Hans J. Wulff Die entmachtete Sexualität: Politik, Klonieren und Replikation im neueren Kino
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Hans J. Wulff Die entmachtete Sexualität: Politik, Klonieren und Replikation im neueren Kino Eine erste Fassung dieses Artikels erschien in: Unheimlich anders... Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino. Hrsg. v. Christine Rüffert [...]. Red.: Willi Karow. Berlin: Bertz + Fischer 2005, S. 141-152. Bibliographische Angabe der Online-Fassung: http://www.derwulff.de/2-125. Der Motivkreis des Doppelgängers Der Motivkreis des Doppelgängers Genealogien und Kopien Identität, Sexualität Der Stoffkreis berührt das ältere Motiv des Doppel- Sexualität, Opposition Kontrolle, Totalitarismus gängers, ohne ihn aber fortzuschreiben. Das ist mit Bösesein anderen Filmen anders, sie bewegen sich in seinen Kollektivnutzen, Narzißmus angestammten Interessen und Deutungen. Ange- sichts der bisher vorliegenden Filmographie des Klonierens (Wulff 2001) ist deutlich spürbar, daß die Das wohl zentralste Thema, das in den Filmen, in neuere Figur des Klon-Wesens das Doppelgänger- denen klonierte Figuren auftreten, fast immer be- motiv mit neuer Aktualität wiedererstehen läßt. rührt ist, ist die Frage der Identität und der Stabilität Nicht immer impliziert das Spiegelwesen Bedroh- der Person. Es sind insbesondere Bestimmungen lichkeit, nicht immer ist es mit dem Unheimlichen von Subjektivität und Individualität, die der Klon ir- verbunden. ritiert und die ihn als elementaren Störer einer „nor- malen Welt“ resp. einer „Welt der Normalen“ aus- Der Motivkreis des Doppelgängers ist in drei ver- zeichnen. Ausgangspunkt der folgenden Überlegun- schiedenen Varianten bearbeitet worden (Crook gen ist Blade Runner auch hier ist die Subjektivität 1982): und Individualität der Replikanten Dreh- und Angel- (1) Manchmal haben Figuren verblüffende Ähnlich- punkt der Geschichte. Rechnen sie zu den Men- keit mit anderen, und sie treten in deren Rolleniden- schenwesen oder nicht? Können sie Anspruch auf tität auf. Das kann in ganz unterschiedlichen Kon- Menschlichkeit erheben - und wenn ja, warum? Re- texten geschehen. Manchmal bildet politische Intrige plikation schafft eine Fremdheit im sozialen Verkehr, den Hintergrund - der Doppelgänger tritt auf, um das die nicht mehr auf soziale, ethnische oder rassische Original zu schützen oder die Öffentlichkeit darüber Zugehörigkeit beschränkt bleibt, sondern tiefer geht. hinwegzutäuschen, dass es nicht mehr am Leben ist Allerdings ist die Identifikation des Fremden (ein Beispiel ist Dave, 1993, in dem ein Doppelgän- schwierig, der Voigt-Kampff-Test, der in Blade Run- ger die Rolle des amerikanischen Präsidenten über ner verwendet wird, um die Emotionalität von Ant- eine Krise hinweg weiterspielt). worten zu erheben, unsicher. Es bleibt also eine - an Die meisten der Geschichten dieses Typus sind ko- paranoide Szenarien erinnernde - grundlegende Un- mödiantischer Art; so wird in Il Marchese de Grillo sicherheit, von welcher Identität der jeweils andere (1981) die Ähnlichkeit des im Titel genannten Mar- ist. Aus der Sicht der Menschen, müßte man dazu sa- quis‘ und eines Kohlenhändlers Anlaß für eine ganze gen. Menschen wissen, daß sie auf der richtigen Sei- Reihe lächerlichster Verwechslungen. te sind. Replikanten wissen, daß sie Geschöpfe der Es gibt aber natürlich eine ganze Reihe fast tragisch anderen Art sind. Aber sie können sich tarnen. Repli- anmutender Konstellationen. So ist das Motiv des kanten sind undercover unter den Menschen. Men- falschen Verdachts wie in Hitchcocks The Wrong schen müssen befürchten, von Replikanten umgeben Man (1957) oft mit der Verwechslung von ähnlichen zu sein. Wirklich wissen können sie es nicht. Blade Personen kombiniert. Runner nimmt die soziale Unsicherheit des Para- (2) Der Wiedergänger ist gelegentlich die Wieder- noia-Kinos wieder auf, kleidet sie in ein neues Ge- kehr einer verloren geglaubten geliebten Person. wand. Die irritierende Frage, wer von welcher Art ist Hier erscheint der Doppelgänger dem eigentlichen und ob er möglicherweise eine lebensbedrohliche Helden wie die Wiedererscheinung einer Figur, die Gefahr darstellt, bleibt aber dominierend, überschat- ihm einmal sehr nahe stand. Ein Beispiel ist Tarkow- tet das Geschehen.
