Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus

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Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
2021

Herausforderungen und Chancen
für ältere Stellensuchende

Eine Untersuchung aus
unterschiedlichen Blickwinkeln
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
Inhalt

                                Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau, Zug und Zürich (AMOSA)
                                Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt keine Kantonsgrenzen kennt, haben sich
                                die Arbeitsmarktbehörden der Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden,
                                Glarus, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich seit 2002 zur gemeinsa-
                                men Arbeitsmarktbeobachtung AMOSA zusammengeschlossen. AMOSA untersucht im Auftrag
                                der Arbeitsmarktbehörden der Mitgliedskantone arbeitsmarktrelevante Fragestellungen und
                                erarbeitet Entscheidungsgrundlagen zur Optimierung und strategischen Weiterentwicklung der
                                Vollzugspraxis in den Mitgliedskantonen von AMOSA. Dafür erhebt AMOSA Informationen zu
                                praxisbezogenen Problemstellungen und analysiert diese wissenschaftlich. Basierend auf den
                                Studienergebnissen entwickelt und initiiert AMOSA gemeinsam mit den Projektpartnern Mass-
                                nahmen zur raschen und nachhaltigen Integration von Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt.

2
                                03                 Vorwort

                                04                 Zusammenfassung

                                06                 Kapitel 1
2021
                                                   Die Situation von älteren Erwerbspersonen
Herausforderungen und Chancen
für ältere Stellensuchende                         und Stellensuchenden

                                15                 Kapitel 2
                                                   Rekrutierungspraxis im Wandel der Zeit

                                23                 Kapitel 3
                                                   Perspektive der Stellensuchenden

                                30                 Kapitel 4
                                                   Perspektive der Arbeitgeber

                                38                 Kapitel 5
                                                   Perspektive der Arbeitsmarktbehörden

                                44                 Kapitel 6
                                                   Wie kann die Erwerbsintegration
                                                   von älteren Stellensuchenden unterstützt werden?

                                49                 Glossar

                                50                 Datengrundlagen

                                51                 Projektorganisation

                                52                 Impressum

                                Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Studienergebnisse?
                                Die Corona-Pandemie hat viele Bereiche des wirtschaftlichen Lebens abrupt verlangsamt oder
                                gar zum Stillstand gebracht. Die Kurzarbeit erwies sich als äusserst hilfreiches Mittel, um Ent-
                                lassungen zu vermeiden. Dennoch kam es im Frühling 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Ar-
                                beitslosigkeit. Wie in anderen Wirtschaftskrisen sind auch in der Corona-Krise Erwerbspersonen
                                unter 50 Jahren besonders stark betroffen. Die Erfahrung zeigt, dass ältere Personen in der Regel
                                weniger stark von Konjunktureinbrüchen betroffen sind, aber meist länger als jüngere benöti-
                                gen, bis sie zurück in den Arbeitsmarkt finden.
                                   Die Corona-Krise brach mitten im vorliegenden AMOSA-Projekt aus. Die Befragungen der
                                Stellensuchenden und der Arbeitgeber mussten unterbrochen werden und konnten zeitlich ver-
                                zögert im August 2020 nachgeholt werden. Eine ursprünglich vorgesehene Fremdbeurteilung
                                von Stellensuchenden durch ihre Personalberaterinnen und Personalberater musste aufgrund
                                der stark erhöhten Arbeitsbelastung in den RAV abgebrochen werden und kann aufgrund der
                                tiefen Fallzahlen nicht ausgewertet werden. Nur wenige Fragen in den Befragungen beziehen
                                sich direkt auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation. Dennoch dürfte sich die schwierige Arbeits-
                                marktlage in den Antworten der Stellensuchenden teilweise widerspiegeln.
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Vorwort

In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Situ-                                                                 3
ation von älteren Erwerbspersonen im Arbeits-
markt häufig als erschwert wahrgenommen. Auch
die Selbstwahrnehmung von Direktbetroffenen
erscheint manchmal etwas übertrieben negativ.
Die Daten zeigen, dass ältere Erwerbspersonen
seltener als jüngere erwerbslos werden. Sie be-
kunden allerdings deutlich mehr Mühe, nach einer
Arbeitslosigkeit wieder Tritt zu fassen. Eine erfolg-
reiche und rasche Integration älterer Stellensu-
chender in den Arbeitsmarkt ist deshalb zentral.
Mit der vorliegenden Publikation wollen wir die
Altersthematik aus verschiedenen Blickwinkeln
analysieren. Welche Ursachen sehen die Betrof-
                                                                      Thomas Buchmann
fenen selbst für ihre Arbeitslosigkeit? Wie fit se-
                                                                      Vorsitzender des Steuerungsausschusses
hen sich ältere Erwerbspersonen im Vergleich zu                       Leiter Amt für Wirtschaft
jüngeren für den Arbeitsmarkt? Aus Sicht der Ar-                      und Arbeit Aargau
beitgeber wollen wir untersuchen, durch welche
Stärken sich ältere Mitarbeitende im Vergleich zu
jüngeren besonders hervorheben, möchten aber
auch Verbesserungspotenziale aufdecken. Welche
Anreize zur Rekrutierung von älteren Mitarbeiten-       mittelbaren und älteren Arbeitslosen neue Mass-
den sind vorhanden und welche Hemmnisse gilt            nahmen zu entwickeln und auszutesten.
es abzubauen? Die Studie legt ein besonderes Au-           Die Analysen zeigen: Für viele Stellensuchende
genmerk auf den Arbeitsmarkt. Die Kräfte des            sind die hohen Bildungsanforderungen auf dem
Strukturwandels verändern sowohl den Arbeits-           Arbeitsmarkt – unabhängig von ihrem Alter – eine
markt als auch die Rekrutierungspraxis. Wie ha-         bedeutende Hürde für die Reintegration. Mehr
ben sich die Kompetenzanforderungen über die            denn je zeigt uns auch die aktuelle Corona-Krise,
Zeit gewandelt und wie gut passen die Kompe-            dass auf dem Arbeitsmarkt nur erfolgreich sein
tenzprofile von älteren Stellensuchenden auf die        kann, wer flexibel bleibt. Höherqualifizierungen
heutigen Stellenanforderungen? Aus dem Blick-           und Umschulungen gewinnen deshalb immer
winkel der Arbeitsmarktbehörden zeigt sich, dass        mehr an Bedeutung. Um Betroffene möglichst op-
die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV)         timal zu unterstützen, müssen hierfür die nötigen
ein breites Instrumentarium einsetzen, um be-           Rahmenbedingungen geschaffen werden.
darfsgerecht auf die besonderen Bedürfnisse von            An dieser Stelle gebührt ein grosses Dankeschön
älteren Stellensuchenden einzugehen. Viele Kan-         unseren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitar-
tone nutzen ferner die Möglichkeit, im Rahmen           beitern aus den AMOSA-Kantonen, die unser Pro-
des bis 2024 laufenden Impulsprogramms des              jekt AMOSA tatkräftig unterstützen und wertvol-
Bundes zur Wiedereingliederung von schwer ver-          le Beiträge zur Umsetzung unserer Ziele leisten.
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Zusammenfassung

