KIRCHEN ZEITUNG Grenzenlose Freiheit? - Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ...
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KIRCHEN ZEITUNG 36. Ausgabe Grenzenlose Freiheit? Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 23. Juli 2021.
2 KIRCHEN ZEITUNG 36. Ausgabe | 23. Juli 2021 Sommer und Freiheit Ist Freiheit ohne Verantwortung und ohne Grenzen aber überhaupt möglich? D as waren noch Zeiten, als wir im Sommer stundenlang, oft nächte- lang, am Lagerfeuer saßen und ein Lied „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ von Reinhard Mey. Und die Frommen stimmten „Herr, „Urlaub“ ist eine Ableitung aus der mit- telhochdeutschen Sprache und bedeutet so viel wie die „Erlaubnis wegzugehen“, nach dem anderen trällerten. Die Songs deine Liebe“ an und sangen von der Frei- die dem Ritter von seinem Herrn oder der Beatles von Yesterday bis Obladi heit, die der Glaube an Gott schenkt. seiner Dame gewährt wurde. Heute ver- Oblada, gesellschaftskritische Protest- In diesem Sommer können wir ein be- schafft der Urlaubsantrag beim Chef lieder von Liedermachern wie Franz Jo- sonderes Lied von der Freiheit singen: oder der Ferienbeginn in der Schule die sef Degenhardt oder Hannes Wader, iri- von den Freiheitsgefühlen nach oder Freiheit, endlich, wenn auch nur für kur- sche und amerikanische Folksongs, die besser – immer noch in – der Pandemie. ze Zeit, einmal tun und lassen zu können, Ohrwürmer von Bob Dylan oder Joan Wiedergewonnene Freiheiten aus den was man will. Baez – Lieder voller Sehnsucht nach Le- engen Grenzen des Lockdowns prägen In unserer Sommerausgabe der Kir- ben, Liebe, Glück, Gerechtigkeit und unsere Tage. Lang vermisste Selbstver- chenzeitung wollen wir der Dynamik der Frieden. ständlichkeiten, wie das Reisen oder die Freiheit und ihren Grenzen, aber auch Ein Thema durfte freilich bei der Lied- Möglichkeit, endlich wieder einmal im der ständigen Herausforderung und Ver- auswahl niemals fehlen: die Freiheit. Restaurant essen zu gehen, so vieles, antwortung, die die Freiheit bedeuten Lieder wie „Die Gedanken sind frei“, was durch die gesetzlichen Covid 19-Re- kann, in Texten und Bildern nachgehen. Gospels wie „oh Freedom“ oder das He- gelungen mehrere Monate verboten war, Im Namen unseres Redaktionsteams ckerlied aus der badischen Revolution ist endlich wieder erlaubt. wünsche ich Ihnen eine inspirierende von 1848 sangen wir voller Leidenschaft. Überhaupt, Sommer und Freiheit ge- Lektüre und viele erfüllende Freiheits- Die Hymne der Befreiung aus der DDR- hören zusammen. Das fängt schon bei momente in einem hoffentlich erholsa- Diktatur, Westernhagens „Freiheit“, der Kleidung an und das nicht nur beim men Sommer. Hubert Streckert, Dekan der Katho- schmetterten wir genauso inbrünstig wie Freizeitdress. Unser deutsches Wort Hubert Streckert lischen Kirche in Karlsruhe Foto: tt ▪ Impressum Die Kirchenzeitung Zeit für Utopien? KIRCHEN ZEITUNG In der Kirchenzeitung werden Bei- E igentlich gehören Utopien ei- tung unseres Planeten vor weiterer 36. Ausgabe träge der Redaktionsmitglieder zu ner anderen Epoche an. Die Zerstörung und die Sicherung unse- Grenzenlose Themen rund um Kirche und Sozia- großen gesellschaftlichen Entwür- rer natürlichen Lebensgrundlagen Freiheit? les veröffentlicht. Um die Vielfalt fe für ein besseres Leben sind spä- stehen auf der Agenda, ebenso wie von Kirche darzustellen, bietet die testens im letzten Jahrhundert der Einsatz für weltweiten Frieden, Kirchenzeitung zudem kirchlichen hängen geblieben. Die politischen die Bekämpfung des Hungers oder und sozialen Einrichtungen die Entscheidungsträgerinnen und die Ächtung von Gewalt – im politi- Möglichkeit, sich und ihre Arbeit -träger folgen heute weltweit eher schen Alltag verschwinden die gro- vorzustellen. einer pragmatischeren Agenda. ßen Ziele aber leicht in der Mecha- Die ideologischen Kämpfe um So- nik der Aushandlungsprozesse. zialismus oder Kapitalismus sind Wie werden Menschen zu Brü- ausgetragen – das ist auch ein Se- dern und Schwestern? Es braucht gen. Soziale Marktwirtschaft und die Kraft von Visionen, die Men- die internationalen Konfliktrege- schen über die Unterschiede in Kul- Sonderveröffentlichung der Badischen Neuesten Nachrichten in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche Karlsruhe Es lohnt sich, für die Überwin- lungsmechanismen durch die Ver- tur, Religion oder Nationalität hi- und der Katholischen Kirche Karlsruhe vom 23. Juli 2021. dung von Grenzen zu kämpfen. einten Nationen markieren einen naus miteinander verbindet. Wir Zugewinn an Rationalität in politi- brauchen das nicht nur weltweit, schen Konstellationen. auch vor der eigenen Haustür. Eu- n Redaktion: Gleichwohl sind uns die Konflik- ropa steht als Friedensprojekt vor Evangelische Kirche in Karlsruhe: Thomas Schalla (ts), te nicht ausgegangen. Frieden der Herausforderung weltweiter Markus Mickein (mm), Kira Busch-Wagner (kbw) bleibt weltweit ein bedrohtes Gut. Flucht- und Migrationsbewegun- Katholische Kirche Dekanat Karlsruhe: Hubert Streckert (hs), Terror verändert die Signatur ge- gen. Das lässt sich nicht durch Ab- Tobias Tiltscher (tt), Susanne Rohfleisch (sr), Björn Schmid (bs) waltsamer Konflikte auch zwischen schottung regeln. Die Bundestags- n Redaktionsleitung: Martina Erhard (me) Nationen und bedroht Menschen wahl im September ist mehr als in n Titelbild: Tobias Tiltscher auf vielfache Weise. Die selbstver- den vergangenen 16 Jahren auch ei- n Anschrift der Redaktion: schuldete Bedrohung der Schöp- ne Entscheidung über Konzepte Kirchenzeitung, Evangelisches Dekanat Karlsruhe, fung stellt die Zukunft des Lebens und Strategien. In den Kirchen ste- Reinhold-Frank-Straße 48, 76133 Karlsruhe auf unserer Erde grundsätzlich in hen wir ebenfalls vor großen Verän- E-Mail: kirchenzeitung-karlsruhe@gmx.de v.i.S.d.P. Hubert Streckert Frage. Weltweit waren im vergan- derungen. Die Umbrüche und Die Redaktion freut sich über Rückmeldungen und Leserbriefe. genen Jahr mehr als 80 Millionen Transformationen fordern einen Die nächste Ausgabe erscheint am 26. November 2021 Menschen auf der Flucht vor Hun- mutigen Blick in die Weite. „Wenn (Redaktionsschluss: 26. Oktober 2021). ger, Gewalt, Umweltkatastrophen der Herr die Gefangenen Zions er- n Anzeigenleitung: Ulf Spannagel oder Perspektivlosigkeit – mehr als lösen wird, so werden wir sein wie n Satz und Druck: Badische Neueste Nachrichten je zuvor. Die Pandemie führt uns die Träumenden.“ Im Psalm 126 n Die Kirchenbezirke im Internet: noch immer täglich vor Augen, wie wird der Blick weit nach vorne ge- www.ev-kirche-ka.de; www.kath-karlsruhe.de vernetzt und wie verletzlich unser worfen. Der Beter weiß die Zukunft Leben ist. in Gottes Hand geborgen. Heute Es ist wieder Zeit für Utopien, brauchen wir die Kirchen mit dieser denn den pragmatischen Wegen Kraft der Hoffnung: für die Arbeit fehlt oft die visionäre Kraft. Es wäre an Utopien, die gutes Leben für alle aber nötig, die großen Ziele stärker Menschen in den Mittelpunkt stel- in den Blick zu nehmen. Die Ret- len. Dr. Thomas Schalla
