Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben

 
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Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch
Modellierungsaufgaben

DAVID BEDNORZ, BIELEFELD; JUDITH HUGET, BIELEFELD & MICHAEL KLEINE, BIELEFELD

Zusammenfassung: Lernen ist nicht nur eine Frage         dellierungsaufgaben, die die Vermittlung von bil-
von kognitiven Prozessen. Wer sich an den eigenen        dungsbezogenen Inhalten zum Ziel haben und damit
Unterricht zurückerinnert, dem bleiben insbesondere      auf den subjektiven formalen Teil der Bildung fokus-
die Momente in Erinnerung, die besonders emotional       sieren, lassen sich insbesondere durch ein hohes Maß
bewegt oder eine besondere Freude bereitet haben.        an Authentizität des Kontextes einer Aufgabe charak-
Dieses Potenzial von motivationalen und emotiona-        terisieren. Aus diesem Grund werden in der vorlie-
len Faktoren von Lernen zu nutzen, ist Ziel dieser       genden Studie authentische Modellierungsaufgaben
Studie. Zur Realisierung eines motivations- und emo-     auf Basis eines auf allgemeine Bildung bezogenen
tionsorientierten Mathematikunterrichts wird eine        Rahmens eingesetzt, um die Motivation, das Inte-
Intervention durchgeführt, die aufbauend auf den all-    resse und die Emotionen der Lernenden positiv zu be-
gemeindidaktischen Grundlagen insbesondere den           einflussen und damit ein sinnstiftendes und langan-
Einfluss bei der Bearbeitung von Modellierungsauf-       haltendes Lernen zu ermöglichen.
gaben thematisiert. Die Ergebnisse deuten darauf
                                                         Im Folgenden wird zunächst der theoretische Rah-
hin, dass ein Einfluss von zukunftsorientierten Mo-
                                                         men in Bezug auf bildungsbezogene Aufgaben mit
dellierungsaufgaben insbesondere zum Interesse be-
                                                         einem Fokus auf ein fachdidaktisches Verständnis
steht.
                                                         von Modellierungsaufgaben dargestellt. Die Aus-
                                                         wahl der hier untersuchten Kontextvariablen wird in
Abstract: Learning is not all about cognitive pro-
                                                         Bezug auf ihre Bedeutsamkeit beschrieben. Die Ver-
cesses. The best lessons you probably had and re-
                                                         bindung der fachdidaktischen Anlage mit den Kon-
membered were those with moments that caught your
                                                         textvariablen führt zu den Forschungsfragen dieses
emotions and feelings. The main aim of this study is
                                                         Beitrags. Im empirischen Teil wird neben den einge-
to use potentials of motivational and emotional fac-
                                                         setzten Testinstrumenten und der Stichprobe insbe-
tors of learning to construct a motivational and emo-
                                                         sondere der Verlauf der Intervention ausführlich dar-
tional oriented mathematic lesson. This lesson is the
                                                         gelegt. Der Ergebnisteil differenziert sich in einen
basis for an intervention, which is based on general
                                                         qualitativen und quantitativen Abschnitt zur Be-
didactic principles of future-oriented problems. The
                                                         schreibung der Ergebnisse. Der qualitative Teil ent-
results suggest that future-oriented education has an
                                                         hält die von den Lernenden verwendeten Lösungs-
impact on interest for mathematics.
                                                         strategien. Der quantitative Teil fokussiert die Aus-
                                                         wertung der Veränderungen der Motivation, des In-
1. Einleitung                                            teresses und der Emotionen durch die Unterrichtsin-
Selten war eine junge Generation so involviert in Zu-    tervention. Komplementiert werden die Ergebnisse
kunftsfragen. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die    durch eine Diskussion und Schlussfolgerung für die
Proteste der Schülerinnen und Schüler im Rahmen          Anlage und Weiterentwicklung der Studie.
der ‚Fridays-for-Future‘-Bewegung. Eine Besonder-
heit ist, dass Lernende aus Schulen der Sekundarstufe    2. Theoretischer Rahmen
auf die Straßen gehen. Protestiert wird für Fragen der
Zukunftsfähigkeit der gesellschaftlichen Praxis des      2.1 Mathematisches Modellieren
Wirtschaftens und Lebens. Im Mathematikunterricht
                                                         Zur Beschreibung der Übertragung der realen Welt in
müssen dabei die Sorgen und die Lebenswirklichkeit
                                                         die Mathematik wird der Begriff des Modellierens
als Lernvoraussetzungen in die Entwicklung des Un-
                                                         verwendet. Dies ist zum einen ein Prozess, der alle
terrichts mit einbezogen werden. Hierbei sind insbe-
                                                         Aspekte zwischen der Mathematik und der Realität
sondere motivationale, interessenbezogene und emo-
                                                         beschreibt (Kaiser, Blum, Borromeo Ferri &
tionale Komponenten des Lernens zentrale Katego-
                                                         Greefrath, 2015). Zum anderen stellt das Modellieren
rien. Die prozessbezogene Kompetenz des Modellie-
                                                         eine Kompetenz dar, die einen hohen Stellenwert in
rens scheint dafür prädestiniert, die Probleme, insbe-
                                                         den verschiedenen curricularen Vorgaben im deut-
sondere jene der Zukunft, in den Mathematikunter-
                                                         schen wie im internationalen Raum einnimmt (Kaiser
richt zu integrieren. Hierfür werden Modellierungs-
                                                         et al., 2015).
aufgaben benötigt, die sich fernab von der bloßen
Vermittlung stofflicher Inhalte verstehen. Diese Mo-

mathematica didactica 44(2021)1, online first                                                                1
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
math.did. 44(2021)1
Beim mathematischen Modellieren werden insbeson-         vom Anspruch einer Bildung für die Lernenden, „die
dere die Sachtexte, Sachprobleme und die Vermitt-        es ihnen ermöglicht, ihre zukünftige Lebenspraxis
lung zwischen realer und mathematischer Welt in den      selbständig zu gestalten“ und außerdem in Kontakt
Fokus der Betrachtung gestellt. Typischerweise wird      zu kommen mit „Themen oder Probleme[n] der
die Modellierung zwischen realer Welt und mathe-         Menschheit“ (Rosch, 2013, S. 225). Um einen bil-
matischer Welt durch einen Kreislauf beschrieben.        denden Anspruch im Mathematikunterricht zu reali-
Eine mögliche Darstellung ist Abbildung 1 nach           sieren, sollten Schülerinnen und Schüler nach Winter
Blum und Leiß (2005) zu entnehmen. Der Modellie-         (1995) drei Grunderfahrungen machen: 1) die Fähig-
rungskreislauf zeigt neben den verschiedenen Situa-      keit, auf spezifische Weise die Welt um uns verste-
tionen bzw. Produkten auch die Prozesse, die not-        hen zu lernen, 2) die innermathematische Welt in ih-
wendig sind, um den Kreislauf zu durchlaufen. Die        ren Gesetzmäßigkeiten und Zugängen zu begreifen
Darstellung zeigt deutlich, dass die Modellierung        und zu erlernen und 3) die Fähigkeit des Problemlö-
komplexe Prozesse von den Lernenden verlangt und         sens. Im aktuellen mathematikdidaktischen Diskurs
dies insbesondere, wenn die Real-Situationen selbst      sind zentrale Begriffe einer mathematischen Grund-
ein komplexes Problem in gegebenenfalls ebenfalls        bildung stets an eine mathematical literacy und eine
komplexen Texten darstellen. Für die erste Phase         Kompetenzorientierung geknüpft (Kleine, 2012). Im
müssen Verstehens- und Strukturierungsfähigkeiten        Fokus steht hier die anwendungsorientierte Verwen-
verwendet werden, um zu mathematisieren. Das in-         dung von mathematischen Gegenständen im Kontext
nermathematische Arbeiten ist als Kompetenz dabei        des Alltags. In modernen Diskussionen zu den The-
deutlich von den zuvor gefragten Kompetenzen zu          menfeldern ‚Kompetenzen und Performanz‘ werden
unterscheiden. Die mathematischen Ergebnisse müs-        zunehmend das Bildungsprodukt fokussiert und da-
sen im letzten Schritt auf die reale Welt rückbezogen    bei die mit mathematischen Handlungen verbunde-
werden und das Ergebnis der Mathematisierung muss        nen Bildungsprozesse eher vernachlässigt (Vohns,
validiert werden. So entsteht ein vielschichtiger Be-    2013). Die Kritik von Gellert und Jablonka (2008) an
reich unterschiedlicher Kompetenzen.                     einem produkt-fixierten Unterricht wird exempla-
                                                         risch an der Entwicklung von Technologien und der
                                                         Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung
                                                         mit Technologien diskutiert. Hingegen forciert eine
                                                         prozessorientierte Bildung die Orientierung nach ei-
                                                         nem sinnstiftenden und langfristigen und damit in-
                                                         korporierenden Lernen. Das Konzept der Allgemein-
                                                         bildung ist in Abbildung 2 dargestellt und orientiert
                                                         sich an der Begriffsbeschreibung von Klafki (2007)
                                                         (Klafki, 2007; Meyer & Meyer, 2007). Grundlegend
Abb. 1: Prozess der Modellierung nach Blum und Leiß      ist darin eine Unterscheidung zwischen materialer
        (2005)                                           und formaler Bildung. Allgemeinbildung wird als
                                                         Teil materialer Bildung verstanden, dies im Kontext
Eine bedeutsame Eigenschaft von Modellierungsauf-
                                                         von allgemeinen Schlüsselproblemen.
gaben ist Authentizität. Niss (1992) definiert authen-
tische Aufgaben als diejenigen, die als relevant für        Allgemeinbildung bedeutet in dieser Hinsicht, ein ge-
die im Fachgebiet/Problemfeld Arbeitenden akzep-            schichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen
tiert werden und die eine Relevanz im Allgemeinen           Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar
aufweisen. Durch Authentizität wird eine Aufgabe            – der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverant-
                                                            wortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Be-
für Schülerinnen und Schüler glaubwürdig und rea-
                                                            reitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkür-
listisch. Es gibt ihnen außerdem den Bezug zur Rea-         zend kann man von der Konzentration auf epochaltypi-
lität der Mathematik, obwohl sie die Anwendungen            sche Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und der
eventuell (noch) nicht benötigen (Greefrath, Kaiser,        vermutlichen Zukunft sprechen (Klafki, 2007, S. 56)
Blum & Ferri Borromeo, 2013). Trotzdem sind au-
thentische Modellierungsaufgaben relevant, da Schü-      Klafki (2007) leitet diese epochaltypischen Schlüs-
lerinnen und Schüler die Macht des mathematischen        selprobleme aus seiner Beschreibung von Bildung
Modellierens, also das Verstehen und das Lösen rea-      ab. Diese beschreibt er auf drei qualitativen Ebenen.
ler Fragen, erleben können (Kaiser & Schwarz,            Die erste Dimension ist die im Bereich der Selbstbe-
2010).                                                   stimmungsfähigkeit im sozialen Raum aus individu-
                                                         eller und gemeinschaftlicher Perspektive. Die zweite
2.2 Bildungsbezogene Aufgaben                            ist die der Möglichkeit der Partizipation. Die letzte
                                                         Dimension ist die der Solidarisierung, d. h. einer re-
Mathematikunterricht hat wie jeder andere stets einen    flexiven Haltung unter Einbezug des Wechselspiels
Bildungsauftrag. Rosch (2013) spricht dabei explizit