4                               Mittlerweile nähern sich auch die letzten Jahrgän-    rade ältere Stellensuchende oft Mühe, ihr frühe-
                                ge der sogenannten Babyboomer ihrem Pensions-         res Einkommensniveau nach einer Arbeitslosigkeit
                                alter. Mit dem laufenden Ausscheiden dieser ge-       zu halten; sei es, weil sie sich frühzeitig aus dem
2021                            burtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt          Arbeitsmarkt zurückziehen oder weil sie eine Ar-
Herausforderungen und Chancen   wird sich die Fachkräftenachfrage in den kom-         beitsstelle zu einem tieferen Arbeitspensum oder
für ältere Stellensuchende
                                menden Jahren akzentuieren. Dies rückt die Stel-      tieferen Lohn antreten.
                                lung der älteren Arbeitskräfte im Arbeitsmarkt
                                immer mehr ins Zentrum und stellt die Regiona-        Hohe Arbeitsmarktdynamik
                                len Arbeitsvermittlungszentren vor neue Heraus-       als besondere Herausforderung
                                forderungen. Seit einigen Jahren nimmt das The-       Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in
                                ma Altersarbeitslosigkeit auch in den Medien und      der Rekrutierungspraxis sind besonders für älte-
                                in der Politik einen zunehmend wichtigen Platz        re Stellensuchende eine grosse Herausforderung.
                                ein. Die Arbeitsmarktbeobachtung AMOSA wur-           Zwar spielen Altersanforderungen in Stelleninse-
                                de deshalb beauftragt, die Herausforderungen          raten heutzutage eine vernachlässigbare Rolle,
                                und Chancen für ältere Stellensuchende aus um-        der Anforderungskatalog im Bereich der so­zialen
                                fassender Perspektive zu untersuchen und die          und fachlichen Kompetenzen wird hingegen im-
                                wichtigsten Handlungsfelder zu identifizieren.        mer umfangreicher. Neben Berufserfahrung sind
                                                                                      heute zum Beispiel digitale Skills in vielen Berei-
                                Stellenverluste führen zu                             chen ein Muss. Daneben werden in Stellenanzei-
                                dauerhaften Erwerbseinbussen                          gen auch immer mehr Agilität, Flexibilität und
                                Ältere Arbeitnehmende sind nicht häufiger von         Motivation gefordert. Aus Sicht der Arbeitgeber
                                Arbeitslosigkeit betroffen als jüngere, benöti-       erfüllen ältere Erwerbspersonen die neuen An-
                                gen aber in der Regel länger, bis sie nach einem      forderungen in Bezug auf diese Softfaktoren sehr
                                Stellenverlust wieder im Arbeitsmarkt Fuss fas-       gut. Einzig in Bezug auf ihre Flexibilität und Lern-
                                sen können. Nicht allen gelingt der Wiederein-        bereitschaft werden jüngere Personen etwas po-
                                stieg in den Arbeitsmarkt gleich gut. So haben äl-    sitiver beurteilt. Eine grosse Herausforderung
                                tere Stellensuchende ein deutlich höheres Risiko,     bleiben für viele Stellensuchende die hohen Bil-
                                ausgesteuert zu werden, als jüngere und bekun-        dungsanforderungen auf dem Stellenmarkt. Ge-
                                den mehr Mühe, nach einer Aussteuerung noch           sucht werden häufig Fachkräfte mit guten Qua-
                                einmal nachhaltig in den Arbeitsmarkt zurückzu-       lifikationen und hohem Spezialisierungsgrad.
                                kehren. Für viele Betroffene stellt eine Arbeits­     Stellensuchende bringen hingegen – unabhängig
                                losigkeit ein einschneidendes Ereignis in ihrer Er-   von ihrem Alter – oft die nötigen Bildungsvoraus-
                                werbskarriere dar und ist häufig mit dauerhaften      setzungen nicht mit, um sich erfolgreich auf sol-
                                Erwerbseinbussen verbunden. Diese nehmen mit          che Stellen zu bewerben.
                                steigendem Alter markant zu. Obwohl die Arbeits-
                                losenversicherung eine wichtige soziale Siche-        Arbeitgeber sehen viele Stärken
                                rungsfunktion wahrnimmt und den Betroffenen           und vereinzelte Defizite
                                während einer gewissen Zeit ermöglicht, sich auf      Gefragt nach ihren Erfahrungen mit über 50-Jäh-
                                ihre Stellensuche zu konzentrieren, bekunden ge-      rigen beurteilt eine Mehrheit der befragten Be-
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triebe diese als positiv. Gerade in Bezug auf die     sich in der Praxis der Arbeitsmarktbehörden. Ba-      5
Berufserfahrung, das Fachwissen sowie der Verant-     sierend auf den Studienergebnissen haben die
wortungsbereitschaft attestieren die Arbeitgeber      AMOSA-Kantone die wichtigsten Handlungsfelder
ihrer älteren Belegschaft Vorteile gegenüber den      identifiziert und einen Abgleich zu bestehenden
Jüngeren. Einzig in Bezug auf die Informatikkennt-    Massnahmen und Programmen für ältere Stellen-
nisse und auf die Lernbereitschaft nehmen die Be-     suchende vorgenommen. Der Abgleich zeigt, dass
triebe leichte Defizite wahr. Die Arbeitgeber sehen   die Arbeitsmarktbehörden bereits über ein breites
grundsätzlich wenige Rekrutierungshemmnisse.          Instrumentarium verfügen, um Stellensuchende
Mehr als ein Drittel der befragten Arbeitgeber be-    bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt gezielt
urteilen allerdings hohe Lohnerwartungen von älte-    und bedarfsorientiert zu unterstützen.
ren Stellensuchenden als potenziellen Knackpunkt         Dennoch kann punktuell ein Handlungsbedarf
für deren Einstellung – dies ganz im Gegensatz zur    identifiziert werden. Um Schritt halten zu kön-
subjektiven Einschätzung der Stellensuchenden, die    nen mit der fortschreitenden Digitalisierung und
sich in Bezug auf den Lohn sehr konzessionsbereit     den damit verbundenen Veränderungen auf dem
einschätzen und effektiv auch sind.                   Arbeitsmarkt, haben die AMOSA-Kantone die
                                                      Förderung der ICT-Skills älterer Stellensuchender
Ältere Stellensuchende sehen ihr Alter                als wichtigen Handlungsbereich identifiziert. Ei-
als wichtigstes Hindernis für ihre Stellensuche       nige Kantone haben bereits begonnen, ihr ent-
Ältere Personen sehen die Ursachen ihrer Arbeits-     sprechendes Angebot an arbeitsmarktlichen
losigkeit häufig in Faktoren, die ausserhalb ihrer    Massnahmen laufend auszubauen. Die hohen
Kontrolle liegen. Firmenreorganisationen, Stel-       Bildungsanforderungen auf dem Stellenmarkt
lenabbau oder die konjunkturelle Lage wurden am       sind für Stellensuchende häufig ein unüberwind-
häufigsten genannt. Jüngere geben hingegen häu-       bares Hindernis. Um die Integrationschancen
figer familiäre Gründe oder berufliche Neuorien-      von Geringqualifizierten – unabhängig von ih-
tierung als Hauptgründe für ihre Stellenlosigkeit     rem Alter – zu erhöhen, tritt die Frage von Um-
an. Obwohl sich ältere Stellensuchende in Bezug       schulungen und Höherqualifizierungen von Stel-
auf ihre fachlichen und persönlichen Kompeten-        lensuchenden immer mehr in den Fokus. Dabei
zen sowie ihre Arbeitsleistung ein gutes Zeugnis      gilt es, die vorhandenen Möglichkeiten optimal
ausstellen, beurteilen sie ihre Stellenchancen als    zu nutzen und gemeinsam mit den involvierten
gering. Das Alter wird von vielen älteren Stellen-    Partnern weiterzuentwickeln. Ein weiterer wich-
suchenden als grösstes Hindernis für die Stellen-     tiger Handlungsbereich betrifft das Engagement
suche und häufigste Ursache für Stellenabsagen        der Arbeitgeber. Über einen verstärkten Fokus
angesehen.                                            auf die Vermittlung von älteren Stellensuchen-
                                                      den, über eine aktive Pflege und einen Ausbau
AMOSA-Kantone verfügen über ein breites               von Arbeitgeberkontakten und über gezielte In-
Instrumentarium – punktueller Handlungsbedarf         formations- und Sensibilisierungskampagnen
vorhanden                                             können die Arbeitsmarktbehörden die Arbeitge-
Die erschwerte Lage von älteren Stellensuchen-        ber in ihrer Region stärker in die Verantwortung
den wurde auch politisch erkannt und reflektiert      nehmen.
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
Kapitel 1

