noch nicht einmal im Basislager! Zudem:                 Caroline: Ein guter Bergfilm soll un-    fragt man natürlich die Protagonisten, ob           zubauen. Am Dhaulagiri hatte ich das Ver-
                        normal. Es gibt Filme, die mir nicht gefallen,                                                     Es ist anspruchsvoll, die objektiven Gefah-      mittelbare und echte Emotionen vermit-          es okay ist, zu filmen. Mit der Teilnehmerin        trauen in uns, dass wir spüren, wie weit
                        weil sie inhaltslos sind. Bei Bergfilmen geht
                                                                         projekt an so einem hohen Berg?                   ren, das physische Leiden und noch viel          teln. Besonders im Bergfilm-Genre passiert      waren wir zu dem Zeitpunkt schon mehrere            wir gehen können. Außerdem kannst du
                        es oft um dasselbe: Das Filmteam dreht am               Lisa: Ich habe 2017 für den Sender         mehr den inneren Kampf einer Bergstei-           es, dass jemand versucht, Authentizität         Wochen unterwegs. Sie hat sich filmen las-          später im Schnitt noch entscheiden, wel-
                        Berg, macht noch etwas Ethnografisches           3sat einen Dokumentarfilm über die Be-            gerin bildlich einzufangen und zu vermit-        künstlich herzustellen. Es ist verlockend,      sen, weil sie uns kannte. Bei solchen Berg-         che Szenen reinkommen.
                        dazu, der Protagonist kommt auf den Gipfel       steigung des Elbrus gedreht. Privat war           teln. Was deswegen oft gemacht wird: viel        Szenen zu stellen, weil das Filmteam mit        dokumentationen verbringt man viel Zeit                    Lisa: Grundsätzlich gilt: Was ich
                        oder scheitert, danach kommen noch ein           ich auf etlichen Expeditionen und stand           dramatische Musik und ein Kommentator,           der Anstrengung und dem schwierigen Ge-         miteinander, das kann vertrauensbildend             nicht gefilmt habe, kann ich nachher im
                        paar Interviews. Ein Bergfilm, in dem ich        auch schon auf 8000ern. Deswegen habe             der ständig von Gefahr redet. Wenn man           lände vor Ort konfrontiert ist. Die Fotos ei-   sein.                                               Schnitt auch nicht fortwerfen. Außerdem
                        involviert sein will, muss anders sein.          ich mir dieses Projekt überhaupt zugetraut.       dann noch mit Helikoptern, vielen Kame-          ner Erstbesteigung werden auch oft nach-                                                            ändern Menschen ihre Meinung: Was im
                                                                         Ich habe Sophie Lavaud 2016 am Makalu             ras und großem Team unterwegs ist, wird          gestellt. Beim Filmen gibt es eine ähnliche     Wenn auf der Expedition etwas                       Moment unerträglich ist, kann mit Distanz
                        Was war bei eurer Dokumentation                  kennengelernt, das war ihr fünfter 8000er         es natürlich spektakulärer als mit unseren       Tendenz, doch man scheitert immer damit.                                                            akzeptierbar sein. Und umgekehrt. Das ist
                                                                         damals, und als ich sah, dass sie danach          bescheidenen Mitteln – zwei Kamerafrau-          Authentizität kann man nicht herstellen,
                                                                                                                                                                                                                            Schlimmes wie ein Lawinen-                          nichts Bergfilm-Spezifisches. Und klar war
                        über die Schweizer Höhenberg-                    einen Gipfel an den nächsten reihte, woll-        en und eine Drohne.                              Authentizität ist einfach da.                   abgang, ein Spaltensturz oder                       für mich auch, dass Sophie Lavaud den
                        steigerin Sophie Lavaud anders?                  te ich in die Geschichte einsteigen.                     Caroline: Man muss in unserem Gen-                                                        Ähnliches passiert wäre, hättet                     Film vor der Fertigstellung zu Gesicht be-
                        Ist es nicht auch ein Bergfilm                          Caroline: Ich habe professionelle Er-      re wirklich aufpassen: Das Risiko ist groß,      Ihr habt also keine gestellten                  ihr irgendwann die Kamera aus-                      kommt.
