Silvio Gesells Argentinien - Wirtschaftsentwicklung und Währungs-politik in Argentinien 1880 bis 1900
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3 Silvio Gesells Argentinien – Wirtschaftsentwicklung und Währungs- politik in Argentinien 1880 bis 1900 Gerhard Senft „Jede Kultur bringt ihren Savonarola hervor.“ 1 einigten Staaten, Japan und Deutschland. Wäh- M. Vázquez Montalbán rend in der Zeitspanne von 1820 bis 1870 die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts Das Bild der Weltwirtschaft im letzten Viertel je Einwohner weltweit jährlich um 0,5 Prozent zu- des 19. Jahrhunderts war durch mehrere hervor- genommen hatte, stieg der entsprechende Wert bis stechende Ereignisse gekennzeichnet. Die durch 1913 auf 1,3 Prozent.3 Wesentlich scheint in dem den Wiener Börsenkrach von 1873 und die an- Zusammenhang der Aufholprozess der nicht indus- schließende Eisenbahnkrise in den USA ausgelö- trialisierten Länder. Noch vor der Jahrhundertwen- sten Erschütterungen beeinträchtigten das wirt- de gelang es Lateinamerika durch steigende Ex- schaftliche Geschehen bis in die 1890er Jahre porte von Lebensmitteln und Rohstoffen, an das schwer. Hauptmerkmale der Depressionsperiode Wachstum der wirtschaftlich-technisch vorange- waren der anhaltende Preisverfall, die Betriebs- schrittenen Staaten anzuschließen. zusammenbrüche, die zunehmenden Arbeitslo- Einen wichtigen Parameter stellt im gegebenen senraten und das sinkende Lohnniveau. Bei den Zusammenhang das Bevölkerungswachstum dar. Investoren bewirkte der wirtschaftliche Flächen- Zwischen 1820 und 1913 stieg die Zahl der Welt- brand eine enorme Zurückhaltung. Zwischenzeit- bevölkerung von rund einer Milliarde Menschen auf liche Aufschwungbewegungen rissen bald wieder 1,8 Milliarden, was einer durchschnittlichen Wachs- ab, erst ab 1896 zeigte sich wieder eine dauer- tumsrate von 0,6 Prozent pro Jahr entspricht.4 Da hafte Erholung der Weltwirtschaft.2 das Schwergewicht des Bevölkerungswachstums im Doch das kapitalistische System hatte seine 19. Jahrhundert in Europa lag, wurde der alte Kon- Erscheinungsform verändert. Im Sinne eines Or- tinent mehr und mehr zur Ausgangsstation für ganisierten Kapitalismus nahm der Staat nun ei- breit angelegte Wanderungsbewegungen. Zahlrei- ne aktivere Rolle im ökonomischen Geschehen che Menschen, die nach einer Verbesserung ihrer ein, die Konzentrations- und Zentralisationsten- Lebensverhältnisse strebten, nutzten die neuen denzen in der Wirtschaft verstärkten sich. Ty- Möglichkeiten interkontinentaler Bewegungsfrei- pisch für diese Entwicklungsphase war auch die heit. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Westen der Herausbildung des modernen Verbände- und Par- USA durch europäische Zuwanderer besiedelt. Süd- teienwesens. Der Sektor des Finanzkapitals über- amerika, ebenfalls ein häufig angesteuertes Ziel nahm eine beherrschende Funktion in der Wirt- europäischer Auswanderer, wurde mit zunehmen- schaft, mit der Entgrenzung der nationalen Öko- der Erschließung ein wichtiger Teil des politischen nomien setzten erste Schritte in Richtung Glo- Weltsystems.5 Eine beachtliche Entwicklung erleb- balisierung ein. Einen wichtigen Beitrag zum te aber auch die Binnenwanderung. Der Zustrom wirtschaftlichen Aufschwung ab Mitte der 1890er von Menschen in die industrialisierten Ballungs- Jahre leistete die zweite industrielle Revolution zentren trieb weltweit die Urbanisierung voran. (Stichworte: Innovationen im Verkehrs- und Kom- Ein wichtiges Ziel von Auswanderern aus Europa munikationswesen, neue energetische Basis, Elek- war Argentinien. Zwischen 1890 und 1920 konn- troindustrie, chemische Industrie). Die großen ten in dem Lande am Rio de la Plata 4,5 Mill. Newcomer in der Weltwirtschaft waren die Ver- Neuankömmlinge gezählt werden.6 Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
4 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien Einwanderungsland Argentinien wurden. Ab Mitte der 1890er Jahre kam es ver- knüpft mit der Zielsetzung, die Weizenproduktion Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde Argen- anzukurbeln, zu einer sprunghaften Ausweitung tinien zunehmend als ein südliches Pendant zu der Anbauflächen. Von 1895 bis 1915 wuchs das den USA wahrgenommen. Als ein „Land unbegrenz- Produktionsvolumen beim Weizen von 850.000 t ter Möglichkeiten“ versprach Argentinien reiche, auf über 4 Mio. t. Im gleichen Zeitraum wuchs fruchtbare, vom Klima begünstigte Bodenressour- der Viehbestand lediglich von 22 Mio. auf 26 Mio. cen und eine aufstrebende Industrie. Um dem Ar- Stück.8 beitskräftemangel abzuhelfen, wurde die Zuwan- derung mittels subventionierter Schiffspassagen Zur wirtschaftlichen Entwicklung und erleichterter Einbürgerungsverfahren für Fach- Argentiniens kräfte gefördert. Die von den politischen Eliten zugrunde gelegte Maxime lautete: „gobernar es In seiner kolonialen Stellung hatte Argenti- poblar“ („regieren heißt bevölkern“). Massenhaft nien als Rohstofflieferant des spanischen Mut- kamen die Einwanderer aus dem Mittelmeerraum terlandes sowie als Absatzgebiet für gewerbliche in das Land der Verheißung, wo sie die Reihen Produkte aus Europa gedient. der ländlichen und städtischen Lohnarbeiter auf- Damit war frühzeitig der Grund für Dispropor- füllten. Das Lohnniveau war nicht das eines zu- tionalitäten und die Hypertrophie einzelner Be- rückgebliebenen Entwicklungslandes, sondern mit reiche gelegt worden. Die schwache ökonomische europäischen (allerdings krisenhaften) Verhältnis- Position Spaniens innerhalb der Weltwirtschaft sen durchaus vergleichbar. förderte in Argentinien den Ruf nach Unabhäng- Aber nicht in allen Bereichen standen Entwick- igkeit. Das Fehlen einer geeigneten, auf Moder- lungsmöglichkeiten zur Gänze offen. Das frühzei- nisierung gerichteten Verbindung von Manufaktur- tig entstandene kapitalistische Großgrundeigen- kapital und Handelskapital führte jedoch zu ei- tum hatte sich sehr rasch auf die Bedürfnisse des ner sehr atypischen Ausformung des fortschritt- Weltmarktes eingestellt. Seine beherrschende Rol- lichen Kräftefeldes. In Argentinien war es insbe- le innerhalb des gesamten wirtschaftlichen und sondere das Bündnis zwischen den Hafenkaufleu- politischen Gefüges sorgte dafür, dass ländliche ten des La Plata und den Großgrundeigentümern, Flächen nur begrenzt durch hinzu tretende Sied- das die Unabhängigkeitsbewegung befeuerte. Als lungsbauern bestellt werden konnten und die klas- zuerst 1810 die Loslösung vom Mutterland, 1816 sische Ackerbautätigkeit so über weite Strecken schließlich die Unabhängigkeitserklärung erfolg- unterbelichtet blieb. Dominierend traten die rie- te, zeigte die nach Autonomie strebende Bewe- sigen Ländereien mit ihren extensiven Viehwirt- gung ein erstaunliches Spektrum, dessen Band- schaften hervor. Neuankömmlinge, die nach ei- breite sich zwischen Jakobinertum und Konser- ner selbständigen Tätigkeit im primären Sektor vativismus ansiedeln ließ. suchten, hatten entweder die Möglichkeit, Grund Die viel versprechenden wirtschaftlichen