Inklusion und Geflüchtete - Die Überwindung exkludierender Verhältnisse als Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe
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Inklusion und Geflüchtete Die Überwindung exkludierender Verhältnisse als Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe Sebastian Hofbauer veröffentlicht unter den socialnet Materialien Publikationsdatum: 25.01.2018 URL: https://www.socialnet.de/materialien/28061.php
Inklusion und Geflüchtete - Die Überwindung exkludierender Verhältnisse als Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe Masterarbeit zur Abschlussprüfung an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit vorgelegt von Sebastian Hofbauer Matrikelnummer: 716013 Erstprüfer: Prof. Dr. Christian Brütt Zweitprüferin: Prof. Dr. Susanne Spindler
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Exklusion 4 2.1 Die soziale Frage der Gegenwart 7 2.2 Die Quellen gesellschaftlicher Zugehörigkeit 14 2.2.1 Interdependenz durch Erwerbsarbeit 15 2.2.2 Soziales Umfeld 17 2.2.3 Partizipation durch Bürgerrechte 19 2.3 Gleichzeitigkeit des Drinnen und Draußen 22 3. Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe durch sozialpolitische Interventionen 25 3.1 Rechtliche Interventionsformen 30 3.2 Ökonomische Interventionsformen 32 3.3 Ökologische Interventionsformen 35 3.4 Pädagogische Interventionsformen 43 4. Die Situation Geflüchteter 46 4.1 Der Begriff Flüchtling und seine Verwendung 47 4.2 Interdependenz durch Erwerbsarbeit für Geflüchtete 54 4.2.1 Rechtliche Lage 55 4.2.2 Ökonomische Verhältnisse 58 4.2.3 Ökologische Infrastruktur 60 4.2.4 Pädagogische Aspekte 62 4.3 Reziprozität im sozialen Raum Geflüchteter 64 4.3.1 Rechtliche Lage 65 4.3.2 Ökonomische Verhältnisse 67 4.3.3 Ökologische Infrastruktur 67 4.3.4 Pädagogische Aspekte 70 4.4 Partizipation Geflüchteter durch Bürgerrechte 72 5. Fazit 77 6. Literaturverzeichnis 82
1. Einleitung Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte für das Jahr 2015 den Begriff „Flüchtlinge“ zum „Wort des Jahres“. Hintergrund dieser Wahl war weniger die, durchaus nicht unstrittige, Begrifflichkeit an sich als vielmehr der in ihr transportierte Inhalt (vgl. GfdS 2016: o.S.): keine Thematik hat im Kalenderjahr eine auch nur ansatzweise ähnlich hohe politische, mediale und zuvorderst gesellschaftliche Relevanz erreicht wie jene von, scheinbar plötzlich und unerwartet, zu hunderttausenden ankommender geflüchteter Menschen allen Alters und verschiedener Nationalitäten. Die Tatsache ihres Erscheinens in Europa und Deutschland markiert, so scheint es derzeit, eine bis dato nicht für möglich gehaltene Zerreißprobe unserer Gesellschaft, welche sich von der politischen Ebene über die Zivilgesellschaft bis hinunter auf die persönliche Beziehungsebene konstatieren lässt. Es gibt, so der Anschein, keine Grautöne in einer Debatte welche sich scheinbar rein zwischen eindeutigem pro und contra Geflüchteten gegenüber bewegt, radikale Ansichten gewinnen derzeit deutlich an Bedeutung, bis hinein in die scheinbar gemäßigte Mitte der politischen Landschaft. Um einige Zahlen zu nennen: im Jahr 2013 wurden ca. 127.00, 2014 ca. 203.000 und im Jahr 2015 schließlich 476.649 Asylanträge seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge registriert, was zugleich dem höchsten Wert seit Beginn der Erfassung dieser Zahlen im Jahr 1953 entspricht (vgl. BAMF 2016a: 3), bezieht man auch jene Geflüchteten ein, welche noch keinen Asylantrag gestellt haben, so erhöht sich die Zahl der 2015 angekommenen und in Deutschland lebenden Menschen auf schätzungsweise 800.000. (IAB 2016: 1) Dies ist gerade für die Soziale Arbeit ein äußerst relevantes Thema, „Sozialarbeiter überholen Ingenieure“ titelte „Die ZEIT“ unlängst, eine Studie des „Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft“ kürte Absolvent*innen der Sozialen Arbeit zu den gefragtesten Akademiker*innen des Jahres 2015. (http://www.zeit.de/2016/07/arbeitsmarkt-studie- soziale-berufe-fluechtlinge) Doch auch über entstehende Arbeitsplätze im Bereich der sozialen Hilfen für Geflüchtete, seien dies Migrationsdienste, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder Tätigkeiten in Erstaufnahmeeinrichtungen, hinaus spielt der Umgang mit dieser, in mancherlei Hinsicht besonders auf Hilfestellung angewiesener, Gruppe eine zunehmend wichtigere Rolle. Innerhalb des vom Asylrecht vorgegebenen Rahmen gilt es zudem eine professionelle Haltung zu bewahren und Standards umzusetzen, welche oftmals nicht in selbigen passen, was die Arbeit für die Beschäftigten erschwert. (DGSA 2014: o.S) Doch auch abseits von Hilfen und Einrichtungen im Rahmen des Asylverfahrens begegnen sie uns schließlich ebenso im beruflichen Alltag von Jugendhilfe, Wohnungslosigkeit, Gemeinwesenarbeit und 1
sonstigen „klassischen“ Arbeitsfeldern, als legitime (oder u. U. auch Illegalisierte) Klient*innen und Inanspruchnehmer*innen dieser Angebote. Geflüchtete sind ein faktisch vorhandener Teil der Gesellschaft, mit Rechten und auch Ansprüchen ausgestattet, wie ausgeformt diese tatsächlich sind und inwieweit hierbei von Inklusion zu sprechen ist sei im Folgenden noch zu klären. Im Fokus der komplexen Thematik steht die möglichst rasche Integration Geflüchteter in unsere Gesellschaft, wobei sich hier einige offene und essentielle Fragen ergeben. Zunächst ist zu erläutern was unter Integration in diesem Kontext überhaupt zu verstehen ist, darüber hinaus verwundert bereits diese Begriffswahl, wähnte man doch das Konzept der Inklusion bereits als scheinbar legitimen Nachfolger zur Gestaltung gesellschaftlicher Teilhabe für alle. Hinzu kommt die Frage nach der Verantwortung, wer ist für die Integration oder Inklusion Geflüchteter in die Gesellschaft zuvorderst verantwortlich zu machen, drückt diese eine aktive Bringschuld der ankommenden Menschen oder doch der gesellschaftlichen Akteure des Ziellandes aus? Zunächst ist darzustellen, was unter gesellschaftlicher Teilhabe verstanden werden darf, wie diese sich gestaltet und in welchen Feldern sie von wem und mit welchen Mitteln umgesetzt werden muss, um als effektiv wirksam bezeichnet werden zu dürfen. Ebenso muss eine Eingrenzung der Rahmenbedingungen vorgenommen werden, da sich die Lebensrealität geflüchteter Menschen in einem komplexen Geflecht aus biographischen, rechtlichen und sozialen Faktoren gestaltet. Zumindest letztere beiden scheinen auf den ersten Blick auch seitens unserer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als beeinflussbar, was wiederum die Frage