Hans J. Wulff Die entmachtete Sexualität: Politik, Klonieren und Replikation im neueren Kino

 
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Hans J. Wulff
Die entmachtete Sexualität: Politik, Klonieren und Replikation im neueren
Kino
Eine erste Fassung dieses Artikels erschien in: Unheimlich anders... Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino.
Hrsg. v. Christine Rüffert [...]. Red.: Willi Karow. Berlin: Bertz + Fischer 2005, S. 141-152.
Bibliographische Angabe der Online-Fassung: http://www.derwulff.de/2-125.

Der Motivkreis des Doppelgängers                            Der Motivkreis des Doppelgängers
Genealogien und Kopien
Identität, Sexualität
                                                            Der Stoffkreis berührt das ältere Motiv des Doppel-
Sexualität, Opposition
Kontrolle, Totalitarismus                                   gängers, ohne ihn aber fortzuschreiben. Das ist mit
Bösesein                                                    anderen Filmen anders, sie bewegen sich in seinen
Kollektivnutzen, Narzißmus                                  angestammten Interessen und Deutungen. Ange-
                                                            sichts der bisher vorliegenden Filmographie des
                                                            Klonierens (Wulff 2001) ist deutlich spürbar, daß die
Das wohl zentralste Thema, das in den Filmen, in
                                                            neuere Figur des Klon-Wesens das Doppelgänger-
denen klonierte Figuren auftreten, fast immer be-
                                                            motiv mit neuer Aktualität wiedererstehen läßt.
rührt ist, ist die Frage der Identität und der Stabilität
                                                            Nicht immer impliziert das Spiegelwesen Bedroh-
der Person. Es sind insbesondere Bestimmungen
                                                            lichkeit, nicht immer ist es mit dem Unheimlichen
von Subjektivität und Individualität, die der Klon ir-
                                                            verbunden.
ritiert und die ihn als elementaren Störer einer „nor-
malen Welt“ resp. einer „Welt der Normalen“ aus-
                                                            Der Motivkreis des Doppelgängers ist in drei ver-
zeichnen. Ausgangspunkt der folgenden Überlegun-
                                                            schiedenen Varianten bearbeitet worden (Crook
gen ist Blade Runner auch hier ist die Subjektivität
                                                            1982):
und Individualität der Replikanten Dreh- und Angel-
                                                            (1) Manchmal haben Figuren verblüffende Ähnlich-
punkt der Geschichte. Rechnen sie zu den Men-
                                                            keit mit anderen, und sie treten in deren Rolleniden-
schenwesen oder nicht? Können sie Anspruch auf
                                                            tität auf. Das kann in ganz unterschiedlichen Kon-
Menschlichkeit erheben - und wenn ja, warum? Re-
                                                            texten geschehen. Manchmal bildet politische Intrige
plikation schafft eine Fremdheit im sozialen Verkehr,
                                                            den Hintergrund - der Doppelgänger tritt auf, um das
die nicht mehr auf soziale, ethnische oder rassische
                                                            Original zu schützen oder die Öffentlichkeit darüber
Zugehörigkeit beschränkt bleibt, sondern tiefer geht.
                                                            hinwegzutäuschen, dass es nicht mehr am Leben ist
Allerdings ist die Identifikation des Fremden
                                                            (ein Beispiel ist Dave, 1993, in dem ein Doppelgän-
schwierig, der Voigt-Kampff-Test, der in Blade Run-
                                                            ger die Rolle des amerikanischen Präsidenten über
ner verwendet wird, um die Emotionalität von Ant-
                                                            eine Krise hinweg weiterspielt).
worten zu erheben, unsicher. Es bleibt also eine - an
                                                            Die meisten der Geschichten dieses Typus sind ko-
paranoide Szenarien erinnernde - grundlegende Un-
                                                            mödiantischer Art; so wird in Il Marchese de Grillo
sicherheit, von welcher Identität der jeweils andere
                                                            (1981) die Ähnlichkeit des im Titel genannten Mar-
ist. Aus der Sicht der Menschen, müßte man dazu sa-
                                                            quis‘ und eines Kohlenhändlers Anlaß für eine ganze
gen. Menschen wissen, daß sie auf der richtigen Sei-
                                                            Reihe lächerlichster Verwechslungen.
te sind. Replikanten wissen, daß sie Geschöpfe der
                                                            Es gibt aber natürlich eine ganze Reihe fast tragisch
anderen Art sind. Aber sie können sich tarnen. Repli-
                                                            anmutender Konstellationen. So ist das Motiv des
kanten sind undercover unter den Menschen. Men-
                                                            falschen Verdachts wie in Hitchcocks The Wrong
schen müssen befürchten, von Replikanten umgeben
                                                            Man (1957) oft mit der Verwechslung von ähnlichen
zu sein. Wirklich wissen können sie es nicht. Blade
                                                            Personen kombiniert.
Runner nimmt die soziale Unsicherheit des Para-
                                                            (2) Der Wiedergänger ist gelegentlich die Wieder-
noia-Kinos wieder auf, kleidet sie in ein neues Ge-
                                                            kehr einer verloren geglaubten geliebten Person.
wand. Die irritierende Frage, wer von welcher Art ist
                                                            Hier erscheint der Doppelgänger dem eigentlichen
und ob er möglicherweise eine lebensbedrohliche
                                                            Helden wie die Wiedererscheinung einer Figur, die
Gefahr darstellt, bleibt aber dominierend, überschat-
                                                            ihm einmal sehr nahe stand. Ein Beispiel ist Tarkow-
tet das Geschehen.
