GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde

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GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
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                        GASTFREUNDSCHAFT
                                     Juni 2018
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
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 Inhalt

 „Gastfrei zu sein, vergesst nicht!“   Andreas Schäffer                           3

 Info zum digitalen Rundbrief                                                     5

 Wenn Türen sich öffnen                Hartmut Bärend                             6

 Von der Kunst der Gastfreundschaft    Bärbel Hartmann                            9

 Willkommens- und Ankommens-Kultur     Heidi Josua                               15

 Berliner Gasthausmission              Hans-Georg Filker                         16

 Gastfreundschaft im Hauskreis         Markus Munzinger, Gudrun Strecker         21

 Vesperkirche Stuttgart                Gabriele Ehrmann                          24

 Adressen der Autoren:

 Pfarrer Hartmut Bärend                Heidi Josua
 Pacelliallee 4A, 14195 Berlin.        Postfach 63, 71550 Weissach im Tal
 hfb74@aol.com                         heidi.josua@auslaenderseelsorge.com
 Pfarrerin Gabriele Ehrmann            Diakon Markus Munzinger
 Pfarrstraße 1, 70182 Stuttgart        Grüninger Str. 25, 70599 Stuttgart
 Gabriele.Ehrmann@elkw.de              markus.munzinger@elk-wue.de
 Direktor a.D. Hans-Georg Filker       Pfarrer Andreas Schäffer
 Amboßweg 38 A, 13437 Berlin           Büchsenstr. 37, 70174 Stuttgart
 hans-georg@filker-prowort.de          andreas.schaeffer@cvjm-stuttgart.de
 Kirchenrätin Bärbel Hartmann          Gudrun Strecker
 Bismarckstr. 12, 72574 Bad Urach      Stuttgarter Str. 85/4, 71735 Eberdingen
 baerbel.hartmann@stifturach.de        gudrun.strecker@gmx.net
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
angedacht …

                                     Andreas Schäffer

„Gastfrei zu sein,
vergesst nicht!“

Gastfreundschaft ist ein hoher Wert in      zur selbstverständlichen Lebensäuße-
vielen Kulturen rund um den Mittel-         rung eines christlichen Lebens dazu.
meerraum und weltweit. In der Bibel
                                            Wie sich Gastfreundschaft aber im Ein-
spiegelt sich das positiv und negativ
                                            zelnen äußert kann sehr unterschiedlich
schon in der Geschichte Abrahams. Er
                                            sein. Gutes und reichliches Essen gehört
bewirtet in sengender Mittagshitze drei
                                            sicher dazu, allerdings ist in unserem
geheimnisvolle Gäste mit einem überaus
                                            Kulturkreis überreichliches Essen nicht
üppigen Mahl (1.Mose 18). Er selbst be-
                                            notwendig (oft sogar eher abschreckend).
reitet für drei Gäste ein ganzes Kalb zu
                                            Es sind für uns eher kleine persönliche
und weist seine Frau an, aus 3 Maß
                                            Geschenke, eine schöne Tischdekoration
Mehl Kuchen zu backen. Umgerechnet
                                            oder ein freundlich anregendes Gespräch.
sind das gut 25 kg Mehl. Alles in allem
                                            Der Kreativität und individuellen Vielfalt
ergibt das gut 30 kg Brot. Für drei Gäste
                                            sind kaum Grenzen gesetzt. Dadurch
eine ungeheuer große Menge. Es ist of-
                                            drücken wir Wertschätzung und Würde
fensichtlich, dass es hier bei Gast-
                                            aus und bringen die Liebe Gottes zum
freundschaft nicht nur darum geht Men-
                                            Leuchten.
schen unterwegs mit dem Nötigsten zu
versorgen. Es geht um Würde und Wert-       Aber Gastfreundschaft spielt nicht nur
schätzung, die auch durch ein Übermaß       im persönlich privaten Leben eine große
an Essen ausgedrückt werden kann.           Rolle. Jeder Gottesdienst, zu dem Men-
Im Fortgang der Geschichte (1.Mose 19)      schen im Namen Jesu eingeladen wer-
wird in drastischer Weise die Bosheit       den, braucht Menschen, die die Gast-
der Menschen in Sodom beschrieben.          freundschaft im Blick haben. Es ist ein-
Bezeichnenderweise ist es der massive       fach in der Begrüßung „Herzlich will-
Bruch der Gastfreundschaft, der ihre        kommen“ zu sagen. Dass Menschen
Bosheit offenbar macht.                     dieses Willkommen aber auch spüren,
                                            ist dadurch jedoch noch lange nicht
Aus diesem Grund überrascht es nicht,
                                            sichergestellt.
dass auch im neuen Testament etwa in
                                            Wie komme ich in den Raum? Sitzen alle
Röm 12,13 und Hebr 13,2 zur Gast-
                                            schweigend, möglichst auf Lücke in
freundschaft ermuntert wird. Wenn es
                                            den Bänken, oder werden die Menschen
stimmt, dass Christen Menschen sind,
                                            freundlich und offen begrüßt? Treffe ich
in denen die Liebe Gottes ausgegossen
                                            auf Menschen, die an mir und aneinan-
ist (Röm 5,5), dann ist Gastfreundschaft
                                            der Interesse haben? Komme ich in ei-
mehr als kulturelles Gebot. Sie gehört
                                            nen freundlichen offenen Raum, in dem

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GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
angedacht …

es leicht fällt sich wohlzufühlen? Werde   Wie gestalten wir Räume einladend?
ich als Mensch mit meinen Fragen gese-     Wer aus der Gemeinde hat die Gabe der
hen – oder habe ich den Eindruck, mich     Gastfreundschaft und kann leicht und
hier erst selbst zurechtfinden zu müs-     gewinnend auf Menschen zu gehen?
sen?                                       Es ist immer wieder hilfreich Gäste nach
Und so sehr es ein Übermaß an Gleich-      einem Besuch zu fragen, wie sie es
gültigkeit gibt, kann es genauso           empfunden haben. Ein ehrliches Feed-
schwierig sein, wenn Gäste bei ihrem       back kann sehr schmerzhaft aber auch
ersten Besuch ein unnatürliches Über-      sehr gewinnbringend sein.
maß an Zuwendung bekommen. Und
                                           Aber ist das wirklich notwendig, werden
selbstverständlich reagieren Menschen
                                           manche fragen. Ist das wirklich nötig?
auch sehr unterschiedlich. Was für den
                                           Ist es den ganzen Aufwand wert? Ist es
einen eher introvertierten Menschen ei-
                                           nicht das Wort und die Predigt, die die
ne unnatürlich überschwängliche Be-
                                           Menschen berühren? Ja, natürlich ist es
grüßung ist, kann für einen extrover-
                                           das Wort. Aber wir wissen, dass Hören
tierten Menschen genau richtig sein.
                                           und auch Glauben ein ganzheitliches
Den richtigen Ton, das einladende Maß
                                           Geschehen sind. Wenn ich die Würde
zu finden, erscheint dem einen fast un-
                                           und Wertschätzung der Gemeinde spüre,
möglich. So viel kann man bei einer Be-
                                           fällt es mir leicht, der verkündigten
grüßung falsch machen und jeder weiß,
                                           Liebe Gottes zu glauben. Wenn ich in
dass der erste Eindruck entscheidet.
                                           den Reaktionen der Menschen eher Ab-
Aber es gibt auch die Menschen, denen
                                           lehnung erfahre, wie kann es dann ge-
das leicht fällt. Sie gehen gerne auf
                                           lingen, Gottes Zuwendung zu glauben?
Menschen zu und wissen intuitiv, was
                                           Wenn ich die liebevolle Art der Men-
sie wie mit diesem Menschen reden kön-
                                           schen sehe, die zu diesem Gott gehören,
nen. Es gelingt ihnen, die Menschen zu
                                           dann fällt es mir leicht das verkündig-
sehen, sie wahrzunehmen und ihnen die
                                           ten Wort des gnädigen Gottes mit dem
Wertschätzung entgegenzubringen, die
                                           Herzen zu hören und zu glauben.
Menschen auftauen und sich wohlfühlen
lässt. Aus diesem Grund sollte neben       Wenn Gastfreundschaft tatsächlich eine
der Predigt und der musikalischen Ge-      selbstverständliche Lebensäußerung des
staltung des Gottesdienstes auch die       christlichen Lebens ist, dann muss sie
Gastfreundschaft einen hohen Stellen-      doch in besonderer Weise da sichtbar
wert bei der Gottesdienstgestaltung        werden, wenn Menschen zum Gottes-
haben.                                     dienst zusammenkommen und glauben,
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
angedacht …

