Gerechtigkeit und Fairness im Sport im Kontext von Doping Masterarbeit
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Gerechtigkeit und Fairness im Sport im Kontext von Doping Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts“ (MA) eingereicht von Reinhold Kurzweil bei Univ.-Prof. Mag. Dr. theol. Leopold Neuhold Institut für Ethik und Gesellschaftslehre Katholisch- Theologische Fakultät Karl-Franzens-Universität Graz Oktober 2021
Ehrenwörtliche Erklärung Ich, Reinhold Kurzweil, erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Graz, _____________ Reinhold Kurzweil
Kurzfassung Doping ist ein globales Problem und hat nahezu alle Bereiche des Sports erfasst. Diese Masterarbeit zeigt die negativen Konsequenzen des Dopings auf das Sportethos im Allgemeinen und auf die Prinzipien Fairness und Gerechtigkeit im Besonderen. Im ersten Teil wird Sport in seinen verschiedenen Dimensionen beschrieben und versucht, das Wesen des Sports freizulegen, um ein klares Bild zu bekommen, warum Menschen aktiv Sport betreiben oder passiv konsumieren wollen. Im nächsten Schritt werden die Werte und Normen, auf die sich Sport beruft, in den Blick genommen. Dabei zeigt sich, dass der Fairness eine zentrale Rolle im Sport zukommt, um der Anerkennung der Regeln und der Gerechtigkeit im Sinne der Chancengleichheit aller zum Durchbruch zu verhelfen. Danach wird Doping und die derzeit gültige, problematische Definition kritisch beleuchtet, welche Dopingpraktiken auf ein rechtliches Problem reduziert, das von der Moral losgelöst ist. Der ethische Blick auf das Thema zeigt aber, dass das Sportethos grob verletzt und die Fairness und Gerechtigkeit außer Acht gelassen werden, wenn gedopt wird. Darüber hinaus wird deutlich, dass die negativen Folgen des Dopings über die Verletzungen des Sportethos hinausgehen, weil der Sport dadurch seinen Sinn verliert und somit seine Glaubwürdigkeit ernsthaft gefährdet wird.
Abstract Doping is a global problem and occurs in nearly all sports. This master thesis shows the negative impact doping has on sports ethics in general and on the principles of fairness and justice. In the first part the thesis describes sports in its different dimensions. In particular, the question why people want to do sports and watch sports events is investigated. Then the thesis focuses on sports ethics to detect the values and norms, which affect the behavior of athletes within the sporting sphere most. It reveals that fairness plays the crucial role in sports in order to ensure both the acknowledgement of sports rules and the equality of opportunities for all contenders. The next part analyzes doping and its current problematic definition, which reduces doping to a strictly legal issue while eliminating moral aspects. From the ethical perspective it shows that doping seriously violates sports ethics and neglects the principles of fairness and justice. Furthermore, it reveals that the damage caused by doping exceeds its violation of ethics because it leads to a loss of meaning of sports, thereby severely putting its credibility at risk.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ..................................................................................................... 7 1.1 Mediale Berichterstattung und Relevanz des Themas ............................................... 8 1.2 Eingrenzung des Themas.......................................................................................... 10 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit ............................................................................. 11 2 Das Phänomen Sport ................................................................................. 13 2.1 Herkunft des Begriffes „Sport“ und erste allgemeine Definition............................. 13 2.2 Sport als Bewegung .................................................................................................. 13 2.3 Bewegung als Leibphänomen .................................................................................. 15 2.4 Sport als Bestandteil der Kultur ............................................................................... 16 2.5 Sport als Kunstwerk ................................................................................................. 18 2.6 Sport als Regelsystem .............................................................................................. 19 2.6.1 Willkürlichkeit der Ziele, Irrelevanz in anderen Sphären ................................ 20 2.6.2 Ritualcharakter der Regeln ............................................................................... 21 2.6.3 Neutralität gegenüber den Gegnern .................................................................. 21 2.6.4 Eigenweltcharakter ........................................................................................... 22 2.6.5 Zwang zur Legitimation ................................................................................... 22 2.7 Sport als Sinnsystem ................................................................................................ 23 2.8 Sport als ästhetische Inszenierung ............................................................................ 24 2.9 Sport als Institution .................................................................................................. 27 2.10 Sport als Spiel........................................................................................................... 29 2.11 Sport als Religionsersatz .......................................................................................... 30 3 Das Ethos des Sports ................................................................................. 32 3.1 Der Begriff Sportethos ............................................................................................. 32 3.2 Die Olympische Idee ................................................................................................ 34 3.2.1 Olympische Spiele der Antike.......................................................................... 35 3.2.2 Olympische Spiele der Neuzeit ........................................................................ 35 3.2.3 Fünf Olympische Prinzipien............................................................................. 36 3.3 Fairness, die zentrale Tugend des Sports ................................................................. 37 3.3.1 Der Begriff Fairness ......................................................................................... 37 3.3.2 Der Begriff Fair play ........................................................................................ 41 3.4 Achtung im Sport ..................................................................................................... 43 3.4.1 Vor den Gegner*innen: .................................................................................... 43 3.4.2 Der Sportpartner*innen und Mannschaftsmitglieder: ...................................... 44 3.4.3 Der Schiedsrichter*innen ................................................................................. 44 3.4.4 Zwischen Trainer*innen und Athlet*innen ...................................................... 45 3.4.5 Vor der Sportart und dem Wettbewerb ............................................................ 46 5