36. Ausgabe | 23. Juli 2021 KIRCHEN ZEITUNG 3 Freiheit – alles, was zählt? Freiheit gibt es nur innerhalb bestimmter Grenzen / Sich frei zu fühlen, ist eine Frage der Einstellung Von unserem Redaktionsmitglied Freisein wieder einmal nur ein Wunsch- log hat bis in die Gegenwart eine ähn- Paulus schreibt etwa im Brief an die Tobias Tiltscher traum gewesen zu sein scheint, die „Frei- liche Wirkungsgeschichte entfaltet wie Galater: „Zur Freiheit hat uns Christus heit wurde wieder abbestellt.“ diese zehn einfachen Sätze. befreit. Steht daher fest und lasst euch W enn es so etwas wie eine Hymne über das Streben nach Freiheit gibt, das tief verwurzelt in der Seele des Diese Erfahrungen gibt es in den gro- ßen Dingen ebenso wie im Alltäglichen. Die teure Anschaffung bringt doch nicht Warum aber, so könnte man fragen, müssen diese Regeln in einem religiösen Kontext erscheinen und nicht einfach in nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Gal 5,1). Diesen Vers schreibt er in eine konkrete geschicht- Menschen ist, dann ist es ganz sicher das die versprochene Erleichterung, der lang einer profanen Gesetzessammlung? liche Situation hinein, in der sich die gleichnamige Lied von Marius Müller- ersehnte Traumurlaub ist allzu schnell Dient der Bezug auf Gott etwa als Ver- frühen Christen uneins waren, ob sie Westernhagen. Entstanden im Jahr 1987 vorbei und war im Rückblick vielleicht stärker ihres Geltungsanspruchs, weil noch an die jüdischen Gesetze des Alten ist es zwei Jahre älter als der innerdeut- gar nicht so traumhaft wie im Reisepro- die befürchtete Strafe bei einer Übertre- Testaments gebunden seien. Zusätzlich sche Mauerfall und es wurde zu einer der spekt. „Money can’t buy you happiness“ tung entsprechend schlimmer zu erwar- zu den Zehn Geboten waren noch zahl- musikalischen Ikonen jener Zeit. Seine – Mit Geld kann man sich nicht das ten ist? In Wirklichkeit stehen sie genau reiche weitere Vorschriften gekommen, Melodie und sein Text, unterstützt von die in ihrer Gesamtheit nur noch schwer der einzigartigen Intonation, zeugen einzuhalten waren. Paulus verneint dies vom unbändigen Bedürfnis danach, sich und betont die gewonnene Freiheit. Da- wirklich frei zu fühlen. Gleichzeitig mit lehnt er allerdings nicht die jüdische konfrontiert es den Zuhörer mit der Tradition als solche oder das Judentum Wirklichkeit, die sich allzu oft alles an- selbst ab, sondern versucht dessen dere als nach Freiheit anfühlt. Auf hoff- Kernelement stärker ins Sichtfeld zu rü- nungsvolle Ansätze und aussichtsreiche cken. Versuche folgt immer wieder die Er- Die Begründung findet sich im Zwei- nüchterung, die erhoffte Freiheit doch ten Brief an die Korinther: „Der Herr wieder nicht erlangt zu haben. aber ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17). Hoffnung und Menschen sind als Gottes Abbild nicht Ernüchterung isoliert von ihm, sondern verbunden mit Von solchen vielversprechenden Vor- ihm und miteinander. Gottes Geist be- haben erzählt auch das Lied „Freiheit“. seelt den Menschen und weist allen, die Es geht um wichtige Verträge, die wohl sich darum bemühen, ihn zu hören, den aufwändig ausgehandelt und die mit Weg. Der Mensch wird mündig und großem Zeremoniell gefeiert werden. kann aus der Situation heraus entschei- Sie scheinen Hoffnung auf Freiheit zu den, ohne an starre Worte gebunden zu wecken, die sie aber nicht unbedingt er- sein. Damit wird das jüdische Gesetz füllen können. Viel gelacht wurde dabei, nicht aufgehoben, sondern, im Gegen- doch erfahren wir nicht, was für eine Art teil, mit Leben erfüllt. Der Maßstab des von Lachen hier gemeint ist. War es froh Handelns ist nicht der Buchstabe, son- und heiter, ausgelassen und offenherzig? dern die Liebe zum Nächsten. Oder war es eher hochnäsig, selbstherr- lich, herablassend? Es scheint jedenfalls Die innere Freiheit keine sehr nachhaltige Freude gewesen macht frei zu sein. Vom Gefühl der Freiheit bleibt Das Lied von Marius Müller-Western- nicht viel übrig, sie ist „die einzige, die hagen nimmt in der letzten Strophe eine fehlt“ auf diesem Fest. positive Wende. „Alle, die von Freiheit Eher das Gegenteil von Befreiung träumen, sollen‘s Feiern nicht versäu- und Sicherheit setzt sich in den Vorder- „Alle, die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen“, singt Marius men,“ singt er. Nun richtet sich die Hoff- grund. Eine Kapelle tritt mit großem Müller-Westernhagen. Wer sich innerlich frei erfährt, kann laut singen und den nung nicht mehr auf die große Politik, „rumm ta ta“ auf. Musikanten in glei- Körper mit hineinnehmen in den Tanz. „Du hast mein Klagen in Tanzen ver- auf den Konsum, auf Besitz. Es geht um cher Kleidung marschieren im gleichen wandelt“, heißt es auch in den Psalmversen. Foto: Unplash / Kyla Koss die innere Einstellung, um das konkrete Schritt, und im dumpfen Takt marschie- Handeln des Einzelnen und um die in- ren viele weitere Menschen im gleichen nere Einstellung zum Leben und zu sich Schritt mit. Es ist kein vielstimmiger Glück kaufen. Es ist seine Perspektive, an der richtigen Stelle. Denn der Mensch selbst. Der Fokus richtet sich weg von Chor, dessen Musik ihre eigene Schön- die Marius Müller-Westernhagen unzu- ist nach jüdischer wie christlicher Über- den äußeren Zwängen, denen niemand heit gerade dadurch erreicht, dass die frieden zurücklässt. Die Form von Frei- lieferung nicht nur ein hoch entwickeltes je ganz entfliehen kann. Wer sich inner- vielen unterschiedlichen Stimmen ei- heit, über deren Suche er singt, bewegt Säugetier, sondern jeder einzelne ist lich frei erfährt, kann laut singen und nander ergänzen, indem sie aufeinander sich letztlich im Bereich des Vorder- nach dem Abbild Gottes geschaffen den Körper mit hineinnehmen in den eingehen und das je eigene beitragen. gründigen und des Materiellen. (Gen 1,27). Damit kommt jedem Einzel- Tanz – unter welchen Umständen und an Stattdessen führt sie eine Komposition nen auch eine besondere, unantastbare welchem Ort auch immer, sei er noch so der Gleichschaltung auf, die den Men- Eigene Freiheit und Würde zu, die sich aus seiner besonderen ungewöhnlich. Diese letzte Strophe lässt schen auf seinen folgsam eingeübten Freiheit des anderen Beziehung zu Gott herleitet. Somit ist an die Psalmverse denken, die diese Ur- Körper reduziert, die keinen Raum lässt Es gehört zu den wesentlichen Aufga- der Schutz der menschlichen Würde und erfahrung in Worte fassen: „Du hast für eigenes Denken und hoffendes Träu- ben des Zusammenlebens, die Freiheit Freiheit nicht ein profanes Unterfangen, mein Klagen in Tanzen verwandelt, men. Ein so konditionierter Mensch „ist jedes einzelnen so gut wie möglich zu si- sondern eine praktische Form von Got- mein Trauergewand hast du gelöst und leider nicht naiv, der Mensch ist leider chern. Dafür braucht es Regeln, die für tes-Dienst. mich umgürtet mit Freude, damit man primitiv.