dieser gastfreundliche Gott (Offb 3,20)     Liebe Leser des Rundbriefs!
sei mitten unter ihnen.
                                            Schon seit langer Zeit stellt die Evangeli-
Folgende Schritte können helfen, die        sche Sammlung den Rundbrief auf ihrer
Gastfreundschaft in der Gemeinde wei-       Homepage als pdf-Datei online zur Verfü-
terzuentwickeln:                            gung. Diese Möglichkeit haben wir nun ver-
1. Wer sind die Menschen mit einer be-      bessert und der Rundbrief ist nun als attrak-
sonderen Gabe der Gastfreundschaft in       tives e-Magazin erhältlich.
unserer Gemeinde? Wer kann Räume ein-       Wir wollen durch diesen Schritt Druck- und
ladend gestalten? Wer hat einen Blick       Versandkosten sparen, sowie veränderten
für die Menschen? Wer kann freundlich       Lesegewohnheiten Rechnung tragen. Immer
und gewinnend auf Menschen zugehen?         mehr werden Magazine, Zeitschriften und
                                            Bücher mit einen Smartphone, Tablett oder
2. Laden sie gastfreundliche Menschen       am PC gelesen.
ein, um über Gastfreundschaft in der
Gemeinde zu reden. Sicher werden ihnen      Selbstverständlich wird der Rundbrief aber
viele kritische Punkte einfallen. Ich ha-   auch weiter per Post versandt werden.
be aber gelernt, dass solche Kritik der     Sollten Sie die digitale Variante des Rund-
„Profis“ immer hilfreich ist und den er-    briefes wünschen, können Sie sich auf der
sten Schritt zur Veränderung in sich        Homepage der Evangelischen Sammlung
trägt.                                      dafür anmelden. Sie können wählen, ob
                                            sie den Rundbrief nur digital oder weiter-
3. Folgende Fragen können dann in der       hin zusätzlich per Post erhalten wollen.
Umsetzung helfen: Was können wir            Sie würden in Zukunft mit dem Erscheinen
jetzt ohne viele Aufwand ändern? Was        des Rundbriefs eine E-Mail mit dem Hinweis
braucht Zeit, können wir uns aber ge-       auf den neuen Rundbrief und dem aktuel-
meinsam vorstellen? Wo brauchen wir         len Link bekommen.
Hilfe? Wie machen es denn die anderen?      Sobald Sie keine E-Mail mehr erhalten
Wer übernimmt die Verantwortung?            wollen, teilen Sie uns dies bitte mit. Ihre
                                            Adresse wird dann umgehend gelöscht.
Zu Schluss dieser Gedanken will ich aber
noch denen danken, die als Hausmeister      Die Homepage der Evangelischen Sammlung
und Hausmeisterinnen, Mesnerinnen           finden Sie unter:
                                            www.evangelische-sammlung.de
und Mesner, Kirchenwächter oder ehren-
amtlich Mitarbeitende in Begrüßungs-        An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass
oder Dekoteams Gastfreundschaft ganz        wir Ihre persönlichen Daten, Name und
selbstverständlich und manchmal auch        Adresse, ausnahmslos zum Versand des
unbemerkt leben. Danke für ihre Gast-       Rundbriefs einsetzen und diese nicht an
freundschaft – ihnen gelten die wunder-     Dritte weitergeben.
baren Worte aus Hebr 13,2: Einige ha-       Wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie mit einer
ben ohne ihr Wissen Engel beherbergt!       Spende die Erstellung des Rundbriefes wei-
                                            terhin ermöglichen.

                                                                                            5
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
biblisch bedacht ...

                                       Hartmut Bärend

Wenn Türen sich öffnen
Gedanken zur Gastfreundschaft

Wir sind so frei! Das klingt so richtig       Aber ich kenne auch das andere. Dau-
einladend. Wer hat nicht gern Gäste!          ernd Gäste haben, immer dasein müssen
Wer freut sich nicht, wenn „etwas             für Besucher; immer wieder neuen Leu-
Glanz“ in die eigene Hütte kommt, an-         ten freundlich begegnen, auf sie einge-
dere Gesichter, die einen auf andere Ge-      hen, das geht allmählich auf die Ner-
danken bringen. Wenn dann noch Fest-          ven. Da wird die Ermunterung zur Gast-
lichkeit mitschwingt, etwas Schönes           freundschaft dann fast zum Joch, das
für die Augen und für die Zunge - wer         kaum noch zu tragen ist.
möchte da nicht dabei sein?
                                              Etwas drittes: Uns kommt es ja sehr auf
                                              die Auswahl an, nicht wahr? Da kommen
                                              besondere Gäste, die sieht man gern,
                                              da ist man ein wenig stolz. Da kommen
                                              ungebetene Gäste, da ist man „je nach-
                                              dem“ ... Da wollen schließlich Gäste
                                              kommen, - die möchte man aber gar
                                              nicht sehen.
                                              So ist das mit diesem Thema gar nicht
                                              so leicht! Wir sind gar nicht immer so
                                              frei - und möchten auch nicht freier
                                              werden. Nun fordert uns aber gerade das
                                              biblische Wort auf, gastfrei zu sein, so-
                                              gar (oder gerade deshalb): „Ohne Mur-
                                              ren“ (1.Petr 4,9). Vielleicht hat ja Pe-
                                              trus schon etwas davon mitgekriegt,
                                              dass man auch mal murren kann – bei
                                              so vielen Gästen (oder bei so merkwürdi-
                                              gen Gästen!). Also: „Seid gastfrei ohne
                                              Murren.“ Und fast zärtlich formuliert der
                                              Schreiber des Hebräerbriefes: „Die Gast-
                                              freundschaft vergesset nicht (!), denn
                                              durch diese haben etliche ohne ihr
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
biblisch bedacht ...

Wissen Engel beherbergt“ (Hebr 13,2).
                                                     „Kommt her zu mir...“
Ja, das soll es geben! So werden wir er-
muntert und ermahnt. Es wäre aber zu        Erstaunlich ist aber nun, wie Jesus
kurz geschlossen, hieraus einfach abzu-     selbst gastfrei lebt. Er, der sich in sei-
leiten: Weil das so dasteht, darum tut      nem Gottsein nicht mit dem Schild „Pri-
es nun auch!                                vat“ abgeschottet hat (freie Überset-
                                            zung von Phil 2,6!), sondern der sich
    Bei Jesus in die Schule gehen           aus freien Stücken eingelassen hat ins
                                            Menschsein, der macht die Arme weit
Aufforderungen der Bibel wollen zurück-
                                            auf! „Kommt her zu mir alle, die ihr
geführt werden zur Mitte der Schrift,
                                            mühselig und beladen seid, ich will
zu Christus selber. Wer zur Gastfreund-
                                            euch erquicken“ (Mt 11,28), ruft er sei-
schaft redet, von Lust und Last, die man
                                            ner Jüngergemeinde zu. Jesus, der Gast-
dabei empfindet, der soll bei Jesus sel-
                                            geber, ist für alle da und hat für alle ge-
ber in die Schule gehen. Wenn man ge-
                                            nug. Und da sollen sie alle kommen,
nau hinsieht, gibt's da viel zu sehen und
                                            nicht nur die Frommen, nein, auch die
zu staunen. Ich versuche einfach, unser
                                            Sünder, die Zöllner: Heruntergekomme-
Thema mit Jesus und seinem Leben zu
                                            ne, Verbrecher, Bettler, - damals und
verbinden: Was für Türen tun sich da
                                            heute. Ja, gerade sie sind eingeladen,
auf!
                                            nachdem sich die eigentlich und zuerst
                                            Geladenen freundlich entschuldigt ha-
            „Kein Platz...“
                                            ben (Lk 14,15 ff): Von überall her sollen
Was ein Gast ist, der nicht geliebt ist,    sie kommen; wenn die einen zu fromm,
hat Jesus schmerzlich erfahren müssen.      zu selbstsicher, zu sehr mit sich selbst
„Sie hatten keinen Platz in der Herber-     beschäftigt sind, - dann sollen doch die
ge“, heißt es kurz und unmissverständ-      kommen von Hecken und Zäunen; die
lich in Lukas 2, 7. So blieb für das Kind   Randsiedler und Ausländer, die Obdach-
nur die armselige Futterkrippe in einem     losen und Ausgeflippten . . . Eine bunte
Winkel Palästinas. Oder die andere Stel-    Gesellschaft ist das, die Jesus zu sich
le: Der, der von oben gekommen ist,         eingeladen hat.
„kam in das Seine, und die Seinen nah-
                                            So erweist sich Jesus hier als der liebe-
men ihn nicht auf!“ (Joh 1,11). Zwei
                                            volle Gastgeber, der Zeit und Kraft inve-
Texte, der eine vom Menschen Jesus, der
                                            stiert, um Menschen einzuladen und zu
andere von Jesus, dem Gottessohn her
                                            bewirten. Aber nicht nur das:
formuliert, zwei knappe Sätze, die das-
selbe aussagen: Jesus muss schmerzlich      Am deutlichsten lässt sich Jesus der
erfahren, dass der Gast zunächst der        Gastgeber erkennen in der Passahhand-
Eindringling, der Fremde ist, der Platz     lung, der Einsetzung zum Heiligen
braucht; dem man aber keinen Platz zu       Abendmahl (Mk 14,12ff. 22ff par 1.Kor
geben bereit ist! Gastlichkeit ist der      11,23ff) und in der Geschichte von der
Menschen Stärke nicht, auch und gerade      Fußwaschung (Joh 13,1ff). Er, der ge-
Jesus gegenüber nicht.                      nug gibt, der gibt sich ganz! Sein Tod