3.5 Gerechtigkeit im Sport ............................................................................................. 47 3.5.1 Was versteht man unter Gerechtigkeit?............................................................ 47 3.5.2 Wie gerecht ist Sport? ...................................................................................... 50 4 Das Problem Doping ................................................................................. 53 4.1 Grundsätzliches ........................................................................................................ 53 4.2 Problem der Begriffsdefinition................................................................................. 55 4.2.1 Herkunft des Wortes......................................................................................... 55 4.2.2 Definition des Deutschen Sportbundes ............................................................ 55 4.2.3 Definition des Europarates ............................................................................... 56 4.2.4 Definition des Internationalen Olympischen Komitees ................................... 57 4.3 Der World-Anti-Doping-Code der WADA .............................................................. 58 4.3.1 Die WADA-Liste ............................................................................................. 59 4.3.2 Problem der Verbotslisten-Logik ..................................................................... 60 4.3.3 Problem der Verrechtlichung ........................................................................... 60 4.4 Motive für Doping .................................................................................................... 61 4.4.1 Ein Kalkül ........................................................................................................ 62 4.4.2 Die Formel “The winner takes it all” ............................................................... 63 4.5 Doping als moralisches Problem .............................................................................. 64 4.5.1 Drei Grundpositionen zu Doping ..................................................................... 64 4.5.2 Unnatürliche Leistung und Gesundheitsrisiko ................................................. 65 4.5.3 Die negativen Folgen von Doping aus der ethischen Perspektive ................... 66 4.5.3.1 Missachtung des impliziten Sozialvertrages................................................. 66 4.5.3.2 Betrug am Sport, an der eigenen Person, an Konkurrent*innen ................. 68 4.5.3.3 Zerstörung der Glaubwürdigkeit des Sports ................................................ 69 4.5.3.4 Zerstörung des Sportsinns ............................................................................ 70 4.5.3.5 Entwertung des Sports .................................................................................. 71 4.5.3.6 Sport wird zu Nicht-Sport ............................................................................. 71 4.6 Gerechtigkeit und Fairness? ..................................................................................... 72 4.6.1 Verletzung der Fairness .................................................................................... 73 4.6.2 Verletzung der Gerechtigkeit ........................................................................... 74 5 Zusammenfassung ..................................................................................... 76 6 Literaturverzeichnis .................................................................................. 81 7 Internetquellen........................................................................................... 84 8 Abbildungsverzeichnis .............................................................................. 85 6
1 Einleitung Bewegung, Spiel und Spaß zählen in einer Welt, in der alles sehr hektisch und schnell geworden ist, in welcher der Beruf oftmals hohe Anforderungen an den Menschen stellt und ganz allgemein der Druck groß geworden ist, ein ausgefülltes, erfolgreiches und selbstbestimmtes Leben zu führen, oft zu jenen Bestandteilen im Leben eines Menschen, die für Ausgleich sorgen sollen. Kinder finden dazu einen natürlichen Zugang, indem sie dem Drang nach Bewegung ganz einfach nachgeben. Sie beginnen zu krabbeln, später zu gehen und irgendwann gelingt es, sogar schnell zu laufen. Nach und nach wird der natürliche Bewegungsdrang durch eine spielerische Komponente ergänzt und spätestens in der Schule messen sich Schüler*innen im Turnunterricht in ihren sportlichen Fähigkeiten. Was zuerst nur Bewegung war, bekommt somit eine sportliche Komponente. Aber was genau ist Sport, was unterscheidet Bewegung allgemein von sportlicher Betätigung? Im Rahmen dieser Arbeit wird dieser Frage nachgegangen werden. Neben den physischen und psychischen Aspekten, denen beim Sport zentrale Bedeutung zukommt und die für Sporttreibende unmittelbar erfahrbar werden und den Grund für sportliche Betätigung darstellen, ist auch der sportliche Vergleich mit anderen im Zuge eines Wettkampfes ein wichtiges Motiv. Dies gilt sowohl für den Leistungssport als auch für den Freizeit- und Hobbysport. Sport ist also eine an sich äußerst wünschenswerte Betätigung, weil sie die Gesundheit in vielerlei Hinsicht fördert, aber er hat auch Schattenseiten. Vor allem im Leistungssport, wo Höchstleistungen erbracht werden, stellt Doping eines der größten Probleme dar. Doping begrenzt sich allerdings nicht auf den Bereich des Leistungssportes, wo es oftmals um viel Preisgeld und Werbeeinnahmen geht. Vielmehr hat Doping auch schon im Breiten- und Hobbysport Einzug gehalten. Auch in diesem Segment werden unerlaubte Hilfsmittel verwendet, um eine Leistungssteigerung zu erzielen. In einer globalisierten und vernetzten Welt kann praktisch jeder über das Internet die entsprechenden leistungssteigernden Substanzen erwerben, wenn man das möchte, seien es legale oder aber auch illegale. 7
