Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben
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Fördermöglichkeiten von Motivation, Interesse und Emotionen durch Modellierungsaufgaben DAVID BEDNORZ, BIELEFELD; JUDITH HUGET, BIELEFELD & MICHAEL KLEINE, BIELEFELD Zusammenfassung: Lernen ist nicht nur eine Frage dellierungsaufgaben, die die Vermittlung von bil- von kognitiven Prozessen. Wer sich an den eigenen dungsbezogenen Inhalten zum Ziel haben und damit Unterricht zurückerinnert, dem bleiben insbesondere auf den subjektiven formalen Teil der Bildung fokus- die Momente in Erinnerung, die besonders emotional sieren, lassen sich insbesondere durch ein hohes Maß bewegt oder eine besondere Freude bereitet haben. an Authentizität des Kontextes einer Aufgabe charak- Dieses Potenzial von motivationalen und emotiona- terisieren. Aus diesem Grund werden in der vorlie- len Faktoren von Lernen zu nutzen, ist Ziel dieser genden Studie authentische Modellierungsaufgaben Studie. Zur Realisierung eines motivations- und emo- auf Basis eines auf allgemeine Bildung bezogenen tionsorientierten Mathematikunterrichts wird eine Rahmens eingesetzt, um die Motivation, das Inte- Intervention durchgeführt, die aufbauend auf den all- resse und die Emotionen der Lernenden positiv zu be- gemeindidaktischen Grundlagen insbesondere den einflussen und damit ein sinnstiftendes und langan- Einfluss bei der Bearbeitung von Modellierungsauf- haltendes Lernen zu ermöglichen. gaben thematisiert. Die Ergebnisse deuten darauf Im Folgenden wird zunächst der theoretische Rah- hin, dass ein Einfluss von zukunftsorientierten Mo- men in Bezug auf bildungsbezogene Aufgaben mit dellierungsaufgaben insbesondere zum Interesse be- einem Fokus auf ein fachdidaktisches Verständnis steht. von Modellierungsaufgaben dargestellt. Die Aus- wahl der hier untersuchten Kontextvariablen wird in Abstract: Learning is not all about cognitive pro- Bezug auf ihre Bedeutsamkeit beschrieben. Die Ver- cesses. The best lessons you probably had and re- bindung der fachdidaktischen Anlage mit den Kon- membered were those with moments that caught your textvariablen führt zu den Forschungsfragen dieses emotions and feelings. The main aim of this study is Beitrags. Im empirischen Teil wird neben den einge- to use potentials of motivational and emotional fac- setzten Testinstrumenten und der Stichprobe insbe- tors of learning to construct a motivational and emo- sondere der Verlauf der Intervention ausführlich dar- tional oriented mathematic lesson. This lesson is the gelegt. Der Ergebnisteil differenziert sich in einen basis for an intervention, which is based on general qualitativen und quantitativen Abschnitt zur Be- didactic principles of future-oriented problems. The schreibung der Ergebnisse. Der qualitative Teil ent- results suggest that future-oriented education has an hält die von den Lernenden verwendeten Lösungs- impact on interest for mathematics. strategien. Der quantitative Teil fokussiert die Aus- wertung der Veränderungen der Motivation, des In- 1. Einleitung teresses und der Emotionen durch die Unterrichtsin- Selten war eine junge Generation so involviert in Zu- tervention. Komplementiert werden die Ergebnisse kunftsfragen. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die durch eine Diskussion und Schlussfolgerung für die Proteste der Schülerinnen und Schüler im Rahmen Anlage und Weiterentwicklung der Studie. der ‚Fridays-for-Future‘-Bewegung. Eine Besonder- heit ist, dass Lernende aus Schulen der Sekundarstufe 2. Theoretischer Rahmen auf die Straßen gehen. Protestiert wird für Fragen der Zukunftsfähigkeit der gesellschaftlichen Praxis des 2.1 Mathematisches Modellieren Wirtschaftens und Lebens. Im Mathematikunterricht Zur Beschreibung der Übertragung der realen Welt in müssen dabei die Sorgen und die Lebenswirklichkeit die Mathematik wird der Begriff des Modellierens als Lernvoraussetzungen in die Entwicklung des Un- verwendet. Dies ist zum einen ein Prozess, der alle terrichts mit einbezogen werden. Hierbei sind insbe- Aspekte zwischen der Mathematik und der Realität sondere motivationale, interessenbezogene und emo- beschreibt (Kaiser, Blum, Borromeo Ferri & tionale Komponenten des Lernens zentrale Katego- Greefrath, 2015). Zum anderen stellt das Modellieren rien. Die prozessbezogene Kompetenz des Modellie- eine Kompetenz dar, die einen hohen Stellenwert in rens scheint dafür prädestiniert, die Probleme, insbe- den verschiedenen curricularen Vorgaben im deut- sondere jene der Zukunft, in den Mathematikunter- schen wie im internationalen Raum einnimmt (Kaiser richt zu integrieren. Hierfür werden Modellierungs- et al., 2015). aufgaben benötigt, die sich fernab von der bloßen Vermittlung stofflicher Inhalte verstehen. Diese Mo- mathematica didactica 44(2021)1, online first 1
math.did. 44(2021)1 Beim mathematischen Modellieren werden insbeson- vom Anspruch einer Bildung für die Lernenden, „die dere die Sachtexte, Sachprobleme und die Vermitt- es ihnen ermöglicht, ihre zukünftige Lebenspraxis lung zwischen realer und mathematischer Welt in den selbständig zu gestalten“ und außerdem in Kontakt Fokus der Betrachtung gestellt. Typischerweise wird zu kommen mit „Themen oder Probleme[n] der die Modellierung zwischen realer Welt und mathe- Menschheit“ (Rosch, 2013, S. 225). Um einen bil- matischer Welt durch einen Kreislauf beschrieben. denden Anspruch im Mathematikunterricht zu reali- Eine mögliche Darstellung ist Abbildung 1 nach sieren, sollten Schülerinnen und Schüler nach Winter Blum und Leiß (2005) zu entnehmen. Der Modellie- (1995) drei Grunderfahrungen machen: 1) die Fähig- rungskreislauf zeigt neben den verschiedenen Situa- keit, auf spezifische Weise die Welt um uns verste- tionen bzw. Produkten auch die Prozesse, die not- hen zu lernen, 2) die innermathematische Welt in ih- wendig sind, um den Kreislauf zu durchlaufen. Die ren Gesetzmäßigkeiten und Zugängen zu begreifen Darstellung zeigt deutlich, dass die Modellierung und zu erlernen und 3) die Fähigkeit des Problemlö- komplexe Prozesse von den Lernenden verlangt und sens. Im aktuellen mathematikdidaktischen Diskurs dies insbesondere, wenn die Real-Situationen selbst sind zentrale Begriffe einer mathematischen Grund- ein komplexes Problem in gegebenenfalls ebenfalls bildung stets an eine mathematical literacy und eine komplexen Texten darstellen. Für die erste Phase Kompetenzorientierung geknüpft (Kleine, 2012). Im müssen Verstehens- und Strukturierungsfähigkeiten Fokus steht hier die anwendungsorientierte Verwen- verwendet werden, um zu mathematisieren. Das in- dung von mathematischen Gegenständen im Kontext nermathematische Arbeiten ist als Kompetenz dabei des Alltags. In modernen Diskussionen zu den The- deutlich von den zuvor gefragten Kompetenzen zu menfeldern ‚Kompetenzen und Performanz‘ werden unterscheiden. Die mathematischen Ergebnisse müs- zunehmend das Bildungsprodukt fokussiert und da- sen im letzten Schritt auf die reale Welt rückbezogen bei die mit mathematischen Handlungen verbunde- werden und das Ergebnis der Mathematisierung muss nen Bildungsprozesse eher vernachlässigt (Vohns, validiert werden. So entsteht ein vielschichtiger Be- 