“ alle gelten und den einzelnen schützen. In der christlichen Tradition spielt die dir Herrlichkeit singt und nicht ver- Schließlich tritt noch am Rande des So verwundert es nicht, dass in den äl- Freiheit eine entscheidende Rolle. Die stummt. Herr, mein Gott, ich will dir Festes eine komische Figur auf. Der testen bekannten Schriften solche Vor- Evangelien erzählen davon, wie Jesus ei- danken in Ewigkeit.“ (Ps 30, 12-13). Papst kommt als „Grüßonkel“ und hat of- gaben überliefert sind. Von zentraler Be- ne übertriebene Buchstabenklauberei Freiheit ist vielleicht nicht das einzi- fenbar nichts zu sagen. In einer solcher- deutung für die jüdische wie für die mancher seiner Zeitgenossen kritisierte, ge, was zählt. Aber sie zählt definitiv. Ob maßen auf das Faktische und Vorder- christliche Tradition sind die Zehn Ge- weil sie vom Wesentlichen des Glaubens sie sich finden lässt, hängt von der Per- gründige reduzierten Wirklichkeit, wie bote des Alten Testaments, welche ablenke. Für den Apostel Paulus spielt spektive ab. Wer hinter die Dinge zu sie hier beschrieben wird, kann eine mo- Grundregeln für ein gelingendes Mitei- die gewonnene Freiheit, die aus der lie- schauen vermag und Gott auf die Spur ralische und religiöse Autorität tatsäch- nander aufzählen, etwa: nicht töten, benden Annahme des Menschen durch kommt, ist auf einem guten Weg, eine lich kein Gehör finden, sie gibt Antwor- nicht stehlen, nicht lügen, dem Lebens- Gott und der daraus wachsenden Ver- große Freiheit zu entdecken. Die Suche ten auf Fragen, die dort niemand stellt. So partner, den Angehörigen und auch Gott söhnung entspringt, eine zentrale Rolle nach ihr ist eine Lebensaufgabe – und bleibt die Ernüchterung, dass das erhoffte die Treue halten. Kaum ein Regelkata- in seiner Theologie. wer sucht, wird auch finden.
4 KIRCHEN ZEITUNG 36. Ausgabe | 23. Juli 2021 Ein Begriff von Freiheit Menschen gehen unterschiedlich mit Einschränkungen um und entwickeln kreative Ideen, um Grenzen zu überwinden W ährend der Corona-Pandemie mussten die meisten Menschen mit gravierenden Beschränkungen leben. So mancher hat vielleicht auch gerade deswegen darüber nachgedacht, was Freiheit für ihn bedeutet. Redaktionsmitglieder der Kirchenzeitung haben mit Menschen aus Karlsruhe gesprochen und sie danach gefragt, wie sie Freiheit interpretieren. Da ist zum Beispiel der Theaterintendant, der hofft, bald wieder ohne Einschränkungen das Publikum unterhalten zu dürfen, da ist aber auch die Rentnerin, die ganz bewusst die Freiheit der eigenen Wohnung aufgibt, um eine andere Art von Freiheit zu gewinnen. Und da ist auch der Flüchtling aus Afghanistan, der vor der Unterdrückung durch die Taliban-Herrschaft geflohen ist. Sie alle haben ihre ganz persönliche Vorstellung von Freiheit. Gemeinschaftserlebnis genießen Ingmar Otto hofft auf einen erfolgreichen Theaterherbst N un darf man sich endlich wieder mehr Freiheiten zutrauen“, freut sich Ingmar Otto. Der gebürtige Bochu- in Durlach, aber auch am Bodensee. Auf dem Programm stehen Stücke wie „Traumschöff“ oder „Bremen sucht die mer ist seit zehn Jahren Intendant im Stadtmusikanten“. „Das hat alles ein Karlsruher Kammertheater und verant- bisschen was von einem Wanderzirkus“, wortet somit das Programm des Hauses. sagt er lachend. „Und alle sind glücklich „Wir alle haben unter dem Corona- darüber, wieder auf der Bühne zu stehen Lockdown gelitten, aber wir haben auch und vor Publikum spielen zu dürfen.“ immer versucht, Lösungen zu finden“, Natürlich leidet das Theater auch unter sagt er und erinnert sich an den Herbst den finanziellen Einbußen. „Als die erste des vergangenen Jahres, als man die Welle losbrandete und wir schließen Theater öffnen durfte, aber vor fast lee- mussten, war uns klar, dass wir nach dem Der Intendant des Kammertheaters, Ingmar Otto, hat bereits etliche Stücke für ren Rängen spielen musste. „Von den Lockdown wieder vor einem Neustart die neue Indoor-Spielzeit vorbereitet. Foto: me 280 Plätzen durften maximal 60 bis 70 stehen würden“, so Otto. „Allerdings besetzt werden“, erzählt er. „Da fehlt geht es jetzt schneller als damals, vor einfach die Stimmung, weil das Gemein- zehn Jahren, als Bernd Gnann und ich am Für den Herbst sind drei Premieren die Impfquoten steigen. „Aber wir sind schaftsgefühl leidet.“ Allerdings sei al- Kammertheater anfingen“, ist er über- im Kammertheater geplant: Schon am optimistisch, das ganze Ensemble ist op- les eine Frage des Blickpunkts, ist er zeugt. „Wir haben viele Stücke fertigpro- 17. September soll es mit „Oh Alpen- timistisch.“ Er ist davon überzeugt, dass überzeugt, denn „wenn man sonst nichts duziert, weshalb keine neuen Produkti- glühn!“ starten. Am 29. Oktober folgt Kultur immer eine wichtige Rolle spie- erlebt, freut man sich auch darüber“. onskosten mehr anfallen“, erklärt er. Otto „Ciao Bella – Ich heirate eine Familie“, len werde, denn „gerade nach Krisen ha- Besonders schön hingegen seien die erzählt auch von den vielen „Minikredi- und am 3. Dezember kommt „Die Weih- ben die Menschen Hunger nach Kultur“. Freilichttheateraufführungen gewesen, ten“, die das Haus von treuen Fans erhal- nachtsfeier“. Diese Indoor-Spielzeit ist Und noch ein Gedanke kommt Ingmar die das Kammertheater seit dem Früh- ten habe – in Form von Tickets. „Viele allerdings verbunden mit Abstands- Otto in den Sinn: „Theater und Kirche ling im Repertoire habe. Über das Bun- unserer Zuschauer haben noch Karten regeln und Masken. „Wir hoffen alle, haben vielleicht sogar eine Gemeinsam- desprogramm „Neustart Kultur“ hat das daheim, die sie im Vorverkauf für das dass wir das Programm so spielen kön- keit“, findet er. „Es geht immer darum, Kammertheater eine Trailer-Bühne be- Frühjahr 2020 gekauft haben“, sagt er. nen, wie wir es geplant haben“, sagt ein gemeinschaftliches Erlebnis, einen antragt und ist damit nun in Baden- „Gemeinsam hoffen wir, dass diese Kar- Ingmar Otto. Damit das gelingt, dürfen besonderen Live-Moment, zu genie- Württemberg unterwegs. Gespielt wird ten nun bald eingelöst werden können.“ nicht die Inzidenzen, sondern müssen ßen.