Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten - Globale Rahmenvereinbarungen als Instrument einer gewerkschaftlichen Mitgestaltung ...

Die Seite wird erstellt Elisa Blank
 
WEITER LESEN
Verantwortung in Liefer- und
Wertschöpfungsketten
Globale Rahmenvereinbarungen als Instrument
einer gewerkschaftlichen Mitgestaltung
menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht
2                                                                             Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Impressum
                                                         LEKTORAT
STUDIE                                                   Gisela Lehmeier, FEINSCHLIFF
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten:
Globale Rahmenvereinbarungen als Instrument einer        SATZ UND LAYOUT
gewerkschaftlichen Mitgestaltung menschenrechtlicher     pandamedien GmbH & Co. KG
Sorgfaltspflicht.
                                                         TITELBILD
ERSTELLT IM AUFTRAG VON                                  Adobe Stock / mast3r
Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE
•• Inselstraße 6, 10179 Berlin                           DRUCK
•• Königsworther Platz 6, 30167 Hannover                 Spree Druck Berlin GmbH
Telefon +49 30 2787 13
                                                         VERÖFFENTLICHUNG
DURCHFÜHRUNG DER STUDIE                                  November 2019
Eckhard Voss
Jan-Ole Nilsson                                          BITTE ZITIEREN ALS
Thure Bodendieck                                         Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE (2019)
wmp consult – Wilke Maack GmbH Hamburg                   „Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten:
                                                         Globale Rahmenvereinbarungen als Instrument einer
PROJEKTLEITUNG                                           gewerkschaftlichen Mitgestaltung menschenrechtlicher
Carola Dittmann, Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE   Sorgfaltspflicht.“
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                  3

Vorwort

Unsere Wirtschaft ist geprägt von globalen Produktions-            bindung in die alltägliche betriebliche Ausgestaltung
zusammenhängen und komplexen Wertschöpfungsver-                    sichergestellt ist und nicht auf der Ebene von einzelnen
bünden. Mehr als 450 Millionen Menschen sind heute in              Initiativen und Beispielen verharrt.
globalen Lieferketten tätig – allein in der EU ein Drittel der
Beschäftigten. Die UN-Handelskonferenz geht davon aus,             Ansatzpunkte hierfür bieten globale Rahmenvereinbarun-
dass mittlerweile 80 Prozent des weltweiten Handels in             gen (GRV). Diese zwischen globalen Gewerkschaftsver-
globalen Lieferketten stattfinden.                                 bünden und transnationalen Unternehmen verhandelten
                                                                   Vereinbarungen regeln die Arbeitsbeziehungen innerhalb
Diese Entwicklung beinhaltet neben vielfältigen Chancen            des Unternehmens, oft auch in der Lieferkette.
für Unternehmen, Beschäftigte und Konsumenten auch
Schattenseiten, insbesondere hinsichtlich der Lebens- und          Die vorliegende Studie untersucht aktuelle globale Rah-
Arbeitsbedingungen der Menschen in einer weltweit ver-             menvereinbarungen – deren Struktur, Themen und Ver-
netzten Wertschöpfung. Löhne unterhalb des Mindest-                bindlichkeitsmechanismen – entlang der Kernelemente
lohns, Verletzung von Gewerkschaftsrechten, fehlende               eines systematischen Sorgfaltsmanagements und wertet
soziale Absicherung bei Krankheit und ähnliche Missstände          sie aus. Die Analyse zeigt die Potenziale der GRV und stellt
sind weltweit verbreitet.                                          Best Practices vor – beispielsweise, wenn durch Mecha-
                                                                   nismen für Risikomanagement und Beschwerdeverfahren
Politik und Gesellschaft fordern daher zunehmend von               Gewerkschaften und Betriebsräte bedeutsame Akteure im
Unternehmen eine verbindliche Sorgfaltspflicht für die Ar-         internationalen Sorgfaltspflichtmanagement des Unter-
beits- und Lebensbedingungen ihrer weltweit direkt Be-             nehmens wurden. Diese Best Practices sind häufig auch
schäftigten und eine Mitverantwortung für ihre Lieferketten.       auf Unternehmen ohne GRV übertragbar.
Globaler Referenzstandard der unternehmerischen Sorg-
faltspflicht sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und         Die Studie zeigt aber ebenso, dass es weiterer Konkre-
Menschenrechte, die in diversen Nationalen Aktionsplänen           tisierung bedarf, wie Gewerkschaften und Arbeitneh-
und nationalen gesetzlichen Regulierungen einzelner Län-           mervertretungen systematisch und wirksam in einen
der – einschließlich Deutschlands – Niederschlag finden.           strukturierten Prozess für verantwortungsvolles Liefer-
                                                                   kettenmanagement einbezogen werden können. Hier
Gewerkschaften nutzen auf internationaler sowie nationa-           werden sowohl betriebliche als auch gesetzliche Ansatz-
ler Ebene erfolgreich die UN-Leitprinzipien und die darin          punkte aktuell verstärkt und – notwendigerweise – de-
enthaltene unternehmerische Sorgfaltspflicht für politische        battiert.
Forderungen. Dennoch birgt die Diskussion um den Ansatz
zur Sorgfaltspflicht aus gewerkschaftlicher Sicht Heraus-
forderungen und viele offene Fragen.
                                                                   Wir wünschen eine spannende Lektüre!1
Eine entscheidende Frage ist, welche praxisorientierten
Forderungen und Vorschläge zur Einbeziehung von Ge-
werkschaften und Arbeitnehmervertretungen auf der
operativen Ebene in Unternehmen formuliert werden                  Carola Dittmann
können. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht aus-               Bereichsleiterin Nachhaltigkeit/CSR
zuüben, ist ein dauerhafter Prozess und eine wirksame
Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitnehmerver-
tretungen setzt unter anderem voraus, dass ihre Ein-

1
   In diesem Papier wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum häufig verwendet. Diese Form bezieht sich zu-
gleich auf weibliche oder andere Geschlechteridentitäten, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
4                                                                                                                                  Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Inhalt
Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick (Executive Summary)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.       Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

         1.1 Globalisierung und menschenrechtliche Sorgfaltspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

         1.2 Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Sorgfaltspflicht gegenüber Arbeitnehmerrechten  . . . . . . . . . . . . . 11

         1.3 Zielsetzung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.       Globale Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

         2.1 Entwicklung und Verbreitung globaler Rahmenvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

         2.2 Eine neue Generation von globalen Rahmenvereinbarungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3.       Unternehmerische Sorgfaltspflicht für Menschenrechte – Bedeutung aus gewerkschaftlicher Sicht  . . . . . . . . .  20

         3.1 Internationale Rahmenwerke und Standards für Unternehmensverantwortung
                 in Liefer- und Wertschöpfungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20

         3.2 EU Verordnung und Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

         3.3 Nationale Entwicklungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

         3.4 Das französische Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

         3.5 Entwicklungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4.       Unternehmerische Sorgfaltspflicht und globale Rahmenvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

         4.1 Grundsatzerklärung: Bekenntnis zu Menschen- und Arbeitnehmerrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

         4.2 Risikoanalyse: Gefahren identifizieren und bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30

         4.3 Wirksamkeitskontrolle: Effektivität von Maßnahmen überprüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

         4.4 Kommunikation: Interne und externe Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

         4.5 Beschwerdemechanismus: Zugänge und Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

         4.6 Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  44

5.       Fazit und Ausblick: Relevanz der GRV für Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen
         auf nationaler und betrieblicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  46

         5.1 Von der politischen auf die betriebliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  46

         5.2 Globale Rahmenvereinbarungen und unternehmerische Sorgfaltspflicht:
                 Neue Potentiale für Mitbestimmungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

         5.3 Welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es für Arbeitnehmervertreter*innen
                 bei der Umsetzung der UN-Leitprinzipien in Unternehmen ohne GRV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

         5.4 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

Anhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

         Anhang 1: Untersuchte globale Rahmenvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

         Anhang 2: Alle zwischen 2011 und 2018 identifizierten globalen Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                                                   5