Aus- und Boden von einer der Eisenbahngesellschaften sichten eines (politisch) unabhängigen Argenti- zu erhalten oder sich als Pächter in das System nien lockten verschiedene Interessenten an. Als des Großgrundbesitzes einzufügen. Dabei wurden erster wichtiger Kapitalgeber des lateinamerika- Teile bestehender Estancias als gesamte Einheit nischen Landes trat Großbritannien hervor. Die an Oberpächter oder parzelliert an Kleinpächter USA und andere Staaten sollten erst mit erhebli- vergeben. Die Zahl der Siedlungskolonien stieg so chem zeitlichen Abstand folgen. Das Vordringen eher nur langsam, von 35 im Jahr 1872 auf 365 des Auslandskapitals zeigte sich vor allem in den im Jahr 1895.7 Verschärft wurden die Umstände Bereichen des Eisenbahnbaues, der Infrastruktur durch spekulative Aktivitäten, die bis zur Jahr- und der Rohstoff-Industrie. Die erste Gefrier- hundertwende dazu führten, dass die Bodenprei- fleischfabrik Argentiniens wurde mit britischem se nahezu unerschwinglich und damit jede wei- Kapital errichtet. Im Jahr 1825 gelang mit der tere Siedlungstätigkeit praktisch unterbunden Unterzeichnung des „Anglo-Argentine Treaty“ das Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 5 erste Freihandelsabkommen zwischen Großbritan- des Größenwachstum der Unternehmen und eine nien und Argentinien. Ab 1860 hatte Argentini- beginnende Konzentration in einigen Bereichen.11 ens Wirtschaft immer wieder beachtliche Wachs- Ein treibendes Moment der Entwicklung war die tumsschübe zu verzeichnen. Die sich abhängig Ausdehnung des Binnenmarktes, die Zuwanderung entwickelnde kapitalistische Produktion erwies und die steigenden Nominallöhne bewirkten eine sich jedoch als eine zweischneidige Angelegen- erhöhte Nachfrage nach Massengütern des tägli- heit. Zum einen gelang z. B. ein sehr rascher Aus- chen Verbrauchs. bau der Eisenbahn – zwischen 1863 und 1910 entstand in Argentinien das dichteste Bahnnetz Gesellschaftliche und politische ganz Lateinamerikas – zum anderen ist festzu- Aspekte stellen, dass der industrielle „take-off“ in Argen- tinien erst sehr verspätet, Mitte des 20. Jahr- Eines der prägendsten Elemente der Wirtschafts- hunderts, einsetzte. Daran hatten die Verzerrun- und Sozialstruktur Argentiniens stellte das früh gen in der Produktionsstruktur ihren Anteil, die entstandene kapitalistische Großgrundeigentum trotz oder gerade wegen der Einflüsse von außen dar. Domingo Sarmiento – argentinischer Präsident bestehen blieben. von 1868 bis 1874 – stellte einmal fest, dass 825 Wenn Argentinien für den Zeitraum von 1880 Personen in Argentinien eine Bodenfläche im Grö- bis 1930 ein „goldenes Zeitalter“9 bescheinigt ßenausmaß von England in Privateigentum hiel- wird, so ist dies mit Vorsicht zu genießen. Sicher ten.12 Die für lateinamerikanische Verhältnisse ty- bescherte die Exportorientierung (Hauptproduk- pische Hegemonie des Großgrundeigentums hat- te: Fleisch, Weizen, Rohwolle) Argentinien hohe te sich aus der iberischen Tradition ergeben. Nach wirtschaftliche Zuwachsraten und einen erhebli- dem Nationalzensus von 1914 bewirtschafteten in chen Reichtum.10 Dafür sprechen die Prachtbau- den Pampa-Provinzen rund 10.000 von insgesamt ten, die um die Jahrhundertwende in vielen 190.000 Betrieben 61 Prozent des vorhandenen Städten entstanden, oder das weltweit beachte- Grund und Bodens. In den restlichen Provinzen te Opernhaus in Buenos Aires. Vergleichbar den verfügten Großbetriebe mit über 1.000 ha über 90 Bedingungen Australiens oder Kanadas handelte Prozent der Bodenfläche.13 Der Beginn der Vieh- es sich in Argentinien ebenfalls um importierte wirtschaft hatte im Anschluss an die Vertreibung Konsumstandards. Im Wesentlichen blieb Argen- der indigenen Bevölkerung stattgefunden. Das er- tinien ein unterentwickeltes, dem Weltmarktge- forderliche disziplinierte Arbeitskräftepotential schehen zum Teil schutzlos ausgeliefertes Land. wurde von den Zuwanderern gestellt. Die soziale So ging auch die wirtschaftlich labile Phase ab Mobilität im landwirtschaftlichen Bereich war ge- 1873 an Argentinien nicht spurlos vorüber. Wie ring, wenn man von der Möglichkeit des Aufstiegs der Ruin vieler selbständiger Kolonisten in Santa zum kapitalistischen Pächter absieht. Fé zeigte, zog besonders die Weltmarktkrise von Ihrer wirtschaftlichen Stellung entsprechend 1891 überseeische Agrarexportländer stark in Mit- wirkte die Klasse der Großgrundeigentümer auch leidenschaft. in politischer Hinsicht überaus einflussreich. Erst nach der Bewältigung der großen Weltwirt- Nach Erlangung der Unabhängigkeit standen Groß- schaftskrise verbesserten sich die Bedingungen grundbesitz und Handelskapital im Streit um die für Argentiniens Wirtschaft merklich. Zwischen künftige politische Gestaltung Argentiniens ver- 1895 bis 1913 wuchs die Zahl der Betriebe von eint als „Unitarios“ den als „Federales“ bezeich- 22.204 auf 48.779. Der Anteil der gewerblich- neten Kräften der inneren Provinzen gegenüber. industriellen Produktion (incl. Baubranche) an der Während erstere für eine in Buenos Aires ange- Gesamtwirtschaft stieg von 21,8 auf 24,5 Pro- siedelte zentralistische Führung eintraten, plädier- zent. Das Anlagenkapital erhöhte sich in diesem ten letztere für ein föderal gegliedertes Staats- Zeitraum von 300 Mill. US-Dollar auf 1,9 Mrd. wesen. Der große bürokratische Apparat, der sich US-Dollar. Die Steigerung der Zahl der Beschäf- in Argentinien im 19. Jahrhundert herausbildete, tigten um das 2,5-fache spricht für zunehmen- deutet jedoch nicht auf eine Vorherrschaft der Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
6 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien „Unitarios“ hin. In dieser Hinsicht verstanden es dikalistische Ausrichtung und beschränkte sich auch die Provinzführungen, expansionistisch zu zunächst auf sozialwirtschaftliche Aktionen.19 Im agieren. Immerhin, Argentinien erlangte in die- Jahr 1895 entstand die Sozialistische Partei ser Zeit ein Bürgerliches Gesetzbuch, den aktuel- („Partido Socialista“), die sich in der Hauptsache len Anforderungen entsprechende handelsrechtli- um eine Wahlrechtsreform bemühte.20 Diese Par- che Vorschriften und ein modernes Strafrecht. tei beherbergte ebenfalls ein starkes mittelstän- Während der politischen Neugestaltung Argenti- disches Element, wie ihr Programm von 1901 of- niens traten vor allem die Zurückdrängung der fenbarte: Abschaffung der Konsumabgaben, Steu- Macht der Kirche und die Ausgestaltung eines mo- erreduktionen für Kleinproduzenten u. ä.21 dernen öffentlichen Erziehungssystems als fort- schrittliche Momente zutage. Die „progressive“ Probleme der Geld- und Rolle des Großgrundbesitzes hatte sich in der Währungspolitik Phase des Unabhängigkeitskampfes entwickelt. Auch zeigte das etablierte Großgrundeigentum Der in Argentinien gepflogene kompetitive Du- mehr Weltmarktoffenheit, während die Gruppe der alismus von Staats- und Provinzialregierungen industriellen Produzenten eher vorsichtig protek- sorgte für beständig steigende Defizite in den tionistisch agierte. öffentlichen