2013). Die Kritik von Gellert und Jablonka (2008) an reich unterschiedlicher Kompetenzen. einem produkt-fixierten Unterricht wird exempla- risch an der Entwicklung von Technologien und der Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit Technologien diskutiert. Hingegen forciert eine prozessorientierte Bildung die Orientierung nach ei- nem sinnstiftenden und langfristigen und damit in- korporierenden Lernen. Das Konzept der Allgemein- bildung ist in Abbildung 2 dargestellt und orientiert sich an der Begriffsbeschreibung von Klafki (2007) (Klafki, 2007; Meyer & Meyer, 2007). Grundlegend Abb. 1: Prozess der Modellierung nach Blum und Leiß ist darin eine Unterscheidung zwischen materialer (2005) und formaler Bildung. Allgemeinbildung wird als Teil materialer Bildung verstanden, dies im Kontext Eine bedeutsame Eigenschaft von Modellierungsauf- von allgemeinen Schlüsselproblemen. gaben ist Authentizität. Niss (1992) definiert authen- tische Aufgaben als diejenigen, die als relevant für Allgemeinbildung bedeutet in dieser Hinsicht, ein ge- die im Fachgebiet/Problemfeld Arbeitenden akzep- schichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen tiert werden und die eine Relevanz im Allgemeinen Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar aufweisen. Durch Authentizität wird eine Aufgabe – der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverant- wortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Be- für Schülerinnen und Schüler glaubwürdig und rea- reitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkür- listisch. Es gibt ihnen außerdem den Bezug zur Rea- zend kann man von der Konzentration auf epochaltypi- lität der Mathematik, obwohl sie die Anwendungen sche Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und der eventuell (noch) nicht benötigen (Greefrath, Kaiser, vermutlichen Zukunft sprechen (Klafki, 2007, S. 56) Blum & Ferri Borromeo, 2013). Trotzdem sind au- thentische Modellierungsaufgaben relevant, da Schü- Klafki (2007) leitet diese epochaltypischen Schlüs- lerinnen und Schüler die Macht des mathematischen selprobleme aus seiner Beschreibung von Bildung Modellierens, also das Verstehen und das Lösen rea- ab. Diese beschreibt er auf drei qualitativen Ebenen. ler Fragen, erleben können (Kaiser & Schwarz, Die erste Dimension ist die im Bereich der Selbstbe- 2010). stimmungsfähigkeit im sozialen Raum aus individu- eller und gemeinschaftlicher Perspektive. Die zweite 2.2 Bildungsbezogene Aufgaben ist die der Möglichkeit der Partizipation. Die letzte Dimension ist die der Solidarisierung, d. h. einer re- Mathematikunterricht hat wie jeder andere stets einen flexiven Haltung unter Einbezug des Wechselspiels Bildungsauftrag. Rosch (2013) spricht dabei explizit 2
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine Objektiver (materialer) Teil Allgemeinbildung Fachunterricht, I m M edium des mit polarer Bezogen auf die Allgemeinen Ergänzung durch gesellschaftlichen (=Schlüsselprobleme): Anforderungen • Frieden • Gerechtigkeit, z.B. bezüglich der Arbeit und der Arbeitsverteilung • Umwelt/Ökologieprobleme • Kommunikations- und Informationstechnologien • Ich und Du, Mitmenschen Entwicklung des I ndividuums mit der • Fähigkeit zur Selbstbestimmung/Kritikfähigkeit, • Fähigkeit zur Mitbestimmung • Fähigkeit zur Empathie, Solidarität. Moralität Subjektiver (formaler) Teil Abb. 2: Allgemeinbildungskonzept in Anlehnung an Klafki nach Meyer und Meyer (2007) zwischen den ersten zwei Dimensionen (Meyer & Kompetenz des Modellierens und der assoziierten Meyer, 2007). Kompetenzen, sondern die Mathematisierung des Diskurses, unabhängig von individuellen Meinun- Jedoch zeigen sich zwischen bildungsbezogenen Er- gen. Die objektive Argumentation und das Sich- wartungen und dem Alltag im Unterricht deutliche nicht-Gemeinmachen mit der Argumentation ist Ba- Diskrepanzen. Alltagsbezüge, die außerhalb eines sis der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit konstruierten Rahmens im Mathematikunterricht Themen und Problematiken des Zusammenlebens. vorkommen, werden nur in Ansätzen behandelt (Rosch, 2013). Häufig fokussiert der Mathematikun- Von besonderer Relevanz sind für den Mathematik- terricht inhaltliche Fähigkeiten, bei denen prozessbe- unterricht die Gefahren und Möglichkeiten der neuen zogene Kompetenzen über methodische Geschicke in technischen Steuerungs-, Informations- und Kommu- das inhaltliche Lernen integriert werden. nikationsmedien, beispielsweise im Bereich der Da- tenwirtschaft (Meyer & Meyer, 2007). Hier können An Möglichkeiten, bildungsbezogene Inhalte in den über die Grundkenntnisse von Daten und Datenma- Mathematikunterricht zu integrieren, mangelt es nagement auch Fragen assoziiert werden, die den nicht. So zeigt sich das im ersten Abschnitt des The- Umgang mit den eigenen Daten in Sozialnetzwerken orieteils beschriebene Modellieren als sinnvolle betreffen. Außerdem ist das Thema ‚Umwelt‘ von be- Möglichkeit, sich aus „Routiniertheit und Verfahren- sonderem Interesse (Meyer & Meyer, 2007): Fragen sorientierung [im Mathematikunterricht] herauszulö- über fossile und regenerative Verbräuche von Ener- sen“ (Vohns, 2013, S. 330). Vohns (2013) betont da- gie und die Möglichkeit, fossile Energieträger zu bei die individuelle Erfahrungswelt des Subjekts als kompensieren. Daneben sind Fragen der Mobilität zentrales Element bei der Beantwortung eines in der und des Ressourcenverbrauchs naheliegend, die über Aufgabe gestalteten Problems. Damit steht die Prob- mathematische Modellierung auf einer argumentati- lemlösefähigkeit im Fokus, die laut Fischer (2013) im ven Basis im Klassenplenum diskutiert werden kön- Mathematikunterricht zwar Gegenstand ist, aber sel- nen. Dies schult Kompetenzen, besonders im Bereich ten Probleme innerhalb der nachschulischen Praxis von Medien. Ein weiteres Problem ist die gesell- löst. Aus dieser Perspektive dienen Modellierungs- schaftlich erzeugte Ungleichheit als eine humanethi- aufgaben, die nach bildungsbezogenen Gesichts- sche Fragestellung. Hier können Problematiken mo- punkten konstruiert sind, dazu, die Emanzipativität delliert werden, die über die Produktion von Klei- und Partizipativität des Subjekts zu stärken, auf Basis dungsstücken oder Lohngerechtigkeit, immer im mathematischer Problemlösefähigkeiten, die direkt Sinne des Modellierungskreislaufs, rückbezogen auf die nachschulische Lebenswirklichkeit der Ler- sind, was eine direkte Verbindung der Mathematisie- nenden fokussiert. Dabei wird durch das Modellieren rung mit der Lebenswirklichkeit der Lernenden dar- die Ebene der argumentativen Basis objektiviert. Ler- stellt. Dabei lassen sich Aufgaben, die die zukünftige nende lernen durch das Modellieren nicht nur die 3