“ Martina Erhard Das Leben im Alter gestalten und genießen Im Wohnstift zu leben bedeutet für Elisabeth Schnappinger große Freiheit I hr wahres Alter merkt man Elisabeth Schnappinger kaum an, wenn man ihr begegnet. Bald wird sie 82 Jahre alt und oder mit Freunden und Bekannten. „Es ist ganz wichtig, die Kontakte zu pflegen“, betont sie. Dafür fährt sie mehrmals in der nach und nach abbaute und zunehmend Pflege brauchte. Dabei fragte sie sich, wie es ihr selbst im Alter einmal ergehen sprüht vor Begeisterung und vor Lebens- Woche mit der Bahn in die Innenstadt und sollte. In dieser Zeit entschied sich eine freude. Vor knapp zwei Jahren hat sie ei- lädt auch gerne Gäste zu sich ein. Bekannte, deren Ehemann gestorben nen Schritt gewagt, vor dem viele zurück- Mit den Hausgenossen in Kontakt zu war, ins Wohnstift zu ziehen. Sie half ihr schrecken. Sie hat freiwillig ihre Woh- kommen, gestalte sich ganz unterschied- dabei und dachte sich: „Das will ich nung aufgegeben. Seitdem wohnt sie in lich. Manche freuten sich über gemein- auch.“ Also nahm sie Kontakt auf und der Residenz Rüppurr in einer Zweizim- same Gespräche, Spaziergänge und nahm sich vor, den achtzigsten Geburts- merwohnung mit Balkon und Aussicht Freizeitaktivitäten. Andere wiederum tag zum Anlass zu nehmen, in die Resi- auf die Ausläufer des Schwarzwalds. zögen sich mehr und mehr in ihre eige- denz zu ziehen. Damals lag jener runde Das Leben in einer Einrichtung für Se- nen vier Wände zurück, was sie immer Geburtstag noch sechs Jahre in der Zu- nioren empfindet sie nicht als Ein- einsamer und unzufriedener mache. „Sie kunft. Wieder kam der Zufall zu Hilfe, schränkung, sondern sie genießt viel- finden dann immer irgendeinen Grund, als pünktlich zum anvisierten Termin ei- mehr die hinzugewonnenen Freiheiten, um sich zu beschweren“, berichtet Elisa- ne schöne Wohnung dort frei wurde. Sie erzählt Elisabeth Schnappinger. Jeden beth Schnappinger. Ihr ist es hingegen zögerte nicht lange und sagte zu. Bald Morgen gehe sie eine Runde Schwim- wichtig, das Gute bewusst wahrzuneh- darauf rollte der Umzugswagen und Eli- men im hauseigenen Schwimmbad, ge- men. „Wer nicht mehr genießen kann, sabeth Schnappinger bezog ihr neues nieße die Mahlzeiten in geselliger Run- wird irgendwann ungenießbar“, habe ein Heim. de und schätze vor allem die Möglich- Seelsorger einst gesagt, erzählt sie. Und In ihr früheres Leben zurückkehren keit, ihren Tagesablauf nach den eigenen sie fügt hinzu: „Vor allem kommt es da- möchte sie nicht, vielmehr genießt sie Wünschen zu gestalten. „Ich bin hier rauf an, was ich mit dem Herzen mache.“ die gewonnene Freiheit und die Mög- Elisabeth Schnappinger fühlt sich in mein eigener Herr“, sagt sie. Den Umzug einmal zu wagen, hatte lichkeit, ihr Leben zu gestalten. „Ich bin der Senioreneinrichtung, in der sie Diese Freiheiten nutze sie sehr gern sie schon vor, als sie noch gemeinsam sehr zufrieden, dass ich diesen Schritt seit rund zwei Jahren lebt, sehr wohl. zum Wandern und zum Spazierengehen mit ihrem Vater unter einem Dach lebte. gewagt habe“, bestätigt Elisabeth Foto: tt im angrenzenden Oberwald, sei es allein Sie kümmerte sich damals um ihn, als er Schnappinger. Tobias Tiltscher
36. Ausgabe | 23. Juli 2021 KIRCHEN ZEITUNG 5 Schulabschluss im Ausnahmejahr Patrick Rassl startet unter Coronabedingungen in ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) D as Abschlussjahr in der Schule ist immer etwas Besonderes und bleibt ein Leben lang in Erinnerung. Das Jahr senkameraden am Nachmittag oder abends seien weitgehend ausgefallen. „Meinen achtzehnten Geburtstag konnte Anfang September wird Patrick Rassl ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Katholischen Jugendhaus Karlsruhe be- vor dem Abitur hätte für Patrick Rassl al- ich gar nicht feiern“, berichtet er. Er hof- ginnen. Die Aussicht darauf, wieder lerdings auch gern etwas gewöhnlicher fe, sagt Patrick Rassl, dass mit fallenden mehr Menschen zu begegnen, gibt ihm verlaufen können. Er ist 18 Jahre alt und Inzidenzzahlen sich auch manches nach- Hoffnung. „Ich möchte mich endlich hat im Jahr 2021 das Abitur gemacht – holen lassen wird. Wie weit das aber wieder mehr mit Jugendlichen austau- mitten in der Coronazeit. „Ein bisschen machbar sein wird, stehe noch in den schen, mit anderen Leuten arbeiten und blöd war das schon“, gibt er zu, wenn er Sternen, meint er. Und nicht zuletzt hän- mich über Kirche austauschen“, freut er von seinen Erfahrungen im letzten ge auch vieles von der Disziplin der an- sich. Schuljahr erzählt. deren ab. „Gerade erst haben sich viele Der Weg zum FSJ in dieser Jugendein- „In der Schule mussten wir die ganze Leute in einem Karlsruher Nachtclub richtung hatte sich schon seit einer gan- Zeit Maske tragen,“ berichtet Patrick angesteckt. Wenn so etwas jetzt noch zen Weile angebahnt. Seit der Erstkom- Rassl. Zu Hause sei es aber auch nicht einmal vorkommt, steht alles wieder in munion ist er Ministrant in der Gemein- Patrick Rassl freut sich darauf, sich viel besser gewesen. „Den ganzen Tag Frage und wir können wahrscheinlich de „Unsere Liebe Frau“ in der Karlsru- bald wieder mit Jugendlichen austau- hat man am Schreibtisch verbracht. Vor- gar nicht mehr feiern. Da reicht schon ei- her Südstadt. Sein erster Kontakt mit schen zu können. Foto: tt mittags gab’s Online-Unterricht, nach- ne einzige unvernünftige Person aus, um dem Katholischen Jugendhaus war ein mittags war Lernen für die Klausuren uns allen wieder die Freiheit zu neh- Gruppenleiterkurs. Nach diesem Kurs angesagt.“ Das Gefühl, zu Hause einge- men.“ durfte er in seiner Gemeinde eine Minis- gendlichen, Austausch, Unterstützung sperrt zu sein, habe sich in dieser Zeit Auch die Hobbies sind in dieser Zeit trantengruppe betreuen. Bald darauf, mit oder Veranstaltungen mit vorbereiten. immer wieder gemeldet. Der Umgang zu kurz gekommen. Patrick Rassl ist lei- 15 Jahren, wählten ihn die Ministranten Welchen Weg er nach dem FSJ ein- mit den Corona-Maßnahmen sei in sei- denschaftlicher Fußball-Schiedsrichter. des Dekanats Karlsruhe in ihr Leitungs- schlagen will, hat Patrick Rassl noch ner Schule aber ganz gut verlaufen. „Eigentlich haben wir auf dem Platz viel team. Damit kam er enger in Kontakt mit nicht entschieden. Er könne sich vorstel- „Klar ist es schwierig, aber man muss Raum und sind alle an der frischen dem Jugendhaus und dachte immer wie- len, zu studieren, ebenso gut aber auch, eben Rücksicht nehmen. Das ist in Ord- Luft“, sagt er. Trotzdem ist der Amateur- der: „Die Leute sind so nett und wirklich eine Ausbildung zu beginnen und in ei- nung“, sagt er. fußball im Pandemiejahr vollkommen gut drauf.