GOSSAUER INFO - ABSCHIED ab Seite 6 Thema
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EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Für unser Hauptthema haben wir den Abschied gewählt. Wir haben uns Gossauer Info mit jenem Abschied auseinandergesetzt, der uns vom Leben trennt, der uns zwingt, Liebstes loszulassen. Barbara Stauber aus dem Grüt hat uns 35. Jahrgang Nr. 146 – September 2021 Einblick gewährt, was es heisst, den eigenen unausweichlichen Tod vor Augen zu haben, und die Hinterbliebenen schildern auf eindrückliche Wei- Impressum se, wie sie mit dieser Situation umgegangen sind. Herausgeber Verlag Gossauer Info Vor beinahe 25 Jahren verloren Karin, Alexander und Tobias Herrmann ihren Ehemann und Vater Beat. Im einfühlsamen Gespräch mit unserer Re- Redaktion daktorin Geneviève Bichsel reflektieren sie über diesen Schicksalsschlag. rg Rita Gröbli (Leitung) kh Karin Herrmann Wir lassen auch Menschen zu Wort kommen, die mit Palliative Care eine gb Geneviève Bichsel würdevolle Betreuung in der letzten Lebensphase ermöglichen. Ein Seel- dc Daniela Clerici sorger erzählt über die Vorbereitungen für eine Abdankung, Gemeindean- Korrespondenzadresse gestellte, wie vorgegangen werden muss bei einem Todesfall, der Fried- Verlag Gossauer Info hofsgärtner, wie sorgsam er mit dem Thema Tod umgeht. Gewerbestrasse 18, 8132 Egg Tel. 044 986 10 00 Schicksale, die niemanden unberührt lassen, aber auch Informationen, die E-Mail: gossauerinfo@textaid.ch dazu dienen sollen, Betroffenen aufzuzeigen, wo sie Hilfe und Unterstüt- www.gossauerinfo.ch zung finden können. Konzept, Herstellung, Inserate Corona und die Covid-19-Impfung sind immer noch präsent und scheiden Textaid Buch- und Kunstverlag Verlag Gossauer Info die Gemüter. Die Gemeinde Gossau hat sich sehr engagiert und mitgehol- Gewerbestrasse 18, 8132 Egg fen, das Impfzentrum auf die Beine zu stellen. Über 86 000 Impfungen wur- Tel. 044 986 10 00 den seit April 2021 im Covid-19-Impfzentrum Wetzikon an 64 Impftagen Mail: gossauerinfo@textaid.ch verabreicht. Eine eindrückliche Zahl. Gemeindepräsident Jörg Kündig meint www.gossauerinfo.ch nicht ohne Stolz: Mission erfüllt. Druck Anfang Juni haben wir Ihnen einen schönen Sommer gewünscht. Dieser FO-Fotorotar AG Ein Unternehmen der FO-Gruppe hat sich aber geziert und uns nur häppchenweise warmes und sonniges Gewerbestr. 18, 8132 Egg b. Zürich Wetter beschert. Dafür hat sich die Spanische Wegschnecke – auch Nackt- schnecke genannt – an unserem Gemüse und den Blumen gütlich getan Auflage 25 000 Ex. pro Jahr. Erscheint und sich dank den guten, feuchten Bedingungen kräftig vermehrt. Eine vierteljährlich und wird gratis per regelrechte Schneckenplage ist ausgebrochen. Das Tier hat ja kaum natür- Post in alle Haushaltungen in der liche Feinde wegen des Schleims, den es aussondert. Einzig Enten finden Gemeinde Gossau ZH verteilt sie lecker. Woher aber all die Enten nehmen? Nächste Ausgabe Wir wünschen Ihnen Zeit und Musse in dieses nicht alltägliche Thema Anfang Dezember 2021 einzutauchen und viele sonnige Herbsttage. Redaktionsschluss: 30. Oktober 2021 Für das Redaktionsteam, Titelbild Rita Gröbli Der Waldfriedhof in Gossau Aufnahme: Daniel Wartenweiler Für eingesandte Manuskripte und Fotos besteht bei Verlust keine Haftung seitens des «Gossauer Infos». Für gewünschte Rücksendung legen Sie bitte ein adressiertes und fran- kiertes Kuvert bei. Der Redaktion steht es frei, Manuskripte teilweise zu kürzen, zu ändern oder zurückzuweisen. Nachdruck, ganz oder auszugsweise, ist nur auf Anfrage gestattet. Gossauer Info 146 | September 2021 3
Wir halten Sie immer warm und installieren Ihnen ein zeit- gemässes Heizsystem. Heizungen aller Art für Neubauten und Sanierungen: Wärmepumpenanlagen, Erdsondenbohrungen oder Sonnen- kollektoren Umfassende Beratung auf der Basis einer eigens für Sie erstellten Energiebilanz Pikettdienst bei Notfällen Wir freuen uns auf Ihren Anruf. Leutenegger Installations AG Industriestrasse 39 8625 Gossau 044 936 65 65 www.leutenegger-insta.ch 4 Gossauer Info 146 | September 2021
INHALT Thema Schule Gossau 63 Zweite Durchführung der Veloprüfung Abschied in Gossau 6 Nie mehr … 66 Pumptrack auf dem Pausenplatz 8 «Wir können dem Leben nicht mehr Tage im Männetsriet geben, aber dem Tag mehr Leben!» 68 Projektwoche im Schulhaus Wolfrichti, Grüt 10 «Alles passte zu Mami» Thema: «Reise um die Welt» 13 Die Trauer feiern – ein wichtiges Ritual 70 Schulzeit beendet – Oberstufe 3. Sek 15 Als sei es gestern gewesen 72 Eintritte ab September 20 bis Ende August 21 18 Würdevolle Betreuung in der letzten 73 Austritte ab September 20 bis Ende August 21 Lebensphase 20 22 Ein Spaziergang im Waldfriedhof Friedhöfe im Wandel Sport 23 Todesanzeigen – ein Auslaufmodell? 75 Zürcher Oberländer siegen in Gossau 24 Todesfall – was nun? Formalitäten und erste Schritte 60plus 77 Gemeinde Ein Erfahrungsbericht im Umgang mit Corona vom Team Gym/Fit 60+ 27 Die Seite des Gemeindepräsidenten 81 Pro Senectute Kanton Zürich 30 Gossau hat gefeiert 32 35 1.-August-Feier in der Altrüti, Gossau Dynamisch, effizient – die Finanzabteilung Gesundheit 36 Das persönliche Sitzbänkli in Gossau 82 Mobiles Impfangebot und Impfaktionen 37 Aufforderung zum Pflanzenrückschnitt in Gemeinden 39 Neues Mehrzweckfahrzeug für die Sicherheit 41 42 Schutzanlagen in der Gemeinde Gossau Rundweg «Bertschikon» News 83 Das Kulturleben erwacht wieder 43 Heckenpflanzen-Bestellaktion 2021 in Bertschikon 45 «Musik und Provence» 85 30 Jahre Chris & Mike in der Altrüti 47 Lesetipps aus der Gemeindebibliothek 87 Kolumne von Andrea Gisler 48 Geburten 85 Die Seite des Gewerbevereins Gossau 49 Geburtstagsjubilare 91 Die Seite des Vereins FiZGo 51 Todesfälle 93 Publireportage: Mehr Lebensqualität 51 Ehejubiläen durch bessere Beweglichkeit Kirchen 94 94 Vorschau Thema: Hier bin ich zuhause Vorschau Porträt: Gabriela Mäder 53 Gemeinsame Anlässe 55 Reformierte Kirche Gossau Den Veranstaltungskalender 57 Evangelische Freikirche Chrischona 59 Katholische Pfarrei zum Herausnehmen 61 Die kath. Kirche erstrahlt in neuem Glanz finden Sie in der Mitte eingeheftet. Gossauer Info 146 | September 2021 5