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Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine

   Objektiver (materialer) Teil
   Allgemeinbildung                                                                          Fachunterricht,
   I m M edium des                                              mit polarer                  Bezogen auf die
   Allgemeinen                                               Ergänzung durch                 gesellschaftlichen
   (=Schlüsselprobleme):                                                                     Anforderungen
   •   Frieden
   •   Gerechtigkeit, z.B. bezüglich der Arbeit und der
       Arbeitsverteilung
   •   Umwelt/Ökologieprobleme
   •   Kommunikations- und
       Informationstechnologien
   •   Ich und Du, Mitmenschen

                                                          Entwicklung des I ndividuums
                                                                                         mit der
                                                                                         • Fähigkeit zur
                                                                                             Selbstbestimmung/Kritikfähigkeit,
                                                                                         • Fähigkeit zur Mitbestimmung
                                                                                         • Fähigkeit zur Empathie, Solidarität.
                                                                                             Moralität
   Subjektiver (formaler) Teil

Abb. 2: Allgemeinbildungskonzept in Anlehnung an Klafki nach Meyer und Meyer (2007)
zwischen den ersten zwei Dimensionen (Meyer &                        Kompetenz des Modellierens und der assoziierten
Meyer, 2007).                                                        Kompetenzen, sondern die Mathematisierung des
                                                                     Diskurses, unabhängig von individuellen Meinun-
Jedoch zeigen sich zwischen bildungsbezogenen Er-
                                                                     gen. Die objektive Argumentation und das Sich-
wartungen und dem Alltag im Unterricht deutliche
                                                                     nicht-Gemeinmachen mit der Argumentation ist Ba-
Diskrepanzen. Alltagsbezüge, die außerhalb eines
                                                                     sis der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit
konstruierten Rahmens im Mathematikunterricht
                                                                     Themen und Problematiken des Zusammenlebens.
vorkommen, werden nur in Ansätzen behandelt
(Rosch, 2013). Häufig fokussiert der Mathematikun-                   Von besonderer Relevanz sind für den Mathematik-
terricht inhaltliche Fähigkeiten, bei denen prozessbe-               unterricht die Gefahren und Möglichkeiten der neuen
zogene Kompetenzen über methodische Geschicke in                     technischen Steuerungs-, Informations- und Kommu-
das inhaltliche Lernen integriert werden.                            nikationsmedien, beispielsweise im Bereich der Da-
                                                                     tenwirtschaft (Meyer & Meyer, 2007). Hier können
An Möglichkeiten, bildungsbezogene Inhalte in den
                                                                     über die Grundkenntnisse von Daten und Datenma-
Mathematikunterricht zu integrieren, mangelt es
                                                                     nagement auch Fragen assoziiert werden, die den
nicht. So zeigt sich das im ersten Abschnitt des The-
                                                                     Umgang mit den eigenen Daten in Sozialnetzwerken
orieteils beschriebene Modellieren als sinnvolle
                                                                     betreffen. Außerdem ist das Thema ‚Umwelt‘ von be-
Möglichkeit, sich aus „Routiniertheit und Verfahren-
                                                                     sonderem Interesse (Meyer & Meyer, 2007): Fragen
sorientierung [im Mathematikunterricht] herauszulö-
                                                                     über fossile und regenerative Verbräuche von Ener-
sen“ (Vohns, 2013, S. 330). Vohns (2013) betont da-
                                                                     gie und die Möglichkeit, fossile Energieträger zu
bei die individuelle Erfahrungswelt des Subjekts als
                                                                     kompensieren. Daneben sind Fragen der Mobilität
zentrales Element bei der Beantwortung eines in der
                                                                     und des Ressourcenverbrauchs naheliegend, die über
Aufgabe gestalteten Problems. Damit steht die Prob-
                                                                     mathematische Modellierung auf einer argumentati-
lemlösefähigkeit im Fokus, die laut Fischer (2013) im
                                                                     ven Basis im Klassenplenum diskutiert werden kön-
Mathematikunterricht zwar Gegenstand ist, aber sel-
                                                                     nen. Dies schult Kompetenzen, besonders im Bereich
ten Probleme innerhalb der nachschulischen Praxis
                                                                     von Medien. Ein weiteres Problem ist die gesell-
löst. Aus dieser Perspektive dienen Modellierungs-
                                                                     schaftlich erzeugte Ungleichheit als eine humanethi-
aufgaben, die nach bildungsbezogenen Gesichts-
                                                                     sche Fragestellung. Hier können Problematiken mo-
punkten konstruiert sind, dazu, die Emanzipativität
                                                                     delliert werden, die über die Produktion von Klei-
und Partizipativität des Subjekts zu stärken, auf Basis
                                                                     dungsstücken oder Lohngerechtigkeit, immer im
mathematischer Problemlösefähigkeiten, die direkt
                                                                     Sinne des Modellierungskreislaufs, rückbezogen
auf die nachschulische Lebenswirklichkeit der Ler-
                                                                     sind, was eine direkte Verbindung der Mathematisie-
nenden fokussiert. Dabei wird durch das Modellieren
                                                                     rung mit der Lebenswirklichkeit der Lernenden dar-
die Ebene der argumentativen Basis objektiviert. Ler-
                                                                     stellt. Dabei lassen sich Aufgaben, die die zukünftige
nende lernen durch das Modellieren nicht nur die
                                                                                                                                  3
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
math.did. 44(2021)1
Lebenspraxis der Lernenden thematisieren, als be-          berg, 2010). In der Literatur wird zwischen intrinsi-
sonders authentische Aufgaben interpretieren.              scher und extrinsischer Motivation differenziert
                                                           (Schiefele & Streblow, 2006; Wigfield et al., 2008).
Diese Beispiele sollen das Potenzial von Aufgaben
                                                           Intrinsisch motivierte Lernende führen Handlungen
aufzeigen, die grundlegend bildungsbezogen kon-
                                                           zur Steigerung der eigenen Erlebnisqualität durch.
struiert sind. In den gegebenen Beispielen können
                                                           Dies kann auf einer tätigkeitszentrierten oder gegen-
viele Argumentationen über eine mathematische Mo-
                                                           standszentrierten Ebene stattfinden. Es bedeutet dem-
dellierung in einen Zustand versetzt werden, über die
                                                           entsprechend, dass die zu erreichenden Zielzustände
dann zukunftsbezogen diskutiert werden kann. Ne-
                                                           in der Handlung selbst liegen. Extrinsisch motivierte
ben allgemeingültigen Prinzipien stellt sich die
                                                           Handlungen sind instrumentelle Handlungen, mit de-
Frage, ob sich der Einbezug von kritischen und bil-
                                                           nen das Ziel verfolgt wird, positive Konsequenzen
dungsbezogenen Grundlagen auf die Qualität von
                                                           aus der Aktivität zu ziehen, so beispielsweise das Lob
Unterricht messbar auswirkt, sowohl auf die Leis-
                                                           von Lehrkräften und Eltern oder die Belohnung
tungsentwicklung als auch auf nicht kognitive Merk-
                                                           durch Geschenke, aber auch die Vermeidung von ne-
male. Dabei steht in der vorliegenden Arbeit die Un-
                                                           gativen Konsequenzen. Dabei sollte die intrinsische
tersuchung nicht kognitiver Schülermerkmale im
                                                           und extrinsische Motivation nicht bipolar betrachtet
Zentrum des Interesses.
                                                           werden. Vielmehr fungieren beide Konstrukte in ei-
2.3 Motivation, Interesse und Emotionen                    nem Kontinuum, das sich je nach unterschiedlichen
                                                           situativen Voraussetzungen in anderer Weise aus-
Mathematische Leistungen werden zu einem erhebli-          prägt (Wigfield et al., 2008). Für die Entwicklung
chen Teil durch kognitive Faktoren bestimmt. Neben         motivationaler Komponenten im schulischen Lernen
fachspezifischen Faktoren wie Vorwissen, mathema-          ist es sinnvoll, das allgemeine Konstrukt der Motiva-
tischen Kompetenzen und Strategienutzungen sind            tion spezifisch für das Lernen zu betrachten und von
auch überfachliche Anforderungen, wie sprachliche          Lernmotivation zu sprechen. Hierunter wird „die Be-
Darbietung bzw. Darlegungen, Faktoren für den              reitschaft der Person, bestimmte Aktivitäten vor-
Lernerfolg. Daneben beeinflussen affektive und mo-         nehmlich deshalb auszuführen, weil sie sich davon
tivationale Merkmale das Lernen von mathemati-             einen Lernzuwachs verspricht“ verstanden (Rhein-
schen Inhalten (Götz et al., 2004; Pekrun et al., 2006).   berg, 2002, S. 309). Dabei ist es zielführend, für die
Dies impliziert für ein erfolgreiches Unterrichtsset-      Betrachtung von Förderungsmöglichkeiten, insbe-
ting nicht nur eine fachliche Fokussierung, sondern        sondere die intrinsische Lernmotivation als Kernele-
auch eine auf nicht kognitive Schülermerkmale              ment zu analysieren, da es sich hierbei um „die Be-
(Schukajlow, Rakoczy & Pekrun, 2017). Dabei sollte         reitschaft eines Menschen [handelt], sich aktiv, mehr
von einer Generalisierung des Effekts motivationaler       oder weniger dauerhaft und wirkungsvoll mit be-
und emotionaler Komponenten abgesehen werden               stimmten Inhaltsbereichen zu befassen, um Wissen
und jene spezifischen Rahmenbedingungen sollten            aufzubauen und die eigenen Fertigkeiten zu verbes-
analysiert werden, bei denen von einer Förderung der       sern“ (Müller, 2006, S. 49). Es ist auch dann von
Komponenten gesprochen werden kann (Schiefele &            intrinsischer Motivation auszugehen, wenn der Lern-
Streblow, 2006). Im Folgenden sollen die hier unter-       gegenstand von außen an die Person herangetragen
suchten Kontextfaktoren betrachtet werden.                 wird. Entscheidend ist dabei, dass die „Lernaktivität
Motivation Hierbei zeigen sich in bisherigen Studien       als selbstbestimmt erlebt wird, weil man sich mit dem
zum Teil nur geringe korrelative Abhängigkeiten            Lerngegenstand identifiziert“ (Rheinberg, 2010, S.
zum Lernerfolg. Die Bedeutsamkeit liegt jedoch bei         335). Die intrinsische Lernmotivation ist aus mathe-
unterschiedlich motivierten Lernenden im Wahlver-          matikdidaktischer Perspektive auch deshalb bedeu-
halten im Verlauf ihrer Bildungsbiografie (Wigfield,       tend, da sich darunter absichtsvolles und zielorien-
Eccles, Roeser & Schiefele, 2008). Diese empiri-           tiertes Lernen unter eigener Aktivität subsummieren
schen Erkenntnisse stützt das Grundmodell der klas-        lässt (Müller, 2006). Dies eröffnet didaktische Poten-
sischen Motivationspsychologie, in der die wechsel-        ziale zur Konstruktion von Lehr- und Lernarrange-
seitige Beziehung zwischen Person mit individuel-          ments, die das nachhaltige und sinnstiftende Lernen
lem Motiv und Situation als potentieller Anreizgeber       ermöglichen.
als aktuelle Motivation verstanden wird, die zu einem      Interesse Oftmals wird das Konstrukt ‚Interesse‘ ana-
spezifischen Verhalten führt (Rheinberg, Vollmeyer         log zum Begriff der intrinsischen Lernmotivation
& Burns, 2000). Motivation wird in Anlehnung an            verwendet. Zur Abgrenzung definieren es Schiefele,
Rheinberg (2004, S. 17) als die „aktivierende Aus-         Köller und Schaffner (2018) insbesondere über den
richtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen           Gegenstandsbezug. So kann Interesse als gegen-
positiven bewerteten Zielzustand“ definiert (Rhein-        standzentrierte intrinsische Motivation verstanden

