HANS-ULRICH GRIMM - 100 GUTE GRÜNDE, ein echter Besser esser zu werden
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INHALTSVERZEICHNIS VORWORT 3. SOOO SÜSS Zucker & Co 1. DIE SUPERHITS und ihre Schattenseiten [26] Eis [27] Gummibärchen [28] Energydrinks [29] Cola [30] Schokolade [01] Hamburger [31] Fettleber [02] Pizza [32] Insulin [03] Chips [33] Zucker [04] Pommes Frites [34] Diabetes [05] Erdbeerjoghurt [35] Süßstoffe [06] Schokolinsen [36] Krebs [07] Surimi [37] Fruktose [08] Kartoffelpüree [38] Cholesterin [09] Tiefkühlkost [39] Xylit [10] Clean Label [40] Stevia [11] Phosphate [12] Allergie [13] Niere [14] Herz [15] Shelf Life [16] Parallelwelt 4. VERGESSLICH? Die Wirkung auf die grauen Zellen [41] Gehirn 2. MMMH LECKER Geschmack und seine Quellen [42] Aluminium [43] Transfette [44] Hyperaktivität [45] Intelligenz [46] Depression [17] Vanille [47] Hypothalamus [18] Genuss [48] Migräne/Kopfschmerz [19] Appetit [49] Aggressivität [20] Hunger [50] Farbstoffe [21] Geschmacksverstärker [51] Alzheimer [22] Hefeextrakt [23] Aroma [24] Flüssigrauch [25] Bitter 2
5. ECHT GESUND? Functional Food 7. GUT, EHRLICH! Die Alternativen [52] Margarine [78] Vollwert [53] Cornflakes [79] Müsli [54] Vitamine [80] Serotonin [55] Omega-3-Fette [81] Kinderwunsch [56] Antioxidanzien [82] Regional und Saisonal [57] Folsäure [83] Karotte vs. Carotin [58] Probiotika [84] Bio [59] Kalzium [85] Urban Gardening [60] Smoothies und Säfte [86] Hühnersuppe [61] CLA [87] Heumilch [62] Lycopin [88] Grüntee [63] Soja [89] Leinöl und Leinsamen [64] Phytoöstrogene [90] Sahne [65] Selen [91] Wein [66] Sekundäre Pflanzenstoffe [92] TCM [93] Ayurveda-Küche [94] Vegan [95] Steinzeiternährung [96] Knoblauch und Ingwer 6. DICK & DÜNN [97] Falten [98] Darm [99] Globalisierung Der Kampf um die Pfunde [100] Küchenweisheit [67] Abnehmen [68] Salat [69] Light [70] Gentechnik [71] Kalorien [72] Plastikhormone [73] Leptin SERVICE [74] Glykämischer Index Bücher, die weiterhelfen 220 [75] Sucht Adressen, die weiterhelfen 221 [76] Diätempfehlungen Register 222 [77] Glückliche Dicke Impressum 224 3
VORWORT DER WEG ZUR kulinarisc h e n S e lb st b e st im m u n g Jung und schön will jeder sein, und zwar mög- schmacksverstärkern. Mit einer Ladung Zucker. lichst lang. Die Ernährung kann dabei helfen. Oder mit Süßstoffen. Nur dank solcher Ge- Sagen die Experten. Die Nahrung kann aber schmackstricksereien ist sie genießbar. Der auch schaden. Junk Food – Krank Food. Körper möchte das nicht. Er spürt die Tricks Junk Food: Das sind nicht nur Hamburger und und reagiert verstimmt. Oft allergisch, mit Aus- Cola. Energydrinks. Das ist auch die Tiefkühl- schlag oder sogar mit einem Kreislaufkollaps. pizza. Die süßen Cornflakes früh am Morgen. Er wird dick, denn industrielle Nahrungsmittel Die Chips am Abend. Und sogar der Fruchtjo- sind oft heimliche Dickmacher. Nicht wegen ghurt aus dem Kühlregal. Die vermeintlich ge- der Kalorien, sondern weil sie den Körper ma- sunde Margarine. Und nicht zu vergessen: die nipulieren. Und sie können krank machen. Zu- ganzen Kinderprodukte. ckerkrank. Herzkrank. Auch Krebs ist oft die Junk heißt Müll. Aber soll das Essen aus dem Folge solcher Nahrung. Und sogar vorzeitiges Supermarkt Müll sein? Ihre Nieren sehen das