THEMA ABSCHIED Nie mehr… Nie mehr zusammen lachen und feiern, zusammen weinen und die Last teilen. Sich gemeinsam freuen und ärgern, die Wut und das Glück aushalten, essen und trinken, das Leben teilen. Abschiede, die so unendlich schwer sind. Die so furchtbar weh tun. Dieses «nie mehr». Text: Geneviève Bichsel Es gibt keine Aufzählung für Din- mand sonst. Trauer kann verbinden starb mein Onkel. Noch gar nicht ge, die uns mit Menschen verbinden aber auf ganz grausame Art tren- alt. Nun lag er da im Sarg, mit An- und die durch den Tod so schreck- nen. Trauer kennt kein Richtig oder zug und Krawatte. So kannte ich lich endgültig verloren gehen. In un- Falsch, kümmert sich nicht um Kon- ihn gar nicht, wir waren doch immer serer Erinnerung noch lebendig und ventionen, sollte es auch nicht tun. zusammen auf dem Feld gewesen kostbar und doch im Leben nicht Kulturen und Religionen haben ei- und er hatte die Pferde geführt. Und mehr greifbar, nicht mehr sinnlich nen sehr unterschiedlichen Umgang doch, da lag er, die Hände gefaltet, erlebbar, nur Lücke und Leere. mit Abschied und Tod. Betrauert als aufgebahrt auf dem Esstisch, mitten Und die quälenden Gedanken, ob Verlust und doch gefeiert als Über- im Wohnzimmer. Die Läden waren man bis zum Ende das Richtige gang. Trauer über die Endgültigkeit geschlossen, die Taufkerze flackerte, getan hat, «alles» getan hat, nichts des Todes, Trauern über den Tod die Luft stickig und erfüllt von ei- übersehen oder vergessen hat, alles und doch tiefes Vertrauen auf ein nem mir fremdem süsslichem Duft. geklärt ist. Die bohrende Frage, ob es Wiedersehen und ewiges Leben. Ich war fasziniert, schaute in das denn genug gewesen sei … Trauern über das Ende und doch vertraute und doch immer fremder Als ob wir das alles könnten. Als ob Hoffnung auf Auferstehung, Trans- werdende Gesicht. Und kam aus es nicht genug wäre, den Schmerz formation oder Wiedergeburt. So dem Staunen nicht mehr heraus. und die Trauer auszuhalten. Als ob verschieden sind die Überzeugun- Einer um den anderen, eine um die es nicht schwer genug wäre, am Mor- gen, so verschieden die Rituale und andere strömten die Dorfbewohner gen aufzustehen und weiterzugehen, Ausdrucksformen bis hin zur Frage, in die kleine Stube, blieben am Sarg irgendwie, und darauf zu hoffen und welche Farbe trägt die Trauer? stehen, verneigten sich vor dem Ver- zu vertrauen, dass es mit der Zeit et- storbenen, murmelten einige Worte was leichter wird. Rituale verändern sich oder Gebete, bekreuzigten sich und Und zu erkennen, dass der vor einem Viele Rituale rund um Abschied und gingen aus der Stille des Wohnzim- liegende Weg ein ganz eigener sein Tod haben über sehr lange Zeit Be- mers in die Enge der Küche. Hier gab wird, sein muss. Einen, den wir noch stand gehabt. Ein Jahr lang trauern es etwas zu trinken und ganz schnell nicht kennen und erst finden müs- war gesellschaftlich anerkannt. Die wurde es hier lebhaft und laut sen. Und den andere nicht für einen trauernde Witwe in Schwarz wurde Hatte man uns Kindern am Morgen gehen können, trotz eigener Erfah- in ihrer Trauer respektiert, aber auch nicht eingebläut, dass es heute keine rungen. Dass man Hilfe, die guttut, gefangen gehalten. Rituale können Musik zu hören gebe, dass wir nicht in Anspruch nehmen darf, aber auch, Schutz und Struktur geben, aber laut singen, lachen und ja nicht strei- dass man sich abgrenzen darf, wenn auch den Menschen in ein Korsett ten dürften und uns ganz still zu ver- es einem zu viel wird. Dass man sich zwängen. Und wenn dazu Erwartun- halten hätten? in der Gesellschaft von Familie und gen und Druck von aussen kommen, Dass die ganze Dorfgemeinschaft Freunden wohlfühlen und lachen wie Trauern auszusehen hat? später den Gottesdienst besuchte, darf, sich ganz zurückziehen und In meiner Kindheit beobachtete ich hinter dem Sarg bis zum Friedhof allein sein darf und sich doch im interessiert und ohne jegliche Angst einherging, sich dort alle umarm- nächsten Moment ins Leben stürzen die Rituale um den Tod in einer klei- ten und trösteten und sich später und vergessen möchte. nen dörflichen Gemeinschaft in ei- im Gasthof mitten im Dorf wie- Niemand weiss besser als die Trau- nem entlegenen Zipfel des Juras. der trafen, machte dies alles für ernden selbst, was ihnen guttut, nie- Es waren heisse Augusttage. Da mich spannend und liess mich den 6 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED äussersten Fall den Zeitpunkt unse- res Todes selbst. Wir versuchen, uns über unsere Überzeugungen, über unsere Wünsche klar zu werden, da- rüber zu sprechen, und müssen uns dabei oft eingestehen, dass wir diese gar nicht so genau kennen und Ent- scheidungen in dieser so unausweich- lichen Frage uns zutiefst verunsichern können. Wie beeindruckend sind da Menschen, die mit ihren Überzeu- gungen im Reinen sind und von die- sen bis zuletzt getragen werden. Es bleibt das Unfassbare, Unaus- weichliche des eigenen Todes und des Todes unserer Liebsten. Und die Her- Trauerkarten, mit den auch in der heutigen Zeit noch gern handschriftlich verfassten Ge- ausforderung, damit leben zu müssen. danken und Worten, können den Hinterbliebenen Trost und Wärme spenden. Ein kleines So drückt es Mascha Kaléko in ih- aber nicht zu unterschätzendes Ritual, das sagt: Ich bin für euch da, ich denke an euch, rem Gedicht «Memento» aus: ihr seid mit eurer Trauer nicht allein. (Trauerkarte mit Aquarell von Brigitte Meili Anderegg) Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, Grund, den Tod dieses noch jungen Es bleibt die Suche nach neuen Aus- nur vor dem Tod derer, die mir nah Vaters, komplett vergessen. Ich war drucksformen im Abschiednehmen sind. ja ein Kind …Was es wohl mit den und in der Trauer. Die individuelle Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr nächsten Angehörigen gemacht hat? Suche ist eine Herausforderung, da sind? Allein im Nebel tast ich todentlang Durften sie trauern, wie sie es gerne wenn Normen und verbindliche Und lass mich willig in das Dunkel getan hätten? Haben die Rituale, die Rituale nicht mehr mehrheitsfähig treiben. Präsenz einer ganzen Dorfgemein- sind. Sie bieten aber auch die Mög- Das Gehen schmerzt nicht halb so wie schaft geholfen oder ihnen alle Kraft lichkeit, einen ganz persönlichen das Bleiben. geraubt? Weg zu finden, um Abschied zu Du weisst es wohl, dem Gleiches Vieles hallt nach und wird auch in nehmen und sich in keiner Weise widerfuhr; Filmen und Büchern zelebriert. Der einengen zu lassen. Und die es trugen, mögen mir vergeben. Gottesdienst mit den alten Texten Gemeinsame, leise Zeichen sind uns Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt und Trostgebeten zu Tod, Abschied geblieben. Das sorgsame Umbetten man nur, doch mit dem Tod der ande- ren muss man leben. und Trauer, die Beerdigung und und Ankleiden des Verstorbenen, Verabschiedung am Grab auf dem das Fenster, nach dem Tod geöffnet, aus: Verse für den Zeitgenossen Friedhof, das Kondolieren, das Lei- die Kerze, angezündet für das Licht, Abschiednehmen und innehalten, chenmahl … Alte Wörter, verbun- die Blumen voller Farben und Düfte, ein Moment auch voller Dankbar- den mit Teilhabe, gemeinsamem Ab- die Zeichnungen der Kinder … keit. Sollte nicht ein Leben, wenn schied und dem sehr pragmatischen es dann gelebt werden durfte, ein Ansatz, dass das Leben und das Der Tod, kein Tabu mehr Leben mit all seinen Höhen und Miteinander weitergehen. Und heu- Immerhin, wir sprechen häufiger Tiefen, seinen Erfolgen und Misser- te? Wie passt das zu einem Abschied und offener über den Tod, auch über folgen, seinem Glück und Unglück, im engsten Kreis, im Gemeinschafts- unseren eigenen. Wir machen uns dem Schweren und Leichten, vor al- grab, ohne Feier, ohne gemeinsames Gedanken, wie wir sterben möchten, lem aber mit all der Liebe, die damit Mahl? Ist es einfacher, allein oder im versuchen dies festzuhalten, auch in die Welt kam, gefeiert und ver- privaten Kreis Abschied zu nehmen wenn es dann vielleicht ganz anders abschiedet werden? Und uns diese und zu trauern, als begleitet von ei- kommt. Wir loten Grenzen aus, Dankbarkeit auch dann halten, wenn ner Gemeinschaft? weiten sie aus und bestimmen im es um uns ganz dunkel wird? Gossauer Info 146 | September 2021 7