skis Solaris (1972), in dem ein Raumfahrer über ei-       Klonieren-Klon). Menschenimitate (Traber 1997)
nem Planeten, der Gedanken materialisieren kann,          brechen aus der menschlichen Generationenfolge
seiner verstorbenen Frau wiederbegegnet und seiner        aus - und es ist auf einer gewissen Ebene der Be-
unverarbeiteten Trauer um sie neu gegenübergestellt       schreibung irrelevant, ob sie Klone, Cyborgs oder
wird. Der Klon-Film Kreator (1986) von Yvan Pas-          Roboter sind: Ihre Entstehung umfaßt keine Sexuali-
ser fußt auf der Sehnsucht, die gestorbene Geliebte       tät, sie haben nur in übertragenem Sinne „Eltern“
neu zu erschaffen - er erzählt von einem Wissen-          (Begriff und Konzept entstammen der biologischen,
schaftler, der sein Leben lang an einem Klon-Projekt      also der falschen Genealogie).
arbeitet, weil er den Tod der vor 30 Jahren gestorbe-
nen Frau nie hat verwinden können.                        Wenn es zur Übertragung des biologischen Modells
(3) Alter-Ego-Doppelgänger beleuchten innere Zu-          auf eine technische Erbfolge kommt, entsteht ein
stände wie auch individuelle Vorstellungen von Per-       groteskes Muster. Der Computer HAL in Kubricks
sonen. Die Begegnung mit dem Doppelgänger ist die         2001 (1967) besinnt sich auf seinen Vater, stimmt
Begegnung mit einem anderen Ich, mit verdrängten          gar Kinderlieder an, als habe er so etwas wie eine
oder verschütteten Charakterzügen der ersten Per-         behütete Kindheit und ein einst intimes Sohn-Vater-
son. Geschichten dieses Typs sind fast immer aus          Verhältnis gehabt. Zugleich deutet die Maschine an,
der Perspektive einer ersten Person erzählt, die der      eine Sozialisation durchlebt zu haben. Sie wird zum
zweiten begegnet. Diese nun spiegelt Ahnungen,            Anthropomorphen, weil sie Anthropina zu reklamie-
Wünsche, Halluzinationen und Traumata. Sie verge-         ren scheint. Auch in Blade Runner reklamieren die
genwärtigt innerseelische Vorgänge, signalisiert Ich-     Replikanten die biologisch-soziale Rolle des Vaters,
Spaltungen und selbstzerstörerische Tendenzen. Es         als der oberste der Kunstmenschen seinem Inge-
ist meist Aufgabe der ersten Person, Kontrolle über       nieur-Schöpfer gegenübersteht - „ich will mehr, Va-
die zweite zu erlangen und dadurch in eine Normali-       ter“, verlangt er, explizit die Neutralisierung und Ob-
tät der Person zurückzukehren. Ein älteres Beispiel       jektivierung der Beziehung zurückweisend.
ist The Three Faces of Eve (1957), in dem eine junge
Frau in zwei Identitäten gleichzeitig auftritt, um sich   Steht im Umkreis des traditionellen Doppelgänger-
am Ende zu einer - gesunden - dritten Figur zu ver-       Motivs die Ich-Begegnung in der Gestalt des zweiten
wandeln.                                                  Leibes im Zentrum der Identitätsprozesse, die da-
                                                          durch ausgelöst werden, ist das Verhältnis in den
Diese dramaturgisch so unterschiedlichen Typen des        Klon-Filmen etwas komplizierter, gliedert Identität
Doppelgängers treten auch bei Klonen auf. Aber es         sich doch auf in eine körperlich-biologische und eine
gibt entscheidende Unterschiede: Das Doppelgän-           geistig-psychologische Seite. Das Genetische unter-
ger-Motiv wird überlagert und assimiliert mit Fragen      scheidet den einen von allen anderen - und der Klon
der Herkunft, der Fundierung der anderen Person.          nimmt ihm gerade diese Einzigartigkeit. Das im
                                                          Grunde analytische Verhältnis von Genom-Körper
                                                          und Geist kompliziert sich neuerdings übrigens wei-
Genealogien und Kopien                                    ter. In Le Clone (1998) übernimmt ein Programm-
                                                          agent - ein gänzlich imaginäres Wesen, das eigent-
Zwar hat man es auch bei Zwillingen mit geneti-           lich nur im übertragenen Sinn als „Person“ bezeich-
schen Doppeln zu tun, doch sind sie anders abgelei-       net werden kann - die Identität des Benutzers. Hier
tet - sie entstammen einer Genealogie. Das Klonie-        entsteht ein neues Verständnis von „Klon“, weil es
ren ist dagegen als Ableitungs- oder Kopierverhält-       nicht mehr um das Problem erbgutidentischer Dop-
nis konzeptualisiert: Zu einem Klon gehört eine Aus-      pel geht, sondern um die parasitäre Übernahme eines
gangsfigur so, wie ein Bild ein Urbild impliziert.        Körpers durch eine virtuelle Person bei gleichzeiti-
Klone haben keine Eltern, heißt es mehrfach in der        ger Auslöschung oder Verdrängung der geistigen
Literatur - sie verweisen aber natürlich auf die Eltern   Qualitäten der Gastfigur.
des Spenders zurück, weil sie sekundäre Kinder
sind. Selbst Serien von Klonen über Generationen          Beim Klon im engeren Wortsinne steht eigentlich die
hinweg implizieren einen vorgängigen Akt der Se-          Identität von erster (biologisch hervorgebrachter)
xualität, so lange er auch zurückliegen mag. Die bio-     und zweiter (gentechnischer Reproduktion entstam-
logische Genealogie (Eltern-Sexualität-Kind) wird         mender) Figur fest. Eigentümlicherweise beschränkt
ergänzt um die technische Reproduktion (Spender-          sich aber die der Vergleich von Spender und Klon
nicht auf die Charakteristik der Gleichheit oder so-      ganger (1997). Er berichtet von dem Fußballspieler
gar Identität, sondern ist ergänzt um eine zweite         Ryan Giggs, der vom Chef der Manchester-City-
Ebene, auf der das biologisch Identische sich als so-     Mannschaft entführt wird - und er wird geklont wie
zial und charakterlich verschieden herausstellt. Des-     andere Fußballspieler auch. Während des Klonierens
halb rechnen die Klon-Figuren zu Recht in den tradi-      wird dem Erbgut der Fußballer Affen-Erbgut beige-
tionellen Kanon der Doppelgängerfiguren.                  mischt, um ihre Kraft und Aggressivität zu steigern.
