Für Geschichte und Zeitgeschehen in Zentral- und Südosteuropa - Halbjahresschrift

Die Seite wird erstellt Stefan-Louis Herbst
 
WEITER LESEN
Für Geschichte und Zeitgeschehen in Zentral- und Südosteuropa - Halbjahresschrift
Working Papers #1

für Geschichte und Zeitgeschehen
in Zentral- und Südosteuropa

Working Papers zum IKGS-Panel
„Südostdeutsche“ Kulturarbeit auf dem Prüfstand

Tobias Weger: Das Südostdeutsche Kulturwerk in München im
Kontext der westdeutschen „Vertriebenenkulturarbeit“ nach
1945

Enikő Dácz: Vom „gottbegnadeten“ Schriftsteller zum Schrift-
leiter. Heinrich Zillichs literarisches Netzwerk vor und nach 1945

Florian Kührer-Wielach: Ein schwieriges Jubiläum. Das Südost-
deutsche Kulturwerk 1951–2021
www.halbjahresschrift.de

Gefördert von der Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien
Impressum
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
an der Ludwig-Maximilians-Universität München / IKGS Verlag
Halskestraße 15, D-81379 München
Telefon: +49 (0) 89 780609-0, ikgs@ikgs.de
www.ikgs.de
www.halbjahresschrift.de

Redaktion: Enikő Dácz, Florian Kührer-Wielach, Tobias Weger

Umschlaggestaltung: Hans Peter Schuster/IKGS
Layout und Satz: Hans Peter Schuster/IKGS

CC BY-NC-ND 4.0
© 2020 IKGS München
Inhaltsverzeichnis

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4

Working Papers

Tobias Weger                                  Das Südostdeutsche Kulturwerk in München
                                              im Kontext der westdeutschen
                                              „Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  5

Enikő Dácz                                    Vom „gottbegnadeten“ Schriftsteller zum
                                              Schriftleiter. Heinrich Zillichs literarisches
                                              Netzwerk vor und nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16

Florian Kührer-Wielach Ein schwieriges Jubiläum.
                       Das Südostdeutsche Kulturwerk 1951–2021. . . . . . . . . . . . .  32

                                                                                                                                                         3
Vorwort

Vorwort

Im Rahmen des von der Universität Innsbruck organisierten 13. Österreichischen
Zeit­geschichtetages, der vom 16. bis 18. April 2020 als 1. Virtueller Österreichischer
Zeit­geschichtetag durchgeführt wurde, hat das IKGS ein Panel zum Thema „‚Südost­
deutsche‘ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspo-
tentiale“ bei­getragen. Im Mittelpunkt stand die Auseinandersetzung mit der institut-
seigenen Vor- und Frühgeschichte.

Die bearbeiteten Manuskripte der Vorträge von PD Dr. Tobias Weger, Dr. Enikő Dácz
und Dr. Florian Kührer-Wielach sind in dieser Broschüre nachzulesen.

4
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

Tobias Weger, IKGS München

Das Südostdeutsche Kulturwerk in
München im Kontext der westdeutschen
„Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945
2021 jähren sich in der wissenschaftlichen Befassung mit der Kultur und Geschich-
te der Deutschen im Südosten Europas gleich zwei Gründungsdaten, die in einem
funktionalen Zusammenhang betrachtet werden müssen, um Kontinuitäten, Kausa-
litäten, aber auch Brüche innerhalb dieses Forschungsbereichs im 20. Jahrhundert zu
erfassen:
1931, also aus der Perspektive des Jahres 2021 vor 90 Jahren, wurde in Wien im
Rahmen der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften die Südostdeutsche For-
schungsgemeinschaft (SOFG) ins Leben gerufen. Im Zusammenwirken von Wissen-
schaftlern aus den Fächern Geschichte, Landeskunde und Volkskunde widmete sie
sich vornehmlich den deutschen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Habs-
burger Monarchie, also Ungarns, Rumäniens, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens so-
wie Teilen Polens und der Ukraine.1
Zwanzig Jahre später, nach einem verheerenden Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen,
gründeten 1951 in München Wissenschaftler, Politiker und Literaten die Südostdeut-
sche Kultur- und Forschungsstelle (SOKFS) – später umbenannt in Südostdeutsches
Kulturwerk (SOKW) –, die Vorgängereinrichtung des heutigen Instituts für Kultur und
Geschichte der Deutschen Südosteuropas (IKGS) in München.2

1   Michael Fahlbusch: Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft. In: ders., Ingo Haar, Alexander Pinwinkler (Hgg.):
    Handbuch der völkischen Wissenschaften. Band 2: Forschungskonzepte, Institutionen, Organisationen, Zeitschrif-
    ten. 2., grundlegend erweiterte und überarbeitete Auflage. Berlin, Boston 2017, S. 2023–2033.
2   Bisherige Abhandlungen zur Geschichte des SOKW neigen entweder zu Hagiografie oder zu einer Pauschalver-
    urteilung; vgl. 50 Jahre Südostdeutsches Kulturwerk, Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1951–2001. Hg. vom
    Südostdeutschen Kulturwerk. München 2001; Johann Adam Stupp: Das Südostdeutsche Kulturwerk in München
    (1951–2012) und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter. Sersheim 2016; Johann Böhm, Klaus Popa: Vom NS-
    Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär. Die Gründungsmitglieder des „Südostdeutschen Kulturwerks“ München
    und der Landsmannschaften der Deutschen aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien. Frankfurt am Main 2014.
    – Die Ergebnisse beider Extreme sind aus wissenschaftlicher Sicht allenfalls faktografisch oder im Hinblick auf den

                                                                                                                     5
HJS-Working Papers #1

Die SOFG von 1931 beschäftigte sich, ganz im zeitgenössischen Geist der Volks-
und Volkstumsforschung, mit Fragen von Staat, „Volkstum“ und Volk, alles aus einer
„großdeutschen“ Warte, in der die Ideen Georg von Schönerers und seiner geistigen
Gefolgsleute nachklangen. Als erste Wissenschaftseinrichtung führte die SOFG die
geographische Bezeichnung „südostdeutsch“ im Namen, die erst kurz zuvor als Kol-
lektivbegriff für alle Deutschen in Südosteuropa eingeführt worden war. 1927 hatten
sich Jugendverbände aus dem Banat und aus Siebenbürgen zu einer Arbeitsgemein-
schaft zusammengeschlossen, die sich 1929 im siebenbürgischen Mediasch (rum.
Mediaș) in „Südostdeutscher Wandervogel“ umbenannte.3
Die SOFG kooperierte eng mit anderen Einrichtungen der „Volksforschung“ im dama-
ligen deutschen Sprachraum. Unter ihnen befanden sich die in München ansässige
Stiftung zur Erforschung der deutschen Volksgruppen im Süden und Südosten und
das zugehörige Südost-Institut (SOI) sowie die ebenfalls in der bayerischen Landes-
hauptstadt tätige Südosteuropa-Gesellschaft (SOG). Während des Zweiten Weltkriegs
wurden auch die an der Deutschen Karlsuniversität Prag angesiedelte Reinhard-Hey-
drich-Stiftung sowie die Forschungs- und Publikationseinrichtungen der deutschen
„Volksgruppenführungen“ in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien zu Partnern. Ab
1941 unterhielt die SOFG zur Koordination dieser Arbeit Außenstellen in Prag (tsch.
Praha), Neusatz (sb. Novi Sad), Budapest, Pressburg (sk. Bratislava), Belgrad (sb. Beo-
grad) und Hermannstadt (rum. Sibiu). Für zahlreiche Mitarbeiter der Wiener Zentrale,
aber auch der genannten Filialen begann nach 1945 ein zweites wissenschaftliches
Leben in der Republik Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland.
Erst die Synopse der beiden 2021 anstehenden Jahrestage, des 90. in Wien und des
70. in München, ermöglicht es, wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge zu be-
greifen und etwa auch das Paradoxon aufzuschlüsseln, weshalb das Südostdeutsche
Kulturwerk seit seiner Gründung im Kontext der deutschen Vertriebenenkulturarbeit
gesehen wird, obwohl – wie noch zu zeigen sein wird – nicht wenige seiner promi-
nenten Gründer gar nicht selbst die Erfahrung von Vertreibung und Heimatverlust
gemacht hatten.

