Fi - Alpenverein München & Oberland
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SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Bergfilm Foto: Credit picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection Berge in Bewegung „Overtourism“, „Laufsteg Berg“, „Schutzgebiete“. Nach einigen mehr oder minder kontroversen Schwerpunkt- themen widmet sich diese alpinwelt-Ausgabe einem vermeintlich harmlosen Thema: dem „Bergfilm“. Ver- meintlich deshalb, weil kein anderes Medium eine vergleichbare Macht besitzt, das Bild unserer Leiden- schaft zu prägen: Bisweilen stellt schon das Anschauen eines Dokumentarfilms berufliche Weichen, wie wir im Doppelinterview mit einer Regisseurin und einer Kamerafrau (S. 28–33) erfahren. Alles andere als harm- los geht es auch in den meisten Kletter- und Skifilmen zu, weshalb wir versuchen, einen Blick hinter die Ku- lissen solcher Actionproduktionen (S. 36–39) zu werfen. Und die große alpine Spielfilm-Retrospektive (S. 16–23) hinterfragt zu Recht, wo eigentlich die Frauen im Berg- film bleiben. In diesem Sinne: Film ab! Charlie Chaplins „Goldrausch“ von 1925 wird selten zum einschlägigen Bergfilm-Kanon gezählt. Dabei alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 dreht sich das gesamte Genre eigentlich bis heute um dieses Thema: Jemand sucht sein Glück in den Bergen, und macht sich dabei mehr oder weniger zum Clown. 14 15
Es war ein Vortrag, der auf ganzer Linie überraschte. Es war 2013, SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM beim jährlichen Fachübungsleiter-Symposium des Alpenvereins München & Oberland, das Thema mutete zunächst eher trocken an: „Konflikte – Erfolgreich Gruppen leiten mit themenzentrierter Inter- aktion“. Aber dann: Auf dem Podium zeigte Manfred Huber, Dozent vom Institut Gauting, alte Spielfilmausschnitte in Schwarz-Weiß und setzte sie dann in einem großen Wurf in den Kontext zu Grup- pendynamik, Persönlichkeitsentwicklung und zur „Heldenreise“ als Schema menschlicher Erfahrung. Luis Trenkers Liebesbriefe aus dem Engadin von 1938 als Vorlage für modernes Konfliktmanagement? Film ab: Ein Zug rauscht durch ein tief verschneites Tal. Schnitt. Im Inneren des Waggons sitzt ein mondänes Stadtmädel in weichen Kissen. Schnitt. Oberhalb tobt ein wildes Abfahrtsrennen, auf meterlangen Holzlatten über die unverspurten Steilhänge. Stür- ze im Schnee. Eine Raserei in Weiß. Doch immer wieder entkommt Ein und dasselbe Erzähl- der schneidige Toni Anewanter (Luis Trenker) seinen Verfolgern. schema für Filme ganz Er will, er muss den Zug erreichen, in welchem sein Gspusi gerade davonflitzt. Dann bricht ein Ski entzwei, jetzt hängt der Toni fest. unterschiedlicher Couleur? Rafft sich auf. Klaut einen Ski, irgendwoher – weiter geht’s. Hinauf Das funktioniert. und hinab. Hin und her. Fast zehn Filmminuten dauert die Hatz über die Hänge, ein bis heute gern wiederholtes Motiv des Bergfilms (James Bond!). Und doch stecke in diesen Szenen weit mehr, erklär- „Gemäß Campbell ist die Heldenreise te Huber dann. Die Zugfahrt im Tal im Schnitt gegen die gleißenden ein uraltes Erzählprinzip, ein Destillat, das Foto: picture alliance / akg-images Gipfel: der Kontrast von Stadt und Natur. Oben die lebendige Jagd in auf psychologischen menschlichen Erfah- einer fremden Bergwelt voller Abenteuer: die Welt der Freiheit, die rungen beruht“, sagte Manfred Huber. Be- neue Welt. Unten im Tal die Zivilisation, in der es routiniert wie auf einflusst von der Tiefenpsychologie und Schienen läuft, eine industrialisierte Komfortzone – schon damals. von C. G. Jung gliederte Campbell das Sche- Die urbane Welt: Im Bergfilm ist sie die Welt des Mangels und des ma für diesen Weg der Wandlung in zwölf Unglücklichseins. Grund genug für Sinnsuche und Aufbruch ins Stationen. Ein Schema, das in gestraffter Ungewisse: So beschreibt es Mythenforscher Joseph Campbell (1904 und reduzierter Form auch für Film-Dreh- bis 1987) in seinem 1949 erschienenen Buch „Der Heros in tausend bücher gilt: Ein Protagonist („Held“) macht Gestalten“. Er skizziert die ewige Suche des Menschen nach Erfolg, sich auf, ein Ziel zu erreichen. Er kommt vo- Glück und Veränderung, mit allen Irrungen und Wirrungen auf dem ran, trifft Helfer und Mentoren, Gegner und Weg zum Ziel. Es ist das Prinzip der Heldenreise. Auch genannt: Widerstände. Er erlebt Wendungen, Krisen, „The Quest“. Schmerzen, Verluste, Konflikte, dann den Punkt, der eine Umkehr unmöglich macht – in Weiß Raserei bis schließlich der Gipfel erreicht, die Rück- kehr ins Tal geglückt, die Trophäe, der Gral, Foto: picture alliance / akg-images: das Elixier, die Weltformel, das Allheilmit- tel errungen, die Frau/der Mann des Lebens gefunden oder das Böse besiegt ist. Der Bergfilm gilt als deutsches Genre, begründet von Pionier Arnold Fanck. Die Zyklen der Heldenreise finden Das Bild der alpinen Helden und der Berge sich in der Bibel oder in Sagen der Antike, in Shakespeares Dramen, Grimms Märchen selbst hat sich seither stetig gewandelt. Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian und in Hollywood-Blockbustern wie Matrix, Text: Franziska Horn Star Wars, Pretty Woman, Titanic, Herr der Ringe oder Harry Potter. Ein und dasselbe Erzählschema für Filme ganz unterschied- Steile Karriere: Der von Neben Arnold Fanck licher Couleur? Das funktioniert. Im wahren Arnold Fanck am Arlberg prägte vor allem der Leben kann schon eine einzelne Bergtour gedrehte Tonfilm Der Südtiroler Luis Trenker alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 weiße Rausch – neue Wun- (1892–1990) die Früh- zur Heldenreise werden, ein Kletterkurs der des Schneeschuhs phase des deutschen oder eine Ausbildung zum Fachübungs- wurde 1931 im Ufa-Palast Bergfims. leiter. Der erste Achttausender. Oder alle in Berlin uraufgeführt. vierzehn? 16
Zurück zum Film. In Liebesbriefe aus dem Liskamm hinauf- und wieder hinunterarbeiten. 1923 folgte der SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Engadin führte Trenker Regie, schrieb das Stummfilm Berg des Schicksals, für Luis Trenker die erste Hauptrolle Drehbuch, spielte den Protagonisten. Ge- überhaupt. Der muss hier ein No-Mountains!-Versprechen brechen, lernt hat er zuvor bei Altmeister Arnold um eine Jugendfreundin zu retten. In Berlin sieht die 21-jährige Fanck, dem Bergfilmpionier schlecht- Leni Riefenstahl (1902 bis 2003) den Film und bewegt Fanck dazu, hin. Schon 1931 hatte Fanck in Der weiße eine Rolle für sie zu schreiben: 1926 spielt sie in Der heilige Berg die Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs ein Tänzerin Diotima, eine Frau zwischen zwei Männern. Eine Kons- Verfolgungsrennen seiner Hauptdarsteller tellation, die sich wiederholt, vor der Kamera und auch dahinter. Hannes Schneider, Guzzi Lantschner – und Für die beiden Berghelden, gespielt von Luis Trenker und Ernst Leni Riefenstahl als „Schibaby“ – insze- Petersen, geht das im Film nicht gut aus. Auch in Fancks erstem niert. Der Geologe Fanck (1889 bis 1974) gilt Tonfilm von 1928, Stürme über dem Mont Blanc, wirken die bewähr- als Erfinder des Bergfilm-Genres. Er hatte ten Zutaten: die Bergwelt als Akteur, Pathos und Mystik, eine Ver- „Der Karl erfriert doch!