                                                                         fahrung im Filmen am Berg, allerdings vor         dass wir Klischees bedienen.
                        über die heroischen Taten einer                                                                                                                     Szenen am Dhaulagiri?                           geschaltet?
                                                                         allem in den Alpen. Privat war ich bisher                                                                                                                                                              Ihr musstet nicht nur, wie alle
                        Bergsteigerin, die einen Acht-                   auf knapp 6000 Metern. Insofern ja: Für                                                                   Lisa: Nein, auf 6000 Metern Höhe               Lisa: Ich habe oft überlegt, was ist,
                                                                                                                           Welche zum Beispiel?                                                                                                                                 anderen Expeditionsteilnehme-
                        tausender besteigt?                              mich war es das erste Mal an einem Acht-                                                           kannst du nicht sagen „Bitte geh nochmal        wenn ein Unfall passiert: Wie wird Sophie
                               Lisa: Es gibt 14 Achttausender, So-       tausender – als Bergsteigerin und Filmerin               Caroline: Allen voran das Klischee des    zurück“. Wir haben schon zwischendurch          reagieren? Bin ich noch fähig, mit der Ka-          rinnen, mit der Höhe und der
                        phie möchte ihren zwölften besteigen. Sie        für ein so großes Projekt im Auftrag des öf-      unerschrockenen und doch bescheidenen            zu Sophie gesagt, sie solle warten. Aber        mera zu arbeiten? Alles Fragen, die kannst          Kälte klarkommen, sondern gleich-
                        könnte die erste Schweizerin und vierte          fentlich-rechtlichen Fernsehens.                  Bergsteigers, der an einem gefährlichen          solche Regie-Anweisungen sind für die           und musst du dir vorher überlegen, um
                                                                                                                                                                                                                                                                                zeitig noch filmen. Habt ihr am
                        Frau werden, die auf allen Achttausen-                                                             Berg sein Leben riskiert, um glücklich zu        Protagonistin ermüdend. Wenn etwas pas-         mental vorbereitet zu sein, aber beantwor-
                        dern stand. Eine große Leistung – aber                                                             sein. Oft werden auch gleich noch die Gen-       siert, muss die Kamera da sein – so wird        ten kannst du sie nicht. Das entscheidet
                                                                                                                                                                                                                                                                                Ende nicht viel mehr geleistet als
                                                                         Ihr habt die von Sophie geleitete
                        das macht Sophie in meinen Augen nicht                                                             der-Stereotype bedient, indem der Bergstei-      Authentizität erreicht. Einer Bergsteigerin     sich, wenn es so weit ist.                          die Bergsteigerinnen?
                        zu einer Heldin. Zudem ist sie auf den
                                                                         Frauen-Expedition sieben Wochen                   ger – um seine Freiheit zu leben – Frau und      ging es schon im Lager eins, auf nicht mal            Caroline: Da kommt deine innere                     Lisa: In gewisser Art schon. Man
                        Normalwegen der 8000er unterwegs, sie            lang in Nepal begleitet, drei da-                 Kinder daheim lässt. Das haben wir so oft        6000 Metern Höhe, so schlecht, dass sie         Haltung zutage. Diese innere Haltung be-            muss so weit voraus sein, dass sich die At-
                        ist keine Spitzenathletin und taugt in dem       von wart ihr am 8167 Meter hohen                  als runtergeleierte Story gesehen, dass es für   entschied, abzubrechen. In diesem Mo-           einflusst, wie du filmst und wie die Doku-          mung wieder beruhigt und man den Atem