    Umgang mit Erinnerung interessant. Zur Problematik, ein „Jubiläum“ zu begehen, vgl. den Beitrag von Florian
    Kührer-Wielach in diesem Panel.
3   Andreas Möckel: Umkämpfte Volkskirche. Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel
    (1892–1965). Köln, Weimar, Wien 2011, S. 68.

6
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

Wer waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Angehörigen der SOKW-Gründergene-
ration in München? Woher stammten sie, welche Erfahrungen und Sozialisationen
brachten sie mit, als sie in Bayern eine Kultur- und Forschungseinrichtung initiierten?
Wie stark war in den 1950er- und 1960er-Jahren ihre Verstrickung in wissenschaftliche
und politische Paradigmen der Volkstumsforschung sowie in die Systemwelt der ge-
rade zu Ende gegangenen nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Satelliten im öst-
lichen Europa? Mit diesen und weiteren Fragen befasst sich ein Projekt am IKGS, das
die Aufarbeitung der eigenen Institutsgeschichte zum Ziel hat. Erschwert wird diese
Untersuchung durch den Umstand, dass das IKGS selbst nicht über eine geschlossene
Aktenüberlieferung seit 1951 verfügt, wenngleich einige im Institutsarchiv verwahrte
Nachlässe, wie der des aus Siebenbürgen stammenden Schriftstellers Heinrich Zillich
(1898–1988), gewisse Lücken schließen können. Ersatzüberlieferungen finden sich in
zahlreichen, über Deutschland und Österreich verstreuten Nachlässen sowie in den
Registraturen bayerischer und bundesrepublikanischer Behörden und Ministerien im
Bayerischen Hauptstaatsarchiv München und im Bundesarchiv Koblenz, um nur die
beiden wichtigsten Anlaufstellen zu nennen.
Der vorliegende Beitrag vermag noch nicht auf alle oben aufgeworfenen Fragen Ant-
worten zu liefern, sondern bildet einen ersten Zwischenbericht. Dennoch lassen sich
bereits jetzt gewisse Tendenzen erkennen, die eine erste vorsichtige Diagnose ge-
statten. In der folgenden Tour d’horizon wird die Entstehungsgeschichte des SOKW
knapp skizziert und als möglicher methodischer Zugriff ein prosopografischer und
netzwerkanalytischer Zugang präsentiert. Der politisch-juristische Kontext der Grün-
dung und die Rolle des SOKW im Rahmen der gesamten deutschen Vertriebenenkul-
turarbeit nach 1945 sollen diesen Überblick abrunden.
In der bayerischen Landeshauptstadt München erwuchsen bereits wenige Wochen
nach der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reichs soziale Initiativen im Rah-
men des Bayerischen Roten Kreuzes mit der Absicht, den zahlreichen kriegsbedingt
heimatlos gewordenen Menschen bei der Bewältigung praktischer Lebensproble-
me Hilfe zu leisten. Eine dieser Initiativen war im Sommer 1945 die Südostdeutsche
Hilfsstelle, die parallel zu einer Sudetendeutschen Hilfsstelle und weiteren nach Her-
kunftsregionen gegliederten Anlaufstellen funktionierte. Neben Fragen der Wohn-
raum-, Nahrungs- und Kleidungsbeschaffung, der Staatsangehörigkeit und der Zu-
sammenführung auseinandergerissener Angehöriger wurde in dieser Hilfsstelle auch

                                                                                         7
HJS-Working Papers #1

die Basis für die spätere Gründung landsmannschaftlicher Verbandsstrukturen ge-
legt. Diese waren seinerzeit von der Amerikanischen Militärregierung für Bayern noch
unerwünscht, weshalb auch die Südostdeutsche Hilfsstelle im Juli 1946 ihre Arbeit
einstellen musste.4 Die Besatzungsmacht befürchtete ein Aufleben revanchistischer
Strömungen und drängte außerdem auf eine rasche Integration in die Aufnahmege-
sellschaft, um eine soziale und politische Sonderstellung infolge von Ausgrenzung
und Selbstausgrenzung der Geflüchteten und Vertriebenen zu vermeiden. Der Jurist
Wilhelm Brückner (1921–2008) und der Schriftsteller Heinrich Zillich vertraten inner-
halb der Südostdeutschen Hilfsstelle die Interessen der Siebenbürger Sachsen, wäh-
rend die heterogene Gruppe der „Donauschwaben“ in dem Literaten und Kulturwis-
senschaftler Hans Diplich (1909–1990) einen Fürsprecher hatten. Ab dem Herbst 1945
unterhielt die Südostdeutsche Hilfsstelle in München ein festes Büro – eine wichtige
Voraussetzung für ihr weiteres institutionelles Wirken.
1949 gingen die Hoheitsrechte in Westdeutschland von den alliierten Militärregie-
rungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs an die Bundesrepublik Deutsch-
land über. Wie bereits zuvor die westdeutschen Länderregierungen hegte die Bun-
desregierung keine Vorbehalte gegen die Gründung von Landsmannschaften, die
nun aus ihrer bisherigen Deckung hervortraten und sich im gesellschaftspolitischen
Leben des Staates positionierten. Vertreter der Siebenbürger Sachsen, der Banater
Schwaben, der Donauschwaben aus Ungarn und aus Jugoslawien, der Karpatendeut-
schen aus der Slowakei, der Bessarabiendeutschen, der Dobrudschadeutschen und
der Buchenlanddeutschen formierten sich nun zu Interessensgruppen. Finanzielle
Unterstützung erhielten sie vom Bundesministerium für Flüchtlinge, Vertriebene und
Kriegsgeschädigte (BMVt) in Bonn. Viele seiner Mitarbeiter, Referats- und Abteilungs-
leiter waren nicht nur Bundesbeamte, sondern auch selbst Funktionsträger in einer
der Landsmannschaften. Die meisten von ihnen hatten bereits in den Herkunftsge-

bieten als Juristen, Politiker, Publizisten oder Wissenschaftler eine wichtige öffentli-
che Funktion bekleidet.

4   Vgl. Immo Eberl: Vertriebenenverbände. Entstehung, Funktion, Wandel. In: Mathias Beer (Hg.): Zur Integration der
    Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945. Bestandsaufnahme und Perspektiven der For-
    schung. Ergebnisse des Kolloquiums vom 11. bis 12. November 1993 in Tübingen. Sigmaringen 1994, S. 211–234,
    hier: S. 223.