1.1 Mediale Berichterstattung und Relevanz des Themas Als sportinteressierter Mensch kann man in den Medien regelmäßig Berichte über sogenannte Doping-Vergehen im Bereich des Leistungssportes oder Entwicklungen im Bereich des Dopings mitverfolgen. Der Standard schreibt beispielsweise in einem Artikel vom 6. Februar 2021 über Szenarien der Zukunft des Dopings. So sei laut dem Bericht das Gen-Doping jene Variante, welcher in der Wissenschaft und Sportgemeinschaft die höchste Aufmerksamkeit zukomme. Mittels der Genschere CRISPR ist es möglich, in die DNA des Menschen einzugreifen und jene Gene, die für die sportliche Leistung entscheidend sind, zu verändern oder zu optimieren. Bislang konnten mehr als 200 Varianten davon identifiziert werden. Eine genetische Manipulation könnte theoretisch schon vor der Geburt stattfinden, um ein Baby mit besonderen sportlichen Talenten zu designen.1 Den wahrscheinlich spektakulärsten Dopingfall der jüngeren österreichischen Sportgeschichte zeichnete Lukas Matzinger im Falter 11/19 unter dem Titel „Johannes der Täuscher“ nach. Die tragische Figur des Skandals ist Johannes Dürr, ein nach Einschätzung der Fachwelt des Wintersportes überaus talentierter Langläufer. Dürr besuchte das Schigymnasium in Stams und kam früh mit Medikamenten und schließlich mit Dopingpraktiken in Kontakt. Während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 wurde er positiv auf das Wachstumshormon EPO getestet. Ein Strafverfahren wegen Sportbetrugs wurde durch eine Diversion erledigt, Preis- und Sponsor-Gelder musste Dürr zurückzahlen.2 Doch Dürr startete nach seiner Sperre einen Comeback-Versuch und gerierte sich als geläuterter und nun sauberer Athlet, und der Autor Martin Prinz schrieb ein Buch über dieses Sport- Comeback mit dem Titel „Der Weg zurück“. Mittels Crowdfunding sammelte Dürr knapp € 39.000, - an Spenden für dieses Projekt. Doch das Ende der Geschichte ist ernüchternd und genau genommen erschütternd: Dürr, dem durch dieses Projekt auch mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde, sprach im deutschen Fernsehen über seine Dopingvergangenheit und löste damit Nachforschungen deutscher Behörden aus. Es folgte eine groß angelegte Razzia namens 1 Vgl. Pallinger, Jakob: Höher, schneller, weiter: Spitzensport an der Grenze der Leistung, in: https://www.derstandard.at/story/2000123823982/hoeher-schneller-weiter-spitzensport-an-den-grenzen-der- leistung [abgerufen am 17.4.2021]. 2 Vgl. Matzinger, Lukas: Johannes der Täuscher, in: Falter 11/19, 2019, 20-21. 8
„Operation Aderlass“, die schlussendlich auch das neuerliche Vergehen Dürrs mittels Eigenblutdoping ans Licht brachte und ihn als Wiederholungstäter auswies.3 Die grundsätzliche Problematik des Sports thematisiert Johann Skocek in einem Kommentar im Falter 13/19 anlässlich der Ermittlungen deutscher Strafermittlungsbehörden gegen den deutschen Arzt Mark S. in München. Diese kamen aufgrund der getätigten Aussagen von Dürr ins Rollen und förderten zutage, dass 21 Sportler aus 8 Nationen Kunden von Mark S. waren und mit ihm Blutdoping und weitere verbotene leistungssteigernde Maßnahmen durchgeführt hatten. Das Grundproblem des Sports sei laut Skocek, dass der Respekt vor der Menschenwürde abhandengekommen ist. Die Zufriedenheit im moralischen Sinn fehle, vielmehr zählen nur mehr Medaillen und Titel. Auch Politik und Sportfunktionäre würden den ehrlichen Diskurs verweigern und stattdessen lieber ein Einzeltäter-Narrativ zeichnen.4 Die internationale bzw. globale Dimension des Dopings im Sport zeigt eine im Standard publizierte APA-Meldung vom 8.7.2019, wonach bei der internationalen „Operation Viribus“, die in 23 EU- und zehn anderen Ländern durchgeführt wurde, 234 Personen verhaftet und 3,8 Millionen Dopingpräparate und Arzneimittel beschlagnahmt wurden. In dieser bisher weltweit größten Operation gegen Doping wurden siebzehn kriminelle Gruppen zerschlagen, neun Untergrundlabore entdeckt und vierundzwanzig Tonnen an Roh-Steroid-Pulver sichergestellt.5 Über einen aktuellen Fall wurde am 12.1.2021 auf tirol.orf.at berichtet: Stefan Denifl, ein ehemaliger österreichischer Radprofi, der 2017 die Österreich-Rundfahrt gewonnen hatte, wurde vom Landesgericht Innsbruck wegen gewerbsmäßigen, schweren Sportbetrugs zu zwei Jahren Haft verurteilt. Denifl hatte gestanden, zwischen den Jahren 2014 bis 2018 Blutdoping in Zusammenarbeit mit deutschen Arzt Mark S. betrieben zu haben. Im Zuge der „Operation Aderlass“ war man auch auf den Namen Denifls gestoßen.6 3 Vgl. ebd. 4 Vgl. Skocek, Johann: Die Moralmaschine hat einen Schaden, in: Falter 13/19, 2019, 6. 5 Vgl. APA: Doping: 234 Personen bei „Operation Viribus“ verhaftet, in: https://www.derstandard.at/story/2000106064674/doping-234-personen-bei-operation-viribus-verhaftet [abgerufen am 17.4.2021] 6 Vgl. red, tirol.orf.at/Agenturen: Stefan Denifl zu zwei Jahren Haft verurteilt, in: https://tirol.orf.at/stories/3084538/ [abgerufen am 17.4.2021] 9
Wie die Beispiele zeigen, wirkt sich Doping auf mehreren Ebenen für den Sport negativ aus. Auf individueller Ebene führt dies dazu, dass Siege wertlos werden, wenn man überführt wird. Preisgelder und sonstige erzielte Einkünfte aus Sponsor-Verträgen müssen oft zurückgezahlt werden, und auch strafrechtliche Verurteilungen sind Konsequenzen, die dopende Sportler*innen unmittelbar zu tragen haben. Die Frage nach gesundheitlichen Konsequenzen stellt sich für viele erst nach dem Ende der Sportkarriere, ist deswegen aber nicht minder bedeutsam. Der Sport an sich wird aber ebenso beschädigt, wie die jedes Jahr wiederkehrende und exemplarische Diskussion über die Frage zeigt, ob es möglich ist, bei der Tour de France, einer dreiwöchigen Radrundfahrt durch Frankreich, die über zahlreiche steile Berge führt, die Herausforderung mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit jenseits der 40 km/h ohne Doping zu bewältigen. In diversen Internet-Foren wird dies von Sportinteressierten vielfach bezweifelt, und von der Annahme, dass „alle dopen“ und von der Tour de France als „internationale Leistungsschau der Pharmakonzerne“ ist häufig zu lesen. Doping beschädigt somit die Reputation der Sportler*innen und der Sportart und stellt implizit, wenn man es weiterdenkt, die grundsätzliche Sinnhaftigkeit von Sport infrage. 1.2 Eingrenzung des Themas Doping im Sport hat viele Facetten, wie den exemplarisch angeführten Medienberichten zu entnehmen ist. Dies ist aber nur eine kleine Auswahl, von der jede einzelne eine nähere Betrachtung verdienen würde, aber dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. In dieser Masterarbeit soll versucht werden, das Problem des Dopings im Sport näher aus einer ethischen Perspektive zu betrachten, und innerhalb dieses Rahmens soll auf die Auswirkungen auf die Werte Gerechtigkeit und Fairness eingegangen werden. Dabei stellen sich folgende Fragen: Welchen Stellenwert haben Gerechtigkeit und Fairness im Sport und welche Auswirkungen hat das Faktum, dass gedopt wird, auf diese Werte? Wie kann in einer Gemengelage, in der Doping eine immer bedeutendere und größere Rolle zuzukommen scheint, eine Chancengerechtigkeit im Sport erreicht werden? Worin besteht die Grundproblematik bei der Bekämpfung des Dopings? Inwiefern ist denkbar, Doping gänzlich freizugeben mit dem Ziel, den Sport gerechter zu machen? 10