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:   Die fünf Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Abbildung 2:   Transnationale Rahmenvereinbarungen nach Land, 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Abbildung 3:   Transnationale Rahmenvereinbarungen nach globaler Branchengewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Abbildung 4:   Nationale Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien
               für Wirtschaft und Menschenrechte, per 23. September 2019  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Abbildung 5:   Bezugnahme globaler Rahmenvereinbarungen auf menschen-
               und arbeitnehmerrechtliche Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Abbildung 6:   Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflicht in der Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  50

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:     Das Sample der 30 globalen Rahmenvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Tabelle 2:     Gremien zur Umsetzung und deren Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Tabelle 3:     GRV mit Schulungsplänen zu bestimmten Themenfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  40

Tabelle 4:     Handlungsfelder und Aufgaben gewerkschaftlicher Betriebspolitik
               in transnationalen Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48
6                                                                          Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick
(Executive Summary)

Mit der Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirt-     Beziehung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten
schaft und Menschenrechte im Jahr 2011 und dem daraus      und GRV
abgeleiteten deutschen Nationalen Aktionsplan (NAP) aus    In den UN-Leitprinzipien werden globale Rahmenver-
dem Jahr 2016 wurden die Anforderungen an Unterneh-        einbarungen im Kontext von Beschwerdemechanismen
men zu einer menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflicht      und Wiedergutmachung explizit erwähnt. Der deutsche
präzisiert. Auch wenn Gewerkschaften und Arbeitneh-        Nationale Aktionsplan verweist an verschiedenen Stellen
mervertretungen in diesen Rahmenwerken kaum explizit       auf die Rolle von Gewerkschaften als wichtiger Stake-
benannt werden, so ist eine erfolgreiche Umsetzung der     holder, ohne diese jedoch zu präzisieren. Auch in ande-
menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ohne diese Akteure    ren Handlungsempfehlungen – wie z. B. dem Berliner
kaum vorstellbar. Das gilt im Besonderen für Arbeitneh-    CSR-Konsens – wird auf globale Rahmenvereinbarungen
mer*innenrechte innerhalb der Lieferkette.                 als Instrument verwiesen und die Rolle von Gewerkschaf-
                                                           ten und Betriebsrät*innen im Bereich Risikoanalyse und
Erste Erfahrungen zur transnationalen Regulierung von      Beschwerdemanagement herausgestellt.
Arbeitsbeziehungen und zur Umsetzung der Sorgfalts-
pflicht mit Arbeitnehmerbeteiligung bieten globale         Insoweit ist von einer wechselseitigen Beeinflussung
Rahmenvereinbarungen (GRV). Diese werden freiwillig        eines verantwortungsvollen Managements der men-
zwischen global agierenden Unternehmen und interna-        schenrechtsbezogenen Sorgfaltspflicht und globalen
tionalen Gewerkschaften geschlossen, gelten aber häufig    Rahmenvereinbarungen auszugehen, die im Folgenden
über das eigene Unternehmen hinaus und entfachen Wir-      weiter vertieft wird.
kung in deren Liefer- und Wertschöpfungsketten.
                                                           Kernelement 1: Grundsatzerklärung
Die vorliegende Studie analysiert 30 ausgewählte, zwi-     Mit einer Grundsatzerklärung bekennen sich Unterneh-
schen 2011 und 2018 (neu-) verhandelte, globale Rah-       men zu ihrer Verantwortung bezüglich der Achtung von
menvereinbarungen. Der Fokus liegt auf der Nutzung und     Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechten. Alle unter-
praktischen Umsetzung von GRV sowie deren Ansätzen         suchten GRV beziehen sich auf die ILO-Kernarbeitsnor-
zur Arbeitnehmerbeteiligung in der unternehmerischen       men in ihrer Grundsatzerklärung. 80 Prozent haben einen
Sorgfaltspflicht. Ziel ist es, Stärken und Schwächen der   direkten Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Men-
aktuellen GRV aus Arbeitnehmer*innensicht zu diskutie-     schenrechte der Vereinten Nationen und 60 Prozent auf
ren sowie Best Practice-Beispiele zu definieren.           die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
                                                           Speziell in den neueren GRV mit französischen Unterneh-
Neben einer Grundsatzerklärung beinhaltet der unterneh-    men (bspw. BNP Paribas und EDF) werden auch die An-
merische Sorgfaltsprozess typischerweise vier Kernele-     forderungen des französischen Sorgfaltspflichtgesetzes
mente: Analyse der Risiken und negativen Auswirkungen      aus dem Jahr 2017 aufgegriffen und präzisiert.
der Unternehmenstätigkeit auf Menschen- und Arbeit-
nehmer*innenrechte; Maßnahmen zur Vermeidung               Im Ergebnis der Analyse zeigen sich auch klare und
und Verminderung von negativen Auswirkungen sowie          dezidiertere Bezüge der GRV zu kollektiven Arbeit-
deren Wirksamkeitskontrolle; Kommunikation und Be-         nehmer*innenrechten, wie bspw. der Koalitions- und Ver-
richterstattung sowie die Bereitstellung eines Beschwer-   einigungsfreiheit. Gute industrielle Beziehungen werden
demechanismus.                                             nicht mehr nur als allgemeines Lippenbekenntnis formu-
                                                           liert, sondern als konkreter Arbeitsauftrag im Rahmen des
                                                           sozialen Dialogs.
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                         7

Die Grundsatzerklärung soll nach innen und außen be-             Die Einbindung weiterer Stakeholder, zum Beispiel Zulie-
kannt gemacht werden. Im Falle der untersuchten GRV              ferunternehmen, findet nur sehr selten statt. Wenngleich
hat sich gezeigt, dass diese manchmal den Beschäftigten          einige Unternehmen zur Verbesserung der Wirksam-
mit den Arbeitsverträgen ausgegeben werden. Auch eine            keitskontrolle spezielle Indikatoren entwickelt haben,
Weitergabe mit der Verpflichtung zur Achtung und Ein-            die regelmäßig aktualisiert und überprüft werden (z. B.
haltung der darin beschriebenen Grundsätze innerhalb             Solvay und EDF), konzentrieren sich die Maßnahmen zur
der Lieferkette findet statt.                                    Förderung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten
                                                                 innerhalb der Lieferkette zumeist auf Informations- und
Kernelement 2: Risikoanalyse                                     Schulungsmaßnahmen.
Im Kern eines Sorgfaltspflichtprozesses steht ein strukturier-
tes Verfahren zur Erfassung von tatsächlich oder potentiell      Bis auf wenige Ausnahmen sehen alle GRV Schulungen
nachteiligen Auswirkungen des Unternehmenshandelns auf           in den Themengebieten Awareness (Menschenrechte),
die Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechte.                      Sicherheit und Gesundheit und/oder Arbeitnehmerrechte
                                                                 (Tarifverhandlungen, Vereinigungsfreiheit) vor. Diese rich-
Die Analyse verdeutlicht, dass GRV in begrenztem Maße            ten sich zum Teil nicht nur an die eigenen Beschäftigten,
zu einer menschenrechtlichen Risikoanalyse beitragen,            sondern auch an das Management sowie Kooperations-
diese jedoch nur ergänzen und keinesfalls ersetzen kön-          partner.
nen. Zumeist beinhalten die GRV prozessuale Regelungen,
die bei möglichen Verstößen gegen die Substanz bzw.              Kernelement 4: Kommunikation
die Bestimmungen des Rahmenabkommens zum Tragen                  Unternehmen sollen Informationen zu ihrer Risikoanalyse
kommen. Dies betrifft in erster Linie das unterzeichnende        sowie zu ergriffenen Maßnahmen und deren Wirksamkeit
Unternehmen und wird nur in wenigen Fällen auf die Lie-          bereithalten und ggf. intern wie extern darüber berichten.
ferkette oder das Unternehmensumfeld ausgeweitet.
                                                                 Formal zahlen GRV nicht oder nur in unzureichendem
Bei der Aufdeckung von Risiken, Missständen und Verstö-          Maße auf dieses Kernelement der Sorgfaltspflicht ein, da
ßen gegen die Bestimmungen der Rahmenvereinbarungen              ihre Umsetzung keiner Veröffentlichungspflicht unterliegt.
haben nationale bzw. lokale Gewerkschaften und Arbeit-           Es gibt zwar Ausnahmen, bei denen die Rahmenvereinba-
nehmervertretungen aufgrund der genaueren Kenntnis der           rung als Bestandteil der unternehmerische CSR-Strategie
Vor-Ort Bedingungen eine besondere Bedeutung.                    begriffen werden und in diesem Zusammenhang auch
                                                                 darüber berichtet wird. Die meisten GRV haben jedoch
Kernelement 3: Maßnahmen und Wirkungsmessung                     einen internen Regulierungscharakter, der sich auch in
Die Sorgfaltspflicht erfordert auf Basis der Risikoanalyse       der Kommunikationspraxis spiegelt.
die Ableitung von Maßnahmen, deren Integration in die
Geschäftsprozesse und eine Wirkungsmessung.                      Dennoch können Gewerkschaften und Arbeitneh-
                                                                 mer*innenvertretungen     diese  Kommunikationsan-
Zur Umsetzung und zum kontinuierlichen Monitoring                forderung nutzen und bspw. Veröffentlichungen von
der Rahmenvereinbarungen sehen viele der untersuch-              Unternehmen prüfen oder einfordern. Ebenso sind sie
ten GRV die Einrichtung spezieller Gremien vor. Deren            eine wichtige Anspruchsgruppe und sollten sich aktiv in
Zusammensetzung, konkrete Aufgaben und Kompeten-                 Stakeholder-Prozesse einbringen.
zen variieren jedoch stark. Einige dienen lediglich der
fortwährenden Kommunikation zwischen den Unter-                  Kernelement 5: Beschwerdemechanismen
nehmen und der globalen Gewerkschaftsförderation,                Beschwerdemechanismen sind notwendig, um frühzeitig
andere beziehen weitere Stakeholder des transnationa-            und präventiv auf (tatsächliche oder potenzielle) nach-
len sozialen Dialogs, bspw. Euro-, Welt- oder Konzern-           teilige Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit hinwei-
betriebsrät*innen sowie nationale Gewerkschaften, ein.           sen zu können. Um Wirksamkeit zu entfalten, müssen sie
Zum Teil werden die Treffen mit Vor-Ort Besuchen und             zugänglich, ausgewogen und berechenbar sein und ihre
Audits verbunden.                                                Inanspruchnahme darf nicht negativ sanktioniert werden.
8                                                                               Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