“ – Maria früh erkannt, dass es nicht genügt, Berge folgungsjagd, eine Frau zwischen zwei Männern und der Berg, der Leni Riefenstahl) erhofft Hilfe vom Foto: picture alliance / akg-images dokumentarisch abzufilmen, um die Mas- Prüfungen in Form von Unwettern schickt. Im selben Jahr erscheint angeschlagenen Dr. Krafft (Gustav sen ins Kino zu holen. Also entwickelte er Fancks wohl packendster Film, Die weiße Hölle vom Piz Palü. Beim Diessl). Mächtige Natur und mensch- liche Dramen sind die Zutaten für eine Spielhandlung und setzte den Men- Dreh lässt Fanck eine Schneewand oberhalb von Leni Riefenstahl Die weiße Hölle vom Piz Palü von schen als „Bezwinger“ in ein Spannungs- absprengen, um Dramatik zu erzielen. Wieder setzt er seine Darstel- Fanck, 1929. Der riskante Dreh fand verhältnis zum Berg, oft unter Einsatz von ler hohen Gefahren aus. Der Protagonist muss leiden, so lautet eine an originalen Schauplätzen im Ber- Lebensgefahr – das galt für den Film-Plot Drehbuch-Regel gemäß Heldenreise. Im Film versucht Dr. Johannes nina-Massiv statt – ein Must-see für ebenso wie für die Dreharbeiten vor Ort. Krafft (Gustav Diessl) immer wieder, die Nordwand des Piz Palü zu Bergfilmfans! So gelang beides: monumentale Gipfel auf besteigen, wo seine Frau einst in einer Spalte starb. Dabei trifft er Zelluloid zu bannen – und die Zuschauer auf ein junges Paar mit demselben Ziel, so entsteht eine Schicksals- durch ein emotionales Narrativ. Dabei griff gemeinschaft, in der Riefenstahl – genau! – einmal mehr zwischen er durchaus auf romantisierende Veduten zwei Männern steht. Stürme, Steinschlag und Lawinen beschleuni- Trio infernale: Fanck, Trenker, Riefenstahl im Sinne von Caspar David Friedrich zu- gen Handlung und Dramatik. Krafft findet schließlich Erlösung und rück, aber auch auf moderne Technik. Mit Katharsis, indem er das Paar quasi als Kompensation retten kann, Apropos Politik: Der frühe deutsche Bergfilm war stets politischer Als Reaktion auf die Traumata des Zweiten Weltkriegs entsteht Kameramann Sepp Allgeier (1895 bis 1968) während er sich selbst opfert und am Berg erfriert – in der Nähe Instrumentalisierung ausgesetzt. 1932 entsteht der in Südtirol an- in den Nachkriegsjahren bis ca. 1960 der Heimatfilm mit rund 300 setzte Fanck Filmtechniken wie die „ent- seiner toten Frau. Im Tode vereint. Fanck habe, heißt es später, mit gesiedelte Film Der Rebell, dem Leben von Nationalheld Andreas deutschsprachigen Produktionen. Was diese verbindet: Berge sind fesselte Kamera“ ein, um die Schwenks dy- seinen Heldenepen der Weimarer Republik einer durch den Ersten Hofer nachempfunden. Drehbuch, Regie, Hauptdarsteller: Luis hier nicht mehr Bedrohung, sondern heile Welt und Sehnsuchts- namischer zu gestalten, und gründete eine Weltkrieg gedemütigten Nation neuen Aufwind verschafft. Trenker. Hitler soll den Streifen mehrmals gesehen und wegen ort. Eine einfache Welt, in der das Traditionelle häufig klischeehaft eigene Produktionsgesellschaft namens der nationalen Gesinnung hoch gelobt haben, Goebbels erhob den und heimattümelnd stilisiert wird, oft mit seichter Spielhandlung. Berg- und Sport-Film GmbH. Um diese he- Film zum „Vorbild“. Im gleichen Jahr bringt Riefenstahl als Varia- Es geht um das Wildern oder den Erbstreit, das Gute und das Böse rum entstand die Freiburger Schule, deren tion eines Urmythos Das blaue Licht heraus und gibt das als Regie- werden scherenschnittartig getrennt. Manche Streifen kommen Kameramänner sich für damalige „Extrem- debüt aus. Doch verantwortlich für die Regie ist Béla Balázs, den als romantisierendes Rührstück daher, darunter Verfilmungen von sportarten“ wie Skilaufen, Skispringen und „Fanck gelang beides: monu- sie nachträglich um Honorar und Anerkennung bringt. Von Fanck Ludwig-Ganghofer-Romanen, z. B. Das Schweigen im Walde, eine Bergsteigen begeisterten. Dafür schleppte mentale Gipfel auf Zelluloid zu hat Riefenstahl in Sachen Körperkult, Heroisierung und Glorifizie- Romanze zwischen der blonden Sennerin Lore (Belinda Mayne) und Allgeier seine Zehn-Kilo-Kamera auf den rung der Protagonisten dazugelernt, Anhänger der faschistischen dem schnöseligen Graf Ettingen (Alexander Stephan), der prompt Berg und ließ sie auch mal von Lawinen bannen – und die Zuschauer Ideologie ist Fanck jedoch nicht. Mit Der Berg ruft (1938) zementiert eine Wandlung (Heldenreise!) durchmacht hin zum geläuterten überrollen. durch ein emotionales Narrativ.“ Luis Trenker sein Image vom heimatduseligen Naturburschen für Waldbesitzer – gedreht im Berchtesgadener Land. Und wer erin- alle Zeiten. Doch während sich Trenker 1940 der NSDAP anschließt, nert sich noch an den schlimmen „Huisentoni“ (Siegfried Rauch) Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian Die Berge selbst boten ein reiches In- tut Riefenstahl das nicht und reüssiert trotzdem beruflich. Fanck aus Der Jäger von Fall (1974)? Ähnlich trivial geht es in Der Förster ventar für gute Geschichten und imposan- wiederum hatte sich früh von der NSDAP distanziert und fällt da- vom Silberwald mit Rudolf Lenz zu (Österreich, 1954), mit rund 28 te „Berghelden“: für äußere Kämpfe gegen raufhin in Ungnade. Als er 1940 doch noch beitritt, im Versuch einer Millionen Kinobesuchern ein Klassiker und Kassenschlager des Schneesturm, Lawinen, Gletscherspalten, späten Anbiederung, ist es zu spät. Hitler propagiert Riefenstahl, Heimatfilms, in dem die Kritiker „eine durchschnittliche Schnul- Verletzungen, große Kälte oder Konkurren- Goebbels fördert Trenker. Fanck, der den Berg für die Massen er- ze mit stereotyper, konventioneller Handlung“ sahen. Anders als ten. Oder für die noch größeren inneren schlossen, das Skilaufen populär und eine ganze Industrie angeregt bei Fanck, wo der Berg als Akteur dem Menschen seine harschen Kämpfe – wie Verbote, Ängste, Konflikte. Bei hat, stirbt verarmt. An ihm orientieren sich zahllose Filmemacher Gesetzmäßigkeiten aufzwingt, ist der Blickwinkel im Heimatfilm Fanck häufig zentral: der Konflikt Mensch bis heute, darunter Willy Bogner (Fire & Ice), Leo Dickinson und touristisch, der Berg eine passiv-liebliche Kulisse – aber auch hier gegen Berg. So müssen sich in Im Kampf mit Reinhold Messner. schon ein mitunter gefährdetes Stück Natur. dem Berge (1921) Hannes Schneider und Ilse Rohde durch spaltenreiche Gletscher den alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 „Stets politischer Instrumentalisierung ausgesetzt“: Der frühe Bergfilm und seine beiden Protagonisten Arnold Fanck Foto: picture alliance/dpa (1889–1974) und Leni Riefenstahl (1902–2003). In sechs seiner Filme spielte sie eine Hauptrolle. 19