4
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine
werden. Es wird definiert als eine Person-Gegen-          ‚Catch-und-Hold-Komponente‘, ‚Basic Needs‘ so-
stand-Relation, in der es an einen Gegenstand auf         wie ‚Nichtinteresse‘ ergänzt (Deci & Ryan, 1993; A.
globaler und lokaler Ebene beschrieben und auf kur-       Kleine & Vogt, 2003; Krapp, 1998; Upmeier zu Bel-
zer oder langer zeitlicher Skala betrachtet werden        zen & Vogt, 2001). Zwei Aspekte sind hervorzuhe-
kann. Im Gegensatz zu erwartungswert-theoretischen        ben. Einerseits ist der Einbezug der Catch-und-Hold-
Ansätzen bedeutet die Person-Gegenstand-Theorie,          Komponente bedeutend, d. h. die Überlegung, wie
dass Interesse nicht allein durch Anreizqualitäten er-    Interesse erzeugt und gefestigt werden kann, da damit
zeugt wird, sondern dass diese von Entwicklungs-          eine inhärente Anforderung für die didaktische Kon-
und Persönlichkeitsaspekten begleitet werden, wie         struktion für Lernumgebungen entsteht. Dieser As-
beispielsweise Empfindungen (Krapp, 1999). Krapp          pekt führt dazu, dass die Erzeugung von Interesse zu
(1992) konstruiert ein analytisches Konzept der Ge-       einem genuinen Bestandteil der mathematikdidakti-
nese von Interesse. Dabei sind zwei Ebenen zu unter-      schen Forschung wird. Außerdem wird das Modell
scheiden. Die erste betrifft die Merkmale einer Per-      wie bereits bei Krapp (1998) um die psychologischen
son, die definiert sind als das individuelle Interesse.   Grundbedürfnisse, angelehnt an die Selbstbestim-
Die zweite Ebene richtet sich auf die anderen Merk-       mungstheorie nach Deci und Ryan (1993), ergänzt.
male der Lernumgebung, die sich auf deren Interes-        Die ‚Basic Needs‘ umfassen dabei die soziale Einge-
santheit beziehen. Auf Basis einer Interessenhand-        bundenheit, Autonomie und das Kompetenzerleben
lung kommt es zu einer wechselseitigen Beeinflus-         der Lernenden (Deci & Ryan, 1993). Für eine inte-
sung des individuellen und des spezifischen situatio-     ressenförderliche Lernumgebung sind damit ver-
nellen Interesses. Hierbei wird ersteres im Kontext       schiedene Voraussetzungen zu erfüllen, die über me-
der Interessenhandlung aufgrund der Interessantheit       thodische und didaktische Planung zu realisieren
der Lernumgebung aktualisiert. Für die Beziehung          sind.
zwischen aktualisiertem und situationalem Interesse
                                                          Emotionen. Ergänzend zur Motivation und zum Inte-
wird theoretisch vorausgesetzt, dass die Interessen-
                                                          resse sind lernemotionale Merkmale von Lernenden
handlung direkte und indirekte Auswirkungen auf
                                                          weitere Hintergrundfaktoren für das Lernen mathe-
das Lernen zeigt (Krapp, 1992; Müller, 2006). Eine
                                                          matischer Inhalte. Nach Pekrun (2006) werden Emo-
für didaktische Zwecke sinnvolle Ergänzung des In-
                                                          tionen als koordinierte Mehrkomponentenprozesse
teressenmodells nach Krapp (1992) stammt aus der
                                                          psychologischer Subsysteme angesehen, die sowohl
Biologiedidaktik. Vogt (2007) entwickelte auf
                                                          affektive, kognitive, motivationale, expressive und
Grundlage der Personen-Gegenstands-Theorie das in
                                                          periphere psychologische Prozesse einschließen. Die
Abbildung 3 dargestellte Zusammenhangsmodell des
                                                          Kontroll-Wert-Theorie enthält Definitionen zu unter-
Interesses und Nichtinteresse.
                                                          schiedlichen Emotionen auf drei Ebenen (Pekrun,
                                                          2006). In Bezug auf Lernerfolg zeigen unterschiedli-
                                                          che Studien gerade auch im fachspezifischen Zusam-
                                                          menhang zur Mathematik die Relevanz der Emotio-
                                                          nen ‚Freude‘, ‚Angst‘, ‚Ärger‘ und ‚Langeweile‘ als
                                                          Teilaspekte (Ahmed, Kuyper, van der Werf & Min-
                                                          naert, 2013; Carmichael, Callingham & Watt, 2017;
                                                          Götz et al., 2004; Knollmann & Wild, 2007; Schuka-
                                                          jlow, Blum, Pekrun, Leiß & Müller, 2009; Schuka-
                                                          jlow et al., 2017). Ahmed et al. (2013) bei 495 Schü-
                                                          lerinnen und Schülern über drei Erhebungszeiträume,
                                                          dass Freude und Stolz bezüglich Mathematik im
                                                          Laufe ihrer Studie sinken, während Langeweile an-
                                                          steigt. Damit reproduzieren sie Ergebnisse von
                                                          Pekrun et al. (2006), die zu ähnlichen Ergebnissen
                                                          gekommen sind, sodass die Annahme besteht, dass
                                                          diese Emotionen auch im Bereich Mathematik zent-
                                                          ral für Motivationsbildung und Strategien des Prob-
                                                          lemlösens und damit für die Lern- und Leistungsent-
Abb. 3: Relationales Zusammenhangsmodell des Interes-
        sen- und Nichtinteressenkonstruktes (Vogt,
                                                          wicklung sind. Zur Förderung und Veränderung der
        2007).                                            motivationalen und emotionalen Basis zeigen Stu-
                                                          dien, dass die Konstrukte sich durch didaktische
Vogt (2007) ergänzt das Modell der Interessengenese       Maßnahmen beeinflussen lassen. So ergibt eine di-
um Aspekte der in der Interessentheorie diskutierten      vergente methodische Unterrichtsgestaltung eine Zu-
Begriffe. So werden die Begriffe ‚Indifferenz‘, die