THEMA ABSCHIED «Wir können dem Leben nicht mehr Ta Mitten aus einem sehr aktiven Leben erhält Barbara Stauber im September 2017 die Diagnose im Spital in Wetzikon, dass sie an AML (die wohl aggresivste Form von Leukämie) erkrankt ist. Überle- benschance ohne Chemotherphie etwa drei Wochen, mit einer «Rosskur» 50 Prozent. Sie nimmt die Herausforderung an und erlebt Höhen und Tiefschläge, die sie uns eindrucksvoll schildert. Text: Rita Gröbli, Barbara Stauber; Fotos: zvg Als ich zufällig im April dieses Jah- plausch, den Rita Gröbli zehn Jahre wendige Jugendarbeit. Wir fanden res in einer «Puls»-Sendung des früher ins Leben gerufen hatte. Es unseren Platz beim Schützenhaus. Schweizer Fernsehens einen Beitrag folgten Vorstandsarbeit im KGV, Es fragten einige Eltern an, ob ich über Palliative Care sehe, bin ich später acht Jahre in der ref. Kir- für sie auch etwas Ähnliches anbie- ganz erstaunt, dass Barbara Stau- chenpflege, wo ich einiges mitbewe- ten würde. Drei Jahre später 2003 ber aus dem Grüt die Patientin ist, gen und initiieren durfte. gründeten wir einen eigenen, SKG- die Bluttransfusionen erhält. Da ich So zum Beispiel auch die Fasten- anerkannten Verein für Jung und sie seit vielen Jahren gut kenne und woche, die Gründung des Vereins Alt. Die Kinder ermuntern, mit ih- weiss, dass sie eine sehr offene Per- Netz und den Dunnschtigstamm. rem vierbeinigen Kameraden etwas son ist, frage ich sie an, ob sie bereit Es freut mich, dass diese Sachen aus Freude zu machen und damit wäre, über ihre unheilbare Krankeit auch heute noch «laufen». auch zu lernen, Verantwortung zu zu berichten. Sie ist sofort einver- übernehmen, das war unser grosses standen und meint, dass man dieses Ziel. Thema ruhig mal anschneiden und Viele Lager in den Flumserbergen so die Angst nehmen könnte. Ich mit jeweils rund 30 Kindern mit besuche Barbara zu Hause im Grüt. ihren Hunden haben wir geleitet. Sie hadert nicht mit ihrem Schick- Und natürlich einige Erwachsenen- sal, lässt mir einen Lebenslauf und kurse. Langsam hatte ich mich aus viele Fotos zukommen. der Hauptleitung herausgelöst und 2017 übergab ich dann auch mein Nachfolgend der eindrückliche Präsidentenamt. Bericht von Barbara Stauber Im Herbst 2017, mitten im sehr Als Bergbauernmädchen kam aktiven Leben, suchte ich wegen ich im Herbst 1968 ins Zürcher Müdigkeit und Husten den Arzt Oberland. Im Schlössli in Oetwil auf, ich vermutete eine «verschleik- absolvierte ich die Lehre als Psy- te» Lungenentzündung. Der Arzt chiatrieschwester. Im August habe sagte mir: «Ihre Lunge ist in Ord- ich geheiratet und kam dadurch Wieder Haare auf dem Kopf und ärzt- nung, aber sie haben fast kein Blut ins Grüt, von wo aus ich noch drei liche Verordnung: ein Glas Rotwein. mehr, sie müssen ins Spital!» Not- Jahre im Spital Wetzikon arbeitete. fallmässig und aus heiterem Him- Nach der Geburt unseres Sohnes Als unsere drei Kinder ausgeflogen mel landete ich im Spital Wetzi- lernte ich so langsam auch unse- waren, erwachte mein grosses Hob- kon. Bald stellte sich heraus, dass re Gemeinde kennen und wurde by «Hund und Kind». Erst drei ich (wie mein Hausarzt vermutete) schon in dessen Kindergartenzeit Jahre in Hinwil, dann musste ich an AML (wohl etwa die «böseste» für allerlei Freiwilligenarbeit an- einen neuen Platz suchen, weil so Leukämie) erkrankt war. Ja das war gefragt. Das hat mir auch immer viele Kinder und Jugendliche teil- happig! Freude gemacht! nahmen. Ab 2000 in Gossau wurde Es gebe drei Möglichkeiten zur Be- Elf Jahre lang übernahm ich dann ich auch seitens des Gemeinderats handlung: nichts machen, dann hät- die Hauptleitung für den Ferien- gut unterstützt für diese recht auf- te ich wohl noch etwa drei Wochen 8 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED age geben, aber dem Tag mehr Leben!» zu leben, oder eine Behandlung mit Medikamenten und Bluttransfusio- nen. Chance drei bis sechs Monate, oder eine grosse Chemotherapie, welche zwar eine «Rosskur» sei und nur in drei Spitälern der Schweiz durchgeführt werden könne. Über- lebenschance 50/50! Im Spital frag- te ich dann den Arzt: «Was würden Sie Ihrer Mutter raten?» Er sagte, unbedingt die grosse Chemothera- pie machen, auch wenn es hart ist! Das war es dann auch! Neun Wo- chen im Unispital in Zürich. Dort liessen sie zweimal je eine Woche lang Tag und Nacht Gift in meinen Körper. Es war der Horror! Beim Austritt sagte der Chefarzt: «Die- sen Teil haben sie überstanden. Zweimal dachten wir, wir müssten Wer hätte gedacht, dass ich Mitte April noch den Geburtstag von Hansueli erlebe. sie «ziehen» lassen. Der Tod war praktisch vor der Türe! Die Krankheit kommt zurück Briefe und Kartengrüsse, Telefon- Sehr elend kam ich dann im Januar Ich kam also ins Leben zurück und und WhatsApp-Nachrichten, die 2018 nach Hause, ich war am Ende mein Mann und ich durften wie- ich bekommen habe. Dafür danke meiner Kraft. Ohne Haare und der grosse und kleine Reisen mit ich euch allen: Ihr habt mich durch Fingernägel. Mit Hilfe meiner Fa- dem Wohnmobil unternehmen. eure Teilnahme sehr gestützt. milie und anfänglich der Spitex und Weiterhin war ich im Unispital Seit Ostern 2021 gibt es wellen- grosser innerer Motivation kam ich zur Kontrolle und im September weise Tage, wo es besser oder we- langsam wieder auf die Beine. 2019 musste mir der Arzt sagen, niger gut geht. Schwindel, Fieber Etwas darf ich sagen, ich hatte nie dass die bösen Krebszellen zurück- oder Schmerzen begleiten mich mit meinem Schicksal gehadert! kommen und ich nur noch palliativ (für Letzteres darf ich Schmerz- So nach dem Motto, warum gera- behandelt werden könne. Nach me- mittel nehmen). Oft habe ich mir de ich? Ich nahm sie Situation an, dizinischem Ermessen werde ich gewünscht, dass ich am Morgen zwar leidend. Und zum Teil mit Weihnachten noch erleben, aber nicht mehr aufwachen würde. Aber vielen Schmerzen. Ich darf schliess- wie viel mehr, sei eine grosse Frage. ich weiss, dass das nicht in unseren lich auf ein reich erfülltes Leben Es könne dann eventuell plötzlich Händen liegt. zurückblicken, von vielen Gebeten sehr schnell gehen. Ich solle noch Am Sonntag Ende April habe ich von Freunden und Familie beglei- alles erledigen, was ich möchte, mich nach einer sehr schwierigen tet. Dazu haben mir ganz viele Kar- und vor allem meine Zeit noch Nacht entschieden, keine Antibio- ten- und elektronische Grüsse oft geniessen. Mit der Zuversicht auf tika mehr zu nehmen, meine Kräfte Kraft zum Durchhalten gegeben. ein Weitergehen und die Erlösung schwinden immer mehr. Die Ärzte Mein Konfirmandenspruch «Gott durch Jesus Christus lebe ich nun akzeptieren diesen Entscheid, emp- sei Dank, der uns den Sieg gibt und freue mich an meinen Enkeln fehlen mir mit den wöchentlichen durch unsern Herrn Jesus Chris- und den vielen aufstellenden Wor- Bluttransfusionen noch weiterzuma- tus» (1. Kor. 15, 57) hat mich auch ten von Freunden und Bekannten. chen. Nun lebe ich gestützt durch oft gestützt! Es ist einfach unglaublich, die vielen das Palliative-Care-Team und mei- Gossauer Info 146 | September 2021 9