skis Solaris (1972), in dem ein Raumfahrer über ei- Klonieren-Klon). Menschenimitate (Traber 1997) nem Planeten, der Gedanken materialisieren kann, brechen aus der menschlichen Generationenfolge seiner verstorbenen Frau wiederbegegnet und seiner aus - und es ist auf einer gewissen Ebene der Be- unverarbeiteten Trauer um sie neu gegenübergestellt schreibung irrelevant, ob sie Klone, Cyborgs oder wird. Der Klon-Film Kreator (1986) von Yvan Pas- Roboter sind: Ihre Entstehung umfaßt keine Sexuali- ser fußt auf der Sehnsucht, die gestorbene Geliebte tät, sie haben nur in übertragenem Sinne „Eltern“ neu zu erschaffen - er erzählt von einem Wissen- (Begriff und Konzept entstammen der biologischen, schaftler, der sein Leben lang an einem Klon-Projekt also der falschen Genealogie). arbeitet, weil er den Tod der vor 30 Jahren gestorbe- nen Frau nie hat verwinden können. Wenn es zur Übertragung des biologischen Modells (3) Alter-Ego-Doppelgänger beleuchten innere Zu- auf eine technische Erbfolge kommt, entsteht ein stände wie auch individuelle Vorstellungen von Per- groteskes Muster. Der Computer HAL in Kubricks sonen. Die Begegnung mit dem Doppelgänger ist die 2001 (1967) besinnt sich auf seinen Vater, stimmt Begegnung mit einem anderen Ich, mit verdrängten gar Kinderlieder an, als habe er so etwas wie eine oder verschütteten Charakterzügen der ersten Per- behütete Kindheit und ein einst intimes Sohn-Vater- son. Geschichten dieses Typs sind fast immer aus Verhältnis gehabt. Zugleich deutet die Maschine an, der Perspektive einer ersten Person erzählt, die der eine Sozialisation durchlebt zu haben. Sie wird zum zweiten begegnet. Diese nun spiegelt Ahnungen, Anthropomorphen, weil sie Anthropina zu reklamie- Wünsche, Halluzinationen und Traumata. Sie verge- ren scheint. Auch in Blade Runner reklamieren die genwärtigt innerseelische Vorgänge, signalisiert Ich- Replikanten die biologisch-soziale Rolle des Vaters, Spaltungen und selbstzerstörerische Tendenzen. Es als der oberste der Kunstmenschen seinem Inge- ist meist Aufgabe der ersten Person, Kontrolle über nieur-Schöpfer gegenübersteht - „ich will mehr, Va- die zweite zu erlangen und dadurch in eine Normali- ter“, verlangt er, explizit die Neutralisierung und Ob- tät der Person zurückzukehren. Ein älteres Beispiel jektivierung der Beziehung zurückweisend. ist The Three Faces of Eve (1957), in dem eine junge Frau in zwei Identitäten gleichzeitig auftritt, um sich Steht im Umkreis des traditionellen Doppelgänger- am Ende zu einer - gesunden - dritten Figur zu ver- Motivs die Ich-Begegnung in der Gestalt des zweiten wandeln. Leibes im Zentrum der Identitätsprozesse, die da- durch ausgelöst werden, ist das Verhältnis in den Diese dramaturgisch so unterschiedlichen Typen des Klon-Filmen etwas komplizierter, gliedert Identität Doppelgängers treten auch bei Klonen auf. Aber es sich doch auf in eine körperlich-biologische und eine gibt entscheidende Unterschiede: Das Doppelgän- geistig-psychologische Seite. Das Genetische unter- ger-Motiv wird überlagert und assimiliert mit Fragen scheidet den einen von allen anderen - und der Klon der Herkunft, der Fundierung der anderen Person. nimmt ihm gerade diese Einzigartigkeit. Das im Grunde analytische Verhältnis von Genom-Körper und Geist kompliziert sich neuerdings übrigens wei- Genealogien und Kopien ter. In Le Clone (1998) übernimmt ein Programm- agent - ein gänzlich imaginäres Wesen, das eigent- Zwar hat man es auch bei Zwillingen mit geneti- lich nur im übertragenen Sinn als „Person“ bezeich- schen Doppeln zu tun, doch sind sie anders abgelei- net werden kann - die Identität des Benutzers. Hier tet - sie entstammen einer Genealogie. Das Klonie- entsteht ein neues Verständnis von „Klon“, weil es ren ist dagegen als Ableitungs- oder Kopierverhält- nicht mehr um das Problem erbgutidentischer Dop- nis konzeptualisiert: Zu einem Klon gehört eine Aus- pel geht, sondern um die parasitäre Übernahme eines gangsfigur so, wie ein Bild ein Urbild impliziert. Körpers durch eine virtuelle Person bei gleichzeiti- Klone haben keine Eltern, heißt es mehrfach in der ger Auslöschung oder Verdrängung der geistigen Literatur - sie verweisen aber natürlich auf die Eltern Qualitäten der Gastfigur. des Spenders zurück, weil sie sekundäre Kinder sind. Selbst Serien von Klonen über Generationen Beim Klon im engeren Wortsinne steht eigentlich die hinweg implizieren einen vorgängigen Akt der Se- Identität von erster (biologisch hervorgebrachter) xualität, so lange er auch zurückliegen mag. Die bio- und zweiter (gentechnischer Reproduktion entstam- logische Genealogie (Eltern-Sexualität-Kind) wird mender) Figur fest. Eigentümlicherweise beschränkt ergänzt um die technische Reproduktion (Spender- sich aber die der Vergleich von Spender und Klon