Das Thema der Arbeit wird in erster Linie bezugnehmend auf Sport als Wettkampfsport behandelt, weil gerade im Spitzen- und Hochleistungssport Doping ein großes Problem darstellt und durch die mediale Berichterstattung und die globale Medienpräsenz der negative Einfluss des Dopings auf die Glaubwürdigkeit des Sports generell enorme Auswirkungen haben kann. Nicht eingegangen werden kann auf den Hobby- und Freizeitsport, obwohl auch dieser nicht frei von Doping betrieben wird, wenn man Medienberichten Glauben schenken kann. 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit Methodisch wurde für diese Arbeit die Vorgangsweise gewählt zu versuchen, Sport auf das Wesentlichste zu reduzieren, in gewisser Hinsicht alles, was den Sport sonst noch begleitet und umhüllt, wegzulassen. Das Ziel, das mit diesem Zugang erreicht werden soll, ist es, mit dieser „Skelettierung“ zum Kern der Sache und somit zum Wesen des Sports vorzudringen. Erst wenn verständlich geworden ist, was Sport überhaupt ist und weshalb er eine Relevanz im Leben von Menschen hat, macht es Sinn zu fragen, welche formellen und informellen Regeln und Normen darin Gültigkeit haben. Auch bei dieser Frage, also der Frage nach dem Ethos des Sports und dem Ethos der Sportler*innen, soll diese Art der „Skelettierung“ angewandt werden, um einen klaren Blick auf das Wesentliche zu bekommen. Erst wenn das Fundament des Sports und seines Ethos freigelegt ist, wird Doping behandelt und seine moralisch problematischen Implikationen auf den Sport aufgegriffen. Zusammenfassend soll also zunächst die Sphäre des Sports in seinen verschiedenen Dimensionen beschrieben werden, um ein Bild darüber zu bekommen, was Sport ausmacht und welche Merkmale als essenziell erachtet werden. Wesentlich dabei ist, herauszuarbeiten, warum Menschen Sport betreiben, warum sich jemand in sportlicher Art und Weise bewegen möchte und welchen Sinn und welche Funktionen Sport im Leben der Menschen erfüllen kann. Im nächsten Schritt soll die moralische Dimension im Sport beleuchtet und der Frage nachgegangen werden, nach welchem Ethos Sportler*innen Sport betreiben und welche Bedeutung und Verbindlichkeit dieses Ethos für die Sportler*innen hat. In diesem Teil soll bereits eine Antwort auf die Frage gegeben werden können, inwieweit Sport überhaupt gerecht sein kann und welchen Stellenwert der Fairness/dem Fair play im Sport zukommt. 11
Im letzten Schritt wird versucht, das Doping-Problem in seinen Dimensionen zu skizzieren. Dabei wird auf die Frage eingegangen, wie Doping definiert wird und welche Konsequenzen sich aus der gegenwärtig anerkannten Definition ergeben. Schließlich werden die moralischen Bezugspunkte des Dopings in den Blick genommen, um die Auswirkungen auf den Sport und seine zentralen Werte zu analysieren und eine Antwort auf die Frage zu bekommen, inwieweit Doping im Widerspruch zu Gerechtigkeit und Fairness steht. 12
2 Das Phänomen Sport Das Interesse an Sport scheint weltweit enorm zu sein, denn in allen Medien, also in klassischen Printmedien, im Fernsehen und im Internet nimmt Sport einen beträchtlichen Teil der Berichterstattung ein und ist darüber hinaus ein riesiger Wirtschaftsfaktor geworden. In diesem Kapitel soll versucht werden, Sport als Phänomen näher zu betrachten, um ein Verständnis dafür zu bekommen, warum Menschen sich für die aktive Ausübung oder die passive Betrachtung von Sport (oder beides) überhaupt interessieren. Es scheint deshalb nützlich, sich zuallererst der Frage zu widmen, was genau unter dem Begriff Sport zu verstehen ist und nach welchen Gesetzmäßigkeiten er funktioniert. 2.1 Herkunft des Begriffes „Sport“ und erste allgemeine Definition Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „disportare“ oder „deportare“ her und hatte die Bedeutung von Vergnügen, Belustigung und Unterhaltung. In den romanischen Sprachen wurde dieser Gehalt übernommen und im Frankreich des Mittelalters wurde der Ausdruck „desport“, „se deporter“ mit der Bedeutung Entspannung, Ergötzung verwendet. Von Frankreich kam der Begriff nach England und wurde als Lehnwort ins Englische übernommen. Die Vorsilbe von „disport“ und „desport“ verschwand über die Zeit, übrig blieb die Kurzform „sport“. Mit dem Wandel von Arbeit und Lebensweise im Laufe der Verstädterung und Industrialisierung wandelte sich der Begriff von Sport zum heutigen Verständnis.7 Carl Diem formuliert eine Beschreibung von Sport wie folgt: „Sport als Leibesübung ist im Lebensbereich zweckfreien Tuns ein von Wertgefühl und Festlichkeit erfülltes, natur- und kampffrohes, verfeinert und typisiert geregeltes Vervollkommnungsstreben.“8 2.2 Sport als Bewegung Die Frage, was Sport „eigentlich“ ist, mag auf den ersten Blick recht banal klingen, aber sie ist nicht leicht zu beantworten. Sicher ist jedenfalls, dass Sport eine Form von Bewegung darstellt. 7 Vgl. Diem, Carl: Wesen und Lehre des Sports, Berlin: Weidmann 1949, 9-10. 8 Vgl. ebd., 20. 13
Bewegung ist aber vieles, daher dröselt Stygermeer zuallererst den Begriff Bewegung zwischen lebendiger und unlebendiger, zwischen menschlicher und nicht menschlicher sowie zwischen sportlicher und unsportlicher Bewegung auf.9 Lebendige Bewegung wird aber auch von Tieren und Pflanzen ausgeführt, dennoch handelt es sich hierbei nicht um Sport. Stygermeer sieht in der menschlichen Fähigkeit zur Differenzierung die Voraussetzung dafür, Bewegung als Selbstzweck auszuführen.10 Dadurch ist der Mensch in der Lage, zwischen sich und dem Rest der Wirklichkeit zu unterscheiden. Er kann sich dadurch als Einheit von der restlichen Welt differenzieren und seine leibliche Individualität als unteilbare Einheit erfahren.11 Wenn man von Bewegung spricht, ist immer davon die Rede, dass eine Masse durch Raum und Zeit bewegt wird. Im Kontext von Sport ist aber essenziell, dass diese Bewegung im physikalischen Sinne durch eine bestimmte Person ausgeführt wird. Sport kann nicht vertretungsweise getrieben werden, die Individualität als Unteilbarkeit des Leibes ist für den Sport konstitutiv. Sport wäre demnach undenkbar, wenn es gleichgültig wäre, wer die körperliche Leistung vollführt. Eine erste Definition von Sport lautet nach Stygermeer daher wie folgt: „Sport ist die Repräsentation der leiblichen Individualität (als Unteil- und Unaustauschbarkeit) in der Ableistung von Arbeit im physikalischen Sinne.“12 Dies allein wäre allerdings zu wenig, sondern verweist nur darauf, dass eine sportliche Leistung nicht delegierbar ist. Dem Wesen des Sports fehlt in dieser Definition aber noch die Komponente der Leistungssteigerung. Sport im Sinne der ersten Definition wäre ohne den Aspekt der Leistungssteigerung äußerst langweilig und würde auch Wettbewerbe zulassen, wo es beispielsweise das sportliche Ziel sein könnte, möglichst langsam zu sein. Die Realität zeigt aber, dass gerade im Leistungssport die Leistungssteigerung eines Athleten mithilfe eines Teams, das sich aus verschiedensten Professionen zusammensetzt, mit großer Konsequenz verfolgt wird. Stygermeer definiert daher in einer zweiten Definition Sport in folgender Weise: „Sport ist die Repräsentation der leiblichen Individualität (als Unteil- und Unaustauschbarkeit) 9 Vgl. Stygermeer, Moth: Der Sport und seine Ethik. Zur Grundlegung einer Dogmatik des Sports, Berlin: Tenea Verlag 1999, 9. 10 Vgl. ebd., 58-61. 11 Vgl. ebd., 61. 12 Vgl. ebd., 77-81. 14