math.did. 44(2021)1 Lebenspraxis der Lernenden thematisieren, als be- berg, 2010). In der Literatur wird zwischen intrinsi- sonders authentische Aufgaben interpretieren. scher und extrinsischer Motivation differenziert (Schiefele & Streblow, 2006; Wigfield et al., 2008). Diese Beispiele sollen das Potenzial von Aufgaben Intrinsisch motivierte Lernende führen Handlungen aufzeigen, die grundlegend bildungsbezogen kon- zur Steigerung der eigenen Erlebnisqualität durch. struiert sind. In den gegebenen Beispielen können Dies kann auf einer tätigkeitszentrierten oder gegen- viele Argumentationen über eine mathematische Mo- standszentrierten Ebene stattfinden. Es bedeutet dem- dellierung in einen Zustand versetzt werden, über die entsprechend, dass die zu erreichenden Zielzustände dann zukunftsbezogen diskutiert werden kann. Ne- in der Handlung selbst liegen. Extrinsisch motivierte ben allgemeingültigen Prinzipien stellt sich die Handlungen sind instrumentelle Handlungen, mit de- Frage, ob sich der Einbezug von kritischen und bil- nen das Ziel verfolgt wird, positive Konsequenzen dungsbezogenen Grundlagen auf die Qualität von aus der Aktivität zu ziehen, so beispielsweise das Lob Unterricht messbar auswirkt, sowohl auf die Leis- von Lehrkräften und Eltern oder die Belohnung tungsentwicklung als auch auf nicht kognitive Merk- durch Geschenke, aber auch die Vermeidung von ne- male. Dabei steht in der vorliegenden Arbeit die Un- gativen Konsequenzen. Dabei sollte die intrinsische tersuchung nicht kognitiver Schülermerkmale im und extrinsische Motivation nicht bipolar betrachtet Zentrum des Interesses. werden. Vielmehr fungieren beide Konstrukte in ei- 2.3 Motivation, Interesse und Emotionen nem Kontinuum, das sich je nach unterschiedlichen situativen Voraussetzungen in anderer Weise aus- Mathematische Leistungen werden zu einem erhebli- prägt (Wigfield et al., 2008). Für die Entwicklung chen Teil durch kognitive Faktoren bestimmt. Neben motivationaler Komponenten im schulischen Lernen fachspezifischen Faktoren wie Vorwissen, mathema- ist es sinnvoll, das allgemeine Konstrukt der Motiva- tischen Kompetenzen und Strategienutzungen sind tion spezifisch für das Lernen zu betrachten und von auch überfachliche Anforderungen, wie sprachliche Lernmotivation zu sprechen. Hierunter wird „die Be- Darbietung bzw. Darlegungen, Faktoren für den reitschaft der Person, bestimmte Aktivitäten vor- Lernerfolg. Daneben beeinflussen affektive und mo- nehmlich deshalb auszuführen, weil sie sich davon tivationale Merkmale das Lernen von mathemati- einen Lernzuwachs verspricht“ verstanden (Rhein- schen Inhalten (Götz et al., 2004; Pekrun et al., 2006). berg, 2002, S. 309). Dabei ist es zielführend, für die Dies impliziert für ein erfolgreiches Unterrichtsset- Betrachtung von Förderungsmöglichkeiten, insbe- ting nicht nur eine fachliche Fokussierung, sondern sondere die intrinsische Lernmotivation als Kernele- auch eine auf nicht kognitive Schülermerkmale ment zu analysieren, da es sich hierbei um „die Be- (Schukajlow, Rakoczy & Pekrun, 2017). Dabei sollte reitschaft eines Menschen [handelt], sich aktiv, mehr von einer Generalisierung des Effekts motivationaler oder weniger dauerhaft und wirkungsvoll mit be- und emotionaler Komponenten abgesehen werden stimmten Inhaltsbereichen zu befassen, um Wissen und jene spezifischen Rahmenbedingungen sollten aufzubauen und die eigenen Fertigkeiten zu verbes- analysiert werden, bei denen von einer Förderung der sern“ (Müller, 2006, S. 49). Es ist auch dann von Komponenten gesprochen werden kann (Schiefele & intrinsischer Motivation auszugehen, wenn der Lern- Streblow, 2006). Im Folgenden sollen die hier unter- gegenstand von außen an die Person herangetragen suchten Kontextfaktoren betrachtet werden. wird. Entscheidend ist dabei, dass die „Lernaktivität Motivation Hierbei zeigen sich in bisherigen Studien als selbstbestimmt erlebt wird, weil man sich mit dem zum Teil nur geringe korrelative Abhängigkeiten Lerngegenstand identifiziert“ (Rheinberg, 2010, S. zum Lernerfolg. Die Bedeutsamkeit liegt jedoch bei 335). Die intrinsische Lernmotivation ist aus mathe- unterschiedlich motivierten Lernenden im Wahlver- matikdidaktischer Perspektive auch deshalb bedeu- halten im Verlauf ihrer Bildungsbiografie (Wigfield, tend, da sich darunter absichtsvolles und zielorien- Eccles, Roeser & Schiefele, 2008). Diese empiri- tiertes Lernen unter eigener Aktivität subsummieren schen Erkenntnisse stützt das Grundmodell der klas- lässt (Müller, 2006). Dies eröffnet didaktische Poten- sischen Motivationspsychologie, in der die wechsel- ziale zur Konstruktion von Lehr- und Lernarrange- seitige Beziehung zwischen Person mit individuel- ments, die das nachhaltige und sinnstiftende Lernen lem Motiv und Situation als potentieller Anreizgeber ermöglichen. als aktuelle Motivation verstanden wird, die zu einem Interesse Oftmals wird das Konstrukt ‚Interesse‘ ana- spezifischen Verhalten führt (Rheinberg, Vollmeyer log zum Begriff der intrinsischen Lernmotivation & Burns, 2000). Motivation wird in Anlehnung an verwendet. Zur Abgrenzung definieren es Schiefele, Rheinberg (2004, S. 17) als die „aktivierende Aus- Köller und Schaffner (2018) insbesondere über den richtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen Gegenstandsbezug. So kann Interesse als gegen- positiven bewerteten Zielzustand“ definiert (Rhein- standzentrierte intrinsische Motivation verstanden 4
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine werden. Es wird definiert als eine Person-Gegen- ‚Catch-und-Hold-Komponente‘, ‚Basic Needs‘ so- stand-Relation, in der es an einen Gegenstand auf wie ‚Nichtinteresse‘ ergänzt (Deci & Ryan, 1993; A. globaler und lokaler Ebene beschrieben und auf kur- Kleine & Vogt, 2003; Krapp, 1998; Upmeier zu Bel- zer oder langer zeitlicher Skala betrachtet werden zen & Vogt, 2001). Zwei Aspekte sind hervorzuhe- kann. Im Gegensatz zu erwartungswert-theoretischen ben. Einerseits ist der Einbezug der Catch-und-Hold- Ansätzen bedeutet die Person-Gegenstand-Theorie, Komponente bedeutend, d. h. die Überlegung, wie dass Interesse nicht allein durch Anreizqualitäten er- Interesse erzeugt und gefestigt werden kann, da damit zeugt wird, sondern dass diese von Entwicklungs- eine inhärente Anforderung für die didaktische Kon- und Persönlichkeitsaspekten begleitet werden, wie struktion für Lernumgebungen entsteht. Dieser As- beispielsweise Empfindungen (Krapp, 1999). Krapp pekt führt dazu, dass die Erzeugung von Interesse zu (1992) konstruiert ein analytisches Konzept der Ge- einem genuinen Bestandteil der mathematikdidakti- nese von Interesse. Dabei sind zwei Ebenen zu unter- schen Forschung wird. Außerdem wird das Modell scheiden. Die erste betrifft die Merkmale einer Per- wie bereits bei Krapp (1998) um die psychologischen son, die definiert sind als das individuelle Interesse. Grundbedürfnisse, angelehnt an die Selbstbestim- Die zweite Ebene richtet sich auf die anderen Merk- mungstheorie nach Deci und Ryan (1993), ergänzt. male der Lernumgebung, die sich auf deren Interes- Die ‚Basic Needs‘ umfassen dabei die soziale Einge- santheit beziehen. Auf Basis einer Interessenhand- bundenheit, Autonomie und das Kompetenzerleben lung kommt es zu einer wechselseitigen Beeinflus- der Lernenden (Deci & Ryan, 1993). Für eine inte- sung des individuellen und des spezifischen situatio- ressenförderliche Lernumgebung sind damit ver- nellen Interesses. Hierbei wird ersteres im Kontext schiedene Voraussetzungen zu erfüllen, die über me- der Interessenhandlung aufgrund der Interessantheit thodische und didaktische Planung zu realisieren der Lernumgebung aktualisiert. Für die Beziehung