8
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

Im Freistaat Bayern war im Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits
nach Kriegsende ein Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen eingerichtet worden.
Neben der Bewältigung sozialer Aufgaben stand hier auch die kulturelle und wissen-
schaftliche Betreuung der Deutschen aus Südosteuropa an. In diesem Sinne konsti-
tuierte sich in München 1949 ein Kultureller Arbeitskreis der deutschen Heimatver-
wiesenen in Bayern, aus dem das Institut für Kultur- und Sozialforschung hervorging.5
Tonangebend waren hier wie in vielen anderen Bereichen in Bayern die Deutschen
aus der Tschechoslowakei, doch kamen auch Wissenschaftler zu Wort, deren Wurzeln
in Rumänien, Jugoslawien oder Ungarn lagen.
Parallel dazu hatte in München die Reaktivierung eines Netzwerks von südosteuro-
paspezifischen Einrichtungen begonnen, dessen treibende Kraft der Historiker Fritz
Valjavec (1909–1960) war. Aufgrund seiner starken Involvierung in das nationalso-
zialistische Regime blieb ihm die Erlangung eines Universitätslehrstuhls bis in die
1950er-Jahre verwehrt. Deshalb waren die vielfältigen außeruniversitären Aktivitäten
im Südost-Institut, in der Südosteuropa-Gesellschaft, später in der Südostdeutschen
Historischen Kommission und eben auch im Südostdeutschen Kulturwerk für ihn ein
Weg des beruflichen Überlebens und Überwinterns, wie aus einem Briefwechsel mit
dem Historiker Hans Joachim Beyer (1908–1971), eindrucksvoll hervorgeht.6 Beyer,
ein weiteres Gründungsmitglied des SOKW, hatte als einstiger Leiter der Reinhard-
Heydrich-Stiftung inzwischen an der Hochschule Flensburg eine neue Anstellung
gefunden.
Die Idee zu einer Südostdeutschen Forschungsstelle in München kam bereits im Lau-
fe des Jahres 1950 im Umfeld von Fritz Valjavec auf, der im April 1951 offiziell die
Südostdeutsche Kultur- und Forschungsstelle ins Leben rief. Sie sollte „die Durch-
führung wissenschaftlicher und kultureller Untersuchung in enger Verbindung und
Zusammenarbeit mit den südostdeutschen Landsmannschaften im Bundesgebiet“
sichern und dabei „namentlich die Erforschung des deutschen Elements im europä-
ischen Südosten“ betreiben, „wobei auch die Fragen des Zusammenlebens mit den

5   Vgl. Elisabeth Fendl: Archivalien des Instituts für Kultur- und Sozialforschung, München – Depositum des Colle-
    gium Carolinum im Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE). In: Jahrbuch Kulturelle
    Kontakte des östlichen Europa 59 (2018), S. 118–126.
6   Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig, Ab. 399,5 – Beyer, Hans, Nr. 25.

                                                                                                                      9
HJS-Working Papers #1

übrigen Völkern dieses Raumes Berücksichtigung finden“ sollten.7 Neben allgemei-
nen Südosteuropaforschungen bildete auch die „Kulturpflege des Deutschtums aus
dem Südosten“ einen wichtigen Pfeiler der geplanten Arbeit. Als Trägerverein dieser
Kultur- und Forschungsstelle gründeten Valjavec und weitere Persönlichkeiten das
Südostdeutsche Kulturwerk e. V. Das SOKW gab die Südostdeutschen Heimatblätter
(Jg. 1/1952–Jg. 6/1957), mit Erscheinen des achten Jahrgangs 1958 umbenannt in
Südostdeutsche Vierteljahresblätter heraus. Diese Zeitschrift enthielt wissenschaftliche
Aufsätze, Essays, Literaturbeiträge, Berichte und Rezensionen. Tagungen, Studienwo-
chen, Einzelvorträge, Buchveröffentlichungen, aber auch Lesungen und Konzerte be-
stimmten in den ersten Jahren des Bestehens die Arbeitsprogramme des SOKW.
Aufzeichnungen aus der Frühzeit des Instituts liegen uns nur fragmentarisch vor. Eine
Möglichkeit, die Lücken zu überbrücken, besteht in einer prosopografischen und
netzwerkanalytischen Methode, die durch eine möglichst exakte Rekonstruktion der
Gründergeneration Rückschlüsse auf die beteiligten Persönlichkeiten, ihren sozialen
und beruflichen Werdegang, ihre Prägungen und Verbindungen zulassen. Für diesen
strukturellen Zugriff werden zunächst aus unzähligen Quellen Informationen zu die-
sem Personenkreis zusammengetragen, der nach dem gegenwärtigen Wissensstand
exakt 50 Personen umfasst.8 Ergänzt werden diese Angaben durch eine möglichst
vollständige Bibliographie der Veröffentlichungen, wobei neben Monographien und
Aufsätzen auch Pressebeiträge, Rundfunkansprachen und ähnliche popularisierende
Texte mit aufgenommen werden. Diese Informationen werden in narrativen Kurzbio-
graphien gesammelt, um zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe einer sozialwissen-
schaftlichen Software, etwa dem bewährten SPSS, systematisiert werden zu können.

7    Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Südostinstitut 160, Südostdeutsche Forschungsstelle München, Ent-
     wurf einer Geschäftsordnung, 20.2.1952.
8    In alphabetischer Reichenfolge: Matthias Bernath, Hans Joachim Beyer, Peter Blass, Georg Bleyer, Eugen von
     Bonomi, Wilhelm Brückner, Albert Büttner, Hans Diplich, Aurel Emeritzy, Nikolaus Engelmann, Friedrich Fiechtner,
     Otto Folberth, Josef Haltmayer, Erika Groth-Schmachtenberger, Franz Hamm, Hans Hartl, Hans Wolfram Hockl,
     Albert Hudak, Kaspar Hügel, Franz Hutterer,
     Karl Kurt Klein, Otto Klett, Wilhelm Kronfuss, Walter Julius Loew, Hans Meschendörfer, Walter Myss, Josef Nusch-
     bach, Valentin Oberkersch, Anton Petri, Heinrich Reitinger, Franz Rothen, Balduin Saria, Josef Volkmar Senz, Fried-
     rich Spiegel-Schmidt, Philipp Stagelschmidt, Harold Steinacker, Roland Steinacker, Johann Adam Stupp, Anton
     Tafferner, Paula Tiefenthaler, Josef Trischler, Emanuel Turczynski, Fritz Valjavec, Anton Valentin, Josef Wacker,
     Matthias Weber, Ladislaus Michael Weifert, Jakob Wolf, Hans Wühr, Heinrich Zillich.

10
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

Dazu werden biographische Grundinformationen wie Geburtsdatum und -ort, Kon-
fessionszugehörigkeit, soziale Herkunft, Schulbesuche, Studienorte und -fächer, Qua-
lifikationen, berufliche und geographische Stationen, Angaben zum Familienstatus in
ein eigens eingerichtetes Raster übernommen und statistisch ausgewertet. Anhand
einiger ausgewählter Phänomene, für die zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits hin-
reichende Angaben vorliegen, soll kurz das Potenzial dieser Auswertung demonst-
riert werden. Zum Verständnis des Gesamtsamples sei hinzugefügt, dass die 50 Prot-
agonisten der SOKW-Gründergeneration zwischen 1870 und 1927 geboren wurden,
mit einem deutlichen Schwerpunkt zwischen 1897 und 1913. Interessant erscheint
ein Blick auf die Herkunftsregionen. 86 Prozent stammten aus dem Bereich der ehe-
maligen Habsburgermonarchie oder ihrer Nachfolgestaaten. Regional stand das Ba-
nat mit 30 Prozent deutlich an der Spitze, gefolgt von Siebenbürgen mit 16 Prozent,
Innerungarn und Budapest sowie der Batschka mit jeweils 12 Prozent. Nur schwach
repräsentiert waren das historische Kernösterreich, die Zips, die Bukowina und die
Untersteiermark. Vier Personen hatten keinerlei familiären Bezug zu Südosteuropa
und waren im Deutschen Reich zur Welt gekommen.
Ein Blick auf die konfessionelle Verteilung ergibt eine Mehrheit von 58 Prozent rö-
misch-katholischen gegenüber 42 Prozent evangelisch-lutherischen Christen. Da
manche Kirchenhistoriker das 19./20. Jahrhundert als „zweites konfessionelles Zeital-
ter“ definiert haben,9 dürfte dieser Befund für den konfessionell separierten Alltag der
frühen Bundesrepublik nicht unerheblich sein.
Aufschlussreich ist auch, wo sich die betreffenden Protagonisten im Jahre 1939, bei
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, aufgehalten haben. Damals lebten 40 Prozent in
Rumänien, 18 Prozent in Jugoslawien, 12 Prozent in Ungarn und 6 Prozent in der Slo-
wakei. Immerhin waren 1939 bereits 24 Prozent, also beinahe ein Viertel, im so ge-
nannten Großdeutschen Reich (als einschließlich Österreichs) zu Hause. Unter ihnen
waren etwa der bewusst vom rumänischen Siebenbürgen ins nationalsozialistische
Reich übersiedelte Schriftsteller Heinrich Zillich, aber auch der bereits erwähnte, in
Wien geborene Fritz Valjavec, der an deutschen Hochschulen lehrte und Reichsbe-
hörden beriet. Daraus ergibt sich, dass für einen nicht unbedeutenden Anteil der Ge-