                                                          Riggs entkommt dem Versuchslabor, tritt zum End-
Kernpunkt der Geschichten ist ist fast immer die          spiel der Meisterschaft auf der Seite von Manchester
Frage, ob das Doppel von gleicher moralischer und         United an - und trifft auf den eigen Klon als Gegner.
sittlicher Art ist wie das Original. In Filmen wie Em-    Darwin Conspiracy (1999) erzählt von einem Wis-
bryo (1976) oder The Darker Side of Terror (1978)         senschaftler, der bei der Untersuchung eines prähis-
ist das Doppel kriminell und muß vom Original wie-        torischen Eismenschen entdeckt, dass er ganz andere
der ausgeschaltet werden. Klone sind potentiell fast      DNS hat als die heute lebenden Menschen - und be-
immer böse. Die umgekehrte Vorstellung - der Klon         ginnt, das fremde Erbgut in die Erbmasse normaler
ist der Gute, das Original dagegen ein Verbrecher -       Menschen einzumischen. Eher am Rande der Klon-
ist bislang kaum in Ansätzen ausgearbeitet worden.        Filme findet sich die Frage der biologischen Identität
Auch hier manifestiert sich die schon erwähnte            (der Art-Identität) gerade in solchen Fällen, in denen
Werthaltung dem künstlichen Doppel gegenüber. Be-         Sexualität eine Rolle spielt, die ja grundsätzlich Mi-
sonders explizit ist dieses Klon-Modell in Natural        schung der Genome bedeutet. In Evolution‘s Child
Selection (1993) vorgeführt worden, der in der deut-      (1999) geraten Spermien eines seit 3000 Jahren toten
schen Video-Fassung charakteristischerweise Retor-        fossilen Männerkörpers in die Prozesse einer künst-
ten-Killer hieß: In einem lange zurückliegenden Ex-       lichen Befruchtung. Die Leihmutter bringt einen ge-
periment hatte ein Wissenschaftler sechs Klone her-       sunden Jungen mit von der Normalität deutlich ab-
gestellt. Einer von ihnen ist ein Serienkiller. In der    weichenden geistigen Fähigkeiten zur Welt.
amerikanischen Comic-Adaption Judge Dredd
(1995) spielt ein Mann die Hauptrolle, der aus dem        Das Klonieren gehört in die Vision einer entsexuali-
Erbmaterial von besonders ehrlichen und aufrechten        sierten Welt, in der menschliche Kontrolle auch das
Bürgern zusammengeklont wurde - Judge Dredd ar-           Feld der Liebe, der sexuellen Faszination, des Ge-
beitet als Polizist in den gigantischen Megacities und    schlechtlichen überhaupt erfaßt hat. Sexualität ist
sorgt - als Polizist, Richter und Vollstrecker in einer   nicht nur in diesen Prozessen und Verfahren der Re-
Person - für Ruhe und Ordnung. Er ist ein Beispiel        produktion ausgeschaltet, sondern wird auch als so-
für den optimierten, bestens an seine Aufgaben an-        ziale und charakterliche Tatsache sekundär. Die se-
gepaßten Retorten-Menschen. Sicher ist das Verfah-        xuelle Organisation der Welt tritt außer Kraft. Die
ren aber nicht: Der Zwillingsbruder des Helden ist        Horrorvision ist gleich doppelter Natur, die sich dar-
trotz ähnlicher Ziele der Biotechniker ein Kriminel-      an anschließt:
ler geworden, den der Held mühsam zur Strecke             (1) die patriarchale Phantasie malt das Schreckens-
bringen muß.                                              bild einer Realität aus, in der die Männer nicht mehr
                                                          nötig sind, um die Reproduktionskette aufrecht zu
                                                          erhalten; ein Beispiel ist der polnische Film Sexmis-
Identität, Sexualität                                     sion (1983), der von einer reinen Frauengesellschaft
                                                          erzählt;
Wenn Gen-Technik ins Spiel kommt, ist die Substi-         (2) die meist feministisch motivierte Phantasie setzt
tution des Aktes der Befruchtung (der Sexualität          das Schreckensbild einer Gesellschaft dagegen, in
also) durch die Arbeit der Reproduktionsmedizin be-       der die Reproduktion industrialisiert und damit
sonders greifbar. Es ist die biologische Identität        menschlich-individuellem Einfluß vollständig entzo-
selbst - die Zugehörigkeit zu einem Genom -, die zur      gen ist; im Extremfall ist dies eine machistische
Disposition steht. Darum ist auch in den Klon-Fil-        Phantasie, der zu Folge die Frauen überflüssig sind.
men - stärker als in der Tradition der Doppelgänger-      In beiden Phantasien ist die Geschlechterdifferenzie-
filme - die Frage nach der Differenz von Ich und          rung und -polarisierung überflüssig geworden.