Altern, zu viele Falten,Vergesslichkeit. Auch das zum Beispiel so. Die »Kläranlage« des Körpers Gehirn leidet, wenn es schlecht genährt wird. betrachtet viele Bestandteile der Supermarkt- Kurz: Junk Food macht dumm und hässlich. nahrung als entsorgungspflichtigen Abfall. Etwa Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen. wenn das Essen chemische Zusatzstoffe ent- Aber was dann essen? Die Ratschläge dafür hält, also die Stoffe mit den E-Nummern. Der sind leider widersprüchlich und wechseln Körper würde so etwas freiwillig nie essen. auch häufig. Die Ernährungsexperten sind Schon vom Geschmack her. Junk Food wird deswegen einigem Spott ausgesetzt. Zu Recht. daher künstlich geschmacklich geschönt. Mit Tatsächlich ist es ja auch eine seltsame Diszip- industriellem Aroma aus dem Labor. Mit Ge- lin. Ihre Methoden sind kritikwürdig. Ihre Rat- 4
MEHR WOHLGEFÜHL beim Essen schläge sind oft unseriös, stehen wissenschaft- Stichworten hin und her blättern, je nachdem, lich auf tönernen Füßen. Zudem sind viele was Sie am meisten interessiert. Ernährungspäpste industriehörig. Dabei sind Es geht um Lebensmittel, die gut sind für den gerade die Produkte der Nahrungsindustrie Organismus, für Gesundheit und Fitness. Und häufig eher das Problem als die Lösung. um die anderen, die uns eher schaden. Es geht Trotzdem ist der Versuch berechtigt, gut zu ums Gehirn, die geistige Leistung, die Figur essen und zu trinken und gleichzeitig die Ge- und natürlich das Wohlgefühl, den Genuss. sundheit und das Wohlbefinden zu fördern. Besser essen bedeutet: echtes Essen essen. Und Dieses Bestreben gibt es seit Langem in vielen echtes Essen, das bedeutet: Äpfel, Birnen, Brok- Kulturen. Auch die Wissenschaften können koli, Mangos. Echte Hühnersuppe, echtes Kar- Anhaltspunkte dafür liefern. Unabhängige toffelpüree, selbst gestampft, mit guter Butter. Forscher aus verschiedenen Disziplinen, wie Echtes Essen stärkt den Körper, sorgt für gute der Medizin und der Hirnforschung, steuern Gefühle, macht sogar schön und schmeckt immer wieder nutzbare Einsichten bei. Eine auch viel besser. Auch dazu gibt dieses Buch Fülle von Hinweise und Fakten dazu habe ich wertvolle Hinweise. Damit jeder selbst entschei- in meinen Publikationen gesammelt. Für die- den kann, was er tun kann, um gesund und fit ses Buch habe ich die Erkenntnisse zusam- zu bleiben. Und glücklich dazu. mengetragen und um aktuelle Daten und For- schungsergebnisse ergänzt. Das Buch klärt auf über die Wirkungen der modernen Nahrungs- mittel und hilft bei der Suche nach besseren Lösungen. Sie können einfach zwischen den 5
DAS LUSTPRINZIP IM DIENSTE DER NAHRUNGSVERSORGUNG WENN AROMA DRAUFSTEHT, IST IMMER ETWAS FAUL
2. MMMH LECKER Geschmack und seine Quellen [17] Vanille [18] Genuss [19] Appetit [20] Hunger [21] Geschmacksverstärker [22] Hefeextrakt [23] Aroma [24] Flüssigrauch [25] Bitter