THEMA ABSCHIED Ich nehme halt jeden lung bewirken können sie auch nicht Tag, wie er kommt. mehr. Für mich ist das okay. Gott al- Manchmal bin ich schon lein weiss, wie mein Leben auf Erden auch traurig. Es ist halt zu Ende gehen wird. Ich bekam das schon nicht einfach, so Leben geschenkt und möchte es in auf dem Pulverfass zu Dankbarkeit dem Schöpfer zurück- sitzen. Aber ich hatte geben. «So nimm denn meine Hän- 70 Jahre ein gutes, wert- de und führe mich bis an mein selig volles Leben. Dafür bin Ende», so heisst es in einem Lied. ich dankbar! Auch dass (P.S. Ob ich wohl noch lebe, wenn ich eine so wertvolle, dieser Bericht erscheint?) tragende Familie habe! DANKE! Barbara Stauber ist am 17. Mai im Kraft vom Glauben Beisein ihrer Familie friedlich einge- Juni 2019 in Conil de la Frontera auf unserer letzten Ich bin nun auch sehr, schlafen. Am Freitag, 28. Mai 2021, Reise mit dem Wohnmobil (um die Iberische Halbinsel). sehr müde geworden. hat eine grosse Trauergesellschaft Aber auf der Quartier- auf dem Friedhof und anschlies- ne Familie. Alle zwei bis vier Wo- strasse versuche ich mit Hilfe eines send in der reformierten Kirche chen bekomme ich eine Blutkon- Rollators zu «spazieren». in Gossau Abschied von Barbara serve, was meine Lebensqualität Grössere Behandlungen möchte ich genommen. jeweils für einige Zeit verbessert. nun nicht mehr machen, denn Hei- «Alles passte zu Mami» Marianne Nacht, Tochter der im Mai verstorbenen Barbara Stauber, und ihr Vater Hansueli Stauber berichten, wie sie die letzten Monate vor Barbara Staubers Tod erlebten, wie sie sich gegenseitig stützten und unterstützten, was ihnen Kraft und Hoffnung gab, aber auch was schwerfiel. Text: Daniela Clerici; Fotos: zvg Barbara Stauber berichtete Wochen «nicht üben können» wie die Zeiten vor ihrem Tod sehr offen, wie die einer Schwangerschaft. Sie hat einiges Familie mit der Diagnose Leukämie über dieses Thema gelesen und erfah- umging. Was geschieht emotional mit ren, dass auch bei Angehörigen auf der Tochter, was geschieht mit dem der körperlichen und hormonellen Ehemann, wenn klar wird, jetzt geht Ebene Ausnahmezustand herrscht. es zu Ende? Marianne Nacht und Aber ein wenig der Reihe nach: Nach Hansueli Stauber nehmen uns mit der völlig überraschenden und vor auf die emotionale Achterbahnfahrt allem völlig niederschmetternden und gewähren uns Einblicke in die Diagnose und den verschwindend schwierige Phase des Loslassens. kleinen Aussichten auf Heilung war Marianne Nacht erlebte in den letzten nichts mehr wie gehabt. Marianne Monaten und empfindet noch heute Nacht erinnert sich, wie sie am Spi- Alles ihnen Wichtige konnte besprochen den Prozess des Abschiednehmens, talbett bei ihrer Mutter sass und werden – Marianne Nacht mit ihrer Mut- die Phasen der Trauer mit all den meinte, jetzt müsse sie einfach ein ter Barbara Stauber und Vater Hansueli. Emotionen und vor allem mit dem paar Minuten weinen. Dies habe 10 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED ihr Ruhe gebracht, aber auch Kraft, unser Nani? Diese Frage würde so- sich, offen zu kommunizieren, aber um das Ganze anzupacken und zu wieso keine klärende Lösung bringen nicht zu jammern. Ihre Sorgen hielt planen. Denn niemand von Barbara und so wurde gemeinsam nach vorne sie in einem Jammertagebuch fest. Staubers Angehörigen war bereit, die geschaut. Die grosse Anteilnahme Das Projekt ‹Lebensspiegel› der noch so aktive Ehefrau und Mutter und auch der Glaube an Gott spenden Andreas-Weber-Stiftung ermög- einfach so gehen zu lassen. Marianne der ganzen Familie Stauber viel Kraft. lichte einen Lebenslauf, mit Blick Nacht: «Als wir merkten, dass Mami auf das Positive.» nach kurzer Bedenkzeit sich mit der Endgültigkeit und Abschied Diagnose und der Aussicht, nur noch Barbara Stauber erholte sich lang- Versteckte Grüsse und Wünsche ein paar Wochen zu leben, beinahe sam, gemeinsam mit Hansueli un- Eine genaue Prognose, wie viel Zeit abgefunden und keine Lust mehr hat- ternahmen sie Reisen, mit der gan- Barbara Stauber noch bleibe, konnte te, gross zu kämpfen, und ihr Lebens- wille schwand, da erst spürten wir, dass wir noch nicht bereit waren, sie loszulassen. Aber wie weit lassen wir ihr ihren Eigenwillen, wie stark sollen wir sie ermutigen, stark und positiv zu bleiben, wie viel Egoismus unse- rerseits ist im Spiel? Es war eine emo- tionale Gratwanderung. Wir haben eine Fotokette gebastelt, um sie daran zu erinnern, für wen sie kämpft. Zum Glück haben auch die Ärzte deutlich zur Chemotherapie geraten, sie sei noch zu jung, um zu sterben.» Aber es war wirklich sehr hart. Für Barbara Stauber und für ihren Mann Neue Spielformen entdecken: Barbara Stauber spielt zwei Wochen vor ihrem Tod Hansueli, der täglich nach Zürich mit der jüngsten Enkelin im Liegen. reiste, um unter allerstrengsten Hy- gienemassnahmen an ihrem Bett zu zen Familie Ausflüge. Im September niemand machen, aber nach medizi- sein. Einfach dazusitzen und zu erle- 2019 die erneut niederschmetternde nischem Ermessen sollte sie Weih- ben, wie der Medikamentencocktail Gewissheit: Die Krebszellen sind zu- nachten 2020 nicht mehr erleben. das Immunsystem seiner Frau zer- rück. Gemeinsam fiel der Entscheid Vorbereitungen werden in Angriff stört. Auch an Tagen, an denen Bar- nur noch palliativ zu behandeln. genommen. Barbara Stauber hat im- bara Stauber erschöpft eigentlich gar «Meine Mutter, wir alle, glauben an mer sehr offen kommuniziert, teilte niemanden sehen wollte … ein Weitergehen und die Erlösung auch mal per WhatsApp den Status Wochen später, Anfang 2018, durf- durch Jesus Christus – das trägt mit, war organisiert und hatte direkt te Barbara Stauber nach Hause. Die ungemein. Und dank der Unter- mit Pfarrer Christian Meier Kontakt ganze Familie genoss nun die Mög- stützung des Palliative-CareTeams aufgenommen und ihre Wünsche für lichkeiten, die das Mehrgenerationen- von Wetzikon war das Zuhause- die Beerdigung mitgeteilt. Auch einen haus im Grüt bietet. Barbara Stauber bleiben möglich. Für meinen Vater, Lebenslauf schrieb sie, sammelte viele und ihr Ehemann leben in der oberen aber auch für mich, war dies eine Zitate, Gedichte und kleine Texte, die Wohnung, unten auf zwei Stockwer- enorme Entlastung. Medizinisch, ihr gefielen, die Trost spenden – auch ken Marianne Nacht mit Ehemann pflegerisch und auch emotional. für ihre Lieben. «Noch heute, Wo- Simon und den vier Söhnen im Alter Wir wurden als Angehörige wahr- chen nach ihrem Tod, finde ich über- von 7 bis 14 Jahren. Gemeinsam wird genommen, die Fachleute nahmen all in der Wohnung versteckt diese beschlossen, nicht mit dem Schicksal sich auch für uns Zeit, standen mit kleinen Grüsse. Manchmal machen zu hadern. Warum gerade ich, warum Rat zur Seite», berichtet Marianne sie mich wieder traurig, bringen mich meine Frau, warum Mami, warum Nacht. «Meine Mutter entschied aber auch zum Schmunzeln. Typisch Gossauer Info 146 | September 2021 11
