KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...

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KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
KIRCHEN ZEITUNG                                     36. Ausgabe

           Grenzenlose
           Freiheit?

Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten
in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe
und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 23. Juli 2021.
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
2                                                                                                      KIRCHEN ZEITUNG                                                                      36. Ausgabe | 23. Juli 2021

Sommer und Freiheit
Ist Freiheit ohne Verantwortung und ohne Grenzen aber überhaupt möglich?

D    as waren noch Zeiten, als wir im
     Sommer stundenlang, oft nächte-
lang, am Lagerfeuer saßen und ein Lied
                                                                                     „Über den Wolken muss die Freiheit
                                                                                     wohl grenzenlos sein“ von Reinhard
                                                                                     Mey. Und die Frommen stimmten „Herr,
                                                                                                                                „Urlaub“ ist eine Ableitung aus der mit-
                                                                                                                                telhochdeutschen Sprache und bedeutet
                                                                                                                                so viel wie die „Erlaubnis wegzugehen“,
nach dem anderen trällerten. Die Songs                                               deine Liebe“ an und sangen von der Frei-   die dem Ritter von seinem Herrn oder
der Beatles von Yesterday bis Obladi                                                 heit, die der Glaube an Gott schenkt.      seiner Dame gewährt wurde. Heute ver-
Oblada, gesellschaftskritische Protest-                                                 In diesem Sommer können wir ein be-     schafft der Urlaubsantrag beim Chef
lieder von Liedermachern wie Franz Jo-                                               sonderes Lied von der Freiheit singen:     oder der Ferienbeginn in der Schule die
sef Degenhardt oder Hannes Wader, iri-                                               von den Freiheitsgefühlen nach oder        Freiheit, endlich, wenn auch nur für kur-
sche und amerikanische Folksongs, die                                                besser – immer noch in – der Pandemie.     ze Zeit, einmal tun und lassen zu können,
Ohrwürmer von Bob Dylan oder Joan                                                    Wiedergewonnene Freiheiten aus den         was man will.
Baez – Lieder voller Sehnsucht nach Le-                                              engen Grenzen des Lockdowns prägen            In unserer Sommerausgabe der Kir-
ben, Liebe, Glück, Gerechtigkeit und                                                 unsere Tage. Lang vermisste Selbstver-     chenzeitung wollen wir der Dynamik der
Frieden.                                                                             ständlichkeiten, wie das Reisen oder die   Freiheit und ihren Grenzen, aber auch
   Ein Thema durfte freilich bei der Lied-                                           Möglichkeit, endlich wieder einmal im      der ständigen Herausforderung und Ver-
auswahl niemals fehlen: die Freiheit.                                                Restaurant essen zu gehen, so vieles,      antwortung, die die Freiheit bedeuten
Lieder wie „Die Gedanken sind frei“,                                                 was durch die gesetzlichen Covid 19-Re-    kann, in Texten und Bildern nachgehen.
Gospels wie „oh Freedom“ oder das He-                                                gelungen mehrere Monate verboten war,         Im Namen unseres Redaktionsteams
ckerlied aus der badischen Revolution                                                ist endlich wieder erlaubt.                wünsche ich Ihnen eine inspirierende
von 1848 sangen wir voller Leidenschaft.                                                Überhaupt, Sommer und Freiheit ge-      Lektüre und viele erfüllende Freiheits-
Die Hymne der Befreiung aus der DDR-                                                 hören zusammen. Das fängt schon bei        momente in einem hoffentlich erholsa-
Diktatur, Westernhagens „Freiheit“,                                                  der Kleidung an und das nicht nur beim     men Sommer.                                    Hubert Streckert, Dekan der Katho-
schmetterten wir genauso inbrünstig wie                                              Freizeitdress. Unser deutsches Wort           Hubert Streckert                            lischen Kirche in Karlsruhe  Foto: tt

      ▪ Impressum

                                                                                     Die Kirchenzeitung
                                                                                                                                      Zeit für Utopien?
                   KIRCHEN ZEITUNG
                                                                                     In der Kirchenzeitung werden Bei-
                                                                                                                                      E    igentlich gehören Utopien ei-       tung unseres Planeten vor weiterer
                                                                       36. Ausgabe

                                                                                     träge der Redaktionsmitglieder zu                     ner anderen Epoche an. Die          Zerstörung und die Sicherung unse-
                      Grenzenlose                                                    Themen rund um Kirche und Sozia-                 großen gesellschaftlichen Entwür-        rer natürlichen Lebensgrundlagen
                      Freiheit?                                                      les veröffentlicht. Um die Vielfalt              fe für ein besseres Leben sind spä-      stehen auf der Agenda, ebenso wie
                                                                                     von Kirche darzustellen, bietet die              testens im letzten Jahrhundert           der Einsatz für weltweiten Frieden,
                                                                                     Kirchenzeitung zudem kirchlichen                 hängen geblieben. Die politischen        die Bekämpfung des Hungers oder
                                                                                     und sozialen Einrichtungen die                   Entscheidungsträgerinnen           und   die Ächtung von Gewalt – im politi-
                                                                                     Möglichkeit, sich und ihre Arbeit                -träger folgen heute weltweit eher       schen Alltag verschwinden die gro-
                                                                                     vorzustellen.                                    einer pragmatischeren Agenda.            ßen Ziele aber leicht in der Mecha-
                                                                                                                                      Die ideologischen Kämpfe um So-          nik der Aushandlungsprozesse.
                                                                                                                                      zialismus oder Kapitalismus sind            Wie werden Menschen zu Brü-
                                                                                                                                      ausgetragen – das ist auch ein Se-       dern und Schwestern? Es braucht
                                                                                                                                      gen. Soziale Marktwirtschaft und         die Kraft von Visionen, die Men-
                                                                                                                                      die internationalen Konfliktrege-        schen über die Unterschiede in Kul-
           Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten
           in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe
                                                                                     Es lohnt sich, für die Überwin-                  lungsmechanismen durch die Ver-          tur, Religion oder Nationalität hi-
           und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 23. Juli 2021.

                                                                                     dung von Grenzen zu kämpfen.                     einten Nationen markieren einen          naus miteinander verbindet. Wir
                                                                                                                                      Zugewinn an Rationalität in politi-      brauchen das nicht nur weltweit,
                                                                                                                                      schen Konstellationen.                   auch vor der eigenen Haustür. Eu-
      n      Redaktion:                                                                                                                 Gleichwohl sind uns die Konflik-      ropa steht als Friedensprojekt vor
              Evangelische Kirche in Karlsruhe: Thomas Schalla (ts),                                                                  te nicht ausgegangen. Frieden            der Herausforderung weltweiter
              Markus Mickein (mm), Kira Busch-Wagner (kbw)                                                                            bleibt weltweit ein bedrohtes Gut.       Flucht- und Migrationsbewegun-
              Katholische Kirche Dekanat Karlsruhe: Hubert Streckert (hs),                                                            Terror verändert die Signatur ge-        gen. Das lässt sich nicht durch Ab-
              Tobias Tiltscher (tt), Susanne Rohfleisch (sr), Björn Schmid (bs)                                                       waltsamer Konflikte auch zwischen        schottung regeln. Die Bundestags-
      n      Redaktionsleitung: Martina Erhard (me)                                                                                  Nationen und bedroht Menschen            wahl im September ist mehr als in
      n      Titelbild: Tobias Tiltscher                                                                                             auf vielfache Weise. Die selbstver-      den vergangenen 16 Jahren auch ei-
      n      Anschrift der Redaktion:                                                                                                schuldete Bedrohung der Schöp-           ne Entscheidung über Konzepte
              Kirchenzeitung, Evangelisches Dekanat Karlsruhe,                                                                        fung stellt die Zukunft des Lebens       und Strategien. In den Kirchen ste-
              Reinhold-Frank-Straße 48, 76133 Karlsruhe                                                                               auf unserer Erde grundsätzlich in        hen wir ebenfalls vor großen Verän-
              E-Mail: kirchenzeitung-karlsruhe@gmx.de
              v.i.S.d.P. Hubert Streckert                                                                                             Frage. Weltweit waren im vergan-         derungen. Die Umbrüche und
              Die Redaktion freut sich über Rückmeldungen und Leserbriefe.                                                            genen Jahr mehr als 80 Millionen         Transformationen fordern einen
              Die nächste Ausgabe erscheint am 26. November 2021                                                                      Menschen auf der Flucht vor Hun-         mutigen Blick in die Weite. „Wenn
              (Redaktionsschluss: 26. Oktober 2021).                                                                                  ger, Gewalt, Umweltkatastrophen          der Herr die Gefangenen Zions er-
      n      Anzeigenleitung: Ulf Spannagel                                                                                          oder Perspektivlosigkeit – mehr als      lösen wird, so werden wir sein wie
      n      Satz und Druck: Badische Neueste Nachrichten                                                                            je zuvor. Die Pandemie führt uns         die Träumenden.“ Im Psalm 126
      n      Die Kirchenbezirke im Internet:                                                                                         noch immer täglich vor Augen, wie        wird der Blick weit nach vorne ge-
              www.ev-kirche-ka.de; www.kath-karlsruhe.de                                                                              vernetzt und wie verletzlich unser       worfen. Der Beter weiß die Zukunft
                                                                                                                                      Leben ist.                               in Gottes Hand geborgen. Heute
                                                                                                                                         Es ist wieder Zeit für Utopien,       brauchen wir die Kirchen mit dieser
                                                                                                                                      denn den pragmatischen Wegen             Kraft der Hoffnung: für die Arbeit
                                                                                                                                      fehlt oft die visionäre Kraft. Es wäre   an Utopien, die gutes Leben für alle
                                                                                                                                      aber nötig, die großen Ziele stärker     Menschen in den Mittelpunkt stel-
                                                                                                                                      in den Blick zu nehmen. Die Ret-         len.                  Dr. Thomas Schalla
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
36. Ausgabe | 23. Juli 2021                                      KIRCHEN ZEITUNG                                                                                             3