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Moderner Bergfilm: außen heil, innen Hölle Ende der 1970er-Jahre folgt die Phase des modernen Heimat- oder Und Hollywood? Wo die Fiktion versucht, das Leben zu über- Zurück zum Spielfilm: Anders als Hollywood zeigt der deut- (2010) aus – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Action- Bergfilms, die bis heute andauert. Seine Themen zeigen sich nun treffen, kann es schon mal absurd zugehen, wie Cliffhanger (1993) sche Bergfilm interessantere neue Ansätze. In Nordwand (2008) streifen –, erreicht aber deutlich mehr: Während die Kamera eng differenzierter und realistischer. Die Meilensteine: Herbstmilch von mit Sylvester Stallone beweist, gedreht in den Dolomiten. Mons- setzt Regisseur Philipp Stölzl das Drama um Andreas Hinterstoißer auf einen Bergretter am Telefon hält, entfaltet die Dramatik ihre Joseph Vilsmaier (1988, mit Werner Stocker und Dana Vávrová) er- terartige Abgründe verbreiten hier einen Horror, wie man ihn sonst und Toni Kurz in der Eigernordwand von 1936 als menschliche Tra- ganze Wucht ausschließlich in den Köpfen der Zuschauer. Auf ein scheint atmosphärisch dicht und unverkitscht, ebenso Rama dama nur aus Spektakeln wie Der weiße Hai kennt. Der Berg bleibt hier gödie in Szene. Stölzl, der zuvor Opern inszenierte und Video-Clips Rache-Sujet setzt dagegen Regisseur Andreas Prochaska mit seinem von 1991. Ein ganzes Stück weiter geht Regisseur Hans Steinbich- kulissenhaft. Ebenso die alberne Gletscherspalten-Posse aus Verti- für Rammstein drehte, sagt: „Der Bergfilm ist unser Western.“ Die Alpen-Western Das finstere Tal (2014) und begreift das hochwinter- ler später mit Hierankl (2003), der glänzend besetzt im Chiemgau cal Limit (2000), dem vielleicht schlechtesten Bergfilm aller Zeiten. Riefenstahl-Ära bezeichnet er als „politisch kontaminiert“. Stölzl liche Schnalstal gleichnishaft für die klaustrophobische Enge der spielt (Wokalek, Simonischek, Bierbichler, Sukowa), psychologisch Mäßig spannend ist auch In eisige Höhen – Sterben am Mount Everest überwindet diese Ära, indem sich seine Protagonisten zwar im Berg- Figuren. Ein klassischer Western-Stoff, der an Der Besuch der alten jedoch etwas überfrachtet wirkt. Kritiker Michael Althen schreibt: von 1997, der zwar auf der realen Vorlage von Jon Krakauer beruht, heldentum versuchen, doch das missglückt auf fatale Weise. „Es Dame von Dürrenmatt erinnert, mit Sam Riley als modern-jungen- „Ein Film, der dem Zuschauer im Halse steckenbleibt (…) an einem das wahre Ausmaß dieses Bergdramas aber nicht nachzeichnen geht mir um das Scheitern eines falschen Heldenideals“, so Stölzl. hafter Version von Rächerin Claire Zachanassian. Härte und Ge- Ort, wo Bayern am schönsten ist.“ Anders als beim frühen Berg- kann. Gleiches gilt für den seichten Streifen Everest von 2015, mit Puristen bemängeln zwar, dass Stölzl eine Liebesgeschichte in den walt korrespondieren hier mit einer rauen Bergnatur, ebenso wie film, wo die Hölle im Außen für die Hölle im Inneren steht, kehrt Josh Brolin und Robin Wright. So erwartbar und durchschnittlich Nordwand-Plot hineinknotete und die Eiswand-Szenen im Kühl- im Thriller Fremder Feind mit Ulrich Matthes (2017): Eine einsame der Regisseur hier die Verhältnisse um. Das realistisch abgefilmte die Berg-Spielfilme aus dem Hause Hollywood sind, umso opu- haus drehte. Aber: „Der Wahrheit kommt man nicht zwingend da- Berghütte symbolisiert als Seelenlandschaft die Isolation des Pro- Naturidyll scheint die Dynamik des menschlichen Dramas noch lenter und aufwendiger sind neuerdings die amerikanischen Do- durch näher, dass man sie minutiös abbildet“, sagt Stölzl. Es gehe tagonisten, der völlig auf sich allein gestellt vom Pazifisten zum zu verstärken. kumentarfilme zum Thema Berg(-sport). Dem US-Regisseur und darum, faktische Handlungen in emotionale Seelenzustände zu Mörder wird. In Höhere Gewalt (Ruben Östlund, Schweden, 2014, Kameramann Jimmy Chin gelang mit Free Solo (2018) über Alex übersetzen. Das Sujet vom Scheitern am Berg scheint dabei so mo- gedreht in Les Arcs) überlebt eine Familie einen Lawinenabgang, Honnolds seilfreie Durchsteigung des El Capitan das Kunststück, dern wie nie. doch die Fluchtreaktion des Vaters verstärkt die innere Instabilität mit einem Bergfilm einen Oscar zu gewinnen. Auch beim jüngsten der Familie und zermürbt diese in einem langsamen Prozess. Auch Streaming-Hit über Nirmal Purjas Eil-Besteigung aller 14 Achttau- Zu Joseph Vilsmaiers Streifen Nanga Parbat (2010) über die in Drei Zinnen von Jan Zabeil (2017) fungiert die Natur als Katalysa- „Und Hollywood? Wo die sender hatte Chin die Finger im Spiel, 14 Peaks läuft derzeit erfolg- Expedition der Messner-Brüder schreibt der Filmdienst: „Ein mäßig tor und setzt familiäre Spannungen frei. Fiktion versucht, das Leben reich auf Netflix. Der Erfolg der beiden Produktionen liegt sicher spannendes, breit ausgewalztes Schuldkomplex-Drama, dem das auch daran, dass sie einen starken Heldenreisen-Faktor besitzen: inszenatorische Gespür für die imposante Landschaft des Hoch- Das Fazit von alledem? Die Hölle ist nicht weiß. Sie ist auch zu übertreffen, kann es Es sind Dokumentarfilme, die wie Spielfilme funktionieren. gebirges abgeht.“ Im Sinne der Campbellschen Heldenreise spielt nicht oben am Piz Palü. Die wahre Hölle steckt tief in uns drinnen, schon mal absurd zugehen.“ der sieben Millionen Euro teure Film klar auf das biblische Urthema das weiß der moderne Bergfilm gut zu transportieren. Campbell von Kain und Abel an. Mit einem Bruchteil der Kosten kommt der hat recht: Das Leben ist eine Heldenreise. Erst recht oben am Berg. „Monsterartige Abgründe“: intelligent gemachte belgische Kurzfilm Sleepless night/Nuit blanche Sylvester Stallone in Cliffhanger „Der Bergfilm ist unser Der „vielleicht schlechteste Bergfilm aller Zeiten“: Vertical Limit Western.“ – Philipp Stölzl Foto: United Archives / kpa Publicity Stills Foto: picture alliance/dpa Foto:picture alliance/dpa Foto: picture alliance/dpa Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian Foto: picture alliance/dpa Unverkitscht: Dana Vávrová und Werner Stocker in Herbstmilch Foto: picture alliance / AP Images Foto: picture alliance / Everett Collection alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 Der Toni, der Anderl und der Eiger Gewann 2019 den Oscar für den (im Hintergrund): Nordwand von 2008, besten Dokumentarfilm: Free Solo mit Florian Lukas und Benno Fürmann, Alpiner Neo-Western: Finstere Typen, finstere Blicke, gefangen in klaus- Regie von Philipp Stölzl. trophobischer Enge – Das finstere Tal von Andreas Prochaska, 2014. Gedreht im Schnalstal, Südtirol, mit Franz-Xaver Brückner und Tobias Moretti. 21