Haushalten und erwies sich damit Die Auseinandersetzungen zwischen den unter- als eine recht kostspielige Angelegenheit. Wäh- schiedlichen politischen Gruppierungen vollzogen rend die öffentlichen Ausgaben zwischen 1864 sich nicht allein auf friedlichem Wege. Der Wahl- und 1869 noch bei 13,1 Mill. Goldpesos gelegen kampf 1880 löste einen regelrechten Bürgerkrieg hatten, betrugen sie im Zeitraum 1890 bis 1894 aus, an dessen Ende der Föderalist Julio Roca bereits 37,6 Mill. Goldpesos.22 Zwischen 1884 und (1880-1886) das Präsidentenamt übernahm.14 1890 ist mehr als eine Verdoppelung der öffent- Die Dramatik einer solchen Konfliktaustragung lichen Verschuldung festzustellen.23 Die früh ge- stand jedoch im Widerspruch zu dem bis in das übte Praxis der Papiergeldemission durch die Jahr 1912 sehr restriktiv gehaltenen Wahlrecht, Zentral- und Territorialgewalten erschien ange- das für nur rund 8 Prozent der Bevölkerung eine sichts des vorhandenen ökonomischen Potentials Mitwirkung an der politischen Entscheidungsfin- des Landes zunächst nicht als besonders bedenk- dung vorsah.15 Wie die wachsende Zahl von Ver- lich, doch zeigten inflationäre Schübe hier ein- bands- und Parteigründungen seit der Mitte des deutige Grenzen auf. Da die Gestaltung des Staats- 19. Jahrhunderts zeigte, artikulierten jedoch im- haushaltes stark von den Importsteuern abhing mer mehr Bevölkerungsschichten ihren Wunsch – von 1860 bis 1880 deckten die Zollabgaben nach einer breiter fundierten Demokratie. Als rund 90 Prozent der Einnahmenseite in den Bud- mittelständische Gruppierung und als starke Op- getplänen ab – kam es in diesem Bereich häufig position gegenüber den Großgrundbesitzern ent- zu Erhöhungen. Konterkariert wurde die Einnah- stand 1890 die Radikale Partei („Union Civica menpolitik allerdings durch Währungsabwertun- Radical“). Mit der rasch voranschreitenden Urba- gen, die den Importstrom reduzierten. Die Abwer- nisierung – 1869 lebten 28,6 Prozent der Bevöl- tungspolitik war eine Antwort auf wachsende Zah- kerung in Städten mit über 2.000 Einwohnern, lungsbilanzdefizite Argentiniens, die jedoch we- 1895 waren es bereits 37,4 Prozent und 1914 niger aus dem Außenhandel als aus dem Schul- schon 52 Prozent16 – war auch die Arbeiterklasse dendienst resultierten. zu einem gewichtigen Faktor herangewachsen.17 Die größte wirtschaftspolitische „Baustelle“ Entsprechend dem ökonomischen Entwicklungs- Argentiniens bildete der Bereich der Geldpolitik. stand Argentiniens konzentrierte sich im Lande Der Zeitraum von der Erlangung der Unabhängig- der Gauchos und Tangueros um 1900 das kämp- keit bis 1860 war durch chaotisch anmutende öko- ferischste Proletariat ganz Lateinamerikas.18 Die nomische Bedingungen, politische Unsicherheit24 Arbeiterschaft Argentiniens hatte von ihrem Be- und immer wieder auftauchende Knappheiten im ginn weg über weite Strecken eine anarchosyn- Finanzbereich gekennzeichnet. Das Fehlen eines Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 7 mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten eine massive Abwertung hinaus, da sämtliche Zentralbanksystems – weder die 1822 gegründete Banknoten (in Summe 883 Mill. Papierpeso) ein- „Banco de Buenos Aires“ noch die „Casa de Mo- gezogen wurden und der anschließende Umtausch neda“ (1836) vermochten eine solche Rolle aus- lediglich im Verhältnis 1 : 24 (Gold- zum Papier- zufüllen25 – entsprach den „amerikanischen“ Ge- peso; Gold zu Silber 1 : 15,5) stattfand. Die Aus- pflogenheiten des 19. Jahrhunderts, brachte es landsgläubiger tangierte diese Reform übrigens aber mit sich, dass Bankbetriebe ihre Geld schöp- nicht, da ihre Forderungen goldgesichert waren.30 fenden Funktion manchmal überreichlich wahrnah- Der ehrgeizige Versuch Rocas zur Schaffung ei- men – oder besser: wahrnehmen mussten, wenn ner neuen Währung misslang noch während seiner öffentliche Verwaltungen einen größeren pekuni- Amtszeit. Bereits 1883 wurde der Goldstandard ären Bedarf artikulierten. Der Versuch von 1826, wieder wirtschaftliche Realität. Für ein Land, den Wert des Papiergeldes auf der Basis des Sil- dass nicht als Goldproduzent fungierte und das berstandards dauerhaft zu sichern, bewährte sich das edle Metall zu einem erheblichen Teil über nicht. Die Provinzen nutzten unterschiedliche Wäh- ausländische Kredite zugeführt erhielt, war diese rungssysteme, wobei die jeweiligen Relationen Entwicklung fatal. Die Einführung eines Zwangs- des Papiergeldes zu Gold, Silber und Devisen al- kurses Mitte der 1880er Jahre gelang nicht; in les andere als einheitlich waren. Inflationsraten der Folge wurden die Wertrelationen von Gold- von bis zu 45 Prozent, zwischendurch aber auch und Papierpeso börsenmäßig festgestellt: „From deflationäre Entwicklungen prägten über Jahr- 1884 to 1899, the Argentine monetary regime zehnte das Bild.26 Gegen Ende der Amtzeit des was a de facto paper standard, in which the pa- Präsidenten Bartolomé Mitre (1862-68), im Jahr per peso floated against gold, and hence against 1867, wurde unter der Aufsicht der „Banco de la the key currencies.“31 In der zweiten Hälfte der Provincia de Buenos Aires“ und unter Fixierung 1880er Jahre existierten in Argentinien zwei der Wechselkurse der Goldstandard eingeführt, Währungssysteme, das nationale Papiergeld für wobei nach dem Vorbild des „Office of Exchan- den internen Austausch und das Gold für den ge“ der „Bank of England“ ein „Oficina de Gam- außenwirtschaftlichen Verkehr. Während zu Beginn bios“ eingerichtet wurde.27 Durch die Auslandsan- der 1880er Jahre die wirtschaftliche Situation leihen und die damit ständig steigenden Zuflüs- eher von deflationären Tendenzen gekennzeich- se bewährte sich das System für eine kurze Zeit- net gewesen war, zeigte sich in der Folge wieder spanne, mit der Umkehrung des Kapitalstromes ein verstärkter Trend in Richtung Inflation. Auf nach dem Einsetzen der internationalen Wirt- der Grundlage beträchtlicher Kreditzuflüsse von schaftskrise jedoch begann eine neue Phase grö- außen – als Hauptgläubiger trat erneut Großbri- berer Ungleichgewichte.28 Im Jahr 1876 musste tannien hervor – und dezentraler Geldschöpfung die Konvertierbarkeit des Papiergeldes in Gold wuchsen die Schuldenstände öffentlicher Haushal- wieder aufgehoben werden. te spürbar an. Der Versuch zur Neuinstallierung eines starken Ein immer wiederkehrendes Problem der Wirt- Peso („peso fuerte“) unter Präsident Nicolás Avel- schaft Argentiniens war, dass kurzfristige Anlei- laneda (1874-80) scheiterte am Mangel an me- hegelder häufig für langfristige Anlagen (Eisen- tallischen Währungsreserven. Auch die Implemen- bahnbau, Produktionsbereich, Bodenkultivierung) tierung von Devisen als Surrogat für das Metall verwendet wurden. Als es in der zweiten Jahres- brachte keine wirkliche Erleichterung; der defla- hälfte 1890 zu einem Einbruch bei den Rohstoff- tionäre Prozess konnte damit nicht durchbrochen preisen kam, geriet die Regierung Argentiniens werden.29 Unter Präsident Julio Roca wurde er- mit der Rückzahlung der gewährten Kredite in neut eine geldpolitische Wende eingeleitet. Kern Verzug und musste schließlich zu Jahresende der Reform von 1881 war das „Gesetz 1130“, das ihre Zahlungen auf Auslandsschulden einstellen. eine Währungsstabilisierung auf Grundlage einer Hauptbetroffener war das britische Bankhaus gold- und silberfundierten Doppelwährung sicher- „Baring Brothers“, das durch die „Bank of Eng- stellen sollte. Im Endeffekt lief diese Reform auf land“, die nun ihrerseits auf Geldbeschaffungs- Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