sind. zwischen aktualisiertem und situationalem Interesse Emotionen. Ergänzend zur Motivation und zum Inte- wird theoretisch vorausgesetzt, dass die Interessen- resse sind lernemotionale Merkmale von Lernenden handlung direkte und indirekte Auswirkungen auf weitere Hintergrundfaktoren für das Lernen mathe- das Lernen zeigt (Krapp, 1992; Müller, 2006). Eine matischer Inhalte. Nach Pekrun (2006) werden Emo- für didaktische Zwecke sinnvolle Ergänzung des In- tionen als koordinierte Mehrkomponentenprozesse teressenmodells nach Krapp (1992) stammt aus der psychologischer Subsysteme angesehen, die sowohl Biologiedidaktik. Vogt (2007) entwickelte auf affektive, kognitive, motivationale, expressive und Grundlage der Personen-Gegenstands-Theorie das in periphere psychologische Prozesse einschließen. Die Abbildung 3 dargestellte Zusammenhangsmodell des Kontroll-Wert-Theorie enthält Definitionen zu unter- Interesses und Nichtinteresse. schiedlichen Emotionen auf drei Ebenen (Pekrun, 2006). In Bezug auf Lernerfolg zeigen unterschiedli- che Studien gerade auch im fachspezifischen Zusam- menhang zur Mathematik die Relevanz der Emotio- nen ‚Freude‘, ‚Angst‘, ‚Ärger‘ und ‚Langeweile‘ als Teilaspekte (Ahmed, Kuyper, van der Werf & Min- naert, 2013; Carmichael, Callingham & Watt, 2017; Götz et al., 2004; Knollmann & Wild, 2007; Schuka- jlow, Blum, Pekrun, Leiß & Müller, 2009; Schuka- jlow et al., 2017). Ahmed et al. (2013) bei 495 Schü- lerinnen und Schülern über drei Erhebungszeiträume, dass Freude und Stolz bezüglich Mathematik im Laufe ihrer Studie sinken, während Langeweile an- steigt. Damit reproduzieren sie Ergebnisse von Pekrun et al. (2006), die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind, sodass die Annahme besteht, dass diese Emotionen auch im Bereich Mathematik zent- ral für Motivationsbildung und Strategien des Prob- lemlösens und damit für die Lern- und Leistungsent- Abb. 3: Relationales Zusammenhangsmodell des Interes- sen- und Nichtinteressenkonstruktes (Vogt, wicklung sind. Zur Förderung und Veränderung der 2007). motivationalen und emotionalen Basis zeigen Stu- dien, dass die Konstrukte sich durch didaktische Vogt (2007) ergänzt das Modell der Interessengenese Maßnahmen beeinflussen lassen. So ergibt eine di- um Aspekte der in der Interessentheorie diskutierten vergente methodische Unterrichtsgestaltung eine Zu- Begriffe. So werden die Begriffe ‚Indifferenz‘, die 5
math.did. 44(2021)1 nahme auf Schüleremotionen und Schülerinnenemo- tischen Aufbereitung eines zukunftsbezogenen Sach- tionen wie Freude und eine Abnahme von Ärger und verhaltes in Modellierungsaufgaben einen positiven Langeweile (Bieg et al., 2017). Außerdem ergeben Einfluss auf die fokussierten Kontextvariablen hat. sich für den Mathematikunterricht unterschiedliche Grundlage sind dabei insbesondere die in der Theorie Einflüsse von affektiven und motivationalen Merk- beschriebenen Facetten der Genese der intrinsischen malen von Lernenden durch geschlossene oder of- Motivation und des Interesses, die sich als didaktisch fene Aufgabenformate. Hieraus sind Potenziale der und methodisch beeinflussbar darstellen. Durch die positiven Beeinflussung von Lernenden durch eine Konstruktion von Modellierungsaufgaben auf innovative Unterrichtsentwicklung ableitbar (Pekrun Grundlage von bildungsbezogenen Inhalten kommt et al., 2006). Neben den genannten Aspekten zeigen es im Sinne der intrinsischen Motivationstheorie zu sich ebenfalls für die Entwicklung des Interesses einer direkten Identifizierung mit dem Lerngegen- Veränderungspotenziale durch die Konzeption unter- stand; dies insbesondere aufgrund der Fokussierung schiedlicher didaktischer Angebote (Rheinberg, auf Problemlösefähigkeiten in der nachschulischen 2002; Waldis, 2012). Lebenswirklichkeit. Für das Interesse lassen sich die Problematisierung als Catch-Komponenten verste- Während der Einfluss von Lernmotivation, Interesse hen und die Identifizierung, Beschreibung und Dis- und Emotionen relativ umfassend beforscht ist, kussion als Hold-Komponente formulieren. wurde die empirische Untersuchung im Rahmen des Einflusses unterschiedlicher mathematischer Kom- Das Ziel der ersten Phase ist es, relevante motivatio- petenzen sowohl auf prozessbezogener als auch auf nale und emotionale Komponenten zu erfassen, die inhaltsbezogener Ebene bisher vernachlässigt. Durch sich als sensitiv gegenüber einer Intervention mit die nicht zu generalisierenden Ergebnisse des Ein- Modellierungsaufgaben darstellen. Damit soll festge- flusses von Lernmotivationen, Interesse und Emotio- stellt werden, auf welchen Skalen ein Einfluss des nen, die sich je nach Kontext unterschiedlich gestal- Unterrichtsettings zu verzeichnen ist, um aufbauend ten, stellt sich die Frage, inwieweit ein bildungsbezo- die Hauptstudie nur mit besonders relevanten Skalen genes Aufgabensetting im dargelegten Verständnis weiterzuführen. Außerdem werden die Indizien der zur Beeinflussung der Motivation, des Interesses und Pilotierung verwendet, um das theoretische Modell der Emotionen beitragen kann. Damit ist das For- zu konkretisieren und weiter aufzubauen. schungsfeld umschrieben, das in der vorliegenden Die Fragestellung, die sich für diese Studie ableitet, Studie bearbeitet werden soll. Insbesondere ist das ist: Welchen Einfluss haben allgemeinbildende Mo- Ziel, den Blick von Modellierungsaufgaben als au- dellierungsaufgaben auf die Motivation, das Interesse thentische Aufgaben zu erweitern und diese im Hin- und die Emotionen von Lernenden? Daraus können blick auf den allgemeinbildenden Gehalt zu betrach- folgende sekundäre Forschungsfragen abgeleitet ten. Diese Fokusverschiebung dient der Observie- werden: 1) Welche Möglichkeiten der Förderung er- rung von Aufgaben und deren Subjektbezug. Sie soll- geben sich aufgrund des Problematisierungsgehaltes ten eine Relevanz für die nachschulische Praxis auf- der Aufgabe für das fachliche Interesse und die weisen. intrinsische Motivation? 2) Wie werden die mit Lern- Unter dem allgemeinbildenden Aspekt der Modellie- motivation und Interesse verbundenen emotionalen rungsaufgaben wird somit auch sinnstiftendes und Aspekte beeinflusst? langanhaltendes Lernen verstanden, was hier mit den Zielsetzung dieses Beitrags ist die Feststellung und Konstrukten ‚Motivation‘, ‚Interesse‘ und ‚Emotio- Beschreibung von relevanten Skalen, die sich als be- nen‘ in Verbindung gebracht werden soll. Die Bezie- einflussbar gegenüber der in der Studie angestrebten hung zwischen allgemeinbildenden Modellierungs- Intervention darstellen. aufgaben und motivationalen und emotionalen Schü- lermerkmalen ist ein weiteres Ziel der Studie und der 4. Methode anschließenden Forschungsfragen. 4.1 Stichprobe 3. Fragestellung Die Untersuchung wurde an zwei Schulen im Biele- In der Studie soll untersucht werden, welche Wirkun- felder Umland durchgeführt, die aufgrund einer Pra- gen Modellierungsaufgaben, die auf Basis eines bil- xiskooperation für die Untersuchung zugänglich war. dungsbezogenen Inhaltes konstruiert wurden, auf die An jeder Schule wurde eine Schulklasse untersucht, Motivation, das Interesse und auf Emotionen der Ler- wobei die Jahrgangsstufen 8 und 10 abgedeckt wur- nenden zeigen. Zwei Phasen werden umfasst. den. Beide Schulklassen hatten im vorangegangenen Die zugrunde liegende Hypothese wird verfolgt, wo- Unterricht das Thema ‚proportionale Zusammen- nach die Unterrichtsintervention aufgrund der didak- hänge‘ thematisiert. In den Schulklassen nahmen ins- 6