aufwirft, wer diese Bedingungen mit welchen Mitteln tatsächlich wie ausgestaltet. Zur Bearbeitung aufgeworfener Fragen soll im Folgenden eine Schematik entworfen werden, welche einen analytischen Blick auf die zentralen für gesellschaftliche Teilhabe relevanten, Felder ermöglicht, um deren Ausgestaltung explizit für die heterogene Gruppe geflüchteter Menschen darstellen zu können. Um darzustellen was unter Inklusion verstanden wird ist zunächst eine thematische Auseinandersetzung mit deren begrifflichen Gegenspieler, der Exklusion, von Nöten. Über eine Darstellung unter welchen Bedingungen von ausgrenzenden Verhältnissen die Rede sein kann, was im Wesentlichen unter Einbeziehung von Martin Kronauers Überlegungen zu Exklusion geschehen soll, soll im 2. Kapitel ein Verständnis selbiger als Analysewerkzeug für soziale Exklusion vorgestellt werden. Ebenso werden drei wesentliche Quellen für gesellschaftliche Zugehörigkeit benannt, welche nachfolgend als übergeordnete Dimensionen die objektive Sichtbarmachung ausgrenzender Verhältnisse strukturieren sollen. Dem in dieser Weise dargestellten soziologisch-analytischen Modell Kronauers wird sodann in Kapitel 3 das sozialpolitische Schema Franz-Xaver Kaufmanns zur 2
Seite gestellt, welches sich mit Interventionsformen als Handlungsfelder der Gestaltung sozialer Lagen in wesentlichen gesellschaftlichen Teilhabedimensionen auseinandersetzt. Mit der Kombination beider Modelle, welche einen je unterschiedlichen Blick auf Dimensionen gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen, steht sodann ein Schema zur Analyse der Ausgestaltung von Teilhabemöglichkeiten in fest skizzierten Handlungsfeldern sozialpolitischer Maßnahmen bereit. Dieses soll sowohl eine Bestimmung und Benennung ausgrenzender Faktoren, mithilfe der zuvor erarbeiteten Definition von Exklusion in diesem Sinne, sowie eine objektive Abbildung und Begründung selbiger in sozialpolitisch beeinflussbaren Faktoren ermöglichen. In Kapitel 4 wird es folglich, neben einer Eingrenzung und Operationalisierung der Zielgruppe dieser Überlegungen, geflüchteten Personen in unserer Gesellschaft, darum gehen, dieses Modell schrittweise und nachvollziehbar zu untersuchen. Exkludierende Faktoren in bestimmten Einflussbereichen sozialpolitischer Handlungsfelder können, so die Intention, mit dieser Herangehensweise nicht nur deutlich benannt und thematisiert werden, im Idealfall ermöglicht ein Sichtbarmachen von vorhandenen Defiziten einen Ausblick auf realisierbare Maßnahmen zu ihrer Beseitigung oder zumindest einer Verbesserung welche Ausgrenzung nicht weiterhin fördert und folglich Inklusion ermöglicht und umsetzt. Schlussendlich soll es mit dieser Vorgehensweise gelingen die Fragestellung nach ausgrenzenden gesellschaftlichen Verhältnissen für Geflüchtete zu beantworten. Über die Kombination gesellschaftlich relevanter Dimensionen aus verschiedenen Blickwinkeln, einem soziologisch-analytischen Modell sowie eines sozialpolitischen Schemas, wird hierfür der Versuch unternommen ein möglichst umfassendes Bild sozialer Ausgrenzung in der Lebensrealität Geflüchteter zu erfassen und zugleich, über die thematische Miteinbeziehung des Bereichs sozialpolitischer Interventionen, mögliche Ansätze für staatlich realisierbar erscheinende Verbesserungen der Lebenslagen dieser Gruppe aufzuzeigen und zu benennen. Eine Anmerkung vorweg, der Begriff Geflüchtete soll im Folgenden als „Sammelbegriff für alle Personen verwendet“ werden, „die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind.“ (IAB: 2016) Dies schließt thematisch somit auch jene ein, welche (noch) keinen rechtlichen Status aufgrund eines Asylverfahrens erhalten haben, wie es zugewanderte Migrant*innen welche gezielt und legal zwecks einer Erwerbstätigkeit kamen, thematisch weitestgehend ausschließt. Durch die Verwendung vielfältiger Literatur aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Ansätzen wird im Folgenden mitunter ebenso von Migrant*innen, Zugewanderten oder verwandten Begrifflichkeiten die Sprache sein, gemeint im Sinne der Fragestellung sind jedoch 3
stets Geflüchtete im ausgeführten Verständnis. Ebenso soll sich die schriftliche Ausarbeitung gendergerecht darstellen, bei verwendeten und zitierten Quellen welche diesem Merkmal nicht entsprechen wird jedoch auch keine inhaltliche Anpassung erfolgen. 2. Exklusion Zu Beginn einer Abhandlung über die Thematik der Inklusion geflüchteter Menschen ist die Sinnhaftigkeit eines solchen Unterfangens zu klären. Während einer so betitelten „Flüchtlings-Problematik“ aktuell sicherlich niemand die Brisanz und Aktualität absprechen würde, mag eine weitere Arbeit zum Thema Inklusion zunächst eher überflüssig und wenig innovativ erscheinen, zumal im Zusammenhang mit Geflüchteten die Rede in der Regel von Integration ist, Inklusion erscheint weiterhin auf den schulischen Bereich und die Rechte behinderter Menschen begrenzt. Im Sinne der Fragestellung, in welchen relevanten gesellschaftlichen Dimensionen ausgrenzende Faktoren für Geflüchtete vorliegen, müssen jene ausgrenzenden bzw. exkludierenden Faktoren zunächst operationalisiert werden. Darüber hinaus soll in folgendem Abschnitt die Bedeutsamkeit der Thematik sozialer Ausgrenzung, für sowohl davon betroffene Mitglieder sowie die Gesamtheit einer Gesellschaft, verdeutlicht werden. Der Zusammenhang beider Dimensionen, Inklusion als Gesamtaufgabe einer Gesellschaft und die Integration zugewanderter Menschen in eben diese, wird im Zusammenspiel des Begriffspaares Inklusion - Exklusion deutlich, welches „seine besondere Bedeutung aus der einer spezifischen historischen Konstellation, nämlich der sozialen Frage der Gegenwart“ heraus erhält. (Kronauer 2010: 24f.) Zur Klärung und Operationalisierung des Inklusionsbegriffes ist folglich zunächst eine differenzierte Beschäftigung mit dem Phänomen sozialer Ausgrenzung bzw. Exklusion von Nöten, da diese der Entgegnung und Bearbeitung derartiger Mechanismen entspricht. Zur inhaltlichen Unterscheidung von Integration und Inklusion formuliert Martin Kronauer: „Der deutlichste Unterschied zwischen dem Begriff der 'Integration' und dem der 'Inklusion' (…) besteht darin, dass Integration von einer vorgegebenen Gesellschaft ausgeht, in die integriert werden kann und soll, Inklusion aber erfordert, dass gesellschaftliche Verhältnisse, die exkludieren, überwunden werden müssen.“ (Kronauer 2010: 56, Hervorhebungen im Original) Bezugnehmend auf aktuelle gesellschaftliche Debatten wird deutlich, dass genannte Integration als Forderung an geflüchtete bzw. zugewanderte Menschen durchaus in der geschilderten Form formuliert wird und existent ist, diese Sichtweise entspricht einer mehr „assimilatorischen“ denn „partizipativen“ Integrationspolitik: 4