in der Ableistung von Arbeit im physikalischen Sinne bei klarer Differenzierung von individueller Verursachung und multifunktionaler Mitwirkung.“13 Sport kann also nur vom Sporttreibenden selbst betrieben werden, klar definierte Hilfeleistung von außen durch Unterstützungspersonen ist vor allem heutzutage im hochprofessionellen Sport üblich und nicht mehr wegzudenken. 2.3 Bewegung als Leibphänomen Der Ursprung des Sports wird in der Jagd und im Kampf zur Sicherung der Existenz vermutet, als Vorformen, aus denen aus Kult oder agonalen Antrieben Sport entstanden ist.14 Nach Liedke gibt es anthropologisch fünf endogene Faktoren, die in der Verhaltensforschung beschrieben und als biologisch determiniert gesehen werden, die dafür ausschlaggebend sind, dass sich Menschen sportlich betätigen: v Bewegungsdrang v Bedürfnis nach Leistungssteigerung v Wettbewerb v Zielgebundene Jagd (über den Nahrungserwerb hinaus) v Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Beachtung.15 Aus anthropologischer Sicht ist der Mensch gekennzeichnet durch seine Weltoffenheit. Die Position des Menschen ist exzentrisch zu seiner Umwelt im Gegensatz zu jener eines Tieres. Darüber hinaus wird der Mensch als Mängelwesen und als Handlungswesen gesehen, das seine Mittellosigkeit und Hilflosigkeit durch Schaffung einer Kultur, mittels Sprache und durch intelligentes Handeln, überwinden kann und zur Herstellung von Distanz zu seiner Umwelt fähig ist. 16 Auch Bewegung wird dabei nach Grupe als Handlung verstanden, die den 13 Vgl. ebd., 84-86. 14 Vgl. Lotz, Klaus: Anthropologie und Sport. Beiträge zu einer philosophischen Fundierung des Sports aus anthropologischer Sicht, Hanau: Cocon 2010, 100-101. 15 Vgl. Liedke, M.: Schulsportanthropologische Funktion und pädagogische Bedeutung, in: Baumann-Heimerl, Schulsport-wozu, Aachen 1995, 13-23, [zit. n. Lotz, Klaus: Anthropologie und Sport. Beiträge zu einer philosophischen Fundierung des Sports aus anthropologischer Sicht, Hanau: Cocon 2010, 100]. 16 Vgl. Haag, Herbert: Bewegungskultur und Freizeit. Vom Grundbedürfnis nach Sport und Spiel, Osnabrück: Fromm 1986, 19-20. 15
weltoffenen Menschen in die Lage versetzt, auf die Welt zuzugehen und die Welt zu sich zu holen. Dadurch, dass der Mensch nicht nur Leib ist, sondern auch einen Leib hat, kann er durch Bewegung eine Beziehung zur Welt herstellen, kann sich ihr mitteilen und sie erfahren.17 2.4 Sport als Bestandteil der Kultur Die Frage, ob Sport ein Teil der Kultur sein soll, scheint vordergründig eher eigenartig anzumuten, da der Begriff Kultur im Alltagsverständnis oft mit Hochkultur wie klassischer Musik, bildender und darstellender Kunst oder gehobener Literatur synonym verwendet wurde und teilweise noch immer in diesem normativen Sinn verstanden wird. Innerhalb dieses Kulturverständnisses ist Sport daher nicht zu verorten. Allerdings hat sich Sport weltweit in allen Kulturen verbreitet, und die Mechanismen des Sports mit den Regel-, Normen- und Wertesystemen werden annähernd gleich verstanden und ebenso betrieben. Dies betrifft sowohl die für den jeweiligen Sport typischen Bewegungsformen und Bewegungsmuster als auch für die Prinzipien der Leistung und des geregelten Ablaufs, die für den Sport bestimmend sind. 18 Grupe weist darauf hin, dass Sport tief in der Gesellschaft verankert ist und viele Berufe sich in diesem Feld betätigen. Darüber hinaus besteht ein beträchtliches mediales Interesse an Sport, wie die Übertragungen der Olympischen Spiele oder Fußballweltmeisterschaften zeigen. Der ehemalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Avery Brundage rückte Sport sogar in die Sphäre einer Religion mit universellem Anspruch.19 Der Soziologe Friedhelm Neidhardt fasste den Begriff Kultur in einer übergreifenden und allgemeinen Formel zusammen: „[...] sie sei das System kollektiver Sinnkonstruktionen, mit denen Menschen die Wirklichkeit definieren – jener Komplex von allgemeinen Vorstellungen, mit denen sie zwischen wichtig und unwichtig, wahr und falsch, gut und böse sowie schön und hässlich unterscheiden.“ 20Nach dieser Definition ist Kultur ein System, das sich eher durch 17 Vgl. Grupe, Ommo: Grundlagen der Sportpädagogik. 2. Aufl., Schorndorf: Hoffmann 1975 [zit. n. Haag, Herbert: Bewegungskultur und Freizeit. Vom Grundbedürfnis nach Sport und Spiel, Osnabrück: Fromm 1986, 20- 21.] 18 Vgl. Grupe, Ommo: Sport als Kultur, Osnabrück: Fromm 1987, 24-25. 19 Vgl. ebd., 25-26. 20 Vgl. ebd., 27. 16
Verschwommenheit auszeichnet als durch genaue Erkennbarkeit von Strukturen, Funktionen, Merkmalen.21 Durch den Wandel des Kulturverständnisses - von einem normativen zu einem deskriptiven Verständnis - ist letztlich alles Kultur und der Begriff wurde zu einer diffusen Beschreibungskategorie bzw. zu einer wenig strukturierten, allgemeinen Hintergrundgröße. Kultur konnte nun nicht mehr einer normativen Auslegung eines elitären Kulturbegriffes folgend als Kriterium des Anspruchs, des Vorrechtes und der Abgrenzung für bestimmte Gesellschaftsschichten herangezogen werden, sondern musste einem egalitären Verständnis Platz machen.22 Sport hat sich zu einen Kulturphänomen entwickelt und Begriffe wie „Sportkultur“ oder „Freizeitkultur“ sind in unserer Sprache mittlerweile fest verankert. Diese Begriffe sind aber wieder nur Überbegriffe, die weiter differenziert werden, beispielsweise in Freizeitsportkultur oder Leistungssportkultur oder Vereinskultur oder Fußballkultur. Von den Sport- wissenschaftlern Gunter Gebauer und Eugen König wird Sport als klassischer Bereich der Alltagskultur gesehen, da im Sport, abgesehen von eigenen Werten und Normen, allgemeine kulturelle Grundmuster und Wertorientierungen wie Leistung, geregelter Wettbewerb und Gleichheit gelten.23 Innerhalb der Alltagskultur unterliegt der Sport einer weiteren Entwicklung und Ausdifferenzierung. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Sportangebote, denen kaum Grenzen gesetzt sind, wenn man Extremsportarten auf der einen Seite mit der Suche nach Spannung oder fernöstliche Entspannungstechniken auf der anderen Seite mit der Suche nach Entspannung und Erholung als Beispiele heranzieht. Die Vielfalt an Sportangeboten und Sportarten befriedigt auch das Individualisierungsbedürfnis vieler Menschen in einer pluralistischen Welt, auch wenn dies oft nur durch die unterschiedliche Sportkleidung zum Ausdruck kommt. 24 Über Medien findet Sport seine globale Inszenierung und mit der Berichterstattung über Sportereignisse füllen unzählige Fernsehsender ihre Sendezeiten und machen einen wesentlichen Teil der Unterhaltungskultur aus - kombiniert mit Werbe- botschaften. Sportler*innen werden dabei mit Bildern kunstvoll in Szene gesetzt, Sportbilder 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. ebd., 26-28. 23 Vgl. ebd., 29-30. 24 Vgl. Grupe, Ommo: Vom Sinn des Sports. Kulturelle, pädagogische und ethische Aspekte, Schorndorf: Hoffmann 2000, 30-32. 17