THEMA ABSCHIED meine Frau halt», meint Hansueli bett ins Wohnzimmer, Ehemann und war eine Erlösung nach einer langen Stauber. Kinder schliefen abwechslungsweise Leidenszeit, aber ihr Fehlen ist auch Barbara Stauber hat ein Abschiedsge- bei ihr. Die Tochter schildert die jetzt noch furchtbar», meint Hans- schenk für die Enkel organisiert: So letzten Stunden: «Es war schwierig, ueli Stauber. stand ab November ein grosses Tram- nichts mehr tun zu können, ausser bei Als kurz vor 14 Uhr die Spitex eintraf, polin im Garten, es solle die Kinder ihr zu sein. Alle wichtigen Worte wa- war Barbara Stauber in Frieden für trösten, wenn sie traurig sind, und ren gesprochen, es war ein Abwarten. immer eingeschlafen. Sie wurde um- ihnen Momente der Freude und des Am Montagmorgen, am 17. Mai, hat- gekleidet und alle konnten nochmals Lachens schenken. te ich den Eindruck, es wäre gut, wenn im Wohnzimmer Abschied nehmen Jedes Familienmitglied fand Raum Pfarrer Meier nochmals vorbeikom- – auch Nachbarn und Freunde, da die im Prozess des Abschiednehmens. men könnte. Wenige Minuten später Überführung in den Aufbahrungs- Babara Stauber respektierte und ver- war er da und sprach mit uns allen ein raum erst am nächsten Tag stattfand. stand auch, dass ihre vier Enkel, die letztes Gebet und salbte meine Mut- Sie nochmals anschauen, berühren, unter dem gleichen Dach leben, ganz ter, dazu konnte sie sogar nochmals mit ihr sprechen – es war ein wich- unterschiedlich mit der Situation um- aufsitzen. Über Mittag wurde sie tiger Teil des Abschiednehmens. Der gingen. Von neugierig unbefangen bis WhatsApp-Status von Barbara wur- sich zurückziehend, alle Jungs durften de aktualisiert – «auch das passte zu individuell mit der Trauer umgehen. Mami, das hat sie sich so gewünscht». Waren sich immer alle einig, stimm- Das Trauergespräch und die Vor- ten die Vorstellungen von Barbara bereitung zur Beerdigung fanden Stauber und den Angehörigen immer neben ihr statt. Die Aufgaben rund überein? «Vieles sahen wir ähnlich, um die Organisation der Beerdi- eine Verabschiedung zum Beispiel gung wurden auf die ganze Familie ‹im kleinen Kreis› oder ‹auf Wunsch aufgeteilt. Es wurde viel geweint, des Verstorbenen›, wie man hin und aber auch erstaunlich viel gelacht, es wieder liest, war nicht unseres. Ich gibt so wunderbare Erinnerungen. sagte meiner Mutter, dass es für uns Barbara Stauber hat offen über ihre Trauernde stimmen muss, wir die Krankheit und das Sterben gespro- Hinterbliebenen sind, die dann leiden. Barbara Staubers Hinterbliebene chen, das half nun auch den Ange- Auch als meine Mutter vorschlug, fühlen sich in ihrer Trauer auch an der hörigen, offen darüber zu reden, und die Todesanzeigen gestaffelt zu ver- Abdankungsfeier von der Gemein- ist sicherlich heilsam im Trauerpro- senden und nur nahe Freunde an die schaft getragen. zess. «Die Situation, dass einfach am Abdankung einzuladen, haben wir nächsten Tag wieder eine Zeitung gestritten. Ich fand, alle seien mündig, sehr unruhig, der Hausarzt kam und erscheint, empfand ich in diesem selbst zu entscheiden, ob sie dabei sein half ihr mit Schmerzmitteln. Lange Moment als schräg – unsere Mutter wollen; und nicht einfach vor vollen- werde es wohl nicht mehr dauern, und langjährige Gefährtin meines dete Tatsachen, sprich einen bereits meinte er. Plötzlich griff sie mit ei- Vaters ist erst gerade verstorben und verstrichenen Beerdigungstermin, ner Kraft, die wir ihr gar nicht mehr die Welt dreht sich einfach weiter», gestellt zu werden. Der Wunsch nach zugetraut hätten, nach meinem Va- meint Marianne Nacht. «Aber es einer Kremation, der Beisetzung im ter, öffnete die Augen, zog ihn zu war sehr eindrücklich, zu sehen, dass Familiengrab oder der Musik an der sich und sagte «Dankä für alles». In Mami auch anderen fehlt. Dies zeig- Beerdigung stimmte auch für uns.» seinen Armen schlief sie ein. Jeman- ten uns die vielen persönlichen Trau- dem in diesem Moment so nahe zu ergrüsse mündlich oder schriftlich, Die letzten Stunden sein, berührte mich sehr, es war viel die Anteilnahme war enorm. An Ende April entschied Barbara Stau- Ruhe im Raum und ich hatte den der Beerdigung, aber auch Tage und ber, die Antibiotika abzusetzen und Eindruck, ich könne einen Blick auf Wochen danach. Es war schön, dass nur Schmerzmedikamente zu neh- die ewige Herrlichkeit erhaschen.» die Gesellschaft keine Berührungs- men. Es war klar, dass der Abschied «Der Moment des Sterbens mei- ängste hatte, uns offen ansprach und nun nah ist. Sie zügelte auf ein Pflege- ner Frau fand ich nicht schlimm, es mit uns trauerte.» 12 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED Die Trauer feiern – ein wichtiges Ritual Wir sind uns bewusst, dass auch in Gossau verschiedene Religionen gelebt werden. Es würde jedoch den Rahmen dieser Ausgabe des «Gossauer Infos» sprengen, auf jede einzelne einzugehen. Im Folgen- den kommt daher der Vertreter einer Richtung zu Wort. Wir haben uns mit Markus Widmer, Seelsorger und Pfarreibeauftragter der Römisch-katholischen Pfarrei Gossau ZH, unterhalten. Text: Karin Herrmann; Foto: zvg In den meisten Fällen wird Markus feier stattfinden soll, Lebenslauf, Widmer durch die Gemeinde infor- Bestattungsart. Manchmal stehen miert, wenn ein Todesfall ein Mit- Hinterbliebene beinahe hilflos da, glied der Röm.-kath. Kirche Gossau es wurde nie darüber gesprochen. betrifft. Es ist ein Zeichen unserer Vielleicht möchte nun ein Teil der Zeit, dass er aufgrund der Meldung Hinterbliebenen eine in ihren Au- oft noch kein Gesicht vor Augen hat. gen klassische Abdankung, mit Aus Datenschutzgründen werden Eucharistiefeier, kirchlicher Orgel- Patienten in Krankenhäusern von musik, Lebenslauf. Der andere Teil Spitalseelsorgern betreut. Besuche hat sich vielleicht längst von diesen und das Sakrament der Kranken- Ritualen verabschiedet, glaubt, dass salbung, früher als letzte Ölung be- eine solche Feier dem Verstorbenen zeichnet, geschehen demzufolge oft nicht entspricht. Hier steht Markus durch diese Seelsorger. Don Marek Widmer als Vermittler zur Seite. Gorski, priesterlicher Mitarbeiter in Einige Vorgänge bleiben sich so- Gossau, kann nur auf persönlichen wieso gleich. Sofern die Angehöri- Wunsch Pfarreimitglieder beglei- gen zustimmen, wird der Todesfall ten und Krankensalbungen erteilen. in der ersten Eucharistiefeier nach Dies geschieht oft mehrere Male, dem Todestag erwähnt, mit einem denn die Salbung soll helfen. Helfen Aushang beim Kircheneingang auf dem Weg zur Heilung oder beim werden die Kirchgänger zusätzlich Übertritt in die andere Welt. informiert. Die Katholische Kirche Nach Erhalt der Meldung eines To- kennt den Brauch eines Gedächtnis- Markus Widmer. desfalls setzt sich Markus Widmer gottesdienstes um den 30. Tag nach mit den Angehörigen in Verbindung dem Tod («Dreissigster») sowie das Er geht auf viele Wünsche ein, so- und bietet an, sie bei ihnen zuhau- Jahresgedächtnis. Zudem werden an lange er dafür seine eigene Glaubens- se zu besuchen. Wenn sie auswärts Allerseelen alle Namen der während überzeugung nicht verleugnen muss. wohnen, empfängt er sie im Pfar- des Jahres Verstorbenen erwähnt, Er erinnert sich an eine Abschieds- reizentrum. Im Gespräch macht sofern der Todesfall öffentlich be- feier für einen aus der Kirche ausge- sich Markus Widmer behutsam ein kannt gegeben wurde. An diesem tretenen Katholiken. Die Angehöri- Bild der Situation. In welchem Ver- Tag, vor allem das erste Mal nach gen baten aufgrund des damaligen hältnis stehen die Hinterbliebenen dem Trauerfall, treffen sich auch Briefwechsels trotzdem um eine zum Verstorbenen*, waren sie auf heute noch viele Angehörige in der katholische Beerdigung. Die Hinter- die Situation vorbereitet, wissen Kirche oder beim Grab, um gemein- bliebenen waren sich anschliessend sie, welche Form der Abschiedsfeier sam zu gedenken und Kerzen für die sicher, dass der Verstorbene diesen sich der Verstorbene gewünscht hat? Vorangegangenen zu entzünden. versöhnlichen Abschied und die Manchmal ist alles genau festgelegt, Markus Widmer ist sehr offen bei Feier sehr geschätzt hätte. In einem in welchem Kreis die Abdankungs- der Gestaltung der Abschiedsfeier. anderen Fall schlug Markus Wid- Gossauer Info 146 | September 2021 13