„Das assimilatorische Integrationskonzept zielt auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse und Lebensweisen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund und sieht die Integrationsleistung vor allem als Bringschuld bei der zugewanderten Bevölkerung.“ (Schirilla 2016: 65) Auch im rechtlichen Sinne hängt die „Verstetigung des Aufenthalts oder gar die Einbürgerung“ von zu erbringenden Leistungen ab (ebd.), wobei noch zu klären ist welcher Art exkludierende Verhältnisse dieser im Wege stehen. Besondere Brisanz erhält die Thematik durch die Tatsache, dass „Migration und Integration (...) emotional hochgradig besetzte Themen“ darstellen und demzufolge „immer wieder in Wahlkampfzeiten neu aktiviert“ werden. (ebd: 66) - [wie politische Erfolge der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland in jüngerer Vergangenheit eindrucksvoll belegen (http://www.migazin.de/2016/03/15/nach-wahl-merkel-kurs- asylpolitik/), SH]. In der politisch-öffentlichen Diskussion um Geflüchtete und deren Integration, wie sie derzeit zu beobachten ist, lässt sich, neben genannter Bringschuld der Zugewanderten, zuweilen ein „erstaunlicher Glaube“ an die Fähigkeiten der Politik feststellen, welcher die Verantwortung und Übernahme der Realisierung von Integrationsprozessen quasi selbstverständlich zugeschrieben werden. Im Kern stehen einer politischen Steuerung derartiger Prozesse, wie auch bei anderen Interventionen, generell „drei Möglichkeiten zur Verfügung: Recht, Geld und mobilisierende 'Überredung'“: „Es wird das Geld für Integrationskurse bereitgestellt, das Zuwanderungsgesetz legt aber zugleich fest, dass Migranten, die es nötig zu haben scheinen, auch teilnehmen müssen, andernfalls drohen ihnen Sanktionen. Die übrigen Migranten, die nicht mehr zur Teilnahme an diesen Kursen gezwungen werden können werden durch Kampagnen dazu 'überredet'.“ (Bommes 2007: 4, Hervorhebung im Original) Es werden Kurse zur Verfügung gestellt, sowie der rechtliche Rahmen, beziehungsweise Zwang, geschaffen an jenen möglichst erfolgreich teilzunehmen, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen die Betroffenen dies ermöglichen müssen bleibt bei derart gestalteten politischen Maßnahmen jedoch weitgehend unbeachtet. Die Integration von Migrant*innen in unsere Gesellschaft stellt eine, [um einen im Zuge der Weltwirtschaftskrise äußerst populären Begriff der Bundesregierung zu nutzen (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/alternativlos-merkels-verdrusswort- 1574350.html), SH], 'alternativlose' Aufgabe der Sozialpolitik dar, die öffentliche Auffassung selbiger als eine Art „Sonderanstrengung“ (Bommes 2007: 5) zielt jedoch in eine falsche Richtung; weder kann rein über politische Maßnahmen noch über die Anstrengungen der Migrant*innen zur Erfüllung ihrer Integrationspflicht eine solche erreicht werden, solange nicht an der Beseitigung herrschender Mechanismen der Ausgrenzung, unter anderem dieser Bevölkerungsgruppe, gearbeitet wird. 5
„Wenn Integrationspolitik öffentlich vor allem als Sonderanstrengung begriffen wird und nicht als regulärer Teil einer ohnehin schwieriger gewordenen Gesellschaftspolitik (…), Risiken der Zunahme von Ungleichheit und des sozialen Ausschlusses einzuschränken, dann wird die symbolische Aufladung dieser Politik den Boden dafür bereiten, dass misslingende Integration erneut einseitig zugeschrieben wird: sei es den Migranten als Verweigerung oder Versagen, sei es einer in ihren Möglichkeiten überschätzten Politik.“ (ebd.) Aus genannten Problematiken beim Umgang mit Integration ist als ein Gegenbegriff, gerade im Kontext von Migration, derjenige der Inklusion genannt worden, schließlich „ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass das Konzept der Inklusion“ nicht nur für Menschen mit einem Handicap, sondern ebenso für jene gilt „die aufgrund ihrer Herkunft, Ethnie oder Religion (und auch anderer Faktoren) benachteiligt werden.“ (Schirilla 2016: 207) Die rechtliche wie soziale Lebensrealität von Migrant*innen in unserer Gesellschaft betrachtend ist eine Vielzahl exkludierender Faktoren zu konstatieren, sie sind oftmals von gesellschaftlichen Bereichen ausgegrenzt oder haben zumindest keinen gleichberechtigten Zugang zu jenen (Schirilla 2016: 207f.), wie es unter „Integration im Sinne einer gleichwertigen Partizipation und Teilhabe“ (ebd: 65) unabdingbar erscheint. Eine Möglichkeit den beschriebenen „Assimilationsdruck“ von den betroffenen Migrant*innen zu nehmen, liegt in der Anerkennung ihrer grundsätzlichen Rechte auf Chancengleichheit und Gleichberechtigung, schließlich komme „ein derart verstandener Inklusionsbegriff (…) einem partizipatorisch ausgelegten Integrationskonzept sehr nahe.“ (ebd: 209) Kurz zusammenfassend ist fest zu halten: während Integration eine einseitige Sichtweise wie auch Pflichtzuweisung aufweist wird Inklusion dem gesamtgesellschaftlichem Kontext von Zugehörigkeit und Teilhabe gerecht - wenn sie auch 'lediglich' als partizipatorische Integration verstanden werden kann. Mit Bezugnahme auf exkludierende Verhältnisse, ergo Exklusion, kann jedoch der Versuch unternommen werden die Trennlinien des gesellschaftlichen Ausschlusses aufzuzeigen, sowie durch Beseitigung selbiger gesellschaftliche Zugehörigkeit auch und gerade für Zugewanderte bzw. Geflüchtete realisierbar zu gestalten. Die deutsche UNESCO-Kommission vermag, im Übrigen, Inklusion nicht zu definieren, ohne Exklusion als scheinbar natürlichen Gegenpart zu nennen; so wird darunter ein Prozess verstanden, welcher auf die verschiedenen Bedürfnisse aller Menschen gleichermaßen eingeht, was durch eine „verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen sowie durch Reduzierung und Abschaffung von Exklusion (in der Bildung)“ erreicht werden soll. (Sulzer 2013: 13) (vgl. Hofbauer 2015: 3) Um sich dem Begriff der Inklusion inhaltlich zu nähern erscheint es folglich notwendig ihren begrifflichen Gegenspieler, die Exklusion, näher zu betrachten und zu operationalisieren, steht doch, im Sinne der Fragestellung, die von Kronauer genannte 6