werden zu eigenen Kunstbildern und Motiven, die auch im Design und der Werbegraphik ihren Niederschlag finden.25 2.5 Sport als Kunstwerk Die Frage nach der Zuordnung des Sports in eine bestimmte Sphäre des menschlichen Tuns beantwortet Güldenpfennig damit, dass es durchaus Sinn macht, Sport als Kunst bzw. als eine der Künste zu verstehen. 26 Zwischen den anderen Künsten und dem Sport bestehen nach Güldenpfennig sowohl Parallelen als auch Unterschiede, durch die jede Kunstgattung eben ihre spezifischen Eigenschaften aufweist. Einem möglichen Einwand gegen eine Zuordnung des Sports zu den Künsten aufgrund der fehlenden Kreativität bei Sportereignissen begegnet er mit dem Verweis, dass auch viele Künste an bestimmte Vorgaben gebunden sind, die der Kreativität nur wenig Raum lassen, beispielweise beim Ballett aufgrund der Beschränkung durch die Gebundenheit an den menschlichen Körper. Überdies ist auch im Sport Kreativität in vielfältigen Formen erkennbar, wenn man genauer hinsieht.27 Güldenpfennig führt sieben Kriterien an, die Sport als Kunst ausweisen, da diese Kriterien für alle Künste gelten: 1. Sport gehört der Sphäre des Spiels an, ist selbstzweckhaftes Handeln. 2. Wichtige Teile von Regeln konstituieren erst den gesamten Sinn-Raum. 3. Es wird eine eigene, fiktive Welt erschaffen. 4. In dieser fiktiven Welt sind auch außerästhetische Welten vorhanden, aber den Gesetzen dieser Spielwelt folgend. 5. In dieser Welt regiert das Primat der ästhetischen Formgestaltung. 6. Durch das Zusammenwirken der Akteur*innen entsteht eine besondere Gattung eines künstlerischen Werkes: ein „Sport-Werk“. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. Güldenpfennig, Sven: Sport: Kritik und Eigensinn. Der Sport der Gesellschaft, 1. Aufl., Sankt Augustin: Academia, 2000, 140. 27 Vgl. ebd., 141. 18
7. Sportwerke haben eine doppelte interne Verweisungsstruktur und verweisen erstens von sportlichen Einzelaktionen auf den Vordergrundsinn des Einzelereignisses und zweitens von sportlichen Einzelereignissen auf den Hintergrundsinn des Gesamtsports.28 Der Sport erzählt in seiner fiktiven Welt frei erfundene Geschichten und ist darin nur so weit mit der realen Welt verwoben, wie es für die Konstruktion der Erzählung notwendig ist. Die (Sport-)Erzählung der fiktiven Welt bestimmt über den Kontext, der mit einbezogen wird. Die Sinnstruktur der Sportgeschichten besteht nur innerhalb dieser selbst, Sport ist also selbstzweckhaft.29 2.6 Sport als Regelsystem Sport ist ein Feld menschlichen Handelns, das von einer Vielzahl von Regeln und Normen bestimmt wird, damit er laienhaft formuliert „funktionieren kann“. Grieswelle spricht hier davon, Sport als eine Menge von Regelsystemen zu begreifen, mittels welchen das soziale Handeln der Akteure in den jeweiligen Sportarten normiert wird. Die Charakteristik des Sports liegt in ausgeformten, spezialisierten und wiederholungsfähigen Aktivitäten, in Mustern, die zwar veränderbar sind, aber ein starkes Beharrungsvermögen aufweisen. Es werden auf Leistung gerichtete Leibesübungen nach Kulturmustern reglementiert und festgelegte Normen regeln in objektiver Weise das sportliche Handeln.30 Heinemann unterscheidet dabei drei Typen von Regeln: Regeln auf dem Sportplatz, Regeln und Normen am Rande des Spielfelds und Regeln außerhalb des Sportplatzes.31 Zu den Regeln auf dem Sportplatz zählen: v Konstitutive Regeln, durch die der Rahmen der Sportart durch die Festlegung von Zeit, Raum und Ziel definiert wird. 28 Vgl. ebd., 141-142. 29 Vgl. Güldenpfennig, Sven: Sport: Kritik und Eigensinn. Der Sport der Gesellschaft, 1. Aufl., Sankt Augustin: Academia, 2000, 55. 30 Vgl. Grieswelle, Detlef: Sportsoziologie.-1. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1978, 32-33. 31 Vgl. Heinemann, Klaus: Einführung in die Soziologie des Sports. 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schorndorf: Hoffmann 1998, 54-55. 19
v Prozessregeln, durch die die Verhaltensweisen der Mitwirkenden, Gebote und Verbote einer Sportart definiert werden. v Fertigkeitsregeln, durch die besondere Fähigkeiten, Techniken und Kenntnisse, die für eine Sportart erforderlich sind, definiert werden. v Strategische Regeln fördern die optimale Ausführung der Sportart. v Ethische Regeln sollen die positiven Werthaltungen gegenüber dem Sport, den Regeln und Normen zu Ausdruck zu bringen.32 Zu den Regeln und Normen am Rande des Spielfeldes zählen jene, die für die Sportart zwar nicht konstitutiv sind, die Ausübung des Sports aber entscheidend mitbestimmen wie Verkehrs- und Vorfahrtsregeln, Bau- und Sicherheitsvorschriften, Qualifikationsanforderungen und Umweltschutzbestimmungen. Unter Regeln und Normen außerhalb des Sportplatzes führt Heinemann insbesondere Rechtsvorschriften an, welche Rahmenbedingungen für den Sport darstellen.33 Die Regeln, die den Sport in seiner Eigenart konstituieren, weisen aber Besonderheiten auf. 2.6.1 Willkürlichkeit der Ziele, Irrelevanz in anderen Sphären Im Sport sind Regeln und Normen allgegenwärtig. Das Besondere am Regelwerk im Sport ist, dass es völlig willkürlich konstruiert wird und bei entsprechendem Willen auch völlig anders aussehen könnte. Heinemann spricht hier von einem Eigenweltcharakter des Regelwerkes im Sport. Durch die willkürliche Festlegung von Regeln sind auch die Ziele von Sport willkürlich, da sie auch anders festgelegt werden könnten. Der Autor führt als Beispiel an, dass man anstatt eines 100m-Laufes auch einen 85,36m-Lauf veranstalten könnte, oder dass nicht jene(r) Sportler*in gewonnen hat, die oder der am höchsten gesprungen ist, sondern jene(r), die oder der sowohl am höchsten als auch am weitesten gesprungen ist. Das Ergebnis eines Wettkampfes ist somit nur innerhalb des Wettkampfes von Relevanz, außerhalb dieser Sphäre ist es bedeutungslos und irrelevant.34 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. ebd., 56. 34 Vgl. ebd. 20