8 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien aktionen in Frankreich und Russland angewiesen Während das Goldagio in der Phase der Baring- war, gestützt werden musste. In nur kurzer Zeit Krise noch 350 Prozent betragen hatte, lag es gelang der britischen Zentralbank der Aufbau 1896 bei nur mehr 150 Prozent.34 Der wirtschaft- eines Garantiefonds zur Kompensation der An- liche Aufschwung ab Mitte der 1890er Jahre legerverluste. Barings wurde kontrolliert in den vollzog sich im Gleichschritt mit den internatio- Konkurs geschickt, aus der verbliebenen Unter- nalen Gegebenheiten. Doch stellten die Kontrak- nehmensmasse entstand die „Baring Brothers & tionen im Geld- und Kreditbereich einen Wider- Co. Ltd“. Mit diesen Maßnahmen gelang es, den spruch zu den ökonomischen Expansionsmöglich- Markt wieder notdürftig mit Liquidität auszu- keiten dar. Besonders die Realzinsentwicklung in statten, damit die Anleger zu beruhigen und un- Argentinien deutete auf eine neuerliche Defla- mittelbare Bedrohungen abzuwenden.32 Weltwirt- tionsgefahr hin 35, wobei in dieser Frage einzelne schaftliche Auswirkungen hatte die Baring-Krise ökonomische Interessen recht unterschiedlich dennoch. Das Volumen britischer Auslandskredite gelagert waren. Während im Handelssektor die verminderte sich in der Folge drastisch, 1893 Forderung nach stabilen Wechselkursen überwog, kam es in Ländern wie Australien, Südafrika oder wandte sich das industrielle Unternehmertum den USA zu Kapitalengpässen und damit zu er- gegen eine Politik des knappen Geldes und damit neuten krisenhaften Entwicklungen. verbundene Abwärtsbewegungen im Preisgefüge. In Argentinien selbst waren die Jahre 1889 bis 1891 durch Einbrüche beim Wirtschaftswachstum Die Währungsreform 1899 und durch empor schnellende Inflationsraten gekennzeichnet. Der Peso hatte im Außenverhält- Im Wesentlichen werden für das Argentinien nis einen spürbaren Wertverlust hinzunehmen. 33 des 19. Jahrhunderts drei Phasen der Geld- und Zu Panikreaktionen kam es im Bankenbereich, als Währungspolitik zu unterscheiden sein. Während die Einleger mit dem Abzug ihrer Guthaben be- für den Zeitraum von der Unabhängigkeit bis gannen. Die Versuche der Regierung, die Situa- Mitte der 1860er Jahre von überwiegend konfu- tion zu managen und nach englischem Vorbild sen monetären Bedingungen gesprochen werden eine Art Garantiefond aufzubauen, scheiterten muss, werden die Jahre 1867 bis 1890 eher als jedoch kläglich. Um einer endlosen Schleife von eine Phase der Experimente (Suche nach „seriö- Bankenzusammenbrüchen vorzubeugen, mussten sem“ Peso, Goldstandard, Doppelwährung) einzu- die offiziellen Geldinstitute Ende April 1891 ihre schätzen sein. Der Ausnahmezustand von 1890/ Schalter schließen. Unter dem Eindruck der dra- 91 wurde zum Anlass genommen, neue geldpo- matischen Ereignisse wurde schließlich eine neue litische Weichenstellungen herbeizuführen, die Phase in der argentinischen Geld- und Wäh- bis 1899 einen Aufschwung begleiteten, der aller- rungspolitik eingeleitet. Anstelle nicht kontrol- dings noch immer deflationär gebremst wurde. lierter dezentraler Papiergeldemission sollte ein Das Konvertibilitätsgesetz („Gesetz 3871“) von zentrales Geldmonopol errichtet werden. Die zu 1899 leitete eine neue, eine weitere Ära in der Beginn der 1890er Jahre errichtete „Banco de la Geldordnung Argentiniens ein. Die Reform, die Nación Argentina“ stellte eine reine, auf stren- auf den Vorschlägen des argentinischen Bankiers gen Grundregeln basierende Staatsbank dar. Die und Industriellen Ernesto Tornquist fußte, stellte Ausgabe von Banknoten wurde durch das „Ge- einen Kompromiss dar, der sowohl die Antide- setz 2741“ in die Hände einer „Caja de Conver- flationisten als auch die Befürworter einer stabi- sion“ gelegt. Diese Politik brachte zwar keine len Währung beruhigen sollte. Goldpeso und Rückkehr zum Goldstandard, war aber ähnlich Papierpeso wurden in ein neues fixes Austausch- restriktiv ausgerichtet. Unter den Bedingungen verhältnis von 100 : 227,27 gebracht, die beste- freier Konvertibilität wurde an einer Angleichung hende Konversionskasse erhielt die Rolle eines von Papiergeld und Gold gearbeitet. Währungsamtes (engl. „currency board“) zuge- Das Vertrauen in den argentinischen Peso sprochen. Das Konzept Tornquists stellte eine wuchs im Laufe der 1890er Jahre wieder an. Weiterentwicklung der von David Ricardo 1816 Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 9 formulierten Idee einer „Goldkernwährung“ dar.36 Er begann mit dem Aufbau eines Handelsbetrie- Vom reinen Goldstandard unterschied sich die bes für medizinischen Bedarf und Hygieneartikel. Neueinführung durch einen Automatismus hin- Die Casa Gesell gedieh, bald konnte auch eine sichtlich der Anpassung der (Papier-)Geldmenge Produktionsstätte für Verpackungsmaterialien an- an die ökonomischen Bedürfnisse. Die Beibehal- geschlossen werden.40 Unter dem Eindruck der tung einer festen Relation zwischen dem Papier- krisenhaften Entwicklungen, die auch seine Ge- geld und seiner metallischen Deckung sollte schäftstätigkeit beeinträchtigten, begann sich nicht im Gegensatz zu einem wirtschaftsfreund- Gesell mit volkswirtschaftlichen Fragen und mit lichen Kurs stehen. Da Tornquist mit einer anhal- der strukturellen Problematik des Geldwesens zu tenden positiven Entwicklung der argentinischen beschäftigen. Die im Frühstadium ihrer Entwick- Ökonomie, insbesondere der des Außenhandels lung befindliche Ökonomie Argentiniens eignete kalkulierte, konnte er davon ausgehen, dass sich sich bestens, die vom monetären Sektor auf das die Konversionseinnahmen und damit der Gold- gesamte Wirtschaftsgeschehen ausgehenden Ein- vorrat erhöhen werden. Hier sah er den Ansatz flüsse ausführlich zu studieren. 