                                Die Situation von älteren
                                Erwerbspersonen und
                                Stellensuchenden

6                               Der demografische Wandel verändert                    und Ursachen von Stellenverlusten im Alter. Da-
                                den Arbeitsmarkt                                      bei stehen oft personenbezogene Merkmale, wie
                                Der Altersdurchschnitt in der Schweizer Bevöl-        beispielsweise die Motivation, Qualifikation oder
2021                            kerung steigt stetig. Bereits jede dritte Erwerbs-    berufliche Erfahrung von Betroffenen im Fokus.
Herausforderungen und Chancen   person im AMOSA-Gebiet ist 50 Jahre oder älter.       Häufig thematisiert wurden auch Themen der
für ältere Stellensuchende
                                Mit dem laufenden Ausscheiden von geburten-           sozialen Sicherung – vor allem im Zusammen-
                                starken Jahrgängen – den sogenannten Babyboo-         hang mit den politisch stark diskutierten Über-
                                mern – aus dem Arbeitsmarkt wird sich die Nach-       brückungsleistungen für ältere Arbeitslose. Viele
                                frage nach Fachkräften in den kommenden Jahren        Artikel weisen einen direkten Massnahmenbezug
                                noch zusätzlich akzentuieren. Dies rückt die Stel-    auf und unterstreichen die Suche nach geeigne-
                                lung der älteren Arbeitskräfte immer mehr ins         ten Lösungsansätzen aus der Warte von verschie-
                                Zentrum. Um den wachsenden Fachkräftebedarf           denen Akteuren.
                                zu decken, muss ihr Arbeitskräftepotenzial mög-
                                lichst gut ausgeschöpft werden. Erfreulicherweise     Ältere sind weniger von Erwerbslosigkeit
                                ist die Erwerbsbeteiligung der über 50-Jährigen im    betroffen als Junge
                                internationalen Vergleich bereits sehr hoch. Aller-   Dabei sind über 50-Jährige nicht in besonderem
                                dings nimmt auch in der Schweiz ab dem Alter von      Ausmass von Erwerbslosigkeit betroffen. In der
                                50 Jahren die Zahl der Erwerbsrücktritte zu. Beson-   Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass jüngere Men-
                                ders ausgeprägt ist der Effekt für Personen, die im   schen häufiger erwerbslos sind. Da gerade Schul-
                                späteren Erwerbsalter arbeitslos oder ausgesteu-      abgänger jedoch häufig keine Entschädigungs-
                                ert wurden. Die demografisch bedingt gestiege-        leistungen beanspruchen können oder andere
                                ne Bedeutung der über 50-Jährigen stellt auch die     Zwischenlösungen suchen, melden sie sich selte-
                                Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) vor       ner beim RAV an und tauchen nicht in den Sta-
                                neue Herausforderungen. So stieg der Anteil der       tistiken zu den registrierten Stellensuchenden
                                über 50-jährigen Stellensuchenden zwischen 2010       auf. Beschränkt man sich auf Arbeitskräfte, de-
                                und 2019 stetig von 24 Prozent auf gut 30 Prozent.    ren Eintritt in den Arbeitsmarkt bereits mehrere
                                Eine optimale Erwerbsintegration von älteren Stel-    Jahre zurückliegt – also Arbeitskräfte, die bereits
                                lensuchenden ist und bleibt deshalb zentral.          länger im Arbeitsmarkt verankert sind, – zeigt
                                                                                      sich über die Altersgruppen ein U-förmiger Ver-
                                Hohe mediale Präsenz                                  lauf bei der Quote der registrierten Stellensu-
                                des Themas Altersarbeitslosigkeit                     chenden ( Grafik 2). Am tiefsten ist die Quote
                                Die Altersarbeitslosigkeit wird auch in den Medi-     der Stellensuchenden bei den 45- bis 49-Jährigen.
                                en immer häufiger thematisiert ( Grafik 1). Seit      Ab dem Alter von 50 Jahren steigt die Quote wie-
                                2013 ist ein starker Anstieg der zu diesem Thema      der leicht an, verbleibt aber unterhalb der Quote
                                verfassten Medienartikel sichtbar. Die Entwick-       der 30- bis 39-Jährigen. Eine Ausnahme bilden die
                                lung der letzten Jahre hebt sich damit stark von      60- bis 64-Jährigen Arbeitskräfte. Mit einer Stel-
                                der allgemeinen Entwicklung der Medienland-           lensuchendenquote von 4.6 Prozent sind diese
                                schaft ab. Der öffentliche Diskurs ist wesentlich     Personen stärker als die 30- bis 39-Jährigen von
                                geprägt von den Herausforderungen, Problemen          Stellenlosigkeit betroffen.
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
80                                                                                                  Grafik 1
                                                                                                                                   Mediale Präsenz im Zeitverlauf
                               70
                                                                                                                                   Frequenzanalyse zur Anzahl der Presseartikel im
                                                                                                                                   Zeitraum 1994-2019 insgesamt und zum Thema
                               60
Anzahl Artikel (pro Quartal)

                                                                                                                                   Altersarbeitslosigkeit.
                                                                                                                                   Daten: Swissdox
                               50

                               40
                                                                                                                                            Artikel zum Thema Altersarbeitslosigkeit
                               30                                                                                                           Total archivierte Artikel (in 10’000)

                               20

                               10

                                0
                                 1995          2000       2005           2010      2015         2020

                               5                                                                                                                Grafik 2
                                                                                                                                                Quote der registrierten Stellensuchenden
Stellensuchendenquote (%)

                               4                                                                                                                Die Grafik zeigt die Zahl der registrierten
                                                                                                                                                Stellensuchenden im Verhältnis zur Zahl
                                                                                                                                                der Erwerbspersonen einer entsprechenden        7
                               3
                                                                                                                                                Altersklasse.
                                                                                                                                                Daten: SECO/AVAM, Jahresdurchschnitts-
                               2                                                                                                                werte 2019; BFS/Strukturerhebung: 2015-
                                                                                                                                                2017, AMOSA-Gebiet.
                               1

                               0
                                     30-34      35-39   40-44    45-49     50-54   55-59   60-64
                                                           Alter (in Jahren)

                               1.0                                                                     10                                       Grafik 3
                                                                                           8.3 Mt
                                                                                                                                                Risiko und Dauer der Stellensuche
                                                                                                            Stellensuchdauer (in Monaten)

                               0.8                                                                     8                                        Die Grafik zeigt das Zugangsrisiko der regis-
                                        0.7%
                                                                                                                                                trierten Stellensuche für Erwerbspersonen
Zugangsrisiko (%)

                                                                                                                                                sowie die Mediandauer der registrierten
                               0.6                                                                     6
                                                                                                                                                Stellensuche gemessen in Monaten nach
                                                                                                                                                Altersklassen.
                               0.4                                                                     4                                        Daten: Risiko: SECO/AVAM, Jahresdurch-
                                                                                                                                                schnittswerte 2019; BFS/Strukturerhe-
                                     3.9 Mt                                                0.3%                                                 bung, 2015-2017; Dauer: SECO/AVAM,
                               0.2                                                                     2
                                                                                                                                                Abmeldekohorte 2019; AMOSA-Gebiet.