MMMH LECKER – GESCHMACK UND SEINE QUELLEN [17] VANILLE Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin anre- gen, zum Beispiel in den Nebennieren und im zentralen Nervensystem. Eigentlich müssten alle Menschen heute mit e Königin der Gewürz einem Vanille-Dauerlächeln durch die Welt laufen. Denn sie steckt beinahe überall drin: Das beliebteste Aroma sta im Vanilleeis, im Vanillepudding, in der Vanille- mmt oft aus zweifelhaften Quelle sauce zum Apfelstrudel, in der Schokolade n und sogar schon in der Babynahrung. Schade nur, dass es meist gar nicht Vanille ist, was so Es soll die Lust fördern und auch die Produkti- riecht und schmeckt wie Vanille. Es ist bloß ein on des »Glückshormons« Serotonin. Und es ist billiges Imitat.Vanillin, die Substanz, die für der angenehmste Geschmack. Alle lieben ihn. den Geschmack von Vanille sorgt, ist der Aro- »Es ist unglaublich«, sagte die Duft-Expertin mastoff mit der größten Produktionsmenge Eliane Zimmermann: »Mir ist noch nie jemand auf dem Weltmarkt. Bei Lebensmittelkontrol- begegnet, der beim Duft von Vanille nicht so- leuren gilt es als »Betrugsmolekül«. Denn be- fort gelächelt hätte.« Kein Wunder, dass Vanille sonders in Speiseeis und Milchprodukten in der Nahrungsindustrie der beliebteste Ge- steckt oftmals bloß synthetisches Vanillin, das schmack ist. Nur: Echt ist das Aroma in der Re- sich kaum von dem natürlichen unterschei- gel nicht. Meist wird es aus minderwertigen den lässt. Nicht einmal die kleinen schwarzen Rohstoffen gewonnen. Und so etwas soll das Pünktchen im Vanilleeis müssen ein Beweis Glück fördern? für echte Vanille sein: Lebensmittelkontrolleu- re aus Baden-Württemberg fanden heraus, DAS STECKT DAHINTER dass dafür in vielen Fällen nur die Reste der Vanille gilt als »Königin der Gewürze«. Seine Schoten zermahlen wurden, ohne deren aro- positiven Wirkungen sind vielfältig, vor allem matische Bestandteile. auf die Psyche.Vanille soll als Aphrodisiakum Gerade der teure Vanillegeschmack, der wich- wirken, denn ihre Bestandteile ähneln mensch- tigste Geschmack der industriellen PARALLEL- lichen Sexualbotenstoffen. Sie wirkt beruhigend, WELT [16] , wurde schon früh künstlich nachge- ermunternd, hebt die Stimmung und vermittelt bildet. Dem Chemiker Dr. Wilhelm Haarmann Vertrauen und Geborgenheit. Sie soll außerdem gelang 1874 das folgenschwere Kunststück: Er die geistige Aktivität und Energie steigern. fand einen synthetischen Ersatz für Vanille, Sogar für verschiedene medizinische Zwecke hergestellt aus den Rinden heimischer Fichten, wird Vanille eingesetzt: Naturvölker verwenden in einer Stadt namens Holzminden. Er nannte sie gegen Infektionen, Entzündungen und Fie- den Stoff Vanillin, gründete auch gleich eine ber. Zudem wirkt sie gefäßerweiternd, was die Fabrik und hob damit, so die Firmenchronik, aphrodisierende Wirkung, vor allem beim »einen völlig neuen Industriezweig aus der Mann, erklären könnte.Vanille enthält auch so- Taufe«. In der Stadt im hügeligen Weserberg- genannte Katecholamine, körpereigene Stoffe, land hat heute noch der Aromenkonzern Sym- die das Herz-Kreislauf-System sowie die Pro- rise seinen Sitz, der größte in Deutschland, duktion der Hormone und Neurotransmitter Nachfolger von Haarmanns Firma. 40