9   Vgl. vor allem Olaf Blaschke (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970. Ein zweites
    konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002.

                                                                                                                    11
HJS-Working Papers #1

samtgruppe in den 1950er-Jahren nicht die Vertreibung ausschlaggebend war, son-
dern die betroffenen 12 Personen an vorausgegangene Aktivitäten in Deutschland
anknüpfen konnten.
Fragt man nach den Tätigkeitsfeldern, so ergibt sich eine gewisse Problematik, da vie-
le Persönlichkeiten Mehrfachbegabungen waren. Dichtende Lehrer und Beamte, aber
auch wissenschaftlich forschende Pastoren und Pfarrer waren in diesem Sample nicht
selten, doch habe ich mich bei meiner ersten Aufstellung nach dem so genannten
„Brotberuf“ gerichtet. 26 Prozent waren Geisteswissenschaftler, 24 Prozent Gymnasi-
allehrer, 12 Prozent evangelische oder katholische Geistliche. Damit hatte eine große
Mehrheit der Gruppe ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert. 12 Prozent
Politiker und 10 Prozent Beamte fielen ebenfalls ins Gewicht. Mit dem Parlamentarier
Josef Trischler (1903–1975) hatte das SOKW im ersten Deutschen Bundestag einen
einflussreichen Fürsprecher, mit Franz Hamm (1900–1988) und Franz Rothen (1899–
1965), der in den frühen 1940er-Jahren eine Verbindungsperson zwischen dem Aus-
wärtigen Amt und den faschistischen Pfeilkreuzern in Budapest gewesen war, zwei
Referatsleiter im Bundesvertriebenenministerium.
Auf der Suche nach Netzwerken fallen zunächst die Vorkriegs- und Kriegsverbindun-
gen ins Auge. Neben gemeinsamen Studienorten oder früheren institutionellen Ko-
operationen war etwa für viele siebenbürgische Angehörige des SOKW der frühere
Kronstädter Kreis um die Literatur- und Kulturzeitschrift Klingsor ein wichtiger Kataly-
sator, im Falle vieler Banater Schwaben frühere Zugehörigkeiten zur Lehrerbildungs-
anstalt Banatia in Temeswar (rum. Timișoara).
1945 wurden alte Seilschaften reaktiviert und teilweise neue geschaffen. Zu ihrer insti-
tutionellen Basis zählten auf verbandlicher Ebene die bereits genannten Landsmann-
schaften, der in München gegründete landsmannschaftliche Zusammenschluss „Rat
der Südostdeutschen“ sowie später die Gesamtvertretung im Bund der Vertriebenen
(BdV) und in der Deutschen Jugend des Ostens (DJO). Für Wissenschaftler waren
Querbeziehungen zum Südosteuropa-Institut, zur Südosteuropa-Gesellschaft, zur
Südostdeutschen Historischen Kommission und dem Arbeitskreis für Siebenbürgi-
sche Landeskunde Anker in der außeruniversitären Wissenschaftslandschaft, darüber
hinaus bedeuteten zahlreiche Beschäftigungen an der Ludwig-Maximilians-Universi-
tät München und an der Universität Innsbruck nicht nur eine persönliche Absicherung
der Betroffenen, sondern auch eine Statusaufwertung für das SOKW insgesamt. Evan-

12
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

gelische und katholische Vertriebenenstrukturen ergänzten die soziale Anbindung,
während die Mitgliedschaft in rechtsextremen Gruppierungen wie Literaturkreisen
und der Deutschen Gildenschaft nicht an die große Glocke gehängt wurde. Bereits
erwähnt wurde die Tätigkeit in Behörden wie dem Bundesvertriebenenministerium.10
Das Ministerium bildet die Überleitung zum politisch-juristischen Rahmen. Seit 1953
ist in der Bundesrepublik Deutschland das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertrie-
benen und Flüchtlinge, kurz Bundesvertriebenengesetz (BVFG), in Kraft, in dessen § 96
sich Bund und Länder verpflichtet haben, sich gemeinsam der kulturellen Belange der
Deutschen aus dem östlichen Europa anzunehmen. Dank seiner guten Verbindungen
gelangte das SOKW in den Status einer institutionellen Förderung seitens des Bundes,
von der auch das heutige IKGS, wenn auch unter gewandelten inhaltlichen Prämissen
und einem gewandelten Rechtsverständnis des § 96 BVFG, bis heute profitiert.
Diese Förderung genossen in den 1950er-Jahren auch weitere Kulturwerke, die ent-
weder regional oder übergreifend ausgerichtet waren. Bereits 1947 hatten, ebenfalls
in München, sudetendeutsche Politiker und Kulturschaffende den „Adalbert Stifter
Verein“ als Kulturwerk für die Deutschen aus den böhmischen Ländern gegründet.
Die Carl Schirren Gesellschaft in Lüneburg ist ein deutsch-baltischer Zusammen-
schluss, während das Nordostdeutsche Kulturwerk (NOKW) in Lüneburg, der Vorläu-
fer des heutigen Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa
(IKGN), neben den Deutschbalten auch Ostpreußen, Pommern, Russland, Polen und
die Ukraine mitberücksichtigte. Für die historische preußische Provinz Schlesien ent-
stand 1951 auf Initiative des oberschlesischen Volkstumsaktivisten und Schulrats Karl
Schodrok (1890–1978) das Kulturwerk Schlesien in Neumarkt in der Oberpfalz, später
Würzburg. Man könnte also grob feststellen: die Deutschen aus den posthabsburgi-
schen Gebieten haben im geographisch nahen Bayern eine kulturelle Beheimatung
erfahren, während die einstige Hansestadt Lüneburg die Patronage für die Deutschen
aus dem Ostseeraum übernommen hat. In Nordrhein-Westfalen, nahe der Bundes-

10 In diesem Punkte kann sich ein punktueller Austausch mit den Ergebnissen des derzeit laufenden Projekts Das
   Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (1949–1969) am Institut für donauschwäbi-
   sche Geschichte und Landeskunde (IdGL) in Tübingen ergeben; vgl. https://www.geschichte-vertriebenenminis-
   terium.de, 4.5.2020.