“ So kam ihm der Gedanke, nen sozialen Beruf einzusteigen. Das Dennoch habe es immer wieder ge- zum Erliegen gekommen. Bald wieder nach dem Abitur hier ein FSJ einzule- Jahr ohne schulische Verpflichtungen, schmerzt, auf schöne Dinge verzichten auf dem Platz pfeifen zu können ist eine gen. „Einen besseren Ort kannst du nicht dafür aber mit vielen Begegnungen, zu müssen, gerade rund um den Schul- der Hoffnungen, die ihn in die Zeit nach finden“, findet er. Die Aufgaben, die ihn möchte er bewusst dafür nutzen, seine abschluss. Gemütliche Treffen mit Klas- den hohen Inzidenzwerten tragen. erwarten, sind vielfältig: Arbeit mit Ju- Perspektiven zu klären. Tobias Tiltscher Für ein Leben mit Zukunft Der Genuss ist wieder da Mahdi Rashidi flüchtete aus Afghanistan Mit den Lockerungen kehren auch die Gäste zurück M ahdi Rashidi, 32 Jahre, ist vor fünf Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, um der Tali- sichere Zukunft ist nicht in Sicht. Das war auch vor fünf Jahren nicht anders, als Mahdi Rashidi den Entschluss fasste, Smyrneos sagt. Das Essen „to go“, das er wie andere im Gastronomiebereich auch angeboten hat, wurde bei ihm nicht ban-Herrschaft zu entfliehen – und um zu fliehen. „Ich habe für mich keine Zu- wirklich angenommen. „Unsere grie- ein Leben mit Zukunft führen zu kön- kunft gesehen“, sagt er rückblickend. Zu chischen und spanischen Spezialitäten nen. Er sagt: „In meiner Generation wird dem Entschluss zu gehen, hat auch das in Styropor eingepackt und für zuhause es in Afghanistan nicht mehr ruhig“. Studium der Informatik in Indien beige- zum Essen, das passt nicht so gut zusam- Jetzt, mit dem Abzug der internationalen tragen. Als er danach wieder nach Hause men“, erklärt Smyrneos. Truppen, stehe das Land wieder da, wo zurückkam, fühlte sich das Leben für ihn Jetzt also wieder mit gutem Gewissen es vor 20 Jahren war. Auch seine Hei- in Afghanistan an „wie ein Gefängnis“. ins Restaurant gehen. Mit steigenden matstadt, Ghazni, 140 km von Kabul ent- Also kam die Flucht über den Iran, Grie- Temperaturen lockt die Terrasse des fernt, ist – abgesehen von der Innenstadt chenland, die Balkanstaaten und Öster- Restaurants. Bei größerer Nachfrage – wieder in der Hand der Taliban. Eine reich bis nach Deutschland. Zurück blie- kann die komplette Fensterfront zum ben seine Mutter und seine sieben Ge- Außenbereich hin geöffnet werden. Für schwister. mehr Sicherheit im Innenbereich hat In Karlsruhe lebt Mahdi Rashidi seit Anastasios Smyrneos in eine Luftfilter- Dezember 2020. Er hat eine Arbeit als anlage investiert, die insbesondere im Informatiker bei „1&1“, mit einem „un- Herbst und Winter für mehr Sicherheit befristeten Vertrag“, wie er voller Stolz Restaurantbesitzer Anastasios Smyr- bei den Kunden und für ein gesundes sagt. Davor hat er bei dem Karlsruher In- neos freut sich, mit den fortschreiten- Raumklima sorgen soll. ternetanbieter eine Ausbildung absol- den Lockerungen im Gastronomiebe- Ungewiss bleibt allerdings, wie die viert. Die Ausbildung hatte sich der da- reich wieder mehr Kunden begrüßen nächsten Wochen und Monate ange- mals 28-Jährige selber gesucht. Das war zu können. Foto: mm sichts der Ansteckung mit der Delta-Va- auch der Weg, um eine Aufenthaltsge- riante sich entwickeln werden. In dieser nehmigung zu bekommen. Denn sein angespannten Situation Personal zu fin- Asylantrag wurde vom BAMF 2017 ab- gelehnt. Doch Mahdi Rashidi wollte bleiben und sich hier eine Zukunft auf- W ie für viele andere Gastronomen waren die zurückliegenden Mo- nate auch für Anastasios Smyrneos und den, sei aktuell nicht leicht, erklärt Inha- ber Smyrneos, weil man nicht wisse, ob man nicht im Herbst wieder zumachen bauen. Wenn da nur nicht die befristete sein Restaurant „Terra Mare“ keine ein- müsse. Nicht nur in der Pandemie geht Aufenthaltserlaubnis wäre. Es fühle sich fache Zeit. Jetzt, mit den fortschreiten- sein Blick immer wieder auch nach an, als hinge er in der Luft, beschreibt es den Lockerungen, kehren auch die Kun- Griechenland und Spanien, wo er und Mahdi Rashidi, „ich kann mich nicht den wieder zurück in das Restaurant in seine Frau Maria Teresa aufgewachsen ganz sicher fühlen“, erklärt er das ungute der Karlsruher Südweststadt. Die Inzi- sind. In beiden Ländern waren die Be- Gefühl, das ihn immer wieder be- denzzahlen bewegen sich seit Wochen schränkungen für die Bevölkerung grö- schleicht. Ansonsten fühle er sich frei. auf sehr niedrigem Niveau und sogar im ßer als in Deutschland, sagt Anastasios Mahdi Rashidi lebt und arbeitet in Und er hat zum Glück auch einige „gute, Innenbereich ist kein Corona-Test mehr Smyrneos. Durchhalten lassen hat beide Karlsruhe – und ist in der Innenstadt deutsche Freunde“, die ihn begleiten und nötig. Insbesondere die Stammkunden auch die vielen positiven Rückmeldun- viel mit dem Fahrrad unterwegs. ihn immer wieder ermutigen. kommen jetzt wieder zurück, mit der gen und Anrufe von Stammkunden, die Foto: mm Markus Mickein „Lust zum Genießen“, wie es Inhaber beiden Mut gemacht haben. Markus Mickein
6 KIRCHEN ZEITUNG 36. Ausgabe | 23. Juli 2021 Ein kurzes Innehalten kann manch- Nur in eine Richtung – das kann, Hier geht’s nicht weiter: Mal ein Ver- Die Einschränkung für den einen mal nicht schaden. Im Gegenteil: Es muss aber nicht unbedingt von Vor- bot mit einem Augenzwinkern zur kann Freiheit für den anderen bedeu- kann vor Schaden bewahren. Foto: me teil sein. Foto: me Kenntnis nehmen. Foto: tt ten. Foto: me Das ist so eine Sache mit der Freiheit Über Denk-, Rede- und Handlungsfreiheiten in einer überhitzten Gesellschaft Von unserem Redaktionsmitglied ßern zu dürfen. Niemals in der Ge- ein Ausdruck der persönlichen Freiheit öfter zum Ausdruck der persönlichen Martina Erhard schichte der Bundesrepublik war dieser sei, weshalb man es sich nicht verbieten Freiheit wird. Wert höher. Was aber passiert mit einer lassen wolle. Dieses einfache Beispiel Aber sind das alles tatsächlich immer D er Mensch ist autonom, er hat einen freien Willen und er kann entschei- den, was er tun und was er nicht tun Gesellschaft, wenn ein großer Teil der Menschen Angst hat, frei zu reden? Wer setzt die Tabus? Wer entscheidet, was zeigt, dass Freiheit Grenzen kennen muss, wenn das Tun des einen die Ge- sundheit oder gar das Leben des anderen freie Entscheidungen? Ist es nicht auch manchmal so, dass die großartige Fern- reise deshalb wichtig ist, weil der Kolle- möchte. So die Idealvorstellung. Die gesagt werden darf? Der Kampf ums gefährdet – eine Selbstverständlichkeit, ge gerade in Australien war? Und ist der Realität sieht jedoch anders aus: Das Rechthaben, der Kampf um das, was über die, zumindest dann, wenn es ums 300 PS-Bolide nicht