Doppel anders gestellt. In der Nähe einer grotesken
Auffassung und Inszenierung des Körpers und der           „The technological man want[s] to make his own ba-
Art- und Körperidentität stehen Filme wie Doppel-         bies, but wants to do so without the hormones and
flesh, without lust and arousal“, bemerkt Vivian          de-Runner-Welt: Es sind Asiaten und Araber, die die
Sobchack in einem Artikel zur Bedeutung der Se-           Stadt bevölkern, und es sind Weiße, die die Macht-
xualität in der science fiction (1990), und nimmt so      und Leutungspositionen innehaben.
eine Ent- oder sogar Antisexualisierung als funda-
mentalen Charakterzug der Wissenschaftlerfiguren          Nun lassen sich die Verschiebungen der Sexualität
oder sogar der Gesellschaftsentwürfe des Genres an.       als Bedingung für menschliche Reproduktion mehr-
Fitch z.B., der Gentechniker aus Species (1995), ist      fach interpretieren. In beiden Fällen stellt sich die
„cool, rational, competent, unimaginative, male, and      Frage der Reproduktionsmacht - einer der verdeck-
sexless“. Sein sehnlichster Wunsch als Wissen-            ten Formen symbolischer Herrschaft, die sich unter
schaftler und als Mann ist, „[to] break free from bio-    der Hand im Klonieren neu ordnet.
logical dependence on the female as Mother and            (1) In der feministischen Literatur ist die oben be-
Other, and to mark the male self as separate and au-      richtete These mehrfach vertreten worden, daß das
tonomous“ (Sobchack 1990). Diese Beschreibung             Klonieren das Weibliche als Bedingung der Repro-
könnte man an zahllosen anderen Wissenschaftler-          duktion ausschalte, daß damit Verfügungsmacht an
Figuren wiederholen. Mit dem Übergang in die se-          die Männer (oder an gesellschaftliche Institutionen)
xualitätslose Reproduktion geschieht gleichzeitig ein     falle, so daß eine neue Gender-Ordnung entstehen
Übergang in eine männlich dominierte Gesell-              könne. Die Notwendigkeit, in die Prozesse der Re-
schaftsvision, wie Susan A. George (2001) anmerkt,        produktion eingebunden werden zu müssen, sichert
respektive in eine Gesellschaftsformation, in der das     dem Weiblichen ein minimales Residuum von Macht
Sexuelle als potentiell subversives Wirkmoment aus-       und Einfluß; wird diese Notwendigkeit obsolet oder
geschaltet ist. Auch dieses ist im übrigen eine The-      aufgehoben, verliert es eine elementare Bindung in
matik, die im Motivkreis des Klonierens kulminiert,       die sozialen Machtstrukturen. Macht über Reproduk-
in der science fiction aber viel globalere Verbreitung    tion zu erlangen, ist in der feministisch orientierten
hat.                                                      Filmproduktion seit mehreren Jahren ein immer wie-
                                                          der angeschnittenes Thema (so handelt Antonias
Wird die Geschlechter-Differenz auch ausgesetzt,          Welt von einer anonymisierten Schwangerschaft, und
wird sie zugleich abgelöst durch andere Differenzen,      auch in Blueprint, 2003, heißt es gelegentlich:
die ein ähnliches Maß innergesellschaftlicher Re-         „Männer sind nicht so wichtig“).
pression, Gewalt und Unterdrückung freisetzen. In         (2) Das Klonieren läßt sich auch lesen als ein techni-
Blade Runner wird die Subjektfähigkeit der Repli-         sches Verfahren, das sich in die globalen und funda-
kanten geleugnet. Die Teilung der Welt in Menschen        mentalen Individualisierungstendenzen des gesell-
und Replikanten ist eine der fundamentalen Unter-         schaftlichen Lebens einfügt. Narzißmus und Selbst-
scheidungen, die die symbolische Ordnung der Bla-         bezüglichkeit übernehmen die Reproduktionskraft
de-Runner-Welt fundiert. Dadurch entsteht ein sym-        der Begierde. In Rolf Schübels Blueprint (2003) läßt
bolisches „Anderes“, das                                  eine Pianistin einen Klon ihrer selbst erschaffen,
(a) bestehende Machtverhältnisse als Bestimmung           trägt ihn gar aus, weil sie in grotesk übersteigerter
von „wir und ihr“ faßbar macht                            Selbstwahrnehmung die eigene Begabung über den
(b) und Identitätsvergewisserung durch Differenz er-      eigenen Tod hinaus bewahren will. Das Bewegungs-
möglicht.                                                 moment der Liebe verliert den Partner, sie wird re-
Wenn man nun Replikanten als Substitute oder gar          flexiv und bezieht ihre Energie aus Selbstliebe. Ist
Erbfolger von Frauen oder Fremden als Verkörpe-           der Andere unter den Konditionen der Individuali-
rungen jenes symbolischen „Anderen“ ansieht, geht         sierung nur eine müßige Bedingung für Reprodukti-
es um eine patriarchalische Ordnung, die zwar nach-       on, kann er - wenn die Fortpflanzung technifiziert
sexistisch und nachrassistisch ist, aber alle Charakte-   wird - vollständig ausgeschaltet werden.
ristiken von Sexismus und Rassismus beibehält. Die
symbolische Ordnung jener kommenden Welt repro-
duziert die Machtstrukturen des Heute, indem sie le-      Sexualität, Opposition
diglich das sexuell Andere durch ein genealogisch
Anderes ersetzt. Daß sexuelle Differenz und rassi-        Wenn man über Sexualität redet, muß man auch über
sche Unterschiedlichkeit einer ähnlichen symboli-         Macht reden. Sexualität ist ambivalent, sie ist Ort
schen Strategie entspringen, zeigt im übrigen die nur     der Repression wie aber auch Potential, Repression
implizit ausgeführte rassistische Gliederung der Bla-     zu überwinden, gleichzeitig. Blade Runner fußt auf
einem Skandalon: Der menschliche Polizist Deckard       mit lasziven Elementen. Auch die Interaktionsfor-
lebt mit einer Replikantin zusammen. In der Sexuali-    men schwanken und oszillieren zwischen erotischer
tät wechselt er die tödliche Grenze - in einem Akt      Werbung, Vorsicht und aggressiver Attacke - eine of-
vergleichbar der Rassenschande -, um (am Ende der       fensichtlich ambivalente Haltung wird deutlich, die
zweiten Fassung des Films) festzustellen, daß er        zwischen Lust und Verzweiflung changiert. Gerade
selbst Replikant (künstliche Lebensform) ist. Diese     angesichts der Unsinnigkeit der eigenen Sexualität
Verwirrung ist folgenreich, weil sie darauf deutet,     erscheint der provokative Umgang mit ihren Aus-
daß Replikanten keine reinen Maschinen sind - dann      drucksformen als ein Akt offener kultureller Aufleh-
könnte es kein so tiefes Sexualitätsverbot geben -,     nung (darin durchaus dem Punk verwandt, vgl. May
sondern daß ihnen offenbar menschliche Rechte zu-       1986).