                                                                                           7
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
biblisch bedacht ...

am Kreuz ist das größte Gastgeberge-         und macht sie froh und beweglich. So
schenk, das Menschen gemacht werden          ist Jesus Gastgeber und Gast zugleich.
kann.                                        Er lädt ein und kommt, wie die Situati-
                                             on es erfordert. Wo er ist, werden Men-
       „Ich stehe vor der Tür...“            schen neu. Nichts bleibt, wie es ist.
Jesus ist aber nicht nur der, der einlädt,
                                                „... euch eine Stätte zu bereiten
er ist auch der, der sich einladen lässt.
„Ich stehe vor der Tür und klopfe an:        Schließlich bleibt Jesus der Gastgeber -
Wenn jemand mir auftut, zu dem werde         auch über dieses Leben hinaus. Den
ich einkehren und das Abendmahl mit          Jüngern sagt er: „In meines Vaters Haus
ihm halten und er mit mir“ (Offb 3,20).      sind viele Wohnungen. Ich gehe hin,
So stellt sich Jesus der Gemeinde in         euch eine Stätte zu bereiten“ (Joh
Laodizea vor. Er will geladen sein. Er       14,2). Hier schon kündigt er an, dass
wirbt, aber er zwingt nicht. Er sucht das    er dermaleinst als Gastgeber auf seine
Herz, aber der Mensch muss sein Klop-        Jünger warten wird. Das „Es ist alles be-
fen auch beantworten.                        reit“, das die Abendmahlshandlung ein-
                                             leitet (und hier liegt die reichste und
Lebendig und anschaulich sind die bei-
                                             tiefste Einladung, der Christen in der
den Geschichten im Lukasevangelium,
                                             Gemeinde folgen können), wird auch
die diesen Zusammenhang unterstrei-
                                             einmal aufklingen im kommenden Reich
chen. Dem Zachäus, der am liebsten
                                             Gottes.
Zaungast geblieben wäre, da oben auf
seinem Maulbeerbaum (Lk 19,1ff),
                                                         „Ich bin die Tür...“
macht Jesus eine Offerte: „Heute muss
ich in deinem Hause einkehren“, sagt         Was hat unser kurzer Blick in das Neue
er. Nein, er zwingt den Zachäus nicht,       Testament ergeben? Ein, wie ich meine,
und doch: Der kapiert's sofort, springt      erstaunliches Bild tritt zutage: Jesus
vom Baum runter und nimmt den uner-          der Gastgeber steht vor uns: Alles hat
warteten Gast unter den Arm. Der Ober-       er zu geben, alles hat er gegeben. Es
zöllner bekommt Jesus zu Gast, - und         liegt an uns, ob wir uns einladen oder
sein Leben ändert sich, denn Jesus zu        ihn bei uns einziehen lassen. Er steht
Gast bekommen heißt immer, dass das          mit geöffneten Armen und wartet:
Herz anders wird.                            „Ich bin die Tür. Wenn jemand durch
                                             mich hineingeht, wird er gerettet wer-
Den beiden Jüngern von Emmaus will
                                             den, und er wird ein- und ausgehen
Jesus schon entschwinden (Lk 24,28!),
                                             und Weide finden“ (Joh 10,9).
da bitten sie ihn: „Herr, bleibe bei uns,
denn es will Abend werden und der Tag        aus Arbeit und Stille 5/1987
hat sich geneigt“. Hier lässt er sich bit-   mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
ten. Aber auch hier geht er mit Men-
schen nach Hause, prägt ihr Leben neu
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
aufmerkend ...

                                    Bärbel Hartmann

Von der Kunst
der Gastfreundschaft –
wie wir sie (er)leben können

                                           euch, und du sollst ihn lieben wie dich
       „Willkommen zu Hause“
                                           selbst. Denn ihr seid auch Fremdlinge
Am Eingang eines Kreuzfahrtschiffes        gewesen in Ägyptenland. Ich bin der
hatte ich diesen Aufsteller nicht erwar-   Herr, euer Gott.“ (3.Mose 19,33f) Die
tet. Ging es hier nicht um Aufbruch,       Erinnerung an Knechtschaft in der Frem-
Sehnsucht nach der Ferne, um die Weite     de und Dankbarkeit für die Befreiung,
der Meere? Offenbar hatten die Veran-      sind der tiefe Grund für die Gastfreund-
stalter erkannt – es braucht im Gegen-     schaft im Volk Gottes.
zug Schutz und Geborgenheit: Hier fin-     Wird der Fremde integriert, findet er ei-
den Gäste Heimat, der fremde Ort wird      nen Ort der Geborgenheit, ein Zuhause.
zum Zuhause!                               Mit Romano Guardini gesprochen: Dies
                                           ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn,
Gastfreundschaft findet immer weniger
                                           dass einer dem andern Rast gibt auf der
daheim in den Häusern, stattdessen
                                           großen Wanderschaft zum ewigen Zu-
auswärts statt. Man lädt einander zum
                                           hause. Sie stiftet ein soziales Band, sie
Essen ins Gasthaus ein, zu „Events“ in
                                           lädt ein zum Verweilen wissend darum,
besondere „Locations“. Bei Besuchen
                                           dass sie „nur“ Rast sein wird, eine Oase,
daheim muss man sich anmelden: „Du
                                           ein Ort zum Aufatmen und Erholen, zum
kannst ja anrufen, ob es passt.“ Einfach
                                           Kraftschöpfen, zum Stärken und Erfri-
klingeln, das geht fast nicht mehr. Oder
                                           schen für nicht selten anstrengende
mit den Worten einer Pfarramtssekre-
                                           Lebenswege.
tärin, nach jahrelanger Tätigkeit im
Pfarrhaus: „In die Wohnung bin ich         Gastfreundschaft in der Kirche hat viele
noch nie gekommen.“ Gastfreundschaft       Gesichter: die der Hausgemeinschaften
wird vielfach in öffentliche Räume ver-    der Urkirche, der Speisung und der
lagert. Ob das gut ist?                    Ernährungsprogramme in der inneren
                                           und äußeren Mission, der Unterkunft in
          Gastfreundschaft                 Krankenhäusern und diakonischen Ein-
        ermöglicht Beziehung               richtungen, der Vesperkirche, dem Hos-
                                           piz ... um nur einige zu nennen. Einla-
Durch Gastfreundschaft finden Fremde
                                           dende Kirche wird immer Gastfreund-
ein Zuhause. „Wenn ein Fremdling bei
                                           schaft leben und gestalten. Wir sind
euch wohnt in eurem Lande, den sollt
                                           Gastgeber, die sich mit Ideen und Krea-
ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch
                                           tivität, mit Zeit und Kraft einbringen,
wohnen wie ein Einheimischer unter
                                           damit Menschen sich willkommen fühlen