                                                                                                               13
HJS-Working Papers #1

hauptstadt Bonn, entstanden die beiden übergreifenden Kulturwerke – der Ostdeut-
sche Kulturrat (OKR), der anfangs stark von „Südostdeutschen“ wie Franz Hamm und
Heinrich Zillich geprägt wurde, und das zunächst mit dem OKR konkurrierende Kul-
turwerk der vertriebenen Deutschen in Burg an der Wupper.11
Es bleibt abschließend die Frage nach dem Nachwirken des Nationalsozialismus un-
ter der SOKW-Gründergeneration. Ein eindeutiges Urteil lässt sich zu dieser Frage
derzeit noch nicht fällen. Gerade unter den katholischen Persönlichkeiten aus dem
Banat gab es durchaus solche, die aufgrund ihrer religiösen Glaubenshaltung und
ihrer zwar konservativen, aber nicht völkisch-nationalistischen Weltanschauung mit
der radikal nationalsozialistischen Ausrichtung der Deutschen Volksgruppe in Rumä-
nien in Konflikt geraten waren. Für die Gesamtheit des SOKW war jedoch ein gewisser
völkischer Sprachduktus, der sich anhand der frühen Jahrgänge der Südostdeutschen
Vierteljahresblätter diskursanalytisch nachweisen lässt, durchaus konsensfähig. Und
das auch, wenn sich in vielen Fällen eine eigentümliche Ambiguität auftut: fast alle
in Südosteuropa aufgewachsenen Personen waren zwei-, einige sogar mehrsprachig
geprägt worden. Es scheint jedoch möglich gewesen zu sein, sich gleichzeitig in ei-
nem deutsch-völkischen Überlegenheitsdiskurs zu bewegen und andererseits durch
Übersetzungen und Rezeptionen auch die kulturellen Leistungen der Nachbarvölker
– der Rumänen, Ungarn und der Südslawen positiv zu konnotieren und zu vermitteln.
Unter den 50 Gründungspersonen waren allerdings auch echte Täter. Der bereits ge-
nannte Franz Rothen koordinierte nicht nur die Beziehungen des Dritten Reiches zu
den ungarischen Pfeilkreuzlern, er spielte 1944 beim deutschen Einmarsch in Ungarn
eine aktive strategische Rolle im Hintergrund. Ob er auch im Kontext der Deportation
und Ermordung ungarischer Juden aktiv wurde, bleibt noch zu klären.
Der Mediziner Walter Loew (1910–1990) aus dem siebenbürgischen Kronstadt (rum.
Brașov) hatte in Deutschland studiert und betätigte sich im Zweiten Weltkrieg bei den
nationalsozialistischen Umsiedlungen deutscher Minderheiten als Selektionsarzt im
SS-Offiziersrang. Aus jüngeren Forschungen wissen wir, dass es dabei nicht nur um
die Feststellung von Infektionskrankheiten oder die Überprüfung des körperlichen
Belastungszustands ging. „Selektion“ konnte für Kranke, Schwache oder Behinderte

11 Vgl. zur Genese dieses Konflikts Stephan Scholz: Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinne-
   rungslandschaft. Paderborn 2015, S. 336f.

14
Weger: Vertriebenenkulturarbeit

auch so viel wie „Aussonderung“ bedeuten und damit schlimmstenfalls den Tod im
Euthanasie-Programm des NS-Regimes.12
Die Rolle einer Reihe von weiteren Beamten innerhalb der Reichsbehörden bleibt
noch zu überprüfen.
Schwer taten sich mit einer juristischen Bewertung bereits zeitgenössisch nach 1945
die für die Entnazifizierung in Bayern zuständigen Spruchkammern mit kulturellen
Artefakten, die wir aus einer heutigen moralischen Warte als „geistige Brandstiftung“
bezeichnen könnten, die aber juristisch in ihrem Verhältnis zu tatsächlichen Kriegsver-
brechen nur schwer zu ahnden waren. Die wissenschaftlichen Erzeugnisse eines Fritz
Valjavec und seines Kollegen Hans Joachim Beyer waren bestimmt keine harmlosen
Schreibtischtaten, wurden sie doch auch während des „Vernichtungs- und Weltan-
schauungskriegs“ als gutachterliche Texte von den politischen Entscheidungsträgern
des NS-Regimes herangezogen. Doch auch dem Widmungsgedicht Heinrich Zillichs
zu Hitlers 50. Geburtstag und den antisemitischen und hetzerischen literarischen Er-
güssen eines Otto Folberth (1896–1991), der 1941 als Kriegsberichterstatter den ru-
mänischen Einmarsch in Sowjet-Moldawien und in der Ukraine begleitet hatte und
darüber in der Presse berichtete, war juristisch kaum beizukommen. Hier wird noch
eine präzise Auswertung zu erfolgen haben. Insofern bleibt das noch laufende Projekt
voller Überraschungen. Es umfasst dabei viel mehr als nur die Aufarbeitung der eige-
nen Institutsvergangenheit, sondern dürfte auch für die allgemeine Wissenschafts-
und Institutionengeschichte relevant sein, indem es einen bisher wenig beleuchteten
Aspekt der deutschsprachigen Ost- und Südostforschung erhellt.

Bearbeitetes Vortragsmanuskript. Vortrag gehalten im Rahmen des Panels „‘Südostdeut-
sche‘ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale“
im Rahmen des 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags, 18.4.2020.

12 Siehe hierzu die noch nicht veröffentlichte Oldenburger Dissertation von Susanne Schlechter zu den „verschwun-
   denen Umsiedlern“ aus Bessarabien; ferner Maria Fiebrandt: Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung
   Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939–1945. Göttingen 2014, S.
   159–164 (zu Loew).

                                                                                                                15
HJS-Working Papers #1

Enikő Dácz, IKGS München

Vom „gottbegnadeten Schriftsteller“ zum
Schriftleiter. Heinrich Zillichs literari-
sches Netzwerk im Nationalsozialismus
Das Beispiel des siebenbürgisch-sächsischen Autors Heinrich Zillich, der während des
Nationalsozialismus sehr schnell zu einem der Referenzpunkte auslandsdeutscher Li-
teratur avancierte, veranschaulicht einerseits den Aufstieg eines „Dichters aus dem
Südosten“ während des Nationalsozialismus, andererseits das Scheitern im neuen
Literaturbetrieb und die erfolgreiche Integration als „Vertriebenenfunktionär“1 in die
neuen bundesrepublikanischen Strukturen. Daraus ergibt sich eine doppelte Aufga-
be des vorliegenden Working Papers, das einige vorläufige Forschungsergebnisse
präsentiert und nach Kontinuitäten und Brüchen in Zillichs Laufbahn und seinem lite-
rarischen Netzwerk fragt. Da das Augenmerk der nationalsozialistischen Periode und
deren unmittelbaren Folgen für den Autor gilt, werden in einem ersten Schritt Zillichs
literarische Laufbahn und sein kulturpolitisches Engagement in dieser Zeit skizziert.2
Sein weit verzweigtes literarisches Netzwerk wird eingeblendet, um in einem zweiten
Schritt aufgrund seiner Entnazifizierungsakte und ausgewählter Korrespondenz die
Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in den Fokus zu rücken.
Während Heinrich Zillich in der Fachliteratur von einigen als „Vordenker des rumäni-
endeutschen Faschismus“, der „zum literarischen Mythos“ hochstilisiert wurde,3 wahr-
genommen wird, werben andere um Verständnis für seine kulturpolitischen Ansich-

1    Johann Böhm: Zillichs literarische und kulturelle Richtung. In: ders., Klaus Popa: Vom NS-Volkstum- zum Vertriebe-
     nenfunktionär. Die Gründungsmitglieder des Südostdeutschen Kulturwerks München und der Landsmannschaf-
     ten der Deutschen aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien. Frankfurt am Main 2014, S. 45–88.
2    Das vorliegende Working Paper setzt eine Vorstudie fort und greift im ersten Teil darauf zurück. Siehe dazu Enikő
     Dácz: „Ein Genie der Freundschaft“ und „kaltschnäuziger Streber“ – Heinrich Zillichs literarisches Netzwerk im
     Nationalsozialismus. In: Germanistische Beiträge. Sibiu (erscheint voraussichtlich) 2020.
3    William Totok: „Die Finger zu rostigen Krallen gebogen.“ Heinrich Zillich und die Topographie der Veränderung. In:
     Halbjahresschrift für südostdeutsche Geschichte, Literatur und Politik. Hg. Arbeitskreis für Geschichte und Kultur
     der deutschen Siedlungsgebiete im Südosten Europas, 43 (1993) H. 1, S. 57–72, hier: S. 57. Ebenso Johann Böhm:
     Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2006, S. 60−76.