                               0.0                                                                     0
                                     30-34      35-39   40-44    45-49     50-54   55-59   60-64
                                                           Alter (in Jahren)

                                                                Beitragszeit        Bedingung                                                                                         Max.
                                                                                                                                                                                    Taggelder

                                                                Beitragsbefreit     z. B. wegen Schulausbildung, Weiterbildung, Unfall,                                                90
                                                                                    Krankheit, Mutterschaft etc.

                                                                12-24 Monate        Bis 25 Jahre alt ohne Unterhaltspflicht                                                           200

                                                                12-18 Monate        Ab 25 Jahren oder mit Unterhaltspflicht                                                           260

                                                                18-24 Monate        Ab 25 Jahren oder mit Unterhaltspflicht                                                           400

                                                                22-24 Monate        Ab 55 Jahren oder bei Bezug einer IV-Rente im Umfang                                              520
                                                                                    von mind. 40%

Tabelle 1                                                       Bei stark erschwerter Vermittelbarkeit können maximal vier Jahre vor der Pensionierung
                                                                zusätzliche 120 Taggelder geltend gemacht werden (Art. 27 Abs. 3 AVIG)
Höchstansprüche für Taggelder
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
Geringeres Risiko, aber längere Dauer
                                Im Vergleich zu jüngeren Arbeitskräften haben 50- bis 59-jährige Ar-
                                beitskräfte ein geringeres Risiko, arbeitslos zu werden. Doch einmal
                                arbeitslos, haben ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft
                                mehr Mühe als jüngere, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrie-
                                ren, und sind daher länger auf Stellensuche. Die Auswertungen zei-
                                gen, dass das Risiko, sich beim RAV als stellensuchend anzumelden,
8                               mit zunehmendem Alter kleiner wird. Gleichzeitig erhöht sich die
                                durchschnittliche Stellensuchdauer mit dem Alter signifikant ( Grafik
                                3). Bleibt bei den 30- bis 34 Jährigen die Hälfte aller Stellensuchenden
2021                            weniger als vier Monate lang bei einem RAV angemeldet, so sind 50
Herausforderungen und Chancen   Prozent der über 60- Jährigen mehr als acht Monate bei einem RAV
für ältere Stellensuchende
                                zur Stellensuche gemeldet. Die Dauer der Stellensuche muss jedoch in
                                den Kontext der gesetzlichen Bestimmungen zur Anspruchsberech-
                                tigung ( Tabelle 1) gestellt werden. Um den erschwerten Bedingun-
                                gen von älteren Stellensuchenden Rechnung zu tragen, können diese
                                – abhängig von ihrer Beitragszeit – eine längere Taggelddauer geltend
                                machen als jüngere. Besonders stark zeigt sich dies in der Gruppe der
                                über 60-Jährigen. Stellensuchende, die höchstens vier Jahre vor ih-
                                rer Pensionierung stehen, können, sofern eine Vermittlung stark er-
                                schwert erscheint, 120 zusätzliche Taggelder beanspruchen.

                                Arbeitslosigkeit als dauerhafter Einschnitt
                                in die Erwerbsbiografien
                                Ein Stellenverlust ist ein einschneidendes Ereignis. Detaillierte Analy-
                                sen zu den Erwerbs- und Einkommensbiografien von Stellensuchen-
                                den zeigen, dass ältere Personen im Vergleich zu jüngeren unabhän-
                                gig von Branche, Ausbildung oder weiteren Merkmalsunterschieden
                                besonders stark von einem Stellenverlust betroffen sind. Für sie ist
                                eine Arbeitslosigkeit häufig mit dauerhaften Erwerbseinbussen ver-
                                bunden ( Grafik 4). Dabei zeigt sich, dass die Erwerbseinbussen nach
                                einer Arbeitslosigkeit mit steigendem Alter zunehmen – nicht nur in
                                absoluten Beträgen, sondern auch relativ betrachtet. Die Einkom-
                                mensverluste können zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass
                                mittel- bis längerfristig nicht alle Personen nach einer Arbeitslosig-
                                keit in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Allerdings zeigen sich auch
                                bei wiederbeschäftigten Personen mit steigendem Alter zunehmend
                                höhere Einbussen. Rund drei Jahre nach einer Arbeitslosigkeit ver-
                                dienen Betroffene je nach Alter zwischen 1 und 28 Prozent weniger
                                verglichen mit einer gleichaltrigen Person vor deren Stellenverlust
                                ( Tabelle 2). Darin zeigt sich, dass Stellensuchende mit steigendem
                                Alter – selbst wenn sie wieder eine Stelle finden – häufiger Lohnein-
                                bussen in Kauf nehmen oder zu geringeren Arbeitspensen angestellt
                                werden. Auffallend ist, dass die Einkommenseinbussen bei Frauen
                                insgesamt weniger stark ausgeprägt sind als bei Männern – dies al-
                                lerdings bei einem tieferen Einkommensniveau.
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
6000                                                                                                       Grafik 4
Monatliches Einkommen

                        5000                                                                                                       Sicherheitsnetz ALV
                                                                                                                                   Die Grafik zeigt die durchschnittlichen monat-

                                                                                                                   30-39-Jährige
                        4000
                                                                                                                                   lichen Erwerbseinkommen und die Einkommen
                        3000                                                                                                       aus Arbeitslosenentschädigung (ALE) in den
                                                                                                                                   zwei Jahren vor und vier Jahren nach Anmel-
                        2000                                                                                                       dung beim RAV für verschiedene Altersgruppen.
                        1000                                                                                                       Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011-
                                                                                                                                   2013, nur anspruchsberechtigte Stellensuchen-
                           0                                                                                                       de, AMOSA-Gebiet.

                        6000                                                                                                       Lesebeispiel 1
                                                                                                                                   Die durchschnittlichen Erwerbseinkommen der
Monatliches Einkommen

                        5000                                                                                                       30- bis 39-jährigen Stellensuchenden fallen in

                                                                                                                   40-49-Jährige
                        4000                                                                                                       den ersten drei Monaten nach Anmeldung beim
                                                                                                                                   RAV um fast 60 Prozent. Allerdings erholt sich
                        3000                                                                                                       das durchschnittliche Erwerbseinkommen in
                                                                                                                                   dieser Altersgruppe relativ rasch – weil viele
                        2000
                                                                                                                                   Stellensuchende innert kurzer Zeit wieder eine
                        1000                                                                                                       Beschäftigung finden – und erreicht mittel-
                                                                                                                                   fristig ein ähnlich hohes Niveau wie vor der
                           0                                                                                                       Stellensuche. Die ALE nimmt vor allem in den
                                                                                                                                   ersten Monaten nach Anmeldung eine wichtige
                                                                                                                                   Abfederungsfunktion ein.
                        6000
                                                                                                                                   Lesebeispiel 2
Monatliches Einkommen

                        5000                                                                                                       Stellensuchende, die bei ihrer Anmeldung beim
                                                                                                                                   RAV zwischen 60- und 64-Jahre alt waren,