                        Sinne nicht für eine der beliebten Rekordge-                                                       mich nur noch als Plattitüde daherkommt.         ment musst du mit der Kamera da sein, das       mentation am Ende wirkt. Leute spüren,              sogar anhalten kann, damit das Bild nicht
                                                                         Dhaulagiri. Am Ende dreht es
                        schichten. Mich interessierte die Geschich-                                                               Lisa: Da sind wir wieder beim Thema       kannst du nicht wiederholen.                    ob du eine voyeuristische, eine dokumen-            verwackelt. Sobald Sophie an uns vorbei-
                        te dieser Frau, die sich selbst als ganz „nor-
                                                                         sich aber doch um die Frage, ob                   Helden. Wenn du Sophie auf die vielen                                                            tierende oder sogar anteilnehmende Ka-              ging, mussten wir sie wieder einholen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                        mal“ bezeichnet. Es steckt eine persönliche      sie es schaffen wird oder nicht.                  Toten an den Achttausendern ansprichst,          Ist es nicht unangenehm, mit der                mera machst. Und gerade in extremen Si-             Wenn alle eine Pause machen, machen
                        Entwicklung dahinter bis jemand auf die                Caroline: Schon, aber wenn es in            sagt sie, auf ihren 18 Expeditionen wurde                                                        tuationen lassen es Leute dann einfach zu.          wir keine. Bis auf 6500 Metern hat das
                        Idee kommt, alle 8000er zu besteigen. Dass       einem Film nur um die Leistung geht –             sie zwei, dreimal mit dem Tod konfron-
                                                                                                                                                                            Kamera auf eine Person draufzu-                 Während einer Doku über Schweizer Berg-             funktioniert, weiter oben wissen wir nicht.
                        ich den Film für ein Format des französisch-     selbst wenn diese großartig ist –, dann in-       tiert. Sie habe auch Glück gehabt, aber sie      halten, der es eh nicht gut geht?               führerinnen habe ich eine Aspirantin in             Unser Sherpa Pasang war ein talentierter

                                                                                               30                                                                                                                                                             31
Fi - Alpenverein München & Oberland
SCHWERPUNKT BERGFILM
                                                                               „Wenn sich jemand selbst
                                                                                filmt, ist es immer eine
                                                                                Inszenierung.“ — Lisa Röösli

                                                                                 Caroline: Man muss vor allem Erfah-       Lunger am K2, hat sich die Prota-              in die Pfanne haut. Als Fotografin glaube     ist die Post-Produktion sehr teuer: das        ZU DEN PERSONEN
                                                                           rung mitbringen, wie man sich im alpi-          gonistin einfach selbst gefilmt.               ich außerdem an das gute Bild – das ver-      Color-Grading, die Audio-Mischung usw. –
                                                                           nen Gelände bewegt und wie man dort ar-         Interviews und andere Sequenzen                liert nicht an Wert. Nur weil man die Tech-   Filmen ohne Budget ist viel, viel schwieri-
                                                                           beitet. Außerdem haben wir uns tagelang                                                        nik zum Filmen hat, heißt das nicht, dass     ger als Fotografieren ohne Budget.
                                                                           darüber unterhalten, welche Kameras wir
                                                                                                                           wurden bei ihr zu Hause nach-                  gutes Filmmaterial geschweige denn ein
                                                                           mitnehmen. Zu Hause habe ich meine Ka-          gedreht. Wäre das für euch eine                guter Film daraus wird.                       Ist es am Ende den ganzen
                                                                           meras in die Tiefkühltruhe gelegt und alle      Option gewesen?                                                                              Aufwand überhaupt wert?