[17] VANILLE Die Entwicklung ging natürlich weiter. Später es angeblich jährlich bis zu 10 Millionen Ton- diente Erdöl als Rohstoff und schließlich wa- nen anfallender »Abfälle der Reiskleieölraffi- ren es Abfälle aus der Papierindustrie. In den nation«. Das Schöne daran aus Sicht der Her- 1980er-Jahren stammte zeitweilig 60 Prozent steller: Solche Aromen dürfen als »natürlich« der weltweiten Vanillinproduktion aus einer bezeichnet werden. Bakterien sind schließlich einzigen Quelle, den Abwässern einer Papier pure Natur. Und Reisreste ohnehin. fabrik in der kanadischen Stadt Thorold, der Aber auch wenn es total künstlich hergestellt Ontario Pulp and Paper (OPP). Der Betrieb wird, wenn der Geschmack also pure Chemie wurde 1987 aus Umweltgründen geschlossen. und kein Hauch Vanille im Spiel ist, steht nicht Doch auch nach der Schließung der kanadi- »künstlich« auf der Packung, sondern zum Bei- schen Vanillinquelle kam der beliebte Ge- spiel »Vanille Aroma«. Nur wenn »Vanille Ex- schmack weiter aus dem Kanal. Mitunter ent- trakt« in den Inhaltsstoffen aufgelistet wird, steht dabei das sogenannte Ethylvanillin. Das müssen die Komponenten tatsächlich aus der sehen Gesundheitsexperten kritisch: Ethyl Vanillepflanze stammen. Und selbst dann kön- vanillin gilt in bestimmten Dosen als krebs nen sie auch mithilfe von Mikroben aus dieser erregend und erbgutverändernd, außerdem herausgelöst werden. fördere es den Appetit und mache zudem nervös. Es gilt außerdem als künstlich – und BESSER heute sind »natürliche« AROMEN [23] beliebt. Wer also möchte, dass wirklich Glückshormo- Die werden immer noch gern aus Abwässern ne strömen, greife lieber zur echten Vanille- der Papierindustrie gewonnen, auch aus Pa- schote. Sie ist ohnehin unübertroffen: Über pierpulpe. Dabei sind oft Bakterien am Werk, 170 verschiedene Geschmacksstoffe sorgen für etwa der Aneurinibacillus aneuvinilyticus. die vielgerühmten Wirkungen. Man presse sie Die Mitwirkung von Bakterien des Typs Strep- mit einem Messer sorgfältig aus und verrühre tomyces bei der Vanilleproduktion hat sich der das Mark sorgsam. Es gibt auch fertiges Vanille- weltgrößte Aromenkonzern Givaudan aus der pulver zu kaufen. Es ist erschreckend teuer, vor Schweiz patentieren lassen (Patent Nummer allem in der Bio-Version. Aber wenn Sie es zu EP 0885968 B3). Sehr beliebt sind auch Bakte- selbst gemachtem Vanillezucker mischen, rela- rien der Gattung Pseudomonas, auch Pseudo- tiviert sich das. Und es reicht bei mäßigem Be- monaden genannt. Sie sind in der Natur allge- darf ein halbes Jahr oder länger. genwärtig, gelten als »Pfützenkeim«, sind aber nicht nur im Wasser, sondern auch im Boden TIPP anzutreffen. Manche Mitglieder der Pseudo Für ein Glas selbst gemachten Vanillezucker monas-Familie sind als Krankheitserreger tätig, geben Sie 1 Teelöffel Bourbon-Vanillepulver und bei Pflanzen und Tieren. 200 Gramm ZUCKER [33] in ein Marmeladen- Mit Bakterien können auch »Reststoffe« wie glas, schrauben dieses fest zu und schütteln Getreidekleie oder Zuckerrübenmelasse zu kräftig. Dann einfach in den Schrank stellen und einem »natürlichen« Produkt »upgegradet« bei Bedarf ins Müsli, in die Vanillesauce oder in werden, so eine österreichische Regierungsstu- die Sahne zum Erdbeerkuchen geben. Ihre Gäs- die (Titel: »Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme te werden selig lächeln. in der Lebensmittelindustrie«). In China sind 41