                                                                                       9
GASTFREUNDSCHAFT - BRI E F - Lebendige Gemeinde
aufmerkend ...

und aufgenommen wissen. Und zugleich        die in dem Wort Gast-Freundschaft
ist Gemeinde der Raum, wo wir alle          liegt? Fremden-Liebe. Wie geht es uns
Gastfreundschaft erleben, wo wir im         damit? Rühren sich nicht Vorbehalte?
Gottesdienst, in der Seelsorge, beim        Das Fremde kann verunsichern, Angst
Abendmahl schmecken und sehen, wie          machen.Wie offen sind wir Fremden
freundlich der Herr ist.                    gegenüber?
                                            Unsere Wortwahl setzt – auch gesell-
Einige Aspekte von der Kunst der Gast-
                                            schaftlich – Akzente, die auch in der
freundschaft kann man auch bei einem
                                            Entwicklung der Sprache zu erkennen
Gang durch die Räumlichkeiten und die
                                            sind: Der Fremdarbeiter wurde zum
Geschichte des Einkehrhauses Stift
                                            Gastarbeiter dann zum Mitbürger, aus
Urach entdecken:
                                            dem Fremdenverkehrsamt wurde ein
                                            Haus des Gastes.
                                            Die äußeren und die inneren Türen ge-
                                            rade für Fremde zu öffnen, ist eine Le-
                                            benshaltung des Glaubens. Denn Chri-
                                            sten wissen, was schon die frühen Psal-
                                            men beten: Gott, ich selbst bin ein Gast
                                            bei dir, ein aufgenommener Fremdling
                                            wie alle meine Väter (Ps 39,13), dein
                                            Hausgenosse (Eph 2,19). Gastfreund-
                                            schaft ereignet sich letztlich nie auf
                                            eigenem Boden, sondern im Raum der
          Gastfreundschaft                  Gastfreundschaft Gottes. Christliche
braucht ein erkennbar geöffnetes Tor        Gastfreundschaft lebt aus der Gottes-
                                            beziehung und lädt dazu ein.
Ich war erst kurz im Stift, als eine täg-
lich vorbeifahrende Bekannte kommen-
                                                      Gastfreundschaft
tierte: Schade, dass euer Tor immer zu
                                             schützt und gewährt Zuflucht in Not
ist. Das Tor wurde jeden Tag aufge-
schlossen, aber nicht weit geöffnet. Es     Davon zeugt im Stiftshof die Plastik von
war nicht erkennbar, dass wir einladen,     Primus Truber. Um seines Glaubens wil-
herein zu kommen, die Schwelle zu           len im 16. Jahrhundert aus Slowenien
überschreiten, Gast zu sein.                geflohen, fand er und weitere Geflüch-
Wer – wohin auch immer – als Gast           tete unter Herzog Christoph im Stift
kommt, tritt durch ein Tor, überwindet      Urach Asyl. Hier konnten sie leben, ar-
eine Schwelle. Von außen kommend be-        beiten, die Bibel übersetzen. Verschie-
tritt er eine andere Welt, die nicht die    dene Sprachen und, Kulturen begegne-
Seine ist.                                  ten einander. Bis heute ist es ein Zei-
In vielen Sprachen ist das Urwort für       chen christlicher Gastfreundschaft,
Gast immer „der Fremde“, der ganz an-       Schwache vor Übergriffen zu schützen,
dere Mensch. Spüren wir die Spannung,       wenn nötig im Kirchenraum.
aufmerkend ...

Pilger waren die ersten Touristen, die      verkehr lebt, kann die Fremden nicht
sich der Fremde stellten. Mönche er-        leiden….Sie benutzen seine Stuben,
kannten, dass sie Herberge brauchen,        seine Höhenluft, seine Panoramen, sei-
boten Unterkunft, Hospitäler, Friedhöfe,    ne Wiesenblumen, es muss ihn ärgern.
betreuten diese Touristen mit Essen,        Weil diese Tagediebe Eintrittsgeld,
einer Schlafmöglichkeit und mit Seel-       Pachtgebühr und Sport bezahlen, muss
sorge. So wurden Klöster zu Häusern         er seinen Widerwillen zu verbergen
christlich gelebter Gastfreundschaft.       trachten, und das macht die Sache noch
„Alle Fremden, die kommen, sollen auf-      schlimmer.“ Ob uns solche Stimmen
genommen werden wie Christus; denn er       nicht auch vertraut sind: Unsere Kirche,
wird sagen: Ich war fremd und ihr habt      mein Stammplatz, was bringen neue
mich aufgenommen. Allen erweise man         Menschen nicht alles an Neuerungen
die angemessene Ehre, besonders den         mit?
Brüdern im Glauben und den Pilgern.         In einer Mitarbeiterbesprechung tausch-
Sobald ein Gast gemeldet wird, sollen       ten wir uns aus: Was bedeutet für uns
ihm daher der Obere und die Brüder voll     Gastfreundschaft?
dienstbereiter Liebe entgegeneilen. Zu-     Einige Äußerungen: Wir leben keine
erst sollen sie miteinander beten und       aufgesetzte, sondern echte Freundlich-
dann als Zeichen der Gemeinschaft den       keit, Ehrlichkeit, Offenheit. Wir pflegen
Friedenskuss austauschen.“ (Regel des       keine Ellbogenmentalität und wollen
heiligen Benedikt 53,1-4)                   keinen Zickenkrieg. Die Gäste sollen
                                            spüren, dass sie willkommen sind. Der
          Gastfreundschaft                  christliche Glaube verbindet uns in der
  braucht gastfreundliche Menschen          Mitarbeiterschaft. Die Atmosphäre im
Gastfreundschaft braucht Gastgeber. Wer     Haus soll dies deutlich machen. Die Fro-
übernimmt in unserer Gemeinde diese         he Botschaft wird auch sichtbar durch
Aufgabe? Die Hauptamtlichen, der Pfar-      die Bibel und das Gesangbuch im Zim-
rer, ein Kirchengemeinderat, andere Eh-     mer, durch Andachten, das Kreuz.
renamtliche? Im Stift Urach wurde ge-       Manchmal hört man das Singen von
klärt: Wir alle, die Angestellten aus den   Gruppen im Haus. Bewusst haben wir
verschiedenen Bereichen, sind als
Dienstleistungsgemeinschaft im Ge-
genüber zu unseren Gästen Gastgeber.
Nicht alle sind begeistert über Aufge-
schlossenheit und Gastfreundschaft.
Erich Kästner schreibt in seinen Tage-
buchaufzeichnungen aus dem Zillertal:
„Dass uns der Großteil der Einheimi-
schen nicht eben gewogen ist, lässt sich
mit Händen greifen, und die Aversion
lässt sich verstehen. Wer vom Fremden-

                                                                                        11
aufmerkend ...

keine TV-Anschlüsse und kein Telefon       Gastfreundschaft braucht Räume
auf den Zimmern.
                                           „Wenn du hier herein kommst, ist es,
Wir fragten uns: Was brauchen, was         wie wenn du am Radio den Knopf ab-
wünschen unsere Gäste?                     drehst. Es ist alles so still, so ruhig,
Sie möchten gesehen, wahrgenommen          ohne Lärm,“ so äußerte dieser Tage ein
werden, Jesus hat Menschen angesehen:      Gast. Andere sagen: „Es ist, als ob ich
den distanzierten Zollbeamten Zachäus      in eine andere Welt komme. Ich kann
auf seinem Baum, die Witwe am Opfer-       meinen Rucksack abstellen, abladen.“
kasten, die Mütter mit ihren Kindern. Er   Damit benennen sie ein wesentliches
nimmt die Menschen wahr, geht auf ihre     Merkmal christlicher Gastfreundschaft:
Bedürfnisse ein. Gäste brauchen offene     Innehalten, Da-sein-dürfen, aufatmen.
Ohren und Herzen und Zeit, den Blick       Jesus hat gesagt: „Kommt her zu mir
der Liebe, die Freude am Gegenüber.        alle, die ihr mühselig und beladen seid.
Small talks können zu tiefgründigen        Ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)
Gesprächen werden. Gastfreundschaft        Im Griechischen steht hier: anapauso.
hat, wie Freundschaft überhaupt, immer     Pause machen dürfen, in aller Ruhe da
auch die Chance für Überraschungsmo-       sein. Wir alle wissen, wie wohltuend es
mente. „Magic Moments“ zu schaffen,        ist, wenn man in einladender Atmos-
lernen wir von der Gastronomie, der        phäre, bei verständnisvollen Menschen
Hotellerie und vom Tourismus.              angenommen ist, aufatmen kann, je-
                                           manden zur Seite hat, der/die zuhört,
aufmerkend ...