Überwindung exkludierender Verhältnisse im Mittelpunkt des Interesses dieser Ausarbeitung. Zunächst gilt es näher zu klären was im soziologischen Sinn unter Exklusion zu verstehen ist, schließlich hat sich die Begrifflichkeit bereits „als Allzweckwort durchgesetzt, mit dem sich alle Varianten des Elends der Welt durchdeklinieren lassen.“ (Castel 2008b: 69) Verorten und datieren lässt sich das Auftreten jenes Allzweckwortes „in der politischen und wissenschaftlichen Debatte“ (Kronauer 2010: 24) relativ klar auf das Frankreich der „späten 1980er Jahre“ (ebd.) beziehungsweise, laut Castel etwas genauer, auf „Ende 1992 / Anfang 1993“ (Castel 2008b: 69), wird jedoch schnell zu einem europäisch wie auch global auftretendem Phänomen. „Die 'Karriere' des Ausgrenzungsgedankens begann Mitte der 80er Jahre. Sie setzte gleichzeitig in der Form unterschiedlicher Begriffe in verschiedenen Regionen der entwickelten kapitalistischen Welt ein.“ (Kronauer 2002: 27, Hervorhebung im Original) Zu erklären ist das vermehrte Aufkommen von Theorien des sozialen Ausschlusses, in Anlehnung an Max Webers „Kategorie der 'sozialen Schließung'“ wird „'Exklusion' (…) in der Soziologie häufig gleichbedeutend mit 'Ausschließung' verwendet“, (Kronauer 2010: 25, Hervorhebungen im Original) mit einem tiefgreifenden Wandel der sozialen Umstände zu dieser Zeit. 2.1 Die soziale Frage der Gegenwart Die soziale Frage „taucht das erste Mal unter dieser Bezeichnung in den 1830er Jahren auf.“ (Castel 2008a: 17) Sie stellt sich und wird erstmals offenbar mit einem öffentlichen Bewusstsein der „Lebensbedingungen von Bevölkerungsschichten (…) die gleichermaßen Akteure wie Opfer der industriellen Revolution sind.“ (ebd.) Unter dem Eindruck des damit einhergehenden Pauperismus entstand die Vorstellung wie Befürchtung eines kompletten gesellschaftlichen Zusammenbruchs, welcher durch die Rolle des nicht-marktförmigen Sozialen bearbeit- und aufhaltbar erschien. Die Diskrepanz zwischen politischen Bürgerrechten, der „juridisch-politischen Ordnung“, und den Bedingungen des ausuferndenen Kapitalismus, der „Wirtschaftsordnung“, zog „Massenelend und Moralverfall“ nach sich. (ebd.) Dem Sozialen wird nun die Fähigkeit zugesagt diese Lücke zu füllen und wichtige „Bindungen wiederherzustellen oder zu schaffen, die weder einer strikt ökonomischen Logik, noch einer strikt politischen Jurisdiktion“ unterworfen sind. (ebd: 17f.) Folglich beschäftigt sich die soziale Frage mit dem gesellschaftlichen Raum welchen „die am stärksten desozialisierten Randgruppen“ innerhalb selbiger einnehmen können, (ebd: 18) sie besteht in der nahezu ausweglos erscheinenden Lage einer Gesellschaft, sich der Fragilität ihres 7
inneren Zusammenhaltes bewusst zu werden, sowie in der daraus resultierenden Herausforderung ihren Zusammenbruch durch die Vereinbarkeit der ihr innewohnenden Akteure zu festigen: „Die 'soziale Frage' ist eine fundamentale Aporie, an der eine Gesellschaft das Rätsel ihrer Kohäsion erfährt und das Risiko ihrer Fraktur abzuwenden sucht. Sie stellt eine Herausforderung dar, welche die Fähigkeit auf die Probe bzw. in Frage stellt, als eine durch wechselseitige Abhängigkeitsbeziehungen verbundene Gesamtheit zu existieren.“ (Castel 2008a: 17) Im Zuge der Revolution von 1848 verschob sich die Auffassung der sozialen Frage weg von der Problematik des Pauperismus hin zur „Arbeiterfrage“. (Kaufmann 2005: 25) Und „vergleichbar der 'Arbeiterfrage' im 19. und frühen 20. Jahrhundert“ (Kronauer 2010: 24, Hervorhebung im Original) hat „die soziale Frage“ der Gegenwart „in Europa einen neuen Namen: Exklusion.“ (Kronauer 2002: 9). Ging es „bei der historischen 'Arbeiterfrage'“ jedoch primär um das Erschließen politischer wie sozialer Rechte für die Gruppe der Lohnabhängigen, so steht nun vielmehr der Erhalt jener „bereits für gesichert gehaltener Standards von gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Teilhabe“ im Mittelpunkt. (Kronauer 2010: 24, Hervorhebung im Original) Man kann nun die These aufstellen was bei erst genannter sozialer Frage erkämpft wurde wird nun, bei zweiterer, bedroht und gilt es zu verteidigen. [SH] Eine weitere Gemeinsamkeit ist auszumachen, stehen doch „wie damals so (…) auch heute wieder die Institutionen infrage, die das gesellschaftliche Zusammenleben regeln“, weshalb diese soziale Frage „zugleich die Frage nach der Zukunft der Demokratie (beinhaltet).“ (Kronauer 2010: 24f.) „In Zeiten sozialer Umbrüche und Verwerfungen“ genießen kontroverse Auseinandersetzungen mit Fragen sozialer Ungleichheit, beziehungsweise sozialer Ausgrenzung, Konjunktur (Mogge-Grotjahn 2012: 46), auch „die Anerkennung der Tatsache, dass persönliche und politische Rechte durch soziale Rechte ergänzt und abgesichert werden müssen“ ist erst nach historisch einschneidenden sozialen Kämpfen [wie geschilderter Arbeiterfrage, SH] sowie der Erfahrung zweier Weltkriege und einer Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren „in das moderne Verständnis von Demokratie eingegangen“. (Kronauer 2010: 28, Hervorhebung im Original) Möchte man heutige Phänomene sozialer Exklusion analysieren und betrachten ist als „historischer Ausgangspunkt“ dieser Analyse folglich „die Entwicklung der (...) westeuropäischen Sozialstaaten“ nach dem Untergang „feudaler Sicherungssysteme“ (Mogge-Grotjahn 2012: 46), welche den modernen Wohlfahrtsstaaten gewichen sind, zu betrachten. Es stellt sich die Frage weshalb Gesellschaften gemeinsame und institutionalisierte Lösungen und Vorkehrungen für vermeintlich individuelle Problemlagen geschaffen haben. 8
„Wie und warum kamen Menschen dazu, kollektive, landesweite, verbindliche Arrangements gegen Risiken und Defizite zu treffen, die sie einzeln bedrohen und individuelle Lösungen zu erfordern schienen?“ (de Swaan 1993: 12) Parallel zum Aufbau der europäischen Sozialstaaten, einsetzend mit genanntem „Übergang zu industriell-privatwirtschaftlichen Produktionsprozessen“ (Mogge-Grotjahn 2012: 46), änderten sich auch die wechselseitigen Abhängigkeiten, oder Interdependenzen, zwischen den sozialen Klassen bzw. den „Reichen und Armen oder Mächtigen und Machtlosen“. (de Swaan 1993: 13) Für die Mächtigen stellen die Armen sowohl Gefahr, durch gewaltsame Übergriffe oder die Verbreitung von Epidemien, wie auch notwendiges Potential, „als eine Reservearmee mit potentiellen Arbeitern, Rekruten, Konsumenten oder politischen Anhängern (ebd.) dar, weder die Gefahrenabwehr noch die Ausschöpfung dieser Potentiale ist und war jedoch für den Einzelnen allein zu bewältigen. Erst die Bereitstellung von Kollektivgütern, einer stadtweiten Abwasserversorgung zur Eindämmung der Cholera beispielsweise, versprach eine dauerhafte Lösung diesen Dilemmas. (vgl. de Swaan 1993: 13f.) „Den Hauptimpuls erhielt die Entwicklung vom Kampf der Eliten gegen die Risiken des Zusammenlebens mit den Armen, wobei sie zugleich auch deren Potentiale nutzen wollten. Doch bei aller Macht und allem Reichtum waren die gesellschaftlich Etablierten weder den Chancen noch den Risiken aus eigener Kraft gewachsen, sondern stets auf kollektives Handeln angewiesen.