MMMH LECKER – GESCHMACK UND SEINE QUELLEN [18] GENUSS Suchtforscherin Magalie Lenoir von der Uni- versität Bordeaux. Sie führt das »suchterzeu- gende Potenzial des intensiven Süßgeschmacks« auf eine »angeborene Überempfindlichkeit ge- Kick im Gehirn genüber süßen Geschmacksrichtungen« zu- rück. Die Ratten in ihren Versuchen reagierten Das Wohlgefühl beim Ess darauf sogar stärker als auf Kokain. en – und die Gefahr der Sucht Die Genussfähigkeit ist im Gehirn angelegt, in jenem Bereich, den die Forscher »Belohnungs- zentrum« nennen. Solange es nur wenig Süßes Bei den einen ist es SCHOKOLADE [30] , die für gibt, gibt es auch keine Suchtgefahr, so die Stu- Wohlgefühle sorgt. Bei den anderen EIS [26] die von Forscherin Lenoir und ihren Kollegen: mit SAHNE [90] oder ein knuspriges Hähnchen. »Bei den meisten Säugetieren entstanden die Bei manchen reicht auch schon der Gedanke Süßrezeptoren vor Urzeiten in einer Umge- an Omas Erdbeerkuchen, damit ihm »das bung, in der es noch kaum Zucker gab. Der Wasser im Munde zusammenläuft«. Allerdings Mensch ist daher nicht eingestellt auf hohe kann dieser Effekt auch missbraucht werden: Konzentrationen von süßem Geschmack.« Wenn das Essen zur Droge wird und der Kick In der industriellen PARALLELWELT [16] wird im Gehirn zum Suchtauslöser [75] . dieses Belohnungszentrum einer permanen- ten Belastungsprobe ausgesetzt. Der Geschmack, DAS STECKT DAHINTER der für wohlige Gefühle sorgt, wird oft isoliert Essen kann ganz unwillkürliche Reaktionen verabreicht, ohne dass auch die nötige Sub hervorrufen. Das Genussempfinden ist offen- stanz folgt. AROMEN [23] , GESCHMACKSVERSTÄR- bar irgendwo im Gehirn einprogrammiert. Es K ER [21] und die allgegenwärtige Süße sorgen ist ein faszinierender Mechanismus und hat für wohlige Gefühle und für dauerhaftes durchaus einen tieferen Sinn. Essen ist ja le- Weiteressen. Und es kommt nicht nur süß, son- bensnotwendig, der Körper braucht die Nah- dern auch fett. Oft beides zusammen. Gemein- rung und deswegen soll es auch Spaß machen, sam wirken Fette und ZUCKER [33] auf die ent- zu essen und zu trinken. Daher können Nah- sprechenden Zonen im Gehirn stärker als rungsinhalte, die fürs Überleben wichtig sind, Kokain, wie eine amerikanische Studie ergab. Glücksgefühle auslösen. »Diese Ergebnisse unterstützen die These, dass Heute enthalten viele industrielle Lebensmit- Nahrungsmittel mit einem hohen Anteil an tel Substanzen, die den Kick im GEHIRN [41] Fett und Zucker süchtig machen«, schreiben provozieren. Früher wurde der von süßen die Forscher um Psychologieprofessor Joseph Früchten ausgelöst und hatte eine lebenserhal- Schroeder vom Connecticut College. Zucker tende Funktion. Das Gehirn reagiert auf den und Fett: Das sind doch die beiden wichtigsten süßen Geschmack besonders sensibel, damit Bestandteile in Nutella! Der Suchteffekt könnte der Mensch schnell zugreift. Die süßen Früchte eine Erklärung für den weltweiten Erfolg sol- gab es ja ganz selten, in hiesigen Breiten nur cher Aufstriche sein. im Sommer. Da war eine gesteigerte Sensibili- Tatsächlich sind die Mechanismen im Gehirn, tät gegenüber dem Süßen sinnvoll, sagt die die Sucheffekte von Nahrungsmitteln, vor 42