stehen, ihnen aber verweigert werden. Der repressi-
ve Apparat wird an diesem Widerspruch greifbar.         Noch auf einer zweiten Ebene ist Sexualität in der
Der Film arbeitet sein Skandalon bis in das Ende        Blade-Runner-Geschichte mit der Auflehnung gegen
hinein aus und endet mit einer Paradoxie: Der Blade     das weitgehend unsichtbare Herrschaftssystem ver-
Runner verliebt sich in eine Replikantin, verläßt mit   knüpft - durch den Schluß. In der ersten Fassung
ihr (am Ende der ersten Fassung des Films von           wird der Blade Runner durch den männlichen Repli-
1982) die Stadt. Er gewinnt Sexualität als einen Mo-    kanten vor dem Tode gerettet, erfährt so einen Akt
dus der Begegnung mit der jungen Frau und kann so       der Gnade, der in einer entemotionalisierten Welt
den kategorialen Antagonismus zu ihr überwinden.        unerklärbar wäre. Die Geschichte endet damit, daß
                                                        der Polizist-Killer sich mit der letzten Replikantin,
Hier deuten sich melodramatische Möglichkeiten an,      die er liquidieren soll, solidarisiert und mit ihr zu-
die das neue Motiv des Klons eröffnet. Anti-Sexuali-    sammen die Handlungswelt der Megacity verläßt
tät ist kein naturwüchsiges Ingredienz des Klonie-      (zur Filmarchitektur vgl. Webb 1996). Das Schluß-
rens, das zeigen schon die wenigen Versuche zu ei-      bild erinnert an Chaplins Modern Times (1936) -
ner anderen, sexuell oder erotisch motivierten Veran-   auch jener Film endet mit einem Bild, das den Hel-
kerung des Motivs in der erzählten Welt. Maio weist     den und die Heldin auf einer Straße zeigt, die in eine
darauf hin, dass „in der Populärkultur der künstlich    ungewisse - aber ersehnte - Zukunft führt. Scott hat
erschaffene Mensch meist als Verkörperung eines         gerade den Schluß in der zweiten Fassung des Films
seelenlosen Geschöpfes ohne Aussicht auf Liebe          (1991) maßgeblich geändert: Man erfährt in einem
dargestellt“ würde: Und doch sind da nicht nur die      halbsekundenlangen Aufblitzen der Augen des Blade
Möglichkeiten einer melodramatischen Klon-Figur,        Runners, daß er selbst ein Replikant ist. Zwar ver-
die ähnlich wie die Puppen-Figuren der Romantik         läßt er auch hier das Setting des letzten Kampfes zu-
sterben, weil sie die Liebe nicht erlangen können,      sammen mit der Replikantin, aber es ist nicht mehr
sondern auch einer Bewegung, die die sexuelle Be-       das Ungewisse einer Straße, sondern eine Fahrstuhl-
gegnung als einen Akt der Solidarisierung der Lie-      tür schließt sich hinter dem Paar wie ein Vorhang,
benden gegen die Ordnungen der Umwelt liest. Se-        der die Vorstellung beendet. War noch der erste
xualität ist in diesen Welten nicht nur ein Medium      Schluß ein Skandalon, weil sich ein Blade Runner
der Unterdrückung, sondern auch eines des Wider-        mit einer Replikantin verbündet-verbindet - in einer
standes, der Auflehnung und vielleicht sogar der Er-    rassistischen Sozialordnung, daran sei ausdrücklich
lösung aus den repressiven Bedingungen, die die         erinnert! -, entkräftet der zweite diese Provokation.
Gesellschaft vorgibt - und der vielleicht einzige       Und auch der Blick in die Zukunft - die Zeit nach
Weg, Individualität und Souveränität gegen den          der Geschichte - verschiebt sich: Ist noch das Bildzi-
Machthorizont des Systems zu erwerben.                  tat des ersten Schlusses ein Verweis auf die Tatsache,
                                                        daß Zukunft zwar ungewiß, aber möglicherweise
Schon die kurze Lebenszeit versagt den Replikanten      glücklich (und: sexuell erfüllt, nicht repressiv) ist,
in Blade Runner die Möglichkeit der Reproduktion.       läßt der zweite das Moment des Wünschens offen.
Um so auffallender ist der aggressive Umgang mit
den Symboliken der Sexualität - erotisch konnotierte
Kleidung wird als offene Provokation eingesetzt;        Kontrolle, Totalitarismus
Masken und herausfordernde Gestik erinnern an die
Spielformen des SM, aber auch an manche Formen          Eine große Anzahl von Filmen thematisiert das Klo-
des Punk; die Bewegung des Körpers ist durchsetzt       nieren wie auch Blade Runner im Zusammenhang
mit den Entwürfen einer kontrollierten und totalitär-     bäude die Machtverhältnisse in jenen nach- oder su-
en Gesellschaft. Ganze Gesellschaften genetisch zu        perkapitalistischen Gesellschaften symbolisiert.