ganz für mich da ist und mit überlegt,      das Glück, dass wir Räume haben, wo
mit denkt, betet, vielleicht auch segnet.   unter der Wahrung des Beichtgeheim-
Es ist unser Auftrag als Kirche, solche     nisses wirklich alles zur Sprache kom-
Räume der Stille, der Besinnung zu er-      men darf, wo Sorgen abgegeben werden
schließen, in denen Menschen willkom-       können, wo Beichte und Zuspruch der
men sind, unabhängig von ihrem per-         Vergebung geschieht.
sönlichen Hintergrund oder ihren Le-        Solch ein Rastplatz auf dem Weg zur
bensumständen.                              himmlischen Heimat lädt ein zum In-
                                            nehalten, zum Rückblick und zum Aus-
Die zunehmend geöffneten Kirchen sind
                                            blick. Einen schönen Begriff der Gast-
solche Orte der Gastfreundschaft. Doch
                                            freundschaft tragen wir mit unserm Na-
es ist wichtig, zu überlegen: Wie sind
                                            men: Einkehrhaus. Bei den Hausführun-
unsre Räume gestaltet? Vermitteln der
                                            gen frage ich die Gäste immer: Woran
Chorraum, die Sakristei, der Schriften-
                                            denken Sie, wenn Sie das Wort Einkehr-
Tisch eine Atmosphäre des Willkommens
                                            haus hören? Stille, Ruhe, Besinnung,
oder sind sie Rumpelkammer? Wie ist
                                            sagen die einen, an Wirtschaft und Ein-
ihre Atmosphäre, sind sie sauber, liebe-
                                            kehrschwung denken die andern.
voll gerichtet? Wer ist dafür verantwort-
lich, welche Mittel stehen zur Verfü-
                                            Innere Einkehr und Einkehren, beides
gung?
                                            gehört zusammen. Genießen gehört zur
Wo geschieht Seelsorge und Geistliche
                                            Kunst der Gastfreundschaft. Ein gutes
Begleitung? Im Stift Urach haben wir
                                            Essen, anregende Tischgespräche,

                                                                                      13
aufmerkend ...

freundliche Kommunikation, Musik, bis
hin zum Genießen von Gottes Gast-                 Gäste sind uns willkommen
freundschaft beim Abendmahl. Mit allen          und bei uns zuhause – auf Zeit
Sinnen riechen, schmecken, fühlen, se-      Rast bieten kann und soll die Gast-
hen, hören. „Du schenkest mir schwib-       freundschaft. Wer Rast hält, ist unter-
beli schwabbeli ein“ lautet eine alte       wegs. Er wird, um sein Ziel zu erreichen,
Züricher Übersetzung von Psalm 23,5.        erneut aufbrechen, weiter gehen, sei-
Jesus pflegt die Leibsorge vor der Seel-    nen Weg gehen, hoffentlich nicht allein,
sorge. Erst nach dem Essen führt er sein    sondern mit vielen andern, die ebenfalls
Berufungsgespräch mit Petrus (Joh           unterwegs sind. Das Leben ist zu mei-
21,15).                                     stern.
Vielfältig sind den Möglichkeiten in den    Der Gast bricht auf, die Gastgeber be-
Kirchengemeinden Gastfreundschaft zu        gegneten ihm und bleiben zurück, viel-
leben: Orte sind vorhanden: der Kir-        leicht in der Haltung, wie es am Ein-
chenraum, die offene Sakristei, das Ge-     gang des Klosters St. Maur in der Breta-
meindehaus, ein Wohnzimmer. Vielfältig      gne zu lesen ist: „Du kommst jetzt zu
sind die Chancen, sie mit Leben zu fül-     uns herein. Sei willkommen. Die Kom-
len in Gottesdiensten, Hauskreisen, Ver-    munität von St. Maur freut sich, dir eine
anstaltungen aller Art von Krabbelgrup-     Rast auf deiner Reise anbieten zu kön-
pe bis Seniorenkreis, bei Konzerten,        nen. Gib dich aber nicht damit zufrie-
dem Gemeindeessen….                         den, von uns, die wir hier zusammen
                                            leben, zu profitieren. Lass uns auch von
   Zur Kunst der Gastfreundschaft           dem profitieren, was du lebst, was du
        gehört das Einladen                 weißt, was du hoffst. Schenke uns die
                                            Gemeinschaft mit dir als Gegengabe für
Wir haben viele Möglichkeiten einladen-     dein Zusammensein mit uns. Dass unser
de Gemeinde/Kirche zu sein, zu werben       Zusammentreffen an diesem Ort dazu
mit Amtsblättern und Gemeindebriefen,       führt, miteinander zu teilen, das wün-
Homepage und Flyern, in den Medien          schen wir und nichts anderes. Die Abtei
aller Art. Unzweifelhaft wird die persön-   von St. Maur wird das sein, was wir hier
liche Zuwendung, die einladende Le-         gemeinsam tun.“
benshaltung für das „willkommen zu-
hause“ die besten Chancen haben und         Von der Kunst der Gastfreundschaft –
dann zu erfahren: „So seid ihr nun nicht    wir können einander Rast geben auf der
mehr Gäste und Fremdlinge, sondern          Wanderschaft nach dem ewigen Zuhause
Mitbürger der Heiligen und Gottes Haus-     unter der Zusage eines alten Segens an
genossen.“                                  mancher Haustür:
Gastfreundschaft ist keine Aktivität,       „Freude dem, der kommt, Friede dem,
sondern ein Lebensstil. Menschen leben      der verweilt, Segen dem, der weiter
Gastfreundschaft als Haltung vom Au-        zieht.“
genkontakt bis zum „Grüß Gott“.             Vortrag beim Württembergischen PGB-Tag in Stift
                                            Urach am 6. November 2017, bearbeitet
ermutigend ...

                                    Heidi Josua

Willkommens-Kultur und
Ankommens-Kultur mit
Pragmatismus und Realismus
„Du hast mich zu einem Menschen ge-          Nicht jede Begegnung und nicht jede
macht,” sagte ein junger syrischer           Hilfe verläuft so positiv. Manchmal
Flüchtling zu mir. „Niemand hat mich je      picken Flüchtlinge die Rosinen prakti-
mit so viel Respekt behandelt.” Ein Jahr     scher Hilfsangebote heraus, lehnen aber
zuvor, bei seiner Ankunft zusammen mit       alle Mahnungen zu Eigeninitiative und
einer Gruppe junger Männer, sah es           zur Annahme der freiheitlich-demokrati-
ganz anders aus. Ablehnung und tiefes        schen Grundordnung ab. Andere wieder-
Misstrauen waren in seinem Gesicht zu        um warten nur darauf, eine Alternative
lesen. „O Jesus, wie soll ich hier nur Zu-   zu Gewalt, Tod und Hass zu erfahren.
gang bekommen?”, war meine verzwei-          Und einige kommen, weil sie sich nach
felte Frage. Es folgten viele Stunden        dem Friedefürsten sehnen, der allein
ganz praktischer Begleitung der Gruppe:      den gequälten Herzen Ruhe bringen
Papierkram, Anleitung zum Zimmer-            kann.
aufräumen, Hausaufgabenhilfe, gemein-
                                             Es ist ein Phänomen: Wann gab es je so
sames Kochen, Streit schlichten. Von
                                             viele Ehrenamtliche wie in den letzten
der ersten Arbeitsstelle lief er nach kur-
                                             drei Jahren, so viel bürgerschaftliches
zer Zeit im Streit davon. Ich sagte
                                             Engagement für wildfremde Menschen,
nichts dazu; aber ich betete, dass Jesus
                                             ja: so viel Zivilgesellschaft? Leute, die
diese Härte berühren möge. Eine Woche
                                             einfach zupacken, beherzt handeln, die
später zeigte er mir auf seinem Handy
                                             sich von Sprachgrenzen nicht aufhalten
ein Entschuldigungsschreiben an seinen
                                             lassen, die nicht warten, bis Gesetze
Arbeitgeber. Ungläubig las ich die
                                             fertig werden und neue Planstellen den
sprachlich noch holprigen Worte. Er
                                             mühsamen Weg durch die Mühlen der
sagte: „Du weißt, dass ich mich noch
                                             Bürokratie finden, die sich nicht um
nie bei irgend jemandem entschuldigt
                                             starre Dienstwege und überforderte Äm-
habe. Aber ich wusste, dass du es so ge-
                                             ter scheren, sondern mit unglaublich
macht hättest. Und deshalb habe ich es
                                             viel Herz und Kreativität das Nötige
auch gemacht.” Nach Bestehen der B1-
                                             tun? Darunter sind viele mit eigener
Sprachprüfung wurde er genau dort in
                                             Fluchtbiographie, deren Eltern oder
Vollzeit angestellt. Und dann kam er
                                             Großeltern im 2. Weltkrieg fliehen muss-
wieder und zeigte mir voller Stolz seine
                                             ten, die wissen, wie sich das anfühlt.
Lohnabrechnung: „Heute habe ich zum
                                             Hätten all diese Menschen nur eine
ersten Mal Steuern bezahlt. Jetzt bin
                                             „Schweigestunde“ eingelegt – das Sy-
ich ein Bürger”
                                             stem wäre zusammengebrochen.