                                                                                                                   50-59-Jährige
                        4000                                                                                                       weisen hohe Erwerbseinbussen auf, die auch
                                                                                                                                   mittelfristig nicht verschwinden. Diese sind
                        3000
                                                                                                                                   massgeblich darauf zurückzuführen, dass in die-
                        2000                                                                                                       ser Altersgruppe viele Stellensuchende – bereits
                                                                                                                                   vor ihrer ordentlichen Pensionierung – keine
                        1000                                                                                                       Erwerbstätigkeit mehr aufnehmen. Die ALE ist
                           0                                                                                                       für diese Altersgruppe eine wichtige finanzielle
                                                                                                                                   Stütze und macht in den zwei Jahren nach
                                                                                                                                   Anmeldung fast 60 Prozent des Gesamteinkom-
                        6000                                                                                                       mens aus.
Monatliches Einkommen

                        5000
                                                                                                                   60-64-Jährige

                        4000
                                                                                                                                         Einkommen aus Erwerbstätigkeit (in CHF)
                        3000                                                                                                             Arbeitslosenentschädigung (in CHF)
                        2000

                        1000

                           0
                           -24   -18   -12   -6     0     6      12     18    24         30    36     42      48
                                                  Monate seit Anmeldung beim RAV

                                       Alter in Jahren   30-39        40-49   50-54           55-59        60-64

                                       Männer              -1          -12         -15         -15          -28
 Erwerbseinbussen (%)
                                       Frauen              -2          -2          -3          -10          -19

 Tabelle 2
 Erwerbseinbussen nach Wiederbeschäftigung
 Prozentuale Erwerbseinbussen von Personen einer bestimmten Alterskategorie in den 31 bis 36 Mo-
 naten nach ihrer Anmeldung zur Stellensuche im Vergleich zu den Erwerbseinkommen von Personen
 im gleichen Alter in den sechs Monaten vor Anmeldung.
 Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011-2013, AMOSA-Gebiet.

 Lesebeispiel
 Ein 50- bis 54-jähriger beschäftigter Mann verdiente in den 6 Monaten unmittelbar vor seiner An-
 meldung zur Stellensuche im Durchschnitt 15 Prozent mehr als ein gleichaltriger Mann, der sich rund
 drei Jahre zuvor bei einem RAV stellensuchend gemeldet hatte, jedoch im betrachteten Zeitfenster
 bereits wieder einer Beschäftigung nachging. Bei den Frauen beträgt die durchschnittliche Einkom-
 menseinbusse in der Altersklasse der 50-54-Jährigen lediglich 3 Prozent.
Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
10

2021
Herausforderungen und Chancen
für ältere Stellensuchende
Arbeitslosenversicherung                              der Arbeitslosenversicherung. Verschiedene Indi-
als wichtiges Sicherheitsnetz                         katoren zu Stabilität und Nachhaltigkeit der Re­
Für Stellensuchende, die etwas mehr Zeit benöti-      integration geben Hinweise darauf, wie dauerhaft
gen, um nach einem Stellenverlust wieder in den       Beschäftigungsverhältnisse nach einer Stellensu-
Arbeitsmarkt zurückzufinden, ist die Arbeitslosen-    che sind. Eine nachhaltige Erwerbsintegra­tion ge-
versicherung ein wichtiges soziales Sicherheits-      lingt jenen Betroffenen am besten, die vor ihrer
netz. Sind die Beitragsbedingungen erfüllt, fängt     Arbeitslosigkeit stabil im Arbeitsleben verankert
die Arbeitslosenentschädigung einen grossen           waren. Im Gegenzug weisen Stellensuchende, die
Teil der Erwerbseinbussen ab und Stellensuchen-       bereits vor ihrer Arbeitslosigkeit Erwerbslücken
de können die Zeit nutzen, um mit Unterstützung       aufwiesen, häufig auch nach ihrer Stellensuche
der RAV eine neue Beschäftigung zu suchen. Mit        wieder Unterbrüche auf. Hinter solchen Erwerbs-
steigendem Alter wird die Arbeitslosenentschädi-      biografien stehen häufig saisonale Beschäfti-
gung eine zunehmend wichtigere Stütze für das         gungsverhältnisse. Dieses Muster zeigt sich bei
Gesamteinkommen ( Grafik 4). Dies hängt damit         allen Stellensuchenden – unabhängig von ihrem
zusammen, dass ältere Personen im Durchschnitt        Alter. Allerdings lässt sich beobachten, dass Wie-
mehr Mühe haben als jüngere, eine neue Beschäf-       deranmeldungen beim RAV bei älteren Personen
tigung zu finden, und deshalb länger auf Stellensu-   tendenziell seltener vorkommen. Dies dürfte un-
che sind. Auch die höheren Taggeldansprüche von       ter anderem daran liegen, dass ältere Personen
älteren Stellensuchenden tragen dazu bei, dass        anstelle einer erneuten Anmeldung beim RAV
diese im Durchschnitt länger beim RAV gemeldet        möglicherweise auch frühzeitige Erwerbsrücktrit-
sind als jüngere. Die Auswertungen zeigen, dass       te und Frühpensionierungen in Betracht ziehen.
Stellensuchende, die aufgrund ihres Alters 120 zu-
sätzliche Taggelder beanspruchen können, signi-       Ältere Stellensuchende haben
fikant länger beim RAV gemeldet waren als Stel-       ein erhöhtes Aussteuerungsrisiko
lensuchende, welche die Voraussetzungen gerade        Nicht allen Stellensuchenden gelingt während ih-
noch nicht erfüllten, aber bei ihrer Anmeldung        rer Stellensuche ein Wiedereinstieg in den Arbeits-
beim RAV fast gleich alt waren. Darin bestätigt       markt. Gewisse Stellensuchende schöpfen ihre
sich die in der wissenschaftlichen Literatur mehr-    Taggelder aus oder erreichen das Ende ihrer Rah-
fach belegte Erkenntnis, dass grosszügige Entschä-    menfrist, ohne eine Stelle gefunden zu haben, und
digungsleistungen aus der Arbeitslosenversiche-       werden aus der Arbeitslosenversicherung ausge-
rung wichtige Anreize auf die Stellensuchenden        steuert. Absolut gesehen werden weniger ältere
ausüben, was sich jedoch oft in einer verlängerten    Stellensuchende ausgesteuert als jüngere. Hin-
Stellensuchdauer bemerkbar macht.                     gegen steigt das Aussteuerungsrisiko mit zuneh-
                                                      mendem Alter. Dazu wurde das Risiko berechnet,
Arbeitsmarktnähe als wichtiger Faktor                 innerhalb von vier Jahren nach Eröffnung einer
für spätere Erwerbsintegration                        Rahmenfrist von einer Aussteuerung betroffen
Neben einer möglichst raschen Wiedereingliede-        zu sein. So haben 55- bis 59-Jährige ein doppelt so
rung ist die Dauerhaftigkeit des neuen Beschäf-       hohes Risiko, innerhalb von vier Jahren nach Eröff-
tigungsverhältnisses eine wichtige Zielsetzung        nung einer Rahmenfrist ausgesteuert zu werden,
70

                                                                60

                                Anteil mit Beschäftigung (%)
                                                                50

                                                               40

                                                                30

                                                                20

                                                                10

                                                                 0
                                                                     0             6          12           18            24        30         36          42          48
                                                                                                          Monate seit Aussteuerung

                                                                      Grafik 5
12                                                                    Erwerbstätigkeit nach einer Aussteuerung
                                                                                                                                          30-39 Jahre
                                                                      Die Grafik zeigt die Erwerbstätigenrate in den 48 Mona-
                                                                      ten nach Aussteuerung für verschiedene Altersgruppen.               40-49 Jahre
                                                                      Massgeblich ist das Alter bei Aussteuerung.                         50-54 Jahre
2021
                                                                      Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011-2013 (nur                     55-59 Jahre
Herausforderungen und Chancen
                                                                      Stellensuchende mit Aussteuerung), AMOSA-Gebiet.                    60-64 Jahre
für ältere Stellensuchende