16
Dácz: Zillichs literarisches Netzwerk

ten mit der Begründung, er sei ein Kind seiner Zeit gewesen und habe die verbreitete
ideologische Auffassung seiner Generation nicht überwinden können.4 William Totok
wirft ihm „pathetische Aggressivität“ bzw. „Unbehagen an der Demokratie“ vor und
sieht seine literarischen Werke erstrangig als ideologiegesteuerte Schriften.5 Analog
dazu bezeichnet ihn Hans Wolfram Hockl als „Chefideologen“,6 wogegen Horst Schul-
ler Anger bei der Beurteilung seines Œuvres die Gefahr von „Mythisierung und pau-
schaler Aburteilung“ diagnostiziert.7
Bei der Bewertung von Zillichs Tätigkeit verfahren beide Parteien selektiv und schlie-
ßen Widersprüche aus, indem sie eine genaue Kontextualisierung des literarischen
Schaffens unterlassen. Die einen klammern aus, dass ein „modernes Literaturkonzept
und antimoderne Geschichtsdeutung sich nicht ausschließen“.8 Uwe-Karsten Ketel-
son spricht diesbezüglich über „regressiven Modernismus“ und weist darauf hin, dass
„faschistische Literatur“ keinen Stil bezeichnet, „sondern eine literarische Haltung zu
den Tendenzen der neuzeitlichen Geschichte“.9 Die anderen blenden Zillichs frühe
Schaffensphase und sein weit verzweigtes literarisches Netzwerk aus, die die Wider-
sprüche dieser Laufbahn vor Augen führen.
Zillichs literarischer Beginn stand im Zeichen der Moderne,10 er war der Herausgeber
der weit über die siebenbürgischen Grenzen hinaus bekannten Zeitschrift Klingsor,

4  Hans Bergel: Wirken und Wirkung Heinrich Zillichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Persönliche Erinnerungen an
   einen außergewöhnlichen Siebenbürger. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 47 (1998) H. 2, S. 122–131.
5 Totok: „Die Finger zu rostigen Krallen gebogen.“, S. 71. Laut Totok sind Zillichs rassistische Exzesse im Nachhinein
   beschönigt worden. Er wirft dies George Guțu, Hans Bergel und Ute Monika Schuller vor. Siehe George Guțu: Im
   Trubel der Geschichte. Heinrich Zillichs Briefe an Alfred Margul-Sperber. In: Anton Schwob (Hg.): Die deutsche
   Literaturgeschichte Ostmittel- und Südosteuropas von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Forschungs-
   schwerpunkte und Defizite. München 1991, S. 206–215; Ute Monika Schuller: Heinrich Zillich. Erzähler – Lyriker
   – Essayist. In: Südostdeutsche Semesterblätter 12 (1963) H. 10–11, S. 1–24. Eine weitere begeisterte Stimme ist die
   von Wilhelm Bruckner. Siehe: Wilhelm Bruckner: Abschied von Heinrich Zillich. In: Südostdeutsche Vierteljahres-
   blätter 37 (1988), S. 185–187.
6 Hans Wolfram Hockl: Waren die Sachsen ein Volk von Herren? In: ders.: Deutscher als die Deutschen. Dokumenta-
   rische Studie über NS-Engagement und Widerstand rumäniendeutscher Volkspolitiker. Eigenverlag des Verfassers
   1987, S. 105–108.
7 Siegbert Bruss: Weder Mythisierung noch pauschale Verurteilung, http://www.halbjahresschrift.homepage.t-
   online.de/zill.htm#Finger, 22.2.2019.
8 Uwe-Karsten Ketelsen: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890–1945. Stutt-
   gart 1976, S. 69.
9 Ebd.
10 Allgemein zur Frage der Literatur und Modernität im Dritten Reich siehe ders.: Literatur und Drittes Reich. Schern-
   feld 1992, S. 241–256.

                                                                                                                   17
HJS-Working Papers #1

die auch von namhaften Literaten wie Thomas Mann geschätzt wurde. Er förderte zu-
nächst den interkulturellen Austausch in Siebenbürgen, indem er etwa mit dem un-
garischen Helikon-Kreis eng zusammenarbeitete.11 Der Klingsor-Kreis engagierte sich
bei der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts ab Ende der 1920er-Jahre
immer intensiver, obwohl Zillich der ideologischen Erneuerungsbewegung zunächst
kritisch gegenüberstand12 und laut einigen Interpretationen „einen gesamtdeut-
schen und darüber hinaus: europäischen Dialog“ zu pflegen versuchte.13 1930 erläu-
terte Fritz Fabritius sein Selbsthilfe-Konzept in der Zeitschrift,14 und ab 1932 wurden
nationalsozialistische Ideen aktiv propagiert15 bzw. ein aggressiver Antisemitismus
vertreten.16 Zugleich machte die Redaktion Stimmung gegen die liberal-konservative
Führung der Sachsen und die Kirche.17 1933 begrüßte Zillich Hitlers Machtübernahme
und die „nationale Revolution“.18
Zu Zillichs literarischem Netzwerk, das er in der Klingsor-Zeit intensiv ausbaute, zähl-
ten prominente Akteure wie Hanns Johst, Ina Seidel, Agnes Miegel oder Hans Grimm.19
Während in den 1920er-Jahren die Zahl der aus Deutschland mitwirkenden Autoren
hoch war, schrumpfte sie ab 1931 kontinuierlich. Eine Ausnahme in der langen Liste
der ideologisch agierenden Autoren im Klingsor, die von Bruno Behm bis Will Vesper
regimetreue Literaten umfasste, war der linksorientierte Peter Huchel.
Zillich übernahm durch die Klingsor-Agentur eine federführende Rolle auch in der

11 Siehe dazu exemplarisch Heinrich Zillich: Die 4. Tagung des Erdélyi Helikon im Schloß Marosvécs, 1.–4. August. In:
   Klingsor 6 (1929) H. 9, S. 357.
12 Siehe dazu u. a. Stefan Sienerth: Künstlerisches Selbstverständnis und Zugehörigkeitsdilemma deutscher Schrift-
   steller in Rumänien während der Zwischenkriegszeit. In: Peter Motzan, Stefan Sienerth (Hgg.): Deutsche Regional-
   literaturen in Rumänien 1918−1944. Positionsbestimmungen, Forschungswege, Fallstudien. Internationale Ta-
   gung – III. Kongreß der rumänischen Germanisten Neptun/Schwarzmeerküste 16.–19. Mai 1994. München 1997,
   S. 95−116, hier: S. 113f.
13 Vgl. u. a. Walter Myss: Fazit nach achthundert Jahren. Geistesleben der Siebenbürger Sachsen im Spiegel der
   Zeitschrift „Klingsor“ (1924–1939). München 1968, S. 10.
14 Fritz Fabritius: Selbsthilfe. In: Klingsor. Siebenbügische Zeitschrift 7 (1930), H. 10, S. 412f.
15 Die Richtung des politisch-ideologischen Engagements der Zeitschrift zeigt sich 1932 eindeutig, als dem fünften
   Sachsentag, den der Klingsor-Kreis mitinitiierte, ein Sonderheft des Klingsor gewidmet wurde.
16 Pomarius: Zur Philosophie des Nationalsozialismus, S. 169.
17 Heinrich Zillich: Deutsche Revolution. In: Klingsor 10 (1933) H. 5, S. 167−174. Vgl. dazu auch die Ausführungen
   von Böhm: Einfluss des Nationalsozialismus auf die Presse der deutschen Volksgruppen, S. 37.
18 Ebd.
19 Vgl. dazu die umfassende Korrespondenz von Heinrich Zillich in seinem Nachlass im IKGS. Der Bestand ist noch
   nicht sortiert und mit Signaturen versehen.