auch deswegen so darfst du nicht. Das sollst du nicht. Das noch gesagt werden darf, macht unfrei, Rauchen geht, nicht mehr diskutiert erstrebenswert, weil der Nachbar einen kannst du nicht. Einschränkungen und denn man zwingt sich in ein Korsett aus wird. 250 PS-Wagen fährt? Und welche Rolle Vorschriften begleiten uns ständig, denn Regeln. Einerseits. Komplizierter wird es da schon, wenn spielen eigentlich die kreativen Marke- gerade in Ländern, in denen Menschen Andererseits kann man sich in einer das Tun des Einzelnen nur indirekt nega- ting-Abteilungen, die uns manchmal dicht zusammenleben, funktioniert es aufgeklärten Gesellschaft auch auf be- tive Folgen für andere hat. Aktuell ist der vielleicht Sehnsüchte suggerieren, die eben nicht ohne geschriebene und unge- stimmte Regeln einigen. Dabei muss Klimawandel in aller Munde, weil die wir ohne die Werbung gar nicht gehabt schriebene Regeln. man nicht immer Gesetze und festge- schrecklichen Auswirkungen der Erder- hätten? Wäre man also nicht tatsächlich Dabei leben wir doch in einer so frei- schriebene Verordnungen zu Rate zie- hitzung nun auch in großen Teilen freier, wenn man sich von dem Streben heitsliebenden Gesellschaft. „Das wird hen, es reicht, wenn man sich auf altmo- Deutschlands spürbar sind. Jeder Ein- nach Statussymbolen verabschieden man wohl noch sagen dürfen“, ist ein dische Begriffe wie „Rücksichtnahme“ zelne kann einen Beitrag dazu leisten, könnte? Nur so ein Gedanke. Satz, den man immer wieder hört, vor al- oder „Anstand“ besinnt. Bei Sprachta- den CO2-Ausstoß zu reduzieren und Im Hinblick auf den Klimawandel lem von Menschen, die ohnehin gerne bus geht es darum, andere Menschen theoretisch finden wohl alle Menschen stellt sich außerdem die Frage, ob wir und oft das sagen, was ihnen gerade in nicht durch abwertende Begriffe zu ver- Klimaschutz ganz wunderbar. Wie sieht überhaupt noch die Freiheit haben, ent- den Sinn kommt. Ja, wir leben in einer letzen. Das N-Wort und das Z-Wort sind es aber aus, wenn persönliche Konse- scheiden zu können. Angesichts der dra- freien Gesellschaft, in der die Mei- solche Beispiele. Sie verletzten Men- quenzen gefordert werden, wenn der Le- matischen Bilder, die uns erreichen – nungsfreiheit viel gilt; aber was passiert, schen und sie erinnern an dunkle Kapitel bensstil infrage gestellt wird? Dann wird Hitzerekorde in den USA und in Kana- wenn die Meinung, die ich lauthals hi- der Menschheitsgeschichte. Eine Dis- schnell wieder mit der Freiheit argumen- da, Schlammlawinen in Japan, Über- nausschreie beziehungsweise hinaus- kussion darüber, ob diese Wörter noch tiert. schwemmungen in Europa – muss man schreibe, dazu führt, dass andere Men- verwendet werden dürfen, erübrigt sich Als die Grünen 2013 den Vorschlag zu dem Ergebnis kommen, dass einem schen verletzt werden? Vor allem die so- also. Auch wenn manch schöne kulinari- machen, einen freiwilligen Veggie-Tag manche Entscheidungen wohl eher auf- genannten „Sozialen Medien“ erweisen sche Kindheitserinnerungen mit dem pro Woche einzuführen, um die Men- gezwungen werden, ob man will oder sich in dieser Hinsicht oft als extrem un- „N….kuss“ oder dem „Z……schnitzel“ schen für die Problematik eines übermä- nicht. Der Klimawandel ist in vollem sozial. verbunden sind, so wiegen doch die Ver- ßigen Fleischkonsums zu sensibilisie- Gange, und man bekommt ein Gespür So mancher fühlt sich da – geschützt letzungen der Betroffenen schwerer, ren, machte die Zeitung mit den vier gro- dafür, dass die Natur nicht beherrschbar durch die Anonymität des Internets – be- weshalb die Freiheit, alles sagen zu dür- ßen Buchstaben mit der Überschrift ist. Wir sind in einer lebensbedrohlichen müßigt, sich zu allem zu äußern, gerne in fen, auch seine Grenzen hat. „Die Grünen wollen uns das Fleisch- Lage, weil die Erde krank ist. Das Buch beleidigender Form. Jüngst wurden die Meine Freiheit endet dort, wo die Frei- essen verbieten“ auf. Eine sachliche Dis- „Deutschland 2050 – wie der Klimawan- Politikerin Katharina Schulze und ihr heit anderer beginnt. Wer sich zum Bei- kussion war nicht mehr möglich, denn del unser Leben verändern wird“, macht Lebensgefährte, Danyal Bayaz, Finanz- spiel für Freiheit statt Vorsicht entschei- alle fühlten sich plötzlich in ihrer Frei- deutlich, dass unsere Kinder und Enkel- minister in Baden-Württemberg, Ziel det, setzt immer auch andere einer Ge- heit bedroht. Dabei ist die Landwirt- kinder in nicht allzu ferner Zukunft mit von menschenverachtenden und rassisti- fahr aus. Das fängt beim Rauchen an und schaft – und hier vor allem die Massen- noch ganz anderen Belastungen werden schen Kommentaren auf Twitter. Grund: hört beim Rasen mit hochmotorisierten tierhaltung – laut den Angaben des Um- umgehen müssen. Sie gaben die Geburt ihres gemeinsamen Boliden auf Autobahnen und Bundes- weltbundesamts für 8,2 Prozent der Vor wenigen Wochen hat nun auch das Kindes bekannt. Beispiele dafür, wie straßen noch lange nicht auf. gesamten Treibhausgas-Emissionen Bundesverfassungsgericht darauf hinge- schnell man im Internet einen Shitstorm In den 50er- und 60er-Jahren des ver- verantwortlich. Eine Verringerung des wiesen, dass wir in Sachen Klimaschutz erntet, gibt es zuhauf. All diese „Kriti- gangenen Jahrhunderts dachte kein Fleischkonsums wäre also – objektiv be- mehr machen müssen, um künftige Ge- ker“ meinen, ihre Beleidigungen und Mensch (außer natürlich Vertreter der trachtet – mehr als sinnvoll. nerationen zu schützen. Eine Einschrän- Schmähreden seien durch die Mei- Tabakindustrie) daran, dass Rauchen ge- Ähnlich irrational argumentieren vie- kung unserer Freiheit? Wohl eher nicht, nungsfreiheit gedeckt. Meinungsfreit fährlich sein könnte. Vielleicht zweifeln le Menschen, wenn es um das Fliegen, denn wie heißt es so schön: Wir haben hört aber da auf, wo andere mundtot ge- manche sogar heute noch daran. Aber um das Auto oder um den Konsum all- die Erde von unseren Kindern nur ge- macht werden sollen. der Großteil weiß: Rauchen ist unge- gemein geht. Man will selbst entschei- borgt. Wir sind also verpflichtet, das Ge- Laut einer Allensbach-Umfrage vom sund. Dennoch war es ein langer Kampf, den, wie und wo man den Urlaub ver- borgte in einem ordentlichen Zustand Juni gaben 44 Prozent der befragten ehe sich der Nichtraucherschutz etablie- bringt, man will das Auto fahren, das ei- weiterzugeben. Das ist eine Selbstver- Deutschen an, das Gefühl zu haben, sich ren konnte. Immer wieder war das Argu- nem gefällt. Und so ist es keine Selten- ständlichkeit und keine Freiheitsbe- zu gewissen Themen nicht mehr frei äu- ment zu hören, dass das Rauchen doch heit, dass ein Zwei-Tonnen-SUV immer schränkung.