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM 1 Foto: United Archives / kpa Publicity Stills Foto: Mary Evans Picture Library 2009 Foto: picture alliance 3 4 Foto: picture alliance 2 Foto: picture alliance / akg-images Von der Geierwally zu Heidi – wo sind die Frauen im Bergfilm? Foto: picture alliance/dpa Bis ins Jahr 2022 gilt: Das traditionelle Spielfilm-Genre Schlucht steht als Gleichnis für die bedrückende Enge Bergfilm bot bisher kaum Hauptrollen für Frauen. Und familiärer Beziehungen. Zeichen seiner Zeit ist auch wenn, dann im Rollenfach „love interest“: als Objekt der mehrfach verfilmte Schwank Kohlhiesels Töchter der Begierde, Liebschaft, als Gspusi, „Schi-Baby“ oder (1962), gedreht in München und dem Berner Oberland. verträumtes Hascherl wie in Das Schweigen im Walde. Er formuliert den gesellschaftlichen Anspruch der 50er- 5 6 Schon Riefenstahl wurde als ewige „Frau zwischen Jahre, dass eine Frau doch bittschön adrett auszusehen zwei Männern“ inszeniert und übernahm diese Kon- hat – oder chancenlos als Bauerntölpel dasteht. Die stellation später in ihren Filmen (Vorsicht, böser Rollen beider Schwestern verkörpert Lieselotte Pulver, Foto: picture alliance Spitzname: „Reichsgletscherspalte“!). Eine Ausnahme eine Heldinnenreise von „hässlich“ zu „schön“. Tja, wer bildet der mehrfach verfilmte Stoff Die Geierwally, ent- bleibt noch? Natürlich Heidi! Bezeichnend, dass die aus standen nach einer Romanvorlage auf Basis des Lebens Japan stammende Trickfilmserie (Anime) von 1974 die von Anna Stainer-Knittel – die frühe Emanzipations- Optik der später so beliebten Manga-Comics vorweg- geschichte einer nicht angepassten Frau. Eine Version nimmt. Auch wenn ihre Heldinnenreise vom tief un- Foto: picture alliance von 1940 wurde mit Heidemarie Hatheyer und Sepp glücklichen Frankfurter Stadtmädel mit der Antagonis- Rist auf den Rofenhöfen im Venter Tal gedreht, mit 1,7 tin „Fräulein Rottenmeier“ zurück auf die Alm führt und Millionen Reichsmark überaus teuer: „Die Summe wur- damit dem Campbellschen Heldenkosmos entnom- de genehmigt, weil man damit die patriarchalischen men scheint. Mit dem etwas störrischen Geißenpeter Bräuche der Bergbauern würdigen wollte.“ (Wikipedia). als männlichem Sidekick – sonst ist es ja eher anders- Der Film-Dienst: „Der Film von 1940 zeigt Spuren der herum. Auf eine Selbstfindung nach Campbellscher ZUR PERSON ‚Blut und Boden‘-Ideologie, hat aber durch Hatheyers Couleur begibt sich Reese Witherspoon 2014 in Der Charakterdarstellung und die bestechende Landschafts- große Trip mithilfe des Pacific Crest Trails. Während fotografie künstlerisches Format.“ Der Wiener Kritiker Martina Gedeck in Die Wand (2012, nach dem Buch Herbert Holba schreibt im Geist seiner Zeit: „Ihre her- von Marlen Haushofer) lernt, mit jener Isolation zu le- Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian be, männlich-aktive Ausstrahlung und herausfordernde ben, die oft mit den Bergen assoziiert wird. Heimliche Eine Zeitreise in Zelluloid: Erotik machte sie zur Ausnahmeerscheinung im deut- Hauptdarstellerin ist hier: die Bergnatur. Die Filmkritik 1 — Skiteufel in Äktschn: Fanck am Arlberg beim Dreh von Der weiße Rausch, 1931. schen Film.“ findet: „(Dem Regisseur) Pölsler gelingt es in seiner be- 2 — Nein, in den Bergen ist's nicht immer schön: Hier gerät die Nordwand zur Mordwand, merkenswerten Literaturverfilmung, Tiere und Natur Film von 2008. Franziska Horn Patriarchalische Strukturen spielen auch in Via ohne Sentimentalität, ohne Kitsch, doch mit größtmög- 3 — Geierwally rettet Bärenjosef! Dritte Film-Version, 1956, mit Barbara Rütting, Carl Möhner. Seit die Alpinjournalistin Franziska Horn 2013 Mala (1961) eine Rolle, mit Christine Kaufmann als licher Einfühlung in Szene zu setzen. Da filmt einer mit 4 — Romeo und Julia auf dem Dorfe: Werner Stocker und Dana Vávrová in Herbstmilch, 1989. die „Heldenreise“ auf dem FÜL-Symposium ent- alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 deckte, integriert sie das Erzählschema in ihre „unterdrückter Tochter“. Die Graubündner Viamala- Achtung, ja Demut vor der Natur.“ 5 — Wenn der Hubert mit der Liesl: Der Förster vom Silberwald, 1954, mit Rudolf Lenz, Anita Gutwell. Autorinnenarbeit. Außerdem besucht sie derzeit Drehbuch-Seminare. Aktuelle Lieblingsfilme: 6 — Winke winke! Flieger Ernst Udet naht – Rettung aus der Luft! Leni Riefenstahl, „Das finstere Tal“ und „The Power of the Dog“. Gustav Diessl, Die weiße Hölle vom Piz Palü, 1929. 22 23
K2 in Neuseeland? Tibet in Südamerika? Die Rocky Mountains Völlig in den Dolomiten? Mit Originalschauplätzen nehmen es man- SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Alpen: James-Bond-Filme che Bergfilm-Regisseure nicht allzu genau, andere dagegen Mindestens zehn Mal jagte 007 unserer Zählung sehr. Und: Wo in den Alpen jagte Bond Bösewichte? Eine klei- nach in den Alpen Bösewichte, zuletzt etwa für verdreht „Spectre“ in Sölden und Obertilliach. In Erinnerung ne, subjektive Auswahl an Drehorten von Bergfilmen. bleiben v. a. die Stunts am Flugplatz von Courchevel, am Schilthorn und an der Staumauer des Lago di Recherche: Christian Rauch Vogorno. Der Bergdoktor Ellmau, Österreich Wohl kein Drehort hat eine solch steile Karriere hingelegt wie der Gruberhof von Hans Sigl alias Martin Sissi Gruber alias dem Bergdoktor: Seit Fuschlsee, Österreich 2007 lockt die ZDF-Serie ein Millio- Alle Jahre wieder schnulzt uns „Sissi“ nenpublikum vor die Glotze – und in der 1955er-Fassung über die Tausende Fan-Pilgerer zum Drehort Weihnachtsfeiertage entgegen. Das in Söll am Wilden Kaiser, etwa per ge- heimatliche Schloss Possenhofen führter Traktorfahrt. steht aber nicht am Starnberger See, sondern am Fuschlsee. Die Kletter- partie vom „Frrranz“ in Teil 2 nach dem Free solo Edelweiß wurde dafür im Karwendel El Capitan, Yosemite gedreht. „Free Solo“ hat 2019 einen Oscar als bester Dokumentarfilm erhalten und ist damit der erste oscarprämierte Berg- Nordwand film überhaupt. Jimmy Chin filmte den Dachstein, Österreich seilfreien Durchstieg Alex Honnolds Die moderne Fassung des Dramas durch die aalglatte Route „Freerider“ am (2008) um Toni Kurz und Andreas El Capitan – u. a. mit fest installierten Hinterstoißer in der Eigernordwand Sturz ins Leere Kameras an den Schlüsselstellen, damit entstand u. a. im Hofbrauhaus Siula Grande, Peru niemand den Protagonisten aus dem Die weiße Hölle vom Piz Palü Berchtesgaden, der Gebirgsjägerka- Die packende Story um ein durch- Flow bringen würde. Piz Palü, Schweiz serne Bischofswiesen und am geschnittenes Seil, eine tiefe Glet- Bergfilm-Pionier Arnold Fanck ließ sich für „Die weiße Dachstein. scherspalte und eine nicht mehr Hölle vom Piz Palü“ (1929) nicht lumpen und drehte für möglich gehaltene Rückkehr ins originalgetreu im Berninamassiv, teils auch nachts in Leben wurde teils am