Freiheit – alles, was zählt?
Freiheit gibt es nur innerhalb bestimmter Grenzen / Sich frei zu fühlen, ist eine Frage der Einstellung
Von unserem Redaktionsmitglied                Freisein wieder einmal nur ein Wunsch-       log hat bis in die Gegenwart eine ähn-           Paulus schreibt etwa im Brief an die
Tobias Tiltscher                              traum gewesen zu sein scheint, die „Frei-    liche Wirkungsgeschichte entfaltet wie        Galater: „Zur Freiheit hat uns Christus
                                              heit wurde wieder abbestellt.“               diese zehn einfachen Sätze.                   befreit. Steht daher fest und lasst euch

W       enn es so etwas wie eine Hymne
        über das Streben nach Freiheit
gibt, das tief verwurzelt in der Seele des
                                                 Diese Erfahrungen gibt es in den gro-
                                              ßen Dingen ebenso wie im Alltäglichen.
                                              Die teure Anschaffung bringt doch nicht
                                                                                              Warum aber, so könnte man fragen,
                                                                                           müssen diese Regeln in einem religiösen
                                                                                           Kontext erscheinen und nicht einfach in
                                                                                                                                         nicht wieder ein Joch der Knechtschaft
                                                                                                                                         auflegen!“ (Gal 5,1). Diesen Vers
                                                                                                                                         schreibt er in eine konkrete geschicht-
Menschen ist, dann ist es ganz sicher das     die versprochene Erleichterung, der lang     einer profanen Gesetzessammlung?              liche Situation hinein, in der sich die
gleichnamige Lied von Marius Müller-          ersehnte Traumurlaub ist allzu schnell       Dient der Bezug auf Gott etwa als Ver-        frühen Christen uneins waren, ob sie
Westernhagen. Entstanden im Jahr 1987         vorbei und war im Rückblick vielleicht       stärker ihres Geltungsanspruchs, weil         noch an die jüdischen Gesetze des Alten
ist es zwei Jahre älter als der innerdeut-    gar nicht so traumhaft wie im Reisepro-      die befürchtete Strafe bei einer Übertre-     Testaments gebunden seien. Zusätzlich
sche Mauerfall und es wurde zu einer der      spekt. „Money can’t buy you happiness“       tung entsprechend schlimmer zu erwar-         zu den Zehn Geboten waren noch zahl-
musikalischen Ikonen jener Zeit. Seine        – Mit Geld kann man sich nicht das           ten ist? In Wirklichkeit stehen sie genau     reiche weitere Vorschriften gekommen,
Melodie und sein Text, unterstützt von                                                                                                   die in ihrer Gesamtheit nur noch schwer
der einzigartigen Intonation, zeugen                                                                                                     einzuhalten waren. Paulus verneint dies
vom unbändigen Bedürfnis danach, sich                                                                                                    und betont die gewonnene Freiheit. Da-
wirklich frei zu fühlen. Gleichzeitig                                                                                                    mit lehnt er allerdings nicht die jüdische
konfrontiert es den Zuhörer mit der                                                                                                      Tradition als solche oder das Judentum
Wirklichkeit, die sich allzu oft alles an-                                                                                               selbst ab, sondern versucht dessen
dere als nach Freiheit anfühlt. Auf hoff-                                                                                                Kernelement stärker ins Sichtfeld zu rü-
nungsvolle Ansätze und aussichtsreiche                                                                                                   cken.
Versuche folgt immer wieder die Er-                                                                                                         Die Begründung findet sich im Zwei-
nüchterung, die erhoffte Freiheit doch                                                                                                   ten Brief an die Korinther: „Der Herr
wieder nicht erlangt zu haben.                                                                                                           aber ist der Geist; wo aber der Geist des
                                                                                                                                         Herrn ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17).
  Hoffnung und                                                                                                                           Menschen sind als Gottes Abbild nicht
  Ernüchterung                                                                                                                           isoliert von ihm, sondern verbunden mit
   Von solchen vielversprechenden Vor-                                                                                                   ihm und miteinander. Gottes Geist be-
haben erzählt auch das Lied „Freiheit“.                                                                                                  seelt den Menschen und weist allen, die
Es geht um wichtige Verträge, die wohl                                                                                                   sich darum bemühen, ihn zu hören, den
aufwändig ausgehandelt und die mit                                                                                                       Weg. Der Mensch wird mündig und
großem Zeremoniell gefeiert werden.                                                                                                      kann aus der Situation heraus entschei-
Sie scheinen Hoffnung auf Freiheit zu                                                                                                    den, ohne an starre Worte gebunden zu
wecken, die sie aber nicht unbedingt er-                                                                                                 sein. Damit wird das jüdische Gesetz
füllen können. Viel gelacht wurde dabei,                                                                                                 nicht aufgehoben, sondern, im Gegen-
doch erfahren wir nicht, was für eine Art                                                                                                teil, mit Leben erfüllt. Der Maßstab des
von Lachen hier gemeint ist. War es froh                                                                                                 Handelns ist nicht der Buchstabe, son-
und heiter, ausgelassen und offenherzig?                                                                                                 dern die Liebe zum Nächsten.
Oder war es eher hochnäsig, selbstherr-
lich, herablassend? Es scheint jedenfalls                                                                                                  Die innere Freiheit
keine sehr nachhaltige Freude gewesen                                                                                                      macht frei
zu sein. Vom Gefühl der Freiheit bleibt                                                                                                     Das Lied von Marius Müller-Western-
nicht viel übrig, sie ist „die einzige, die                                                                                              hagen nimmt in der letzten Strophe eine
fehlt“ auf diesem Fest.                                                                                                                  positive Wende. „Alle, die von Freiheit
   Eher das Gegenteil von Befreiung                                                                                                      träumen, sollen‘s Feiern nicht versäu-
und Sicherheit setzt sich in den Vorder-      „Alle, die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen“, singt Marius            men,“ singt er. Nun richtet sich die Hoff-
grund. Eine Kapelle tritt mit großem          Müller-Westernhagen. Wer sich innerlich frei erfährt, kann laut singen und den             nung nicht mehr auf die große Politik,
„rumm ta ta“ auf. Musikanten in glei-         Körper mit hineinnehmen in den Tanz. „Du hast mein Klagen in Tanzen ver-                   auf den Konsum, auf Besitz. Es geht um
cher Kleidung marschieren im gleichen         wandelt“, heißt es auch in den Psalmversen.                   Foto: Unplash / Kyla Koss    die innere Einstellung, um das konkrete
Schritt, und im dumpfen Takt marschie-                                                                                                   Handeln des Einzelnen und um die in-
ren viele weitere Menschen im gleichen                                                                                                   nere Einstellung zum Leben und zu sich
Schritt mit. Es ist kein vielstimmiger        Glück kaufen. Es ist seine Perspektive,      an der richtigen Stelle. Denn der Mensch      selbst. Der Fokus richtet sich weg von
Chor, dessen Musik ihre eigene Schön-         die Marius Müller-Westernhagen unzu-         ist nach jüdischer wie christlicher Über-     den äußeren Zwängen, denen niemand
heit gerade dadurch erreicht, dass die        frieden zurücklässt. Die Form von Frei-      lieferung nicht nur ein hoch entwickeltes     je ganz entfliehen kann. Wer sich inner-
vielen unterschiedlichen Stimmen ei-          heit, über deren Suche er singt, bewegt      Säugetier, sondern jeder einzelne ist         lich frei erfährt, kann laut singen und
nander ergänzen, indem sie aufeinander        sich letztlich im Bereich des Vorder-        nach dem Abbild Gottes geschaffen             den Körper mit hineinnehmen in den
eingehen und das je eigene beitragen.         gründigen und des Materiellen.               (Gen 1,27). Damit kommt jedem Einzel-         Tanz – unter welchen Umständen und an
Stattdessen führt sie eine Komposition                                                     nen auch eine besondere, unantastbare         welchem Ort auch immer, sei er noch so
der Gleichschaltung auf, die den Men-           Eigene Freiheit und                        Würde zu, die sich aus seiner besonderen      ungewöhnlich. Diese letzte Strophe lässt
schen auf seinen folgsam eingeübten             Freiheit des anderen                       Beziehung zu Gott herleitet. Somit ist        an die Psalmverse denken, die diese Ur-
Körper reduziert, die keinen Raum lässt          Es gehört zu den wesentlichen Aufga-      der Schutz der menschlichen Würde und         erfahrung in Worte fassen: „Du hast
für eigenes Denken und hoffendes Träu-        ben des Zusammenlebens, die Freiheit         Freiheit nicht ein profanes Unterfangen,      mein Klagen in Tanzen verwandelt,
men. Ein so konditionierter Mensch „ist       jedes einzelnen so gut wie möglich zu si-    sondern eine praktische Form von Got-         mein Trauergewand hast du gelöst und
leider nicht naiv, der Mensch ist leider      chern. Dafür braucht es Regeln, die für      tes-Dienst.                                   mich umgürtet mit Freude, damit man
primitiv.“                                    alle gelten und den einzelnen schützen.         In der christlichen Tradition spielt die   dir Herrlichkeit singt und nicht ver-
   Schließlich tritt noch am Rande des        So verwundert es nicht, dass in den äl-      Freiheit eine entscheidende Rolle. Die        stummt. Herr, mein Gott, ich will dir
Festes eine komische Figur auf. Der           testen bekannten Schriften solche Vor-       Evangelien erzählen davon, wie Jesus ei-      danken in Ewigkeit.“ (Ps 30, 12-13).
Papst kommt als „Grüßonkel“ und hat of-       gaben überliefert sind. Von zentraler Be-    ne übertriebene Buchstabenklauberei              Freiheit ist vielleicht nicht das einzi-
fenbar nichts zu sagen. In einer solcher-     deutung für die jüdische wie für die         mancher seiner Zeitgenossen kritisierte,      ge, was zählt. Aber sie zählt definitiv. Ob
maßen auf das Faktische und Vorder-           christliche Tradition sind die Zehn Ge-      weil sie vom Wesentlichen des Glaubens        sie sich finden lässt, hängt von der Per-
gründige reduzierten Wirklichkeit, wie        bote des Alten Testaments, welche            ablenke. Für den Apostel Paulus spielt        spektive ab. Wer hinter die Dinge zu
sie hier beschrieben wird, kann eine mo-      Grundregeln für ein gelingendes Mitei-       die gewonnene Freiheit, die aus der lie-      schauen vermag und Gott auf die Spur
ralische und religiöse Autorität tatsäch-     nander aufzählen, etwa: nicht töten,         benden Annahme des Menschen durch             kommt, ist auf einem guten Weg, eine
lich kein Gehör finden, sie gibt Antwor-      nicht stehlen, nicht lügen, dem Lebens-      Gott und der daraus wachsenden Ver-           große Freiheit zu entdecken. Die Suche
ten auf Fragen, die dort niemand stellt. So   partner, den Angehörigen und auch Gott       söhnung entspringt, eine zentrale Rolle       nach ihr ist eine Lebensaufgabe – und
bleibt die Ernüchterung, dass das erhoffte    die Treue halten. Kaum ein Regelkata-        in seiner Theologie.                          wer sucht, wird auch finden.
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
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Ein Begriff von Freiheit
Menschen gehen unterschiedlich mit Einschränkungen um und entwickeln kreative Ideen, um Grenzen zu überwinden