                                                                           zwanzig Minuten geschaut, ob der Akku                                                          Free Solo, Touching The Void,
                                                                           noch hält.                                             Lisa: Caroline hat lustigerweise vor-                                                       Caroline: Im Lateinunterricht habe      Lisa Röösli
                                                                                 Lisa: Es geht gar nicht darum, mit         hin gesagt, wir seien „altmodisch“ mit
                                                                                                                                                                          Die weiße Hölle vom Piz Palü –                ich gelernt: „Per aspera ad astra“ – durch    Lisa Röösli, 1965 in Oberrieden im Kanton Zürich
                                                                           den großen Produktionsfirmen mitzuhal-           unserem Vorgehen: Menschen begleiten,         alles große Bergfilme. Bei wel-               Mühsal zu den Sternen. Fängt man mit          geboren, ist seit über zwanzig Jahren als Journa-
                                                                                                                                                                                                                                                                      listin, Regisseurin und Kamerafrau beim Schweizer
                                                                           ten. Die Budgets sind überall im Film-           beobachten und befragen – und auch            chen Dreharbeiten wärt ihr gern               einem Filmprojekt an, schafft man sich
                                                                                                                                                                                                                                                                      Fernsehen (SRF). Von Serien wie „Die Bergretter –
                                                                           schaffen unterschiedlich. Man arbeitet mit       probieren zu filmen, wenn etwas unan-                                                       viele Probleme, die man sonst nie hät-
                                                                                                                                                                          dabei gewesen?                                                                              Unterwegs mit der Air Zermatt“ über ethnografische
                                                          Foto: Urs Nett

                                                                           dem, was man hat. Da braucht es halt Kom-        genehm ist. Der Trend geht vielleicht in                                                    te. Wenn man am Ende aber den fertigen        Filme im Alpenraum bis hin zu Expeditionen wie
                                                                           promisse – und ja: je weniger Leute, desto       eine andere Richtung, aber man muss die             Lisa: Bei „Touching The Void“, weil     Film sieht und damit Menschen inspiriert,     am Elbrus oder am Dhaulagiri hat die Schweizerin
                                                                           größer der Einsatz! Aber am Ende geht es         beiden Herangehensweisen nicht gegen-         das Storytelling unglaublich spannend ist.    dann ist es ein Privileg. Nach der Bergfüh-   verschiedene Bergfilme und Dokumentationen
                                                                           darum: Kann ich die Geschichte erzählen,         einander ausspielen. Das „Sich-Selbst-        Eine klassische Dramaturgie fesselt den       rerinnen-Doku haben mir junge Bergstei-       gedreht.
                   Fotograf. Auf dem Trekking ins Basislager               die ich möchte?                                  Filmen“ ist ein interessantes Stilmittel      Zuschauer, weil er unbedingt wissen will,     gerinnen geschrieben, das sei der letzte
                   haben wir ihn ins ABC des Filmens mit                                                                    und kann zu lebendigen und eindring-          wie die Geschichte ausgeht. In diesem         Funke gewesen, sich für die Ausbildung
                   unseren Kameras eingeführt. Er war unser                Wie habt ihr es mit dem Ton gelöst?              lichen Szenen führen. Nicht selten ist        Film weiß man von Anfang an, dass die         anzumelden.
                   Plan B.                                                                                                  es bei Bergfilmen die einzige Möglich-        beiden Bergsteiger überleben – und trotz-           Lisa: Ich habe nun über zwei Jahre
                         Caroline: In dem Moment leistet man                      Lisa: Das französischsprachige Schwei-    keit, überhaupt Filmmaterial zu bekom-        dem bleibt man permanent in der Span-         für diesen Film gearbeitet, wegen Coro-
                   sicher mehr, aber Sophie hatte wiederum                 zer Fernsehen arbeitet normalerweise mit         men: Das Geschehen passiert einerseits        nung, eine super Narration.                   na mussten wir den Dreh zweimal ver-
                   einen anderen Druck, weil es gewisse Er-                Tontechnikern. Für sie war es ein Experi-        in extremen Situationen, wo kaum eine               Caroline: Von den klassischen Berg-     schieben. Das heißt auch: Ich habe drei-
                   wartungen an sie gab.                                   ment, uns ohne loszuschicken, aber finan-        beobachtende Kamera hinkommt, an-             und Abenteuerfilmen wäre ich gerne bei        mal intensiv für die Expedition trainiert.