                                                                                         15
ermutigend ...

                                            für unsere eigene Identität und damit
                                            zugleich den für unseren Umgang mit
                                            unseren Mitmenschen – und eben auch
                                            mit dem „Anderen“. Jeder Mensch, jeder
                                            einzelne Mensch, ist weder eine Laune
                                            der Natur noch Zufallsprodukt der Evolu-
                                            tion, weder Zumutung noch Störenfried,
                                            sondern Imago Dei, Ebenbild Gottes!
                                            Diese Würde, diesen Wert kann und darf
                                            niemand nehmen, niemand antasten.
                                            Wer einen Menschen antastet, wer das
                                            imago antastet, der tastet das Urbild,
                                            Gott selbst, an. Wer über einen Men-
                                            schen verächtlich redet, der beleidigt
                                            seinen Schöpfer.
                                            Christen können also niemals einen
                                            Menschen irgendwo „entsorgen“ oder
                                            ihm „eine in die Fresse hauen“ wollen,
                                            können ihn niemals „Gesindel“, „Ein-
                                            dringling“ oder Mitglied einer „Horde“
                                            nennen. Im Gegenteil, sie werden ihren
                                            „Nächsten nicht belügen, verraten, ver-
                                            leumden oder seinen Ruf verderben“,
                                            niemandem seine Worte „verdrehen“
                                            und niemanden ungehört und leichtfer-
                                            tig verurteilen helfen, sondern sie wer-
                                            den „Gutes von ihm reden“ und seine
                                            „Ehre und guten Ruf nach Kräften ret-
                                            ten und fördern.“

Und wir Christen? Wenn jemand in der        Denn Christen folgen dem Mann, der in
Flüchtlings- „krise“ aktiv werden sollte,   „seinem Eigentum“ so fremd war, dass
dann wir Christen. Wir sind ja selbst       er außerhalb der menschlichen Gemein-
„Fremdlinge“ auf dieser Erde, weil unse-    schaft geboren wurde, der als Säugling
re eigentliche Heimat außerhalb geogra-     mit dem Leben bedroht wurde und seine
phischer Grenzen liegt (Phil 3,20) – wir    frühe Kindheit auf der Flucht in Ägypten
haben also nichts zu verlieren, sondern     verbrachte, der „nicht hatte, wo er sein
nur zu gewinnen.                            Haupt hinlegt“, der in einem fremden
Und unser größter Schatz, das Ureigen-      Grab bestattet wurde, der also nie ganz
ste unseres Menschseins, ist: Schon das     dazugehörte. Wenn also der Anfänger
1. Kapitel der Bibel legt den Grundstein    und Vollender unseres Glaubens ein
                                            Flüchtlingsleben führte – um wie viel
ermutigend ...

mehr sollten wir uns denen zuwenden,        Ich wünschte,
die unverhofft und unverschuldet in ein
                                            ● dass wir nicht länger lamentieren,
Flüchtlingsleben gezwungen wurden!
                                              theoretisieren und ideologisieren
Wird er am Jüngsten Gericht sagen: „Ich
                                              über „Herausforderungen“ und
bin ein Fremdling gewesen, und ihr
                                              „Machbarkeit“, sondern dass wir
habt mich beherbergt.“?
                                              einfach die Ärmel hochkrempeln und
                                              fragen, wo wir mit anpacken können.
Viele Muslime lehnen religiös legitimier-
te Gewalt und das Töten im Namen            ● dass die Christen, die sich völlig zu
Gottes ab. Sie haben zu viel Leid und         Recht für ungeborenes Leben ein-
Tod gesehen und glauben nicht, dass           setzen, dies in gleicher Weise auch
Gott, der den Menschen schuf, gleich-         für gefährdetes und geflüchtetes
zeitig seinen Tod wünschen kann. Nein,        Leben tun.
sie sehnen sich nach einer Alternative.
                                            ● dass all die, die eine feste Meinung
Finden sie Christen, die die Haltung und
                                              zur „Flüchtlingskrise“ haben, ohne
die Botschaft von Versöhnung, Frieden
                                              einen einzigen Flüchtling zu kennen,
und Liebe in die engen, spannungsgela-
                                              zusammen mit Ehrenamtlichen in
denen, von Misstrauen und Ängsten ver-
                                              eine Unterkunft gehen und dort
gifteten Unterkünfte tragen? Christen,
                                              Menschen persönlich kennenlernen.
die nicht nur bei den Formalia eines
bürokratisch umzäunten Flüchtlingsle-       ● dass Christen über ihren Schatten
bens helfen, sondern ein offenes Ohr          springen und ohne Kompetenzge-
haben für Ängste und die Mut machen,          rangel mit anderen Aktiven und
das komplexe Leben in Deutschland an-         Gruppen vor Ort zusammenarbeiten,
zupacken und sie auf diesem Weg be-           allein das Wohl der Flüchtlinge im
gleiten? Christen, die sich einfühlsam        Auge habend.
und zugleich unbeirrt und hartnäckig
                                            ● dass wir ein einladendes Zeugnis
für Minderheiten und die Opfer von
                                              von und zu Jesus sind.
Mobbing und Bedrängnis einsetzen?
Christen, die nicht nur die Opfer schüt-
                                            Denn: „Gott hat uns nicht gegeben den
zen, sondern sich genauso engagiert
                                            Geist der Furcht, sondern der Kraft und
den Mobbenden und Bedrängenden ent-
                                            der Liebe und der Besonnenheit.“ (2
gegenstellen? Und nicht zuletzt: Finden
                                            Tim 1,7). Angst ist der schlechteste
fragende Muslime Christen, die ihnen
                                            Ratgeber. Er lähmt und knechtet uns in
fröhlich und furchtlos den Glauben an
                                            den Geist der Furchtsamkeit, auf uns
den Friedefürsten Jesus vorleben und
                                            selbst bezogen und unfrei zum Handeln.
ihnen Antworten geben auf ihre Nöte
                                            Gott hat uns vielmehr Kraft gegeben:
und Fragen? Finden sie Gemeinden, die
                                            Kraft, tatkräftig anzupacken, wo es
sich auf das Wagnis einlassen, ihre lieb-
                                            nötig ist. Er hat uns mit Liebe erfüllt:
gewordenen und bewährten Wege zu
                                            Liebe, die den anderen mit den Augen
verlassen und einen Menschen in seiner
                                            Jesu sehen kann, mit den Augen der
Suche zu begleiten?

                                                                                       17
ermutigend ...

Liebe und Barmherzigkeit. Und er gibt
uns die nötige Besonnenheit: die Be-
sonnenheit, weder wilden Aktionismus
noch naives Gutmenschentum zu ent-
wickeln, sondern nüchtern, besonnen
und strategisch denkend zu agieren.
Besonnenheit weiß, dass Integration
keine Einbahnstraße ist. Dass zur Will-
kommenskultur auch eine Ankommens-
kultur kommen muss. Willkommenskul-
tur bedeutet zunächst dem Anderen mit
offenen Herzen zu begegnen. Zugleich
wissen wir, dass offene Türen allein
nicht genügen. Die große Zahl der An-      all das dürfen und sollen wir einfordern.
kommenden aus ganz anderen Kulturen        Klare Regeln und Grenzen helfen, ein
macht es nötig, eine Integrationskultur    Gerüst zu finden. Wenn diese Regeln
zu entwickeln, die fördert – und konti-    kombiniert werden mit Akzeptanz des
nuierliche Integrationsleistungen for-     Menschen, mit der Liebe Jesu – dann
dert. Menschen sollen nicht nur in leere   wirken sie Wunder.
Häuser und Hallen gesteckt und hof-
                                           Besonnene und nachhaltige Flüchtlings-
fentlich in den Arbeitsmarkt integriert
                                           arbeit braucht ein klares pädagogisches
werden, sondern auch in die Wertege-
                                           Konzept, engagierte Menschen, ein Netz-
meinschaft hineinwachsen. Dabei kön-
                                           werk sich ergänzender Kompetenzen.
nen wir Christen eine entscheidende
                                           Gut gemeinter Aktionismus, isolierte
Rolle spielen, indem wir diese Werte
                                           Projekte sowie unreflektiertes und un-
vorleben und Ankömmlinge mit hinein-
                                           kritisches „Gutmenschentum“ hinterlas-
nehmen. Ja, wir leben Barmherzigkeit
                                           sen als „Flurschäden“ desillusionierte
und haben Verständnis für das, was je-
                                           Flüchtlingshelfer, die sich bald aus-
mand erlebt hat; Verständnis, dass Jah-
                                           genützt fühlen, Begünstigung der „lau-
re des Krieges, die Monate der Flucht
                                           ten“ und fordernden Flüchtlinge, sowie
und die Wochen in den Erstaufnahme-
                                           Neiddebatten der Benachteiligten in der
stellen jeden Tagesrhythmus durchein-
                                           deutschen Bevölkerung.
ander gebracht haben. Aber dann muss
wieder eine Tages- und Lebensstruktur      Natürlich wird sich unser Land mit den
eingeübt werden. Respekt vor weibli-       Flüchtlingen verändern, aber wir haben
chen Mitarbeitern, Respekt vor Mitbe-      die Möglichkeit, diese Veränderung mit-
wohnern anderer Ethnien und Religio-       zugestalten und uns als Christen auf
nen, Einhaltung der Hausordnung, Ein-      vielfältigste Weise einzubringen. So ha-
haltung von Terminen, Fleiß beim Erler-    ben wir zusammen mit unserer lokalen
nen der Sprache, zielgerichtetes           kommunalen Flüchtlingsarbeit in Weis-
Vorwärtsgehen sowie Eigeninitiative –      sach im Tal Leitlinien entwickelt, um
ermutigend ...