W     ährend der Corona-Pandemie mussten die meisten Menschen mit gravierenden Beschränkungen leben. So mancher hat vielleicht auch gerade deswegen darüber
      nachgedacht, was Freiheit für ihn bedeutet. Redaktionsmitglieder der Kirchenzeitung haben mit Menschen aus Karlsruhe gesprochen und sie danach gefragt, wie sie
Freiheit interpretieren. Da ist zum Beispiel der Theaterintendant, der hofft, bald wieder ohne Einschränkungen das Publikum unterhalten zu dürfen, da ist aber auch die
Rentnerin, die ganz bewusst die Freiheit der eigenen Wohnung aufgibt, um eine andere Art von Freiheit zu gewinnen. Und da ist auch der Flüchtling aus Afghanistan, der vor
der Unterdrückung durch die Taliban-Herrschaft geflohen ist. Sie alle haben ihre ganz persönliche Vorstellung von Freiheit.

Gemeinschaftserlebnis genießen
Ingmar Otto hofft auf einen erfolgreichen Theaterherbst

N    un darf man sich endlich wieder
     mehr Freiheiten zutrauen“, freut
sich Ingmar Otto. Der gebürtige Bochu-
                                              in Durlach, aber auch am Bodensee. Auf
                                              dem Programm stehen Stücke wie
                                              „Traumschöff“ oder „Bremen sucht die
mer ist seit zehn Jahren Intendant im         Stadtmusikanten“. „Das hat alles ein
Karlsruher Kammertheater und verant-          bisschen was von einem Wanderzirkus“,
wortet somit das Programm des Hauses.         sagt er lachend. „Und alle sind glücklich
„Wir alle haben unter dem Corona-             darüber, wieder auf der Bühne zu stehen
Lockdown gelitten, aber wir haben auch        und vor Publikum spielen zu dürfen.“
immer versucht, Lösungen zu finden“,             Natürlich leidet das Theater auch unter
sagt er und erinnert sich an den Herbst       den finanziellen Einbußen. „Als die erste
des vergangenen Jahres, als man die           Welle losbrandete und wir schließen
Theater öffnen durfte, aber vor fast lee-     mussten, war uns klar, dass wir nach dem     Der Intendant des Kammertheaters, Ingmar Otto, hat bereits etliche Stücke für
ren Rängen spielen musste. „Von den           Lockdown wieder vor einem Neustart           die neue Indoor-Spielzeit vorbereitet.                                 Foto: me
280 Plätzen durften maximal 60 bis 70         stehen würden“, so Otto. „Allerdings
besetzt werden“, erzählt er. „Da fehlt        geht es jetzt schneller als damals, vor
einfach die Stimmung, weil das Gemein-        zehn Jahren, als Bernd Gnann und ich am         Für den Herbst sind drei Premieren         die Impfquoten steigen. „Aber wir sind
schaftsgefühl leidet.“ Allerdings sei al-     Kammertheater anfingen“, ist er über-        im Kammertheater geplant: Schon am            optimistisch, das ganze Ensemble ist op-
les eine Frage des Blickpunkts, ist er        zeugt. „Wir haben viele Stücke fertigpro-    17. September soll es mit „Oh Alpen-          timistisch.“ Er ist davon überzeugt, dass
überzeugt, denn „wenn man sonst nichts        duziert, weshalb keine neuen Produkti-       glühn!“ starten. Am 29. Oktober folgt         Kultur immer eine wichtige Rolle spie-
erlebt, freut man sich auch darüber“.         onskosten mehr anfallen“, erklärt er. Otto   „Ciao Bella – Ich heirate eine Familie“,      len werde, denn „gerade nach Krisen ha-
   Besonders schön hingegen seien die         erzählt auch von den vielen „Minikredi-      und am 3. Dezember kommt „Die Weih-           ben die Menschen Hunger nach Kultur“.
Freilichttheateraufführungen gewesen,         ten“, die das Haus von treuen Fans erhal-    nachtsfeier“. Diese Indoor-Spielzeit ist        Und noch ein Gedanke kommt Ingmar
die das Kammertheater seit dem Früh-          ten habe – in Form von Tickets. „Viele       allerdings verbunden mit Abstands-            Otto in den Sinn: „Theater und Kirche
ling im Repertoire habe. Über das Bun-        unserer Zuschauer haben noch Karten          regeln und Masken. „Wir hoffen alle,          haben vielleicht sogar eine Gemeinsam-
desprogramm „Neustart Kultur“ hat das         daheim, die sie im Vorverkauf für das        dass wir das Programm so spielen kön-         keit“, findet er. „Es geht immer darum,
Kammertheater eine Trailer-Bühne be-          Frühjahr 2020 gekauft haben“, sagt er.       nen, wie wir es geplant haben“, sagt          ein gemeinschaftliches Erlebnis, einen
antragt und ist damit nun in Baden-           „Gemeinsam hoffen wir, dass diese Kar-       Ingmar Otto. Damit das gelingt, dürfen        besonderen Live-Moment, zu genie-
Württemberg unterwegs. Gespielt wird          ten nun bald eingelöst werden können.“       nicht die Inzidenzen, sondern müssen          ßen.“                         Martina Erhard

Das Leben im Alter gestalten und genießen
Im Wohnstift zu leben bedeutet für Elisabeth Schnappinger große Freiheit