                                                                           ziell wäre es nicht mehr machbar gewesen.        dererseits ist es anders nicht finanzier-     der „Weißen Hölle vom Piz Palü“ dabei ge-     Natürlich fragt man sich manchmal: Was        Caroline Fink
                   Ihr seid als reines Frauen-Filmteam                     Für die Interviews hatten wir Ansteckmikro-      bar. Doch dieses Vorgehen birgt die Ge-       wesen, weil es ein Spielfilm ist. Ich finde   mach ich da eigentlich? Am Ende mussten       Caroline Fink, 1977 in Biel/Bienne im Kanton Bern
                                                                           phone, Richtmikros auf den Kameras und …         fahr des „Me, Myself and I“. Wenn sich        die Kombination von Spielfilm und Doku-       wir die Expedition sogar abbrechen, weil      geboren, arbeitet als freischaffende Fotografin,
                   mitgegangen. Eine Seltenheit am                                Caroline: Nicht alle Berufsgeheimnis-     jemand selbst filmt, ist es immer eine        mentation spannend.                           das ganze Team an Covid-19 erkrankt war.      Filmemacherin und Autorin. Die Wahl-Züricherin
                   Berg?                                                   se ausplaudern! (lacht)                          Inszenierung. Deswegen liegt mir dieser                                                     Trotzdem gab es einen Film! Wenn er gut       ist über die Fotografie zum Filmen gekommen.
                         Lisa: Das ist besonders und ich bin                      Lisa: Wir hatten unsere Techniken –      „altmodische“, journalistische Ansatz am                                                     endet, endet er gut, und wenn es kein Hap-    Viele ihrer Dokumentationen wie „Frauen am Berg“
                                                                                                                                                                          Wie läuft generell die Finan-                                                               oder „Aletsch“ wurden auf internationalen Berg-
                   stolz darauf – aber es war nicht das obers-             auch, um den Atem aufzunehmen. Für den           Herzen: Der Blick von außen erlaubt es,                                                     py End gibt – aus welchem Grund auch im-
                   te Ziel. Wenn meine Wunschkonstellation                 Zuschauer sieht es nämlich gleich aus, ob        mitzuerleben und Fragen zu stellen, das
                                                                                                                                                                          zierung eines unabhängigen                    mer –, gibt es eben keines. Das hat mich
                                                                                                                                                                                                                                                                      filmfestivals gezeigt. Aktuell ist Caroline Fink Teil
                                                                                                                                                                                                                                                                      der Jury des Kathmandu International Mountain
                   mit Caroline nicht geklappt hätte, wäre ich             jemand auf 2000 oder 6000 Metern Höhe            Tun zu reflektieren. Das verleiht dem         Filmprojekts ab?                              nie gestresst. Es geht mir darum, einen       Film Festivals. caroline-fink.ch
                   mit einem Kameramann hin.                               marschiert. Hört man den Atem, versteht          Film Tiefe.                                         Caroline: In der Schweiz sind die In-   Film zu machen, der Bestand hat.
                                                                           man eher, was es heißt, sich in dieser Höhe            Caroline: Am besten funktioniert        stitutionen relativ gegeben, wo man sei-            Caroline: Und das „Wie“ ist schluss-
                                                                           zu bewegen.                                      das, wenn die Kamera so „klein“ und „still“   ne Drehvorlage einreichen und Geld für        endlich nicht so relevant. Ob in Form          Zur Dokumentation
                   Wie kreativ muss man sein, um
                                                                                                                            wie möglich ist. Also die Protagonisten       freie Produktionen bekommen kann. Für         einer erzählten Geschichte, eines Thea-       „Sophie Lavaud und das Abenteuer der 8000er“
                   mit Helikopteraufnahmen oder

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                           Bei einigen Bergfilmen, wie bei-                 so vertieft in etwas sind, dass sie die Ka-   meinen Bergführerinnenfilm habe ich be-       terstücks oder einer Ausstellung – wir
                   anderen Mitteln großer Produk-                                                                           mera nicht bemerken. Dafür müssen sie         stimmt zwei Jahre Geld gesucht. Wir ha-       sind in der privilegierten Lage, dass wir
                                                                           spielsweise beim Porträt der
                   tionsfirmen mitzuhalten?                                                                                 wiederum das Vertrauen haben, dass man        ben schon währenddessen gedreht, aber         Geschichten, die uns inspirieren, weiter-
                                                                           Südtiroler Bergsteigerin Tamara                  sie am Ende mit dem Filmmaterial nicht        das sind Hochrisikodrehtage. Außerdem         erzählen dürfen.