[18] GENUSS llem für die Übergewichtsforscher wichtig. a ich gesehen habe, wie viel Prozent Zucker da Sie wunderten sich immer, warum Dicke nicht drin ist. So schmeckt das Kotelett jetzt auch einfach aufhören zu essen, warum die vielen mit einer Kräuterbutter.« Appelle an die Vernunft, die Macht der Erzie- Der US-Professor Robert Lustig fasst es so zu- hung, ans Maßhalten nichts bringen. Das Kon- sammen: »Richtiges Essen essen.« Der Mensch zept der Drogenabhängigkeit könnte »uns hel- solle seine Nahrungsmittel so essen, wie er sie fen, das Übergewicht zu verstehen«, meint in der Natur vorfinde. Lustig sagt: Alle Lebens- Nora D.Volkow, Direktorin des Nationalen Insti- mittel seien »von Natur aus gut«, ob Fleisch, ob tuts für Drogenmissbrauch in Bethesda im US- Fett, ob Kohlenhydrate. Der Genuss wird gestei- Staat Maryland: »Die Daten sind so überwälti- gert durch den angemessenen Umgang mit gend, dass man es einfach akzeptieren muss.« den Nahrungsmitteln, durch mitunter aufwen- dige Zubereitungsformen. Sie sind wichtig fürs BESSER Wohlbefinden, auch fürs Wirken der drogen- Der Weg zum Genuss setzt die Befreiung von ähnlichen Inhaltsstoffe in den Lebens- und der Sucht voraus. Die Fähigkeit zum Genuss Genussmitteln. Bei Schokolade etwa sorgt das muss wieder freigelegt werden. Das Belohnungs- sogenannte Conchieren der Kakaobohnen, zentrum aber ist sozusagen durch Dauerbe- das langsame Rühren, Walzen und Kneten, für schuss überstrapaziert. In erster Linie durch optimale Bedingungen, um die Opiate im Ka- den Zucker. Rüdiger Krech beispielsweise, der kao herauszulösen. Bei Billigschokolade erset- als Direktor bei der Weltgesundheitsorganisati- zen Zucker und Emulgatoren diese aufwendi- on (WHO) in Genf versucht, den Zucker in der ge Zubereitungsart. globalen Nahrungskette zurückzufahren, hat Auch beim fachgerechten Anbraten des Flei- damit auch selbst begonnen. Zunächst beim sches entstehen viele Geschmacksstoffe, die Kaffee. »Ich hab mal zwei Löffel genommen, Opiaten ähneln und deshalb gut sind für die hab aber gedacht, das ist ja bescheuert, hab Stimmung. Und genauso bilden sich natürliche irgendwann mal nur einen Löffel genommen, Geschmacksverstärker, wenn die Suppe lang- und erst schmeckte der Kaffee fad, dann hab sam auf dem Herd vor sich hin köchelt. ich das aber mal eine Woche durchgehalten, fand das okay und hab auf einen halben Löf- fel reduziert und bald gedacht, den halben Löffel kannst du dir auch schenken, und jetzt nehme ich keinen Zucker mehr.« »Bewusster zu essen«, das ist jetzt sein Motto – mit mehr Genuss. »Ja, das ist interessant, ich hab das erlebt, wenn Sie mal vier Wochen kei- ne Schokolade essen, dann ist ein Stück der Wahnsinn, das ist der Hammer.« Damit ist es aber nicht getan, sagt Krech: »Was ich nicht beeinflussen kann, das sind die ganzen vorge- fertigten Nahrungsmittel. Zum Beispiel in der Grillsauce. Mach ich jetzt aber nicht mehr, weil 43
Echt gesund? Functional Food [66] SEKUNDÄRE nen Geschmack, Geruch und Farbe. Zu den be- kanntesten sekundären Pflanzenstoffen zählen Carotinoide (wie das Beta-CAROTIN [83] aus PFLANZENSTOFFE Möhren und das LYCOPIN [62] aus Tomaten), die Polyphenole (wie die roten FARBSTOFFE [50] der Trauben oder das Quercetin aus den Rand- schichten von Obst), Sulfide (wie die scharf schmeckenden Inhaltsstoffe von KNOBLAUCH [96] Jung und schön und Meerrettich) und die PHYTOÖSTROGENE [64] aus SOJA [63] , Roggen oder Leinsamen. Nur echt direkt aus der Nat Sekundäre Pflanzenstoffe sollen vor bestimm- ur ten KREBS -Arten [36] schützen, den Blutdruck senken, auch Nerven und GEHIRN [41] unter- stützen. Sie scheinen entzündungshemmend Sekundäre Pflanzenstoffe, das klingt ein biss- zu sein und antibakteriell, antithrombotisch, chen zweitklassig, dabei haben sie erstklassige blutdrucksenkend, antibiotisch, immunstär- Wirkungen. Die Farbstoffe zum Beispiel, die kend, antioxidativ sowieso. Außerdem haben sie echten, in den Früchten, sollen schön und sexy einen günstigen Einfluss auf den CHOLESTERIN - machen. Und andere sollen wahre Jungbrunnen Spiegel [38] . An welchen Substanzen das im sein.Vor FALTEN [97] schützen und vor Krank- Einzelnen liegt, ist noch nicht genau erforscht. heiten aller Art. In Industrieprodukten fehlen sie Die üblichen Praktiken der Lebensmittelverar- allerdings oft. Und Zusätze, chemisch erzeugt, beitung, etwa Erhitzen, Filtern, chemisches Auf- haben natürlich nicht die gleichen Wirkungen. reinigen oder langes Lagern reduzieren den Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen im Pro- DAS STECKT DAHINTER dukt und senken die ursprüngliche gesund- Sie wurden lange übersehen und zudem ge- heitsfördernde Kraft der Lebensmittel. In in- ringgeschätzt: Im Gegensatz zu den sogenann- dustriellen Produkten ist daher der Gehalt an ten primären Pflanzenstoffen (Kohlenhydrate, sekundären Pflanzenstoffen stark reduziert. Fett, Eiweiß,Vitamine und Mineralstoffe) wurde Je weniger von der für Menschen gesunden die Bedeutung der sekundären Pflanzenstoffe Substanz enthalten ist, desto besser ist es für für die Ernährung des Menschen erst spät er- die Haltbarkeit des Produkts, für die Bedürf kannt. Seit den 1980er-Jahren werden sie wis- nisse der Industrie. Mitunter werden von der senschaftlich untersucht. Nahrungsindustrie, um die Haltbarkeit zu ver- Etwa 100 000 verschiedene sekundäre Pflanzen- längern, die gesundheitlich wertvollen, aber stoffe sind bislang bekannt, und immerhin 5000 licht- und sauerstoffempfindlichen Pflanzen- bis 10 000 davon können dem Menschen in sei- schutzstoffe aus den Produkten herausgefiltert, ner Ernährung begegnen. Sie scheinen dafür etwa die Polyphenole im Apfelsaft. verantwortlich zu sein, dass Obst und Gemüse Die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln so gesund ist. weisen gern auf diese Defizite hin, als Verkaufs- Sekundäre Pflanzenstoffe sind oft charakteris- argument für ihre Produkte. Jedoch: Als Pulver tisch für bestimmte Pflanzen und verleihen ih- und Pillen scheinen diese Stoffe nicht im glei- 144
[66] SEKUNDÄRE PFLANZENSTOFFE chen Maße wirksam zu sein wie in ihrer natür- Kropf« geben, aber dafür sind etwa 400 Gramm lichen Umgebung – und mitunter sogar nicht Weißkohl täglich über längeren Zeitraum nötig ganz ungefährlich. Heilsame Wirkungen können oder sogar 2,8 Kilogramm Rettich. So sorgt der in gesundheitsschädliche umschlagen, wenn APPETIT [19] für nötigen Nachschub an sekun- die Substanz nicht über das normale Essen dären Pflanzenstoffen – und der Überdruss aufgenommen, sondern künstlich isoliert ver- schützt vor der Überdosis. abreicht wird. So führte etwa der Pflanzenfarb- In vielen traditionellen Lebensmitteln wurden stoff Beta-Carotin als Nahrungsergänzung in sekundäre Pflanzenstoffe als wirksame Elemen- hoher Dosierung bei Studien wider Erwarten te identifiziert. So enthalten Tee, GRÜNTEE [88] , zu