36. Ausgabe | 23. Juli 2021 KIRCHEN ZEITUNG 7 Essensausgabe für bedürftige Menschen Herz-Jesu-Stift unter neuer Trägerschaft der Karlsruher Caritas O hne engagierten Einsatz von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*in- nen gäbe es die Essensausgabe für be- gemeinde St. Peter und Paul Mühlburg kann nun im täglichen Tun weiter ver- tieft werden. dürftige und wohnungslose Menschen in Dank gebührt der Ardensia eG als Ei- Mühlburg nicht. Ohne Warenspenden gentümerin und Vermieterin der Räum- gäbe es kein warmes Mittagessen für sie. lichkeiten, die auf Mieteinnahmen bis Ohne Geldspenden könnte der laufende zum Jahr 2033 verzichtet und so zum Betrieb der Räumlichkeiten mit Küche, langfristigen Weiterbestehen der Es- Aufenthalts- und Speisesaal sowie sensausgabe beiträgt. Duschmöglichkeiten nicht weiterbeste- „Um Menschen in Notsituationen pro- hen. Ohne ehrenamtliches Engagement fessionell und unbürokratisch helfen zu könnte das tägliche Angebot nicht beibe- können, haben wir unsere bestehenden halten werden. „Wir sind auf die Unter- Angebote, wie Caritassozialdienst, So- stützung von Spendern und Ehrenamtli- zialberatung für Schuldner und Beiert- chen dringend angewiesen, damit wir die heimer Tafel, um die Essensausgabe für seit zwanzig Jahren bestehende Essens- bedürftige und wohnungslose Menschen ausgabe für bedürftige und wohnungslo- erweitert. Dies war eine gute Entschei- se Menschen weiterführen können“, er- dung, da gerade all diese Angebote in klärt Petra Frank, Mitarbeiterin des Cari- Bedürftige und wohnungslose Menschen bekommen in der Essenausgabe im der Corona-Zeit stark nachgefragt wer- tasverbands Karlsruhe e.V. Sie leitet seit Herz-Jesu-Stift ein warmes Essen. Foto: Caritasverband den“, so Luck. G. Homburg, Caritasverband Juni 2021 die Essensausgabe. Sie kann bei sozialrechtlichen Fragen Erstgesprä- Wer für die Essensausgabe che führen und die Personen an den Cari- gation der Schwestern vom Göttlichen dem Beratungs- und Familienzentrum im Herz-Jesu-Stift spenden möchte: tassozialdienst und an andere Fachdiens- Erlöser aufgrund der demographischen Caritashaus weiter auszubauen. Nach Unser Spendenkonto: te, wie etwa die Sozialberatung für Entwicklung nicht mehr mög- der zeitweisen pandemiebeding- Caritasverband Karlsruhe e.V. Schuldner, weitervermitteln. „Gerade lich war, die Essensausgabe in ten Schließung der Essensausgabe Bank für Sozialwirtschaft die Vernetzung unserer Beratungsdienste dieser Form weiterzuführen. Sr. konnte der tägliche Betrieb wie- IBAN DE17 660205000001741700 kommt den Menschen hier zugute, da wir Alfonsa Farfeleder, die nach 16 der aufgenommen werden. Die BIC BFSWDE33KRL mit unserer Expertise den Menschen Jahren unermüdlichen Engage- Essensausgabe ist derzeit von online: www.caritas-karlsruhe.de/ Auswege aus ihrer Situation aufzeigen ments als Leiterin der Essens- 11.30 bis 12.30 Uhr geöffnet. Be- onlinespende können“, weiß Claus-Dieter Luck, Ab- ausgabe den Stab an die Karlsru- gegnungen unter den notwendi- Kennwort: Herz-Jesu-Stift teilungsleiter für Beratung und Arbeit. her Caritas weitergab, hat ihre gen Abstands- und Hygieneregeln Informationen/Ansprechpartnerin: Der Caritasverband Karlsruhe e.V., Nachfolgerin Petra Frank in ihre sind wieder möglich. Das Zusam- Petra Frank, Telefon 07 21 / 5 31 24 20, der eng mit der Seelsorgeeinheit Aller- neue Tätigkeit eingearbeitet. menwirken zwischen der Seelsorgeein- E-Mail: heiligen kooperiert, hat die Trägerschaft Es ist geplant, das Angebot der Es- heit Allerheiligen, dem Caritasverband herz-jesu-stift@caritas-karlsruhe.de, übernommen, nachdem es der Kongre- sensausgabe in Zusammenarbeit mit Karlsruhe sowie der benachbarten Pfarr- www.caritas-karlsruhe.de/hjs „Wir blicken hoffnungsvoll nach Karlsruhe“ Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen tagte erstmals online E s war eine historische Premiere. Erstmals in seiner mehr als 70 Jahre dauernden Geschichte hat der Zentral- schnell auf die Situation eingestellt“, be- richtete er. Vertreterinnen und Vertreter aus allen ausschuss des Ökumenischen Rates der Weltregionen berichteten von ihren Vor- Kirchen (ÖRK) online per Videokonfe- bereitungen auf die Vollversammlung. renz getagt. An dem Treffen Ende Juni In Asien wurde beispielsweise ein nahmen rund 130 Mitglieder aus allen Schwerpunkt auf die Frage gelegt, wie Erdteilen teil. Ziel war es, die Vorberei- man sich in einem Geist der Zusammen- tungen für die 11. Vollversammlung des arbeit und Einheit auf die Vollversamm- ÖRK vom 31. August bis 8. September lung vorbereiten könne. Die Vertreterin- 2022 in Karlsruhe voranzutreiben. Rund 130 Mitglieder des ÖRK-Zentralausschusses nahmen an einer Videokon- nen und Vertreter der Kirchen in der Ka- Der Zentralausschuss beschäftigte ferenz teil. Foto: ÖRK ribik beschäftigten sich mit der Resi- sich mit dem Programm, das von einer lienz der Kirchen und der Menschen, die internationalen Vorbereitungsgruppe er- trotz der Ungerechtigkeiten beim Zu- arbeitet wurde, und beschloss, an den reich und der Schweiz. Wir beobachten Abuom, Vorsitzende des Zentral- gang zu Impfstoffen gegen COVID-19 Planungen weiterzuarbeiten. Ob alle 800 die Lage in der Region und weltweit ausschusses, im Blick auf die Auswir- wachse. In der Region Nordamerika Delegierten an der Vollversammlung ganz genau“, sagte Bosse-Huber. Weiter- kungen der Corona-Krise. „COVID-19 wurde die Frage erörtert, wie Einheit an- teilnehmen können und unter welchen hin berichtete sie, dass sich in den Vor- hat die Weltwirtschaft mit alarmierender gesichts von Rassismus und anderen ge- Umständen die Tagung stattfinden kann, bereitungen zeige, dass säkulare Institu- Geschwindigkeit in einen globalen sellschaftlichen Spaltungen gestärkt bleibt noch offen. Bischöfin Petra Bosse- tionen, Kultureinrichtungen und die Po- Schockzustand versetzt“, so Abuom. werden kann. Mit Spannung blicken alle Huber von der Evangelischen Kirche in litik großes Interesse an der Vollver- „Einheit ist wichtiger als jemals zuvor“, Mitgliedskirchen des ÖRK auf die Deutschland, ebenfalls Mitglied im Zen- sammlung haben. Man werde alles betonte der geschäftsführende ÖRK- nächsten Wochen und Monate. Sie beten tralausschuss, betonte, dass derzeit nie- unternehmen, um die Vollversammlung Generalsekretär Ioan Sauca. Die Kir- und arbeiten gemeinsam, um im nächs- mand wisse, wie sich die Lage im Zu- nächstes Jahr in Karlsruhe zu realisieren. chen hätten zahlreiche Mitglieder und ten Jahr von Karlsruhe ein starkes Zeug- sammenhang mit der COVID-19-Pande- Es sei ungemein wichtig, gerade in Führungspersonen verloren, beklagte nis für Einheit, Frieden und Gerechtig- mie entwickeln würde. „Wir stehen in diesen Zeiten als Kirchen und als Gesell- Sauca. Aber „unsere Mitgliedskirchen keit in die Welt senden zu können. engem Kontakt mit den Behörden und al- schaft die Einheit zu suchen und sich ge- haben sich in der Pandemie als unglaub- Dr. Marc Witzenbacher, len Partnern hier in Deutschland, Frank- genseitig zu stützen, forderte Agnes lich widerstandsfähig erwiesen und sich Koordinierungsbüro ÖRK-Vollversammlung