2.6.2 Ritualcharakter der Regeln Regeln im Sport werden also beliebig definiert und sind nicht immer rational begründbar, sie haben nach Heinemann den Charakter von Ritualen. Es wird zum Beispiel nicht festgelegt, wie viele Tore eine Fußballmannschaft zu schießen hat, um ein Spiel zu gewinnen, sondern geregelt, wie das Ziel, ein Tor zu schießen, erreicht werden darf. Diese willkürlichen Regeln sind nicht rational begründet und könnten auch ganz anderes formuliert werden. Sportregeln sind beliebig festgelegte Verknappungen von Zeit, Geräten, Techniken etc., um jenen zum Sieg zu verhelfen, die mit diesen knappen Mitteln am besten umgehen können. 35 Heinemann formuliert hier: „Die Instrumentalisierung bzw. Ökonomisierung des Körpers wird zum Selbstzweck: Körperliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, Motorik, Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer sind so zu optimieren, dass ein willkürlich festgelegtes Ziel nach willkürlich festgelegten Regeln möglichst gut und besser als von anderen erreicht wird.“36 2.6.3 Neutralität gegenüber den Gegnern Im Sport wirken soziale Normen und Regeln, die für alle Konkurrent*innen gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellen, die Regeln sind also neutral. Dies bedeutet, dass durch das Regelwerk im Sport ein Rahmen sozialer Gleichheit geschaffen wird. Anders als unter Alltagsbedingungen, wo trotz des Gleichheitsprinzips in entwickelten Demokratien soziale Ungleichheit besteht, werden im Sport diese Unterschiede ausgeschaltet, und es treten sich Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Schichtzuge-hörigkeit, unterschiedlicher ökonomischer Ressourcen und Bildungsgrade im sportlichen Wettkampf gegenüber. Von Krockow formulierte, dass Sport „fast wie der Entwurf einer Utopie: also ein Versprechen dessen, was allgemein sein sollte, aber nicht ist“, erscheint.37 Neben dem Schaffen sozialer Gleichheit sorgt das Regelwerk im Sport auch dafür, dass der Ausgang eines Wettkampfes offen und ungewiss ist. Durch verschiedenste Regulative wie durch die Einteilung in Leistungsklassen wird eine weitgehende Chancengleichheit hergestellt, 35 Vgl. ebd., 57-58. 36 Vgl. ebd., 58. 37 Krockow, 1972, 102 [zit. n.: Heinemann, Klaus: Einführung in die Soziologie des Sports. 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schorndorf: Hoffmann 1998, 59]. 21
die dafür sorgt, dass die Chancen auf Erfolg oder Misserfolg für alle Teilnehmer*innen gleich sind. Diese Chancengleichheit sorgt für eine Stimulation der Leistungsmotivation.38 2.6.4 Eigenweltcharakter Die Welt des Sports kennt klare Regeln, mit denen festgelegt ist, innerhalb welchen räumlichen und zeitlichen Grenzen sich ein Wettbewerb abspielt. Im Wettkampf wird nach klaren und objektiven Regeln ein Sieger ermittelt, was von den Teilnehmern mithilfe ihrer eigenen Fähigkeiten und ihres Einsatzes angestrebt wird. Im Alltag finden Menschen allerdings völlig andere Bedingungen vor. Ziele, Absichten sind oft unklar, Regeln interpretationsbedürftig und oft ist Kooperation nötig, um ein Ziel zu erreichen. Die besonderen Bedingungen des Sportes mit seinen klaren Regeln mögen auch ein Grund für seine Attraktivität sein.39 2.6.5 Zwang zur Legitimation Aufgrund des beschriebenen Aspekts der Irrelevanz einer sportlichen Leistung außerhalb der sportlichen Sphäre stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck. Abgesehen vom Zweck des Geldverdienens, der für einige Sportler*innen gelten mag und der ökonomischen Verwertbarkeit des Sports, bedarf es für die große Masse derer, die kein Geld mit Sport verdienen können, nach einer anderen Legitimation. Heinemann führt hier drei Typen an: rationalistische Legitimationen, die dem Sport einen sozialen, gesundheitlichen oder psychischen Nutzen zuschreiben oder ihn als Ausgleich zum Alltag sehen. Strukturalistische Legitimationen verweisen auf den Wert des Sports durch die Verwirklichung idealer kultureller Grundprinzipien wie Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit und des damit einhergehenden Verstehens von gesellschaftlichen Mechanismen. A-rationale Legitimationen sehen den Wert des Sports genau darin, dass er nichts mit der normalen Alltagswelt zu tun hat und so zu einem Rückzugsort für Spiel, Spaß und Freude wird und die normale Wirklichkeit ausblendet, was den Eigenweltcharakter betont.40 38 Vgl. Heinemann, Klaus: Einführung in die Soziologie des Sports. 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schorndorf: Hoffmann 1998, 59. 39 Vgl. ebd., 60. 40 Vgl. ebd., 60-61. 22
2.7 Sport als Sinnsystem Wenn man davon ausgeht, dass menschliches Handeln immer mit einem Sinn verbunden ist, dann muss man auch sportlicher Betätigung Sinn zuschreiben. Der Sport hat als Institution selbst einen eigenen Sinn. Dieser eigene Sinn bietet den aktiven und passiven Sportteilnehmer*innen Sinnmuster an, und gleichzeitig richtet der Sport sein Selbstverständnis danach aus.41 Dieses Selbstverständnis ist aber keineswegs einheitlich, sondern unterliegt einer heterogenen Sinnzuschreibung. Sporttreibende können Leistung und Wettbewerb in den Mittelpunkt von Sport stellen, andere sehen wiederum den gesundheitlichen Aspekt und soziale Aspekte im Vordergrund, wieder andere haben einen wirtschaftlichen Erfolg als ihr vorrangigstes Sinnmuster. Sinnmuster sind vielfältig und unterliegen auch in homogenen Gruppen keinen einheitlichen Sinngebungen. So wirken soziokulturelle Faktoren wie Alter, Beruf, Einkommen oder Bildungsgrad auf die Sinnmuster ebenso wie die Darstellung von Sport in den Medien. Durch die Selektion bestimmter Sportarten durch die Medien und die entsprechenden medialen Inszenierungen kommt ihnen eine eigene Deutungsmacht zu.42 Grupe spricht hier sogar von einem Sinndeutungsmonopol43 der Medien. Dietrich Kurz definiert sechs Sinn-Bereiche, die für Menschen im Sport ausschlaggebend sind: 1. Menschen suchen im Sport besondere Körpererfahrung, den körperlichen Ausgleich, die – möglichst umfassende – körperliche Beanspruchung und das daraus hervorgehende Wohlbefinden. Sie erwarten vom Sport auch positive Wirkungen für ihre Fitness, ihre Gesundheit und ihre Figur. 2. Menschen suchen im Sport den Reiz, die Sensation, die Lust, die mit der Bewegungshandlung selbst verbunden sein können. Sie erschließen sich durch die Bewegungen des Sports Erfahrungen besonderer Art, nicht zuletzt auch in der und über die Natur. 3. Menschen suchen die sportliche Bewegung als eine Botschaft über sich selbst zu gestalten; sie wollen durch Bewegung etwas ausdrücken; sie möchten, dass ihre Bewegungen gekonnt, kunstvoll, beeindruckend, schön, ästhetisch erscheinen. 4. Menschen suchen den Sport als Handlungsfeld auf, in dem man sich etwas vornehmen, etwas abverlangen, sich an Aufgaben messen und mit anderen vergleichen, seine 41 Vgl. Grupe, Ommo: Vom Sinn des Sports. Kulturelle, pädagogische und ethische Aspekte, Schorndorf: Hoffmann 2000, 49. 42 Vgl. ebd., 50-53. 43 Ebd., 53. 23