THEMA ABSCHIED mer den Angehörigen vor, die Feier verabschieden. Eine ganz besondere Verstorbenen, die erlebten Freuden, aus der Kirche in den Pfarrsaal, auf Situation erlebte Markus Widmer die erlittenen Brüche, Schicksalhaf- neutraleren Boden zu verlegen, weil zu Beginn seiner Tätigkeit. Er wur- tes mit Hilfe von biblischen Texten der Verstorbene sich zu Lebzeiten de von einem Vormund gebeten, auf in einen Zusammenhang zu stellen, schwertat, eine Kirche zu betreten. dem Friedhof eine Trauerfeier für der Trost und Kraft gibt. Und einen Ebenso berührten ihn Abschieds- einen seiner Schützlinge abzuhalten. grossen Wunsch hat Markus Wid- feiern, bei denen mit verschiedenen Er konnte ihm keine näheren Anga- mer an uns Lebende: Beschäftigen symbolhaften Gesten der Toten ge- ben zum Verstorbenen machen und wir uns doch mit diesem letzten Akt dacht wurde. Eine Vase, in welche die wusste auch nicht, ob irgendjemand unseres Daseins. Wie möchten wir, Trauergäste jene selbst mitgebrachte zur Beerdigung kommen würde. dass dieser geschehen soll? Fast jeder Blume stellten, die ihr Gefühl für Eine solche Abdankung konnte sich von uns war doch schon in der Situ- den Verstorbenen ausdrückte, ein der Seelsorger nicht vorstellen, wie ation, dass er einen lieben Menschen Lichtermeer aus an der Osterkerze sollte er diesem Menschen gerecht verabschieden musste. Wie hilfreich entzündeten Kerzen, was Hoffnung werden? Am Abend vor der Beer- und tröstlich ist es doch, wenn die- auf eine trotzdem helle Zukunft digung erzählte er während eines ser letzte Liebesbeweis im Sinn des macht, ein Film im Hintergrund, der Erwachsenenbildungskurses von sei- Verstorbenen erfolgen kann. Markus besondere oder typische Stationen nem nicht einfachen nächsten Tag. Widmer steht gern jedem zur Seite, aus dem Leben des Dahingegange- Er war zutiefst berührt, als an der der über dieses Thema sinnieren und nen zeigt, Fotos, Bilder, Musik, Ge- Beerdigung einige Kursteilnehmer zu einem Entscheid kommen möch- sang, persönlich vorgetragene Ge- vor Ort waren und sich zusätzlich te. Es braucht Mut, das Thema der danken – vieles ist möglich. Markus noch weitere Bekannte des Toten eigenen Endlichkeit so pragmatisch Widmer musste noch nie etwas ab- einfanden. Es entstanden Gespräche, anzugehen, aber wir entlasten un- lehnen. Er stellt auch fest, dass Trau- hier ein kleine Begebenheit aus dem sere Hinterbliebenen, die meist nur ergäste in dieser Situation sehr offen Leben des Verstorbenen, dort eine schon mit ihrer eigenen Trauer mehr sind und sich durch Ungewohntes Erinnerung. Diese Feier ist Markus als genug zu tun haben. nicht irritieren lassen. Widmer bis heute als besonders Heute werden viele Abschiede im schön im Gedächtnis geblieben. *Aus Gründen der besseren Lesbar- engsten Familienkreis abgehalten. Auf die Frage, ob sich seit seinen An- keit wird auf die gleichzeitige Ver- Das erweiterte Umfeld des Ver- fängen als Seelsorger etwas geändert wendung der Sprachformen männ- storbenen wie Nachbarn, Freunde, hat, meint er, dass er weniger Worte lich, weiblich und divers (m/w/d) Arbeitskollegen oder Vereinskame- mache als früher, weniger predige. Er verzichtet. Sämtliche Personenbe- raden müssen in diesen Fällen ih- versuche mehr, das von den Ange- zeichnungen gelten gleichermassen ren eigenen Weg finden, wie sie sich hörigen vermittelte Lebensbild des für alle Geschlechter. G OSSAU ER Wienachtsmärt 4. Dezember 2021 | 14 bis 20 Uhr | Ernst-Brugger-Platz 14 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED Als sei es gestern gewesen So vieles wollten sie gemeinsam noch tun, so viele Pläne, so viele «das machen wir dann». Vor allem aber wollten sie gemeinsam das eben gekaufte alte Haus renovieren, es für ihre Familie mit den zwei Söhnen umgestalten, sich ein Heim schaffen. Es sollte nicht sein. Mitten in diese Zeit des Aufbruchs der Schicksals- schlag, Beat Herrmanns Tod, der Karin und ihren Kindern den Boden unter den Füssen wegzog. Text: Geneviève Bichsel, Fotos: zvg Es war Frühling in jenem Jahr 1997. Karin Herrmann und ihr Mann Beat lebten mit ihren Kindern ei- nen Alltag voller Aktivitäten, aber auch viel Arbeit. Da waren die Söh- ne Alexander und Tobias in einem Alter, wo die Gratwanderung zwi- schen elterlicher Fürsorge und ver- trauensvollem Loslassen Väter und Mütter immer wieder vor grosse Herausforderungen stellt. Da waren auch die persönlichen Leidenschaf- ten, die Zeit und Energie kosteten, für Beat Hermann seine Hunde, für Karin die Pferde, diese Liebe zu Tieren, die sie teilten und die sie auch bei den alltäglichen Schwierig- keiten immer verband. Und dann dieses ganz grosse Projekt, dem sie Letzte gemeinsame Ferien, Sommer 1996. andere Wünsche und ganz viel Zeit opferten: das alte Haus, das ihr zu- quenzen sprechen, liess ihre Fragen «Wir schaffen das!» künftiges Zuhause werden sollte. unbeantwortet, Karin konnte seine Innerhalb dreier Tage ist ihre Welt Es brauchte nicht viel geredet zu Abwehr nicht durchbrechen. Dass zusammengebrochen. In die Fas- werden, jeder wusste, was zu tun die Ärzte keine Ursache feststellen sungslosigkeit und bodenlose Trau- war. konnten, machte es auch nicht bes- er mischen sich Wut, Fragen um Die Kinder eingebunden in die ser, dann doch lieber schweigen … das «Warum», Verzweiflung über Arbeit, die Eltern absorbiert durch Und dann jener Freitag im April. diese Ungerechtigkeit. Karin weiss das Vorhaben, die Erfüllung eines Beat wird stark geschwächt für wei- sofort, dass sie ihre Aufgabe ganz Lebenstraums. tere Untersuchungen ins Kranken- im Sinn von Beat weiterführen will. So fiel es zuerst gar nicht auf, dass haus eingewiesen. Erst jetzt erhält Es ist ein Versprechen voller Dank- Beat manchmal müde war, schnel- er die Diagnose Krebs. Karin be- barkeit für alles, was er für sie und ler erschöpft und etwas kurzatmig. sucht ihn mehrmals täglich. Doch die Kinder getan hat. In ihrem tiefs- Die Arbeit war unglaublich an- es bleibt nur noch wenig Zeit. Am ten Innern ist sie sich sicher, dass sie strengend, klar, dass er müde wur- Sonntagmorgen möchte ihn Karin das schaffen kann. Auch wenn es de. Und der Husten, vielleicht doch wieder besuchen, diesmal mit To- unendlich schwer werden sollte. Für eine Zigarette zu viel? Beat mochte bias. Von weitem sieht sie die Ärzte ihn, der das Werk nicht vollenden nicht darüber reden, mochte mit vor Beats Zimmer, sie ahnt, nein sie konnte, aber auch für ihre Kinder. Karin nicht über mögliche Konse- weiss, dass Beat gestorben ist. Sie werden zu einer verschwore- Gossauer Info 146 | September 2021 15