“ (de Swaan 1993: 241) Als Ergebnis dieser „langwierige(n) historische(n) Auseinandersetzungen und Erfahrungen“ (Kronauer 2002: 227) „setzte sich ein 'soziales Bewußtsein' durch – ein Wissen um die allgemeine Interdependenz aller Angehörigen eines Volkes.“ (de Swaan: 21) In dieser Interdependenz liegt der „Doppelcharakter“ der „Gefährdung des Sozialen“, sozialer Exklusion, begründet: der gesellschaftliche Ausschluss von Individuen, im Sinne einer Verweigerung von Teilhabemöglichkeiten, stellt „die sozialen Grundlagen der Demokratie in Frage.“ (Kronauer 2002: 227) Genannte Gefährdung des Sozialen ist mit gravierenden Änderungen in der Erwerbsarbeit zu erklären, welche über das Mittel der Vollbeschäftigung als Garant für die Sicherung der sozialen Rechte fungierte. Das moderne demokratische Verständnis gesellschaftlicher Zugehörigkeit wird geprägt durch, zum einen, die „Einbindung in die wechselseitigen Abhängigkeiten der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, insbesondere der Erwerbsarbeit, und in unterstützenden Nahbeziehungen“, zum anderen „durch Teilhabe an gesellschaftlich angemessenen Lebenschancen, vermittelt über soziale Rechte“. (Kronauer 2002: 228) Konnte noch „bis in die 70er Jahre hinein die relative Vollbeschäftigung den latenten Widerspruch zwischen Marktabhängigkeit und 9
Bürgerrechten“ überlagern so änderte sich dies zunehmend im Zuge des Übergangs von Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaften, mit welcher ein Umbruch im Einkommensgefüge sowie der Beschäftigungsquote einhergeht. (Kronauer 2010: 34f.) Exkurs: Marshalls Staatsbürgerverständnis Eine viel zitierte und thematisierte Theorie über die Relevanz sozialer, politischer und bürgerlicher Rechte für gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe, auf welche auch in dieser Ausarbeitung regelmäßig Bezug genommen wird, stellt das Staatsbürgerverständnis Thomas Marshalls dar, welches im Folgenden kurz dargestellt wird. Die Theorien Thomas H. Marshalls zu Staatsbürgerrechten und sozialen Klassen entstanden im Wesentlichen vor dem „Hintergrund der Insititutionalisierung des britischen Wohlfahrtstaates in den späten vierziger Jahren“ unter dem Eindruck der Überlegungen William Beveridges. (Rieger 1992: 24) Marshall reflektierte die Veränderungen der Zugehörigkeit der arbeitenden Klassen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und entwickelte ein Verständnis von „Bürgerrechten und damit von gesellschaftlicher Teilhabe“ welchem gerade in Hinblick auf die Fragestellung der Exklusion „neben der Interdependenz (s. 2.2.1) eine zentrale Bedeutung zukommt.“ (Kronauer 2002: 87) Kritisiert wird von ihm zuvorderst eine überholte Verknüpfung der Mitgliedschaft in einer Gesellschaft, ausgedrückt über den Staatsbürgerstatus, mit der damit einhergehenden Tolerierung wirtschaftlicher Ungleichheiten ihrer Ebenen, „mit anderen Worten: die Ungleichheit eines Systems kann unter der Voraussetzung akzeptiert werden, daß die Gleichheit des Staatsbürgers anerkannt wird.“ (Marshall 1992: 38) Vielmehr schlägt er eine Dreiteilung des Staatsbürgerstatus in verschiedene Elemente vor, „das bürgerliche, politische und soziale Element.“ (ebd: 40) Bürgerliche Rechte gewähren der einzelnen Person ihre individuelle Freiheit sowie Eigentumsrechte „und das Recht auf ein Gerichtsverfahren“ (ebd.), das politische Recht gewährt „Zugang zu den Institutionen der politischen Macht, insbesondere durch das aktive und passive Wahlrecht.“ (Kronauer 2002: 88) Der Kanon der sozialen Rechte, als drittem Element, zielt im Wesentlichen auf eine uneingeschränkte Teilhabe „entsprechend der gesellschaftlichen Standards“ sowie das Recht auf „ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Wohlfahrt und Sicherheit.“ (Marshall 1992: 40) Besonders letztere sollen durch den individuellen Schutz der einzelnen Person vor einer durch Markteinflüsse produzierter Ungleichheit schützen, da sie „Rechtsansprüche etablieren und es nicht mehr der paternalistischen Wohltätigkeit der besitzenden Klassen überlassen sich um die Armen zu kümmern – oder eben nicht.“ (Kronauer 2002: 88) 10
Zentrale Strukturmerkmale demokratischer Industriegesellschaften sind laut Marshall neben wohlfahrtsstaatlichen Institutionen ebenso „soziale Rechte auf der Grundlage einer fundamentalen Gleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft“, welche einen „im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung (…) unverzichtbare(n) Gegenpol zu der über Marktprozesse erzeugten und reproduzierten Ungleichheit“ darstellen. (Rieger 1992: 25) Soziale Rechte sind gleichfalls „Quellen gesellschaftlicher Stabilität“ wie auch „Ausdruck gesellschaftlicher Integration“, Fähigkeiten welche in Industriegesellschaften gemeinhin dem „dominanten Einfluß“ von Marktprozessen unterliegen, jedoch unweigerlich soziale Ungleichheit produzieren. (ebd.). Am Beispiel von osteuropäischen Staaten nach dem Fall des eisernen Vorhangs macht Rieger in seinen Ausführungen zu Marshalls Theorie die Wichtigkeit von, in westlichen Industriegesellschaften scheinbar selbstverständlich gewordenen weil „hochgradig institutionalisierten“, Staatsbürgerrechten als demokratische Grundlage deutlich: „Bürgerliche Freiheitsrechte (…) die als institutionelles Gegengewicht zur staatlichen Herrschaftssphäre funktionier(en), politische Rechte als Ausdruck der gesellschaftlichen Kontrolle des politischen Verbandes, und soziale Rechte als Möglichkeit der Sicherstellung eines materiellen Mindeststandards für die Gesamtheit der Bevölkerung und als Schranke einer über Marktprozesse zustandegekommenen soziale Ungleichheit – diese Elemente des Staatsbürgerstatus sind (…) politische Zielvorstellungen, die eine ungeahnte Dynamik auslösten (…).“ (Rieger 1992: 26) Die „natürliche Gleichheit“ (Luhmann 1980: 31) der Mitglieder einer Gesellschaft findet, so sie nicht rein formal besteht, in den sozialen Rechten ihre Bestätigung und Rechtfertigung, welche jedoch im Spannungsfeld zu „bürgerlichen Freiheitsrechten als Grundlage einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft“ stehen; diese wiederum benötigt „soziale Ungleichheit“ geradezu unabdingbar „als Antrieb für individuelles Erfolgsstreben“, weshalb eben jene von ihr stetig reproduziert wird. (Rieger 1992: 27) Die Entwicklung der genannten Elemente von Staatsbürgerrechten betrachtend lässt sich feststellen, dass bürgerliche Rechte bereits im 18. Jahrhundert durchgesetzt wurden, während das 19. Jahrhundert hingegen mehr von einer Ausweitung politischer Rechte geprägt war. Soziale Rechte waren dem gegenüber in beiden dieser Dekaden nahezu nicht existent (vgl. Marshall 1992: 52 & Kronauer 2002: 89), weswegen es trotz „des substantiellen und beeindruckenden Wachstums des Staatsbürgerstatus nur eine geringe unmittelbare Wirkung auf die soziale Ungleichheit“ gab. (Marshall 1992: 65) Dies ist mit der Systematik der aufeinander bezogenen Teile jenes Modells zu erklären, zur Durchsetzung bürgerlicher Rechte wie auch zur Wahrung politischer Rechte bedarf es „materieller und bildungsmäßiger Voraussetzung“, welche für die arbeitende Bevölkerung erst über die Durchsetzung ihrer sozialen Rechte zugänglich gemacht werden mussten. (Kronauer 2002: 89) Im Umkehrschluss wäre jedoch auch „die 11