Original- 60 Meter tiefen Gletscherspalten. schauplatz in den Anden, teils aber auch in den französischen Alpen gedreht. Schnalstal Südtirol, Italien Im Südtiroler Schnalstal tummeln sich die Kameras: Zuletzt diente es als Kulisse für den Alpen-Western „Das finstere Tal“ (2014) und sogar als Ersatz für die Himalaja-Szenen in Sieben Jahre in Tibet „Everest“ (2015). Uspallata, Argentinien Heidi Die Dreharbeiten für „Sieben Jahre in Bergün, Schweiz Tibet“ waren aus politischen Gründen sehr Cerro Torre: Schrei aus Stein Nicht alle Dreharbeiten für „Heidi“ (1952) aufwendig: Die heilige Stadt Lhasa wurde Cerro Torre, Patagonien konnten am Originalschauplatz des Ro- in Argentinien aufgebaut. Mönche, Köche, In Werner Herzogs Bergsteiger-Drama von 1991 mans stattfinden: Maienfeld war baulich zu Lebensmittel wurden extra eingeflogen, liefern sich zwei Kletterprofis einen erbitterten stark verändert, weshalb vor allem in Vertical Limit damit das Set so authentisch wie möglich Kampf darum, als Erster den Gipfel der legen- Mount Cook, Neuseeland der Gegend von Bergün gedreht wurde. war. Nur wenige Szenen konnten unter dären Felsnadel in Patagonien zu erreichen. Der Die Dreharbeiten zum Actiondrama „Vertical Limit“ fanden nicht Wegen der Trümmer des Zweiten Welt- einem Vorwand an Originalschauplätzen Film hat zwar keinen direkten historischen Be- am Originalschauplatz am K2 statt, sondern am Mount Cook alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 kriegs musste man sich bei den Außen- gedreht werden. zug, aber er enthält Parallelen zum Streit um die in Neuseeland. Die dortige Bergwelt entspräche laut Produktions- aufnahmen in Frankfurt teilweise mit umstrittene Erstbesteigung des Cerro Torre im firma am ehesten den Verhältnissen am K2. Ziemlich verdreht Aufnahmen von Basel und Fotomon- Jahr 1959 durch Cesare Maestri und Toni Egger, waren dann auch die meisten Seilmanöver im Film. tagen behelfen. der während des Abstieges tödlich abstürzte. 24 25
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Story vor Technik Was hat ein Bergfilmer heutzutage im Rucksack? Regisseur und Kameramann Valentin Rapp, beim letzten Tegernseer Bergfilmfest mit dem Otto-Guggenbichler-Preis ausgezeichnet, zeigt uns das Equipment für sein neuestes Projekt – und erklärt, warum es letzt- lich eher auf die Geschichte ankommt als auf die Technik. Protokoll: Thomas Ebert, Fotos: Valentin Rapp „Was da links zu sehen ist, ist die Ausrüstung für das Bergvideos auf YouTube eigentlich nur von Profis. Projekt ‚Seven Summits’. Damit habe ich letztes Jahr Der Rest war amateurhaft, verwackelt. Damals war es Lukas Irmler gefilmt, wie er auf dem jeweils höchsten noch einfacher, aus der Masse herauszustechen. Heute Gipfel der sieben Alpenländer eine Slackline begeht. bieten auch kleinste Kameras hohe Auflösungen und Der Film ist gerade im Schnitt und wird hauptsäch- gute Stabilisierungen, damit können auch Leute mit lich online laufen, aber auch bei Filmfestivals. Rich- wenig Bezug zum Film hohe Produktionsstandards tige Kinokameras sind nochmal größer, aber am Berg erreichen. Die meisten Bergfilme sind heute optisch ist die Ausrüstung eben immer ein Kompromiss zwi- top. Aber zu einem packenden Film gehört für mich schen Qualität und Gewicht. In diesem Fall musste ja mehr, als den Italienurlaub mit der neuesten GoPro zu auch noch die Hochtourenausrüstung dazu. Ich habe filmen. Abheben kann man sich heute vor allem mit keinen engen Bezug zu meinen Kameras, das würde guten Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden. sonst zu sehr weh tun, wenn die Kamera mal in den Ich bin kein Fan davon, Dinge mittels Technik größer Schnee fällt. Denn das Material leidet natürlich, gerade aufzubauschen, als sie sind – die Technik dient nur die Objektive im Fels. Zwei oder drei Drohnen habe ich zum Einfangen der Geschichte. Insofern war der Nach- auch schon zerstört. Natürlich ist alles versichert, aber wuchspreis beim Tegernseer Bergfilmfest, wo ja auch das bringt dir am Berg nichts, der Dreh muss unter- eher tiefergehende Filme laufen als Red-Bull-Action- brochen werden. streifen, eine tolle Auszeichnung.“ Gute Technik ist wichtig, aber nicht alles. Es gibt ein hohes Grundniveau, unter das man nicht fallen Valentin Rapps Film darf, denn wir alle sind verwöhnt von scharfen und „Alpine Highlining“ stabilen Bergfilmen. Als ich während meiner Schul- (13 min) gibt es in voller zeit angefangen habe zu filmen, gab es technisch gute Länge auf vimeo. QR-Code Die Ausrüstung: Kamera A – Red Scarlet-W, Akkus, Speicherkarten, Objektive 18–35 mm, 24–105 mm, 70–200 mm, Kamera B – alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 Sony Alpha 7s III, Akkus, Speicherkarten, Objektive 20 mm, 24–105 mm, 70–200 mm, Drohne, Akkus, Fernbedienung, ND-Filter, Aufsteckmikro, Funkmikros, 2× GoPro + Akkus, Leichtes Stativ, Gimbal, Funkgeräte, Helm, Hochtourengurt, Karabiner, Band- schlingen, Eisschraube, Spaltenrettung, Steigeisen, Pickel, Seil, LVS, Erste Hilfe, Biwaksack, Stirnlampe, Daunenjacke, Wechsel- shirt, Verpflegung, Handschuhe, Mütze, Sonnenbrille, Rucksack 27
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM „Ich will keine Heldengeschichten erzählen.“ Traumjob – oder Knochenarbeit? Als Filmteam begleiteten Lisa Röösli und Caroline Fink eine Achttausender-Expedition in Nepal. Mehrere Wochen filmten sie zwischen Gletscherspalten, bei zweistelligen Minustemperaturen und Schlechtwetter – und das auf über 6000 Metern Höhe. Was es bedeutet, einen Film dort zu drehen, wo selbst trainierte Bergsteiger an ihre Grenzen kommen – ein Gespräch über Dokumentarfilme am Berg. Interview: Rabea Zühlke Foto: Caroline Fink Strahlend und erholt einige Wochen nach der Expedition: Regisseurin Lisa Röösli und Kamerafrau Caroline Fink in der Züricher alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 Bergsport-Buchhandlung Piz Buch & Berg Foto: Urs Nett Eisige Nächte in der Höhe: das zweite Lager auf über 6400 Metern Höhe am Dhaulagiri 28