Möglichkeiten und Grenzen erkennen, die Anerkennung anderer erfahren und den eigenen Wert erleben kann. 5. Menschen suchen im Sport Situationen mit einem offenen Ausgang, der sie zwar in Spannung versetzt, aber nicht unbedingt bedroht. Sie suchen Erlebnisse von Risiko und Abenteuer, die Lust des Ungewissen und das befreite Gefühl danach. 6. Menschen suchen im Sport das Beisammensein mit anderen, die besondere, oft leichtere Kommunikation, die Erfahrungen von menschlicher Nähe, Geselligkeit und Gemeinschaft.44 Der Autor sieht in jedem dieser Sinnbereiche eine mögliche Antwort, die der Sport auf Defizite des Alltags geben kann. 45 Bereiche, für die Sport eine Kompensation sein könnte sind der Mangel - an körperlichen Beanspruchungen in einer Welt der Maschinen und Fahrzeuge; - an Unmittelbarkeit und Spontanität in einer Welt der Medien und Automaten; - an Leistungen, die wir uns persönlich zurechnen können, in einer Welt immer komplexerer und unübersichtlicher Arbeitsvorgänge; - an Spannung und Dramatik in einer Welt der Versicherungen und Routine; - an überschaubaren Kontakten in einer Welt der Einsamkeit und der Massen.46 Für Grupe lässt sich der Sinn von Sport auch auf eine allgemeine Formel bringen. Für aktive und passive Sportteilnehmer*innen liegt der allgemeine Sinn abgesehen von den besonderen Sinnmustern im 1:0 des Sports. Mit diesem Bild wird auf die Unmittelbarkeit des Sports hingewiesen, mit all seinen Facetten des Gewinnens und Verlierens, der Konkurrenz und Kooperation, des Leidens und Könnens, des Hochmutes und Falles, der Dramatik und Ästhetik, um nur einige wenige hier zu nennen. Diese Unmittelbarkeit des Sports kann selbst erlebt oder miterlebt werden, ist authentisch und ein Teil des Lebens, der für viele eine hohe Attraktivität aufweist.47 2.8 Sport als ästhetische Inszenierung Martin Seel rückt den Blick auf Aspekte der Ästhetik des Sports in den Mittelpunkt und versteht diesen als Schauspiel. Dabei werden sportliche Betätigungen wie Waldlaufen oder Radtouren 44 Kurz, Dietrich: Was suchen Menschen im Sport? Erwartungen und Bedürfnisse der Zukunft, in: Gieseler, Karlheinz (Hg.): Menschen im Sport 2000. Dokumentation des Kongresses „Menschen im Sport 2000“, Berlin 5.7.11.1987, Schorndorf: Hoffmann 1998, 128. 45 Vgl. ebd., 129. 46 Vgl. ebd. 47 Vgl. Grupe, Ommo: Sport als Kultur, Osnabrück: Fromm 1987, 59-60. 24
ausgeklammert, der Autor fokussiert auf den sportlichen Wettkampf, wie er im professionellen Sport ausgeübt wird. 48 Folgende Definition kommt hier zur Anwendung: „Sport ist das öffentliche Schauspiel eines durch anschauliche körperliche Handlungen vollzogenen und nach objektiven Kriterien entschiedenen Wettkampfs im Rahmen bestimmter Regeln, die den Handlungsspielraum der Ausführenden begrenzen.“49 In diesem Schauspiel spielt der Körper des Sportlers die entscheidende Rolle, denn er muss in räumlicher und zeitlicher Begrenzung Bewegungen ausführen. Raum und Zeit sind als begrenzende Elemente für den Sports konstitutiv, erst dadurch erhält eine sportliche Tätigkeit den Charakter eines Spiels. Durch diese Begrenzung mit einem Beginn und einem sicheren Ende erhält der Wettkampf seinen Reiz, an dem Zuschauer teilhaben wollen. Dabei spielen nicht nur die sportlichen Handlungen an sich, sondern auch alle anderen zur Schau gestellten Verhaltensweisen der Sportler*innen eine ästhetische Rolle und gehören zur Dramaturgie.50 Die Faszination des Sports geht von der Unvorhersehbarkeit des Höhepunktes aus, die Dramaturgie folgt laut dem Autor einem Gesetz der verzögerten Kulmination. Keiner der Akteure weiß, ob der Höhepunkt des Wettkampfes schon war oder noch kommen wird oder ob es deren mehrere geben wird. Die Zuseher*innen möchten im Geschehen dieser sportlichen Höhepunkte dabei sein, bei der Entscheidung des Wettkampfes, die durch das Können und Wollen der Beteiligten nicht gänzlich beeinflussbar ist. Die Ungewissheit und die Unkalkulierbarkeit des Wettkampfes sind nicht nur für Zuseher*innen, sondern auch für die aktiv Ausübenden interessant. Beide Seiten warten darauf, dass etwas nicht Voraussehbares passiert.51 Der Autor unterscheidet das Gelingen einer sportlichen Leistung von der sportlichen Leistung: Der Gewinn eines Wettbewerbes ist von der Leistung, die physisch und psychisch erbracht wird, nicht planbar. Der Sieg ist für Seel ein Gelingen, für das die körperliche und geistige Verfassung der Sportler*innen die Grundlage ist, die dieses Gelingen an einem bestimmten Punkt zulassen kann, aber der Sieg oder die Niederlage fällt den Wettkämpfenden zu. Seel spricht von einer Verselbstständigung des Leibes, die Sportler*innen eins werden lässt mit dem 48 Vgl. Seel, Martin: Ethisch-ästhetische Studien, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, 188-190. 49 Ebd., 191. 50 Vgl. ebd., 192-193. 51 Vgl. ebd., 194. 25
Geschehen, um etwas zu erreichen, was nicht mehr trainierbar ist. Sport ist für den Autor der Versuch von Sportler*innen, im Rahmen begrenzter Zeit und begrenzten Raums, mittels körperlicher Tätigkeiten in aller Öffentlichkeit etwas auf virtuose Weise zu tun, was sie nicht können, denn der Sieg ist immer ungewiss. Es ist eine riskante Zurschaustellung, in der das Unvermögen zelebriert wird. Die Ungewissheit des Eintretens des Gelingens oder Nicht- Gelingens ist aber der Grund für die Faszination sowohl auf der Seite der Zuschauer*innen als auch auf jener der Sportler*innen.52 Sport ist für den Autor die ästhetische Inszenierung der physischen Natur des Menschen. Im Sport wird die Grenze dieser physischen Natur erfahrbar, und Sportler*innen feiern in dieser Inszenierung die Grenze ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten.53 Auch für Güldenpfennig ist ein Sportereignis „die Aufführung eines Dramas, das Erzählen einer Fabel oder eines Epos, in welchen es in unendlich vielen Akten, Kapiteln oder Strophen um Variationen auf ein Thema“54 geht. Folgende Erzählelemente sind dafür konstitutiv: - Die Betonung auf den Wett-Kampf, als Wette von Sportler*innen, etwas vollbringen zu können, das für kaum möglich gehalten wird, mit dem gleichzeitigen Versprechen, mit allen erlaubten Mitteln im Rahmen der Regeln um den Erfolg zu kämpfen, - dem Streben nach Exzellenz, mit dem Ziel des Ausreizens der Leistungsgrenzen zur Selbstvervollkommnung unter Einhaltung der Regeln innerhalb des künstlich errichteten Rahmens der Sportart, also dem bewussten Verzicht auf unerlaubte Hilfsmittel, - die Verabredung einer künstlich herbeigeführten Fehde, bei der es außer um den Austrag um nichts geht, aber trotzdem so getan wird, als ob es ganz im Gegenteil um alles ginge, - dem Errichten eines ästhetischen Werkes, eine Sport-Werkes, - der Frage, ob und wie das Sportwerk gelingt, was letztlich die Faszination des Ereignisses ausmacht.55 52 Vgl. ebd., 195-197. 53 Vgl. Seel, Martin: Ethisch-ästhetische Studien, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, 199. 54 Güldenpfennig, Sven: Sport verstehen und verantworten. Sportsinn als Herausforderung für Wissenshaft und Politik, 1. Auflage, Sankt Augustin: Academia 2007, 269. 55 Vgl. ebd., 269-270. 26
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