überarbeiten, ein allgemeines Gen-Design durchzu-
setzen, ist wohl eine der Elementarformen nazisti-        „Der Skandal des Klons liegt [...] in seiner Abwer-
scher Weltvorstellung. Radikal wird das Gemein-           tung des ‚realen‘ Menschen“, schreiben Seeßlen und
wohl - hier die Reinheit und Erstklassigkeit des Ge-      Jung (2003, 517) einmal. Auch hier deuten sich gele-
noms - über individuelle Interessen gestellt. Totalita-   gentlich Verschiebungen an. Der Showdown von
rismus und genetische Kontrolle sind in der SF-Lite-      The Sixth Day (2000) wird möglich, weil sich der
ratur wohl aus zwei Gründen in Engführung geraten:        Klon mit seinem Original solidarisiert und sie ge-
(1) aus historischen Gründen, weil das Eugenik-Pro-       meinsam den Konzern, der unliebsame Personen
gramm der Nazis verbunden mit dem Genozid an              durch Klone ersetzt und sie die eigene Machterhal-
den Juden ein bedrückendes reales Beispiel darstellt;     tung betreibt, attackieren; am Ende verabschiedet
(2) aus systematischen Gründen, weil der Anspruch         sich der Klon von seinem Original, er will von nun
auf Kontrolle der genetischen Qualität des einzelnen      an „eigene Erfahrungen“ machen. Scheint bis dato
einen so radikalen Anspruch des Kollektivs verkör-        die Figur des Originals die Sympathien von Dreh-
pert, wie man ihn kaum steigern könnte.                   buch und Publikum zu tragen, eröffnen sich nun die
Kontrolle und Besitz des eigenen Genoms markiert          paradoxen Effekte des Klonierens auf den Klon -
eine ähnliche Zentralität zum Kern des Subjekts wie       den Umgang mit Unselbständigkeit, die Fremdheit
die Unverletzlichkeit der Seele. „Meine Gene gehö-        von Erinnerung und Erfahrung, die Nicht-Originali-
ren mir!“ markiert die Essentialität der Gene.            tät des Lebensentwurfs (Themen, die in Blueprint,
„Schrecken löst die Vorstellung einer Gendiktatur         2003, ganz ins Zentrum treten). Das Leben aus der
aus, in der der ‚Gläserne Mensch‘ unbehaust lebt, da      Sicht eines Klons - in aller Regel sind die Geschich-
er ohne Geheimnisse ist, da alle seine genetischen -      ten bis heute aus der Perspektive des Originals er-
aber auch sonstigen - menschlichen Schwachstellen         zählt.
- selbst noch die von Toten - biotechnisch ermittelt
werden können“, heißt es bei Borrmann (2001, 264),        Der Klon ist der Störer, das zusätzliche Element. Er
und es sollte festgehalten werden, daß er die Nicht-      bedrängt die Selbständigkeit und Selbstbestimmung
Gläsernheit ebenso zu den Qualitäten der heutigen         des Originals. Dem Klon wird eigene Originalität
Gesellschaften rechnet wie die Tatsache, daß der ein-     abgesprochen. In The Sixth Day (2000) kehrt die
zelne Geheimnisse und verborgene Schwachstellen           Frau eines Wissenschaftlers nach fünf Jahren als
habe. Individualismus als Schutz vor dem Kollekti-        Klon zurück - und sie klagt: „Meine Gefühle gehö-
ven, Intransparenz als Qualität.                          ren mir nicht! Sie gehören ihr [ihrem Vorbild]! Ich
                                                          möchte sterben. Meine Zeit ist schon vorbei.“ Das
Dagegen steht der Totalitäts- und Kontrollanspruch        Leben als Kopie scheint die Authentifizierung eines
der Systeme und Konzerne. In Blade Runner mani-           Gefühls, eines Erlebnisses als gegenwärtige, einzig-
festiert sich der Anspruch auf symbolische Macht in       artige und erstmalige Tatsache in Abrede zu stellen.
dem 700 Stockwerke hohen Firmengebäude der Ty-            Oft scheinen dem Klon Gefühle ganz abzugehen
rell Corporation, des intergalaktischen Kontrolleurs      (darin steht er dem Roboterwesen und manchen Cy-
der Replikanten- und Kunst-Tier-Herstellung, das an       borgs nahe) - und es liegt nahe, daß die Abwesenheit
die Stufenpyramiden der Mayas erinnern sollte             von Emotionalität auf die Nichtmenschlichkeit der
(Webb 1996, 47) und genau darin die Zwischenposi-         Klone hinweist, daß aber auch das Ringen um Emo-
tion der Firma zwischen weltlich-ökonomischer und         tionalität als ein (oft verzweifelter) Versuch verstan-
geistig-ideologischer Macht darstellt. In diesen Tem-     den werden kann, zum Menschen zu werden. Die Ei-
pel der Macht muß der Replikant eindringen, der den       genständigkeit des Emotionalen ist eines der Anthro-
Schöpfer-Ingenieur der Klone sucht - und er findet        pina. Schon Blade Runner thematisierte dieses Pro-
ihn in einer an ein Kinderzimmer gemahnenden Bas-         blem, führte es als ein Paradox und ein Dilemma
telstube, umgeben von Exponaten, die der Geschich-        vor: Deckard, der Blade Runner, ist gehalten, die ge-
te der Puppen und künstlichen Menschen entstam-           sellschaftliche Ordnung kalt und ohne Emotionen
men. So eklatant hier der Widerspruch ist, so deut-       aufrecht zu erhalten. Er soll seine Aufgabe mecha-
lich ist auch, daß Sakralarchitektur in zahlreichen       nisch wie ein Roboter erfüllen. Darin ähnelt er den
SF-Filmen sowohl im Innen wie im Außen der Ge-            Replikanten, die er umbringen soll - auch sie tragen
                                                          den Konflikt zwischen einem „emergent self and a
repressed self“ (Telotte 1995, 152) in der eigenen      seine Aufgabe angepaßt worden ist, soll den Chef
Person aus. Emotionales Empfinden ist Replikanten       des Geheimdienstes töten. Original und Klon laufen
und Blade Runnern gleichermaßen abgesprochen -          nun beide in der erzählten Welt herum, das Original
und wenn sich Emotionen einstellen (wie in der os-      muß den Klon unter Kontrolle bringen.