                                                                                                              5
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
math.did. 44(2021)1
nahme auf Schüleremotionen und Schülerinnenemo-           tischen Aufbereitung eines zukunftsbezogenen Sach-
tionen wie Freude und eine Abnahme von Ärger und          verhaltes in Modellierungsaufgaben einen positiven
Langeweile (Bieg et al., 2017). Außerdem ergeben          Einfluss auf die fokussierten Kontextvariablen hat.
sich für den Mathematikunterricht unterschiedliche        Grundlage sind dabei insbesondere die in der Theorie
Einflüsse von affektiven und motivationalen Merk-         beschriebenen Facetten der Genese der intrinsischen
malen von Lernenden durch geschlossene oder of-           Motivation und des Interesses, die sich als didaktisch
fene Aufgabenformate. Hieraus sind Potenziale der         und methodisch beeinflussbar darstellen. Durch die
positiven Beeinflussung von Lernenden durch eine          Konstruktion von Modellierungsaufgaben auf
innovative Unterrichtsentwicklung ableitbar (Pekrun       Grundlage von bildungsbezogenen Inhalten kommt
et al., 2006). Neben den genannten Aspekten zeigen        es im Sinne der intrinsischen Motivationstheorie zu
sich ebenfalls für die Entwicklung des Interesses         einer direkten Identifizierung mit dem Lerngegen-
Veränderungspotenziale durch die Konzeption unter-        stand; dies insbesondere aufgrund der Fokussierung
schiedlicher didaktischer Angebote (Rheinberg,            auf Problemlösefähigkeiten in der nachschulischen
2002; Waldis, 2012).                                      Lebenswirklichkeit. Für das Interesse lassen sich die
                                                          Problematisierung als Catch-Komponenten verste-
Während der Einfluss von Lernmotivation, Interesse
                                                          hen und die Identifizierung, Beschreibung und Dis-
und Emotionen relativ umfassend beforscht ist,
                                                          kussion als Hold-Komponente formulieren.
wurde die empirische Untersuchung im Rahmen des
Einflusses unterschiedlicher mathematischer Kom-          Das Ziel der ersten Phase ist es, relevante motivatio-
petenzen sowohl auf prozessbezogener als auch auf         nale und emotionale Komponenten zu erfassen, die
inhaltsbezogener Ebene bisher vernachlässigt. Durch       sich als sensitiv gegenüber einer Intervention mit
die nicht zu generalisierenden Ergebnisse des Ein-        Modellierungsaufgaben darstellen. Damit soll festge-
flusses von Lernmotivationen, Interesse und Emotio-       stellt werden, auf welchen Skalen ein Einfluss des
nen, die sich je nach Kontext unterschiedlich gestal-     Unterrichtsettings zu verzeichnen ist, um aufbauend
ten, stellt sich die Frage, inwieweit ein bildungsbezo-   die Hauptstudie nur mit besonders relevanten Skalen
genes Aufgabensetting im dargelegten Verständnis          weiterzuführen. Außerdem werden die Indizien der
zur Beeinflussung der Motivation, des Interesses und      Pilotierung verwendet, um das theoretische Modell
der Emotionen beitragen kann. Damit ist das For-          zu konkretisieren und weiter aufzubauen.
schungsfeld umschrieben, das in der vorliegenden
                                                          Die Fragestellung, die sich für diese Studie ableitet,
Studie bearbeitet werden soll. Insbesondere ist das
                                                          ist: Welchen Einfluss haben allgemeinbildende Mo-
Ziel, den Blick von Modellierungsaufgaben als au-
                                                          dellierungsaufgaben auf die Motivation, das Interesse
thentische Aufgaben zu erweitern und diese im Hin-
                                                          und die Emotionen von Lernenden? Daraus können
blick auf den allgemeinbildenden Gehalt zu betrach-
                                                          folgende sekundäre Forschungsfragen abgeleitet
ten. Diese Fokusverschiebung dient der Observie-
                                                          werden: 1) Welche Möglichkeiten der Förderung er-
rung von Aufgaben und deren Subjektbezug. Sie soll-
                                                          geben sich aufgrund des Problematisierungsgehaltes
ten eine Relevanz für die nachschulische Praxis auf-
                                                          der Aufgabe für das fachliche Interesse und die
weisen.
                                                          intrinsische Motivation? 2) Wie werden die mit Lern-
Unter dem allgemeinbildenden Aspekt der Modellie-         motivation und Interesse verbundenen emotionalen
rungsaufgaben wird somit auch sinnstiftendes und          Aspekte beeinflusst?
langanhaltendes Lernen verstanden, was hier mit den
                                                          Zielsetzung dieses Beitrags ist die Feststellung und
Konstrukten ‚Motivation‘, ‚Interesse‘ und ‚Emotio-
                                                          Beschreibung von relevanten Skalen, die sich als be-
nen‘ in Verbindung gebracht werden soll. Die Bezie-
                                                          einflussbar gegenüber der in der Studie angestrebten
hung zwischen allgemeinbildenden Modellierungs-
                                                          Intervention darstellen.
aufgaben und motivationalen und emotionalen Schü-
lermerkmalen ist ein weiteres Ziel der Studie und der
                                                          4. Methode
anschließenden Forschungsfragen.
                                                          4.1 Stichprobe
3. Fragestellung
                                                          Die Untersuchung wurde an zwei Schulen im Biele-
In der Studie soll untersucht werden, welche Wirkun-      felder Umland durchgeführt, die aufgrund einer Pra-
gen Modellierungsaufgaben, die auf Basis eines bil-       xiskooperation für die Untersuchung zugänglich war.
dungsbezogenen Inhaltes konstruiert wurden, auf die       An jeder Schule wurde eine Schulklasse untersucht,
Motivation, das Interesse und auf Emotionen der Ler-      wobei die Jahrgangsstufen 8 und 10 abgedeckt wur-
nenden zeigen. Zwei Phasen werden umfasst.                den. Beide Schulklassen hatten im vorangegangenen
Die zugrunde liegende Hypothese wird verfolgt, wo-        Unterricht das Thema ‚proportionale Zusammen-
nach die Unterrichtsintervention aufgrund der didak-      hänge‘ thematisiert. In den Schulklassen nahmen ins-