                                              I  hr wahres Alter merkt man Elisabeth
                                                 Schnappinger kaum an, wenn man ihr
                                              begegnet. Bald wird sie 82 Jahre alt und
                                                                                           oder mit Freunden und Bekannten. „Es ist
                                                                                           ganz wichtig, die Kontakte zu pflegen“,
                                                                                           betont sie. Dafür fährt sie mehrmals in der
                                                                                                                                         nach und nach abbaute und zunehmend
                                                                                                                                         Pflege brauchte. Dabei fragte sie sich,
                                                                                                                                         wie es ihr selbst im Alter einmal ergehen
                                              sprüht vor Begeisterung und vor Lebens-      Woche mit der Bahn in die Innenstadt und      sollte. In dieser Zeit entschied sich eine
                                              freude. Vor knapp zwei Jahren hat sie ei-    lädt auch gerne Gäste zu sich ein.            Bekannte, deren Ehemann gestorben
                                              nen Schritt gewagt, vor dem viele zurück-       Mit den Hausgenossen in Kontakt zu         war, ins Wohnstift zu ziehen. Sie half ihr
                                              schrecken. Sie hat freiwillig ihre Woh-      kommen, gestalte sich ganz unterschied-       dabei und dachte sich: „Das will ich
                                              nung aufgegeben. Seitdem wohnt sie in        lich. Manche freuten sich über gemein-        auch.“ Also nahm sie Kontakt auf und
                                              der Residenz Rüppurr in einer Zweizim-       same Gespräche, Spaziergänge und              nahm sich vor, den achtzigsten Geburts-
                                              merwohnung mit Balkon und Aussicht           Freizeitaktivitäten. Andere wiederum          tag zum Anlass zu nehmen, in die Resi-
                                              auf die Ausläufer des Schwarzwalds.          zögen sich mehr und mehr in ihre eige-        denz zu ziehen. Damals lag jener runde
                                                 Das Leben in einer Einrichtung für Se-    nen vier Wände zurück, was sie immer          Geburtstag noch sechs Jahre in der Zu-
                                              nioren empfindet sie nicht als Ein-          einsamer und unzufriedener mache. „Sie        kunft. Wieder kam der Zufall zu Hilfe,
                                              schränkung, sondern sie genießt viel-        finden dann immer irgendeinen Grund,          als pünktlich zum anvisierten Termin ei-
                                              mehr die hinzugewonnenen Freiheiten,         um sich zu beschweren“, berichtet Elisa-      ne schöne Wohnung dort frei wurde. Sie
                                              erzählt Elisabeth Schnappinger. Jeden        beth Schnappinger. Ihr ist es hingegen        zögerte nicht lange und sagte zu. Bald
                                              Morgen gehe sie eine Runde Schwim-           wichtig, das Gute bewusst wahrzuneh-          darauf rollte der Umzugswagen und Eli-
                                              men im hauseigenen Schwimmbad, ge-           men. „Wer nicht mehr genießen kann,           sabeth Schnappinger bezog ihr neues
                                              nieße die Mahlzeiten in geselliger Run-      wird irgendwann ungenießbar“, habe ein        Heim.
                                              de und schätze vor allem die Möglich-        Seelsorger einst gesagt, erzählt sie. Und        In ihr früheres Leben zurückkehren
                                              keit, ihren Tagesablauf nach den eigenen     sie fügt hinzu: „Vor allem kommt es da-       möchte sie nicht, vielmehr genießt sie
                                              Wünschen zu gestalten. „Ich bin hier         rauf an, was ich mit dem Herzen mache.“       die gewonnene Freiheit und die Mög-
Elisabeth Schnappinger fühlt sich in          mein eigener Herr“, sagt sie.                   Den Umzug einmal zu wagen, hatte           lichkeit, ihr Leben zu gestalten. „Ich bin
der Senioreneinrichtung, in der sie              Diese Freiheiten nutze sie sehr gern      sie schon vor, als sie noch gemeinsam         sehr zufrieden, dass ich diesen Schritt
seit rund zwei Jahren lebt, sehr wohl.        zum Wandern und zum Spazierengehen           mit ihrem Vater unter einem Dach lebte.       gewagt habe“, bestätigt Elisabeth
                                   Foto: tt   im angrenzenden Oberwald, sei es allein      Sie kümmerte sich damals um ihn, als er       Schnappinger.                  Tobias Tiltscher
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
36. Ausgabe | 23. Juli 2021                                       KIRCHEN ZEITUNG                                                                                               5

Schulabschluss im Ausnahmejahr
Patrick Rassl startet unter Coronabedingungen in ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)

D     as Abschlussjahr in der Schule ist
      immer etwas Besonderes und bleibt
ein Leben lang in Erinnerung. Das Jahr
                                              senkameraden am Nachmittag oder
                                              abends seien weitgehend ausgefallen.
                                              „Meinen achtzehnten Geburtstag konnte
                                                                                                 Anfang September wird Patrick Rassl
                                                                                              ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im
                                                                                              Katholischen Jugendhaus Karlsruhe be-
vor dem Abitur hätte für Patrick Rassl al-    ich gar nicht feiern“, berichtet er. Er hof-    ginnen. Die Aussicht darauf, wieder
lerdings auch gern etwas gewöhnlicher         fe, sagt Patrick Rassl, dass mit fallenden      mehr Menschen zu begegnen, gibt ihm
verlaufen können. Er ist 18 Jahre alt und     Inzidenzzahlen sich auch manches nach-          Hoffnung. „Ich möchte mich endlich
hat im Jahr 2021 das Abitur gemacht –         holen lassen wird. Wie weit das aber            wieder mehr mit Jugendlichen austau-
mitten in der Coronazeit. „Ein bisschen       machbar sein wird, stehe noch in den            schen, mit anderen Leuten arbeiten und
blöd war das schon“, gibt er zu, wenn er      Sternen, meint er. Und nicht zuletzt hän-       mich über Kirche austauschen“, freut er
von seinen Erfahrungen im letzten             ge auch vieles von der Disziplin der an-        sich.
Schuljahr erzählt.                            deren ab. „Gerade erst haben sich viele            Der Weg zum FSJ in dieser Jugendein-
   „In der Schule mussten wir die ganze       Leute in einem Karlsruher Nachtclub             richtung hatte sich schon seit einer gan-
Zeit Maske tragen,“ berichtet Patrick         angesteckt. Wenn so etwas jetzt noch            zen Weile angebahnt. Seit der Erstkom-
Rassl. Zu Hause sei es aber auch nicht        einmal vorkommt, steht alles wieder in          munion ist er Ministrant in der Gemein-     Patrick Rassl freut sich darauf, sich
viel besser gewesen. „Den ganzen Tag          Frage und wir können wahrscheinlich             de „Unsere Liebe Frau“ in der Karlsru-      bald wieder mit Jugendlichen austau-
hat man am Schreibtisch verbracht. Vor-       gar nicht mehr feiern. Da reicht schon ei-      her Südstadt. Sein erster Kontakt mit       schen zu können.                Foto: tt
mittags gab’s Online-Unterricht, nach-        ne einzige unvernünftige Person aus, um         dem Katholischen Jugendhaus war ein
mittags war Lernen für die Klausuren          uns allen wieder die Freiheit zu neh-           Gruppenleiterkurs. Nach diesem Kurs
angesagt.“ Das Gefühl, zu Hause einge-        men.“                                           durfte er in seiner Gemeinde eine Minis-    gendlichen, Austausch, Unterstützung
sperrt zu sein, habe sich in dieser Zeit        Auch die Hobbies sind in dieser Zeit          trantengruppe betreuen. Bald darauf, mit    oder Veranstaltungen mit vorbereiten.
immer wieder gemeldet. Der Umgang             zu kurz gekommen. Patrick Rassl ist lei-        15 Jahren, wählten ihn die Ministranten       Welchen Weg er nach dem FSJ ein-
mit den Corona-Maßnahmen sei in sei-          denschaftlicher Fußball-Schiedsrichter.         des Dekanats Karlsruhe in ihr Leitungs-     schlagen will, hat Patrick Rassl noch
ner Schule aber ganz gut verlaufen.           „Eigentlich haben wir auf dem Platz viel        team. Damit kam er enger in Kontakt mit     nicht entschieden. Er könne sich vorstel-
„Klar ist es schwierig, aber man muss         Raum und sind alle an der frischen              dem Jugendhaus und dachte immer wie-        len, zu studieren, ebenso gut aber auch,
eben Rücksicht nehmen. Das ist in Ord-        Luft“, sagt er. Trotzdem ist der Amateur-       der: „Die Leute sind so nett und wirklich   eine Ausbildung zu beginnen und in ei-
nung“, sagt er.                               fußball im Pandemiejahr vollkommen              gut drauf.“ So kam ihm der Gedanke,         nen sozialen Beruf einzusteigen. Das
   Dennoch habe es immer wieder ge-           zum Erliegen gekommen. Bald wieder              nach dem Abitur hier ein FSJ einzule-       Jahr ohne schulische Verpflichtungen,
schmerzt, auf schöne Dinge verzichten         auf dem Platz pfeifen zu können ist eine        gen. „Einen besseren Ort kannst du nicht    dafür aber mit vielen Begegnungen,
zu müssen, gerade rund um den Schul-          der Hoffnungen, die ihn in die Zeit nach        finden“, findet er. Die Aufgaben, die ihn   möchte er bewusst dafür nutzen, seine
abschluss. Gemütliche Treffen mit Klas-       den hohen Inzidenzwerten tragen.                erwarten, sind vielfältig: Arbeit mit Ju-   Perspektiven zu klären.      Tobias Tiltscher