1891 publizierte für eine expansive Geldpolitik, die die Kredit- Gesell in Buenos Aires seine erste währungstheo- und Investitionssituation insgesamt verbessern retische Schrift „Die Reformation des Münzwe- und damit der Wirtschaft eine stabilere Grund- sens als Brücke zum sozialen Staat“. Es folgten lage verschaffen sollte. weitere Veröffentlichungen: „Nervus rerum“ 1891 Die Funktion des von Tornquist vorgeschla- und „Die Verstaatlichung des Geldes“ 1892. genen Währungsamtes war nun so festgelegt, bei Zentral bei Gesell war seine Auseinanderset- einer Erhöhung der Edelmetallbestände die Pa- zung mit den Erscheinungen von Inflation und piergeldmenge unter Gewährleistung der perma- Deflation sowie ihren Effekten auf unterschied- nenten Konvertibilität zu erhöhen. Tornquist liche soziale Gruppen. Während Inflationen die rechnete mit der „Goldblindheit“ der wirtschaft- im allgemeinen produktive Klasse der Schuldner lichen Akteure und so mit einem unangetasteten begünstigten, so die Feststellung Gesells, werde Bestand des Goldvorrates. Mit dieser Reform- durch eine deflationäre Entwicklung die im allge- politik folgte Argentinien konsequent dem „cur- meinen unproduktive Klasse der Gläubiger, m. a. rency principle“, nach dem eine Umlaufvermeh- W. die Rentnerseite des Kapitalismus, besser ge- rung des Papiergeldes ohne Goldzustrom nicht stellt. Beide Krisenphänomene, Inflation und De- möglich ist. Tornquists Idee bewährte sich: Die flation, erschienen Gesell problematisch, wobei er beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung ver- im Hinblick auf den Erzeugungsprozess die De- bunden mit der Exportorientierung verschaffte flation als schwerwiegender beurteilte. In seiner Argentinien eine starke Stellung am Weltmarkt, 1893 veröffentlichten Schrift „El sistema mone- der Geldumlauf erhöhte sich und bewirkte weite- tario argentino“ hielt er unter den „wesentlichen re ökonomische Impulse.37 Der argentinische Weg Voraussetzungen des guten Geldes“ fest: „Das wirkte beispielgebend für andere lateinamerika- Geld muss einen festen Wert haben, damit Be- nische Staaten. So übernahm etwa Brasilien mit nachteiligungen der Schuldner zugunsten der der Einrichtung einer „Caixa de Converso“ die Gläubiger aus einer Werterhöhung ebenso vermie- Idee einer Konversionskasse.38 den werden wie Benachteiligungen der Gläubiger zugunsten der Schuldner aus einer Wertvermin- Silvio Gesell in Argentinien derung.“41 Gesell war von der Überzeugung geleitet, dass Unter den massenhaft auswanderungswilligen ein Wirtschaftssystem ohne die Grundlage einer Europäern befand sich auf einer der Schiffspas- berechenbaren Währung keine Chance auf Stabi- sagen nach Argentinien im Jahre 1886 auch der lität besitzt. Daraus resultierte seine wirtschafts- aus St. Vith in den Ardennen stammende Silvio politische Forderung nach Gestaltung einer „Fest- Gesell.39 In Buenos Aires bezog Gesell Quartier, währung“. Die Ausrichtung an Edelmetallbestän- um bald darauf auch seine Familie nachzuholen. den hielt Gesell jedoch nicht nur für überflüssig, Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
10 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien sondern sogar für gefährlich. Zum einen sei etwa 1899 kehrte Gesell, nachdem er sein Geschäft das Gold als Währungsgrundlage ebenso Wert- an einen seiner Brüder übergeben hatte, nach schwankungen unterworfen wie andere Stoffe, Europa zurück. Hier veröffentlichte er seine Ein- zum anderen sei die Ausrichtung des Papiergeldes schätzung zur Lage in Argentinien u. a. in der an den Goldbeständen mit deflationären Effekten „Südamerikanischen Rundschau“. Zu dem 1899 verbunden.42 Bei gleich bleibender, ans Gold ge- mit dem „Gesetz 3871“ eingeleiteten Reformkurs bundener Geldmenge und bei einem wachsenden schrieb er: „Gegenüber den früheren Emissions- Warenvolumen kommt es zu sinkenden Preisen. gesetzen bedeutet also das neue Gesetz einen Die Erwartung weiterer Preissenkungen fördert die gewaltigen, nicht hoch genug anzuschlagenden Zurückhaltung der wirtschaftlichen Akteure in Fortschritt, insofern als jetzt wenigstens eine ihren Ausgaben und damit die Gefahr von Nach- rohe Anpassung des Geldangebots an die stets frageeinbrüchen mit allen ihren Folgewirkungen schwankende Nachfrage erreicht werden kann.“ 43 wie steigende Beschäftigungslosigkeit. Auf autodidaktischem Wege begann Gesell sein Zunächst hatte sich Gesell insbesondere mit ökonomisch-theoretisches Wissen auszuweiten. dem Zusammenhang von Goldwährung, Geldmenge 1906 erschien sein erstes umfangreiches Werk: und Wirtschaftskrise befasst. Seine späteren geld- „Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen theoretischen Auseinandersetzungen fassten die Arbeitsertrag“.44 Während die Resonanz auf seine problematischen Seiten der herrschenden mone- Schriften zunächst eher schwach geblieben war, tären Ordnung wesentlich schärfer. Er zeigte auf, traf Gesell nun zunehmend auf Menschen, die sich dass dem Gelde nicht allein die an sich erwünsch- für seine Ideenwelt interessierten. Dieser Umstand ten Funktionen des Tauschmittels, der allgemei- ermutigte zu einer ausführlichen Darlegung sei- nen Rechnungseinheit und des Wertaufbewah- ner Thesen. 1916 erschien sein Hauptwerk „Die rungsmittels innewohnen, sondern dass sein Natürliche Wirtschaftsordnung“. 45 Noch zweimal gegenüber Arbeitskraft und Ware gegebener sollte Gesell für jeweils kurze Zeit nach Argen- Liquiditätsvorteil die Ursache nicht zu vernach- tinien zurückkehren: 1907 und 1924/25. lässigender wirtschaftlicher und sozialer Defekte In der einschlägigen Literatur, die sich mit den sein kann. Geld, das aus spekulativen Gründen wirtschaftlichen Gegebenheiten und der Reform- dem Wirtschaftskreislauf entzogen bleibt bzw. politik in Argentinien um 1900 beschäftigt, taucht Restriktionen im Kreditapparat, machen das ge- der Name Silvio Gesell immer wieder auf.46 In samte Wirtschaftsleben krisenanfälliger, Investi- ihrem Buch, das die wirtschaftliche Entwicklung tionen unterbleiben, Konsumausgaben werden Argentiniens von 1880 bis 1935 zum Inhalt hat, hintan gehalten. Verteilungsmäßig bedenkliche behandeln Gerardo Paolera und Alan Taylor Ge- Resultate sind dann festzustellen, wenn durch sell als jenen „Politischen Ökonomen“, der das die Knappheit von Geldkapital die Höhe des Werk des prominenten US-amerikanischen Volks- „Geldmehrwertes“, d. h. der Zinsfuß, in die Höhe wirtschaftlers Irving Fisher um Jahrzehnte vor- getrieben wird. Alles in Allem lieferten Gesells weggenommen habe.47 Auch wird von den beiden gedankliche Ansätze die Basis einer monetären Wirtschaftshistorikern eine geistige Nähe zwi- Konjunkturtheorie, die den Aspekt der Geldum- schen Gesell und dem argentinischen Entwick- laufgeschwindigkeit ausdrücklich mit einbezog, lungsökonomen Raúl Prebisch festgestellt.48 Dazu sowie eine Erklärung des geldinduzierten Mehr- halten Paolera und Taylor fest: „Gesell’s critique wertes aus unterschiedlichen ökonomischen of a fixed nominal quantity of money as a sub- Machtpositionen. optimal monetary rule was certainly influential In verschiedenen Schriften und Zeitungsarti- in the 1899 decision to resume convertibility at keln in deutscher und spanischer Sprache äußer- a new parity. Yet, interestingly enough, he is te sich Gesell zu volkswirtschaftlichen Themen barely mentioned by the other main influential betreffend Südamerika, die USA und Europa. Im intellectual figure in our story, Raúl Prebisch. „Argentinischen Tageblatt“ trat Gesell als Unter- Prebisch was the most influential and respected stützer der Reformvorschläge Tornquists auf. economist und economic policymaker of the Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 11 1930s. He was, perhaps, the only one who could wirken versucht. Den Vorgaben des neuen Kon- challenge the prevailing mentalité and conceive vertibilitätsgesetzes entsprechend wurde ein eng of a policy change to avoid the severe conse- mit internationalen Finanzinstitutionen verbun- quences of deflation in line with Gesell’s ide- denes und vom Zentralbankchef geführtes „Cur- as.