THEMA ABSCHIED Fehler zu viel gemacht? Hätte ich meine Wünsche mehr zurückstel- len sollen? In all dem Schweren trägt sie die Überzeugung, dass sie ihr Schick- sal meistern wird. Gross geworden in einer Familie, die nicht zuletzt die Töchter zu Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit erzogen hat, schöpft sie Kraft aus diesem Selbst- verständnis. Sie wechselt den Job und führt die Renovierung ihres Hauses weiter. Jeden Tag besucht sie Beats Grab, hält Zwiesprache, trauert und lässt alle Gefühle zu. Sie trauert um ihn, um die verlorenen Träume, trauert Tobias, in der Oberstufe, macht ihr aber auch für Beat, der seine Pläne Sorgen. Er nutzt die Nachsicht der nicht verwirklichen und sein Leben Lehrkräfte und Mitschüler, um die nicht wirklich vollenden konnte. Regeln zu brechen. Alexander steht Ein Jahr braucht Karin, bevor sie am Anfang seiner Lehre und ver- sich zurück ans Leben herantasten sucht sich als Punk. Beide zeigen kann und sich stark genug fühlt, ihre Trauer kaum und mögen nicht Normalität zu leben. Verleugnet darüber sprechen. Das Leben von hat sie sich nie, hat sich ihre Träume beiden wurde erschüttert, aber sie und Wünsche bewahrt und erlaubt suchen Normalität, ihr Fokus ist sich langsam, diese auch zu verwirk- das eigene Leben und dessen Ver- lichen. wirklichung. Damals wie heute sind sich die beiden Brüder zutiefst ver- Karin: Bis heute denke ich jeden bunden, sind immer füreinander da Tag an Beat, empfinde ihn als ge- und sind sich wohl gegenseitig die genwärtig in meinem Leben. Meine engsten Vertrauten. Schuldgefühle haben mich lange Für Karin bleibt die Leere, die begleitet, aber mittlerweile sind die- Projekt Sanierung altes Haus. Trauer, die Einsamkeit. Wie dank- se verstummt und ich denke voller bar ist sie für Freunde und Familie, Dankbarkeit an unsere gemeinsame nen Gemeinschaft, für die Söhne die sie unterstützen, ihr unkompli- Zeit und das Geschenk einer gros- manchmal schwierig, aber sie se- ziert und ohne Aufhebens zur Seite sen Liebe. In meiner schwersten hen und spüren die Notwendigkeit, stehen, mit ihr reden, sie einladen, Zeit haben mir, neben meinen Kin- zusammenzuhalten. Und doch, mit ihr kochen und essen und auch dern, jene Menschen geholfen, die dieses «wir schaffen das, nicht zu- das Banale teilen. sich mir zugewandt haben, die mich letzt für Beat» ist für die beiden ohne Wenn und Aber, aber auch Jugendlichen eine schwerwiegende, Die Trauer sitzt tief ohne Berührungsängste begleitet manchmal sicher auch zu schwere Gegen aussen scheint Karin stark, und meine Trauer ausgehalten ha- Verpflichtung. gegen innen ist sie traurig, verzwei- ben. Das Leben mit den Trauern- felt und quält sich mit Schuldge- den teilten, nicht aus Unsicherheit Wie kann sie ihre Kinder unter- fühlen. Habe ich genug getan, hät- wegsahen oder sich fernhielten. stützen, genügt die gegenseitige te ich nicht liebvoller sein müssen, Dies hätte die Einsamkeit und Ver- Nähe, um zu trösten? habe ich etwas versäumt oder einige lorenheit nur noch grösser gemacht. 16 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED Auch reden über den Verstorbenen, war dies anfangs schwer, immer wieder über den Verlust und doch im Rückblick hat das Geschehene reden, das hat mir dies meine Selbständig- gutgetan. keit gefördert und mein Erst seit wenigen Jahren sehe ich Selbstbewusstsein ge- mir Fotoalben aus unserer gemein- stärkt. samen Zeit an. Meinem Enkel und Die Erfahrung, dass von meiner Enkelin zeige ich Fotos und heute auf morgen alles erzähle ihnen von der Kindheit ih- anders sein kann, dass res Vaters Alexander. Manchmal jederzeit Verlust und taucht Beat in diesen Erzählungen Tod eintreffen können, auf und wird in unserem Leben hat mich geprägt. Ich präsent. Das finde ich wunder- suche nicht unbedingt schön. Wie gerne wäre ich an seiner Sicherheiten, sondern Seite Grossmutter, er wäre ein gros- gehe auch Risiken ein, sartiger Grossvater. nicht zuletzt im Wissen, dass nicht das Risiko Alex: Zuerst war da diese boden- gefährlich ist, sondern lose Traurigkeit und Hilflosigkeit, das Leben an sich kei- später das Gefühl einer grossen ne Sicherheiten bietet. Ungerechtigkeit. Ich erinnere mich Andererseits lässt mich aber auch, dass ich gedacht hatte, das Gefühl, dass etwas nun der Mann in der Familie sein zu nicht von Dauer sein müssen, ein Klischee, vielleicht aus könnte, freier leben, den Filmen …, mit 15 Jahren eine riesige Moment intensiver ge- Überforderung. niessen, das Flüchtige Ich erinnere mich aber auch, wie auskosten, zwingt mich, die Angst vor Verlust wuchs. Ver- nichts aufzuschieben mutlich hat mich einiges aus dieser und mich nicht in fal- Tragödie geprägt. Bis heute fällt scher Sicherheit zu wie- es mir nicht leicht, mich auf einen gen. Menschen oder eine Beziehung ein- Karin lebt auch heute zulassen, das Gefühl, es könnte mir ein selbstbestimmtes weggenommen werden, nagt oft an Leben. Unabhängig von mir. Es hat mich aber auch gelehrt, Meinungen und Urtei- den Moment zu geniessen und da- len anderer. Sie hat sich für dankbar zu sein. einige ihrer Träume erfüllt und einige auf- Tobias: Meine Erinnerungen an gespart. Ihre Verbun- Beats Tod sind vielschichtig, vieles denheit mit Beat ist bei fühlte sich surreal an. In der Schule unserem Gespräch, so Zustand heute. war ich der arme Tobias, dem viel viele Jahre nach seinem Mitleid entgegengebracht wurde. Tod, immer spürbar. damit anderen Mut gemacht, gera- Das habe ich ausgenutzt. Zuhause de in den ganz schweren Momen- mussten wir nun fest mitanpacken, Ich möchte mich bei Karin Herr- ten des Lebens den eigenen Weg zu ich wusste, Beat ist nicht mehr da, mann und ihren Söhnen von Her- suchen und unbeirrt zu gehen. Sie er kann es nicht für mich, nicht für zen bedanken. Sie haben ihre Erfah- selbst haben dies getan und uns dar- uns machen, also tu es selbst. Ob- rungen mit uns geteilt, haben offen an auf berührende, beeindruckende wohl ich die Notwendigkeit einsah, über ihre Gefühle gesprochen und Weise teilnehmen lassen. Gossauer Info 146 | September 2021 17