In allen GRV sind Beschwerdemechanismen, zumeist               Allerdings weist die Studie auch auf Schwachstellen und
auf kollektiver Ebene, mehr oder weniger detailliert be-       Lücken im Verhältnis GRV und menschenrechtliche Sorg-
schrieben. Individuelle Beschwerdemöglichkeiten, bspw.         faltspflicht hin. Zum Beispiel erweitern erst einige neuere
eine Hotline für Beschäftigte und der Schutz von Whistle-      Vereinbarungen ihren Wirkungsbereich auch auf Koope-
blowern, finden sich dagegen nur vereinzelt. Eine weitere      rationspartner und Lieferbeziehungen. Die Risikoanalyse
Schwäche zeigt sich darin, dass die Beschwerdemecha-           und daraus abgeleitete Maßnahmen umfassen nur einen
nismen meist nur auf Unternehmensbeschäftigte und              Teilbereich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und
Arbeitnehmervertretungen orientiert sind. Zulieferer oder      Beschwerdemechanismen müssten ggf. einem größeren
weitere Anspruchsgruppen bleiben dabei weitgehend un-          Kreis zugänglich sein.
berücksichtigt.
                                                               Ein weiteres Hemmnis für eine wirksame transnationale
Allen gemeinsam ist, dass Beschwerden möglichst                Verbesserung der Menschenrechts- und Arbeitsstandards
unternehmensintern im Rahmen des sozialen Dialogs              liegt in der noch relativ begrenzten Anzahl globaler Rah-
gelöst werden.                                                 menvereinbarungen (insgesamt ca. 125) und deren Be-
                                                               kanntheitsgrad.
Die Einbeziehung unternehmensexterner Parteien ist nur
in Ausnahmefällen vorgesehen, zum Beispiel, wenn alle          Unbenommen der herausgearbeiteten positiven Praxis-
Versuche einer unternehmensinternen Lösung geschei-            beispiele und Anknüpfungspunkte bedarf es weiterer
tert sind. Ein weiteres gemeinsames Kennzeichen ist die        Präzisierungen für eine wirksame und kontinuierliche
Lösung von Problemen nach dem Subsidiaritätsprinzip:           Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitnehmerver-
Da, wo die Probleme anfallen, sollen sie möglichst auch        tretungen bei der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht-
gelöst werden. Erst wenn das nicht gelingt, werden höhe-       prüfung von Unternehmen.
re Hierarchieebenen einbezogen.

Fazit
Die Analyse zur Nutzung und Umsetzung von globalen
Rahmenvereinbarungen verdeutlicht, dass GRV positi-
ve Auswirkungen auf die menschenrechtliche Sorgfalts-
pflicht haben können. Das hilft insbesondere dabei, die
Arbeitnehmer*innenrechte, wie das Recht auf Vereini-
gungsfreiheit und Kollektivverhandlungen, zu befördern.
Die in den Vereinbarungen festgeschriebenen Konsulta-
tionsprozesse zwischen Arbeitnehmervertreter*innen und
dem Management können dabei helfen, menschenrecht-
liche Risiken zu identifizieren, die Wirksamkeit ergriffener
Maßnahmen zu prüfen und Beschwerden lösungsorien-
tiert zu bearbeiten.

In den beschriebenen Beispielen findet sich auch eine
Reihe von Gestaltungsansätzen, die auch für Arbeitneh-
mervertretungen in Unternehmen ohne globale Rahmen-
vereinbarung interessant sind.
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                   9

1
1. Einleitung

1.1 Globalisierung und menschenrechtliche                          Transnationale politische Akteure wie die Vereinten Na-
Sorgfaltspflicht                                                   tionen (UN), die Internationale Arbeitsorganisation (ILO),
Die Globalisierung hat weltweit zu einer beeindruckenden           die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Zunahme von Handel sowie internationalen Kapitalströ-              Entwicklung (OECD), die Europäische Union (EU) oder
men geführt. Sie hat auch dazu beigetragen, dass – ge-             die Gruppe der zwanzig bzw. sieben wichtigsten Indus-
messen am BIP – die Welt heute dreimal reicher ist als vor         trie- und Schwellenländer (G20/G7), fordern deshalb
30 Jahren.                                                         zunehmend, dass transnationale Unternehmen mehr Ver-
                                                                   antwortung für Menschenrechte und Arbeitsbedingungen
Neben vielfältigen Chancen für Unternehmen, Beschäf-               übernehmen. Multinationale Unternehmen sollen dabei
tigte und Konsumenten hat die Globalisierung auch                  nicht allein nationalen sozialen und arbeitsrechtlichen
Schattenseiten, vor allem hinsichtlich der Lebens- und             Rahmenbedingungen verpflichtet sein, sondern darüber
Arbeitsbedingungen der Menschen in globalen Liefer-                hinaus eine Sorgfaltspflicht für ihre direkt Beschäftigten
und Wertschöpfungsketten.                                          weltweit haben und auch Mitverantwortung tragen für die
                                                                   Arbeits- und Lebensbedingungen in ihren Lieferketten,
Laut eines Berichts für den Internationalen Gewerkschafts-         insbesondere in denjenigen Unternehmen, mit denen sie
bund (IGB) sind 80 Prozent der Weltbevölkerung der Mei-            direkte vertragliche Verhältnisse eingehen.
nung, der Mindestlohn ihrer Länder sei nicht ausreichend
zum Leben, sie empfinden ihre Arbeit als unsicher und zu            „In Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien6 rufen
oft durch zeitlich befristete oder flexible Verträge geprägt.       wir die Privatwirtschaft dringend auf, ihrer Sorgfaltspflicht
Weltweit nehmen informelle Arbeit und moderne Formen                auf dem Gebiet der Menschenrechte nachzukommen.
der Sklaverei wie Zwangsheirat, Zwangsarbeit oder Kin-              Wir werden Maßnahmen zur Förderung besserer Arbeits-
derarbeit eher zu als ab. Sie sind auch in den Lieferketten         bedingungen ergreifen, indem wir die Transparenz erhö-
großer multinationaler Konzerne verbreitet.2                        hen, das Erkennen und die Prävention von Risiken fördern
                                                                    und Beschwerdemechanismen stärken.
Die Katastrophe in Rana Plaza , die unmenschlichen
                                     3