                                                               100                                                                 Grafik 6
                                                                                                                                   Individuelle Einkommensverände-
                                                               90                                                                  rung bei Wiederbeschäftigung
                                                                                                                                   Die Grafik zeigt die Verteilung der
                                                                                                                                   individuellen Einkommensverän-
                                                                80
                                                                                                                                   derungen für Stellensuchende zwi-
                                                                                                                                   schen 30 und 60 Jahren. Gemessen
                                                                70                                                                 wird die Differenz zwischen dem
                                                                                                                                   Erwerbseinkommen im zweiten
                                Anteil Stellensuchende (%)

                                                                                                                                   Monat nach Wiederbeschäftigung
                                                                60                                                                 und dem Erwerbseinkommen zwei
                                                                                                                                   Monate vor Anmeldung beim RAV.
                                                                                                                                   Es wurden nur Personen in die
                                                                50                                                                 Analyse einbezogen, welche vor
                                                                                                                                   und nach der Arbeitslosigkeit einer
                                                                                                                                   Beschäftigung nachgingen.
                                                               40
                                                                                                                                   Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohor-
                                                                                                                                   ten 2011-2013, AMOSA-Gebiet
                                                                30

                                                                20

                                                                10

                                                                 0
                                                                     30       35       40         45        50      55        60
                                                                                            Alter (in Jahren)

                                                                                       Höher                     > 50% mehr        Lesebeispiel
                                                                                                                 30-50% mehr       Bei den 30-Jährigen verdiente rund
                                                                                                                                   jede fünfte stellensuchende Person
                                                                                                                 10-30% mehr
                                                                              Einkommen bei                                        nach ihrer Arbeitslosigkeit mehr
                                                                                                                 +/– 10%           als 50 Prozent weniger als vor ihrer
                                                                         Wiederbeschäftigung
                                                                                                                 10-30% weniger    Stellensuche. Bei den 60-Jährigen
                                                                                                                                   liegt dieser Anteil bei fast 40
                                                                                                                 30-50% weniger
                                                                                                                                   Prozent.
                                                                                       Tiefer                    >50% weniger
wie 30- bis 39-Jährige. Das erhöhte Aussteue-           ter fallen mehr und mehr Stellensuchende in die
rungsrisiko von älteren Stellensuchenden unter-         Gruppe, deren Einkommenssituation sich relativ
streicht deren grössere Schwierigkeiten bei der         zu ihrer letzten Erwerbstätigkeit verschlechterte
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.                ( Grafik 6).
   Rund ein Drittel der ausgesteuerten Stellensu-
chenden finden – unabhängig von ihrem Alter –           Grosse Niveauunterschiede zwischen
im Monat nach ihrer Aussteuerung wieder eine Er-        einzelnen Personengruppen
werbstätigkeit ( Grafik 5). Mittel- bis längerfristig   Nicht alle Arbeitskräfte sind den gleichen Arbeits-   13
unterscheidet sich jedoch die Erwerbsintegration        marktrisiken ausgesetzt. So haben beispielsweise
deutlich je nach Alter der ausgesteuerten Person.       Personen mit Abschluss auf Sekundarstufe I ein
Bei den unter 50-Jährigen stieg der Anteil der Aus-     substanziell höheres Risiko, arbeitslos zu werden,
gesteuerten mit einer neuen Beschäftigung inner-        als Hochqualifizierte und sind im Durchschnitt
halb von drei Monaten auf rund 50 Prozent und           auch länger auf Stellensuche. Sowohl ein erhöh-
innert Jahresfrist auf rund 55 bis 60 Prozent. Bei      tes Zugangsrisiko als auch eine längere Suchdau-
den 50- bis 59-Jährigen stieg der Anteil der Aus-       er weisen auch Personen mit ausländischer Her-
gesteuerten, die einer Erwerbstätigkeit nachgin-        kunft auf. Ferner ist auch in saisonalen Branchen
gen, innert Jahresfrist auf rund 55 Prozent. In den     wie beispielsweise dem Gastgewerbe das Zu-
darauffolgenden Monaten entwickelte sich die            gangsrisiko im Vergleich zu den übrigen Branchen
Erwerbstätigkeit in dieser Altersgruppe jedoch          deutlich erhöht, allerdings bei einer kürzeren
zunehmend rückläufig auf einen Wert von rund            durchschnittlichen Stellensuchdauer. Hingegen
45 Prozent vier Jahre nach Aussteuerung. Noch           ist das Zugangsrisiko beispielsweise für Arbeits-
ausgeprägter ist die Situation bei den 60- bis          kräfte aus dem Finanz- und Versicherungsgewer-
64-Jährigen, die deutlich mehr Mühe bekunden,           be zwar geringer, allerdings suchen diese Perso-
nach einer Aussteuerung noch einmal nachhaltig          nen im Schnitt deutlich länger, bis sie wieder eine
auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.                    Stelle finden.
                                                           Detaillierte Analysen bei den verschiedenen
Arbeitsmarktbiografien sind sehr individuell            Personengruppen zeigen jedoch, dass sich das
Erwerbsverläufe sind aufgrund der Vielzahl von          beobachtete Altersgefälle tendenziell über alle
unterschiedlichen Merkmalen und Konstella­              Gruppen hinweg beobachten lässt. Allerdings un-
tionen sehr individuell. Obwohl die Erwerbsein-         terscheiden sich die Gruppen darin, wie stark die-
bussen älterer Stellensuchender im Durchschnitt         ses Gefälle ausgeprägt ist. Im Verhältnis zu jün-
deutlich höher sind als bei jüngeren, kann eine         geren Personen sind über 50-Jährige vor allem
Stellensuche im Einzelfall auch Aufstiegschancen        im Bereich der Informations- und Kommunika­
bieten. Das erzielte Einkommen vor der Stellen-         tionsdienstleistungen, im verarbeitenden Gewer-
suche ist dabei ein wichtiger Ankerpunkt für das        be sowie im Finanz- und Versicherungsgewerbe
Einkommen nach Wiederbeschäftigung. Rund je-            überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit
der vierte Stellensuchende verdiente an seiner          betroffen. Die Gruppenanalysen zeigen insge-
neuen Arbeitsstelle sogar über 10 Prozent mehr          samt deutlich, dass die erschwerte Situation von
als vor der Stellensuche. Für etwas mehr als die        älteren Erwerbspersonen auf dem Arbeitsmarkt
Hälfte der Stellensuchenden war der Stellen-            nicht auf einzelne Branchen, Herkunft, Bildungs-
verlust jedoch mit Einkommenseinbussen von              gruppen oder Berufe eingeschränkt werden kann.
10 Prozent oder höher verbunden. Diese Einbus-          Um den Gegebenheiten und Voraussetzungen
sen können die Folge von Lohneinbussen oder             von Stellensuchenden möglichst optimal Rech-
von tieferen Arbeitspensen sein. Gewinner und           nung zu tragen, sollten Massnahmen zur besse-
Verlierer sind allerdings nicht gleichmässig über       ren Integration von älteren Stellensuchenden
die Altersgruppen verteilt. Mit steigendem Al-          beim Individuum ansetzen.
14