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine gesamt N= 43 Schülerinnen und Schüler an der Inter- Ärger: Im Mathematikunterricht bin ich genervt. vention teil. Nach der Datenaufbereitung reduzierte Langeweile: Schon beim Gedanken daran, dass sich der Stichprobenumfang durch Ausfälle auf N = ich Hausaufgaben in Mathe machen muss, lang- 36 Schülerinnen und Schüler (w=24, m=12). Die 10. weile ich mich. Klasse besuchten N=19 Schülerinnen und Schüler und N=17 aus der 8. Klasse. Das durchschnittliche Die Kodierung erfolgte mit einer fünfstufigen Likert- Alter der Lernenden lag bei 14,58 Jahren (SD=1,16). Skala mit den Ausprägungen: stimmt gar nicht (1), Das durchschnittliche Alter der Schülerinnen und stimmt nicht (2), weder noch (3), stimmt (4), stimmt Schüler der zehnten Klasse betrug 15,54 Jahre genau (5). (SD=0,67), das der Schülerinnen und Schüler der Des Weiteren wurde ein personenbezogener Frage- achten Klasse lag bei 13,57 Jahren (SD=0,51). Der bogen ausgeteilt, um schulische, demografische und soziökonomische Status, operationalisiert durch An- soziale Grundinformationen über die Probanden zu gabe der Anzahl der im Haushalt vorhandenen Bü- erhalten. Diese werden für die Auswertung von cher, wurde von den Schülern mit 3,28 (SD=1,07) an- Gruppenunterschieden verwendet. gegeben, wobei keine Bücher mit einem und mehr als zweihundert Büchern mit 5 kodiert wurde. Es beste- Ziel dabei ist die Selektion von Konstrukten, die sig- hen keine relevanten Unterschiede bezüglich des so- nifikant auf die Intervention reagieren und eine mitt- zioökonomischen Status‘ zwischen den beiden Jahr- lere bis hohe Effektstärke vorweisen können. gangsstufen. Die durchschnittliche Note der letzten Klassenarbeit in Mathematik lag bei den Schülerin- 4.3 Konzeption der Untersuchung nen und Schülern der 10. Klasse bei 2,53 (SD=0,95); Im Mittelpunkt der fachdidaktischen Modellierung bei Lernenden der 8. Klasse bei 2,74 (SD=0,73). steht die Idee der Linearisierung komplexer Prob- Noch deutlichere Unterschiede in den mathemati- leme. Diese wird in verschiedenen Anwendungsfel- schen Leistungen zeigen sich bei der durchschnittli- der für die Mathematik verwendet, wie in der Physik chen Note der letzten Klassenarbeit in Mathematik. oder der Statistik. Ein Beispiel für eine lineare Sicht- Diese lag bei den Lernenden der 10. Klasse bei 2,90 weise auf einen mathematischen Gegenstand ist die (SD=1,26) und bei den Lernenden der 8. Klasse bei Betrachtung der Ableitung als eine lokale Linearisie- 3,68 (SD=1,20). Damit ergibt sich für die Note in der rung (Greefrath, Oldenburg, Siller, Ulm & Weigand, letzten Mathematikarbeit ein Notenunterschied von 2016). Für die Sekundarstufe I scheint diese Art der durchschnittlich 0,78 Notenpunkten. Dies bestätigt Mathematisierung interessant zu sein, so beispiels- die Annahme, dass die 10. Klasse im Durchschnitt weise lineare Approximationen im Bereich der Pro- eine höhere Leistung im Mathematikunterricht er- portionalität wie dem mittleren Verbrauch von bringt. PKWs. Hier wird approximativ der Mittelwert des Verbrauchs auf einer bestimmten gefahrenen Strecke 4.2 Erhobene Konstrukte verwendet, um damit über angenommene proportio- Entsprechend der Konzeption der Studie wurden die nale Zusammenhänge gestellte Probleme zu lösen. Kontextvariablen erhoben. Hierfür wurden die Frage- Eine prototypische mathematische Sachaufgabe wäre bögen von Pekrun et al. (2006) verwendet. Für die beispielsweise, die Angabe des Durchschnittsver- Pilotierung wird die Veränderung der Intervention an brauchs eines Fahrzeugs auf 100 km, der Angabe der den folgenden sechs Skalen untersucht: Größe des Tanks und der Frage, wie weit das Fahr- zeug mit vollem Tank fahren kann, ohne noch einmal Interesse (8)1, Motivation (5), Freude (8), Angst (9), aufzutanken. Ärger (6) und Langeweile (6). Für alle Skalen wurde eine gute bis sehr gute Reliabilitätswerte (Interesse α Aus dieser Perspektive hat das funktionale Denken = 0,81, Motivation α = 0,85, Freude α = 0,89, Angst einen hohen Stellenwert dabei, authentische Kon- α = 0,92, Ärger α = 0,92, Langeweile α = 0,93). texte mit Realbezug herzustellen, und es bieten sich unterschiedliche inhaltliche Ausprägungen dafür an. Beispielitems für die einzelnen Konstrukte: Aufgrund dessen ist es im Sinne einer mathemati- Interesse: Was wir in Mathematik lernen, inte- schen Grundbildung elementar, dass Lernende den ressiert mich. Umgang funktionaler Zusammenhänge im realen Kontext erfahren und dafür die nötigen Grundvorstel- Motivation: In Mathematik tue ich etwas, weil lungen aufbauen und festigen (Greefrath et al., 2016). ich gute Noten bekommen möchte. Im Unterrichtssetting wird die Entwicklung der Mo- Freude: Ich freue mich auf die Mathe-Stunde. bilität von morgen entwickelt. Der Fokus liegt dabei Angst: Wenn ich an den Mathematikunterricht auf der Technik der Elektromobilität und den Akkus. denke, bin ich beunruhigt. Insbesondere soll thematisiert werden, welche Fol- gen diese technische Lösung generiert. Zusätzlich 7
math.did. 44(2021)1 soll auch die Entwicklung der Batterietechnik durch und das Kompetenzerleben der Lernenden stärken. ein Diagramm dargestellt werden. Die Lernenden Damit es zu einem zielgerichteten Vorgehen kommt sollten im Unterricht dabei in der ersten Phase Prob- und die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe nicht leme der aktuellen Mobilität kennenlernen. Hierfür als zu komplex wahrnehmen, wurden Hilfekarten wurden Fotos von Städten in Smog und Zeitungsarti- vorbereitet, die sie verwenden konnten. kel über die Dieselproblematik präsentiert, wie in Abbildung 4 beispielhaft illustriert. Dieser Unter- richtseinstieg diente insbesondere der Bewusstma- chung des Problems der Umweltverschmutzung und gesundheitlichen Gefährdung durch den Individual- verkehr. Abb. 4: Beispielfoto für den Unterrichtseinstieg.2 Hierauf aufbauend wurden das Elektroauto als poten- Abb. 5: Beispiel für eine Abbildung eines Elektroautos zur zielle technische Lösung für die lokale Umweltver- Gewinnung notwendiger Daten für die Berech- nung.3 schmutzung vorgestellt und anschließend die nach- folgende Aufgabe bearbeitet. Interventionseinstieg und erste Aufgabe des Schüler- bogens: Akkus und Batterien speichern Energie. Oft wird bei Elektroautos ein Wert in Wattstunden (Wh) bzw. Kilowattstunden (kWh) angegeben. Aufgabe 1: In Abbildung 2 (Seite 5) siehst du 3 verschiedene Akkus von unterschiedlichen Smartphones und in Abbildung 1 (Seite 4) siehst du 3 unterschiedliche Autotypen von Elektroautos. a) Berechne, wie viele Smartphone-Akku-La- dungen du benötigst, um eines der Elektro- fahrzeuge vollständig zu laden (runde die Zahlen auf oder ab!) b) Berechne, wie viele Smartphone-Akku-La- dungen du benötigst, um 100 km zu fahren (runde die Zahlen auf oder ab!). Abb. 6: Beispiel für einen Smartphone-Akku zur Gewin- nung der Daten für die Berechnung.4 Die Lernenden sollten proportionale Zusammen- hänge zwischen kWh und der Reichweite des Fahr- In der darauffolgenden Phase sollten die Lernenden zeuges und gegebenenfalls weitere proportionale Zu- einen neuen und einen alten Smartphone-Akku in ei- sammenhänge entdecken, die sie über verschiedene nem Diagramm vergleichen, wie nachfolgend prä- Abbildungen ableiten sollten. sentiert und in Abbildung 7 dargestellt wird. Eine Herausforderung dabei ist, dass die Lernenden Aufgabe 2 der Intervention zum grafischen Vergleich die Daten zur Berechnung selbst recherchieren, wie eines alten und neuen Smartphone-Akkus: in Abbildung 5 und Abbildung 6 exemplarisch dar- Ein alter Handy-Akku hat eine Leistung von ca. gestellt wird. Dieses Vorgehen sollte das selbststän- 0,003 kWh. Ein neues Smartphone hat eine Leis- dige Recherchieren simulieren und die Autonomie tung von ca. 0,010 kWh. 8