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM „Filmen ist oft unangenehm, wir dringen in die Privat- sphäre anderer ein.“— Caroline Fink Foto: Urs Nett sprachigen Schweizer Fernsehens machen teressiert mich der Film nicht. Ich möchte sagt nicht: „Es sterben so viele Menschen, Caroline: Filmen ist oft unangenehm. ihrer letzten Eis-Prüfung gefilmt. Die Rou- Was zeichnet einen guten Berg- durfte, das auf Porträts spezialisiert ist, kam wissen, was dahintersteht. ich mache es trotzdem und bin ein Held, Man dringt in die Privatsphäre der Men- te war extrem anspruchsvoll. Die junge film aus? meinem Interesse sehr entgegen. Lisa: Beim Bergsteigen geht es immer weil ich meine Angst überwinde.“ schen ein, deswegen ist das Vertrauen Frau hat echt gekämpft, sie hat geschrien Caroline: Ich will möglichst nah an der Caroline: Es ist ein Porträt über eine um den Gipfel. Das hat dieser Sport so an ganz wichtig. und geheult – und die Route geschafft. Am Realität sein und keine Heldengeschichten Persönlichkeit, die wirklich spannend und sich. Der Schluss des Filmes ist in dem Wie sieht eure Herangehensweise Lisa: Was am Berg der Unterschied ist: Abend sagte sie mir, ich könne alles Mate- erzählen. vielschichtig ist. Sinne klar. Aber es gibt eine Erzählung da- Niemand hat Zeit und Energie, um elend rial verwenden. Das hat viel damit zu tun, Lisa: Außer es sind Helden. vor. In unserem Film ist man in der Hälfte an einen Bergfilm aus? lange Diskussionen zu führen. Trotzdem sich Zeit zu nehmen und Vertrauen auf- Caroline: Aber auch Helden sind ganz War es für euch das erste Film- noch nicht einmal im Basislager! Zudem: Caroline: Ein guter Bergfilm soll un- fragt man natürlich die Protagonisten, ob zubauen. Am Dhaulagiri hatte ich das Ver- normal. Es gibt Filme, die mir nicht gefallen, Es ist anspruchsvoll, die objektiven Gefah- mittelbare und echte Emotionen vermit- es okay ist, zu filmen. Mit der Teilnehmerin trauen in uns, dass wir spüren, wie weit weil sie inhaltslos sind. Bei Bergfilmen geht projekt an so einem hohen Berg? ren, das physische Leiden und noch viel teln. Besonders im Bergfilm-Genre passiert waren wir zu dem Zeitpunkt schon mehrere wir gehen können. Außerdem kannst du es oft um dasselbe: Das Filmteam dreht am Lisa: Ich habe 2017 für den Sender mehr den inneren Kampf einer Bergstei- es, dass jemand versucht, Authentizität Wochen unterwegs. Sie hat sich filmen las- später im Schnitt noch entscheiden, wel- Berg, macht noch etwas Ethnografisches 3sat einen Dokumentarfilm über die Be- gerin bildlich einzufangen und zu vermit- künstlich herzustellen. Es ist verlockend, sen, weil sie uns kannte. Bei solchen Berg- che Szenen reinkommen. dazu, der Protagonist kommt auf den Gipfel steigung des Elbrus gedreht. Privat war teln. Was deswegen oft gemacht wird: viel Szenen zu stellen, weil das Filmteam mit dokumentationen verbringt man viel Zeit Lisa: Grundsätzlich gilt: Was ich oder scheitert, danach kommen noch ein ich auf etlichen Expeditionen und stand dramatische Musik und ein Kommentator, der Anstrengung und dem schwierigen Ge- miteinander, das kann vertrauensbildend nicht gefilmt habe, kann ich nachher im paar Interviews. Ein Bergfilm, in dem ich auch schon auf 8000ern. Deswegen habe der ständig von Gefahr redet. Wenn man lände vor Ort konfrontiert ist. Die Fotos ei- sein. Schnitt auch nicht fortwerfen. Außerdem involviert sein will, muss anders sein. ich mir dieses Projekt überhaupt zugetraut. dann noch mit Helikoptern, vielen Kame- ner Erstbesteigung werden auch oft nach- ändern Menschen ihre Meinung: Was im Ich habe Sophie Lavaud 2016 am Makalu ras und großem Team unterwegs ist, wird gestellt. Beim Filmen gibt es eine ähnliche Wenn auf der Expedition etwas Moment unerträglich ist, kann mit Distanz Was war bei eurer Dokumentation kennengelernt, das war ihr fünfter 8000er es natürlich spektakulärer als mit unseren Tendenz, doch man scheitert immer damit. akzeptierbar sein. Und umgekehrt. Das ist damals, und als ich sah, dass sie danach bescheidenen Mitteln – zwei Kamerafrau- Authentizität kann man nicht herstellen, Schlimmes wie ein Lawinen- nichts Bergfilm-Spezifisches. Und klar war über die Schweizer Höhenberg- einen Gipfel an den nächsten reihte, woll- en und eine Drohne. Authentizität ist einfach da. abgang, ein Spaltensturz oder für mich auch, dass Sophie Lavaud den steigerin Sophie Lavaud anders? te ich in die Geschichte einsteigen. Caroline: Man muss in unserem Gen- Ähnliches passiert wäre, hättet Film vor der Fertigstellung zu Gesicht be- Ist es nicht auch ein Bergfilm Caroline: Ich habe professionelle Er- re wirklich aufpassen: Das Risiko ist groß, Ihr habt also keine gestellten ihr irgendwann die Kamera aus- kommt. fahrung im Filmen am Berg, allerdings vor dass wir Klischees bedienen. über die heroischen Taten einer Szenen am Dhaulagiri? geschaltet? allem in den Alpen. Privat war ich bisher Ihr musstet nicht nur, wie alle Bergsteigerin, die einen Acht- auf knapp 6000 Metern. Insofern ja: Für Lisa: Nein, auf 6000 Metern Höhe Lisa: Ich habe oft überlegt, was ist, Welche zum Beispiel? anderen Expeditionsteilnehme- tausender besteigt? mich war es das erste Mal an einem Acht- kannst du nicht sagen „Bitte geh nochmal wenn ein Unfall passiert: Wie wird Sophie Lisa: Es gibt 14 Achttausender, So- tausender – als Bergsteigerin und Filmerin Caroline: Allen voran das Klischee des zurück“. Wir haben schon zwischendurch reagieren? Bin ich noch fähig, mit der Ka- rinnen, mit der Höhe und der phie möchte ihren zwölften besteigen. Sie für ein so großes Projekt im Auftrag des öf- unerschrockenen und doch bescheidenen zu Sophie gesagt, sie solle warten. Aber mera zu arbeiten? Alles Fragen, die kannst Kälte klarkommen, sondern gleich- könnte die erste Schweizerin und vierte fentlich-rechtlichen Fernsehens. Bergsteigers, der an einem gefährlichen solche Regie-Anweisungen sind für die und musst du dir vorher überlegen, um zeitig noch filmen. Habt ihr am Frau werden, die auf allen Achttausen- Berg sein Leben riskiert, um glücklich zu Protagonistin ermüdend. Wenn etwas pas- mental vorbereitet zu sein, aber beantwor- dern stand. Eine große Leistung – aber sein. Oft werden auch gleich noch die Gen- siert, muss die Kamera da sein – so wird ten kannst du sie nicht. Das entscheidet Ende nicht viel mehr geleistet als Ihr habt die von Sophie geleitete das macht Sophie in meinen Augen nicht der-Stereotype bedient, indem der Bergstei- Authentizität erreicht. Einer Bergsteigerin sich, wenn es so weit ist. die Bergsteigerinnen? zu einer Heldin. Zudem ist sie auf den Frauen-Expedition sieben Wochen ger – um seine Freiheit zu leben – Frau und ging es schon im Lager eins, auf nicht mal Caroline: Da kommt deine innere Lisa: In gewisser Art schon. Man Normalwegen der 8000er unterwegs, sie lang in Nepal begleitet, drei da- Kinder daheim lässt. Das haben wir so oft 6000 Metern Höhe, so schlecht, dass sie Haltung zutage. Diese innere Haltung be- muss so weit voraus sein, dass sich die At- ist keine Spitzenathletin und taugt in dem von wart ihr am 8167 Meter hohen als runtergeleierte Story gesehen, dass es für entschied, abzubrechen. In diesem Mo- einflusst, wie du filmst und wie die Doku- mung wieder beruhigt und man den Atem Sinne nicht für eine der beliebten Rekordge- mich nur noch als Plattitüde daherkommt. ment musst du mit der Kamera da sein, das mentation am Ende wirkt. Leute spüren, sogar anhalten kann, damit das Bild nicht Dhaulagiri. Am Ende dreht es schichten. Mich interessierte die Geschich- Lisa: Da sind wir wieder beim Thema kannst du nicht wiederholen. ob du eine voyeuristische, eine dokumen- verwackelt. Sobald Sophie an uns vorbei- te dieser Frau, die