Arbeitsbedingungen auf den FIFA Baustellen in Katar4                Wir erkennen die gemeinsame Verantwortung von
oder in der Plantagenarbeit in Italien oder Spanien5 sind           Regierungen und Wirtschaft an, nachhaltige Lieferketten
Beispiele von Missständen, die durch gewerkschaftliche              zu fördern und gute Beispiele zu unterstützen. […] Um
oder NGO-Kampagnen und Skandale an die Öffentlich-                  sichere und nachhaltige Lieferketten zu fördern, werden
keit gelangten und diese sensibilisierten. Es ist deutlich,         wir kleine und mittlere Unternehmen bei der Entwicklung
dass Ansätze unternehmerischer Sorgfaltspflicht, die auf            eines gemeinsamen Verständnisses von Sorgfaltspflicht
einer freiwilligen Selbstverpflichtung basieren, nicht im-          und eines verantwortungsvollen Lieferkettenmanage-
mer ausreichen, um substantielle Verbesserungen in glo-             ments verstärkt unterstützen.“
balen Lieferketten zu erreichen.                                    (Auszug aus der G7-Abschlusserklärung 2015, Weltwirtschaft:
                                                                    Verantwortung in globalen Lieferketten)7

2
   Business and Human Rights Resource Centre o. J.
3
   Im Jahr 2013 starben 1135 Menschen bei dem Brand und Einsturz des Rana Plaza Gebäudes in Bangladesch, in dem viele Werkstätten
für multinationale Textilunternehmen waren.
4
   Der Tagesspiegel 2018.
5
   Das Erste 2018.
6
   United Nations Human Rights Office of the High Commissioner 2011. Die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wurden
2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet. In einem 3-Säulen-Modell „Schutz, Achtung und Abhilfe“ konkretisieren 31 Prinzipien
die Pflicht der Staaten zum Schutz der Menschenrechte, die Verantwortung der Unternehmen, die Menschenrechte zu achten sowie das
Recht auf Wiedergutmachung im Falle erlittener Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliche Akteure.
7
   Die Bundesregierung 2015.
10                                                                                    Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Der Fokus auf unternehmerischer Sorgfaltspflicht für               Globale Rahmenvereinbarungen und Gesetzgebung
Arbeitnehmerrechte und Arbeits- und Sozialbedingun-                GRV werden zwischen einem multinationalen Unter-
gen erklärt sich auch aus den deutlichen Regulierungs-             nehmen und einer internationalen Branchengewerk-
lücken und Durchsetzungsproblemen bei internationalen              schaft geschlossen. Sie behandeln in der Regel Fragen
Rechtsnormen. Rein auf Freiwilligkeit und Goodwill be-             des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, der Schaffung
ruhende unternehmensbezogene Absichtserklärungen,                  angemessener Arbeitsbedingungen sowie verbindlicher
Bekenntnisse zur Corporate Social Responsibility (CSR)             Grundsätze des Unternehmens im Bereich CSR. Eine GRV
oder zu Verhaltenskodizes reichen nicht aus, um die                schafft eine formelle Beziehung zwischen einer interna-
Arbeits- und Sozialbedingungen in den globalen Lie-                tionalen Gewerkschaftsorganisation und einem indivi-
ferketten deutlich und auf breiter Front zu verbessern.            duellen, international tätigen Unternehmen, sie schreibt
Deshalb fordern gerade Gewerkschaften in nationalen                damit die in der GRV festgehaltenen Grundsätze im welt-
und internationalen politischen Diskussionen, die unter-           weiten Geltungsbereich verbindlich fest. Es gibt heute
nehmerische Sorgfaltspflicht bezüglich der Achtung der             rund 130 GRV, zumeist in global agierenden und sehr gro-
Menschen- und Arbeitnehmerrechte verbindlich festzu-               ßen Unternehmen.
schreiben.8 Dazu gehört auch eine Stärkung internatio-
nalisierter Formen der Interessenvertretung im Bereich             Die Frage Sorgfaltspflicht in Lieferketten wird auch von
internationaler Arbeitnehmerrechte, zum Beispiel durch             dem Gesetzgeber verstärkt in dem Blick genommen:
Euro- oder Weltbetriebsräte.                                       Es gibt nun beispielsweise Gesetze gegen Sklaverei und
                                                                   Zwangsarbeit in den USA, im Vereinigten Königreich und
Auf internationaler Ebene gibt es bislang keinerlei recht-         Australien, Gesetze gegen Kinderarbeit in den Niederlan-
liche Instrumente, mit denen ein Unternehmen für die               den sowie ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfalts-
Missachtung internationaler Mindeststandards sanktio-              pflicht aus dem Jahre 2017 in Frankreich.10
niert werden könnte. Globale Unternehmen agieren in
nationalen Märkten, deren Arbeits- und Sozialstandards             Auf internationaler Ebene legte der Menschenrechtsrat
die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen regulie-             der Vereinten Nationen (UN) im Juli 2018 den Entwurf
ren. Selbst Verstöße gegen die nationale Gesetzgebung              eines rechtsverbindlichen Abkommens vor, das Aktivitä-
haben nur dann Konsequenzen, wenn sie verfolgt und zur             ten transnationaler Unternehmen mit Blick auf die Einhal-
Anklage gebracht werden.                                           tung von Menschenrechtsstandards regulieren soll.11 Eine
                                                                   überarbeitete Fassung dieses Abkommens ist die Grund-
Bereits in den 1970er Jahren gab es Versuche von be-               lage für Verhandlungen im Oktober 2019 in Genf.
trieblichen    Gewerkschaftsvertretern,    transnationale
Vertretungsorgane in multinationalen Konzernen zu ver-             Auf EU-Ebene wurden zum Beispiel (mit der Verordnung
ankern. Diese scheiterten aber häufig. Auch Kampagnen,             2017/821) bindende Pflichten der Unternehmen hinsicht-
die „Sozialklauseln“ bei der Welthandelsorganisation WTO           lich der Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette
erreichen wollten (zuletzt in den 1990er Jahren), wa-              für EU-Importeure von bestimmten Mineralien aus Kon-
ren wenig erfolgreich. Globale Rahmenvereinbarungen                flikt- und Hochrisikogebieten rechtlich festgelegt.12 Sie
(GRV) sind deswegen eines der wichtigsten Instrumente              gelten ab dem 1.1.2021.
internationaler Gewerkschaften geworden, um einheit-
liche Mindeststandards mit der Unternehmensleitung zu              Nicht zuletzt hat sich die Bundesregierung im Rah-
verhandeln und verbindlich zu regulieren.9 Sie sind für            men des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und
globale Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen                Menschenrechte (NAP) verpflichtet, auf Basis einer
auch eine Antwort auf unverbindliche Bekenntnisse zur              Analyse unternehmerischer Praxis zu prüfen, ob stär-
CSR und unternehmensspezifischen Verhaltenskodizes                 ker bindende Regulierungen bis hin zu gesetzlichen
(Codes of Conduct).                                                Maßnahmen notwendig sind.13 Ein im Februar 2019
                                                                   bekannt gewordener Entwurf eines Gesetzes zur Re-
                                                                   gelung menschenrechtlicher und umweltrechtlicher
                                                                   Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten

8
    Der Europäische Gewerkschaftsbund hat z. B. 2016 Vorschläge zur Schaffung eines rechtsverbindlichen Rahmens für Vereinbarungen
in transnationalen Konzernen gemacht. Siehe: ETUC 2016.
9
    Die erste globale Rahmenvereinbarung wurde 1989 durch die internationale Nahrungsmittelgewerkschaft IUF und das französische
Unternehmen Danone unterzeichnet.
10
     Diese gesetzlichen Rahmenwerke werden ausführlicher in Kapitel 3 beschrieben.
11
    United Nations Human Rights Office of the High Commissioner o. J.
12
    Europäische Kommission 2017.
13
    Die Bundesregierung 2017.
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                    11

(kurz: Sorgfaltspflichtengesetz) wurde jedoch wieder zu-           1.2 Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und
rückgezogen. Der Entwurf sah eine deutliche Abkehr von             Sorgfaltspflicht gegenüber Arbeitnehmerrechten
dem bislang herrschenden Prinzip der freiwilligen Selbst-          Der Begriff der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht
verpflichtungen der Unternehmen vor.                               ist zu einem wichtigen Begriff geworden im öffent-
                                                                   lichen und rechtlichen Diskurs über internationalen
Wie im weiteren Verlauf dieses Berichts (siehe Kapitel 3)          Menschenrechtsschutz und eine bessere Umsetzung
genauer erläutert wird, beinhalten all diese gesetzlichen          supranationaler Standards in globalen Liefer- und Wert-
Instrumente eine mehr oder minder detaillierte Bericht-            schöpfungsketten.14 Die unternehmerische Sorgfalts-
erstattungspflicht zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht          pflicht ist neben der staatlichen Verantwortung und dem
(Due Diligence) hinsichtlich möglicher Risiken der Unter-          Recht auf Wiedergutmachung, beispielsweise durch Be-
nehmenstätigkeit in den Liefer- und Wertschöpfungsket-             schwerdemechanismen, eine Säule der UN-Leitprinzipien
ten. Risiken in diesem Zusammenhang sind insbesondere              für Wirtschaft und Menschenrechte.
Menschenrechtsverletzungen, Nichtachtung von Arbeit-
nehmerrechten oder Korruption.                                     Die folgende Abbildung (Abbildung 1) verdeutlicht die
                                                                   fünf Kernelemente bzw. Handlungsfelder der menschen-
Die Einbindung gewerkschaftlicher Interessenvertretun-             rechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen: Grund-
gen in das Risiko-Monitoring ist nicht gesetzlich vor-             satzerklärung,    Risikoanalyse,  Wirksamkeitskontrolle,
geschrieben, sondern wird vom Gesetzgeber allenfalls               Kommunikation und Beschwerdemechanismus. Diese
empfohlen (zum Beispiel im französischen Gesetz zur                Elemente, die sich nicht nur in den UN-Leitprinzipien,
Sorgfaltspflicht). Dennoch kommt den Gewerkschaften                sondern auch bereits in den OECD-Leitsätzen für multi-
aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zu Beschäftigten und             nationale Unternehmen finden, sind die Basis der Emp-
Arbeitsbedingungen eine besondere Bedeutung zu.                    fehlungen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung
                                                                   der UN-Leitprinzipien und des im Juni 2018 beschlosse-
Jenseits dieser gesetzlichen Reformdiskussionen ist auch           nen Berliner CSR-Konsens zur Unternehmensverantwor-
im sozialen Dialog der Unternehmen ein deutlicher Trend            tung in Liefer- und Wertschöpfungsketten.15
festzustellen: Neuere globale Rahmenvereinbarungen
messen der unternehmerischen Sorgfaltspflicht bei der               „Die Bundesregierung erwartet von allen Unternehmen,
Umsetzung von CSR-Grundsätzen und sonstigen Zielen                  den […] Prozess der unternehmerischen Sorgfalt mit
eine deutlich stärkere Bedeutung bei (siehe Kapitel 2.2).           Bezug auf die Achtung der Menschenrechte in einer ihrer
Die Rolle betrieblicher und gewerkschaftlicher Arbeit-              Größe, Branche und Position in der Liefer- und Wert-
nehmerorgane wird zunehmend wichtiger. Dies zeigt                   schöpfungskette angemessenen Weise einzuführen. Dies
sich besonders bei jüngst (neu-)verhandelten globalen               gilt insbesondere dann, wenn sie in Ländern tätig sind,
Vereinbarungen in französischen Unternehmen wie EDF                 in denen rechtsstaatliche Grundsätze nicht oder nur un-
oder BNP Paribas, die im weiteren Verlauf dieser Studie             zureichend durchgesetzt werden.“
analysiert werden. Sie haben einen direkten Bezug zur               (Nationaler Aktionsplan Umsetzung der UN-Leitprinzipien, S. 7)
Sorgfaltspflicht des Unternehmens mit Blick auf Arbeit-
nehmerrechte und Arbeitsbedingungen.

14
   Hier insbesondere die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die Dreiseitige Grundsatzerklärung der ILO über
multinationale Unternehmen und Sozialpolitik (ILO 2017) und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (OECD 2011).
15
   Nationales CSR-Forum der Bundesregierung 2018. Der Berliner CSR-Konsens wurde vom Nationalen CSR-Forum der Bundesregierung
beschlossen. Es ist das erste einvernehmlich beschlossene Dokument aller für CSR relevanten Stakeholder in Deutschland, das die
Anforderungen an ein verantwortliches Management von Liefer- und Wertschöpfungsketten in einer globalisierten Wirtschaft beschreibt
(neben dem DGB waren an den Beratungen auch ver.di, IG Metall und IG BCE beteiligt).
12                                                                                      Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Abbildung 1: Die fünf Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht

                                                                                (1)
                                         (5)
                                                                           Grundsatz-
                                    Beschwerde-
                                                                            erklärung
                                    mechanismus

                                                    Menschenrechtliche
                                                       Sorgfaltspflicht
                                                                                                 (2)
                          (4)                                                              Risikoanalyse
                   Kommunikation

                                                             (3)
                                                       Wirksamkeits-
                                                          kontrolle

Aus Sicht des Berliner CSR-Konsenses sollten bei der kon-             Die vorliegende Studie will hierfür Anregungen liefern,
kreten Ausgestaltung und Umsetzung dieser Kernelemente                auf der Basis bereits bestehender Best Practices glo-
nicht nur allgemein gültige Standards berücksichtigt wer-             baler Rahmenvereinbarungen. Die in GRV enthaltenen
den, sondern auch unternehmens- und branchenspezifi-                  Formulierungen und Umsetzungsmechanismen können
sche Besonderheiten, wenn es um die „notwendige Tiefe                 Anregungen für Lösungen liefern, unternehmerische
und Breite der Sorgfaltsprüfung“ geht.16 Den Unternehmen              Sorgfaltspflicht innerhalb der eigenen Lieferkette zu kon-
steht zur Präzisierung und operativen Umsetzung der ver-              zeptualisieren und umzusetzen und dabei der Arbeitneh-
schiedenen Aspekte der menschenrechtlichen Sorgfalts-                 merbeteiligung eine wichtige Rolle beizumessen. Dadurch
pflicht bereits eine Reihe von Richtlinien, Leitfäden und             möchte die Studie dazu beitragen, dass Gewerkschaften
spezialisierten Beratungsangeboten zur Verfügung.17                   und Arbeitnehmervertretungen eigene Vorstellungen da-
                                                                      rüber entwickeln, wie in ihrem jeweiligen Unternehmen –
Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen haben                     ungeachtet dessen, ob eine globale Rahmenvereinbarung
bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfalts-                  besteht oder nicht – die menschenrechtliche Sorgfalts-
pflicht im Unternehmen und innerhalb seiner Lieferkette               pflicht mit Blick auf die Liefer- und Wertschöpfungskette
die Möglichkeit, eine wichtige Rolle zu spielen. Welche               ausgestaltet werden kann.
konkreten Aufgaben sie wahrnehmen werden oder soll-
ten, ist jedoch zu präzisieren.