Für ein Leben mit Zukunft                                                                     Der Genuss ist wieder da
Mahdi Rashidi flüchtete aus Afghanistan                                                       Mit den Lockerungen kehren auch die Gäste zurück

M      ahdi Rashidi, 32 Jahre, ist vor fünf
       Jahren aus Afghanistan nach
Deutschland gekommen, um der Tali-
                                              sichere Zukunft ist nicht in Sicht. Das
                                              war auch vor fünf Jahren nicht anders,
                                              als Mahdi Rashidi den Entschluss fasste,
                                                                                                                                          Smyrneos sagt. Das Essen „to go“, das er
                                                                                                                                          wie andere im Gastronomiebereich auch
                                                                                                                                          angeboten hat, wurde bei ihm nicht
ban-Herrschaft zu entfliehen – und um         zu fliehen. „Ich habe für mich keine Zu-                                                    wirklich angenommen. „Unsere grie-
ein Leben mit Zukunft führen zu kön-          kunft gesehen“, sagt er rückblickend. Zu                                                    chischen und spanischen Spezialitäten
nen. Er sagt: „In meiner Generation wird      dem Entschluss zu gehen, hat auch das                                                       in Styropor eingepackt und für zuhause
es in Afghanistan nicht mehr ruhig“.          Studium der Informatik in Indien beige-                                                     zum Essen, das passt nicht so gut zusam-
Jetzt, mit dem Abzug der internationalen      tragen. Als er danach wieder nach Hause                                                     men“, erklärt Smyrneos.
Truppen, stehe das Land wieder da, wo         zurückkam, fühlte sich das Leben für ihn                                                       Jetzt also wieder mit gutem Gewissen
es vor 20 Jahren war. Auch seine Hei-         in Afghanistan an „wie ein Gefängnis“.                                                      ins Restaurant gehen. Mit steigenden
matstadt, Ghazni, 140 km von Kabul ent-       Also kam die Flucht über den Iran, Grie-                                                    Temperaturen lockt die Terrasse des
fernt, ist – abgesehen von der Innenstadt     chenland, die Balkanstaaten und Öster-                                                      Restaurants. Bei größerer Nachfrage
– wieder in der Hand der Taliban. Eine        reich bis nach Deutschland. Zurück blie-                                                    kann die komplette Fensterfront zum
                                              ben seine Mutter und seine sieben Ge-                                                       Außenbereich hin geöffnet werden. Für
                                              schwister.                                                                                  mehr Sicherheit im Innenbereich hat
                                                 In Karlsruhe lebt Mahdi Rashidi seit                                                     Anastasios Smyrneos in eine Luftfilter-
                                              Dezember 2020. Er hat eine Arbeit als                                                       anlage investiert, die insbesondere im
                                              Informatiker bei „1&1“, mit einem „un-                                                      Herbst und Winter für mehr Sicherheit
                                              befristeten Vertrag“, wie er voller Stolz       Restaurantbesitzer Anastasios Smyr-         bei den Kunden und für ein gesundes
                                              sagt. Davor hat er bei dem Karlsruher In-       neos freut sich, mit den fortschreiten-     Raumklima sorgen soll.
                                              ternetanbieter eine Ausbildung absol-           den Lockerungen im Gastronomiebe-              Ungewiss bleibt allerdings, wie die
                                              viert. Die Ausbildung hatte sich der da-        reich wieder mehr Kunden begrüßen           nächsten Wochen und Monate ange-
                                              mals 28-Jährige selber gesucht. Das war         zu können.                      Foto: mm    sichts der Ansteckung mit der Delta-Va-
                                              auch der Weg, um eine Aufenthaltsge-                                                        riante sich entwickeln werden. In dieser
                                              nehmigung zu bekommen. Denn sein                                                            angespannten Situation Personal zu fin-
                                              Asylantrag wurde vom BAMF 2017 ab-
                                              gelehnt. Doch Mahdi Rashidi wollte
                                              bleiben und sich hier eine Zukunft auf-
                                                                                              W      ie für viele andere Gastronomen
                                                                                                     waren die zurückliegenden Mo-
                                                                                              nate auch für Anastasios Smyrneos und
                                                                                                                                          den, sei aktuell nicht leicht, erklärt Inha-
                                                                                                                                          ber Smyrneos, weil man nicht wisse, ob
                                                                                                                                          man nicht im Herbst wieder zumachen
                                              bauen. Wenn da nur nicht die befristete         sein Restaurant „Terra Mare“ keine ein-     müsse. Nicht nur in der Pandemie geht
                                              Aufenthaltserlaubnis wäre. Es fühle sich        fache Zeit. Jetzt, mit den fortschreiten-   sein Blick immer wieder auch nach
                                              an, als hinge er in der Luft, beschreibt es     den Lockerungen, kehren auch die Kun-       Griechenland und Spanien, wo er und
                                              Mahdi Rashidi, „ich kann mich nicht             den wieder zurück in das Restaurant in      seine Frau Maria Teresa aufgewachsen
                                              ganz sicher fühlen“, erklärt er das ungute      der Karlsruher Südweststadt. Die Inzi-      sind. In beiden Ländern waren die Be-
                                              Gefühl, das ihn immer wieder be-                denzzahlen bewegen sich seit Wochen         schränkungen für die Bevölkerung grö-
                                              schleicht. Ansonsten fühle er sich frei.        auf sehr niedrigem Niveau und sogar im      ßer als in Deutschland, sagt Anastasios
Mahdi Rashidi lebt und arbeitet in            Und er hat zum Glück auch einige „gute,         Innenbereich ist kein Corona-Test mehr      Smyrneos. Durchhalten lassen hat beide
Karlsruhe – und ist in der Innenstadt         deutsche Freunde“, die ihn begleiten und        nötig. Insbesondere die Stammkunden         auch die vielen positiven Rückmeldun-
viel mit dem Fahrrad unterwegs.               ihn immer wieder ermutigen.                     kommen jetzt wieder zurück, mit der         gen und Anrufe von Stammkunden, die
                                   Foto: mm                                  Markus Mickein   „Lust zum Genießen“, wie es Inhaber         beiden Mut gemacht haben. Markus Mickein
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
6                                                                 KIRCHEN ZEITUNG                                                                     36. Ausgabe | 23. Juli 2021

Ein kurzes Innehalten kann manch-             Nur in eine Richtung – das kann,              Hier geht’s nicht weiter: Mal ein Ver-        Die Einschränkung für den einen
mal nicht schaden. Im Gegenteil: Es           muss aber nicht unbedingt von Vor-            bot mit einem Augenzwinkern zur               kann Freiheit für den anderen bedeu-
kann vor Schaden bewahren. Foto: me           teil sein.                  Foto: me          Kenntnis nehmen.                 Foto: tt     ten.                           Foto: me

Das ist so eine Sache mit der Freiheit
Über Denk-, Rede- und Handlungsfreiheiten in einer überhitzten Gesellschaft
Von unserem Redaktionsmitglied                ßern zu dürfen. Niemals in der Ge-            ein Ausdruck der persönlichen Freiheit        öfter zum Ausdruck der persönlichen
Martina Erhard                                schichte der Bundesrepublik war dieser        sei, weshalb man es sich nicht verbieten      Freiheit wird.
                                              Wert höher. Was aber passiert mit einer       lassen wolle. Dieses einfache Beispiel           Aber sind das alles tatsächlich immer