nicht auf die Charakteristik der Gleichheit oder so- ganger (1997). Er berichtet von dem Fußballspieler gar Identität, sondern ist ergänzt um eine zweite Ryan Giggs, der vom Chef der Manchester-City- Ebene, auf der das biologisch Identische sich als so- Mannschaft entführt wird - und er wird geklont wie zial und charakterlich verschieden herausstellt. Des- andere Fußballspieler auch. Während des Klonierens halb rechnen die Klon-Figuren zu Recht in den tradi- wird dem Erbgut der Fußballer Affen-Erbgut beige- tionellen Kanon der Doppelgängerfiguren. mischt, um ihre Kraft und Aggressivität zu steigern. Riggs entkommt dem Versuchslabor, tritt zum End- Kernpunkt der Geschichten ist ist fast immer die spiel der Meisterschaft auf der Seite von Manchester Frage, ob das Doppel von gleicher moralischer und United an - und trifft auf den eigen Klon als Gegner. sittlicher Art ist wie das Original. In Filmen wie Em- Darwin Conspiracy (1999) erzählt von einem Wis- bryo (1976) oder The Darker Side of Terror (1978) senschaftler, der bei der Untersuchung eines prähis- ist das Doppel kriminell und muß vom Original wie- torischen Eismenschen entdeckt, dass er ganz andere der ausgeschaltet werden. Klone sind potentiell fast DNS hat als die heute lebenden Menschen - und be- immer böse. Die umgekehrte Vorstellung - der Klon ginnt, das fremde Erbgut in die Erbmasse normaler ist der Gute, das Original dagegen ein Verbrecher - Menschen einzumischen. Eher am Rande der Klon- ist bislang kaum in Ansätzen ausgearbeitet worden. Filme findet sich die Frage der biologischen Identität Auch hier manifestiert sich die schon erwähnte (der Art-Identität) gerade in solchen Fällen, in denen Werthaltung dem künstlichen Doppel gegenüber. Be- Sexualität eine Rolle spielt, die ja grundsätzlich Mi- sonders explizit ist dieses Klon-Modell in Natural schung der Genome bedeutet. In Evolution‘s Child Selection (1993) vorgeführt worden, der in der deut- (1999) geraten Spermien eines seit 3000 Jahren toten schen Video-Fassung charakteristischerweise Retor- fossilen Männerkörpers in die Prozesse einer künst- ten-Killer hieß: In einem lange zurückliegenden Ex- lichen Befruchtung. Die Leihmutter bringt einen ge- periment hatte ein Wissenschaftler sechs Klone her- sunden Jungen mit von der Normalität deutlich ab- gestellt. Einer von ihnen ist ein Serienkiller. In der weichenden geistigen Fähigkeiten zur Welt. amerikanischen Comic-Adaption Judge Dredd (1995) spielt ein Mann die Hauptrolle, der aus dem Das Klonieren gehört in die Vision einer entsexuali- Erbmaterial von besonders ehrlichen und aufrechten sierten Welt, in der menschliche Kontrolle auch das Bürgern zusammengeklont wurde - Judge Dredd ar- Feld der Liebe, der sexuellen Faszination, des Ge- beitet als Polizist in den gigantischen Megacities und schlechtlichen überhaupt erfaßt hat. Sexualität ist sorgt - als Polizist, Richter und Vollstrecker in einer nicht nur in diesen Prozessen und Verfahren der Re- Person - für Ruhe und Ordnung. Er ist ein Beispiel produktion ausgeschaltet, sondern wird auch als so- für den optimierten, bestens an seine Aufgaben an- ziale und charakterliche Tatsache sekundär. Die se- gepaßten Retorten-Menschen. Sicher ist das Verfah- xuelle Organisation der Welt tritt außer Kraft. Die ren aber nicht: Der Zwillingsbruder des Helden ist Horrorvision ist gleich doppelter Natur, die sich dar- trotz ähnlicher Ziele der Biotechniker ein Kriminel- an anschließt: ler geworden, den der Held mühsam zur Strecke (1) die patriarchale Phantasie malt das Schreckens- bringen muß. bild einer Realität aus, in der die Männer nicht mehr nötig sind, um die Reproduktionskette aufrecht zu erhalten; ein Beispiel ist der polnische Film Sexmis- Identität, Sexualität sion (1983), der von einer reinen Frauengesellschaft erzählt; Wenn Gen-Technik ins Spiel kommt, ist die Substi- (2) die meist feministisch motivierte Phantasie setzt tution des Aktes der Befruchtung (der Sexualität das Schreckensbild einer Gesellschaft dagegen, in also) durch die Arbeit der Reproduktionsmedizin be- der die Reproduktion industrialisiert und damit sonders greifbar. Es ist die biologische Identität menschlich-individuellem Einfluß vollständig entzo- selbst - die Zugehörigkeit zu einem Genom -, die zur gen ist; im Extremfall ist dies eine machistische Disposition steht. Darum ist auch in den Klon-Fil- Phantasie, der zu Folge die Frauen überflüssig sind. men - stärker als in der Tradition der Doppelgänger- In beiden Phantasien ist die Geschlechterdifferenzie- filme - die Frage nach der Differenz von Ich und rung und -polarisierung überflüssig geworden. Doppel anders gestellt. In der Nähe einer grotesken Auffassung und Inszenierung des Körpers und der „The technological man want[s] to make his own ba- Art- und Körperidentität stehen Filme wie Doppel- bies, but wants to do so without the hormones and