2021
Herausforderungen und Chancen
für ältere Stellensuchende
Kapitel 2

Rekrutierungspraxis
im Wandel der Zeit

Stellenmarkt und Rekrutierungspraxis                   15
im Fluss
Der Stellenmarkt befindet sich in einem ste-
ten Wandel. Mit dem Strukturwandel der Wirt-
schaft verändern sich auch die Anforderungen
an das Fachwissen und die Kompetenzen der
Arbeitskräfte. Aufgrund von neuen technologi-
schen Möglichkeiten verändert sich auch die Art
und Weise, wie Unternehmen rekrutieren. Älte-
re Arbeitskräfte sind von einem Wandel der Re­
krutierungspraxis besonders betroffen. Sie bewe-
gen sich in der Regel bereits seit vielen Jahren auf
dem Arbeitsmarkt – in vielen Fällen sogar über
Jahre hinweg beim gleichen Betrieb. Als die heu-
te über 50-jährigen Arbeitskräfte in den achtzi-
ger Jahren zum ersten Mal in den Arbeitsmarkt
einstiegen, waren die Printmedien der dominie-
rende Ausschreibungskanal für offene Stellen.
Bewerbungsdossiers wurden – häufig noch hand-
schriftlich verfasst – per Post an die potenziel-
len Arbeitgeber zugestellt. Mit dem Aufkommen
des Internets verschoben sich Stellenausschrei-
bungen immer mehr in den Onlinebereich. Mit
dem technologischen Fortschritt und der zuneh-
menden Digitalisierung eröffnen sich heutzutage
neue Möglichkeiten in Bezug auf die Nutzung von
Rekrutierungskanälen (z. B. über Social Media)
und die Ausgestaltung von effizienteren Rekru-
tierungsprozessen (z. B. über E-Recruiting-Tools).
Diese verlangen von den Betrieben und von den
Bewerberinnen und Bewerbern eine gewisse IT-
Affinität und digitale Agilität.

Stellenanforderungen verändern sich
Auch die Stellenanforderungen entwickelten sich
über die Zeit weiter. So ist heutzutage die überwie-
gende Mehrheit der Inserate geschlechtsneutral
formuliert. Vor rund 15 Jahren lag der Anteil von
Stellen mit expliziten Geschlechtsangaben noch
16                              bei fast einem Viertel. Eine ähnliche Entwicklung     Job-Matching: Passen ältere Erwerbs-
                                                                                      personen auf moderne Stellenprofile?
                                lässt sich in Bezug auf Altersangaben beobachten.
                                In den fünfziger und sechziger Jahren war es noch     Ältere Erwerbspersonen bewegen sich
                                                                                      in der Regel bereits seit mehreren Jahr-
2021                            gang und gäbe, in Stelleninseraten nach einem
                                                                                      zehnten im Arbeitsmarkt. Für sie sind
Herausforderungen und Chancen   Knaben oder Mädchen zu suchen. Heute spielt das       die sich ändernden Anforderungsprofile
für ältere Stellensuchende
                                Alter in Stelleninseraten eine nebensächliche Rol-    in Stellenanzeigen deshalb besonders
                                le. So wurden im Schnitt in den letzten fünf Jahren   sichtbar. Wie gut passen die Profile
                                                                                      von älteren Erwerbspersonen auf die
                                bei knapp vier Prozent der ausgeschriebenen Stel-
                                                                                      Kompetenzprofile in Stellenanzeigen?
                                len über 50-jährige Bewerberinnen und Bewer-          Bereits in den 80er-Jahren wurden
                                ber aufgrund von Altersangaben im Inserat ausge-      zuverlässige, selbständige, verant-
                                schlossen. In der Phase zwischen 2006 und 2014        wortungsbewusste, dynamische und
                                                                                      flexi­ble Mitarbeitende gesucht. In den
                                lag dieser Anteil mit über acht Prozent noch mehr
                                                                                      2010er Jahren kamen Attribute wie
                                als doppelt so hoch. Dieser Rückgang hat sicher-      Teamorientierung, Motivation, Belast-
                                lich auch mit der gestiegenen gesellschaft­lichen     barkeit, Engagement und Kommunika-
                                Sensibilität gegenüber dem Thema Diskriminie-         tionsfähigkeiten hinzu ( Grafik 8). Aus
                                                                                      Sicht der Arbeitgeber erfüllen ältere
                                rung zu tun. Dies bedeutet aber nicht, dass das Ge-
                                                                                      Erwerbspersonen die neuen Anforde-
                                schlecht oder das Alter bei der Rekrutierung keine    rungen in Bezug auf diese Softfaktoren
                                Rolle mehr spielen würden. So spielt Diversity Ma-    sehr gut. Einzig in Bezug auf ihre Flexibi-
                                nagement in vielen Betrieben heute eine wichtige      lität und Lernbereitschaft werden jün-
                                                                                      gere Personen etwas positiver beurteilt.
                                Rolle, um die personelle und kulturelle Vielfalt in
                                                                                      Hingegen werden ältere Erwerbsperso-
                                der Gesellschaft für eine möglichst passende Be-      nen in Bezug auf ihre Leistungsbereit-
                                legschaftsstruktur zu nutzen.                         schaft, Arbeitsmotivation und Kom-
                                                                                      munikationsfähigkeiten sogar etwas
                                                                                      stärker eingeschätzt als die jüngeren.
                                Neue Kompetenzanforderungen                           Auch werden ältere Erwerbspersonen
                                Neben Fachwissen werden in Stelleninseraten           als mindestens so teamorientiert und
                                heute meist auch diverse persönliche und so­          belastbar eingestuft wie jüngere ( Ka-
                                ziale Kompetenzen gefordert. Das Anforderungs-        pitel 4). Die veränderten Anforderungen
                                                                                      an die Softfaktoren in Stellenanzeigen
                                profil an Arbeitnehmende hat sich dabei über die
                                                                                      scheinen somit nicht mit besonderen
                                Zeit stark gewandelt ( Grafik 7). Suchten die Un-     Benachteiligungen für ältere Stellenbe-
                                ternehmen in den Achtzigern vornehmlich nach          werbende verbunden zu sein.
                                selbständigen, vielseitigen, jungen, zuverlässi-
                                gen, freundlichen und tüchtigen Arbeitskräften,
                                so sind die Wunschkandidatinnen und -kandida-
                                ten der Arbeitgeber heute selbständige, flexible,
                                teamfähige und motivierte Persönlichkeiten, die
                                gleichzeitig auch kommunikativ, belastbar und
                                verantwortungsbewusst sind.
                                   In den Achtzigern waren im Bereich der persönli-
                                chen Kompetenzen vor allem Selbstkompetenzen,
Persönliche                  Selbstkompetenzen
Kompetenzen

Kreativität                                          Verhaltenskompetenzen

Belastbarkeit                                             Gewissenhaftigkeit

Auftrittskompetenzen                                               Flexibilität

                                 Motivation

Werthaltungen              Leistungsorientierung                                  1980er                                            17
                                                                                                         vielseitig

Qualitäts-                                                             Praxis-                          freundlich
orientierung                                                     orientierung                             tüchtig
                                                                                                         initiativ
                                                                                                      einsatzfreudig

Kunden-                                                             Ergebnis-                                 zuverlässig
orientierung                                                     orientierung
                                                                                                              selbständig
                                                                                                       verantwortungsbewusst
                                                                                                              dynamisch
Zukunfts-                                                           Verkaufs-
orientierung                                                     orientierung                                     flexibel

                                                                                                  teamorientiert
                                                                                                      motiviert
Soziale                        Teamfähigkeit                                                          belastbar
Kompetenzen                                                                                           engagiert
                                                                                                  kommunikativ
Kommunikations-                                                 Vernetzungs-
fähigkeit                                                           fähigkeit
                                                                                  2010er

Konflikt-                                                      Verhandlungs-
fähigkeit                                                           fähigkeit              Grafik 8
                                                                                           Softfaktoren in Stelleninseraten
                                                                                           Die Grafik zeigt die zehn häufigsten
                                                              Durchsetzungs-               persönlichen Attribute (Softfaktoren)
Empathie                                                            fähigkeit              in Stellenanzeigen der 1980er-Jahre
                                                                                           und der 2010er-Jahre.
                                                                                           Daten: Inseratetexte des Stellenmarkt-
                                                                                           monitors, 1980-2019, AMOSA-Gebiet.