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine Die untenstehende Grafik zeigt, wie viele Akkus Vorstudiendesign eines älteren Handys im Vergleich zu einem neuen Smartphone für den Betrieb eines Elektro- Studienbeginn Gruppe 1 Gruppe 2 fahrzeugs benötigt werden. Dez 18 a) Erkläre die untenstehende Grafik. Dezember Dezember b) Beschreibe die Bedeutung der technischen Prätest Entwicklung von Akkus für zukünftige Elektroautos. Jahreswechsel Unterrichts- Januar Januar intervention in beiden Gruppen Posttest Abb. 8: Studiendesign für die Interventionsstudie Batterie (alt) Abbildung 8 stellt das grundlegende Forschungsdes- ign dieser Interventionsstudie dar. Aufgrund der zeit- Batterie (neu) lichen Vorgaben musste die Intervention in einer Un- terrichtsstunde durchgeführt werden. Außerdem Abb. 7: Grafik der Aufgabe 2 wurde keine Kontrollgruppe verwendet, da es nicht Aufgrund der technischen Weiterentwicklung bieten das Ziel der Vorstudie war, kausale Schlussfolgerun- neue Akkus eine höhere Leistung, damit werden in gen zu ziehen, sondern die Ergebnisse dieser Inter- der Summe hypothetisch auch weniger für den Be- ventionsstudie zu verwenden, um das Design für eine trieb eines Elektrofahrzeuges benötigt. Die Aufgabe sich anschließende Hauptstudie zu schärfen. Für dient dazu, diese Aspekte festzustellen und zu disku- diese ist eine Kontrollgruppe geplant. tieren, zum Beispiel unter der Fragestellung, inwie- weit eine solche technische Weiterentwicklung fort- 5. Ergebnisse geführt werden kann. 5.1 Dokumentation von Aufgabenlösungen In der abschließenden Aufgabe zur Intervention dis- kutierten die Lernenden den Materialverbrauch von Um den Einfluss der Intervention auf die Motivation, Akkus. das Interesse und die Emotionen zu untersuchen, sol- len zunächst Aufgabenlösungen dokumentiert und im Letzter Aufgabenteil der Intervention zur Integration Hinblick auf den bildungstheoretischen Teil dieser der gewonnen Erkenntnisse der vorherigen Modellie- Studie eingeordnet werden. rung: Bei der Bearbeitung der Aufgaben wurden häufig a) Im Vergleich zu normalen Benzin- und Die- Angaben markiert, insbesondere vermeintlich unbe- selmotoren entstehen bei Elektrofahrzeugen kannte Einheiten wie kWh bzw. Wh. Die Markierung keine Abgase durch Verbrennungsprozesse. Welche weiteren Vorteile könnten Elektro- wurde nicht als Tipp vorgeschlagen, sodass die meis- fahrzeuge haben? ten Lernenden dieses Vorgehen zum Erschließen un- bekannter Wissensbestandteile aus dem Mathematik- b) Wie in der obenstehenden Grafik zu sehen, unterricht oder anderen Settings adaptiert haben. benötigen Elektrofahrzeuge viele kleine Bat- terien für den Betrieb. Welche weiteren Beim mathematischen Vorgehen für die erste Auf- Nachteile könnten Elektrofahrzeuge haben? gabe gibt es ebenfalls eine Heterogenität an Lösun- Diese Aufgabe enthält die Aspekte ‚Technikfolgen‘ gen. Für die bearbeiteten Aufgaben lassen sich und ‚Umwelt‘, wie im Beispiel dargestellt. Ziel war grundsätzlich drei Arten von Lösungen unterschei- es, dass die Lernenden in dieser Phase die durch die den. Der erste Typ von Lernenden geht rechnerisch Modellierung gewonnenen Erkenntnisse in einen dis- vor und löst die Aufgaben durch eine Divisionsstra- kursiven Zusammenhang bringen. tegie, wie in der Schülerlösung 1 dargestellt. Das rein rechnerische Verfahren ist insbesondere für den zweiten Bearbeitungsschritt aufwendiger und ba- sierte auf einem quasi-proportionalen Vorgehen. 9
math.did. 44(2021)1 Neben der rein rechnerischen Lösung gibt es auch Ladungen Wh Lösungstypen, die sowohl rechnerische als auch pro- portionale Zusammenhänge zur Lösung nutzen, wie 1 12,76 in Schülerlösung 2 illustriert. Der dritte Typ, zu de- ∙5877,7 ∙5877,7 nen die meisten Schülerinnen und Schüler der Inter- 42947 5877,742947 75.000 42947 vention zählten, verwendet ein rein proportionales Vorgehen, um die Aufgaben zu lösen (Schülerlösung Antwort: Der Tesla bräuchte 5877,742947 Hua- 3). wei-Akku-Ladungen, damit der ‚Tank‘ voll ist bzw. das Auto aufgeladen ist. Zahl aufgerundet: Schülerlösung 1 – rein rechnerisches Vorgehen bei 5878 Akku-Ladungen. der ersten Aufgabe: 1 b) Geg.: Reichweite = 490 km 1 a) Samsung Akkuladung: 11,5 Wh Volles Auto = 5878 Handy-Ladungen Tesla Model S: 75 Wh 11,5 Wh : 1000 = 0,0115 KWh Handy- 75:0,0115 kWh km Ladungen 6521,739 5878 490 A: Man braucht ca. 6521 Akkuladungen, um das : 4,9 : 4,9 Auto vollständig aufzuladen. 1199,5 ≈ 100 1200 1 b) 490 km bei voller Ladung → 75 kWh 490: 75 = 6,53 Antwort: Für 100 km braucht man ca. 1200 Handy-Ladungen. 6,53 für 1 km Auch für die zweite Aufgabe der Intervention zeigt 6,53 ⋅ 100 = 643, 3 sich ein Spektrum an Lösungsverhalten. Bei den Ler- nenden in der Schülerlösung 4 wird das Erklären der 653, 3: 0,0115 = Grafik wortwörtlich verstanden. Die Antwort in Auf- A: Man braucht ca. 653, 3̅ Akkuladungen, um gabenteil b) lässt darauf schließen, dass der Lernende 100 km zu fahren im Bereich ‚Funktionen‘ noch kein adäquates Ver- Schülerlösung 2 – rechnerisches und proportionales ständnis der Funktion als Ganzes und der Interpreta- Vorgehen bei der ersten Aufgabe: tion von Graphen entwickelt hat. Andere Lernende interpretieren die Grafik erwartungsgemäß und kön- 1 a) Volkswagen e-Golf und Huawei: nen Ableitungen zwischen der Verwendung von Gegeben: 35,8 kWh und 12,76 Wh neuen und alten Akkus treffen (Schülerlösung 5). 12,76 : 1000 = 0,01276 kWh Schülerlösung 4 – inhaltlich schwache Aufgabenlö- 35,8 : 0,01276 = 2805,6425 kWh sung eines Lernenden für die Aufgabe 2: 2 a) Es ist in einem Koordinatensystem abgebil- Antwort: Man benötigt 1805,6425 Huawei-Bat- det mit Anzahl der Batterien bei der y-Achse und terien, um das Elektroauto vollständig aufzula- Leistung des Elektroautos auf der x-Achse. den, für eine Reichweite von 300 km. 1 b) Gegeben: Volkswagen = 300 km 2 b) Es gibt eine Gerade mit einer alten Batterie und eine mit einer neuen Batterie; und für die Zu- Km kWh kunft werden die alten Batterien mehr für die Elektroautos und die alten sind nicht so viele wie :300 300 1805,6425 :300 bei den alten. 1 9,3520 •100 •100 Schülerlösung 5 – substanzielle Beschreibung der 100 935,2142 Grafik eines Lernenden für die Aufgabe 2: Schülerlösung 3 – rein proportionales Vorgehen bei 2 a) Da die neuen Akkus eine höhere Leistung ha- der ersten Aufgabe: ben, muss man sie nicht so oft laden wie einen alten Akku, um die gleiche Leistung zu erreichen. 1 a) Geg.: Handy-Akku (Huawei) = 12,76 Wh = 0,01276 kWh 2 b) Das ist sehr wichtig, da, wenn die Akkus mehr Leistung haben, man weiter mit ihnen fah- Auto-Batterie = 75 kWh = 75.000 Wh ren kann. Positiv ist anzusehen, dass viele Schülerinnen und Schüler, die die erste Aufgabe nicht gelöst haben, 10