16
   Nationales CSR-Forum der Bundesregierung 2018, S. 8.
17
   Siehe zum Beispiel Global Compact Netzwerk Deutschland 2018. Siehe auch die branchenspezifischen Leitfäden auf der Webseite
des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, darunter einen Leitfaden für nachhaltiges Lieferkettenmanagement für mittelständische
Unternehmen in der chemischen Industrie: Bundesministerium für Arbeit und Soziales o. J.
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                              13

1.3 Zielsetzung und Methodik                                     Im Zentrum stehen die Fragen, inwiefern sich die
Zielsetzung                                                      GRV auf globale und nationale Normen und Geset-
Die vorliegende Studie geht den folgenden Hauptfragen            ze beziehen und ob Gewerkschaften und Arbeitneh-
nach:                                                            mervertretungen in die Sorgfaltspflichtprüfung von
                                                                 Unternehmen einbezogen sind. Der Fokus der Analyse der
•• Welche betriebs- und arbeitspolitischen Handlungs-            GRV liegt auf den fünf oben beschriebenen Kernelementen.
   felder ergeben sich für Unternehmen sowie Arbeit-             Auf Basis dieser Analyse der operativen Ausgestaltung von
   nehmervertretungen aus den internationalen und                GRV und der Rolle von Arbeitnehmervertretungen wurden
   nationalen Normen und Gesetzen zur unternehmeri-              Ansatzpunkte und praxisnahe Vorschläge entwickelt, um
   schen Sorgfaltspflicht in den Lieferketten?                   Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen wirksam
                                                                 beim Sorgfaltspflicht-Ansatz im Menschenrechtsschutz zu
•• Inwiefern bieten globale Rahmenvereinbarungen                 beteiligen. Diese Vorschläge können auch in Unternehmen
   praktische Ansätze zur Umsetzung der unternehme-              ohne globale Rahmenvereinbarung angewendet werden
   rischen Sorgfaltspflicht in multinationalen Unterneh-         (Kapitel 5).
   men sowie in ihren Lieferketten?
                                                                 Methodik
•• Wie können Arbeitnehmervertretungen GRV nutzen,               Diese Studie untersucht alle globalen Rahmenvereinba-
   um die Sorgfaltspflicht zur Einhaltung von Menschen-          rungen, die seit der Verabschiedung der UN-Leitprinzipien
   rechten, insbesondere von Arbeitnehmerrechten, zu             für Wirtschaft und Menschenrechte im Jahr 2011 verhan-
   stärken?                                                      delt wurden. Mit den UN-Leitprinzipien wurde erstmals die
                                                                 unternehmerische Sorgfaltspflicht als wichtige Säule der
•• Welche praxisorientierten Forderungen und Vorschlä-           Verbesserung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten
   ge zur Einbeziehung von Gewerkschaften und Arbeit-            in Liefer- und Wertschöpfungsketten präzisiert. Insgesamt
   nehmervertretungen können auf der operativen Ebene            wurden zwischen 2011 und 2018 57 globale Rahmenver-
   in Unternehmen formuliert werden?                             einbarungen abgeschlossen.18 Gemeinsam repräsentieren
                                                                 diese Unternehmen etwa 3,6 Millionen direkt Beschäftigte
•• Welche Ansatzpunkte aus den untersuchten Best                 (siehe Tabelle 1), wobei die indirekten Effekte und Auswir-
   Practice-Beispielen können auch für Arbeitnehmer-             kungen auf Beschäftigte bei Zulieferunternehmen in glo-
   vertretungen in Unternehmen ohne GRV nützlich                 balen Liefer- und Wertschöpfungsketten deutlich höher zu
   sein?                                                         veranschlagen sind.

Ziel der vorliegenden Studie ist es, zu untersuchen, ob          Nach einer ersten Durchsicht wurden 30 Vereinbarungen
und inwiefern globale Rahmenvereinbarungen prakti-               identifiziert, die besonders relevant für die Fragestellung des
sche Ansatzpunkte für eine wirksame Beteiligung von              Projekts sind und praxisnahe Beispiele und Instrumente für
Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen in der               eine Sorgfaltspflicht für Arbeitnehmerrechte liefern können
menschen- und arbeitnehmerrechtliche Sorgfalts-                  (Tabelle 1). Zentrale Auswahlkriterien waren die Bezugnah-
pflichtprüfung von Unternehmen liefern. Ziel ist es auch,        me der GRV auf die ILO-Kernarbeitsnormen, insbesondere
konkrete Handlungsfelder für Arbeitnehmervertretungen            das Recht auf Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, sowie
in Unternehmen mit und ohne GRV zu definieren.                   ein Geltungsbereich, der auf direkte Zulieferunternehmen
                                                                 verweist. Die Studie liefert somit keine generellen Aussagen
Zu diesem Zweck steht eine systematische Auswertung              zur Rolle und Qualität der GRV insgesamt, sondern identi-
von ausgewählten globalen Rahmenvereinbarungen                   fiziert Best Practice-Beispiele, die Anknüpfungspunkte zum
(Kapitel 2, 3 und 4) im Mittelpunkt der Studie.                  Thema Sorgfaltspflicht für Arbeitnehmerrechte enthalten.

18
   Datenbank der EU Kommission zu globalen Rahmenvereinigungen (EU Kommission o. J.). Siehe die Liste in Anhang 2. Wurden im
Untersuchungszeitraum (2011–2018) von einem Unternehmen mehrere GRV abgeschlossen, so wurde nur die aktuellste Vereinbarung
untersucht.
14                                                                                       Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Tabelle 1: Das Sample der 30 globalen Rahmenvereinbarungen

 Unternehmen             Herkunftsland           Beschäftigte*      GRV Jahr      Global Union             Branche

 Aker                    Norwegen                13.800             2017          IndustriALL19            Maritime Technik

                         Vereinigtes König-                                                                Versandhandel für
 Asos                                            4.000              2017          IndustriALL
                         reich                                                                             Mode

 BESIX                   Belgien                 13.537             2017          BWI                      Bauwirtschaft

 BNP Paribas             Frankreich              198.000            2018          UNI                      Finanzen

 Carrefour               Frankreich              384.151            2015          UNI                      Einzelhandel

 Codere                  Spanien                 13.339             2013          UNI                      Glücksspiel

 Électricité de
                         Frankreich              160.000            2018          IndustriALL              Energieversorgung
 France (EDF)

 Enel                    Italien                 62.000             2013          IndustriALL/ PSI         Energieversorgung

 ENI                     Italien                 33.000             2016          IndustriALL              Öl/Gas

 Esprit                  Deutschland             6.45020            2018          IndustriALL              Textil, Bekleidung, Mode

 Essity                  Schweden                47.00021           2018          IndustriALL              Hygienepapier

 H&M                     Schweden                171.000            2015          IndustriALL              Textil, Bekleidung, Mode

 Inditex                 Spanien                 171.000            2014          IndustriALL              Textil, Bekleidung, Mode

 Lukoil                  Russland                100.000            2018          IndustriALL              Öl/Gas

 Norske Skog             Norwegen                2.500              2013          IndustriALL              Papierherstellung

 Petrobras               Brasilien               63.36122           2011          IndustriALL              Öl/Gas

 PSA Peugeot
                         Frankreich              208.000            2017          IndustriALL              Automobil
 Citroen

 Renault                 Frankreich              181.344            2013          IndustriALL              Automobil

                                                                                                           Luft- und Raumfahrt,
 Safran                  Frankreich              92.63923           2017          IndustriALL
                                                                                                           Verteidigung

 Securitas               Schweden                345.000            2012          UNI                      Sicherheitsdienst

 Siemens                 Deutschland             377.000            2012          IndustriALL              Technologie

                                                                                                           Catering/Facility-
 Sodexo                  Frankreich              427.000            2011          IUF
                                                                                                           management

 Solvay                  Belgien                 27.000             2017          IndustriALL              Chemie