6
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine
gesamt N= 43 Schülerinnen und Schüler an der Inter-            Ärger: Im Mathematikunterricht bin ich genervt.
vention teil. Nach der Datenaufbereitung reduzierte
                                                               Langeweile: Schon beim Gedanken daran, dass
sich der Stichprobenumfang durch Ausfälle auf N =
                                                               ich Hausaufgaben in Mathe machen muss, lang-
36 Schülerinnen und Schüler (w=24, m=12). Die 10.
                                                               weile ich mich.
Klasse besuchten N=19 Schülerinnen und Schüler
und N=17 aus der 8. Klasse. Das durchschnittliche         Die Kodierung erfolgte mit einer fünfstufigen Likert-
Alter der Lernenden lag bei 14,58 Jahren (SD=1,16).       Skala mit den Ausprägungen: stimmt gar nicht (1),
Das durchschnittliche Alter der Schülerinnen und          stimmt nicht (2), weder noch (3), stimmt (4), stimmt
Schüler der zehnten Klasse betrug 15,54 Jahre             genau (5).
(SD=0,67), das der Schülerinnen und Schüler der           Des Weiteren wurde ein personenbezogener Frage-
achten Klasse lag bei 13,57 Jahren (SD=0,51). Der         bogen ausgeteilt, um schulische, demografische und
soziökonomische Status, operationalisiert durch An-       soziale Grundinformationen über die Probanden zu
gabe der Anzahl der im Haushalt vorhandenen Bü-           erhalten. Diese werden für die Auswertung von
cher, wurde von den Schülern mit 3,28 (SD=1,07) an-       Gruppenunterschieden verwendet.
gegeben, wobei keine Bücher mit einem und mehr als
zweihundert Büchern mit 5 kodiert wurde. Es beste-        Ziel dabei ist die Selektion von Konstrukten, die sig-
hen keine relevanten Unterschiede bezüglich des so-       nifikant auf die Intervention reagieren und eine mitt-
zioökonomischen Status‘ zwischen den beiden Jahr-         lere bis hohe Effektstärke vorweisen können.
gangsstufen. Die durchschnittliche Note der letzten
Klassenarbeit in Mathematik lag bei den Schülerin-        4.3 Konzeption der Untersuchung
nen und Schülern der 10. Klasse bei 2,53 (SD=0,95);       Im Mittelpunkt der fachdidaktischen Modellierung
bei Lernenden der 8. Klasse bei 2,74 (SD=0,73).           steht die Idee der Linearisierung komplexer Prob-
Noch deutlichere Unterschiede in den mathemati-           leme. Diese wird in verschiedenen Anwendungsfel-
schen Leistungen zeigen sich bei der durchschnittli-      der für die Mathematik verwendet, wie in der Physik
chen Note der letzten Klassenarbeit in Mathematik.        oder der Statistik. Ein Beispiel für eine lineare Sicht-
Diese lag bei den Lernenden der 10. Klasse bei 2,90       weise auf einen mathematischen Gegenstand ist die
(SD=1,26) und bei den Lernenden der 8. Klasse bei         Betrachtung der Ableitung als eine lokale Linearisie-
3,68 (SD=1,20). Damit ergibt sich für die Note in der     rung (Greefrath, Oldenburg, Siller, Ulm & Weigand,
letzten Mathematikarbeit ein Notenunterschied von         2016). Für die Sekundarstufe I scheint diese Art der
durchschnittlich 0,78 Notenpunkten. Dies bestätigt        Mathematisierung interessant zu sein, so beispiels-
die Annahme, dass die 10. Klasse im Durchschnitt          weise lineare Approximationen im Bereich der Pro-
eine höhere Leistung im Mathematikunterricht er-          portionalität wie dem mittleren Verbrauch von
bringt.                                                   PKWs. Hier wird approximativ der Mittelwert des
                                                          Verbrauchs auf einer bestimmten gefahrenen Strecke
4.2 Erhobene Konstrukte                                   verwendet, um damit über angenommene proportio-
Entsprechend der Konzeption der Studie wurden die         nale Zusammenhänge gestellte Probleme zu lösen.
Kontextvariablen erhoben. Hierfür wurden die Frage-       Eine prototypische mathematische Sachaufgabe wäre
bögen von Pekrun et al. (2006) verwendet. Für die         beispielsweise, die Angabe des Durchschnittsver-
Pilotierung wird die Veränderung der Intervention an      brauchs eines Fahrzeugs auf 100 km, der Angabe der
den folgenden sechs Skalen untersucht:                    Größe des Tanks und der Frage, wie weit das Fahr-
                                                          zeug mit vollem Tank fahren kann, ohne noch einmal
Interesse (8)1, Motivation (5), Freude (8), Angst (9),    aufzutanken.
Ärger (6) und Langeweile (6). Für alle Skalen wurde
eine gute bis sehr gute Reliabilitätswerte (Interesse α   Aus dieser Perspektive hat das funktionale Denken
= 0,81, Motivation α = 0,85, Freude α = 0,89, Angst       einen hohen Stellenwert dabei, authentische Kon-
α = 0,92, Ärger α = 0,92, Langeweile α = 0,93).           texte mit Realbezug herzustellen, und es bieten sich
                                                          unterschiedliche inhaltliche Ausprägungen dafür an.
Beispielitems für die einzelnen Konstrukte:               Aufgrund dessen ist es im Sinne einer mathemati-
     Interesse: Was wir in Mathematik lernen, inte-       schen Grundbildung elementar, dass Lernende den
     ressiert mich.                                       Umgang funktionaler Zusammenhänge im realen
                                                          Kontext erfahren und dafür die nötigen Grundvorstel-
     Motivation: In Mathematik tue ich etwas, weil
                                                          lungen aufbauen und festigen (Greefrath et al., 2016).
     ich gute Noten bekommen möchte.
                                                          Im Unterrichtssetting wird die Entwicklung der Mo-
     Freude: Ich freue mich auf die Mathe-Stunde.
                                                          bilität von morgen entwickelt. Der Fokus liegt dabei
     Angst: Wenn ich an den Mathematikunterricht          auf der Technik der Elektromobilität und den Akkus.
     denke, bin ich beunruhigt.                           Insbesondere soll thematisiert werden, welche Fol-
                                                          gen diese technische Lösung generiert. Zusätzlich
                                                                                                                 7
Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
math.did. 44(2021)1
soll auch die Entwicklung der Batterietechnik durch           und das Kompetenzerleben der Lernenden stärken.
ein Diagramm dargestellt werden. Die Lernenden                Damit es zu einem zielgerichteten Vorgehen kommt
sollten im Unterricht dabei in der ersten Phase Prob-         und die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe nicht
leme der aktuellen Mobilität kennenlernen. Hierfür            als zu komplex wahrnehmen, wurden Hilfekarten
wurden Fotos von Städten in Smog und Zeitungsarti-            vorbereitet, die sie verwenden konnten.
kel über die Dieselproblematik präsentiert, wie in
Abbildung 4 beispielhaft illustriert. Dieser Unter-
richtseinstieg diente insbesondere der Bewusstma-
chung des Problems der Umweltverschmutzung und
gesundheitlichen Gefährdung durch den Individual-
verkehr.

Abb. 4: Beispielfoto für den Unterrichtseinstieg.2

Hierauf aufbauend wurden das Elektroauto als poten-           Abb. 5: Beispiel für eine Abbildung eines Elektroautos zur
zielle technische Lösung für die lokale Umweltver-                    Gewinnung notwendiger Daten für die Berech-
                                                                      nung.3
schmutzung vorgestellt und anschließend die nach-
folgende Aufgabe bearbeitet.
Interventionseinstieg und erste Aufgabe des Schüler-
bogens:
         Akkus und Batterien speichern Energie. Oft wird
         bei Elektroautos ein Wert in Wattstunden (Wh)
         bzw. Kilowattstunden (kWh) angegeben.
         Aufgabe 1:
         In Abbildung 2 (Seite 5) siehst du 3 verschiedene
         Akkus von unterschiedlichen Smartphones und in
         Abbildung 1 (Seite 4) siehst du 3 unterschiedliche
         Autotypen von Elektroautos.
         a)   Berechne, wie viele Smartphone-Akku-La-
              dungen du benötigst, um eines der Elektro-
              fahrzeuge vollständig zu laden (runde die
              Zahlen auf oder ab!)
         b) Berechne, wie viele Smartphone-Akku-La-
            dungen du benötigst, um 100 km zu fahren
            (runde die Zahlen auf oder ab!).                  Abb. 6: Beispiel für einen Smartphone-Akku zur Gewin-
                                                                      nung der Daten für die Berechnung.4
Die Lernenden sollten proportionale Zusammen-
hänge zwischen kWh und der Reichweite des Fahr-               In der darauffolgenden Phase sollten die Lernenden
zeuges und gegebenenfalls weitere proportionale Zu-           einen neuen und einen alten Smartphone-Akku in ei-
sammenhänge entdecken, die sie über verschiedene              nem Diagramm vergleichen, wie nachfolgend prä-
Abbildungen ableiten sollten.                                 sentiert und in Abbildung 7 dargestellt wird.

Eine Herausforderung dabei ist, dass die Lernenden            Aufgabe 2 der Intervention zum grafischen Vergleich
die Daten zur Berechnung selbst recherchieren, wie            eines alten und neuen Smartphone-Akkus:
in Abbildung 5 und Abbildung 6 exemplarisch dar-                      Ein alter Handy-Akku hat eine Leistung von ca.
gestellt wird. Dieses Vorgehen sollte das selbststän-                 0,003 kWh. Ein neues Smartphone hat eine Leis-
dige Recherchieren simulieren und die Autonomie                       tung von ca. 0,010 kWh.

8
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine
        Die untenstehende Grafik zeigt, wie viele Akkus                           Vorstudiendesign
        eines älteren Handys im Vergleich zu einem
        neuen Smartphone für den Betrieb eines Elektro-       Studienbeginn
                                                                                 Gruppe 1     Gruppe 2

        fahrzeugs benötigt werden.                            Dez 18

        a)     Erkläre die untenstehende Grafik.