“49 Auf die Rezession in Argentinien 1914- rency Board“ eingerichtet, wobei der argentini- 1919 hätte Prebisch ähnliche Antworten wie sche Peso an den US-Dollar gekoppelt wurde.56 eine Generation zuvor Gesell zur Hand gehabt, Im Vergleich mit dem Währungsamt von 1899 war zeigen sich Paolera und Taylor überzeugt.50 Eine das neue „Currency Board“ aber wesentlich mehr gewisse Wertschätzung Gesells bringt übrigens Rigiditäten unterworfen. Die Anbindung an den auch der Name der südlich von Buenos Aires un- Dollar schloss nun für Argentinien alle eigen- weit von Mar del Plata gelegenen Stadt Villa ständigen finanzpolitischen Gestaltungsmöglich- Silvio Gesell zum Ausdruck, die Gesells Sohn keiten aus, da die Geldmenge der inländischen Carlos in den 1940er Jahren gründete.51 Und der Währung durch die Ankerwährung gedeckt sein nach dem Zweiten Weltkrieg von Rumänien nach musste. Argentinien übergesiedelte Ökonom Oreste Po- Diese Wirtschaftpolitik, die als vertrauensbil- pescu, der als Professor an den Universitäten von dende Maßnahme auf den internationalen Finanz- Buenos Aires und La Plata lehrte, hielt in seinen und Devisenmärkten und zur Verbesserung der Veröffentlichungen zur Entwicklung der ökonomi- Schuldensituation Argentiniens gedacht war, er- schen Theorien in Lateinamerika die Erinnerung wies sich letztlich jedoch alles andere als Sta- an Gesells in Argentinien entstandenen Geld- und bilität fördernd. Die argentinische Währung hat- Bodenreformansatz wach.52 te unter den gegebenen neuen Umständen eine Überbewertung hinzunehmen, die alle Exportan- „Anarquia monetaria“ in Argentinien? strengungen zunichte machte. Dazu kam die Verbilligung der Waren aus dem Dollar-Raum. Die Argentinien, der achtgrößte Staat der Welt, Konsequenzen waren verheerend, nachdem sich hat eine sehr wechselvolle Wirtschaftsgeschichte nicht nur das Ungleichgewicht im Außenhandel hinter sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg noch verstärkte, sondern in der Folge der gesamte In- eines der reichsten Länder der Welt, geriet Ar- dustriesektor in eine tiefe Krise gestürzt wurde. gentinien in der Folge mit zunehmender Häufig- Das Vertrauen in die Liberalisierungspolitik wirk- keit in ein krisenhaftes Fahrwasser, wobei so- te an den entscheidenden Stellen aber ungebro- wohl hausgemachte Ursachen als auch externe chen weiter. Auf die Krise im industriellen Sektor Schocks (Tequila-Effekt, Asienkrise usw.) maßge- antwortete die politische Elite mit zusätzlichen bend waren.53 Entstaatlichungs- und Privatisierungsprogram- In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ging men, die internationalen Konzernen verschiede- in Argentinien eine von Generälen geführte Re- ne Filetstücke aus den Bereichen der Ölindustrie, gierung daran, das zur Jahrhundertmitte imple- der Zuckererzeugung und der Telekommunikation mentierte binnenmarktorientierte peronistische sicherten. Modell zu beenden, den Finanzmarkt zu deregu- Keine der eingeleiteten Maßnahmen war je- lieren und den freien Kapitalverkehr durchzuset- doch geeignet, die wachsende Auslandsverschul- zen.54 Die der blutigen Militärdiktatur von Gene- dung Argentiniens zu stoppen. Wurden die Mittel ral Videla folgenden Zivilregierungen setzten den des Staates knapp, sprang der Internationale eingeschlagenen Weg fort; es folgte eine Libe- Währungsfonds – „Currency Board“ sei Dank – mit ralisierung des Außenhandels. Ein zunehmendes Überbrückungskrediten ein. 1993/94 entstand Problem wurden jedoch die inflationären Ten- durch die Privatisierung des Rentenfonds ein zu- denzen, sodass sich bald die Geschichte zu wie- sätzliches Loch in der Staatskasse. Um bestehen- derholen begann.55 Der Hyperinflation der Jahre den Forderungen nachzukommen, wurde eine 1989/90 wurde mit der Verabschiedung eines so neuerliche Verschuldung in Kauf genommen. Im genannten „Plan Convertibilidad“ entgegenzu- Zeitraum zwischen 1992 und 1998 stieg die Aus- Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
12 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien landsverschuldung Argentiniens um 123,7 Pro- ohne ihre Bosse stillgelegte Unternehmen in zent, was zum damaligen Zeitpunkt der höchsten Eigenregie zu übernehmen. Parallelwährungen Wachstumsrate ganz Lateinamerikas entsprach.57 wie die „Creditos“ wurden geschaffen, um wirt- Die Kapitalspritzen reichten jedoch immer weni- schaftliche Tätigkeiten in kleinem Rahmen wie- ger aus, das Leistungsbilanzdefizit, das sich der aufzunehmen, Versorgungslücken zu schlie- nach der Währungsabwertung Brasiliens 1998 ßen, Zugang zu medizinischer Behandlung sicher- sprunghaft erhöht hatte, abzudecken.58 Nun be- zustellen und nicht zuletzt Menschen Beschäfti- gann der Abzug von Bankguthaben, die Kapital- gungsmöglichkeiten anzubieten. Die komplemen- flucht verstärkte sich. Anfang Dezember 2001 tär zur herkömmlichen wettbewerbsorientierten verfügte die Regierung als Notmaßnahme eine Wirtschaft entstehende kooperative Ökonomie allgemeine Kontensperre, die schließlich schwere zeigte alternative Wertorientierungen auf und be- bürgerkriegsähnliche Unruhen auslöste. wies zugleich eine außerordentliche Integrations- Die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen kompetenz mit eindeutigen Wohlstand steigern- in Argentinien im letzten Viertel des 20. Jahr- den Effekten. Die „Anarquia monataria“60 des 19. hunderts hatten wirtschaftlich und sozial be- Jahrhunderts, die in der Vergangenheit so häufig trachtet mehr zur Verunsicherung als zur Ver- Gegenstand verschiedener Polemiken war, schien besserung der Lage beigetragen.59 Während die nun geeignet, das wirtschaftliche Leben in Ar- Außenöffnung und die Deregulierung der Finanz- gentinien wieder in Gang zu bringen.61 märkte das spekulative Moment förderten, nah- „Die gleichen Gründe, die die Anarchisten ge- men die Entwicklungsmöglichkeiten des produk- gen die Zweckmäßigkeit geschriebener Gesetze tiven Sektors ab. Die Überbewertung der Wäh- anführen, können wir auch gegen die jetzt be- rung brachte in Verbindung mit den hohen Real- stehenden Emissionsgesetze anführen.“ 62 (Silvio zinsen die Investitionstätigkeit zum Erliegen. Gesell) Mit der Verminderung der Wertschöpfung ver- engte sich allmählich aber auch die Basis für die Quellen: Finanzgewinne. Als die Grenzen der Alimentier- - Álvarez, Edgardo (2006): El Estado contra el movimiento Anar- barkeit erreicht wurden, war kein Gegensteuern quista. Un proceso de “ortopedia social” en la historia argentina, mehr möglich. Zurück blieben Engpässe im Staats- Cuadernos de Trabajo 67, Septiembre de 2006, Buenos Aires. - Becker, Joachim; Jäger, Johannes; Musacchicio, Andrés (2002): haushalt, eine verminderte Produktion, sinkende Finanzsystem und Krise in Argentinien und Chile, in: Kurswechsel Löhne und eine dramatische Zunahme der Arbeits- - Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische losigkeit. Auch nicht wenige Angehörige bürger- Alternativen, Heft 3/2002, 32-44. - Belkin, Alejandro (2007): Sobre los orígenes del sindicalismo re- licher Schichten fanden sich nun bei der Armen- volucionario en Argentina, Cuadernos de Trabajo 74, Junio de speisung wieder. 