erhöhten Raten von Lungenkrebs. ROTWEIN [91] und Beerenfrüchte viele Flavo- Ähnlich ist es bei den sogenannten Glucosi noide und Anthocyane, deren schützender nolaten. Auch sie zählen zu den sekundären Effekt auf das Herz-Kreislauf-System (siehe Pflanzenstoffen, dienen der Pflanze als che HERZ [14] ) und das GEHIRN [41] schon häufig misches Schutzschild gegen Fraßfeinde und in Studien nachgewiesen wurde. wurden schon als Wunderwaffe gegen Krebs Beim INGWER [96] sind ebenfalls sekundäre gehandelt. Wissenschaftler versuchen gar, Kohl- Pflanzenstoffe für den charakteristisch schar- sorten so zu verändern, dass sie mehr von die- fen Geschmack verantwortlich. Diese Schärfe sen heilsamen Schutzstoffen bilden. Allerdings bewahrt auch hier vor einer Überdosis. Bei wurden auch Glucosinolate von gegensätzlicher Kapseln hingegen wird der natürliche Schutz- Wirkung entdeckt.Vor allem ein Stoff namens mechanismus ausgeschaltet. Ähnlich beim Neoglucobrassacin scheint die Entstehung von KNOBLAUCH [96] : Hier ist Überdosierung eben- Krebs sogar zu fördern. Glucosinolate können falls kaum möglich, dafür sorgt unter anderem im menschlichen Körper die Jodaufnahme ein sekundärer Pflanzenstoff namens Allicin, stören, zu einem Kropf führen – und sind also der für den typischen Knoblauchgeruch ver- unnötig wie ein solcher. antwortlich ist. Mittlerweile kann auch als erwiesen gelten, dass BESSER BIO -Kost [84] sich messbar von herkömmlicher Die heilsamen Glucosinolate sind auch in ech- Ware unterscheidet: Studien wiesen höhere ten Lebensmitteln enthalten, etwa in Brokkoli, Gehalte an sekundären Pflanzenstoffen nach. sind womöglich an dessen »Superfood«-Wir- kung beteiligt. Sie sollen entgiftende Enzyme anregen und für einen normalen Hormonhaus- halt sorgen. Zu deutsch heißen sie Senfölgly koside. Auch in anderen botanischen Verwand- ten von Brokkoli sind Glucosinolate enthalten. Alle Kohlarten enthalten sie, außerdem Rettich, Radieschen, Kresse, Senf und Raps. Sie prägen den typischen strengen Geruch dieser Gemü- sesorten und den bitter-scharfen Geschmack. Überdosierung ist dabei weitgehend ausge- schlossen. Zwar kann es auch einen »Kohl- 145
WAS KÖNNEN WIR BERHAU ÜBERHA Ü PT N UPT OCH ESSEN?? NOCH Es gibt immer mehr Nahrungsmittel, die eher schaden, cha had de en, n, a als ls ls Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern. Abfälle aus der Papierindustrie fürs Aroma im Vanilleeis, Plastikhormone in abgepacktem Käse, Phosphate in Wurst oder Babymilch: Die Schreckensmeldungen nehmen kein Ende. Und vieles, was in unser Essen kommt, ist für den Verbraucher gar nicht erkennbar, weil es nicht auf der Verpackung stehen muss. Aromen, Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Zucker und Co sind allgegenwärtig. Aber jeder kann selbst entscheiden, was er isst – und so gesund, fit und schlank bleiben. Und glücklich dazu. In 100 Stichworten führt der bekannte Nahrungskritiker Hans-Ulrich Grimm, Autor von »Die Suppe lügt«, kurzweilig durch den Dschungel der Lebensmittelindustrie. Er zeigt Essfallen auf und hilft, bessere Alternativen zu finden. Nahrungsmittel, die wirklich gut für uns sind. WG 461 Ernährung ISBN 978-3-8338-3984-9 € 19,99 [D] € 20,60 [A] www.gu.de
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