18
Dácz: Zillichs literarisches Netzwerk

Veranstaltung von Lesereisen für Autoren aus Deutschland und verweilte ab 1934
öfters sowie dank eines mehrmonatigen Stipendiums (1934/1935) länger im Reich.
In dieser Zeit begeisterte er sich einerseits für Ernst Wiechert, der später in die Innere
Emigration ging, wies andererseits seine Frau an, darauf zu achten, dass auf der Rück-
seite des Klingsor Kritiken „demokratischer Zeitungen“ (wie FAZ) nicht erscheinen.20 Er
hatte während seines längeren Aufenthalts im Reich zahlreiche Lesungen (vom Mar-
burg, Münster bis hin nach Kassel, aber auch in Graz) sowie viele Rundfunkbeiträge.
Zudem knüpfte Zillich enge Kontakte zu Autoren wie Agnes Miegel oder Ina Seidel
und erhielt 1935 erneut den Erzählerpreis der Zeitschrift die neue linie21 für Der balti-
sche Graf.22 Mit der Umsiedlung 1936 ins Reich, die aus finanziellen Gründen erfolgte23
und zugleich den Traum beinhaltete, als freier Schriftsteller leben zu können, stärk-
te Zillich auch seinen Status im regionalen literarischen Feld.24 Er verantwortete den
Klingsor weiterhin als Herausgeber, widmete sich jedoch immer intensiver neuen Auf-
gaben.
Für den Roman Zwischen Grenzen und Zeiten erhielt er 1936 den Literaturpreis der
Reichshauptstadt Berlin, 1937 den Volksdeutschen Schrifttumspreis der Stadt Stutt-
gart und des Deutschen Ausland-Instituts,25 das zu diesem Zeitpunkt vom siebenbür-
gisch-sächsischen Kulturpolitiker und Germanisten Richard Csaki geleitet wurde.26 Im
selben Jahr folgte der Buchpreis der Wilhelm-Raabe-Gesellschaft. Von der Inflation
der Literaturpreise in der NS-Zeit, die der politischen Lenkung des Literaturbetriebs
diente, profitierte er sehr stark27 und gehörte 1937 während der 7. Berliner Dichter-

20 Heinrich Zillich an Maria Zillich, Brief vom 14.11.1934, ebd.
21 Erste Preise von dieser Zeitschrift erhielt er 1932, 1934.
22 Mit 3000 Mark. In: Oedenburger Zeitung, 68. Jg., Nr. 78, 5.4.1935, S. 4; Anzeige. In: Westböhmische Tageszeitung,
   36. Jg., Nr. 87, 12.4.1935, S. 4.
23 Heinrich Zillich an Maria Zillich, Brief vom 4.12.1934, IKGS-Archiv, NL-Zillich.
24 Zum Begriff des literarischen Feldes siehe Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literari-
   schen Feldes. Frankfurt am Main 2001.
25 Zur Rolle des Instituts siehe u. a. Heinrich Zillich: Die Bedeutung des Deutschen Ausland-Instituts in Stuttgart. In:
   Das Innere Reich. Zeitschrift für Dichtung, Kunst und deutsches Leben (1937/38) H. 7, S. 856.
26 Csaki leitete das Institut ab 1933. Siehe dazu Johann Adam Stupp: Deutsche Autoren aus Rumänien in Hitler-
   deutschland. In: Markel, Motzan (Hgg.): Deutsche Literatur in Rumänien und das „Dritte Reich“, S. 71−82, hier: S 77.
27 Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. München
   1995, S. 458–469.

                                                                                                                    19
HJS-Working Papers #1

woche zu den Autoren,28 die von Hitler empfangen wurden. Zudem erhielt er auch
den Ehrendoktortitel der Universität Göttingen.29
Im Zweiten Weltkrieg war Zillich, der zuvor in der k. u. k., dann in der rumänischen
Armee gekämpft hatte,30 Offizier und im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) tä-
tig und trat 1942 der NSDAP bei. Zusammen mit anderen Literaten arbeitete er an
den Feldpostausgaben deutscher Dichtung, wobei er die veröffentlichten Werke nicht
selbst auswählte und hauptsächlich für Korrekturen und Kontaktpflege zu den Auto-
ren verantwortlich war.31
Der NS-Literaturbetrieb verbreitete 37 Bücher von ihm in insgesamt 1,5 Millionen Ex-
emplaren. Zwischen Grenzen und Zeiten wurde in 120.000 Exemplaren aufgelegt; eine
Auswahl von Fragmenten erschien 1937 auch als Schulausgabe in München, und der
Roman gehörte zu jenen Büchern, die dem Führer zu seinem Geburtstag in Perga-
ment gebunden überreicht wurden.32 Das Hörspiel Die Zinnenschlacht entstand aus
einem Fragment dieses Romans und erschien 1937 in den Berliner Roland Blättern.
Zillich nahm auch an zahlreichen kulturpolitischen NS-Propagandaveranstaltungen
teil: Die Liste umfasst so unterschiedliche Formate wie die Salzburger Festspiele
1938 oder eine Reise für die Deutsche Arbeitsfront nach Lissabon und Madeira, wo
er die Aufgabe hatte, „Urlauber durch geeignete Vorlesungen zu erfreuen“.33 Über die
zeitgenössischen Massenmedien – insbesondere über den Rundfunk – erreichte er als
Schriftsteller und Kommentator eine breite Öffentlichkeit und war auch als Juror bei
Literaturpreisvergaben tätig. 1942 sollte er im Laufe einer neunwöchigen Vortrags-
und Studienreise im Auftrag des Propagandaministeriums Lesungen in Bulgarien,
Rumänien, Ungarn und der Slowakei halten.34 Er gehörte nicht zuletzt auch zum Ma-

28 Neben Erwin Wittstock, Robert Hohlbaum, Bruno Brehm, Graf Bossi Fedrigotti und Karl H. Waggerl. Vgl. dazu u. a.
   Deutsche Dichter bei Alfred Rosenberg. In: Deutsches Nachrichtenbüro, 4. Jg., Nr. 278, 4.3.1937, S. 1; Die auslands-
   deutschen Dichter bei Dr. Goebbels. In: Deutsches Nachrichtenbüro, 4. Jg., Nr. 279, 4.3.1937, S. 1; Reichsminister
   Dr. Goebbels empfing die grenz- und auslandsdeutschen Dichter. In: Hamburger Anzeiger, 50. Jg., Nr. 54, 5.3.1937,
   S. 2; Oesterreichische Dichter bei Goebbels. In: Freie Stimmen, 57. Jg., Nr. 54, 6.3.1937, S. 1.
29 Böhm: Heinrich Zillich. In: ders., Klaus Popa: Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär, S. 37−40.
30 Siehe dazu u. a. Böhm: Zillichs literarische und kulturelle Richtung, S. 66−68.
31 Vgl. dazu seine Amerikanische Entnazifizierungsakte, IKGS-Archiv, NL-Zillich.
32 Siehe dazu H. K.: Ehrungen deutscher Dichter aus Siebenbürgen im Reich. In: Klingsor 14 (1937) H. 6, S. 235.
33 Briefe von der Deutschen Arbeitsfront, IKGS-Archiv, NL-Zillich.
34 In Kronstadt wurde Zillich von Neustädter begrüßt. Diese Lesereise musste aus nicht näher präzisierten Zen-
   surgründen abgebrochen werden. Vgl. Schuller: Erwin Neustädter und die Schrifttumskammer der „Deutschen
   Volksgruppe in Rumänien“, S. 179. Für Weiteres zu Zillichs Lesereise siehe Böhm: Zillichs literarische und kulturelle