Ausweitung sozialer Rechte in ihrer modernen wohlfahrtsstaatlichen Form“ nicht ohne die vorherige „Ausbreitung der bürgerlichen und politischen Rechte“ möglich gewesen, weswegen man, in Marshalls Theorieverständnis, das 20. Jahrhundert als „das Jahrhundert der Durchsetzung sozialer Rechte“ bezeichnen kann. (ebd.) Von Marshall in seiner gesellschaftlichen Analyse nicht näher berücksichtigt, im Sinne der Fragestellung gesellschaftlicher Teilhabe Geflüchteter jedoch umso interessanter, ist die maßgebliche Rolle des Nationalstaates, welcher über die Vergabe dieser Rechte entscheidet und somit Teilhabe über Gewährung eben jener zugestehen oder auch verweigern kann. „Staatsbürgerschaft (kann) als politischer und sozialer Status Mittel und Ausdruck einer Privilegierung bestimmter Bevölkerungsgruppen sein“, die „Einräumung staatsbürgerlicher (…) Rechte“ vermag jedoch auch gesellschaftliche Konflikte zu „institutionalisieren und dadurch (zu) entschärfen.“ (Rieger 1992: 27) Schließlich setzt gerade „die soziale Wirklichkeit der Staatsbürgerschaft“ Ausgrenzung voraus, welche jene Menschen betrifft, „denen der Staatsbürgerstatus völlig oder teilweise verweigert wird, d.h. in erster Linie Migranten.“ (Kronauer 2002: 91) Auf diesen Aspekt gesellschaftlicher Zugehörigkeit wird in 4.4 noch detaillierter eingegangen werden. Die gesellschaftliche Ambivalenz der Exklusion In der Systemtheorie nach Luhmann findet sich das „Postulat der Inklusion“ als „eines Ausgleichs der Teilhabemöglichkeiten“ (Kaufmann 2005: 76), dieses beschreibt den uneingeschränkten Zugang einer jeden Person der Gesellschaft zu all ihren relevanten Teilsystemen, woraus sich ein Leitprinzip der „natürlichen Gleichheit der Menschen“ ableiten lässt: „Jede Person muss danach Zugang zu allen Funktionskreisen erhalten können (…) Jeder muss rechtsfähig sein, eine Familie gründen können, politische Macht mitausüben oder doch mitkontrollieren können; jeder muss in Schulen erzogen werden, im Bedarfsfalle medizinisch versorgt werden, am Wirtschaftsverkehr teilnehmen können. Das Prinzip der Inklusion ersetzt jene Solidarität, die darauf beruhte, daß man einer und nur einer Gruppe angehörte.“ (Luhmann 1980: 31) Den Inklusionsbegriff von Parsons aufgreifend stellt Luhmann seine Thesen zur Inklusion dar, dieser Forderung nach gäbe es für alle Menschen die generelle Möglichkeit der Teilhabe. Inklusion wäre somit eine Form der „Chance der sozialen Berücksichtigung von Personen“, kann jedoch, so Luhmanns Ergänzung, nur in Abgrenzung zu ihrem Gegenteil, dem gesellschaftlichen Ausschluss, definiert werden; „also gibt es Inklusion nur wenn Exklusion möglich ist.“ (Luhmann 1997: 620f.) 12
Das Auftreten sozialer Ausgrenzung ist für Gesellschaften folglich ein „sowohl konstitutives wie potentiell gefährdendes Element“ (Mogge-Grotjahn 2012: 45), diese „Unterscheidung zwischen Inklusion und Exklusion“ gehört auch in der Systemtheorie „zu den Konstitutionsbedingungen moderner Gesellschaften. (Kronauer 2010: 26) Beispiele für unproblematische und allgegenwärtige Formen der Exklusion, wie die natürliche „Selektivität sozialer Beziehungen“ oder auch der temporäre Ausschluss einer bestimmten Gruppe aus einem Teilsystem (z.B. Regelungen zur Kinderarbeit), lassen sich im gesellschaftlichen Alltag reichlich finden. (ebd: 25) Exklusion gilt es dann zu problematisieren wenn diese als ein Machtmittel gebraucht wird und die soziale Lage der Ausgeschlossenen damit beeinträchtigt wird. Im sozialen Sinne wahrhaft lebensbedrohlich „wird Ausschließung dann, wenn der Zugang zu grundlegenden gesellschaftlichen Funktionen versperrt bleibt oder nur um den Preis sozialer Missachtung gewährt wird; wenn Ausgrenzungen alle Aspekte des menschlichen Lebens übergreifen und auf Dauer gestellt werden.“ (ebd: 25f) Diese Art sozialer Exklusion soll im Folgenden näher betrachtet werden, akzeptierte man Inklusion wie auch Exklusion als unausweichliche systemrelevante Konstitutionsbedingungen von Gesellschaft, so wäre diese nicht mehr kritisch zu hinterfragen, was in eingangs genannter Definition von Inklusion als einer Überwindung exkludierender Verhältnisse jedoch als unabdingbar erscheint. Exklusion soll, Kronauer folgend, somit auch in dieser Ausarbeitung als ein analytischer Gegenstand betrachtet und angewandt werden, um zur „Aufklärung der sozialen Frage der Gegenwart“ beizutragen. (ebd: 28) Deutlich wurde in diesem ersten Abschnitt die Bedeutung von Exklusion, als einem wesentlichen Konstitutionsmerkmal moderner Gesellschaften aufgezeigt, sowie das Verständnis der Absicherung sozialer, politischer und bürgerlicher Rechte als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe dargelegt. Die Notwendigkeit sich im Kontext einer Frage nach Inklusion zunächst mit exkludierenden Faktoren zu befassen wurde bereits deutlich, da unter selbiger nichts anderes als die möglichst umfangreiche Überwindung jener ausgrenzenden gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden werden kann. 13