                                                                                                Dezember
                                                                                   Dezember
        b) Beschreibe die Bedeutung der technischen                                                        Prätest

           Entwicklung von Akkus für zukünftige
           Elektroautos.                                      Jahreswechsel

                                                                                                            Unterrichts-

                                                                                   Januar

                                                                                                Januar
                                                                                                            intervention in
                                                                                                            beiden Gruppen

                                                                    Posttest

                                                            Abb. 8: Studiendesign für die Interventionsstudie

      Batterie (alt)                                        Abbildung 8 stellt das grundlegende Forschungsdes-
                                                            ign dieser Interventionsstudie dar. Aufgrund der zeit-
           Batterie (neu)
                                                            lichen Vorgaben musste die Intervention in einer Un-
                                                            terrichtsstunde durchgeführt werden. Außerdem
Abb. 7: Grafik der Aufgabe 2                                wurde keine Kontrollgruppe verwendet, da es nicht
Aufgrund der technischen Weiterentwicklung bieten           das Ziel der Vorstudie war, kausale Schlussfolgerun-
neue Akkus eine höhere Leistung, damit werden in            gen zu ziehen, sondern die Ergebnisse dieser Inter-
der Summe hypothetisch auch weniger für den Be-             ventionsstudie zu verwenden, um das Design für eine
trieb eines Elektrofahrzeuges benötigt. Die Aufgabe         sich anschließende Hauptstudie zu schärfen. Für
dient dazu, diese Aspekte festzustellen und zu disku-       diese ist eine Kontrollgruppe geplant.
tieren, zum Beispiel unter der Fragestellung, inwie-
weit eine solche technische Weiterentwicklung fort-         5. Ergebnisse
geführt werden kann.
                                                            5.1 Dokumentation von Aufgabenlösungen
In der abschließenden Aufgabe zur Intervention dis-
kutierten die Lernenden den Materialverbrauch von           Um den Einfluss der Intervention auf die Motivation,
Akkus.                                                      das Interesse und die Emotionen zu untersuchen, sol-
                                                            len zunächst Aufgabenlösungen dokumentiert und im
Letzter Aufgabenteil der Intervention zur Integration       Hinblick auf den bildungstheoretischen Teil dieser
der gewonnen Erkenntnisse der vorherigen Modellie-          Studie eingeordnet werden.
rung:
                                                            Bei der Bearbeitung der Aufgaben wurden häufig
        a)     Im Vergleich zu normalen Benzin- und Die-    Angaben markiert, insbesondere vermeintlich unbe-
               selmotoren entstehen bei Elektrofahrzeugen
                                                            kannte Einheiten wie kWh bzw. Wh. Die Markierung
               keine Abgase durch Verbrennungsprozesse.
               Welche weiteren Vorteile könnten Elektro-    wurde nicht als Tipp vorgeschlagen, sodass die meis-
               fahrzeuge haben?                             ten Lernenden dieses Vorgehen zum Erschließen un-
                                                            bekannter Wissensbestandteile aus dem Mathematik-
        b) Wie in der obenstehenden Grafik zu sehen,        unterricht oder anderen Settings adaptiert haben.
           benötigen Elektrofahrzeuge viele kleine Bat-
           terien für den Betrieb. Welche weiteren          Beim mathematischen Vorgehen für die erste Auf-
           Nachteile könnten Elektrofahrzeuge haben?        gabe gibt es ebenfalls eine Heterogenität an Lösun-
Diese Aufgabe enthält die Aspekte ‚Technikfolgen‘           gen. Für die bearbeiteten Aufgaben lassen sich
und ‚Umwelt‘, wie im Beispiel dargestellt. Ziel war         grundsätzlich drei Arten von Lösungen unterschei-
es, dass die Lernenden in dieser Phase die durch die        den. Der erste Typ von Lernenden geht rechnerisch
Modellierung gewonnenen Erkenntnisse in einen dis-          vor und löst die Aufgaben durch eine Divisionsstra-
kursiven Zusammenhang bringen.                              tegie, wie in der Schülerlösung 1 dargestellt. Das rein
                                                            rechnerische Verfahren ist insbesondere für den
                                                            zweiten Bearbeitungsschritt aufwendiger und ba-
                                                            sierte auf einem quasi-proportionalen Vorgehen.

                                                                                                                              9
math.did. 44(2021)1
Neben der rein rechnerischen Lösung gibt es auch                             Ladungen         Wh
Lösungstypen, die sowohl rechnerische als auch pro-
portionale Zusammenhänge zur Lösung nutzen, wie                                  1           12,76
in Schülerlösung 2 illustriert. Der dritte Typ, zu de-         ∙5877,7                                   ∙5877,7
nen die meisten Schülerinnen und Schüler der Inter-            42947       5877,742947       75.000      42947
vention zählten, verwendet ein rein proportionales
Vorgehen, um die Aufgaben zu lösen (Schülerlösung                 Antwort: Der Tesla bräuchte 5877,742947 Hua-
3).                                                               wei-Akku-Ladungen, damit der ‚Tank‘ voll ist
                                                                  bzw. das Auto aufgeladen ist. Zahl aufgerundet:
Schülerlösung 1 – rein rechnerisches Vorgehen bei                 5878 Akku-Ladungen.
der ersten Aufgabe:
                                                                  1 b) Geg.: Reichweite = 490 km
        1 a) Samsung Akkuladung: 11,5 Wh
                                                                  Volles Auto = 5878 Handy-Ladungen
                Tesla Model S: 75 Wh
                11,5 Wh : 1000 = 0,0115 KWh
                                                                              Handy-
                75:0,0115 kWh                                                                     km
                                                                             Ladungen
                6521,739                                                        5878              490
        A: Man braucht ca. 6521 Akkuladungen, um das              : 4,9                                     : 4,9
        Auto vollständig aufzuladen.                                         1199,5 ≈             100
                                                                               1200
        1 b) 490 km bei voller Ladung → 75 kWh
                490: 75 = 6,53                                    Antwort: Für 100 km braucht man ca. 1200
                                                                  Handy-Ladungen.
                6,53 für 1 km
                                                          Auch für die zweite Aufgabe der Intervention zeigt
                6,53 ⋅ 100 = 643, 3                       sich ein Spektrum an Lösungsverhalten. Bei den Ler-
                                                          nenden in der Schülerlösung 4 wird das Erklären der
                653, 3: 0,0115 =
                                                          Grafik wortwörtlich verstanden. Die Antwort in Auf-
        A: Man braucht ca. 653, 3̅ Akkuladungen, um       gabenteil b) lässt darauf schließen, dass der Lernende
        100 km zu fahren                                  im Bereich ‚Funktionen‘ noch kein adäquates Ver-
Schülerlösung 2 – rechnerisches und proportionales        ständnis der Funktion als Ganzes und der Interpreta-
Vorgehen bei der ersten Aufgabe:                          tion von Graphen entwickelt hat. Andere Lernende
                                                          interpretieren die Grafik erwartungsgemäß und kön-
        1 a) Volkswagen e-Golf und Huawei:                nen Ableitungen zwischen der Verwendung von
                Gegeben: 35,8 kWh und 12,76 Wh            neuen und alten Akkus treffen (Schülerlösung 5).
                12,76 : 1000 = 0,01276 kWh                Schülerlösung 4 – inhaltlich schwache Aufgabenlö-
                35,8 : 0,01276 = 2805,6425 kWh
                                                          sung eines Lernenden für die Aufgabe 2:
                                                                  2 a) Es ist in einem Koordinatensystem abgebil-
        Antwort: Man benötigt 1805,6425 Huawei-Bat-
                                                                  det mit Anzahl der Batterien bei der y-Achse und
        terien, um das Elektroauto vollständig aufzula-
                                                                  Leistung des Elektroautos auf der x-Achse.
        den, für eine Reichweite von 300 km.
        1 b) Gegeben: Volkswagen = 300 km                         2 b) Es gibt eine Gerade mit einer alten Batterie
                                                                  und eine mit einer neuen Batterie; und für die Zu-
                Km       kWh                                      kunft werden die alten Batterien mehr für die
                                                                  Elektroautos und die alten sind nicht so viele wie
       :300     300      1805,6425
                                        :300                      bei den alten.
                1        9,3520
       •100                             •100              Schülerlösung 5 – substanzielle Beschreibung der
                100      935,2142                         Grafik eines Lernenden für die Aufgabe 2:
Schülerlösung 3 – rein proportionales Vorgehen bei                2 a) Da die neuen Akkus eine höhere Leistung ha-
der ersten Aufgabe:                                               ben, muss man sie nicht so oft laden wie einen
                                                                  alten Akku, um die gleiche Leistung zu erreichen.
        1 a) Geg.: Handy-Akku (Huawei) = 12,76 Wh =
        0,01276 kWh                                               2 b) Das ist sehr wichtig, da, wenn die Akkus
                                                                  mehr Leistung haben, man weiter mit ihnen fah-
        Auto-Batterie = 75 kWh = 75.000 Wh
                                                                  ren kann.
                                                          Positiv ist anzusehen, dass viele Schülerinnen und
                                                          Schüler, die die erste Aufgabe nicht gelöst haben,