flesh, without lust and arousal“, bemerkt Vivian de-Runner-Welt: Es sind Asiaten und Araber, die die Sobchack in einem Artikel zur Bedeutung der Se- Stadt bevölkern, und es sind Weiße, die die Macht- xualität in der science fiction (1990), und nimmt so und Leutungspositionen innehaben. eine Ent- oder sogar Antisexualisierung als funda- mentalen Charakterzug der Wissenschaftlerfiguren Nun lassen sich die Verschiebungen der Sexualität oder sogar der Gesellschaftsentwürfe des Genres an. als Bedingung für menschliche Reproduktion mehr- Fitch z.B., der Gentechniker aus Species (1995), ist fach interpretieren. In beiden Fällen stellt sich die „cool, rational, competent, unimaginative, male, and Frage der Reproduktionsmacht - einer der verdeck- sexless“. Sein sehnlichster Wunsch als Wissen- ten Formen symbolischer Herrschaft, die sich unter schaftler und als Mann ist, „[to] break free from bio- der Hand im Klonieren neu ordnet. logical dependence on the female as Mother and (1) In der feministischen Literatur ist die oben be- Other, and to mark the male self as separate and au- richtete These mehrfach vertreten worden, daß das tonomous“ (Sobchack 1990). Diese Beschreibung Klonieren das Weibliche als Bedingung der Repro- könnte man an zahllosen anderen Wissenschaftler- duktion ausschalte, daß damit Verfügungsmacht an Figuren wiederholen. Mit dem Übergang in die se- die Männer (oder an gesellschaftliche Institutionen) xualitätslose Reproduktion geschieht gleichzeitig ein falle, so daß eine neue Gender-Ordnung entstehen Übergang in eine männlich dominierte Gesell- könne. Die Notwendigkeit, in die Prozesse der Re- schaftsvision, wie Susan A. George (2001) anmerkt, produktion eingebunden werden zu müssen, sichert respektive in eine Gesellschaftsformation, in der das dem Weiblichen ein minimales Residuum von Macht Sexuelle als potentiell subversives Wirkmoment aus- und Einfluß; wird diese Notwendigkeit obsolet oder geschaltet ist. Auch dieses ist im übrigen eine The- aufgehoben, verliert es eine elementare Bindung in matik, die im Motivkreis des Klonierens kulminiert, die sozialen Machtstrukturen. Macht über Reproduk- in der science fiction aber viel globalere Verbreitung tion zu erlangen, ist in der feministisch orientierten hat. Filmproduktion seit mehreren Jahren ein immer wie- der angeschnittenes Thema (so handelt Antonias Wird die Geschlechter-Differenz auch ausgesetzt, Welt von einer anonymisierten Schwangerschaft, und wird sie zugleich abgelöst durch andere Differenzen, auch in Blueprint, 2003, heißt es gelegentlich: die ein ähnliches Maß innergesellschaftlicher Re- „Männer sind nicht so wichtig“). pression, Gewalt und Unterdrückung freisetzen. In (2) Das Klonieren läßt sich auch lesen als ein techni- Blade Runner wird die Subjektfähigkeit der Repli- sches Verfahren, das sich in die globalen und funda- kanten geleugnet. Die Teilung der Welt in Menschen mentalen Individualisierungstendenzen des gesell- und Replikanten ist eine der fundamentalen Unter- schaftlichen Lebens einfügt. Narzißmus und Selbst- scheidungen, die die symbolische Ordnung der Bla- bezüglichkeit übernehmen die Reproduktionskraft de-Runner-Welt fundiert. Dadurch entsteht ein sym- der Begierde. In Rolf Schübels Blueprint (2003) läßt bolisches „Anderes“, das eine Pianistin einen Klon ihrer selbst erschaffen, (a) bestehende Machtverhältnisse als Bestimmung trägt ihn gar aus, weil sie in grotesk übersteigerter von „wir und ihr“ faßbar macht Selbstwahrnehmung die eigene Begabung über den (b) und Identitätsvergewisserung durch Differenz er- eigenen Tod hinaus bewahren will. Das Bewegungs- möglicht. moment der Liebe verliert den Partner, sie wird re- Wenn man nun Replikanten als Substitute oder gar flexiv und bezieht ihre Energie aus Selbstliebe. Ist Erbfolger von Frauen oder Fremden als Verkörpe- der Andere unter den Konditionen der Individuali- rungen jenes symbolischen „Anderen“ ansieht, geht sierung nur eine müßige Bedingung für Reprodukti- es um eine patriarchalische Ordnung, die zwar nach- on, kann er - wenn die Fortpflanzung technifiziert sexistisch und nachrassistisch ist, aber alle Charakte- wird - vollständig ausgeschaltet werden. ristiken von Sexismus und Rassismus beibehält. Die symbolische Ordnung jener kommenden Welt repro- duziert die Machtstrukturen des Heute, indem sie le- Sexualität, Opposition diglich das sexuell Andere durch ein genealogisch Anderes ersetzt. Daß sexuelle Differenz und rassi- Wenn man über Sexualität redet, muß man auch über sche Unterschiedlichkeit einer ähnlichen symboli- Macht reden. Sexualität ist ambivalent, sie ist Ort schen Strategie entspringen, zeigt im übrigen die nur der Repression wie aber auch Potential, Repression implizit ausgeführte rassistische Gliederung der Bla- zu überwinden, gleichzeitig. Blade Runner fußt auf