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine trotzdem die nachfolgenden Aufgaben bearbeitet ha- menfeld individuell realisieren können. Die Domi- ben. Insbesondere schien dabei die letzte Aufgabe, nanz rein proportionalen Vorgehens (vgl. Schülerlö- die prinzipiell kein weiteres mathematisches Vorge- sung 3) kann damit erklärt werden, dass die proporti- hen verlangte, von vielen auch leistungsschwachen onale Zuordnung in der vorangegangenen Unter- Lernenden gelöst zu werden, bei zum Teil guten Ar- richtseinheit beider Klassen der fachliche Inhalt war. gumentationen und Beschreibungen. Als besonders positiv im Hinblick auf die kommende Auswertung der Kontextvariablen ist bereits anzu- In Schülerlösung 6 ist eine Lösung eines Lernenden merken, dass Lernende selbst bei Nichtbearbeitung für die dritte Aufgabe der Intervention dargestellt. des ersten und/oder zweiten Aufgabenteils den drit- Der Lernende konnte die erste Aufgabe gar nicht und ten Aufgabenteil bearbeitet haben. Allerdings ist an- die zweite Aufgabe nur falsch lösen. Trotz dessen zumerken, dass sich in der Bearbeitung der Aufgaben zeigen sich für die letzte Aufgabe sinnvolle Argu- zum Teil gravierende mathematische Schwächen mentationsstränge. In Schülerlösung 6 ist die erste selbst bei Lernenden der 10. Klasse zeigten, die kei- Argumentation dargestellt, die vermutlich aus dem nen Lösungsansatz für die erste und zweite Aufgabe Einstieg abgeleitet wurde. Die zweite Argumentation entwickeln konnten. in Schülerlösung 6 zeigt eine andere argumentative Basis, die wahrscheinlich aus öffentlichen Diskussi- 5.2 Ergebnisse hinsichtlich des Interesses, onen bezüglich Elektromobilität stammt, da hier ex- der Lernemotionen und der Motivation plizit fossile Energieträger genannt werden. Für die Studie wurde die Hypothese angenommen, Schülerlösung 6 – Aufgabenlösung eines Lernenden dass die Bearbeitung von Modellierungsaufgaben, für den ersten Teil der dritten Aufgabe: die im Sinne des dargelegten allgemeinbildenden An- 3 a) Elektroautos haben einen Vorteil, indem die spruchs konstruiert wurden, zu positiven Einflüssen nicht nur keine Abgase machen, sondern auch auf die Erlebensweisen hinsichtlich der Motivation, keine fossilen Energietreiber benutzen. des Interesses und des emotionalen Erlebens führt. Bei der Gegenargumentation zeigt sich noch deutli- Zur Untersuchung der Unterschiedshypothese wird cher der Transfer von Vorwissen und Erfahrungen ein abhängiger t-Test verwendet, um den Stichpro- aus der Lebenswirklichkeit des Lernenden auf die benmittelwert der Skalen für die Erhebung vor und Aufgabenstellung. So ist Kerngegenstand der Gegen- nach der Intervention miteinander zu vergleichen. argumente der Bezug des Stromes (Schülerlösung 7 Zur Überprüfung von Gruppeneffekten wird zusätz- und 8). lich eine mehrfaktorielle Varianzanalyse mit Mess- wiederholung durchgeführt. Geprüft werden soll ins- Schülerlösung 7 – Aufgabenlösung eines Lernenden besondere, ob gruppenspezifischen Unterschiede für den ersten Teil der dritten Aufgabe: zwischen den Skalen existieren. 3 a) Elektroautos haben einen Vorteil, indem die Die Veränderungen zwischen Vor- und Nachtest der nicht nur keine Abgase machen, sondern auch keine fossilen Energietreiber benutzen. positiven Schülermerkmale ist in Abbildung 9 über die Box Plots der Skalen dargestellt. Dabei ist zu er- Dabei wird eine kritische Position des Lernenden kennen, dass die Intervention nur zu leichten Verän- deutlich, indem er von „anderen angeblichen um- derungen geführt hat. Entgegen den Erwartungen ist weltschützenden Energieanbieter[n]“ spricht (Schü- ein minimaler Rückgang des Durchschnitts für die lerlösung 8). auf den Skalen positiv ausgerichteten Schülermerk- Schülerlösung 8 – Aufgabenlösung eines Lernenden male ‚Interesse‘, ‚Motivation‘ und ‚Freude‘ zu erken- für den zweiten Teil der dritten Aufgabe: nen. 3 b) Ein Nachteil von Elektroautos ist, dass die In Abbildung 10 ist die Veränderung der auf den Ska- öfters viel Strom verbrauchen, weshalb der und len negativ ausgerichteten Schülermerkmale ‚Angst‘, die Frage ist woher der Strom kommt. Denn der ‚Ärger‘ und ‚Langeweile‘ über die Box Plots der Ska- Strom kann muss entweder von einem Kraftwerk len abgebildet. Für diese zeigt sich kaum eine Ände- oder von einen anderen angeblichen umwelt- rung des Skalendurchschnitts durch die Intervention. schützenden Energieanbieter. In der Tendenz ist aber eine geringe positive Ent- Insgesamt lässt sich im Hinblick auf das Potenzial der wicklung bezüglich des Mittels zu erkennen. Aufgaben darstellen, dass die Lernenden die Aufgabe auf unterschiedliche Weisen lösen konnten. Dies ist ein Indiz für die Eignung der Modellierungsaufgaben als authentisches Unterrichtssetting, sodass Schüle- rinnen und Schüler ihre Zugänglichkeit zum The- 11
math.did. 44(2021)1 Abb. 9: Veränderung der positiven gerichteten Schüler- Abb. 10: Veränderung der negativen gerichteten Schüler- merkmale ‚Interesse‘, ‚Motivation‘, ‚Freude‘ durch merkmale Angst, Ärger und Langeweile durch die die Unterrichtsintervention Unterrichtsintervention In Tabelle 1 sind die Ergebnisse des Mittelwertver- Die Unterschiede der Daten der anderen Skalen zei- gleichs dargestellt, um zu prüfen, ob sich die in Ab- gen keine signifikanten Veränderungen zwischen den bildung 9 und 10 gezeigten Veränderungen statistisch beiden Messzeitpunkten. Die Motivation verhält sich verifizieren lassen. In Anbetracht des Stichpro- unter den drei positiv assoziierten Skalen zwischen benumfangs ist zufriedenstellend, dass die positiv Vor- und Nacherhebung am stabilsten. Dies kann als ausgerichteten Schülermerkmale generell höhere theoretisch erwartungskonform interpretiert werden. Mittelwerte der Skalen aufweisen als die Skalen der Werden die Mittelwertunterschiede zwischen den negativ ausgerichteten. Im Post-Test sind ähnliche Klassen pro Messzeitpunkt beachtet, unterscheiden Tendenzen zu erkennen, jedoch führt die Reduktion sich die beiden Gruppen statistisch signifikant vonei- des Mittelwertes des Interesses dazu, dass das Kon- nander, dies für alle gemessenen Skalen (Tabelle 2). strukt ‚Langeweile‘ von den Lernenden im Mittel hö- her eingestuft wurde. Werden die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse getrennt von denen der 8. Klasse betrachtet, so ist Die Testwerte der Lernenden vor und nach der Un- eine statistisch signifikant höhere mittlere Zustim- terrichtstunde unterschieden sich nur im Bereich von mung zu den positiv gerichteten Schülermerkmalen ‚Interesse‘ bedeutsam voneinander (t[36]= 4,44, zu erkennen und eine geringere Zustimmung zu den zweiseitig, p < .001) mit einer mittleren Effektstärke negativ ausgerichteten. Die Effektstärken liegen im (Cohen’s d = 0,68 für abhängige Stichproben). mittleren bis hohen Bereich. Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 M (SD) M (SD) t p Cohen’s d Interesse 2,44 (0,66) 2,19 (0,63) 4,44 ,000 0,68 Motivation 3,39 (0,85) 3,31 (0,80) 1,11 ,272 - Freude 2,64 (0,73) 2,52 (0,75) 1,58 ,122 - Angst 2,16 (0,98) 2,05 (0,95) 1,34 ,191 - Ärger 2,05 (1,01) 2,07 (1,00) -0,36 ,720 - Langeweile 2,36 (1,03) 2,47 (1,03) -0,83 ,411 - Tab. 1: Veränderungen des Skalendurchschnitts durch die Intervention 12