zillierenden Anziehung, die die Replikantin Zhora
auf Deckard ausübt), geraten die Figuren in ein fun-
damentales Dilemma. Insbesondere sexuelle Impulse       Bösesein
führen zu neurotischen Komplexen, zu inneren Wi-
dersprüchen, die ein auf Erfüllung und Annäherung       Aufgrund dieser Befunde könnte man sogar noch ge-
orientiertes Beziehungshandeln unmöglich machen.        nereller annehmen, dass der Klon nicht nur eine ver-
Andererseits agieren diese Figuren den Widerspruch      minderte Willensfähigkeit, sondern auch eine erhöhte
zwischen unterdrückter Sexualität und der Möglich-      Wahrscheinlichkeit zum Bösesein hat. Das ist wie-
keit, sich gegen diese Repression aufzulehnen, am       derum eng aus der Motivgeschichte der Menscheni-
eigenen Körper aus (Telotte 1995, 152f), was ihnen      mitate begründet. „Woran erkennt man Menscheni-
wiederum unerhörte Attraktivität verleiht. Blade        mitate?“, fragt Traber (1997), und er antwortet: „An
Runner ist allerdings ein Ausnahmefall - die meisten    Fehlfunktionen, also ausgewiesen nicht-menschli-
Film-Klone sind einfache Charaktere, kalt, unge-        chem Verhalten“ (ebd.). Die Grenzen zwischen Au-
rührt, einem fremden, non-humanen Programm ge-          ßerirdischen und Klonen, Androiden oder Robotern
horchend, das sie außerhalb der sozialen Kontrolle      verschwimmen in der populären Kultur oft genug,
stellt.                                                 Bodo Traber hat dies in seinem Artikel „Evolution
                                                        der Roboter: Der neue Mensch im Science Fiction-
Mehrfach werden in politischen SF-Filmen Klone          Film“ eindrücklich gezeigt. Charakteristischerweise
als manipulierbare, fernsteuerbare Agenten-Doppel       sind die Imitate Fremde, die potentielle Gefahren
angesehen. Die Vorstellung, dass Klone von be-          darstellen. Auch der Klon gilt als Artefakt, darin äh-
schränkter Willensfreiheit seien, ist das älteste Mo-   nelt er den Robotern. Und ähnlich, wie die Belebung
tiv, das im Klonfilm entwickelt worden ist. In dem      und Humanisierung (und damit auch: Sexualisie-
schon 1971 entstandenen The Resurrection of Zac-        rung) der Puppen ein älteres Motiv ist, das auf die
chary Wheeler wird aus der Perspektive eines Re-        Roboter ausgedehnt wird, ist der Prozeß der
porters die Geschichte eines geheimnisvollen Un-        Menschwerdung / der „eigentlichen
falls erzählt. Der Senator, der dabei hätte gestorben   Verlebendigung“ auch für Klone die Initialisierung
sein müssen, wird durch einen Klon ersetzt. Er selbst   als Person. Der Klon in der Auffassung als Roboter
wird nur noch als Ersatzorgan-Lager am Leben ge-        ist nicht durch seine Herkunft, sondern erst durch
halten. In The Clones aus dem Jahre 1973 entdeckt       eine Initiation als menschliches Wesen ansehbar. Es
ein Arzt, dass die Regierung gegen ein Experiment       bedarf eines Pygmalion, der den Puppenkörper be-
intrigiert, das er verantwortet, und dass man ihn       lebt (Söntgen 1999, 125ff).
durch ein perfektes Doppel ersetzen will. In Parts:
The Clonus Horror (1978) ist aus den Zellen eines
Verstorbenen ein junger Mann erzeugt worden, der        Kollektivnutzen, Narzißmus
entdeckt, dass er zu einem streng geheimen Projekt
namens „Clonus“ gehört: Hier werden Klone von           Geht es im Denken der faschistischen Eugenik dar-
Politikern herangezogen und ausgebildet, die mit der    um, „gleichgültig gegenüber dem einzelnen Leben
Hilfe ihrer Doppel ihre Regierungszeit verlängern       oder Glück des einzelnen, nur daran interessiert, den
wollen. Der Klon flieht, er will das geheime Projekt    ‚Volkskörper‘ zu stählen“ (Borrmann 2001, 251),
der Öffentlichkeit bekannt machen. In diesen The-       also das Gemeinwohl radikal über das Individual-
menkreis gehört auch die Sat1-Produktion Mörderi-       wohl zu stellen, so finden sich Spuren dieser (kalten)
scher Doppelgänger (2000) - die Geschichte eines        Argumentation auch im Klon-Film. Wenn die Mutter
jungen Mannes, der in der Annahme, er sei krebs-        in Blueprint (2003) die Notwendigkeit des Klonie-
krank und müsse bald sterben, einen Klon von sich       rens daraus legitimiert, die eigene Begabung sei so
herstellen läßt. Was er nicht weiß: die Firma Cell-     groß, daß sie nicht verloren gehen dürfe, so beruft
trans ist eine Spionageorganisation. Der Doppelgän-     sie sich genau auf die Kostenrechnung der Eugenik:
ger des Sicherheitschefs, der mit einem zusätzlichen    Es liegt im allgemeinen Interesse, ein einzelnes Ge-
„Aggressionsgen“ ausgestattet, also besonders für       nom zu retten oder zu vermehren. Es gehört zur pa-
radoxen Grundanlage des Films, daß ausgerechnet           schaftlichen Reichtums in den Bereichen der Indus-
die Frau dieses Argument des Kollektivnutzens äu-         trie gegen eine deutlich rückwärtsgewandte „geistes-
ßert, die in äußerstem Narzißmus befangen ist, sich       wissenschaftliche Kultur“ (13). An der Gentechnik
in dem Selbstglauben befindet: Ich bin mit meiner         entfaltet sich erneut ein fundamentaler Kampf um
Begabung und meinen ausgebildeten Fertigkeiten            Deutungsmacht, ein Konflikt elementarer Grundori-
selbst ein Kollektivnutzen, zumal ich mich einzig         entierungen - der noch dadurch erschwert wird, daß
der Kunst widme, mich ihr aufopfere.                      Technikkritik gerade von Technikbefürwortern als
                                                          Ausdruck eines elementaren Realitätsverlusts gewer-
Die Klon-Frau in derartigen Geschichten erscheint         tet werden kann.