mit einem pädagogischen Konzept eine                 die Enge der Unterkünfte, zu den Men-
einheitliche Linie aller Beteiligten zu              schen zwischen Bangen und Hoffen, und
gewährleisten. Eine gute Betreuung ist               dort ein Licht seien. Jetzt ist die Zeit,
die beste Prophylaxe sowohl gegen Ra-                dass wir uns aber auch denen entgegen-
dikalisierung der Flüchtlinge wie auch               stellen, die überall Gefahren lauern se-
gegen Unmut in der deutschen Bevölke-                hen, die Hass schüren und Menschen ih-
rung. Man muss weder die Welt noch                   re Menschlichkeit absprechen, dort sol-
das christliche Abendland retten, kann               len wir Salz sein.
aber für einen Flüchtling, eine Flücht-
                                                     Jetzt haben wir die Chance, dass wir
lingsfamilie Begleiter / Integrationslot-
                                                     Christen biblische Maßstäbe im Umgang
se / Flüchtlingspate werden. Und wenn
                                                     mit anderen setzen, dass wir Heimatlo-
jeder Christ diese unglaubliche Chance
                                                     sen eine Heimat anbieten, dass wir Chri-
mit beiden Händen ergreift und tätig
                                                     stus aktiv und glaubwürdig verkörpern
wird, können wir eine Menge bewegen!
                                                     und in Menschen eine Sehnsucht nach
Jetzt ist die Zeit, dass wir aus Wohlfühl-           ihm wecken, dass wir Christen Licht und
nischen herauskommen und dorthin ge-                 Salz in unserer Gesellschaft sind.
hen, wohin Jesus auch gehen würde: in

Die Arabische Evangelische Gemeinde Stuttgart unterstützt Gemeinden im Umgang mit Flüchtlingen, so-
wohl Muslimen als auch orientalischen Christen; organisiert Seminare und Tagungen zu Flüchtlingen, Is-
lam, orientalisches Christentum und interkultureller Begegnung; bietet Taufkurse an für fragende Musli-
me, als muttersprachliche Ergänzung des lokalen Katechismusunterrichts; veranstaltet arabische Freizei-
ten, in denen Arabischsprechende Gemeinschaft mit anderen Christen erleben können oder Fragende in
eine christliche Gemeinschaft hineingenommen werden; informiert über orientalische Christen durch ei-
nen viersprachigen Kalender „Christliche Spuren im Orient”; schlägt Brücken zu arabisch-christlicher
Kultur durch Kalligraphie-Ausstellungen „GottesZeichen” und Konzerte „Ex oriente vox”; erreicht arabi-
sche Intellektuelle durch einen Stand mit christlich-arabischer Literatur auf der Frankfurter Buchmesse
und beeinflusst somit Meinungsbildner aus und in der arabischen Welt. (www.auslaenderseelsorge.com
info@arabic-church.com)

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teilgebend ...

                                   Hans-Georg Filker

Berliner Gasthausmission

         Gasthausmission –                  Drei kurze Blicke in die Geschichte
       na, was ist das denn…?
                                           1. Das Ganze begann in … Frankreich.
Berliner Gasthausmission, das Wort         An der Riviera. Junge deutsche Saison-
muss man sich auf der Zunge zergehen       arbeiter – Kellner und Köche, die in
lassen. Wer möchte da nicht mitma-         Deutschland im CVJM, im EC oder der
chen, Essen, Trinken, Reden, Small und     Jungen Gemeinde beheimatet gewesen
Big talk… Es gibt interessante missio-     waren, fühlten sich geistlich obdachlos.
narische Projekte, die Mission an „ande-   Da ermutigte sie der deutsche Auslands-
ren Orten“ durchführen, weil manchen       pfarrer in Nizza, selbst Bibelstunden zu
die Schwellen zur Kirche oder ins Ge-      starten in den Zeiten, die durch ihre Ar-
meindehaus zu hoch sind.                   beit ermöglich wurden. Zeiten, in denen
Gasthausmission hat eine andere Ziel-      „normale“ Gemeindearbeit Pause mach-
setzung. Sie wendet sich an Menschen,      te oder zu denen normale Gemeindeglie-
die im Hotel- und Gastgewerbe arbei-       der schon schliefen. So entstand die
ten. Sie haben die Gastfreundschaft als    „Kellnermission“.
Beruf und erfahren oft sehr wenig Wert-
                                           2. In Berlin sahen Verantwortliche die
schätzung. Wegen ihrer Arbeitszeiten
                                           geistliche und die soziale Not der Be-
bestehen oft nur wenige Möglichkeiten,
                                           diensteten in den Hotels. Untergebracht
regelmäßig am Leben einer christlichen
                                           in Verschlägen unterm Dach waren sie
Gemeinde teilzunehmen. Also geht die
                                           den Launen und manchmal Begierden
Kirche zu ihnen.
teilgebend ...

der Vorgesetzten ausgesetzt. Sie ent-       bühren pleite gegangen. Hier wurde
wickelten eine interessante Idee. Im        durch die Kooperation mit dem gegen-
„Christlichen Kellnerheim“ in der Alb-      überliegenden Hotel Albrechtshof eine
rechtstrasse in Berlin-Mitte wurde die      gute Lösung gefunden – und endlich
Hälfte der Zimmer normal an Gäste ver-      gab es wieder einen eigenen Geschäfts-
mietet. Die Einnahmen nutzte man zur        stellenraum.
Subvention der Zimmer für Mitarbeiten-
                                            3. Neuanfang mit Horita und dem Wirte-
de. Als erster „Hauptamtlicher“ wurde
                                            stammtisch
ein Oberkellner aus dem Hotel Adlon be-
                                            Im ersten Jahr nach der Wende luden
rufen, der nach anfänglichem Zögern
                                            wir zu einem Weihnachtsempfang in die
mit dem Segen – und einer hilfreichen
                                            Albrechtstrasse ein. Woher sie die Einla-
Spende – des legendären Seniors Lorenz
                                            dung bekommen hatte, ist mir bis heute
Adlon seinen Dienst aufnehmen konnte.
                                            ein Rätsel, aber dann stand sie in der
Das war mitten im ersten Weltkrieg. Es
                                            Tür: Horita Wolf, Chefin des Charlotten-
folgten dramatische Jahre für die Gast-
                                            burger Wirtestammtischs, ein gastrono-
hausmission im Dritten Reich und in der
                                            misches Berliner Urgestein. „Gasthaus-
DDR. Erst wurde der Verein verboten,
                                            mission finde ich gut“, sagte sie und er-
dann wurde das Haus vom DDR-Staat
                                            zählte ihre Geschichte. Als Kind war sie
einkassiert.
                                            in Karow, einem Vorort von Berlin, auf-
Ein kleiner Ableger des Vereins existier-
                                            gewachsen. Ihre Eltern hatten dort eine
te weiter in West-Berlin, der mich kon-
                                            Kneipe. Mit dem Kneipenkind wollte –
taktierte, als ich 1989 im Juni meinen
                                            und sollte – keiner spielen, nur die Pfar-
Dienst als Stadtmissionsdirektor in Ber-
                                            rerskinder nahmen sie auf. Die Kirche
lin antrat. So wurde ich Vorsitzender ei-
                                            lag neben der Kneipe. So lernte sie die
nes Vereins, dessen treue Mitgliedschaft
                                            fremde fromme Welt spielend kennen.
noch aus einer 87jährigen Hausfrau und
                                            Die von der Kirche waren eben doch an-
einem 93jährigen Pfarrer bestand. Hier
                                            ders als die anderen Leute vom Dorf.
war also etwas zu tun.
                                            Das hat sie nicht vergessen, auch nicht
Doch zunächst handelte Gott. Mit dem
                                            als mit allen Wassern gewaschene Wir-
Fall der Mauer am 9.11.89 bestand die
                                            tin, deren Ausdrucksweise zwar nicht
Möglichkeit das alte Haus der Gasthaus-
                                            immer jugendfrei war, aber energisch.
mission – so hieß die Kellnermission in-
                                            So kommandierte sie zum Erschrecken
zwischen – zurück zu bekommen. Und
                                            bis Entsetzen der Stammtischmitglieder
das gelang! Mittlerweile war die Mitglie-
                                            – und das war ein großer Kreis: „Wir ge-
derzahl wieder auf 12 angewachsen,
                                            hen zusammen in den Berliner Dom.
Jahresbeitrag 50€. Jetzt gab es ein
                                            Gottesdienst der Gasthausmission. Das
Problem. Wir hatten ein Haus – besser
                                            ist gut, da drückt sich keiner!“ Und
gesagt eine DDR-Ruine – und keine
                                            tatsächlich kamen sie – und kommen
Bank würde diesem Verein einen Millio-
                                            immer wieder, bis heute, wenn sie nicht
nenkredit auszahlen. Wir wären als Ver-
                                            gestorben sind, wie Horita vor einigen
ein schon an den jährlichen Müllge-
                                            Jahren. Zu den monatlichen Treffen des