einem Skandalon: Der menschliche Polizist Deckard mit lasziven Elementen. Auch die Interaktionsfor- lebt mit einer Replikantin zusammen. In der Sexuali- men schwanken und oszillieren zwischen erotischer tät wechselt er die tödliche Grenze - in einem Akt Werbung, Vorsicht und aggressiver Attacke - eine of- vergleichbar der Rassenschande -, um (am Ende der fensichtlich ambivalente Haltung wird deutlich, die zweiten Fassung des Films) festzustellen, daß er zwischen Lust und Verzweiflung changiert. Gerade selbst Replikant (künstliche Lebensform) ist. Diese angesichts der Unsinnigkeit der eigenen Sexualität Verwirrung ist folgenreich, weil sie darauf deutet, erscheint der provokative Umgang mit ihren Aus- daß Replikanten keine reinen Maschinen sind - dann drucksformen als ein Akt offener kultureller Aufleh- könnte es kein so tiefes Sexualitätsverbot geben -, nung (darin durchaus dem Punk verwandt, vgl. May sondern daß ihnen offenbar menschliche Rechte zu- 1986). stehen, ihnen aber verweigert werden. Der repressi- ve Apparat wird an diesem Widerspruch greifbar. Noch auf einer zweiten Ebene ist Sexualität in der Der Film arbeitet sein Skandalon bis in das Ende Blade-Runner-Geschichte mit der Auflehnung gegen hinein aus und endet mit einer Paradoxie: Der Blade das weitgehend unsichtbare Herrschaftssystem ver- Runner verliebt sich in eine Replikantin, verläßt mit knüpft - durch den Schluß. In der ersten Fassung ihr (am Ende der ersten Fassung des Films von wird der Blade Runner durch den männlichen Repli- 1982) die Stadt. Er gewinnt Sexualität als einen Mo- kanten vor dem Tode gerettet, erfährt so einen Akt dus der Begegnung mit der jungen Frau und kann so der Gnade, der in einer entemotionalisierten Welt den kategorialen Antagonismus zu ihr überwinden. unerklärbar wäre. Die Geschichte endet damit, daß der Polizist-Killer sich mit der letzten Replikantin, Hier deuten sich melodramatische Möglichkeiten an, die er liquidieren soll, solidarisiert und mit ihr zu- die das neue Motiv des Klons eröffnet. Anti-Sexuali- sammen die Handlungswelt der Megacity verläßt tät ist kein naturwüchsiges Ingredienz des Klonie- (zur Filmarchitektur vgl. Webb 1996). Das Schluß- rens, das zeigen schon die wenigen Versuche zu ei- bild erinnert an Chaplins Modern Times (1936) - ner anderen, sexuell oder erotisch motivierten Veran- auch jener Film endet mit einem Bild, das den Hel- kerung des Motivs in der erzählten Welt. Maio weist den und die Heldin auf einer Straße zeigt, die in eine darauf hin, dass „in der Populärkultur der künstlich ungewisse - aber ersehnte - Zukunft führt. Scott hat erschaffene Mensch meist als Verkörperung eines gerade den Schluß in der zweiten Fassung des Films seelenlosen Geschöpfes ohne Aussicht auf Liebe (1991) maßgeblich geändert: Man erfährt in einem dargestellt“ würde: Und doch sind da nicht nur die halbsekundenlangen Aufblitzen der Augen des Blade Möglichkeiten einer melodramatischen Klon-Figur, Runners, daß er selbst ein Replikant ist. Zwar ver- die ähnlich wie die Puppen-Figuren der Romantik läßt er auch hier das Setting des letzten Kampfes zu- sterben, weil sie die Liebe nicht erlangen können, sammen mit der Replikantin, aber es ist nicht mehr sondern auch einer Bewegung, die die sexuelle Be- das Ungewisse einer Straße, sondern eine Fahrstuhl- gegnung als einen Akt der Solidarisierung der Lie- tür schließt sich hinter dem Paar wie ein Vorhang, benden gegen die Ordnungen der Umwelt liest. Se- der die Vorstellung beendet. War noch der erste xualität ist in diesen Welten nicht nur ein Medium Schluß ein Skandalon, weil sich ein Blade Runner der Unterdrückung, sondern auch eines des Wider- mit einer Replikantin verbündet-verbindet - in einer standes, der Auflehnung und vielleicht sogar der Er- rassistischen Sozialordnung, daran sei ausdrücklich lösung aus den repressiven Bedingungen, die die erinnert! -, entkräftet der zweite diese Provokation. Gesellschaft vorgibt - und der vielleicht einzige Und auch der Blick in die Zukunft - die Zeit nach Weg, Individualität und Souveränität gegen den der Geschichte - verschiebt sich: Ist noch das Bildzi- Machthorizont des Systems zu erwerben. tat des ersten Schlusses ein Verweis auf die Tatsache, daß Zukunft zwar ungewiß, aber möglicherweise Schon die kurze Lebenszeit versagt den Replikanten glücklich (und: sexuell erfüllt, nicht repressiv) ist, in Blade Runner die Möglichkeit der Reproduktion. läßt der zweite das Moment des Wünschens offen. Um so auffallender ist der aggressive Umgang mit den Symboliken der Sexualität - erotisch konnotierte Kleidung wird als offene Provokation eingesetzt; Kontrolle, Totalitarismus Masken und herausfordernde Gestik erinnern an die Spielformen des SM, aber auch an manche Formen Eine große Anzahl von Filmen thematisiert das Klo- des Punk; die Bewegung des Körpers ist durchsetzt nieren wie auch Blade Runner im Zusammenhang