sich selbst als ganz „nor- sich aber doch um die Frage, ob Helden. Wenn du Sophie auf die vielen tierende oder sogar anteilnehmende Ka- ging, mussten wir sie wieder einholen. alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 mal“ bezeichnet. Es steckt eine persönliche sie es schaffen wird oder nicht. Toten an den Achttausendern ansprichst, Ist es nicht unangenehm, mit der mera machst. Und gerade in extremen Si- Wenn alle eine Pause machen, machen Entwicklung dahinter bis jemand auf die Caroline: Schon, aber wenn es in sagt sie, auf ihren 18 Expeditionen wurde tuationen lassen es Leute dann einfach zu. wir keine. Bis auf 6500 Metern hat das Idee kommt, alle 8000er zu besteigen. Dass einem Film nur um die Leistung geht – sie zwei, dreimal mit dem Tod konfron- Kamera auf eine Person draufzu- Während einer Doku über Schweizer Berg- funktioniert, weiter oben wissen wir nicht. ich den Film für ein Format des französisch- selbst wenn diese großartig ist –, dann in- tiert. Sie habe auch Glück gehabt, aber sie halten, der es eh nicht gut geht? führerinnen habe ich eine Aspirantin in Unser Sherpa Pasang war ein talentierter 30 31
SCHWERPUNKT BERGFILM „Wenn sich jemand selbst filmt, ist es immer eine Inszenierung.“ — Lisa Röösli Caroline: Man muss vor allem Erfah- Lunger am K2, hat sich die Prota- in die Pfanne haut. Als Fotografin glaube ist die Post-Produktion sehr teuer: das ZU DEN PERSONEN rung mitbringen, wie man sich im alpi- gonistin einfach selbst gefilmt. ich außerdem an das gute Bild – das ver- Color-Grading, die Audio-Mischung usw. – nen Gelände bewegt und wie man dort ar- Interviews und andere Sequenzen liert nicht an Wert. Nur weil man die Tech- Filmen ohne Budget ist viel, viel schwieri- beitet. Außerdem haben wir uns tagelang nik zum Filmen hat, heißt das nicht, dass ger als Fotografieren ohne Budget. darüber unterhalten, welche Kameras wir wurden bei ihr zu Hause nach- gutes Filmmaterial geschweige denn ein mitnehmen. Zu Hause habe ich meine Ka- gedreht. Wäre das für euch eine guter Film daraus wird. Ist es am Ende den ganzen meras in die Tiefkühltruhe gelegt und alle Option gewesen? Aufwand überhaupt wert? zwanzig Minuten geschaut, ob der Akku Free Solo, Touching The Void, noch hält. Lisa: Caroline hat lustigerweise vor- Caroline: Im Lateinunterricht habe Lisa Röösli Lisa: Es geht gar nicht darum, mit hin gesagt, wir seien „altmodisch“ mit Die weiße Hölle vom Piz Palü – ich gelernt: „Per aspera ad astra“ – durch Lisa Röösli, 1965 in Oberrieden im Kanton Zürich den großen Produktionsfirmen mitzuhal- unserem Vorgehen: Menschen begleiten, alles große Bergfilme. Bei wel- Mühsal zu den Sternen. Fängt man mit geboren, ist seit über zwanzig Jahren als Journa- listin, Regisseurin und Kamerafrau beim Schweizer ten. Die Budgets sind überall im Film- beobachten und befragen – und auch chen Dreharbeiten wärt ihr gern einem Filmprojekt an, schafft man sich Fernsehen (SRF). Von Serien wie „Die Bergretter – schaffen unterschiedlich. Man arbeitet mit probieren zu filmen, wenn etwas unan- viele Probleme, die man sonst nie hät- dabei gewesen? Unterwegs mit der Air Zermatt“ über ethnografische Foto: Urs Nett dem, was man hat. Da braucht es halt Kom- genehm ist. Der Trend geht vielleicht in te. Wenn man am Ende aber den fertigen Filme im Alpenraum bis hin zu Expeditionen wie promisse – und ja: je weniger Leute, desto eine andere Richtung, aber man muss die Lisa: Bei „Touching The Void“, weil Film sieht und damit Menschen inspiriert, am Elbrus oder am Dhaulagiri hat die Schweizerin größer der Einsatz! Aber am Ende geht es beiden Herangehensweisen nicht gegen- das Storytelling unglaublich spannend ist. dann ist es ein Privileg. Nach der Bergfüh- verschiedene Bergfilme und Dokumentationen darum: Kann ich die Geschichte erzählen, einander ausspielen. Das „Sich-Selbst- Eine klassische Dramaturgie fesselt den rerinnen-Doku haben mir junge Bergstei- gedreht. Fotograf. Auf dem Trekking ins Basislager die ich möchte? Filmen“ ist ein interessantes Stilmittel Zuschauer, weil er unbedingt wissen will, gerinnen geschrieben, das sei der letzte haben wir ihn ins ABC des Filmens mit und kann zu lebendigen und eindring- wie die Geschichte ausgeht. In diesem Funke gewesen, sich für die Ausbildung unseren Kameras eingeführt. Er war unser Wie habt ihr es mit dem Ton gelöst? lichen Szenen führen. Nicht selten ist Film weiß man von Anfang an, dass die anzumelden. Plan B. es bei Bergfilmen die einzige Möglich- beiden Bergsteiger überleben – und trotz- Lisa: Ich habe nun über zwei Jahre Caroline: In dem Moment leistet man Lisa: Das französischsprachige Schwei- keit, überhaupt Filmmaterial zu bekom- dem bleibt man permanent in der Span- für diesen Film gearbeitet, wegen Coro- sicher mehr, aber Sophie hatte wiederum zer Fernsehen arbeitet normalerweise mit men: Das Geschehen passiert einerseits nung, eine super Narration. na mussten wir den Dreh zweimal ver- einen anderen Druck, weil es gewisse Er- Tontechnikern. Für sie war es ein Experi- in extremen Situationen, wo kaum eine Caroline: Von den klassischen Berg- schieben. Das heißt auch: Ich habe drei- wartungen an sie gab. ment, uns ohne loszuschicken, aber finan- beobachtende Kamera hinkommt, an- und Abenteuerfilmen wäre ich gerne bei mal intensiv für die Expedition trainiert. ziell wäre es nicht mehr machbar gewesen. dererseits ist es anders nicht finanzier- der „Weißen Hölle vom Piz Palü“ dabei ge- Natürlich fragt man sich manchmal: Was Caroline Fink Ihr seid als reines Frauen-Filmteam Für die Interviews hatten wir Ansteckmikro- bar. Doch dieses Vorgehen birgt die Ge- wesen, weil es ein Spielfilm ist. Ich finde mach ich da eigentlich? Am Ende mussten Caroline Fink, 1977 in Biel/Bienne im Kanton Bern phone, Richtmikros auf den Kameras und … fahr des „Me, Myself and I“. Wenn sich die Kombination von Spielfilm und Doku- wir die Expedition sogar abbrechen, weil geboren, arbeitet als freischaffende Fotografin, mitgegangen. Eine Seltenheit am Caroline: Nicht alle Berufsgeheimnis- jemand selbst filmt, ist es immer eine mentation spannend. das ganze Team an Covid-19 erkrankt war. Filmemacherin und Autorin. Die Wahl-Züricherin Berg? se ausplaudern! (lacht) Inszenierung. Deswegen liegt mir dieser Trotzdem gab es einen Film! Wenn er gut ist über die Fotografie zum Filmen gekommen. Lisa: Das ist besonders und ich bin Lisa: Wir hatten unsere Techniken – „altmodische“, journalistische Ansatz am endet, endet er gut, und wenn es kein Hap- Viele ihrer Dokumentationen wie „Frauen am Berg“ Wie läuft generell die Finan- oder „Aletsch“ wurden auf internationalen Berg- stolz darauf – aber es war nicht das obers- auch, um den Atem aufzunehmen. Für den Herzen: Der Blick von außen erlaubt es, py End gibt – aus welchem Grund auch im- te Ziel. Wenn meine Wunschkonstellation Zuschauer sieht es nämlich