D     er Mensch ist autonom, er hat einen
      freien Willen und er kann entschei-
den, was er tun und was er nicht tun
                                              Gesellschaft, wenn ein großer Teil der
                                              Menschen Angst hat, frei zu reden? Wer
                                              setzt die Tabus? Wer entscheidet, was
                                                                                            zeigt, dass Freiheit Grenzen kennen
                                                                                            muss, wenn das Tun des einen die Ge-
                                                                                            sundheit oder gar das Leben des anderen
                                                                                                                                          freie Entscheidungen? Ist es nicht auch
                                                                                                                                          manchmal so, dass die großartige Fern-
                                                                                                                                          reise deshalb wichtig ist, weil der Kolle-
möchte. So die Idealvorstellung. Die          gesagt werden darf? Der Kampf ums             gefährdet – eine Selbstverständlichkeit,      ge gerade in Australien war? Und ist der
Realität sieht jedoch anders aus: Das         Rechthaben, der Kampf um das, was             über die, zumindest dann, wenn es ums         300 PS-Bolide nicht auch deswegen so
darfst du nicht. Das sollst du nicht. Das     noch gesagt werden darf, macht unfrei,        Rauchen geht, nicht mehr diskutiert           erstrebenswert, weil der Nachbar einen
kannst du nicht. Einschränkungen und          denn man zwingt sich in ein Korsett aus       wird.                                         250 PS-Wagen fährt? Und welche Rolle
Vorschriften begleiten uns ständig, denn      Regeln. Einerseits.                              Komplizierter wird es da schon, wenn       spielen eigentlich die kreativen Marke-
gerade in Ländern, in denen Menschen             Andererseits kann man sich in einer        das Tun des Einzelnen nur indirekt nega-      ting-Abteilungen, die uns manchmal
dicht zusammenleben, funktioniert es          aufgeklärten Gesellschaft auch auf be-        tive Folgen für andere hat. Aktuell ist der   vielleicht Sehnsüchte suggerieren, die
eben nicht ohne geschriebene und unge-        stimmte Regeln einigen. Dabei muss            Klimawandel in aller Munde, weil die          wir ohne die Werbung gar nicht gehabt
schriebene Regeln.                            man nicht immer Gesetze und festge-           schrecklichen Auswirkungen der Erder-         hätten? Wäre man also nicht tatsächlich
   Dabei leben wir doch in einer so frei-     schriebene Verordnungen zu Rate zie-          hitzung nun auch in großen Teilen             freier, wenn man sich von dem Streben
heitsliebenden Gesellschaft. „Das wird        hen, es reicht, wenn man sich auf altmo-      Deutschlands spürbar sind. Jeder Ein-         nach Statussymbolen verabschieden
man wohl noch sagen dürfen“, ist ein          dische Begriffe wie „Rücksichtnahme“          zelne kann einen Beitrag dazu leisten,        könnte? Nur so ein Gedanke.
Satz, den man immer wieder hört, vor al-      oder „Anstand“ besinnt. Bei Sprachta-         den CO2-Ausstoß zu reduzieren und                Im Hinblick auf den Klimawandel
lem von Menschen, die ohnehin gerne           bus geht es darum, andere Menschen            theoretisch finden wohl alle Menschen         stellt sich außerdem die Frage, ob wir
und oft das sagen, was ihnen gerade in        nicht durch abwertende Begriffe zu ver-       Klimaschutz ganz wunderbar. Wie sieht         überhaupt noch die Freiheit haben, ent-
den Sinn kommt. Ja, wir leben in einer        letzen. Das N-Wort und das Z-Wort sind        es aber aus, wenn persönliche Konse-          scheiden zu können. Angesichts der dra-
freien Gesellschaft, in der die Mei-          solche Beispiele. Sie verletzten Men-         quenzen gefordert werden, wenn der Le-        matischen Bilder, die uns erreichen –
nungsfreiheit viel gilt; aber was passiert,   schen und sie erinnern an dunkle Kapitel      bensstil infrage gestellt wird? Dann wird     Hitzerekorde in den USA und in Kana-
wenn die Meinung, die ich lauthals hi-        der Menschheitsgeschichte. Eine Dis-          schnell wieder mit der Freiheit argumen-      da, Schlammlawinen in Japan, Über-
nausschreie beziehungsweise hinaus-           kussion darüber, ob diese Wörter noch         tiert.                                        schwemmungen in Europa – muss man
schreibe, dazu führt, dass andere Men-        verwendet werden dürfen, erübrigt sich           Als die Grünen 2013 den Vorschlag          zu dem Ergebnis kommen, dass einem
schen verletzt werden? Vor allem die so-      also. Auch wenn manch schöne kulinari-        machen, einen freiwilligen Veggie-Tag         manche Entscheidungen wohl eher auf-
genannten „Sozialen Medien“ erweisen          sche Kindheitserinnerungen mit dem            pro Woche einzuführen, um die Men-            gezwungen werden, ob man will oder
sich in dieser Hinsicht oft als extrem un-    „N….kuss“ oder dem „Z……schnitzel“             schen für die Problematik eines übermä-       nicht. Der Klimawandel ist in vollem
sozial.                                       verbunden sind, so wiegen doch die Ver-       ßigen Fleischkonsums zu sensibilisie-         Gange, und man bekommt ein Gespür
   So mancher fühlt sich da – geschützt       letzungen der Betroffenen schwerer,           ren, machte die Zeitung mit den vier gro-     dafür, dass die Natur nicht beherrschbar
durch die Anonymität des Internets – be-      weshalb die Freiheit, alles sagen zu dür-     ßen Buchstaben mit der Überschrift            ist. Wir sind in einer lebensbedrohlichen
müßigt, sich zu allem zu äußern, gerne in     fen, auch seine Grenzen hat.                  „Die Grünen wollen uns das Fleisch-           Lage, weil die Erde krank ist. Das Buch
beleidigender Form. Jüngst wurden die            Meine Freiheit endet dort, wo die Frei-    essen verbieten“ auf. Eine sachliche Dis-     „Deutschland 2050 – wie der Klimawan-
Politikerin Katharina Schulze und ihr         heit anderer beginnt. Wer sich zum Bei-       kussion war nicht mehr möglich, denn          del unser Leben verändern wird“, macht
Lebensgefährte, Danyal Bayaz, Finanz-         spiel für Freiheit statt Vorsicht entschei-   alle fühlten sich plötzlich in ihrer Frei-    deutlich, dass unsere Kinder und Enkel-
minister in Baden-Württemberg, Ziel           det, setzt immer auch andere einer Ge-        heit bedroht. Dabei ist die Landwirt-         kinder in nicht allzu ferner Zukunft mit
von menschenverachtenden und rassisti-        fahr aus. Das fängt beim Rauchen an und       schaft – und hier vor allem die Massen-       noch ganz anderen Belastungen werden
schen Kommentaren auf Twitter. Grund:         hört beim Rasen mit hochmotorisierten         tierhaltung – laut den Angaben des Um-        umgehen müssen.
Sie gaben die Geburt ihres gemeinsamen        Boliden auf Autobahnen und Bundes-            weltbundesamts für 8,2 Prozent der               Vor wenigen Wochen hat nun auch das
Kindes bekannt. Beispiele dafür, wie          straßen noch lange nicht auf.                 gesamten       Treibhausgas-Emissionen        Bundesverfassungsgericht darauf hinge-
schnell man im Internet einen Shitstorm          In den 50er- und 60er-Jahren des ver-      verantwortlich. Eine Verringerung des         wiesen, dass wir in Sachen Klimaschutz
erntet, gibt es zuhauf. All diese „Kriti-     gangenen Jahrhunderts dachte kein             Fleischkonsums wäre also – objektiv be-       mehr machen müssen, um künftige Ge-
ker“ meinen, ihre Beleidigungen und           Mensch (außer natürlich Vertreter der         trachtet – mehr als sinnvoll.                 nerationen zu schützen. Eine Einschrän-
Schmähreden seien durch die Mei-              Tabakindustrie) daran, dass Rauchen ge-          Ähnlich irrational argumentieren vie-      kung unserer Freiheit? Wohl eher nicht,
nungsfreiheit gedeckt. Meinungsfreit          fährlich sein könnte. Vielleicht zweifeln     le Menschen, wenn es um das Fliegen,          denn wie heißt es so schön: Wir haben
hört aber da auf, wo andere mundtot ge-       manche sogar heute noch daran. Aber           um das Auto oder um den Konsum all-           die Erde von unseren Kindern nur ge-
macht werden sollen.                          der Großteil weiß: Rauchen ist unge-          gemein geht. Man will selbst entschei-        borgt. Wir sind also verpflichtet, das Ge-
   Laut einer Allensbach-Umfrage vom          sund. Dennoch war es ein langer Kampf,        den, wie und wo man den Urlaub ver-           borgte in einem ordentlichen Zustand
Juni gaben 44 Prozent der befragten           ehe sich der Nichtraucherschutz etablie-      bringt, man will das Auto fahren, das ei-     weiterzugeben. Das ist eine Selbstver-
Deutschen an, das Gefühl zu haben, sich       ren konnte. Immer wieder war das Argu-        nem gefällt. Und so ist es keine Selten-      ständlichkeit und keine Freiheitsbe-
zu gewissen Themen nicht mehr frei äu-        ment zu hören, dass das Rauchen doch          heit, dass ein Zwei-Tonnen-SUV immer          schränkung.
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
36. Ausgabe | 23. Juli 2021                                     KIRCHEN ZEITUNG                                                                                                7

Essensausgabe für bedürftige Menschen
Herz-Jesu-Stift unter neuer Trägerschaft der Karlsruher Caritas