2.2 Die Quellen gesellschaftlicher Zugehörigkeit Im Folgenden sollen gesellschaftliche Dimensionen thematisiert und beschrieben werden, welche als relevante Quellen für gesellschaftliche Teilhabe betrachtet werden können. Die Ausführung dieser Dimensionen soll, daran anschließend, eine Analyse der sozialen Lage Geflüchteter im Hinblick auf exkludierende Faktoren in eben jenen Lebenslagen ermöglichen. Angelehnt an geschildertes Staatsbürgerverständnisses nach Marshall (s. 2.1) sowie den ihm inhärenten sozialen, bürgerlichen wie politischen Rechten lassen sich allgemeine Dimensionen oder auch „Quellen gesellschaftlicher Zugehörigkeit“ benennen (Kronauer 2010: 31), welche möglicherweise helfen können Voraussetzungen und Barrieren für eben jene Teilhabe, auch jenseits vorhandener Staatsbürgerschaft, zu formulieren. Luhmann benennt ebenfalls, in obigen Ausführungen (s. 2.1), zentrale soziale Rechte der Teilhabe, zusammengefasst lassen sich laut Kronauer drei wesentliche „Quellen gesellschaftlicher Zugehörigkeit“ benennen: „Interdependenz durch Erwerbsarbeit“, „Partizipation durch Bürgerrechte“ sowie die „Einbindung in familiäre und freundschaftliche Nahbeziehungen“ innerhalb einer „informellen Reziprozität“. (Kronauer 2010: 31) Diese Dimensionen wiederum greifen „die drei Momente des Ausgrenzungsproblems“ auf, welche mit der, bereits geschilderten, Entwicklung eines sozialen Bewusstsein und der Debatte um Ausgrenzung einhergehen, sie zeigen sich neben der „Marginalisierung am Arbeitsmarkt“ in einer „Einschränkung der sozialen Beziehungen“ sowie einem „Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlich anerkannten Lebenschancen und Lebensstandards“ (Kronauer 2002: 151), diese drei „Modi von Teilhabe und Zugehörigkeit“ sind es welche den Begriff Exklusion als „ein Gegenbild von Inklusion“ prägen. (Kronauer 2010: 32) Jeder der genannten „drei Vermittlungsinstanzen“ vermag auf je eigene Art und Weise Zugang zu sozialer Teilhabe zu ermöglichen, sie sind untereinander nicht ersetzbar, stehen jedoch ein einem engen aufeinander bezogenen Wirkungsrahmen. (ebd.) „So sichert etwa der Sozialstaat kollektive Rechte ab, die auf Erwerbsarbeit beruhen. Er ist aber seinerseits auf Steuern und Abgaben aus Erwerbsarbeit angewiesen. Die Zusammensetzung und Reichweite sozialer Nahbeziehungen wiederum wird in erheblichem Maße vom Erwerbsstatus beeinflusst.“ (Kronauer 2008: 4) 14
Auf diese drei Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden, um ihre jeweiligen Voraussetzungen wie Bedingungen und Chancen als Zugangsmöglichkeit zu gesellschaftlicher Zugehörigkeit zu erläutern und aufzuzeigen, stellen sie doch schließlich die „Dimensionen der Inklusion“ dar. (Kronauer 2010: 45) 2.2.1 Interdependenz durch Erwerbsarbeit Nach dem zweiten Weltkrieg wurden gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe im Wesentlichen durch zwei Faktoren gefördert und sichergestellt. Wie bereits ausgeführt (s. 2.1) kommt, „in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften“, zunächst der Erwerbsarbeit eine direkte wie indirekte Rolle „bei der Zuweisung sozialer Anerkennung“ zu. (Kronauer 2002: 156) Der mit Erwerbsarbeit verbundene „Bürgerstatus“ ist nach wie vor einer der „zentralen Bezugspunkte dafür (…) was Menschen in Deutschland für gerecht und ungerecht halten“ (Kronauer 2010: 31), als nicht unproblematisch ist hierbei die Definition selbigen als Staatsbürgerstatus zu betrachten. (ebd: 33) Die „Ausweitung sozialer Rechte auf die arbeitende Bevölkerung“ garantierte gesellschaftliche Teilhabe in Kombination mit einer „relativen Vollbeschäftigung“, was zunächst jedoch nur für männliche Erwerbspersonen galt (ebd: 28) weshalb dieses „Sozialmodell“ als „unvollständig im Hinblick auf die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen“ bezeichnet werden darf. (ebd: 33) Auch in Marshalls Verständnis gehörten Vollbeschäftigung und soziale Rechte „zusammen wie die beiden Seiten einer Medaille“ (Kronauer 2002: 93), weshalb er von einer Verpflichtung zur Arbeit gegenüber der Allgemeinheit spricht, welche erst durch ihre gemeinsamen wechselseitigen Abhängigkeiten untereinander den Wohlstand ermöglicht: „Aber noch aus einem weiteren (…) Grund wird die Arbeit des Einzelnen zu einer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit – wegen ihrer Verflechtung oder Interdependenz mit anderen Arbeitsakten nämlich, deren Ineinandergreifen erst die Wohlfahrt des Ganzen ermöglichen.“ (ebd: 94) Dieses System „der Ausformung und Umsetzung sozialer Rechte“ stattet „die Lohn- und Gehaltsabhängigen mit Ansprüchen auf Solidarität“ aus, welche einen „kulturell angemessenen Lebensstandard“ sowie den „Zugang zu zentralen Institutionen der Verteilung von Lebenschancen“ gewährt, zumindest innerhalb und für diese Gruppe. (Kronauer 2010: 30) Interdependenz und Teilhaberechte stehen für zwei aufeinander bezogenen „Seiten der gesellschaftlichen Zugehörigkeit, die aufeinander verweisen, gleichwohl aber Unterschiedliches leisten.“ (Kronauer 2002: 95) „Erwerbsbeteiligung“ sichert die Einbindung in geschilderte „soziale Wechselbeziehungen“, wodurch eine gesellschaftlich wesentlich relevante Voraussetzung für „soziale Anerkennung“ erfüllt 15
ist (Kronauer 2010: 30), jedoch kann Erwerbsarbeit alleine „weder ein angemessenes Einkommen für alle noch einigermaßen stabile Lebensumstände“ sicherstellen (Kronauer 2002: 95): „Damit gilt auch für Deutschland, dass mittlerweile Erwerbsarbeit allein keine hinreichende Absicherung vor sozialer Ausgrenzung in allen relevanten Dimensionen mehr bietet. Sie mag zwar noch vor dem Statusverlust bewahren, garantiert aber weder einen Mindeststandard an materiellen Teilhabemöglichkeiten noch an Zukunftsabsicherungen.“ (ebd: 179) Für die Sicherung dieser „Qualitäten des sozialen Status, der Lebenschancen und des Lebensstandards“ sind soziale Rechte zuständig, welche wiederum keine Garantie für Erwerbsarbeit erfüllen können. (Kronauer 2002: 95f.) Erwerbsarbeit stellt somit die Grundlage zweier Aspekte dar, zunächst die der Herrschaft durch „Macht- und Ausbeutungsverhältnisse in Erwerbsarbeitsbeziehungen“ (Kronauer 2010: 30), beispielsweise „die Macht von Unternehmen, Menschen Arbeit und damit Existenzmittel zu geben oder zu entziehen“ (Kronauer 2002: 95), wie auch jene der sozialen Anerkennung, durch geleistete Arbeit oder das hierdurch verdiente Entgelt. (Kronauer 2010: 30) Diese „in kapitalistischen Marktwirtschaften untrennbar miteinander verknüpft(e)“ ambivalente Gestalt der Erwerbsarbeit bestimmt folglich „in warenförmig organisierten Arbeitsgesellschaften wie der unseren nicht nur direkt oder indirekt den Lebensunterhalt, sondern auch in einem erheblichen Maß die Positionierung der Menschen in der Gesellschaft.“ (ebd.) Die „prekäre Verbindung zwischen sozialen Rechten und Vollbeschäftigung“ offenbart ihre Schwächen dann, wenn zweitere nicht mehr garantiert werden kann. (Kronauer 2010: 33) Genannter Verpflichtung zur Erwerbsarbeit steht kein gleichermaßen verbrieftes „Recht auf Arbeit gegenüber“, wenn auch von staatlicher Seite mithilfe von Steuerpolitik und öffentlichen Geldern versucht werden mag diese zu garantieren, schließlich ist der Wohlfahrtsstaat „bereits aus Finanzierungsgründen (…) auf eine hohe Erwerbsbeteiligung angewiesen.