                                                                                                32                                                                                                                                          33
SCHWERPUNKT BERGFILM

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          SCHWERPUNKT BERGFILM
                                 Männliche Helden, die sich wagemutig

                        Der Mensch
                                 an steilen und vereisten Felswänden
                                 verausgaben? Nett, aber der Bergfilm
                                 von heute ist weiter. Mit Paula Flach
                                 und Michael Pause bestätigen das zwei
                                                                                                                                                                                                         „Der innere Berg
                                                                                                                                                                                                         ist der interessantere.“
                                 Menschen, die kraft ihres Amtes als                                                                                                                                                            Was macht für Sie die Faszination des Bergfilms aus?            ren. Spannende Charaktere und ihre Erlebnisse bieten
                                                                                                                                                                                                                                      Filmerisch darzustellen, wie sich dieser klei-            da mehr Anknüpfungspunkte. Darauf achten wir auch
                                 Filmfestival-Direktoren eng mit dem
                        macht’s!                                                                                                                                                                                                ne Mensch in den großen Bergen zurechtfindet, das               bei der Filmauswahl. Über die vergangenen 20 Jahre ist
                                 Genre verbunden sind. Authentisch,                                                                                                                                                             finde ich faszinierend. Man wird in eine andere Welt            unser Netzwerk zu Filmschaffenden gewachsen. Aber
                                 tiefsinnig und bildgewaltig – das sind                                                                                                                                                         entführt und erlebt sie durch die Augen eines ande-             auch wir setzen Filmprojekte um, wenn wir einen fas-
                                 die neuen Chiffren des Bergfilms.                                                                                                                                                              ren. Dabei gehört das klassische Narrativ „Mensch be-           zinierenden Menschen und seine Geschichte erzählen
                                                                                                                                                                                                                                zwingt Berg“ der Vergangenheit an. Es geht nicht mehr           wollen.
                                 Interviews: Nadine Regel                                                                                                                                                                       darum, dass der Mensch die Natur besiegt, auch, weil
                                                                                                                                                                                                                                der Respekt vor der Natur größer geworden ist. Der              Wie sieht die Zukunft des Bergfilms aus?
                                                                          Paula Flach ist Creative Director der                                                                                                                 Berg bleibt am Ende eh der Chef. Für mich ist der in-                 Die Zukunft des Bergfilms ist divers – techno-
                                                                          European Outdoor Film Tour und                                                                                                                        nere Berg immer der interessantere, also was in einem           logisch, aber auch erzählerisch und was die Protago-
                                                                          arbeitet seit 2013 für die größte Out-                                                                                                                passiert, wenn man draußen unterwegs ist.                       nisten angeht. Es wächst gerade eine Generation her-
                                                                          door-Film-Tour Europas. Seit ihrem                                                                                                                                                                                    an, die wahre Tausendsassas am Berg hervorbringt. Sie
                                                                          Filmstudium in Norwegen verbindet                                                                                                                     Worauf achten Sie bei der Auswahl der Filme für die E.O.F.T.?   beherrschen verschiedene Sportarten und können mit
                                                                          sie ihr Faible für den Film mit be-                                                                                                                         Wir haben uns schon lange von dem Credo „hö-              der neuesten Filmtechnik umgehen. Die Digitalisierung
                                                                          sonderen Geschichten aus der wilden                                                                                                                   her, schneller, weiter“ verabschiedet. Für uns steht            hat den Film demokratisiert, weil es für viele erst er-
                                                                          Natur.                                                                                                                                                im Mittelpunkt, Geschichten zu erzählen, die auf der            schwinglich geworden ist, überhaupt einen Film zu dre-
                                                                                                                                                                                                                                großen Leinwand der Natur spielen. Klar ist das alles           hen. Der Berg wird so unterschiedlich im Film gezeigt,
                                                                                                                                                                                                                                spektakulär, aber es gibt auch Grenzen, denn irgend-            wie die Menschen ihn erleben. Je diverser die Stimmen
                                                                                                                                                                                                                                wann ist das Adrenalin einfach ausgereizt. Dann kann            werden, desto diverser werden die Geschichten.