                                                                                         21
teilgebend ...

Stammtischs wird die Gasthausmission
eingeladen und beim weihnachtlichen
Termin wird auf jeden Fall ein geistli-
ches Wort erwartet, allerdings in einer
Sprache, die sie verstehen und mit Kon-
kretionen, die auch in ihrem Leben vor-
kommen. Der jährliche Dom-Gottes-
dienst, meist Anfang Mai um 18 Uhr,
hat sich fest etabliert und wird mittler-
weile von vielen aus dem Gastgewerbe
in Berlin wahrgenommen – ein Wunder
in dem sonst so unkirchlichen Berlin
genauso wie der Weihnachtsempfang.          sprächs bot er an, den diesjährigen
Der ist ein weiteres Wunder.                Weihnachtsempfang der Gasthausmissi-
                                            on im Adlon auszurichten. Unbezahlbar
    Vom „Adlon“ ins „Interconti“            für uns, aber ein Ereignis! Als er das
                                            Präsidentenamt in der DEHOGA Berlin
Bei einem Empfang der DEHOGA Berlin,        abgeben musste, weil er das „Kempins-
dem Fachverband der Hotellerie und Ga-      ki“ in Moskau auf Vordermann bringen
stronomie, bat ich den Präsidenten um       sollte, sagt er seinem Nachfolger, der
ein Gespräch, um ihm die Arbeit der         Chef des Hotels „Intercontinental“ war:
Gasthausmission vorzustellen. Er lud        „Mach, was du willst in deinem neuen
mich in sein Hotel, dem Adlon, ein. Als     Amt, aber unterstütze die Gasthausmis-
wir bei einer Tasse Kaffee in der Lounge    sion!“ Über viele Jahre besteht nun die-
saßen, sprachen wir über die Mitarbei-      se Verbundenheit und bietet viele Gele-
terschaft. Nun muss ich vorausschicken,     genheiten zu geistlichen Impulsen,
dass er in Berlin durchaus für eine ge-     auch im Kreis der Hoteldirektoren und
wisse Eitelkeit bekannt war. „Ich mache     Manager. Das geht von Adhoc-Anspra-
mir Sorgen“, sagte er, „nicht um die        chen beim Golfturnier bis hin zu Taufen.
Trainees hier, die wollen Karriere ma-
chen und manche werden es auch, aber         Die Botschaft der Gasthausmission:
wo richtige Probleme auftreten, das ist                   „G a M i“
bei den Küchenhilfen, den Kellnern,
Köchen, Hauskeeping-Mitarbeitern, und       Wie evangelisiert man eigentlich, wenn
zwar wenn sie in Rente gehen. Für viele     die Zielgruppe nicht fromm ist, wenn
ist nämlich der Job das einzige soziale     sie weder die Heilsgeschichte noch die
Netz, das sie haben und das sie mit         ganze christliche Insidersprache ver-
dem Renteneintritt verlieren.“ Ich war      steht, und dazu einen internationalen
total verblüfft. Dieser Topmanager des      Background hat?
berühmtesten Hotels Berlins macht sich      Die meisten Mitarbeitenden in der Ga-
einen Kopf über die geringsten seiner       stronomie in Berlin - und das sind über
Mitarbeiter. Zum Abschluss des Ge-          60 000 Menschen mit steuerpflichtigen
teilgebend ...

Verträgen – haben zu dienen, verdienen      Wir brauchen Reformationsbotschafter
aber nicht besonders viel und erfahren      der besonderen Art. Alle, die in Hotels
selten Wertschätzung von Gästen. Dafür      übernachten, in ein Restaurant essen
müssen sie aber bei unfreundlichen und      gehen sind potentielle Multiplikatoren.
nörgelnden Gästen stets freundlich sein.    Beim Bezahlen mit dem Trinkgeld kön-
Fehler dürfen eigentlich nicht passieren.   nen sie eine kleine Visitenkarte mit die-
Dienstleistung kann ein hartes, undank-     ser Botschaft überreichen: „Gott an mir
bares Geschäft sein.                        interessiert“, mit den Kontaktdaten der
Mission läuft ja meistens so: Wir Chri-     Gasthausmission. Im Reformationsju-
sten sagen: „Liebe Leute, interessiert      biläumsjahr haben wir fast 15000 sol-
euch doch bitte für Jesus, für den lie-     cher Visitenkärtchen unter die Leute ge-
ben Gott. Das ist wichtig, ja geradezu      bracht.
lebenswichtig. Gott schenkt ein neues
Leben, wenn ihr das und das tut (…je                 Feierabendlounge –
nach Frömmigkeitsprägung ist das eine         der Treffpunkt zum „Schnuppern“
oder das andere dann wichtig).“ Und
                                            Mit dem Weihnachtsempfang und dem
dann müssen wir viel aufwenden, um
                                            Domgottesdienst haben wir zwei High-
Menschen dazu zu bringen, sich für Gott
                                            lights, aber wir benötigen mehr Kon-
zu interessieren. Das wirkt manchmal
                                            taktflächen, dass Menschen aus dem
bedrängend. Eine selten wahrgenomme-
                                            Gastgewerbe (andere) Christen kennen
ne Nebenwirkung: es spiegelt oft nicht
                                            lernen können. So entstanden die mo-
die Freiheit und Freude des Evangeli-
                                            natlichen „Feierabendlounges“, zwei
ums.
                                            Stunden mit ganz unterschiedlichem
In der Gasthausmission sind wir mit dem
                                            Programm an ganz unterschiedlichen
Beginn des Reformationsjubiläums ei-
                                            Orten: Von einer Bar über das Haus der
nen anderen Weg gegangen, um auf das
                                            EKD am Gendarmenmarkt, vom Restau-
Evangelium von Jesus Christus in einem
                                            rant in 204m Höhe im Fernsehturm bis
ganz säkularen Kontext hinzuweisen.
                                            zur Schiffstour auf der Spree wird nied-
Wir wissen: „Gott ist an Mir interes-
                                            rigschwellig eingeladen
siert“! Das wollen wir weitergeben. Der
oder die Angesprochene hat alle Freiheit
                                                            Profil C
darauf zu reagieren. Du kannst dich dar-
auf einlassen oder es lassen. Das Inter-    In Berlin gibt es einige Häuser in
esse Gottes an uns hängt übrigens nicht     christlicher Trägerschaft: Stadtmission,
davon ab, ob wir religiös sind, ob wir      CVJM, EC, VCH-Hotels.
uns für ihn interessieren. Er liebt ohne    Eine spannende Frage ist: Wie kann sich
Vorbedingungen oder Vorleistungen.          in dieser pulsierenden Weltstadt ein
Bist du dabei?                              christliches Profil verständlich und an-
Gott – an – Mir – interessiert: G a M i –   gemessen ausdrücken. Was gehört dazu?
das ist, wofür Gasthausmission steht.       Was ist eher hinderlich?
Wie bekommen wir diese reformatori-         Es gibt sehr unterschiedliche Erwartun-
sche Botschaft an die Zielgruppe?           gen von Trägern, von Leitenden Mitar-

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