mit den Entwürfen einer kontrollierten und totalitär- bäude die Machtverhältnisse in jenen nach- oder su- en Gesellschaft. Ganze Gesellschaften genetisch zu perkapitalistischen Gesellschaften symbolisiert. überarbeiten, ein allgemeines Gen-Design durchzu- setzen, ist wohl eine der Elementarformen nazisti- „Der Skandal des Klons liegt [...] in seiner Abwer- scher Weltvorstellung. Radikal wird das Gemein- tung des ‚realen‘ Menschen“, schreiben Seeßlen und wohl - hier die Reinheit und Erstklassigkeit des Ge- Jung (2003, 517) einmal. Auch hier deuten sich gele- noms - über individuelle Interessen gestellt. Totalita- gentlich Verschiebungen an. Der Showdown von rismus und genetische Kontrolle sind in der SF-Lite- The Sixth Day (2000) wird möglich, weil sich der ratur wohl aus zwei Gründen in Engführung geraten: Klon mit seinem Original solidarisiert und sie ge- (1) aus historischen Gründen, weil das Eugenik-Pro- meinsam den Konzern, der unliebsame Personen gramm der Nazis verbunden mit dem Genozid an durch Klone ersetzt und sie die eigene Machterhal- den Juden ein bedrückendes reales Beispiel darstellt; tung betreibt, attackieren; am Ende verabschiedet (2) aus systematischen Gründen, weil der Anspruch sich der Klon von seinem Original, er will von nun auf Kontrolle der genetischen Qualität des einzelnen an „eigene Erfahrungen“ machen. Scheint bis dato einen so radikalen Anspruch des Kollektivs verkör- die Figur des Originals die Sympathien von Dreh- pert, wie man ihn kaum steigern könnte. buch und Publikum zu tragen, eröffnen sich nun die Kontrolle und Besitz des eigenen Genoms markiert paradoxen Effekte des Klonierens auf den Klon - eine ähnliche Zentralität zum Kern des Subjekts wie den Umgang mit Unselbständigkeit, die Fremdheit die Unverletzlichkeit der Seele. „Meine Gene gehö- von Erinnerung und Erfahrung, die Nicht-Originali- ren mir!“ markiert die Essentialität der Gene. tät des Lebensentwurfs (Themen, die in Blueprint, „Schrecken löst die Vorstellung einer Gendiktatur 2003, ganz ins Zentrum treten). Das Leben aus der aus, in der der ‚Gläserne Mensch‘ unbehaust lebt, da Sicht eines Klons - in aller Regel sind die Geschich- er ohne Geheimnisse ist, da alle seine genetischen - ten bis heute aus der Perspektive des Originals er- aber auch sonstigen - menschlichen Schwachstellen zählt. - selbst noch die von Toten - biotechnisch ermittelt werden können“, heißt es bei Borrmann (2001, 264), Der Klon ist der Störer, das zusätzliche Element. Er und es sollte festgehalten werden, daß er die Nicht- bedrängt die Selbständigkeit und Selbstbestimmung Gläsernheit ebenso zu den Qualitäten der heutigen des Originals. Dem Klon wird eigene Originalität Gesellschaften rechnet wie die Tatsache, daß der ein- abgesprochen. In The Sixth Day (2000) kehrt die zelne Geheimnisse und verborgene Schwachstellen Frau eines Wissenschaftlers nach fünf Jahren als habe. Individualismus als Schutz vor dem Kollekti- Klon zurück - und sie klagt: „Meine Gefühle gehö- ven, Intransparenz als Qualität. ren mir nicht! Sie gehören ihr [ihrem Vorbild]! Ich möchte sterben. Meine Zeit ist schon vorbei.“ Das Dagegen steht der Totalitäts- und Kontrollanspruch Leben als Kopie scheint die Authentifizierung eines der Systeme und Konzerne. In Blade Runner mani- Gefühls, eines Erlebnisses als gegenwärtige, einzig- festiert sich der Anspruch auf symbolische Macht in artige und erstmalige Tatsache in Abrede zu stellen. dem 700 Stockwerke hohen Firmengebäude der Ty- Oft scheinen dem Klon Gefühle ganz abzugehen rell Corporation, des intergalaktischen Kontrolleurs (darin steht er dem Roboterwesen und manchen Cy- der Replikanten- und Kunst-Tier-Herstellung, das an borgs nahe) - und es liegt nahe, daß die Abwesenheit die Stufenpyramiden der Mayas erinnern sollte von Emotionalität auf die Nichtmenschlichkeit der (Webb 1996, 47) und genau darin die Zwischenposi- Klone hinweist, daß aber auch das Ringen um Emo- tion der Firma zwischen weltlich-ökonomischer und tionalität als ein (oft verzweifelter) Versuch verstan- geistig-ideologischer Macht darstellt. In diesen Tem- den werden kann, zum Menschen zu werden. Die Ei- pel der Macht muß der Replikant eindringen, der den genständigkeit des Emotionalen ist eines der Anthro- Schöpfer-Ingenieur der Klone sucht - und er findet pina. Schon Blade Runner thematisierte dieses Pro- ihn in einer an ein Kinderzimmer gemahnenden Bas- blem, führte es als ein Paradox und ein Dilemma telstube, umgeben von Exponaten, die der Geschich- vor: Deckard, der Blade Runner, ist gehalten, die ge- te der Puppen und künstlichen Menschen entstam- sellschaftliche Ordnung kalt und ohne Emotionen men. So eklatant hier der Widerspruch ist, so deut- aufrecht zu erhalten. Er soll seine Aufgabe mecha- lich ist auch, daß Sakralarchitektur in zahlreichen nisch wie ein Roboter erfüllen. Darin ähnelt er den SF-Filmen sowohl im Innen wie im Außen der Ge- Replikanten, die er umbringen soll - auch sie tragen den Konflikt zwischen einem „emergent self and a