8 KIRCHEN ZEITUNG 36. Ausgabe | 23. Juli 2021 Dem Gewissen unterworfen Große Freiheit und große Verantwortung / Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen I lse Lohmann ist Richterin am Bundes- gerichtshof und dort am IX. Zivilsenat zuständig für das Insolvenz- und n Sie waren acht Jahre, von 1996 bis 2004, in Sachsen-Anhalt tätig, unter anderem als Richterin am Oberlan- Zwangsvollstreckungsrecht sowie die desgericht Naumburg. Hat diese Anwalts- und Steuerberaterhaftung. Sie Zeit ihre Wahrnehmung für die ist aber auch in unterschiedlichen kirch- Freiheit zusätzlich geprägt? lichen Gremien aktiv. Redaktionsmit- Ich bin in dieser Zeit in die kirchliche glied Markus Mickein sprach mit ihr Gremienarbeit gekommen. Die Evange- über die Freiheit beim Entscheiden und lische Kirche dort hatte nur wenig eige- Abwägen vor Gericht, über Ost-West-Er- ne Juristen, weil vielen kirchlich Enga- fahrungen und darüber, ob es richtig war, gierten in der DDR der Zugang zu Studi- im Lockdown Gottesdienste zu feiern. engängen verwehrt blieb. Jura war ein solches Fach. Es gab ein paar Kirchen- n Die Corona-Zeit ist für jeden einzel- juristen, aber unter den eigenen Richtern nen eine Zeit der Einschränkung hatten sie nicht viel Auswahl. Da hieß der Freiheit. Hat sich der Stellen- es: Wir brauchen einen vom Oberlandes- wert der Freiheit für Sie verändert gericht, kennt ihr da einen? Und so bin seit dem vergangenen Jahr? ich in die Gremienarbeit gekommen. Die Einschränkungen habe ich natür- Und da habe ich gemerkt, wie unter- lich auch wie alle anderen erlebt. Das schiedlich die Biografien und die Erfah- Unangenehmste für mich persönlich war rungen sind. Gerade wenn ich an die in dieser Zeit, dass ich meine 93 Jahre denke, die nicht werden konnten, was sie alte Mutter nicht besuchen konnte, oder wollten. Das ist eine beträchtliche Ein- dachte, ich könnte es nicht. Und das ist schränkung der Berufsfreiheit. dann der Punkt, wo ich im Nachhinein n Eines ihrer Interessen in der Freizeit sage, da haben wir zu lange gewartet. gilt der Kirchenmusik. Sie sind aus- Das ist eine Einschränkung der persönli- gebildete nebenberufliche Kirchen- chen Kontakte. Und da kommen wir musikerin und singen in der Durla- schon zum Thema: Man muss das alles cher Kantorei. Wie viel Freiheit ver- abwägen. Man kann das einer alten Frau binden Sie mit ihrem Hobby? nicht zumuten, ganz allein zu bleiben. Chorsingen hat mit Freiheit sehr we- Und telefonieren kann auch nicht alles nig zu tun, denn alle machen, was der Di- ersetzen. Im Nachhinein denke ich, hätte rigent sagt (lacht). Aber im Ernst: Es ist ich mich auch in den sehr leeren Zug set- egal, ob es ein großes Oratorium ist oder zen und hinfahren können, ohne jeman- ich in einem ganz kleinen Ensemble mu- den zu gefährden. siziere: Ich vergesse dabei alles andere n Über die Verhältnismäßigkeit der um mich herum und es geht nur noch da- verordneten Maßnahmen in der Co- rum, diese Musik zu gestalten. Das ist et- rona-Zeit wird immer wieder gestrit- was wirklich Schönes. Außerdem: Im ten, auch vor Gericht. Wenn es um Bundesgerichtshof hat es bis Corona im- die Notbremse geht, sind zum Bei- merhin einen Chor gegeben, den ich ge- spiel die Verwaltungsgerichte ge- Ilse Lohmann ist Richterin am Bundesgerichtshof und sie ist in unterschied- leitet habe. Auch das war sehr schön, fragt. Eilanträge und Verfassungsbe- lichen kirchlichen Gremien aktiv. Foto: mm weil man sich da auch außerhalb des schwerden gehen auch direkt an das Dienstes traf. Aber momentan geht das Bundesverfassungsgericht. Hat für nicht mehr, das fehlt jetzt einfach. Sie die Gerichtsbarkeit in ihrer Be- werden, das glaube ich nicht. Mein Ge- weil das Geld nicht mehr reicht, die n Eine abschließende Frage: War es deutung zugenommen? biet ist das Insolvenzrecht, und auch Rücklagen verbraucht sind und das Kurz- ihrer Meinung nach richtig, dass Die Corona-Maßnahmen stehen schon wenn die Insolvenzantragspflicht jetzt arbeitergeld zu wenig ist. Bis diese Fälle die evangelische und katholische singulär. Da würde ich unterscheiden. erst einmal ausgesetzt ist, kann es sein, allerdings im Bundesgerichtshof verhan- Kirche an ihrem Recht, in der Pan- Das Bundesverfassungsgericht hat schon dass die Insolvenzzahlen in die Höhe delt werden, müssen sie zunächst durch demie-Zeit Gottesdienste zu feiern, schwer gearbeitet in dieser Zeit. Dass die schnellen. Insbesondere bei den Privat- das Amtsgericht und das Landgericht, da weitestgehend festgehalten haben? Bürger jetzt allgemein klagefreudiger personen, die Privatinsolvenz anmelden, vergeht einige Zeit, mitunter einige Jahre. Und welches Signal geht davon n Wie frei sind Sie als Richterin beim aus? Entscheiden und Bewerten von Fäl- Die Kirchen haben für ihre Gottes- len? dienste ein sehr strenges Hygienekon- Ich bin unabhängig und als Richterin zept erarbeitet, das konsequent ange- nur meinem Gewissen unterworfen. Das wendet wurde. Persönlich fand ich es gut Sie suchen einen Ort zum Reden? ist eine große Freiheit und eine große und richtig, dass die Gottesdienste unter Verantwortung. Aber ich bin an Recht Einhaltung der Corona-Schutzkonzepte und Gesetz gebunden. Und speziell am stattgefunden haben. Man hätte die Got- Bundesgerichtshof entscheiden wir zu tesdienste natürlich auch absagen kön- fünft. Kollegialgerichtsbarkeit nennt nen, obwohl sie nach staatlichem Recht man das. Zudem bekomme ich einen erlaubt waren. Dann mache ich von ei- Fall, der schon zweimal verhandelt und nem mir zustehenden Recht keinen Ge- entschieden worden ist. brauch, um andere zu schützen und mich n Welche Qualität müssen Personen solidarisch zu zeigen. Das wäre das Zei- mitbringen, um Richter oder Rich- chen gewesen: Wir machen zu. Das war terin zu werden? zum Beispiel in der Evangelischen Kir- brücke Karlsruhe · Kronenstraße 23 · Telefon 0721 38 50 38 Wichtig ist die Bereitschaft, immer che von Westfalen der Fall, wo ich her- Öffnungszeiten: Mo, Di, Do, Fr: 10 bis 13 Uhr sowie 15 bis 18 Uhr, Mi: 16 bis 20 Uhr auch einen anderen Standpunkt einzu- komme. Gottesdienste feiern zu können, info@bruecke-karlsruhe.de · www.bruecke-karlsruhe.de nehmen, man darf sich nicht zu früh fest- ist aber ebenfalls ein hohes Gut. Wir ha- legen. Im Entscheidungsvorgang ist es ben gezeigt, dass wir uns an alle Vor- kostenfrei · ohne Voranmeldung · anonym eine gute Kontrolle, sich selbst zu fra- schriften gehalten haben und haben uns gen, was wäre eigentlich, wenn ich um- damit mit der Allgemeinheit solidari- gekehrt entscheiden würde. siert.
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