D. Bednorz, J. Huget & M. Kleine 8. Klasse 10. Klasse M (SD) M (SD) Interesse (MZP1) 2,25 (0,72) 2,56 (0,68) -72,97 ,000 Interesse (MZP2) 2,03 (0,69) 2,30 (0,66) -71,45 ,000 Motivation (MZP1) 2,93 (0,84) 3,85 (0,69) -92,6 ,000 Motivation (MZP2) 3,06 (0,82) 3,61 (0,78) -79,79 ,000 Freude (MZP1) 2,37 (0,80) 2,99 (0,56) -84,33 ,000 Freude (MZP2) 2,29 (0,82) 2,82 (0,66) -77,57 ,000 Angst (MZP1) 2,3 (1,07) 1,96 (0,95) -50,60 ,000 Angst (MZP2) 2,14 (0,86) 1,94 (1,03) -53,27 ,000 Ärger (MZP1) 2,21 (1,25) 1,96 (0,90) -50,13 ,000 Ärger (MZP2) 2,26 (1,19) 2,00 (0,93) -50,53 ,000 Langeweile (MZP1) 2,73 (1,29) 2,03 (0,78) -46,613 ,000 Langeweile (MZP2) 2,65 (1,24) 2,34 (0,93) -50,89 ,000 Tab. 2: Mittelwertunterschiede zwischen den Klassen pro Messzeitpunkt morgen‘ durchgeführt. Die Bearbeitungen der darge- Im Rahmen der Untersuchung wird ergänzend zum botenen Aufgabenserien von Schülerinnen und Schü- Mittelwertvergleich der Skalen geprüft, in welchem lern zeigen unterschiedliche Lösungs- und Struktu- Maße die Gruppenzugehörigkeit die Entwicklung der rierungswege. Die Lösungsansätze werden als ein Schülermerkmale der Lernenden bestimmt. Beson- Zeichen der Authentizität betrachtet, da es unter- ders relevant sind dabei die Gruppenzugehörigkeiten schiedliche fachliche Bearbeitungsweisen der Aufga- ‚Klasse‘ und ‚Geschlecht‘. Die Varianzanalyse ergab ben gibt. Überraschend waren die zum Teil erhebli- für den Messzeitpunkt einen statistisch signifikanten chen Schwierigkeiten der Lernenden, eine Lösung o- Effekt für das Interesse (F(1,36) = 20,008, p
math.did. 44(2021)1 Bereich des Verbrauches von Akkus liegen, um da- Erwartet wurde, dass sich das verwendete Unter- mit den Umweltaspekt des Kontextes zu schärfen. richtssetting auf die Motivation, das Interesse und die Emotionen von Lernenden auswirkt. Dieses lässt sich Insgesamt zeigt sich in der Interventionsstudie, dass so allgemein nicht bestätigen. Im Hinblick auf die se- das Vorhaben eine teilweise Komplexreduktion be- kundären Forschungsfragen ist festzustellen, dass nötigt und eine stärkere Fokussierung auf Aspekte, sich in dieser Stichprobe (1) die Förderung des fach- die Relevanz und Subjektorientierung verbinden. Das lichen Interesses und der intrinsischen Motivation Konstrukt ‚Interesse‘ und der Einfluss von authenti- aufgrund des Problematisierungsgehalts der Aufga- schen Modellierungsaufgaben sollten insbesondere ben nicht fördern ließ. untersucht werden. Jedoch werden weitere Kon- strukte für eine Erhebung nicht ausgeschlossen, da es Für die Skala ‚Interesse‘ kam es zu einer signifikan- deutliche Gruppendifferenzen gab. Dabei bleibt die ten Reduktion des mittleren Interesses. Damit lässt Frage offen, aus welchem Grund Skalenunterschiede sich schließen, dass Interesse ein sensitiver Prädika- zwischen den Gruppen existieren. Positiv hervorzu- tor des Einflusses von Modellierungsaufgaben ist. (2) heben ist, dass trotz der Schwierigkeiten auf den ver- Ebenso ergaben sich keine nachweisbaren Einflüsse schiedenen Ebenen, die untersuchten Konstrukte auf das emotionale Erleben der Schülerinnen und stabil bleiben. Ein bedeutsamer Abfall kann insge- Schüler. samt nicht festgestellt werden. Dieses spricht bei den Diese auf den ersten Blick ernüchternden Ergebnisse Kontextvariablen ‚Interesse‘ und ‚Motivation‘ für die lassen sich aus fachdidaktischer Sicht auf verschiede- relative Stabilität der Konstrukte. Im Fall der Emoti- nen Ebenen diskutieren: Bei der ersten steht die onen kann hingegen eine Veränderung antizipiert Komplexität der Modellierung im Fokus. Die Ler- werden, dies möglicherweise bei einer längeren In- nenden mussten durch die Unterrichtsstunde in be- tervention, die über mehrere Schulstunden verläuft. sonderem Maße prozessbezogene Kompetenzen zei- Durch eine zeitlich intensive Auseinandersetzung mit gen, die über das ‚reguläre‘ unterrichtliche Setting dem Thema ist ein Effekt auf die Emotionen denkbar. hinausgehen. Ebenfalls war der mathematische Ge- genstand der Proportionalität für die Lernenden zwar Schlussfolgerung bekannt, keineswegs kann aber davon ausgegangen werden, dass sie den Gegenstand sicher im Sinne ei- Trotz der zum Teil unerwarteten Ergebnisse der Vor- ner Linearisierung beherrschten. Diese Einflussfak- studie ist die Relevanz authentischer Modellierun- toren könnten negative Rückkopplungseffekte erzeu- gen, die nach allgemeinbildenden Kriterien konstru- gen und so dazu führen, dass sich die Erwartungen iert sind, erheblich; insbesondere für einen sinnstif- nicht erfüllen. Mit einer stärkeren Sequenzierung tenden Mathematikunterricht, in dem nicht nur die in- könnte künftig dafür Sorge getragen werden, dass die haltlichen Belange ernst genommen werden, sondern auch die kontextuellen Grundlagen der Aufgaben- komplexe Modellierung von Lernenden nicht als stellungen. Damit bietet die Problemlösefähigkeit das Überforderung empfunden wird. In einer Hauptstudie sollte außerdem die Validierung bzw. die Diskussion Potential, Lernenden darzustellen das Mathematik der Ergebnisse stärker fokussiert auf die eigene Le- auch für die außerschulische Praxis relevant ist. Da- benswelt untersucht werden. Ebenso ist die sprachli- mit ist nicht nur sinnstiftendes, sondern ein langan- che Komplexität der Aufgaben zu betrachten: Die haltendes Lernen möglich. Die Rückmeldung der Lernenden, unabhängig von der statistischen Daten- Elektromobilität enthält viele unbekannte Größen wie kWh. Diese mussten in der Modellierung aus Bil- lage, deutete im persönlichen Gespräch darauf hin, dern von Akkus selbstständig abgelesen werden. An dass es zu einer höheren Diskussionswürdigkeit der dieser Stelle wurden multimodale Fähigkeiten ver- Ergebnisse kam, indem besonders auch leistungs- langt, die zur Steigerung der Komplexität der sprach- schwache Schülerinnen und Schüler einen Beitrag lichen Struktur beigetragen haben. leisten können. Das legt nahe, dass durch eine ver- besserte Ausgestaltung der Aufgaben, die Fokussie- Die zweite Ebene stellt den Bereich der Subjektori- rung auf relevante Konstrukte und ein verbessertes entierung dar: Zwar bietet die Mobilität von morgen Design eine positive Veränderung der Motivation, und insbesondere Elektromobilität einen zukunftsori- des Interesses und der Emotionen möglich wird. Aus entierten Kontext, jedoch ist dieser nicht zwangsläu- diesem Grund ist die Interventionsstudie Ausgangs- fig auch bedeutsam für die Lernenden. Die Relevanz punkt für weitere Forschungen im Bereich des The- könnte insoweit verändert werden, dass sie in einem menfeldes authentischer Modellierungsaufgaben zur näheren Lebensbezug zu den Lernenden steht. Der Förderung von Motivation, Interesse und Emotionen. Einbezug des Smartphones scheint hier ein richtiger Schritt. Der Fokus sollte dementsprechend stärker im 14
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