wie eine Neuformierung der Puppen-Frauen des 18.
und 19. Jahrhunderts zu sein. Deutlich ist, daß sie       Die Überlegung kann hier nicht ausgeführt werden.
zwischengeschlechtliche Beziehungen zu thematisie-        Doch sei die Vermutung angeschlossen, daß die
ren ermöglichen, die zutiefst narzißtisch gestört sind:   zahlreichen intertextuellen Spuren, die in die Proble-
                                                          matik der künstlichen Menschen, Cyborgs und Ro-
   Trügerisch natürlich, dient die weibliche Puppe        boter zurückweist, darauf hindeuten, daß am Klon
   vor allem den narzißtischen Strebungen ihres           ein Themenbereich neu konfiguriert wird, der bis in
   männlichen Schöpfers. Als komplementäres An-           das 19. Jahrhundert zurückreicht und in dem das
   deres entworfen und nach dem Ideal der Voll-           „Natürliche“ - der Reproduktion, der individuellen
   kommenheit gebildet, nährt sie dessen Illusion         Existenz, der Unverwechselbarkeit - gegen das
   eigener Ganzheit und Identität. Wie ein Fetisch        „Künstliche“ gestellt wurde. Der Klon ist dann die
   täuscht die Puppe über den Mangel hinweg, den          Vollendung einer Ent-Individualisierung, die selbst
   sie als weibliche Gestalt verkörpert. Doch gerade      erst im Gefolge der Industrialisierung so behauptet
   ihre kunstvolle Konstruktion stellt den Mangel         wurde und die durch das Überhandnehmen industri-
   aus, den die künstliche Frau verhüllen sollte          eller Techniken in der Medizin nun das eigene Pos-
   (Söntgen 1999, 125).                                   tulat zu zerstören droht. Individualisierung von Ver-
                                                          antwortung als Mittel der Kontrolle, als gesellschaft-
Die Puppe ist ein Arte-Fakt. Sie verkörpert eine Illu-    liches „Gegen“ gegen die Hegemonialtendenzen der
sion, die von der Wirklichkeit nicht mehr zu unter-       großen Apparate und Konzerne - auch davon erzäh-
scheiden ist. Sie erfüllt ideale Bildvorstellungen,       len die Geschichten der Filmklone bis heute.
aber ihr geht Originalität ab. Klon-Frauen insbeson-
dere deuten auf einen Widerspruch, der das Ersehnte
und das Reale einander strikt gegenüberstellt. Pyg-       Literatur
malion verfiel der eigenen Statue - und es verwun-
                                                          Borrmann, Norbert (2001) Frankenstein und die Zukunft
dert, daß es noch so wenige Gentechniker gibt, die -
                                                          des künstlichen Menschen. Kreuzlingen/München: Hu-
Pygmalion gleich - die Klon-Frau als Wunsch- oder         gendubel (Diederichs).
Sehnsuchts-Projekte hervorbringen.
                                                          Crook, Eugene J. (ed.) (1982) Fearful symmetries:
Ähnlich ist deutlich, daß die Affektorientierung          Doubles and doubling in literature and film. Gainesville:
                                                          University Presses of Florida.
meist gegen das Klonieren gerichtet ist, daß die An-
verwandlung des Themas von Angst und Skepsis ge-          George, Susan A. (2001) Not Exactly „Of Woman Born“:
genüber seiner Kontrollierbarkeit und moralischen         Procreation and Creation in Recent Science Fiction Films.
Vertretbarkeit geprägt ist. Da leicht zu zeigen ist,      In: Journal of Popular Film and Television 28,4, pp. 176-
daß diese distanzierte bis ablehnende Haltung sich        183.
auch im weiteren Feld der Gentechnik-Fiktionen            Maio, Giovanni (2001) Das Klonen im öffentlichen Dis-
sich breitmacht, liegt es nahe, eine Verbindung zu        kurs. Über den Beitrag der Massenmedien zur Bioethik-
der „Zwei-Kulturen-These“, die Harro Segeberg             Diskussion. In: Zeitschrift für Medizinische Ethik 47,1,
(1987, 13ff) als allgemeine Kennzeichnung der             pp. 33-52.
Technikadaption in der deutschen Literatur ausge-
                                                          May, Michael (1986) Provokation Punk. Versuch einer
macht hat. Da steht eine weitgehende Inkompetenz          Neufassung des Stilbegriffes in der Jugendforschung.
der Literaten im Umgang mit den Technologie- und          Frankfurt: Brandes & Apsel.
Industrialisierungsschüben gegen tatsächliche Ent-
wicklungen; da steht die reale Wertschöpfung gesell-
Seeßlen, Georg / Jung, Fernand (2003) Science Fiction.
Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films.        Telotte, J.P. (1995) Replications. A robotic history of the
1.2. Marburg: Schüren (Grundlagen des populären             science fiction film. Urbana/Chicago: University of Illi-
Films.).                                                    nois Press.

Segeberg, Harro (1987) Literaturwissenschaft und inter-     Traber, Bodo (1997) Evolution der Roboter. Der neue
disziplinäre Technikforschung. In: Technik in der Litera-   Mensch im Science Fiction-Film. In: Splatting Image 31,
tur. Hrsg. v. Harro Segeberg. Frankfurt: Suhrkamp, S. 9-    Sept. 1997, S. 25-31.
29 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 655.).
                                                            Webb, Michael (1996) „So wie heute, nur übersteigert“:
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Söntgen, Beate (1999) Täuschungsmanöver. Kunstpuppe -       Wulff, Hans J. (2001) Klone im Kinofilm. Geschichten
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