20
Dácz: Zillichs literarisches Netzwerk

rienburger Dichterkreis, der „deutsche Schriftsteller aus dem Osten“ in den Dienst der
Propaganda stellte.35
Wenn die obige Skizze seiner Laufbahn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Be-
reitschaft Zillichs vor Augen führt, sich im Dienst der Propaganda zu stellen, lässt seine
umfassende Korrespondenz aus der NS-Zeit das Netzwerk rekonstruieren, das hinter
seinem Erfolg stand. Einerseits erscheint er im Lichte seiner Briefe als „ein Genie der
Freundschaft“36 und kümmerte sich z. B. um seine siebenbürgischen Freunde wie Her-
mann Roth, den er Richard Csaki empfahl,37 andererseits zeigte er sich als „kaltschnäu-
zigen Streber“38 und kritisierte seine Autorenkollegen.39 Besonders die Briefe an seine
Frau, Maria Zillich, die er während seines Stipendiums in Jena schrieb, belegen, wie
intensiv und bewusst er sein weit verzweigtes Netzwerk ausbaute. Er korrespondier-
te mit prominenten literarischen Akteuren und „gottbegnadeten Schriftstellern“ wie
Hans Grimm, Agnes Miegel, Ina Seidel, Josef Weinheber, Hanns Johst, Hans Carossa,
Bruno Brehm, Hans Friedrich Blunck, Robert Hohlbaum, aber auch mit bekannten
Germanisten wie Heinz Kindermann, Hellmuth Langenbucher, Herbert Cysarz, Will
Vesper oder dem späteren Innsbrucker Universitätsprofessor Karl Kurt Klein.
Einige Briefe veranschaulichen Zillichs nicht zu unterschätzende Rolle als Vermittler.
Das prominenteste Beispiel in dieser Hinsicht ist Weinheber,40 mit dem er seit 1926
befreundet war und von dem er mehrere Erstveröffentlichungen im Klingsor brachte.
Zugleich leitete er einige Gedichte des Freundes an Will Vesper weiter,41 der sie in der
Neuen Literatur veröffentlichte. Diese prominente Zeitschrift war die erste in Deutsch-
land, die Lyrik von Weinheber veröffentlichte und ihr Januar-Heft 1935 dem Dichter
widmete.

   Richtung, S. 74−76.
35 Vgl. dazu die Berufung in den Marienburger Dichterkreis. In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 27. August 1942.
36 Egon Hajek: Wanderung unter Sternen. Erlebtes, Erhörte und Ersonnenes. Stuttgart 1958, S. 165.
37 Vgl. dazu z. B. Richard Csaki an Heinrich Zillich, Brief vom 1.3.1937, IKGS-Archiv, NL-Zillich.
38 Werner Bergengruen über Zillich. Vgl. dazu Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und
   nach 1945. Frankfurt am Main 2007, S. 684.
39 Von Adolf Meschendörfer, über Erwin Wittstock bis Hans Grimm.
40 Vgl. zu dieser Freundschaft Heinrich Zillich: Uns wird er immer geheimnisvoller werden. In: ders. (Hg.): Bekenntnis
   zu Josef Weinheber. Erinnerungen seiner Freunde, S. 247. Zu Weinheber in der NS-Zeit siehe u. a. Albert Berger:
   Josef Weinheber und der Nationalsozialismus. Zur politischen Biographie des Dichters. In: Uwe Baur, Helga Mitter-
   bauer (Hgg.): Macht Literatur Krieg. Österreichische Literatur im Nationalsozialismus. Wien etc. 1998, S. 185–201.
41 Walther Methlagl: Josef Weinheber: Zwei Briefe an Heinrich Zillich. In: Südostdeutsche Semesterblätter. 17 (1968)
   H. 20/21, S. 1–14.

                                                                                                                   21
HJS-Working Papers #1

Zillich profitierte also nicht nur von der nationalsozialistischen fördernden Lenkung
der Literatur durch Ehrungen, Veranstaltungen usw.,42 sondern schaltete sich punktu-
ell in lenkende Foren ein, indem er Autoren vermittelte oder als Juror tätig war.

        Diese [die fördernde Lenkung] betraf Schriftsteller, die nach der Definition in der amtlichen
        Begründung zum Reichskulturkammergesetz hohes »Verantwortungsbewusstsein für die
        nationale Gemeinschaft« aufwiesen oder, anders ausgedrückt, die sich am besten für Propa-
        gandazwecke einsetzen ließen.43

Zillich gehörte, wie gezeigt, zweifelslos zu denjenigen, die sich für Propagandazwecke
einsetzen ließen und vom Nationalsozialismus profitierten. Seine Kritik bezog sich auf
einzelne Maßnahmen und politische Schritte und nie auf das System als Ganzes. So
tat er sich mit Hans Grimm, Will Vesper, Curt Langenbeck und vielen anderen Autoren
zusammen, als Gustav Pezold die Leitung des Langen Müller-Verlags verlor.44 Der Pro-
test der national-konservativer Verlagsautoren richtete sich gegen die Zentralisierung
der Verlage, die somit ihre Selbständigkeit verloren.45 Auf ähnliche Schritte berief sich
Zillich nach 1945 wiederholt; exemplarisch ist diesbezüglich sein Entnazifizierungs-
verfahren vor der Spruchkammer Starnberg, das in einem weiteren Schritt des vorlie-
genden Working Papers in den Vordergrund rückt.
Am 1. November 1947 wurde Heinrich Zillich, trotz des Antrags des öffentlichen Klä-
gers auf die Einordnung des Betroffenen in die Stufe II der Belasteten, als Mitläufer
entnazifiziert. Laut dem Urteil musste er eine „Geldsühne“ (von 700 RM) und die Kos-
ten des Verfahrens zahlen.46 Eine umfassende Analyse der sich in seinem Nachlass
befindenden Amerikanischen Entnazifizierungsakte würde den vorliegenden Rahmen
sprengen, sodass im Folgenden die Aufmerksamkeit ausschließlich darauf zu richten
ist, wie das Verfahren die bisher geschilderte Rolle Zillichs im nationalsozialistischen

42 Helga Mitterbauer: Von »Gottbegnadeten« und anderen Privilegierten. Anmerkungen zur Literaturlenkung im
   Nationalsozialismus. In: Baur, dies. (Hgg.): Macht Literatur Krieg, S. 100–113, hier: S. 101.
43 Ebd.
44 Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“, S. 335–337.
45 Zum florierenden Buchmarkt siehe allgemein Christian Adam: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im
   Dritten Reich. Berlin 12010, S. 45–64.
46 Amerikanische Entnazifizierungsakte, IKGS-Archiv, NL-Zillich. Es handelt sich überwiegend um Abschriften.

22
Sie können auch lesen