10
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine
trotzdem die nachfolgenden Aufgaben bearbeitet ha-         menfeld individuell realisieren können. Die Domi-
ben. Insbesondere schien dabei die letzte Aufgabe,         nanz rein proportionalen Vorgehens (vgl. Schülerlö-
die prinzipiell kein weiteres mathematisches Vorge-        sung 3) kann damit erklärt werden, dass die proporti-
hen verlangte, von vielen auch leistungsschwachen          onale Zuordnung in der vorangegangenen Unter-
Lernenden gelöst zu werden, bei zum Teil guten Ar-         richtseinheit beider Klassen der fachliche Inhalt war.
gumentationen und Beschreibungen.                          Als besonders positiv im Hinblick auf die kommende
                                                           Auswertung der Kontextvariablen ist bereits anzu-
In Schülerlösung 6 ist eine Lösung eines Lernenden
                                                           merken, dass Lernende selbst bei Nichtbearbeitung
für die dritte Aufgabe der Intervention dargestellt.
                                                           des ersten und/oder zweiten Aufgabenteils den drit-
Der Lernende konnte die erste Aufgabe gar nicht und
                                                           ten Aufgabenteil bearbeitet haben. Allerdings ist an-
die zweite Aufgabe nur falsch lösen. Trotz dessen
                                                           zumerken, dass sich in der Bearbeitung der Aufgaben
zeigen sich für die letzte Aufgabe sinnvolle Argu-
                                                           zum Teil gravierende mathematische Schwächen
mentationsstränge. In Schülerlösung 6 ist die erste
                                                           selbst bei Lernenden der 10. Klasse zeigten, die kei-
Argumentation dargestellt, die vermutlich aus dem
                                                           nen Lösungsansatz für die erste und zweite Aufgabe
Einstieg abgeleitet wurde. Die zweite Argumentation
                                                           entwickeln konnten.
in Schülerlösung 6 zeigt eine andere argumentative
Basis, die wahrscheinlich aus öffentlichen Diskussi-
                                                           5.2 Ergebnisse hinsichtlich des Interesses,
onen bezüglich Elektromobilität stammt, da hier ex-
                                                               der Lernemotionen und der Motivation
plizit fossile Energieträger genannt werden.
                                                           Für die Studie wurde die Hypothese angenommen,
Schülerlösung 6 – Aufgabenlösung eines Lernenden
                                                           dass die Bearbeitung von Modellierungsaufgaben,
für den ersten Teil der dritten Aufgabe:
                                                           die im Sinne des dargelegten allgemeinbildenden An-
        3 a) Elektroautos haben einen Vorteil, indem die   spruchs konstruiert wurden, zu positiven Einflüssen
        nicht nur keine Abgase machen, sondern auch        auf die Erlebensweisen hinsichtlich der Motivation,
        keine fossilen Energietreiber benutzen.            des Interesses und des emotionalen Erlebens führt.
Bei der Gegenargumentation zeigt sich noch deutli-         Zur Untersuchung der Unterschiedshypothese wird
cher der Transfer von Vorwissen und Erfahrungen            ein abhängiger t-Test verwendet, um den Stichpro-
aus der Lebenswirklichkeit des Lernenden auf die           benmittelwert der Skalen für die Erhebung vor und
Aufgabenstellung. So ist Kerngegenstand der Gegen-         nach der Intervention miteinander zu vergleichen.
argumente der Bezug des Stromes (Schülerlösung 7           Zur Überprüfung von Gruppeneffekten wird zusätz-
und 8).                                                    lich eine mehrfaktorielle Varianzanalyse mit Mess-
                                                           wiederholung durchgeführt. Geprüft werden soll ins-
Schülerlösung 7 – Aufgabenlösung eines Lernenden           besondere, ob gruppenspezifischen Unterschiede
für den ersten Teil der dritten Aufgabe:                   zwischen den Skalen existieren.
        3 a) Elektroautos haben einen Vorteil, indem die
                                                           Die Veränderungen zwischen Vor- und Nachtest der
        nicht nur keine Abgase machen, sondern auch
        keine fossilen Energietreiber benutzen.
                                                           positiven Schülermerkmale ist in Abbildung 9 über
                                                           die Box Plots der Skalen dargestellt. Dabei ist zu er-
Dabei wird eine kritische Position des Lernenden           kennen, dass die Intervention nur zu leichten Verän-
deutlich, indem er von „anderen angeblichen um-            derungen geführt hat. Entgegen den Erwartungen ist
weltschützenden Energieanbieter[n]“ spricht (Schü-         ein minimaler Rückgang des Durchschnitts für die
lerlösung 8).                                              auf den Skalen positiv ausgerichteten Schülermerk-
Schülerlösung 8 – Aufgabenlösung eines Lernenden           male ‚Interesse‘, ‚Motivation‘ und ‚Freude‘ zu erken-
für den zweiten Teil der dritten Aufgabe:                  nen.

        3 b) Ein Nachteil von Elektroautos ist, dass die   In Abbildung 10 ist die Veränderung der auf den Ska-
        öfters viel Strom verbrauchen, weshalb der und     len negativ ausgerichteten Schülermerkmale ‚Angst‘,
        die Frage ist woher der Strom kommt. Denn der      ‚Ärger‘ und ‚Langeweile‘ über die Box Plots der Ska-
        Strom kann muss entweder von einem Kraftwerk       len abgebildet. Für diese zeigt sich kaum eine Ände-
        oder von einen anderen angeblichen umwelt-         rung des Skalendurchschnitts durch die Intervention.
        schützenden Energieanbieter.                       In der Tendenz ist aber eine geringe positive Ent-
Insgesamt lässt sich im Hinblick auf das Potenzial der     wicklung bezüglich des Mittels zu erkennen.
Aufgaben darstellen, dass die Lernenden die Aufgabe
auf unterschiedliche Weisen lösen konnten. Dies ist
ein Indiz für die Eignung der Modellierungsaufgaben
als authentisches Unterrichtssetting, sodass Schüle-
rinnen und Schüler ihre Zugänglichkeit zum The-

                                                                                                                11
math.did. 44(2021)1

Abb. 9: Veränderung der positiven gerichteten Schüler-
                                                             Abb. 10: Veränderung der negativen gerichteten Schüler-
        merkmale ‚Interesse‘, ‚Motivation‘, ‚Freude‘ durch
                                                                      merkmale Angst, Ärger und Langeweile durch die
        die Unterrichtsintervention
                                                                      Unterrichtsintervention
In Tabelle 1 sind die Ergebnisse des Mittelwertver-          Die Unterschiede der Daten der anderen Skalen zei-
gleichs dargestellt, um zu prüfen, ob sich die in Ab-        gen keine signifikanten Veränderungen zwischen den
bildung 9 und 10 gezeigten Veränderungen statistisch         beiden Messzeitpunkten. Die Motivation verhält sich
verifizieren lassen. In Anbetracht des Stichpro-             unter den drei positiv assoziierten Skalen zwischen
benumfangs ist zufriedenstellend, dass die positiv           Vor- und Nacherhebung am stabilsten. Dies kann als
ausgerichteten Schülermerkmale generell höhere               theoretisch erwartungskonform interpretiert werden.
Mittelwerte der Skalen aufweisen als die Skalen der          Werden die Mittelwertunterschiede zwischen den
negativ ausgerichteten. Im Post-Test sind ähnliche           Klassen pro Messzeitpunkt beachtet, unterscheiden
Tendenzen zu erkennen, jedoch führt die Reduktion            sich die beiden Gruppen statistisch signifikant vonei-
des Mittelwertes des Interesses dazu, dass das Kon-          nander, dies für alle gemessenen Skalen (Tabelle 2).
strukt ‚Langeweile‘ von den Lernenden im Mittel hö-
her eingestuft wurde.                                        Werden die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse
                                                             getrennt von denen der 8. Klasse betrachtet, so ist
Die Testwerte der Lernenden vor und nach der Un-             eine statistisch signifikant höhere mittlere Zustim-
terrichtstunde unterschieden sich nur im Bereich von         mung zu den positiv gerichteten Schülermerkmalen
‚Interesse‘ bedeutsam voneinander (t[36]= 4,44,              zu erkennen und eine geringere Zustimmung zu den
zweiseitig, p < .001) mit einer mittleren Effektstärke       negativ ausgerichteten. Die Effektstärken liegen im
(Cohen’s d = 0,68 für abhängige Stichproben).                mittleren bis hohen Bereich.