repressed self“ (Telotte 1995, 152) in der eigenen seine Aufgabe angepaßt worden ist, soll den Chef Person aus. Emotionales Empfinden ist Replikanten des Geheimdienstes töten. Original und Klon laufen und Blade Runnern gleichermaßen abgesprochen - nun beide in der erzählten Welt herum, das Original und wenn sich Emotionen einstellen (wie in der os- muß den Klon unter Kontrolle bringen. zillierenden Anziehung, die die Replikantin Zhora auf Deckard ausübt), geraten die Figuren in ein fun- damentales Dilemma. Insbesondere sexuelle Impulse Bösesein führen zu neurotischen Komplexen, zu inneren Wi- dersprüchen, die ein auf Erfüllung und Annäherung Aufgrund dieser Befunde könnte man sogar noch ge- orientiertes Beziehungshandeln unmöglich machen. nereller annehmen, dass der Klon nicht nur eine ver- Andererseits agieren diese Figuren den Widerspruch minderte Willensfähigkeit, sondern auch eine erhöhte zwischen unterdrückter Sexualität und der Möglich- Wahrscheinlichkeit zum Bösesein hat. Das ist wie- keit, sich gegen diese Repression aufzulehnen, am derum eng aus der Motivgeschichte der Menscheni- eigenen Körper aus (Telotte 1995, 152f), was ihnen mitate begründet. „Woran erkennt man Menscheni- wiederum unerhörte Attraktivität verleiht. Blade mitate?“, fragt Traber (1997), und er antwortet: „An Runner ist allerdings ein Ausnahmefall - die meisten Fehlfunktionen, also ausgewiesen nicht-menschli- Film-Klone sind einfache Charaktere, kalt, unge- chem Verhalten“ (ebd.). Die Grenzen zwischen Au- rührt, einem fremden, non-humanen Programm ge- ßerirdischen und Klonen, Androiden oder Robotern horchend, das sie außerhalb der sozialen Kontrolle verschwimmen in der populären Kultur oft genug, stellt. Bodo Traber hat dies in seinem Artikel „Evolution der Roboter: Der neue Mensch im Science Fiction- Mehrfach werden in politischen SF-Filmen Klone Film“ eindrücklich gezeigt. Charakteristischerweise als manipulierbare, fernsteuerbare Agenten-Doppel sind die Imitate Fremde, die potentielle Gefahren angesehen. Die Vorstellung, dass Klone von be- darstellen. Auch der Klon gilt als Artefakt, darin äh- schränkter Willensfreiheit seien, ist das älteste Mo- nelt er den Robotern. Und ähnlich, wie die Belebung tiv, das im Klonfilm entwickelt worden ist. In dem und Humanisierung (und damit auch: Sexualisie- schon 1971 entstandenen The Resurrection of Zac- rung) der Puppen ein älteres Motiv ist, das auf die chary Wheeler wird aus der Perspektive eines Re- Roboter ausgedehnt wird, ist der Prozeß der porters die Geschichte eines geheimnisvollen Un- Menschwerdung / der „eigentlichen falls erzählt. Der Senator, der dabei hätte gestorben Verlebendigung“ auch für Klone die Initialisierung sein müssen, wird durch einen Klon ersetzt. Er selbst als Person. Der Klon in der Auffassung als Roboter wird nur noch als Ersatzorgan-Lager am Leben ge- ist nicht durch seine Herkunft, sondern erst durch halten. In The Clones aus dem Jahre 1973 entdeckt eine Initiation als menschliches Wesen ansehbar. Es ein Arzt, dass die Regierung gegen ein Experiment bedarf eines Pygmalion, der den Puppenkörper be- intrigiert, das er verantwortet, und dass man ihn lebt (Söntgen 1999, 125ff). durch ein perfektes Doppel ersetzen will. In Parts: The Clonus Horror (1978) ist aus den Zellen eines Verstorbenen ein junger Mann erzeugt worden, der Kollektivnutzen, Narzißmus entdeckt, dass er zu einem streng geheimen Projekt namens „Clonus“ gehört: Hier werden Klone von Geht es im Denken der faschistischen Eugenik dar- Politikern herangezogen und ausgebildet, die mit der um, „gleichgültig gegenüber dem einzelnen Leben Hilfe ihrer Doppel ihre Regierungszeit verlängern oder Glück des einzelnen, nur daran interessiert, den wollen. Der Klon flieht, er will das geheime Projekt ‚Volkskörper‘ zu stählen“ (Borrmann 2001, 251), der Öffentlichkeit bekannt machen. In diesen The- also das Gemeinwohl radikal über das Individual- menkreis gehört auch die Sat1-Produktion Mörderi- wohl zu stellen, so finden sich Spuren dieser (kalten) scher Doppelgänger (2000) - die Geschichte eines Argumentation auch im Klon-Film. Wenn die Mutter jungen Mannes, der in der Annahme, er sei krebs- in Blueprint (2003) die Notwendigkeit des Klonie- krank und müsse bald sterben, einen Klon von sich rens daraus legitimiert, die eigene Begabung sei so herstellen läßt. Was er nicht weiß: die Firma Cell- groß, daß sie nicht verloren gehen dürfe, so beruft trans ist eine Spionageorganisation. Der Doppelgän- sie sich genau auf die Kostenrechnung der Eugenik: ger des Sicherheitschefs, der mit einem zusätzlichen Es liegt im allgemeinen Interesse, ein einzelnes Ge- „Aggressionsgen“ ausgestattet, also besonders für nom zu retten oder zu vermehren. Es gehört zur pa-
radoxen Grundanlage des Films, daß ausgerechnet schaftlichen Reichtums in den Bereichen der Indus- die Frau dieses Argument des Kollektivnutzens äu- trie gegen eine deutlich rückwärtsgewandte „geistes- ßert, die in äußerstem Narzißmus befangen ist, sich wissenschaftliche Kultur“ (13). An der Gentechnik in dem Selbstglauben befindet: Ich bin mit meiner entfaltet sich erneut ein fundamentaler Kampf um Begabung und meinen ausgebildeten Fertigkeiten Deutungsmacht, ein Konflikt elementarer Grundori- selbst ein Kollektivnutzen, zumal ich mich einzig entierungen - der noch dadurch erschwert wird, daß der Kunst widme, mich ihr aufopfere. Technikkritik gerade von Technikbefürwortern als Ausdruck eines elementaren Realitätsverlusts gewer- Die Klon-Frau in derartigen Geschichten erscheint tet werden kann. wie eine Neuformierung der Puppen-Frauen des 18. und 19. Jahrhunderts zu sein. Deutlich ist, daß sie Die Überlegung kann hier nicht ausgeführt