2007, Buenos Aires. Der durch den Verlust mittelständischer Erspar- - Belloni, Alberto (1960): Del Anarquismo al Peronismo. Historia del Movimiento Obrero Argentino, Buenos Aires. nisse, Beschäftigungslosigkeit und Inflation ge- - Boris, Dieter; Hiedl, Peter (1978): Argentinien. Geschichte und kennzeichnete wirtschaftliche Niedergang Argen- politische Gegenwart, Köln. tiniens bedeutete den Ausschluss großer Bevöl- - Gesell, Silvio (1949): Die natürliche Wirtschaftsordnung (1916), Lauf bei Nürnberg. kerungsgruppen aus dem Wirtschaftsgeschehen. - Gesell, Silvio (1988a): El sistema monetario argentino sus venta Die Geldknappheit in den Städten und Kommu- jas y su perfeccionamiento. Die argentinische Währungsordnung – nen führte dazu, dass oftmals Zahlungen an den Ihre Vorteile und ihre Verbesserung (1893), in: ders.: Gesammelte Werke, Band 1, 1891-1894, 261-350. öffentlichen Dienst eingestellt werden mussten. - Gesell, Silvio (1988b): La razon económia del desacuerdo chileno- Je weniger die Ruinenlandschaft des alten Wirt- argentino – La cuestión monetaria argentina. Der wirtschaftliche schaftssystems imstande war, ihre Aufgaben zu Grund für den Konflikt zwischen Chile und Argentinien – Die ar- gentinische Währungsfrage (1898), in: ders.: Gesammelte Werke, erfüllen, je weniger der offizielle Peso die Ver- Band 2, 1897-1900, Hann.Münden, 219-263. mittlung von Bedarf und Leistungsangebot ge- - Gesell, Silvio (1988c): Die argentinische Geldwirtschaft und ihre währleisten konnte, desto mehr wuchs die Be- Lehren, in: Südamerikanische Rundschau, 8. Jg., Nr.4/1900, in: ders.: Gesammelte Werke, Band 2, 1897-1900, Hann.Münden, deutung der ins Leben gerufenen Selbsthilfeor- 280-289. ganisationen. Betriebsbelegschaften begannen - Gesell, Silvio (1989): Die Verwirklichung des Rechtes auf den voll- Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 13 en Arbeitsertrag (1906), in: ders.: Gesammelte Werke, Band 4, 03 Hardach, Gerd (2010): Wirtschaft: Wachstum und Struktur, in: 1906, Hann.Münden, 13-298. Langthaler, Ernst; Sieder Reinhard (Hg.): Globalgeschichte 1800- - Gesell, Silvio (1988/89): Gesammelte Werke, Band 1, 1891-1894; 2010, Wien - Köln - Weimar, 172. Band 2, 1897-1900; Band 4, 1906, Hann.Münden – Lütjenburg. 04 Hardach in Langthaler 2010, 172. - Gómez, Georgina M. (2009): Argentina’s Parallel Currency: The 05 Reiterer, Albert F. (2010): Demographie: Der Große Übergang, Economy of the Poor, London. in: Langthaler, Ernst; Sieder Reinhard (Hg.): Globalgeschichte - Guera, Sergio; Prieto, Alberto (1979): Chronología del movimien 1800-2010, Wien - Köln - Weimar, 84. to obrero y de las luchas por la revolución socialista en America 06 Boris, Dieter; Hiedl, Peter (1978): Argentinien. Geschichte und Latina (1850-1916), Habana. politische Gegenwart, Köln, 36. Im Jahr 1895 lag die Einwoh- - Hardach, Gerd (2010): Wirtschaft: Wachstum und Struktur, in: nerzahl Argentiniens bei rund 5 Mill. Wächter, Siegfried (1922): Langthaler, Ernst; Sieder Reinhard (Hg.): Globalgeschichte 1800- Die wichtigsten Währungsreformen der letzten Jahrzehnte und 2010, Wien - Köln - Weimar, 171-190. das Valutaproblem der Gegenwart, Berlin, 70. - Hille, Kristina (2010): Reaktivierte Unternehmen: Die empresas 07 Boris; Hiedl 1978, 24. recuperadas in Argentinien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte – 08 Dazu sollte gesagt werden, dass die Veredelungswirtschaft das Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Nr. 12, S. 29-34. Gewicht pro Stück Vieh verdoppelte und die Zeitspanne bis zur - Jiménez, Rafael Olarra (1968): Evolucion monetaria argentina, Schlachtreife deutlich verkürzte. Boris; Hiedl 1978, 22 f. Buenos Aires. 09 Boris; Hiedl 1978, 8. Paolera, Gerardo della; Taylor, Alan M. - Langthaler, Ernst; Sieder Reinhard (Hg.) (2010): Globalgeschichte (2001): Straining at the anchor: the Argentine currency board 1800-2010, Wien - Köln - Weimar. and the search for macroeconomic stability, 1880-1935, Chi- - Machlup, Fritz (1925): Die Goldkernwährung. Eine währungsge cago, 9. schichtliche und währungstheoretische Untersuchung, Halber- 10 Zwischen 1880 und 1913 hatte die Argentinische Wirtschaft ein stadt. durchschnittliches Wachstum von rund fünf Prozent aufzuwei- - Masor, Omar (1975): La historia de Villa Gesell, Villa Silvio Gesell. sen. Paolera; Taylor, 2001, 7. - Paolera, Gerardo della; Taylor, Alan M. (2001): Straining at the 11 Boris; Hiedl 1978, 27. anchor: the Argentine currency board and the search for macroe 12 Paolera; Taylor, 2001, 4. Boris; Hiedl 1978, 19. conomic stability, 1880-1935, Chicago. 13 Boris; Hiedl 1978, 23. - Paolera, Gerardo della; Taylor, Alan M. (2003): Gaucho Banking 14 Paolera; Taylor, 2001, 4. Redux, Cambridge. 15 Auch bei der Reform von 1912 blieb das Wahlrecht für Frauen aus- - Popescu, Oreste (1965): Ensayos de Doctrinas Economicas Argen- geklammert. Erst in den 1940er Jahren unter Juan Perón gelang tina – Belgrano, Echeverria, Gesell, Buenos Aires und La Plata 2. die Durchsetzung des Frauenwahlrechtes. Boris; Hiedl 1978, 30. Aufl. 16 Boris; Hiedl 1978, 32. - Popescu, Oreste (1997): Studies in the History of Latin American 17 Guera, Sergio; Prieto, Alberto (1979): Chronología del movimien- Economic Thought, London/New York. to obrero y de las luchas por la revolución socialista en America - Rapoport, Mario (2007): Historia económica, política y social de Latina (1850-1916), Habana, 7, 14 ff. la Argentina (1880-2003), Buenos Aires. 18 Belloni, Alberto (1960): Del Anarquismo al Peronismo. Historia - Rossmeissl, Barbara (2004): Tauschhandel in Argentinien – Effi- del Movimiento Obrero Argentino, Buenos Aires. ziente Überlebensstrategie in Zeiten der Wirtschaftskrise?, in: 19 Álvarez, Edgardo (2006): El Estado contra el movimiento Anar- Zeitschrift für Sozialökonomie 141. Folge 2004, S. 25-36. quista. Un proceso de „ortopedia social“ en la historia argen- http://www.sozialoekonomie.info/Forschung/Diplomarbeiten/ tina, Cuadernos de Trabajo 67, Septiembre de 2006, Buenos DiPA_Rossmeissl_ue/dipa_rossmeissl_ue.html – Aires. Spanische Übersetzung: El Trueque en Argentina – Estrategia efi 20 Eine Partei mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung entstand ciente en tiem pos de crisis? in Argentinien 1918: Partido Comunista de la Argentina (PCA). http://www.sozialoekonomie.info/Info_Foreign_Languages/Spa 21 Boris; Hiedl 1978, 42. nish_6/spanish_6.html. 22 Boris; Hiedl 1978, 31. - Schmid, Werner (1954): Silvio Gesell - Die Lebensgeschichte eines 23 Paolera; Taylor, 2001, 81. Pioniers, Bern. 24 Zu erwähnen sind hier die Kriege zwischen den Provinzen und der - Senft, Gerhard (2010): „ ... ein krankhafter Zustand des Geld- Krieg gegen Uruguay. Erst 1853 trat in Argentinien eine libera- marktes.