THEMA ABSCHIED Würdevolle Betreuung in der letzten Suzanne Nussbaumer (59), Pflegefachfrau, arbeitet seit vielen Jahren bei der Spitex Bachtel in Gossau und ist auch Mitglied bei der Fachgruppe Palliativ Care der Spitex Bachtel. Text: Rita Gröbli, Foto: zvg Was hat Sie bewogen, sich weiter- sind stets in engem Kontakt mit zubilden und sich in der Fachgruppe dem Palliativ-Care-Team in Wet- Palliative Care zu engagieren? zikon. Sowohl das Palliativ-Care- Meine frühen Erfahrungen mit Team des GZO als auch die Spitex Krankheit und Sterben in der Fa- Gossau sind während 24 Stunden milie und im Freundeskreis ha- erreichbar. ben mich geprägt und mir gezeigt, Gibt es Anzeichen, dass der Tod bald dass die Begleitung schwerkranker eintritt? Menschen intensiv, aber sehr berei- Die Person ist meistens sehr müde, chernd ist. Diese Erfahrungen ha- will nicht mehr essen und trinken, ben mir auch gezeigt, wie wichtig es schläft viel. Es kann eine Unruhe ist, in der letzten Lebensphase eine auftreten, die Atmung wird flacher würdevolle Pflege und Unterstüt- und unregelmässiger. zung zu erhalten. Meine Mutter habe ich bis zu ihrem Kommt das oft vor, dass Sie einen Suzanne Nussbaumer. Ableben begleitet. Sie hat ihren na- Patienten begleiten müssen? hen Tod wohl geahnt und alle Fa- Ja, in der Pallativbetreuung wer- wird besprochen, was für Pflege/ milienmitglieder eingeladen, um den ja nicht nur Krebspatienten Unterstützung gebraucht wird. von ihr Abschied zu nehmen. Das betreut. Menschen mit anderen Der Palliativ-Care-Mediziner oder war sehr berührend und eindrück- schwerwiegenden Erkrankungen Hausarzt erstellt einen Notfallplan. lich für alle – die Mutter ist dann wie z. B. Amyotropher Lateralskle- Darauf wird festgelegt, wer im Not- kurz darauf verstorben. rose (ALS) erhalten genauso eine fall wann zu erreichen ist und wel- Welche Vorkehrungen treffen Sie, intensive und umfassende Pflege. che Medikamente wie oft gegeben nachdem der Tod beim Patienten Die Palliative Care ist also integ- werden können. eingetreten ist? riert in unserer täglichen Pflege. Welche Pflege kommt bei Ihrem Wenn wir nicht vor Ort sind, wenn Wen muss man kontaktieren, um Einsatz zu Hause auf Sie zu? der Patient/die Patientin stirbt, er- jemanden zu Hause zu pflegen? Das kann sich um tägliche Kont- halten wir eine Benachrichtigung In der Regel ist der Patient oder die rollbesuche handeln, wo es darum von den Angehörigen. Wir kontak- Patientin schon lange in hausärzt- geht, nachzufragen, ob z. B. Sym- tieren daraufhin den Hausarzt oder licher Betreuung. Das Team der ptome genügend behandelt sind, Pallativ-Arzt – dieser bestätigt den Spitex erhält eine Anmeldung zur oder dringende Fragen zu klären. In Tod. Anschliessend wird die ver- Pflege oder ist bereits bei uns be- einer späteren Phase kommt Hilfe storbene Person gewaschen und kannt. Eine Anmeldung durch das bei der Körperpflege dazu sowie eingekleidet. Eine Kerze wird ange- Palliativ-Care-Team in Wetzikon Verabreichung von Medikamen- zündet oder Blumen aus dem Gar- findet kurz vor Austritt des Patien- ten über einen Katheter unter die ten auf den Nachttisch gestellt. Der ten statt. Haut, wenn schlucken nicht mehr Bestatter wird kontaktiert und ein Zu Hause wird dann eine soge- möglich ist. Leitfaden abgegeben, damit die An- nannte Bedarfsabklärung durch Wir unterstützen die pflegenden gehörigen wissen, welche Formali- eine Pflegefachfrau gemacht. Zu- Angehörigen in der Körperpflege, täten zu regeln sind. Nach sechs bis sammen mit den Angehörigen führen intensive Gespräche und acht Wochen meldet sich eine Pfle- 18 Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA ABSCHIED Lebensphase Palliative Care Die meisten Menschen wünschen sich ein langes, gesundes Leben und wenn gefachfrau der Spitex Gossau, um eine unheilbare Krankheit zu Behinderung, Leiden und Abhängigkeit führt, nach dem Befinden zu fragen oder rasch, ohne Qual und zu Hause zu sterben. Tatsächlich geht dieser Wunsch heute nur für einen kleinen Teil der Menschen in Erfüllung. Viele leiden in den ob ein Besuch erwünscht ist. letzten Wochen bis Monaten vor dem Tod unter mässigen bis starken Schmer- Ist diese Arbeit nicht sehr belastend? zen, Atemnot, Erbrechen und anderen Beschwerden. Nur noch 15 Prozent Nicht unbedingt. Man wird in der Menschen können den letzten Schritt ins grosse Unbekannte in vertrauter Weiterbildungskursen auch immer Umgebung und begleitet von ihren Angehörigen unternehmen. wieder auf dieses Thema sensibili- siert. Auch im Team tauschen wir Gute Palliative Care kann das ändern uns regelmässig aus und stützen Schmerzen und andere Symptome werden bestmöglich gelindert. Wünsche uns gegenseitig in speziell schwie- des betroffenen Menschen bestimmen Pflege und Begleitung. Seelisches rigen Situationen. Einen Menschen Empfinden, soziale Beziehungen und spirituelles Erleben werden einbezogen. zu begleiten bis zum seinem Tod, Unterstützung, Anleitung und Information von Angehörigen sind integriert. kann eine sehr erfüllende Aufgabe «Palliare» ist lateinisch und heisst «umhüllen» oder «einen Mantel umle- sein. Mithelfen, die Lebensquali- gen». Das englische «care» bedeutet «Betreuung» und macht deutlich, dass tät für Schwerstkranke so gut als sich neben Ärzten und Pflegenden auch andere Berufsgruppen wie Seelsorge möglich zu erhalten und die be- oder Sozialdienste umfassend um das Wohl des Betroffenen kümmern. treuenden Personen in der Pflege zu unterstützen, gibt einem vieles. Leistungen des spezialisierten Palliative-Care-Teams am GZO Spital Natürlich, wenn es sich um junge Wetzikon unter der Leitung von Dr. med. Andreas Weber Patienten handelt, kann es durch- Speziell am Angebot der Palliative Care des GZO Spitals Wetzikon ist, dass aus sehr belastend sein. Ich habe die nachfolgenden Leistungen in allen Kliniken der GZO, aber auch in den meine Schwester früh verloren und Pflegeheimen und zu Hause angeboten werden. weiss, wie schwierig und traurig sol- – Palliative Beratung der Patientin oder des Patienten sowie der nicht beruf- che Erlebnisse sind. lich an der Pflege Mitwirkenden (Angehörigen) im Umgang mit schweren Wie erholen Sie sich? Krankheitssymptomen und instabilen Situationen durch speziell qualifizierte Ich bin sehr gerne in der Natur un- Pflegefachpersonen. terwegs, pflege meinen Garten und – Vermittlung und Organisation von Fachleuten zur psychosozialen und spi- zudem kann ich mich beim Malen rituellen Unterstützung. auf andere Gedanken bringen und – Notfallplanung für zu erwartende Komplikationen entsprechend Patien- mich dabei erholen. tenverfügung (Advanced Care Planning), in Zusammenarbeit mit Ärztin/Arzt. Was sollte nicht vergessen werden? – Rasche (im Notfall innerhalb einer Stunde) und fachgerechte Behandlung Es ist hilfreich, wenn bereits eine bei ungenügend kontrolliertem Leiden, auch nachts und an Wochenenden Patientenverfügung, Wünsche für (bei bereits bekannten Patienten). Bestattung und Abschiedsfeierlich- – Installation und Betrieb von patientengesteuerten Schmerzpumpen. Pa- keiten vorhanden sind. Das erleich- renterale Medikamentenzufuhr über subkutane, intravenöse Kanülen oder tert auch vieles für die Hinterbliebe- über Port-à-Cath, inkl. Einlegen von Port-Nadeln und sofortigem Zugriff auf nen, zu wissen, was die verstorbene entsprechendes Material und Medikamente. Person sich gewünscht hat. – Ethische Entscheidungsfindung und Durchführung einer palliativen Seda- tion in Zusammenarbeit mit Ärztin/Arzt. Spitex Bachtel AG/Zentrum Gossau Laufenbachstr. 23, 8625 Gossau ZH Palliative Care c/o GZO Spital Wetzikon Tel. 044 576 00 04 Spitalstrasse 66, 8620 Wetzikon Wir sind neu auch nachts für Sie da! Montag bis Freitag, 8.00-17.00 Uhr, Tel. 044 934 23 92 Montag bis Sonntag 24 Std. erreich- Homepage: pall.care@gzo.ch bar unter Tel. 044 576 00 00 Gossauer Info 146 | September 2021 19
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