werden. zwischengeschlechtliche Beziehungen zu thematisie- Doch sei die Vermutung angeschlossen, daß die ren ermöglichen, die zutiefst narzißtisch gestört sind: zahlreichen intertextuellen Spuren, die in die Proble- matik der künstlichen Menschen, Cyborgs und Ro- Trügerisch natürlich, dient die weibliche Puppe boter zurückweist, darauf hindeuten, daß am Klon vor allem den narzißtischen Strebungen ihres ein Themenbereich neu konfiguriert wird, der bis in männlichen Schöpfers. Als komplementäres An- das 19. Jahrhundert zurückreicht und in dem das deres entworfen und nach dem Ideal der Voll- „Natürliche“ - der Reproduktion, der individuellen kommenheit gebildet, nährt sie dessen Illusion Existenz, der Unverwechselbarkeit - gegen das eigener Ganzheit und Identität. Wie ein Fetisch „Künstliche“ gestellt wurde. Der Klon ist dann die täuscht die Puppe über den Mangel hinweg, den Vollendung einer Ent-Individualisierung, die selbst sie als weibliche Gestalt verkörpert. Doch gerade erst im Gefolge der Industrialisierung so behauptet ihre kunstvolle Konstruktion stellt den Mangel wurde und die durch das Überhandnehmen industri- aus, den die künstliche Frau verhüllen sollte eller Techniken in der Medizin nun das eigene Pos- (Söntgen 1999, 125). tulat zu zerstören droht. Individualisierung von Ver- antwortung als Mittel der Kontrolle, als gesellschaft- Die Puppe ist ein Arte-Fakt. Sie verkörpert eine Illu- liches „Gegen“ gegen die Hegemonialtendenzen der sion, die von der Wirklichkeit nicht mehr zu unter- großen Apparate und Konzerne - auch davon erzäh- scheiden ist. Sie erfüllt ideale Bildvorstellungen, len die Geschichten der Filmklone bis heute. aber ihr geht Originalität ab. Klon-Frauen insbeson- dere deuten auf einen Widerspruch, der das Ersehnte und das Reale einander strikt gegenüberstellt. Pyg- Literatur malion verfiel der eigenen Statue - und es verwun- Borrmann, Norbert (2001) Frankenstein und die Zukunft dert, daß es noch so wenige Gentechniker gibt, die - des künstlichen Menschen. Kreuzlingen/München: Hu- Pygmalion gleich - die Klon-Frau als Wunsch- oder gendubel (Diederichs). Sehnsuchts-Projekte hervorbringen. Crook, Eugene J. (ed.) (1982) Fearful symmetries: Ähnlich ist deutlich, daß die Affektorientierung Doubles and doubling in literature and film. Gainesville: University Presses of Florida. meist gegen das Klonieren gerichtet ist, daß die An- verwandlung des Themas von Angst und Skepsis ge- George, Susan A. (2001) Not Exactly „Of Woman Born“: genüber seiner Kontrollierbarkeit und moralischen Procreation and Creation in Recent Science Fiction Films. Vertretbarkeit geprägt ist. Da leicht zu zeigen ist, In: Journal of Popular Film and Television 28,4, pp. 176- daß diese distanzierte bis ablehnende Haltung sich 183. auch im weiteren Feld der Gentechnik-Fiktionen Maio, Giovanni (2001) Das Klonen im öffentlichen Dis- sich breitmacht, liegt es nahe, eine Verbindung zu kurs. Über den Beitrag der Massenmedien zur Bioethik- der „Zwei-Kulturen-These“, die Harro Segeberg Diskussion. In: Zeitschrift für Medizinische Ethik 47,1, (1987, 13ff) als allgemeine Kennzeichnung der pp. 33-52. Technikadaption in der deutschen Literatur ausge- May, Michael (1986) Provokation Punk. Versuch einer macht hat. Da steht eine weitgehende Inkompetenz Neufassung des Stilbegriffes in der Jugendforschung. der Literaten im Umgang mit den Technologie- und Frankfurt: Brandes & Apsel. Industrialisierungsschüben gegen tatsächliche Ent- wicklungen; da steht die reale Wertschöpfung gesell-
Seeßlen, Georg / Jung, Fernand (2003) Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films. Telotte, J.P. (1995) Replications. A robotic history of the 1.2. Marburg: Schüren (Grundlagen des populären science fiction film. Urbana/Chicago: University of Illi- Films.). nois Press. Segeberg, Harro (1987) Literaturwissenschaft und inter- Traber, Bodo (1997) Evolution der Roboter. Der neue disziplinäre Technikforschung. In: Technik in der Litera- Mensch im Science Fiction-Film. In: Splatting Image 31, tur. Hrsg. v. Harro Segeberg. Frankfurt: Suhrkamp, S. 9- Sept. 1997, S. 25-31. 29 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 655.). Webb, Michael (1996) „So wie heute, nur übersteigert“: Sobchack, Vivian (1990) The Virginity of Astronauts: Sex Die glaubhafte Ant-Utopie von Blade Runner. In: Filmar- and the Science Fiction Film. In: Alien Zone. Ed. by An- chitektur von Metropolis bis Blade Runner. Hrsg. v. Diet- nette Kuhn. New York: Verso, S. 103-115. rich Neumann. München/New York: Prestel, S. 44-47. Söntgen, Beate (1999) Täuschungsmanöver. Kunstpuppe - Wulff, Hans J. (2001) Klone im Kinofilm. Geschichten Wirklichkeit - Malerei. In: Puppen, Körper, Automaten. und Motive der Menschenverdoppelung. In: Medien Phantasmen der Moderne. Hrsg.v. Pia Müller-Tamm u. praktisch, 3 [=25,99], S. 47-52; 4 [=25,100], S. 50-52. Katharina Sykora. Düsseldorf: Kunstsammlung Nord- rhein-Westfalen / Köln: Oktagon, S.125-139.
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