 Statoil                 Norwegen                20.245             2012          IndustriALL              Öl/Gas

                                                                                  BHI/IndustriALL/
 Stora Enso Oyi          Finnland                26.000             2018                                   Papier und Verpackung
                                                                                  UNI Global Union

 Svenska Cellulosa                                                                                         Zellulose, Papier, Forst-
                         Schweden                43.697             2013          IndustriALL
 (SCA)                                                                                                     wirtschaft

                                                                                                           Einzelhandel Kaffee und
 Tchibo                  Deutschland             12.500             2016          IndustriALL
                                                                                                           Konsumgüter

 ThyssenKrupp            Deutschland             158.739            2015          IndustriALL              Stahl, Technologie

 Total                   Frankreich              98.277             2015          IndustriALL              Öl/Gas

                                                                                                           Automobil, Antriebs-
 ZF Friedrichshafen      Deutschland             146.148            2011          IndustriALL
                                                                                                           und Fahrwerktechnik

* Sofern nicht anders angegeben, stammen Beschäftigungsdaten aus der Datenbank „Transnationale Unternehmensvereinbarungen
der EU Kommission“, siehe Europäische Kommission o. J.
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                   15

Die Auswertung der 30 ausgewählten Vereinbarungen
erfolgte anhand einer qualitativen Textanalyse auf Ba-
sis einer Auswertungsmatrix. Umsetzung und Operatio-
nalisierung der fünf Kernelemente unternehmerischer
Sorgfaltspflicht wurden analysiert und die Rolle von Ge-
werkschaften und betrieblichen Arbeitnehmervertretun-
gen darin herausgearbeitet.

Die Studie gliedert sich in folgende Abschnitte:

(2) Übersicht zu globalen Rahmenvereinbarungen mit
    Blick auf quantitative und qualitative Trends.

(3) Unternehmerische Sorgfaltspflicht für Menschen-
    rechte – Bedeutung aus gewerkschaftlicher Sicht.

(4) Globale Rahmenvereinbarungen – wie nützlich sind
    sie aus gewerkschaftlicher Sicht als Instrument der
    Arbeitnehmerbeteiligung im globalen und lokalen
    Kontext?

(5) Von der globalpolitischen auf die betriebliche Ebene
    – welche konkreten Ansatzpunkte einer wirksamen
    Beteiligung in der Sorgfaltspflichtprüfung ergeben
    sich für Betriebsräte, einschließlich derer in Unter-
    nehmen, die keine globale Rahmenvereinbarung ab-
    geschlossen haben? 19 20 21 22 23

19
   IndustriALL Global Union besteht aus mehr als 600 Gewerkschaften, einschließlich IG BCE und IG Metall. Zusammen repräsentieren
diese Gewerkschaften weltweit ca. 50 Mio. Beschäftigte in den Branchen Metall, Chemie, Energie und Textil.
20
    Esprit: FY2017/2018 Annual Report.
21
   Essity: Annual and Sustainability Report 2018.
22
    Petrobras: Annual Report 2018.
23
    Safran: Annual Report 2018.
16                                                                                       Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

2
2. Globale Rahmenvereinbarungen

2.1 Entwicklung und Verbreitung globaler                             Globale Rahmenvereinbarungen werden freiwillig ab-
Rahmenvereinbarungen                                                 geschlossen. Keine Unternehmensleitung kann zum Ab-
In Reaktion auf die Globalisierung haben in den letzten              schluss einer GRV verpflichtet werden. Die Motivation des
beiden Jahrzehnten multinationale Unternehmen und                    Managements ist es in der Regel, sich als verantwortungs-
globale Gewerkschaftsverbände begonnen, globale Rah-                 volles Unternehmen auszuweisen und Risiken innerhalb
menvereinbarungen abzuschließen. In der Regel werden                 globaler Produktionszusammenhänge und Wertschöp-
sie durch globale Gewerkschaftsverbände initiiert und                fungsverbünde zu reduzieren. Aus Sicht von Gewerkschaf-
verhandelt, um weltweit Mindeststandards der Menschen-               ten und Betriebsräten auf transnationaler wie nationaler
und Arbeitnehmerrechte im Unternehmen und zuneh-                     Ebene können GRV dazu genutzt werden, die Arbeitneh-
mend auch in den Liefer- und Wertschöpfungsketten zu                 merinteressen zu stärken, Vertretungsstrukturen der Beleg-
definieren. Kern der meisten globalen Vereinbarungen                 schaften aufzubauen, Löhne und Arbeitsbedingungen zu
sind die Garantie der Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnor-             verbessern und gleichzeitig bestehende Gefälle bei Lohn-
men und die Anerkennung der Menschenrechte.                          und Arbeitsbedingungen abzubauen. Diese Ziele setzen
                                                                     jedoch voraus, dass Gewerkschaften und Betriebsräte sich
 Die Geschichte transnationaler                                      aktiv an der Umsetzung von GRV beteiligen.
 Unternehmensvereinbarungen
                                                                     Globale Rahmenvereinbarungen sind deutlich von europäi-
 Zwischen 1988 und 2017 wurden laut ILO-Schätzungen                  schen Unternehmen geprägt: Sie unterzeichneten mehr als
 durch 131 Unternehmen insgesamt 336 transnationale                  80 Prozent aller bestehenden GRV. Die überwiegende Mehr-
 Rahmenvereinbarungen unterzeichnet, darunter 183 mit                heit stammt aus Frankreich und Deutschland (Abbildung 2).25
 globalem Geltungsbereich und 153 mit einem Geltungs-                Lediglich 26 nicht-europäische Unternehmen haben GRV
 bereich, der sich auf Europa beschränkt.24 36 der 183 GRV           unterzeichnet: sechs aus Brasilien, fünf aus den USA, drei
 sind Erneuerungen bereits bestehender Vereinbarungen.               aus Indonesien, Japan und Südafrika sowie jeweils ein
                                                                     Unternehmen aus Australien, Kanada, Malaysia, Neusee-
 Nicht alle transnationalen Vereinbarungen sind noch                 land, Katar und Russland.
 gültig. Viele waren zeitlich begrenzt und wurden nicht
 erneuert. Andere Vereinbarungen verloren ihre Gültigkeit,           Alle globalen Rahmenvereinbarungen sind zumindest
 weil das Unternehmen verkauft wurde oder mit einem                  durch einen weltweiten gewerkschaftlichen Rahmen-
 anderen verschmolzen ist (zum Beispiel GM Europe, GDF               verband unterzeichnet. Die mit Abstand meisten GRV hat
 Suez und Rhodia). In anderen Fällen blieb eine Vereinba-            die Industriegewerkschaft IndustriALL Global Union aus-
 rung in Kraft, weil sie durch die Unternehmensnachfolge             gehandelt und unterzeichnet, gefolgt von der Dienstleis-
 übernommen wurde (zum Beispiel die Vereinbarungen                   tungsgewerkschaft UNI global union (siehe Abbildung 3).
 von GDF Suez, die von Engie übernommen wurden, oder
 France Telecom Vereinbarungen, die zu Orange übergin-               Es gibt rund zwei Dutzend GRV, die vom Eurobetriebsrat
 gen). Eine Analyse der ILO schätzte die „aktiven“ Verein-           oder Weltbetriebsrat mitunterzeichnet wurden, und Rah-
 barungen im Jahre 2017 auf lediglich 119.                           menvereinbarungen, bei denen auch europäische und/oder
 (ILO 2019, S.29, eigene Übersetzung)                                nationale Gewerkschaftsverbände Mitunterzeichner sind.