                                                                                                                                                                                                                                man sich als Zuschauer nicht mehr damit identifizie-

                                                                          „Geile Bilder                                                                                                                   Was macht einen guten Bergfilm aus?
                                                                                                                                                                                                                Es gibt Filmschaffende, die glauben, dass sie auf
                                                                                                                                                                                                                                                                       welt der Darsteller und Darstellerinnen einzutauchen.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Zudem ist das Themenspektrum groß: Die Begegnung
                                                                                                                                                                                                          das Geschichtenerzählen verzichten können. Sie las-          Mensch und Berg stellt ein unendliches Universum
                                                                           allein ermüden                                                                                                                 sen sich von der Macht der Bergfilmbilder berauschen
                                                                                                                                                                                                          und produzieren Freeride-, Climbing- und Downhill-
                                                                                                                                                                                                                                                                       dar. Zwar gibt es noch die Heldengeschichten nach
                                                                                                                                                                                                                                                                       Trenker-Art. Beim Gros der Filme handelt es sich aber
                                                                           auf Dauer.“                                                                                                                   „Pornos“. Das heißt: Auch „geile“ Bilder allein ermüden
                                                                                                                                                                                                          auf Dauer. Ein guter Bergfilm lebt von einer starken
                                                                                                                                                                                                                                                                       um Dokumentarfilme über Menschen, die in den Ber-
                                                                                                                                                                                                                                                                       gen Natur, Entschleunigung und Selbstbestimmung
                                                                                                                                                                                                          Geschichte und überzeugenden Protagonisten und               suchen. „Dokudramen“ sind seit einigen Jahren stark

                                                                                                                   Illustration: istockphoto / Warmworld, Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian
                                                                                                                                                                                                          Protagonistinnen. Zudem muss ein Bergfilm glaubhaft          im Trend.
                                                                                                                                                                                                          sein – das ist ein „Essential“ dieses Genres! Durch die
                                                                                                                                                                                                          spektakuläre Kulisse, die dem Bergfilm immanent ist,         Welchen Beitrag leistet das Tegernseer Bergfilm-Festival?
                                                                             Michael Pause ist Bergjournalist,                                                                                            können wir die Zuschauer die Erhabenheit der Natur                 Mit Filmen aus aller Welt zeigt das Festival den
                                                                             ehemaliger Moderator und                                                                                                     spüren lassen.                                               Besuchern und Besucherinnen die unglaubliche The-
                                                                             Leiter der Sendung Bergauf-Berg-                                                                                                                                                          menvielfalt des modernen Bergfilms. Außerdem ist
                                                                             ab beim Bayerischen Fern-                                                                                                   Wie hat sich das Genre verändert?                             es ein wichtiger Markt für Filmschaffende. Wer nicht
                                                                             sehen und seit 2009 Direktor des                                                                                                 Einschneidend war die Digitalisierung des ge-            von Haus aus Beziehungen zu einem Sender hat, der
                                                                             Tegernseer Bergfilm-Festivals.                                                                                              samten Filmwesens durch Smartphones, Drohnen                  braucht irgendwo einen Marktplatz, wo er seine Filme

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            alpinwelt 1/2022
alpinwelt 1/2022

                                                                                                                                                                                                         und Actionkameras. Insbesondere die Drohnen ha-               zeigen und anbieten kann. Festivals sind da der ideale
                                                                                                                                                                                                         ben dem Bergfilm in den letzten 15 Jahren zu neuen,           Ort. Hier kommt die Community zusammen, Zuschau-
                                                                                                                                                                                                         atemberaubenden Bildern verholfen – sie ermögli-              erinnen treffen auf Filmemacher – die persönliche Be-
                                                                                                                                                                                                         chen es den Zuschauern, noch tiefer in die Erlebnis-          gegnung macht den Unterschied.

                                                            34                                                                                                                                                                                                                  35
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