                   Messzeitpunkt 1     Messzeitpunkt 2

                        M (SD)              M (SD)             t        p                  Cohen’s d

 Interesse            2,44 (0,66)          2,19 (0,63)       4,44     ,000                    0,68

 Motivation           3,39 (0,85)          3,31 (0,80)       1,11     ,272                      -

 Freude               2,64 (0,73)          2,52 (0,75)       1,58     ,122                      -

 Angst                2,16 (0,98)          2,05 (0,95)       1,34     ,191                      -

 Ärger                2,05 (1,01)          2,07 (1,00)       -0,36    ,720                      -

 Langeweile           2,36 (1,03)          2,47 (1,03)       -0,83    ,411                      -

 Tab. 1: Veränderungen des Skalendurchschnitts durch die Intervention

12
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine
                                           8. Klasse               10. Klasse
                                            M (SD)                   M (SD)
 Interesse (MZP1)                         2,25 (0,72)              2,56 (0,68)          -72,97        ,000

 Interesse (MZP2)                         2,03 (0,69)              2,30 (0,66)          -71,45        ,000

 Motivation (MZP1)                        2,93 (0,84)              3,85 (0,69)           -92,6        ,000

 Motivation (MZP2)                        3,06 (0,82)              3,61 (0,78)          -79,79        ,000

 Freude (MZP1)                            2,37 (0,80)              2,99 (0,56)          -84,33        ,000

 Freude (MZP2)                            2,29 (0,82)              2,82 (0,66)          -77,57        ,000

 Angst (MZP1)                             2,3 (1,07)               1,96 (0,95)          -50,60        ,000

 Angst (MZP2)                             2,14 (0,86)              1,94 (1,03)          -53,27        ,000

 Ärger (MZP1)                             2,21 (1,25)              1,96 (0,90)          -50,13        ,000

 Ärger (MZP2)                             2,26 (1,19)              2,00 (0,93)          -50,53        ,000

 Langeweile (MZP1)                        2,73 (1,29)              2,03 (0,78)          -46,613       ,000

 Langeweile (MZP2)                        2,65 (1,24)              2,34 (0,93)          -50,89        ,000

 Tab. 2: Mittelwertunterschiede zwischen den Klassen pro Messzeitpunkt

                                                          morgen‘ durchgeführt. Die Bearbeitungen der darge-
Im Rahmen der Untersuchung wird ergänzend zum
                                                          botenen Aufgabenserien von Schülerinnen und Schü-
Mittelwertvergleich der Skalen geprüft, in welchem
                                                          lern zeigen unterschiedliche Lösungs- und Struktu-
Maße die Gruppenzugehörigkeit die Entwicklung der
                                                          rierungswege. Die Lösungsansätze werden als ein
Schülermerkmale der Lernenden bestimmt. Beson-
                                                          Zeichen der Authentizität betrachtet, da es unter-
ders relevant sind dabei die Gruppenzugehörigkeiten
                                                          schiedliche fachliche Bearbeitungsweisen der Aufga-
‚Klasse‘ und ‚Geschlecht‘. Die Varianzanalyse ergab
                                                          ben gibt. Überraschend waren die zum Teil erhebli-
für den Messzeitpunkt einen statistisch signifikanten
                                                          chen Schwierigkeiten der Lernenden, eine Lösung o-
Effekt für das Interesse (F(1,36) = 20,008, p
math.did. 44(2021)1

                                                          Bereich des Verbrauches von Akkus liegen, um da-
Erwartet wurde, dass sich das verwendete Unter-
                                                          mit den Umweltaspekt des Kontextes zu schärfen.
richtssetting auf die Motivation, das Interesse und die
Emotionen von Lernenden auswirkt. Dieses lässt sich       Insgesamt zeigt sich in der Interventionsstudie, dass
so allgemein nicht bestätigen. Im Hinblick auf die se-    das Vorhaben eine teilweise Komplexreduktion be-
kundären Forschungsfragen ist festzustellen, dass         nötigt und eine stärkere Fokussierung auf Aspekte,
sich in dieser Stichprobe (1) die Förderung des fach-     die Relevanz und Subjektorientierung verbinden. Das
lichen Interesses und der intrinsischen Motivation        Konstrukt ‚Interesse‘ und der Einfluss von authenti-
aufgrund des Problematisierungsgehalts der Aufga-         schen Modellierungsaufgaben sollten insbesondere
ben nicht fördern ließ.                                   untersucht werden. Jedoch werden weitere Kon-
                                                          strukte für eine Erhebung nicht ausgeschlossen, da es
Für die Skala ‚Interesse‘ kam es zu einer signifikan-
                                                          deutliche Gruppendifferenzen gab. Dabei bleibt die
ten Reduktion des mittleren Interesses. Damit lässt
                                                          Frage offen, aus welchem Grund Skalenunterschiede
sich schließen, dass Interesse ein sensitiver Prädika-
                                                          zwischen den Gruppen existieren. Positiv hervorzu-
tor des Einflusses von Modellierungsaufgaben ist. (2)
                                                          heben ist, dass trotz der Schwierigkeiten auf den ver-
Ebenso ergaben sich keine nachweisbaren Einflüsse
                                                          schiedenen Ebenen, die untersuchten Konstrukte
auf das emotionale Erleben der Schülerinnen und
                                                          stabil bleiben. Ein bedeutsamer Abfall kann insge-
Schüler.
                                                          samt nicht festgestellt werden. Dieses spricht bei den
Diese auf den ersten Blick ernüchternden Ergebnisse       Kontextvariablen ‚Interesse‘ und ‚Motivation‘ für die
lassen sich aus fachdidaktischer Sicht auf verschiede-    relative Stabilität der Konstrukte. Im Fall der Emoti-
nen Ebenen diskutieren: Bei der ersten steht die          onen kann hingegen eine Veränderung antizipiert
Komplexität der Modellierung im Fokus. Die Ler-           werden, dies möglicherweise bei einer längeren In-
nenden mussten durch die Unterrichtsstunde in be-         tervention, die über mehrere Schulstunden verläuft.
sonderem Maße prozessbezogene Kompetenzen zei-            Durch eine zeitlich intensive Auseinandersetzung mit
gen, die über das ‚reguläre‘ unterrichtliche Setting      dem Thema ist ein Effekt auf die Emotionen denkbar.
hinausgehen. Ebenfalls war der mathematische Ge-
genstand der Proportionalität für die Lernenden zwar      Schlussfolgerung
bekannt, keineswegs kann aber davon ausgegangen
werden, dass sie den Gegenstand sicher im Sinne ei-       Trotz der zum Teil unerwarteten Ergebnisse der Vor-
ner Linearisierung beherrschten. Diese Einflussfak-       studie ist die Relevanz authentischer Modellierun-
toren könnten negative Rückkopplungseffekte erzeu-        gen, die nach allgemeinbildenden Kriterien konstru-
gen und so dazu führen, dass sich die Erwartungen         iert sind, erheblich; insbesondere für einen sinnstif-
nicht erfüllen. Mit einer stärkeren Sequenzierung         tenden Mathematikunterricht, in dem nicht nur die in-
könnte künftig dafür Sorge getragen werden, dass die      haltlichen Belange ernst genommen werden, sondern
                                                          auch die kontextuellen Grundlagen der Aufgaben-
komplexe Modellierung von Lernenden nicht als
                                                          stellungen. Damit bietet die Problemlösefähigkeit das
Überforderung empfunden wird. In einer Hauptstudie
sollte außerdem die Validierung bzw. die Diskussion       Potential, Lernenden darzustellen das Mathematik
der Ergebnisse stärker fokussiert auf die eigene Le-      auch für die außerschulische Praxis relevant ist. Da-
benswelt untersucht werden. Ebenso ist die sprachli-      mit ist nicht nur sinnstiftendes, sondern ein langan-
che Komplexität der Aufgaben zu betrachten: Die           haltendes Lernen möglich. Die Rückmeldung der
                                                          Lernenden, unabhängig von der statistischen Daten-
Elektromobilität enthält viele unbekannte Größen
wie kWh. Diese mussten in der Modellierung aus Bil-       lage, deutete im persönlichen Gespräch darauf hin,
dern von Akkus selbstständig abgelesen werden. An         dass es zu einer höheren Diskussionswürdigkeit der
dieser Stelle wurden multimodale Fähigkeiten ver-         Ergebnisse kam, indem besonders auch leistungs-
langt, die zur Steigerung der Komplexität der sprach-     schwache Schülerinnen und Schüler einen Beitrag
lichen Struktur beigetragen haben.                        leisten können. Das legt nahe, dass durch eine ver-
                                                          besserte Ausgestaltung der Aufgaben, die Fokussie-
Die zweite Ebene stellt den Bereich der Subjektori-       rung auf relevante Konstrukte und ein verbessertes
entierung dar: Zwar bietet die Mobilität von morgen       Design eine positive Veränderung der Motivation,
und insbesondere Elektromobilität einen zukunftsori-      des Interesses und der Emotionen möglich wird. Aus
entierten Kontext, jedoch ist dieser nicht zwangsläu-     diesem Grund ist die Interventionsstudie Ausgangs-
fig auch bedeutsam für die Lernenden. Die Relevanz        punkt für weitere Forschungen im Bereich des The-
könnte insoweit verändert werden, dass sie in einem       menfeldes authentischer Modellierungsaufgaben zur
näheren Lebensbezug zu den Lernenden steht. Der           Förderung von Motivation, Interesse und Emotionen.
Einbezug des Smartphones scheint hier ein richtiger
Schritt. Der Fokus sollte dementsprechend stärker im

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