24
    Neben dem Unterschied im geographischen Geltungsbereich, unterscheiden sich europäische und globale Rahmenabkommen in
der Regel dadurch, dass europäische Abkommen weniger grundlegende Menschen- und Arbeitsrechte zum Thema haben, sondern auf
einheitliche Standards in Europa fokussieren, z. B. mit Blick auf Weiterbildung, Arbeits- und Gesundheitsschutz oder im Umgang mit Re-
strukturierungen/Entlassungen.
25
    Auswertung der Datenbank „Transnationale Vereinbarungen“ (Europäische Kommission o. J.).
Verantwortung in Liefer- und Wertschöpfungsketten                                                                                                                                     17

Abbildung 2: Transnationale Rahmenvereinbarungen nach Land, 2018

     60

     50

     40

     30

     20

     10

      0
          a lia

                   um

                          zil

                                 da

                                      a rk

                                              d
                                                      ce

                                                             y
                                                                  ce

                                                                             a

                                                                                  ly

                                                                                         an

                                                                                              urg

                                                                                                     sia

                                                                                                               s

                                                                                                                    d

                                                                                                                           ay

                                                                                                                                    l

                                                                                                                                          n
                                                                                                                                                ica

                                                                                                                                                      ain

                                                                                                                                                                                  n

                                                                                                                                                                                  d

                                                                                                                                                                                 m

                                                                                                                                                                                es
                                                                                                                                 ga
                                                                                                            nd
                                                            an

                                                                         esi
                                             l an

                                                                                                                                        ti o
                                                                                                                   l an

                                                                                                                                                                              de

                                                                                                                                                                               an
                                                                                 It a

                                                                                                                                                                             do

                                                                                                                                                                            t at
                         B ra

                                                                                                                          rw
                                                        n

                                                                 ee

                                                                                        Jap
                                na

                                                                                                    lay

                                                                                                                                               Afr

                                                                                                                                                      Sp
                                                                                                                                rtu
                                     nm
                  lg i

                                                                                              bo
       s tr

                                                            rm

                                                                                                           rl a
                                                    Fra

                                                                                                                                                                          e rl
                                                                                                                                                              e
                                                                       on

                                                                                                                                      e ra
                                          Fi n

                                                                                                                 ea

                                                                                                                                                                        in g
                                                                 Gr

                                                                                                                          No

                                                                                                                                                                        dS
                                Ca

                                                                                                                                                           Sw
                                                                                                   Ma
              Be

                                                                                                                               Po
      Au

                                                                                          xem

                                                                                                        th e

                                                                                                                                             u th
                                                        Ge

                                                                                                                                                                         z
                                     De

                                                                      In d

                                                                                                               wZ

                                                                                                                                    Fed

                                                                                                                                                                 it
                                                                                                                                                                    dK

                                                                                                                                                                    ite
                                                                                                                                                              Sw
                                                                                                     Ne

                                                                                                                                          So
                                                                                                             Ne
                                                                                         Lu

                                                                                                                                                                Un
                                                                                                                                                                ite
                                                                                                                                 an

                                                                                                                                                             Un
                                                                                                                                ssi
                                                                                                                               Ru

     Quelle: Europäische Kommission, o. J.

Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen mit                                                           Auch Studien, die sich speziell mit der Frage auseinander-
einer GRV hat zugleich einen Eurobetriebsrat.26                                                         setzen, welchen Einfluss globale Rahmenvereinbarungen
Dieser spielt oft eine wichtige Rolle bei der Initiierung                                               auf den Schutz von Menschenrechten haben, kommen
transnationaler Rahmenvereinbarungen und ist in die                                                     in der Regel zu eher durchwachsenen Resultaten.29 GRV
Umsetzung eingebunden.                                                                                  können zwar grundsätzlich den Menschenrechtsschutz im
                                                                                                        Unternehmen unterstützen, haben aber in der Praxis oft
2.2 Eine neue Generation von globalen                                                                   wenig Durchschlagskraft, weil sie vom Management nicht
Rahmenvereinbarungen?                                                                                   konsequent unterstützt und umgesetzt werden. Ihre gro-
Die ersten Vereinbarungen zu Beginn der 1990er Jahre                                                    ßen Schwachstellen bleiben die Freiwilligkeit und die feh-
waren oftmals eher oberflächliche und knapp gehaltene                                                   lende rechtliche Verbindlichkeit. Dies gilt auf der lokalen
Versuche, Arbeitsstandards und -beziehungen zu inter-                                                   Ebene innerhalb des Unternehmens und ganz besonders
nationalisieren. Neuere Abkommen enthalten zunehmend                                                    für die Liefer- und Wertschöpfungsketten. GRV können
detaillierte Absprachen und komplexere Regelungsgegen-                                                  demnach allenfalls eine ergänzende Funktion überneh-
stände. Diese Entwicklung deutet auf das Potential von                                                  men, sie ersetzen bisher aber keine politische oder gesetz-
GRV hin, die Umsetzung globaler Arbeitnehmer- und Men-                                                  liche Regulierung zum Schutz von Menschenrechten.
schenrechte aktiv zu fördern und zu ergänzen.
                                                                                                        Jedoch gibt es bislang kaum Untersuchungen, die
Zahlreiche Forschungsstudien untersuchten die Wirkung                                                   gezielt neuere GRV analysierten, die nach der Ver-
globaler Rahmenvereinbarungen.27 Vergleichende Länder-                                                  öffentlichung  der    UN-Leitprinzipien   für  Wirt-
analysen und unternehmensbezogene Fallstudien kamen                                                     schaft     und   Menschenrechte        abgeschlossen
dabei oftmals zu ernüchternden Ergebnissen hinsichtlich                                                 wurden. Die wenigen Untersuchungen dazu ver-
der praktischen Wirkungen und Gestaltungspotentiale von                                                 weisen auf den qualitativen Unterschied zwischen äl-
GRV, selbst innerhalb ein und desselben Unternehmens.28                                                 teren Rahmenvereinbarungen und jenen nach 2011.

26
       Siehe auch die Informationen der IG BCE zu Eurobetriebsräten: IG BCE o. J.
27
       Eine umfassende Literaturübersicht bieten Hadwiger et al. 2017.
28
       Siehe insbesondere: Fichter, M. et al. 2011.
29
       Siehe zum Beispiel Platzer und Rüb 2014.
18                                                                                                Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE

Abbildung 3: Transnationale Rahmenvereinbarungen nach globaler Branchengewerkschaft

                                 140         IFJ
                                             BWI
                                             IUF                                                                               2
                                 120
                                             UNI
                                             IndustriALL                                                                       21
                                 100
                                                                                             1
     Anzahl der Vereinbarungen

                                                                                                                               7
                                                                                             14
                                 80
                                                                                             6
                                                                                                                               38

                                 60
                                                                                             31

                                 40

                                                                                                                               55
                                 20
                                                                                             40

                                  0
                                   2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

     Quelle: Aktualisierte Darstellung basierend auf: Hadwiger 2018.

Eine auf Fallstudien in der Automobilzuliefererindustrie ba-
sierende Untersuchung zeigt, dass sich die Inhalte von GRV
zwischen 2000 und 2004 vor allem hinsichtlich der Rege-
lungsdichte der Durchsetzungsmaßnahmen und begleiten-
der Aktivitäten deutlich von den zwischen 2011 und 2018
verhandelten Rahmenvereinbarungen unterscheiden.30

Den GRV der „Frühphase“ fehlen mehrheitlich konkrete
Angaben zu Durchsetzungsprozeduren, während die jün-
geren Vereinbarungen in diesem Punkt konkreter ausfor-
muliert sind, beispielsweise hinsichtlich der Ausformung
von „Monitoring Groups“ oder Konfliktlösungsmechanis-
men. Im Zeitverlauf ist also eine zunehmende Regelungs-
substanz in den GRV zu beobachten.

Diese Veränderung resultiert nicht nur aus neuen inter-
nationalen Leitlinien der UN, ILO und OECD, sondern
spiegelt auch einen Lernprozess bei den internationalen
Gewerkschaftsföderationen. Gewerkschaften und Be-
triebsräte legen heute deutlich mehr Wert auf die Qualität
einer Vereinbarung sowie auf den Mehrwert, den sie hat
für Arbeitnehmerrechte, Prozesse, die Stärkung der grenz-
überschreitenden Vernetzung und die Durchsetzung ge-
werkschaftlicher Organisierungsrechte.

30
                   Krzywdzinski und Schröder 2017.
Sie können auch lesen