gleich aus, ob mitzuerleben und Fragen zu stellen, das zierung eines unabhängigen mer –, gibt es eben keines. Das hat mich filmfestivals gezeigt. Aktuell ist Caroline Fink Teil der Jury des Kathmandu International Mountain mit Caroline nicht geklappt hätte, wäre ich jemand auf 2000 oder 6000 Metern Höhe Tun zu reflektieren. Das verleiht dem Filmprojekts ab? nie gestresst. Es geht mir darum, einen Film Festivals. caroline-fink.ch mit einem Kameramann hin. marschiert. Hört man den Atem, versteht Film Tiefe. Caroline: In der Schweiz sind die In- Film zu machen, der Bestand hat. man eher, was es heißt, sich in dieser Höhe Caroline: Am besten funktioniert stitutionen relativ gegeben, wo man sei- Caroline: Und das „Wie“ ist schluss- zu bewegen. das, wenn die Kamera so „klein“ und „still“ ne Drehvorlage einreichen und Geld für endlich nicht so relevant. Ob in Form Zur Dokumentation Wie kreativ muss man sein, um wie möglich ist. Also die Protagonisten freie Produktionen bekommen kann. Für einer erzählten Geschichte, eines Thea- „Sophie Lavaud und das Abenteuer der 8000er“ mit Helikopteraufnahmen oder alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 Bei einigen Bergfilmen, wie bei- so vertieft in etwas sind, dass sie die Ka- meinen Bergführerinnenfilm habe ich be- terstücks oder einer Ausstellung – wir anderen Mitteln großer Produk- mera nicht bemerken. Dafür müssen sie stimmt zwei Jahre Geld gesucht. Wir ha- sind in der privilegierten Lage, dass wir spielsweise beim Porträt der tionsfirmen mitzuhalten? wiederum das Vertrauen haben, dass man ben schon währenddessen gedreht, aber Geschichten, die uns inspirieren, weiter- Südtiroler Bergsteigerin Tamara sie am Ende mit dem Filmmaterial nicht das sind Hochrisikodrehtage. Außerdem erzählen dürfen. 32 33
SCHWERPUNKT BERGFILM SCHWERPUNKT BERGFILM Männliche Helden, die sich wagemutig Der Mensch an steilen und vereisten Felswänden verausgaben? Nett, aber der Bergfilm von heute ist weiter. Mit Paula Flach und Michael Pause bestätigen das zwei „Der innere Berg ist der interessantere.“ Menschen, die kraft ihres Amtes als Was macht für Sie die Faszination des Bergfilms aus? ren. Spannende Charaktere und ihre Erlebnisse bieten Filmerisch darzustellen, wie sich dieser klei- da mehr Anknüpfungspunkte. Darauf achten wir auch Filmfestival-Direktoren eng mit dem macht’s! ne Mensch in den großen Bergen zurechtfindet, das bei der Filmauswahl. Über die vergangenen 20 Jahre ist Genre verbunden sind. Authentisch, finde ich faszinierend. Man wird in eine andere Welt unser Netzwerk zu Filmschaffenden gewachsen. Aber tiefsinnig und bildgewaltig – das sind entführt und erlebt sie durch die Augen eines ande- auch wir setzen Filmprojekte um, wenn wir einen fas- die neuen Chiffren des Bergfilms. ren. Dabei gehört das klassische Narrativ „Mensch be- zinierenden Menschen und seine Geschichte erzählen zwingt Berg“ der Vergangenheit an. Es geht nicht mehr wollen. Interviews: Nadine Regel darum, dass der Mensch die Natur besiegt, auch, weil der Respekt vor der Natur größer geworden ist. Der Wie sieht die Zukunft des Bergfilms aus? Paula Flach ist Creative Director der Berg bleibt am Ende eh der Chef. Für mich ist der in- Die Zukunft des Bergfilms ist divers – techno- European Outdoor Film Tour und nere Berg immer der interessantere, also was in einem logisch, aber auch erzählerisch und was die Protago- arbeitet seit 2013 für die größte Out- passiert, wenn man draußen unterwegs ist. nisten angeht. Es wächst gerade eine Generation her- door-Film-Tour Europas. Seit ihrem an, die wahre Tausendsassas am Berg hervorbringt. Sie Filmstudium in Norwegen verbindet Worauf achten Sie bei der Auswahl der Filme für die E.O.F.T.? beherrschen verschiedene Sportarten und können mit sie ihr Faible für den Film mit be- Wir haben uns schon lange von dem Credo „hö- der neuesten Filmtechnik umgehen. Die Digitalisierung sonderen Geschichten aus der wilden her, schneller, weiter“ verabschiedet. Für uns steht hat den Film demokratisiert, weil es für viele erst er- Natur. im Mittelpunkt, Geschichten zu erzählen, die auf der schwinglich geworden ist, überhaupt einen Film zu dre- großen Leinwand der Natur spielen. Klar ist das alles hen. Der Berg wird so unterschiedlich im Film gezeigt, spektakulär, aber es gibt auch Grenzen, denn irgend- wie die Menschen ihn erleben. Je diverser die Stimmen wann ist das Adrenalin einfach ausgereizt. Dann kann werden, desto diverser werden die Geschichten. man sich als Zuschauer nicht mehr damit identifizie- „Geile Bilder Was macht einen guten Bergfilm aus? Es gibt Filmschaffende, die glauben, dass sie auf welt der Darsteller und Darstellerinnen einzutauchen. Zudem ist das Themenspektrum groß: Die Begegnung das Geschichtenerzählen verzichten können. Sie las- Mensch und Berg stellt ein unendliches Universum allein ermüden sen sich von der Macht der Bergfilmbilder berauschen und produzieren Freeride-, Climbing- und Downhill- dar. Zwar gibt es noch die Heldengeschichten nach Trenker-Art. Beim Gros der Filme handelt es sich aber auf Dauer.“ „Pornos“. Das heißt: Auch „geile“ Bilder allein ermüden auf Dauer. Ein guter Bergfilm lebt von einer starken um Dokumentarfilme über Menschen, die in den Ber- gen Natur, Entschleunigung und Selbstbestimmung Geschichte und überzeugenden Protagonisten und suchen. „Dokudramen“ sind seit einigen Jahren stark Illustration: istockphoto / Warmworld, Foto Hintergrund: istockphoto / Radu Bighian Protagonistinnen. Zudem muss ein Bergfilm glaubhaft im Trend. sein – das ist ein „Essential“ dieses Genres! Durch die spektakuläre Kulisse, die dem Bergfilm immanent ist, Welchen Beitrag leistet das Tegernseer Bergfilm-Festival? Michael Pause ist Bergjournalist, können wir die Zuschauer die Erhabenheit der Natur Mit Filmen aus aller Welt zeigt das Festival den ehemaliger Moderator und spüren lassen. Besuchern und Besucherinnen die unglaubliche The- Leiter der Sendung Bergauf-Berg- menvielfalt des modernen Bergfilms. Außerdem ist ab beim Bayerischen Fern- Wie hat sich das Genre verändert? es ein wichtiger Markt für Filmschaffende. Wer nicht sehen und seit 2009 Direktor des Einschneidend war die Digitalisierung des ge- von Haus aus Beziehungen zu einem Sender hat, der Tegernseer Bergfilm-Festivals. samten Filmwesens durch Smartphones, Drohnen braucht irgendwo einen Marktplatz, wo er seine Filme alpinwelt 1/2022 alpinwelt 1/2022 und Actionkameras. Insbesondere die Drohnen ha- zeigen und anbieten kann. Festivals sind da der ideale ben dem Bergfilm in den letzten 15 Jahren zu neuen, Ort. Hier kommt die Community zusammen, Zuschau- atemberaubenden Bildern verholfen – sie ermögli- erinnen treffen auf Filmemacher – die persönliche Be- chen es den Zuschauern, noch tiefer in die Erlebnis- gegnung macht den Unterschied. 34 35
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