“ Die Finanzkrisen von 1873 und 2007/08 im Vergleich, le Verfassung in Kraft. in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Nr. 23/ 25 Rapoport, Mario (2007): Historia económica, política y social de 2010, 69-82. la Argentina (1880-2003), Buenos Aires, 83. - Tarcus, Horacio (dir.) (2007): Diccionario biográfico de la izquier 26 Paolera; Taylor, 2001, 14. da argentina. De los anarquistas a la “nueva izquierda” 1870- 27 Rapoport 2007, 82. 1976, Buenos Aires. 28 Rapoport 2007, 82. - Wächter, Siegfried (1922): Die wichtigsten Währungsreformen der 29 Paolera; Taylor, 2001, 14. letzten Jahrzehnte und das Valutaproblem der Gegenwart, Berlin. 30 Wächter 1922, 71 f. 31 Paolera; Taylor, 2001, 48. 32 Paolera; Taylor, 2001, 67 ff. Anmerkungen: 33 Paolera; Taylor, 2001, 14, 23, 110. 01 Montalbán, M. Vázquez (1984): Carvalho und der Mord im 34 Wächter 1922, 78. Zentralkomitee, Reinbek bei Hamburg, 87. 35 Paolera; Taylor, 2001, 116. Zu Geldgeschwindigkeit und Geld- 02 Senft, Gerhard (2010): „... ein krankhafter Zustand des Geld- menge vgl. Paolera; Taylor, 2001, 111. marktes.“ Die Finanzkrisen von 1873 und 2007/08 im Vergleich, 36 Machlup, Fritz (1925): Die Goldkernwährung. Eine währungsge- in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, Nr. schichtliche und währungstheoretische Untersuchung, Halber- 23/2010, 69 ff. stadt, 6. Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
14 Gerhard Senft: Silvio Gesells Argentinien 37 Rapoport 2007, 95 ff. Machlup 1925, 84 ff. 1921 hatte Prebisch einen Artikel über Währungsprobleme in 38 Machlup 1925, 87. Argentinien veröffentlicht, in dem er die negativen Effekte der 39 Neben Silvio Gesell fanden im Laufe der Jahre rund 230.000 Deflation herausgearbeitete. Prebisch, Raúl: Anotaciones sobre deutschsprachige Einwanderer den Weg nach Argentinien. nuestro medio circulante, en: Revista de Ciencias Económicas, 40 Schmid, Werner (1954): Silvio Gesell. Die Lebensgeschichte eines año 9, serie 2, n. 3, octubre 1921, 190-204. Pioniers, Bern, 29 ff. 49 Paolera; Taylor, 2001, 203. 41 Gesell, Silvio (1988a): El sistema monetario argentino sus ven- 50 Paolera; Taylor, 2001, 231. tajas y su perfeccionamiento. Die argentinische Währungsord- 51 Masor 1975. nung – Ihre Vorteile und ihre Verbesserung (1893), in: Ders.: Ge- 52 Popescu 1965 und 1997, S. 257-267 über Silvio Gesell und S. sammelte Werke, Band 1, 1891-1894, 318. 268-273 über Raúl Prebisch. 42 Gesell 1988a, 318. 53 Paolera; Taylor, 2001, 2, 11. 43 Gesell, Silvio (1988c): Die argentinische Geldwirtschaft und ihre 54 Der Peronismus suchte unter der Devise des Justicialismo (span. Lehren, in: Südamerikanische Rundschau, 8. Jg., Nr.4/1900, in: „Gerechtigkeit“) nationalen Wohlstand durch soziale Reformen, Ders.: Gesammelte Werke, Band 2,1897-1900, Hann.Münden, 280. staatliche Kontrolle der Wirtschaft und ökonomische Unabhän- 44 Gesell, Silvio (1989): Die Verwirklichung des Rechtes auf den gigkeit nach Außen zu erreichen. Juan Peron war von 1943 bis vollen Arbeitsertrag (1906), in: Ders.: Gesammelte Werke, Band 1955 und 1973/74 an regierender Stelle tätig. 4, 1906, Hann. Münden, 13-298. 55 Paolera; Taylor, 2001, 224. 45 Gesell, Silvio (1949): Die natürliche Wirtschaftsordnung (1916), 56 Becker, Joachim; Jäger, Johannes; Musacchicio, Andrés (2002): Lauf bei Nürnberg. Mit dem Begriff der „Natürlichen Ordnung“ Finanzsystem und Krise in Argentinien und Chile, in: Kurswech- bezogen sich Silvio Gesell und seine Anhänger auf ein Gebilde, sel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpoli- das vor ihnen die französischen Physiokraten und Adam Smith tische Alternativen, Heft 3/2002, 34 f. gedanklich vorweg genommen hatten. Konkret ist damit eine 57 Becker; Jäger; Musacchicio 2003, 36. Wirtschaftsordnung angesprochen, die ohne Privilegien und Mo- 58 Brasilien war 1998 in eine schwerwiegende Finanzkrise geraten, nopole existiert. Im Vordergrund steht bei Gesell das Konzept nachdem eine restriktive Wirtschaftpolitik (Anbindung der na- eines Geldwesens, das – analog zu den Abläufen in der Natur – tionalen Währung an den US-Dollar, Hochzinspolitik) weder die dem Wechsel von Entstehen und Vergehen ausgesetzt sein soll. Löcher im Staatshaushalt noch ein ausuferndes Handelsbilanz- Mit Freigeld, einer Art „rostender Banknote“, sollte der Liqui- defizit zu verhindern vermocht hatte. Dazu waren noch Speku- ditätsvorteil und damit die Vormachtstellung des Geldes im wirt- lationsmanöver am Währungssektor gekommen. Für Argentinien schaftlichen Geschehen aufgehoben werden. Zusätzlich trat Ge- brach mit den Änderungen ein wichtiger Abnehmer seiner Waren sell für eine umfassende Bodenreform ein, um der Spekulations- weg, immerhin hatte Brasilien rund ein Drittel der argentini- tätigkeit im Bereich des primären Produktionsfaktors entgegen schen Gesamtausfuhren aufgenommen. Umgekehrt vervielfach- zuwirken. ten sich die Importe von Brasilien nach Argentinien, nachdem 46 Jiménez 1968, 186. Paolera 2001, 31, 115-117, 119, 129, 203, brasilianische Güter mit der Abwertung billiger geworden waren. 225. Gómez, Georgina M. (2009): Argentina’s Parallel Currency: 59 Paolera, Gerardo della; Taylor, Alan M. (2003): Gaucho Banking The Economy of the Poor, London, 2, 22-26, 163. Redux, Cambridge. 47 Paolera; Taylor, 2001, 115. 60 Jiménez 1968, 36 f. 48 Raúl Prebisch war von 1935 bis 1943 Direktor der argentinischen 61 Gómez 2009. Rossmeißl, Barbara (2004). Hille, Pristina (2010). Zentralbank. 1949 wurde er zum ersten Exekutivsekretär der „Co- 62 Gesell, Silvio (1988b): La razon económia del desacuerdo chile- misión Económica para América Latina y el Caribe“ (CEPAL) er- no-argentino – La cuestión monetaria argentina. Der wirtschaft- nannt und avancierte 1965 zum Generalsekretär der UN-Kon- liche Grund für den Konflikt zwischen Chile und Argentinien – ferenz für Welthandel und Entwicklung. Mit seiner Schrift „The Die argentinische Währungsfrage (1898), in: ders.: Gesammelte Economic Development of Latin America and its Principal Pro- Werke, Band 2, 1897-1900, Hann.Münden, 248. blems“ löste er 1950 die Debatte um die terms of trade aus. Entstehung der Geldreformgedanken in Argentinien 1890/91 „Ja, und das Ganze, der ganze große Zusammenhang und die weltweite Bedeutung, alles was dazu gehört in Geschichte, Politik und Wirtschaft, alles was ich in den Jahren danach niederge- legt habe, wurde mir mit dem Freigeldgedanken in einer halben Stunde klar. Es ergriff mich so, dass ich drei Tage im Sprungschritt durch mein Zimmer gelaufen bin. Meine eigene Frau hat mich für verrückt gehalten. Mir war, als ob mein Kopf plötzlich ein ganz Teil schwerer geworden wäre. Und ich hatte jahrelang nur die eine Sorge, dass mir etwas zustoßen könnte, bevor ich alle diese Gedanken weiter gegeben hätte.“ Mündliche Äußerung Gesells, überliefert von Hans Timm, in: Geburt einer Idee und Bewegung, in: Informationen für Kultur, Wirtschaft und Politik Nr. 3/1960, S. 3. Zeitschrift für Sozialökonomie 174-175/2012
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