O     hne engagierten Einsatz von haupt-
      und ehrenamtlichen Mitarbeiter*in-
nen gäbe es die Essensausgabe für be-
                                                                                                                                      gemeinde St. Peter und Paul Mühlburg
                                                                                                                                      kann nun im täglichen Tun weiter ver-
                                                                                                                                      tieft werden.
dürftige und wohnungslose Menschen in                                                                                                    Dank gebührt der Ardensia eG als Ei-
Mühlburg nicht. Ohne Warenspenden                                                                                                     gentümerin und Vermieterin der Räum-
gäbe es kein warmes Mittagessen für sie.                                                                                              lichkeiten, die auf Mieteinnahmen bis
Ohne Geldspenden könnte der laufende                                                                                                  zum Jahr 2033 verzichtet und so zum
Betrieb der Räumlichkeiten mit Küche,                                                                                                 langfristigen Weiterbestehen der Es-
Aufenthalts- und Speisesaal sowie                                                                                                     sensausgabe beiträgt.
Duschmöglichkeiten nicht weiterbeste-                                                                                                    „Um Menschen in Notsituationen pro-
hen. Ohne ehrenamtliches Engagement                                                                                                   fessionell und unbürokratisch helfen zu
könnte das tägliche Angebot nicht beibe-                                                                                              können, haben wir unsere bestehenden
halten werden. „Wir sind auf die Unter-                                                                                               Angebote, wie Caritassozialdienst, So-
stützung von Spendern und Ehrenamtli-                                                                                                 zialberatung für Schuldner und Beiert-
chen dringend angewiesen, damit wir die                                                                                               heimer Tafel, um die Essensausgabe für
seit zwanzig Jahren bestehende Essens-                                                                                                bedürftige und wohnungslose Menschen
ausgabe für bedürftige und wohnungslo-                                                                                                erweitert. Dies war eine gute Entschei-
se Menschen weiterführen können“, er-                                                                                                 dung, da gerade all diese Angebote in
klärt Petra Frank, Mitarbeiterin des Cari-   Bedürftige und wohnungslose Menschen bekommen in der Essenausgabe im                     der Corona-Zeit stark nachgefragt wer-
tasverbands Karlsruhe e.V. Sie leitet seit   Herz-Jesu-Stift ein warmes Essen.                      Foto: Caritasverband              den“, so Luck.      G. Homburg, Caritasverband
Juni 2021 die Essensausgabe. Sie kann
bei sozialrechtlichen Fragen Erstgesprä-                                                                                              Wer für die Essensausgabe
che führen und die Personen an den Cari-     gation der Schwestern vom Göttlichen         dem Beratungs- und Familienzentrum          im Herz-Jesu-Stift spenden möchte:
tassozialdienst und an andere Fachdiens-     Erlöser aufgrund der demographischen         Caritashaus weiter auszubauen. Nach         Unser Spendenkonto:
te, wie etwa die Sozialberatung für          Entwicklung nicht mehr mög-                        der zeitweisen pandemiebeding-        Caritasverband Karlsruhe e.V.
Schuldner, weitervermitteln. „Gerade         lich war, die Essensausgabe in                     ten Schließung der Essensausgabe      Bank für Sozialwirtschaft
die Vernetzung unserer Beratungsdienste      dieser Form weiterzuführen. Sr.                    konnte der tägliche Betrieb wie-      IBAN DE17 660205000001741700
kommt den Menschen hier zugute, da wir       Alfonsa Farfeleder, die nach 16                    der aufgenommen werden. Die           BIC BFSWDE33KRL
mit unserer Expertise den Menschen           Jahren unermüdlichen Engage-                       Essensausgabe ist derzeit von         online: www.caritas-karlsruhe.de/
Auswege aus ihrer Situation aufzeigen        ments als Leiterin der Essens-                     11.30 bis 12.30 Uhr geöffnet. Be-     onlinespende
können“, weiß Claus-Dieter Luck, Ab-         ausgabe den Stab an die Karlsru-                   gegnungen unter den notwendi-         Kennwort: Herz-Jesu-Stift
teilungsleiter für Beratung und Arbeit.      her Caritas weitergab, hat ihre                    gen Abstands- und Hygieneregeln       Informationen/Ansprechpartnerin:
   Der Caritasverband Karlsruhe e.V.,        Nachfolgerin Petra Frank in ihre                   sind wieder möglich. Das Zusam-       Petra Frank, Telefon 07 21 / 5 31 24 20,
der eng mit der Seelsorgeeinheit Aller-      neue Tätigkeit eingearbeitet.                menwirken zwischen der Seelsorgeein-        E-Mail:
heiligen kooperiert, hat die Trägerschaft       Es ist geplant, das Angebot der Es-       heit Allerheiligen, dem Caritasverband      herz-jesu-stift@caritas-karlsruhe.de,
übernommen, nachdem es der Kongre-           sensausgabe in Zusammenarbeit mit            Karlsruhe sowie der benachbarten Pfarr-     www.caritas-karlsruhe.de/hjs

„Wir blicken hoffnungsvoll nach Karlsruhe“
Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen tagte erstmals online

E    s war eine historische Premiere.
     Erstmals in seiner mehr als 70 Jahre
dauernden Geschichte hat der Zentral-
                                                                                                                                      schnell auf die Situation eingestellt“, be-
                                                                                                                                      richtete er.
                                                                                                                                         Vertreterinnen und Vertreter aus allen
ausschuss des Ökumenischen Rates der                                                                                                  Weltregionen berichteten von ihren Vor-
Kirchen (ÖRK) online per Videokonfe-                                                                                                  bereitungen auf die Vollversammlung.
renz getagt. An dem Treffen Ende Juni                                                                                                 In Asien wurde beispielsweise ein
nahmen rund 130 Mitglieder aus allen                                                                                                  Schwerpunkt auf die Frage gelegt, wie
Erdteilen teil. Ziel war es, die Vorberei-                                                                                            man sich in einem Geist der Zusammen-
tungen für die 11. Vollversammlung des                                                                                                arbeit und Einheit auf die Vollversamm-
ÖRK vom 31. August bis 8. September                                                                                                   lung vorbereiten könne. Die Vertreterin-
2022 in Karlsruhe voranzutreiben.            Rund 130 Mitglieder des ÖRK-Zentralausschusses nahmen an einer Videokon-                 nen und Vertreter der Kirchen in der Ka-
   Der Zentralausschuss beschäftigte         ferenz teil.                                                     Foto: ÖRK               ribik beschäftigten sich mit der Resi-
sich mit dem Programm, das von einer                                                                                                  lienz der Kirchen und der Menschen, die
internationalen Vorbereitungsgruppe er-                                                                                               trotz der Ungerechtigkeiten beim Zu-
arbeitet wurde, und beschloss, an den        reich und der Schweiz. Wir beobachten        Abuom, Vorsitzende des Zentral-             gang zu Impfstoffen gegen COVID-19
Planungen weiterzuarbeiten. Ob alle 800      die Lage in der Region und weltweit          ausschusses, im Blick auf die Auswir-       wachse. In der Region Nordamerika
Delegierten an der Vollversammlung           ganz genau“, sagte Bosse-Huber. Weiter-      kungen der Corona-Krise. „COVID-19          wurde die Frage erörtert, wie Einheit an-
teilnehmen können und unter welchen          hin berichtete sie, dass sich in den Vor-    hat die Weltwirtschaft mit alarmierender    gesichts von Rassismus und anderen ge-
Umständen die Tagung stattfinden kann,       bereitungen zeige, dass säkulare Institu-    Geschwindigkeit in einen globalen           sellschaftlichen Spaltungen gestärkt
bleibt noch offen. Bischöfin Petra Bosse-    tionen, Kultureinrichtungen und die Po-      Schockzustand versetzt“, so Abuom.          werden kann. Mit Spannung blicken alle
Huber von der Evangelischen Kirche in        litik großes Interesse an der Vollver-       „Einheit ist wichtiger als jemals zuvor“,   Mitgliedskirchen des ÖRK auf die
Deutschland, ebenfalls Mitglied im Zen-      sammlung haben. Man werde alles              betonte der geschäftsführende ÖRK-          nächsten Wochen und Monate. Sie beten
tralausschuss, betonte, dass derzeit nie-    unternehmen, um die Vollversammlung          Generalsekretär Ioan Sauca. Die Kir-        und arbeiten gemeinsam, um im nächs-
mand wisse, wie sich die Lage im Zu-         nächstes Jahr in Karlsruhe zu realisieren.   chen hätten zahlreiche Mitglieder und       ten Jahr von Karlsruhe ein starkes Zeug-
sammenhang mit der COVID-19-Pande-              Es sei ungemein wichtig, gerade in        Führungspersonen verloren, beklagte         nis für Einheit, Frieden und Gerechtig-
mie entwickeln würde. „Wir stehen in         diesen Zeiten als Kirchen und als Gesell-    Sauca. Aber „unsere Mitgliedskirchen        keit in die Welt senden zu können.
engem Kontakt mit den Behörden und al-       schaft die Einheit zu suchen und sich ge-    haben sich in der Pandemie als unglaub-                                Dr. Marc Witzenbacher,
len Partnern hier in Deutschland, Frank-     genseitig zu stützen, forderte Agnes         lich widerstandsfähig erwiesen und sich               Koordinierungsbüro ÖRK-Vollversammlung
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
8                                                                         KIRCHEN ZEITUNG                                                               36. Ausgabe | 23. Juli 2021

Dem Gewissen unterworfen
Große Freiheit und große Verantwortung / Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen

I  lse Lohmann ist Richterin am Bundes-
   gerichtshof und dort am IX. Zivilsenat
zuständig für das Insolvenz- und
                                                                                                                                               n Sie waren acht Jahre, von 1996 bis
                                                                                                                                                  2004, in Sachsen-Anhalt tätig, unter
                                                                                                                                                  anderem als Richterin am Oberlan-
Zwangsvollstreckungsrecht sowie die                                                                                                               desgericht Naumburg. Hat diese
Anwalts- und Steuerberaterhaftung. Sie                                                                                                            Zeit ihre Wahrnehmung für die
ist aber auch in unterschiedlichen kirch-                                                                                                         Freiheit zusätzlich geprägt?
lichen Gremien aktiv. Redaktionsmit-                                                                                                              Ich bin in dieser Zeit in die kirchliche
glied Markus Mickein sprach mit ihr                                                                                                            Gremienarbeit gekommen. Die Evange-
über die Freiheit beim Entscheiden und                                                                                                         lische Kirche dort hatte nur wenig eige-
Abwägen vor Gericht, über Ost-West-Er-                                                                                                         ne Juristen, weil vielen kirchlich Enga-
fahrungen und darüber, ob es richtig war,                                                                                                      gierten in der DDR der Zugang zu Studi-
im Lockdown Gottesdienste zu feiern.                                                                                                           engängen verwehrt blieb. Jura war ein
                                                                                                                                               solches Fach. Es gab ein paar Kirchen-
n Die Corona-Zeit ist für jeden einzel-                                                                                                       juristen, aber unter den eigenen Richtern
   nen eine Zeit der Einschränkung                                                                                                             hatten sie nicht viel Auswahl. Da hieß
   der Freiheit. Hat sich der Stellen-                                                                                                         es: Wir brauchen einen vom Oberlandes-
   wert der Freiheit für Sie verändert                                                                                                         gericht, kennt ihr da einen? Und so bin
   seit dem vergangenen Jahr?                                                                                                                  ich in die Gremienarbeit gekommen.
   Die Einschränkungen habe ich natür-                                                                                                         Und da habe ich gemerkt, wie unter-
lich auch wie alle anderen erlebt. Das                                                                                                         schiedlich die Biografien und die Erfah-
Unangenehmste für mich persönlich war                                                                                                          rungen sind. Gerade wenn ich an die
in dieser Zeit, dass ich meine 93 Jahre                                                                                                        denke, die nicht werden konnten, was sie
alte Mutter nicht besuchen konnte, oder                                                                                                        wollten. Das ist eine beträchtliche Ein-
dachte, ich könnte es nicht. Und das ist                                                                                                       schränkung der Berufsfreiheit.
dann der Punkt, wo ich im Nachhinein                                                                                                           n Eines ihrer Interessen in der Freizeit
sage, da haben wir zu lange gewartet.                                                                                                             gilt der Kirchenmusik. Sie sind aus-
Das ist eine Einschränkung der persönli-                                                                                                          gebildete nebenberufliche Kirchen-
chen Kontakte. Und da kommen wir                                                                                                                  musikerin und singen in der Durla-
schon zum Thema: Man muss das alles                                                                                                               cher Kantorei. Wie viel Freiheit ver-
abwägen. Man kann das einer alten Frau                                                                                                            binden Sie mit ihrem Hobby?
nicht zumuten, ganz allein zu bleiben.                                                                                                            Chorsingen hat mit Freiheit sehr we-
Und telefonieren kann auch nicht alles                                                                                                         nig zu tun, denn alle machen, was der Di-
ersetzen. Im Nachhinein denke ich, hätte                                                                                                       rigent sagt (lacht). Aber im Ernst: Es ist
ich mich auch in den sehr leeren Zug set-                                                                                                      egal, ob es ein großes Oratorium ist oder
zen und hinfahren können, ohne jeman-                                                                                                          ich in einem ganz kleinen Ensemble mu-
den zu gefährden.                                                                                                                              siziere: Ich vergesse dabei alles andere
n Über die Verhältnismäßigkeit der                                                                                                            um mich herum und es geht nur noch da-
   verordneten Maßnahmen in der Co-                                                                                                            rum, diese Musik zu gestalten. Das ist et-
   rona-Zeit wird immer wieder gestrit-                                                                                                        was wirklich Schönes. Außerdem: Im
   ten, auch vor Gericht. Wenn es um                                                                                                           Bundesgerichtshof hat es bis Corona im-
   die Notbremse geht, sind zum Bei-                                                                                                           merhin einen Chor gegeben, den ich ge-
   spiel die Verwaltungsgerichte ge-                 Ilse Lohmann ist Richterin am Bundesgerichtshof und sie ist in unterschied-               leitet habe. Auch das war sehr schön,
   fragt. Eilanträge und Verfassungsbe-              lichen kirchlichen Gremien aktiv.                                   Foto: mm              weil man sich da auch außerhalb des
   schwerden gehen auch direkt an das                                                                                                          Dienstes traf. Aber momentan geht das
   Bundesverfassungsgericht. Hat für                                                                                                           nicht mehr, das fehlt jetzt einfach.
   Sie die Gerichtsbarkeit in ihrer Be-              werden, das glaube ich nicht. Mein Ge-      weil das Geld nicht mehr reicht, die          n Eine abschließende Frage: War es
   deutung zugenommen?                               biet ist das Insolvenzrecht, und auch       Rücklagen verbraucht sind und das Kurz-          ihrer Meinung nach richtig, dass
   Die Corona-Maßnahmen stehen schon                 wenn die Insolvenzantragspflicht jetzt      arbeitergeld zu wenig ist. Bis diese Fälle       die evangelische und katholische
singulär. Da würde ich unterscheiden.                erst einmal ausgesetzt ist, kann es sein,   allerdings im Bundesgerichtshof verhan-          Kirche an ihrem Recht, in der Pan-
Das Bundesverfassungsgericht hat schon               dass die Insolvenzzahlen in die Höhe        delt werden, müssen sie zunächst durch           demie-Zeit Gottesdienste zu feiern,
schwer gearbeitet in dieser Zeit. Dass die           schnellen. Insbesondere bei den Privat-     das Amtsgericht und das Landgericht, da          weitestgehend festgehalten haben?
Bürger jetzt allgemein klagefreudiger                personen, die Privatinsolvenz anmelden,     vergeht einige Zeit, mitunter einige Jahre.      Und welches Signal geht davon
                                                                                                 n Wie frei sind Sie als Richterin beim          aus?
                                                                                                    Entscheiden und Bewerten von Fäl-             Die Kirchen haben für ihre Gottes-
                                                                                                    len?                                       dienste ein sehr strenges Hygienekon-
                                                                                                    Ich bin unabhängig und als Richterin       zept erarbeitet, das konsequent ange-
                                                                                                 nur meinem Gewissen unterworfen. Das          wendet wurde. Persönlich fand ich es gut
                    Sie suchen einen Ort zum Reden?                                              ist eine große Freiheit und eine große        und richtig, dass die Gottesdienste unter
                                                                                                 Verantwortung. Aber ich bin an Recht          Einhaltung der Corona-Schutzkonzepte
                                                                                                 und Gesetz gebunden. Und speziell am          stattgefunden haben. Man hätte die Got-
                                                                                                 Bundesgerichtshof entscheiden wir zu          tesdienste natürlich auch absagen kön-
                                                                                                 fünft. Kollegialgerichtsbarkeit nennt         nen, obwohl sie nach staatlichem Recht
                                                                                                 man das. Zudem bekomme ich einen              erlaubt waren. Dann mache ich von ei-
                                                                                                 Fall, der schon zweimal verhandelt und        nem mir zustehenden Recht keinen Ge-
                                                                                                 entschieden worden ist.                       brauch, um andere zu schützen und mich
                                                                                                 n Welche Qualität müssen Personen            solidarisch zu zeigen. Das wäre das Zei-
                                                                                                    mitbringen, um Richter oder Rich-          chen gewesen: Wir machen zu. Das war
                                                                                                    terin zu werden?                           zum Beispiel in der Evangelischen Kir-
                   brücke Karlsruhe · Kronenstraße 23 · Telefon 0721 38 50 38
                                                                                                    Wichtig ist die Bereitschaft, immer        che von Westfalen der Fall, wo ich her-
         Öffnungszeiten: Mo, Di, Do, Fr: 10 bis 13 Uhr sowie 15 bis 18 Uhr, Mi: 16 bis 20 Uhr
                                                                                                 auch einen anderen Standpunkt einzu-          komme. Gottesdienste feiern zu können,
                      info@bruecke-karlsruhe.de · www.bruecke-karlsruhe.de                       nehmen, man darf sich nicht zu früh fest-     ist aber ebenfalls ein hohes Gut. Wir ha-
                                                                                                 legen. Im Entscheidungsvorgang ist es         ben gezeigt, dass wir uns an alle Vor-
             kostenfrei · ohne Voranmeldung · anonym                                             eine gute Kontrolle, sich selbst zu fra-      schriften gehalten haben und haben uns
                                                                                                 gen, was wäre eigentlich, wenn ich um-        damit mit der Allgemeinheit solidari-
                                                                                                 gekehrt entscheiden würde.                    siert.
KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ... KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
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