“ (ebd: 33f.) Die Sicherstellung von Inklusion bleibt demzufolge stets unsicher, wenn sie in diesem Maße auf die Gegebenheiten der Marktlogiken angewiesen ist. „Inklusion auf der Grundlage sozialer Rechte bleibt deshalb unter kapitalistisch- marktwirtschaftlichen Vorzeichen immer gefährdet und fragil. Die prekäre Verbindung von Marktabhängigkeit und sozialen Rechten stellt gewissermaßen die 'Achillesferse' der sozialen Inklusion dar.“ (ebd: 34, Hervorhebung im Original) Es gibt gesellschaftlich durchaus anerkannte Lebensformen jenseits von Erwerbsarbeit, die informelle Hausarbeit, in der Regel nach wie vor verstanden als Tätigkeit der Hausfrau neben einem erwerbstätigem Ehemann, sowie der so genannte 'verdiente Ruhestand' beispielsweise. Erstere Rolle bezieht ihre Legitimation aus der Verrichtung informeller, gesellschaftlich jedoch relevanter, Arbeit zur 16
Nachwuchssicherung, zweitere aus dem vorangegangenen Leben in Erwerbsarbeit. Beide „Statusalternativen“ führen nicht zwangsläufig zu sozialer Ausgrenzung und dem Verlust damit verbundener Rechte, diese droht dann „wenn keine Statusalternativen zur Verfügung stehen“ was dazu führt, dass „der langfristige Ausschluss aus Erwerbsarbeit mit dem Verlust jeder Einbindung in die gesellschaftlich anerkannte Arbeitsteilung zusammenfällt.“ (Kronauer 2002: 156f.) 2.2.2 Soziales Umfeld Insbesondere bei der Suche nach Erwerbsarbeit, welche, wie dargestellt wurde, als wichtige Sicherung sozialer Rechte dient (2.2.1) sowie der „Positionierung im Erwerbsleben“ spielen die sozialen Netze, in welche man als Person eingebunden ist, eine entscheidende Rolle. (Kronauer 2002: 169) Ebenso verändert sich deren „Reichweite und soziale Zusammensetzung“ durch den „Grad und die Art der Einbindung in das Erwerbssystem“ (ebd.) wie Studien belegen. (vgl. ebd. 169-173) Der Ausschluss aus sozialen Netzen, dann bezeichnet als „soziale Isolation“, vermag über eine quantitative wie qualitative Komponente bestimmt zu werden, bei ersterer liegt eine „Vereinzelung“ durch das Fehlen von sozialen Nahbeziehungen (zu Partner*in, Freunden oder Verwandten) vor, zweitere zeichnet sich durch eine „Konzentration der sozialen Lage auf Menschen in gleicher, benachteiligter, Lage aus.“ (ebd: 168) Diese Form ist jedoch nur dann als problematisch zu betrachten, wenn die Konzentration der Beziehungen auf nicht freiwillige Weise erfolgte, sondern durch „Ressourcenmangel und/oder Stigmatisierung erzwungen wurde“, was wiederum die Überwindung dieser Lebenslage, beispielsweise durch Einbindung in Erwerbsarbeit, erschwert. (ebd.) Durch die Abhängigkeit materieller und sozialer Sicherung von Markt und Staat vermag sich gerade der Aspekt der Individualisierung negativ hinsichtlich der Risiken sozialer Isolation auswirken, verlangt sie doch ein Herausbrechen aus tradierten Rollen ebenso wie die Etablierung und Behauptung am Arbeitsmarkt, was folglich mit der Versorgung und Absicherung durch kollektive Sicherungssysteme der Sozialstaatlichkeit einhergeht. Auf gleichem Wege besteht jedoch auch der unbedingte Zwang, die Verantwortung für das eigene Leben in dieser Art und Weise zu leisten, gelingt dies nicht und werden Zugänge zur Erwerbstätigkeit gemindert oder blockiert, so droht, durch eine Ausdünnung des „vom Sozialstaat geknüpfte(n) Sicherheitsnetz(es)“ die soziale Isolation, einhergehend mit der Vermittlung des Gefühls individuellen Versagens. (Kronauer 2010: 36f.) Diese „Zwiespältigkeit der Individualisierung, Chance aber auch Zwang zur Gestaltung des eigenen Lebens zu sein“, zieht sich biographisch durch den gesamten Lebensverlauf, weswegen die stetige Gefahr sozialer Isolation an 17
Bruchstellen dieser Biographie besteht, „in (…). Situationen also, die an gesellschaftliche Verdrängtes rühren, weil sie die Grenzen der individuellen Gestaltungsfähigkeit aufzeigen.“ (ebd: 37) Die „enge Verbindung zwischen Ausgrenzung am Arbeitsmarkt und Einschränkung der über soziale Netze verfügbaren Reichweite der Kontakte“, welche wichtige Ressourcen darstellen, ist ein wesentlicher Anhaltspunkt zur Erklärung der „Reproduktion“ von Ausgrenzung. (Kronauer 2002: 173) Nicht nur durch Geburt in eine Lebenslage, welche die „doppelte Konstellation von ökonomischer Marginalität und sozialer Isolation“ aufweist, verstärken sich diese „zentralen Komponenten der Ausgrenzung“ gegenseitig (ebd: 173), die Konnotation der Beschaffenheit sozialer Beziehungen mit dem Erwerbsstatus tritt bereits bei einer „Gefährdung am Arbeitsmarkt“ als kritischer Faktor zutage. (ebd: 174) Im Falle einer von prekären Brüchen geprägten Erwerbsbiographie vermitteln die sozialen Kontakte „ihrerseits wiederum eher instabile als stabile Arbeitsverhältnisse“, bei „stabil Beschäftigten“ ist dieser „selbstverstärkende Mechanismus“ entgegengesetzt zu beobachten. (ebd: 173) Wie Studien zu Arbeitslosigkeit ebenfalls zeigen, verändern sich soziale Beziehungen in prekären Beschäftigungsphasen, sie vermögen aus dieser Lage herauszuhelfen oder zerbrechen unter dem damit verbundenen Stress, was wiederum zu einer Verschärfung der sozialen Isolation führen vermag. „Vormals stabile Partnerschaften“ sind hierbei als eine positive Ressource zu betrachten, welche Alleinlebenden „von vorneherein“ nicht zur Verfügung steht. (ebd: 174) Arbeitslosigkeit gibt den Bekanntenkreisen Betroffener bereits durch deren „spezifische soziale und institutionell geregelte Konstellation einschränkende Bedingungen vor“, so werden private Kontakte zu Arbeitskollegen nicht aufgefangen, Arbeitslose werden lediglich institutionell miteinander in Verbindung gebracht, was auf die Gemeinsamkeit der Lebenslage und eventuelle persönliche Kontakte in der Behörde beschränkt bleibt. (ebd: 174) Aus materieller Deprivation heraus entstehen „Stigmatisierungserfahrungen und -erwartungen“ (ebd: 175), welche zu einer Vermeidung selbiger durch Abbruch von reziproken, auf Gegenseitigkeit beruhenden, Beziehungen zu nunmehr ökonomisch besser gestellten Personen führt, was als eine „wesentliche Antriebskraft von Prozessen sozialer Isolation“ in Koppelung mit einer Änderung des Erwerbsarbeitsstatus gilt: „Es [der Abbruch von Beziehungen, SH] ist ein typischer Ausweg aus informellen sozialen Situationen, die durch die Verschlechterung der eigenen Lage asymmetrisch geworden sind. Man kommt dem Gesichtsverlust zuvor, indem man den Ausschluss selbst vollzieht.“ (ebd: 181) 18
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