Grafik 7
Wandel der Kompetenzanforderungen
Die Grafik zeigt die Häufigkeit von Kompetenzanforderungen in Stelleninsera-
ten und ihre Entwicklung über die Zeit.
Daten: Inseratetexte des Stellenmarktmonitors, 1980-2019, AMOSA-Gebiet.

           1980er
           1990er
           2000er
           2010er
18                              Verhaltenskompetenzen und Gewissenhaftigkeit          Sourcing-Plattformen wie beispielsweise LinkedIn
                                gefordert. Über die Jahre haben sich die Kompe-       oder Xing zeigen sich deutliche Unterschiede zwi-
                                tenzanforderungen immer mehr Richtung Flexi-          schen national und international tätigen Firmen.
2021                            bilität und Motivation verschoben. Teamfähigkeit      Nur gerade 14 Prozent der national ausgerichte-
Herausforderungen und Chancen   ist eine soziale Kompetenz, die früher und heute      ten Firmen nutzen diese Rekrutierungskanäle,
für ältere Stellensuchende
                                gleichermassen gefordert wird. Heute sind wei-        während es bei den internationalen Firmen im-
                                tere Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit,         merhin 38 Prozent sind. Gedruckte Stelleninserate
                                Vernetzungsfähigkeit oder Durchsetzungsfähig-         spielen nur noch eine marginale Rolle.
                                keit hinzugekommen. Bei der Wertorientierung             Ein Vergleich mit den Suchkanälen der Stellen-
                                stand früher vor allem die Leistungsorientierung      suchenden zeigt, dass Arbeitgeber und Stellensu-
                                im Vordergrund. Gesucht wurden häufig tüchtige,       chende auf den gleichen Kanälen aktiv sind. Die
                                einsatzfreudige oder speditive Mitarbeitende. Die     meisten Stellensuchenden nutzen – wie auch die
                                Leistungsorientierung bleibt bis heute eine wichti-   Arbeitgeber – verschiedene Suchkanäle. Besonders
                                ge Komponente in Stellenanzeigen, allerdings ent-     häufig werden Online-Jobportale, Firmenwebsi-
                                wickelten sich eine hohe Kunden- oder Dienstleis-     tes und Angebote der RAV genutzt, Social-Media-
                                tungsorientierung sowie Ergebnisorientierung zu       Netzwerke und Active-Sourcing-Plattformen hin-
                                ebenso wichtigen Wertehaltungen.                      gegen noch relativ selten. In der AMOSA-Befragung
                                                                                      der Stellensuchenden fällt auf, dass Stellensuchen-
                                Arbeitgeber und Stellensuchende                       de mit zunehmendem Alter den Fokus weniger auf
                                nutzen die gleichen Kanäle                            Online-Bewerbungskanäle legen. So nutzen jün-
                                Die von AMOSA befragten Arbeitgeber nutzen vor        gere Stellensuchende insbesondere Social-Media
                                allem die eigene Website und Online-Jobporta-         Netzwerke und Firmenwebsites stärker, als dies äl-
                                le um ihre Vakanzen auszuschreiben ( Grafik 9).       tere tun. Ältere Stellensuchende suchen hingegen
                                Häufig nahmen sie auch die Vermittlungsdienst-        häufiger über gedruckte Anzeigen und über die re-
                                leistungen der RAV in Anspruch. Dies ist nicht        gionalen Arbeitsvermittlungszentren nach offenen
                                überraschend, zumal die Befragung bei Betrieben       Stellen. Da ältere Erwerbspersonen im Verlauf ih-
                                durchgeführt wurde, die bereits in der Vergangen-     rer Erwerbskarriere häufig ein breites berufliches
                                heit eine Zusammenarbeit mit dem RAV pfleg-           Netzwerk aufbauen, könnte eine verstärkte Nut-
                                ten. Über die Hälfte der Firmen gaben auch an,        zung des persönlichen Kontaktnetzwerks für ältere
                                das persönliche Netzwerk – sei es das eigene Be-      Stellensuchende eine Chance sein, um mit poten-
                                ziehungsnetz oder das der Mitarbeitenden – zur        ziellen Arbeitgebern in Kontakt zu kommen, zumal
                                Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden zu akti-        auch die Arbeitgeber häufig auf das persönliche
                                vieren. Ähnlich oft werden auch Spontanbewer-         Kontaktnetzwerk vertrauen.
                                bungen in Betracht gezogen. Interne Stellenrota-
                                tionen stellen vor allem bei international tätigen    Hohe Bildungsanforderungen als
                                Unternehmen einen weiteren wichtigen Kanal zur        Herausforderung für Stellensuchende
                                Besetzung von Vakanzen dar. Rund ein Drittel der      Eine Stellensuche ist immer auch ein Wettbe-
                                Unternehmen gaben an, über soziale Onlinenetz-        werb, bei dem sich mehrere Stellensuchende um
                                werke zu rekrutieren. Bei den sogenannten Active-     eine Stelle bewerben. Jeder und jede Stellensu-
100

              90

               80

               70

               60
Nutzung (%)

               50

              40

               30

               20

               10

                0
                    Gedruckte   Social         Active            Private       Spontan-      Persönliches RAV                        Online-          Firmen-
                    Anzeigen    Media         Sourcing     Stellenvermittler bewerbungen      Netzwerk		                           Jobportale         Website

Grafik 9
Rekrutierungskanäle der Arbeitgeber           Lesebeispiel                                                                   Rekrutierungskanäle
und Suchkanäle der Stellensuchenden           38 Prozent der international tätigen Unternehmen re-
                                                                                                                             International tätige Firmen
Die Grafik zeigt die Nutzung der Such-        spektive 14 Prozent der national tätigen Unternehmen
                                              nutzen Active-Sourcing-Plattformen (z. B. LinkedIn,                            National tätige Firmen
kanäle der Stellensuchenden und die
Nutzung der Rekrutierungskanäle der           Xing) für die Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden.
Arbeitgeber.                                  Seitens der Stellensuchenden gaben 37 Prozent der                              Suchkanäle
                                              unter 50-jährigen und 30 Prozent der über 50-jährigen
Daten: AMOSA-Befragung der Stellen-                                                                                          Unter 50-jährige Stellensuchende
                                              Stellensuchenden an, über diesen Kanal nach geeigne-
suchenden und der Arbeitgeber, März
                                              ten Vakanzen zu suchen.                                                        Über 50-jährige Stellensuchende
und August 2020.

                                              Stellensuchende      versus         Stellenmarkt        Grafik 10
                                                                                                      Berufsprofile der Stellensuchenden
                                                                                                      und der offenen Stellen
Hilfsarbeitskräfte
                                                                                                      Die Grafik zeigt die Verteilung der beruflichen Profile
                                                                                                      von über 50-jährigen Stellensuchenden (letzter Beruf)
                                                                                                      im Vergleich zu den geforderten Berufsprofilen in
DL-Berufe/Verkäufer                                                                                   Stellenanzeigen.
                                                                                                      Daten: Stellenmarktmonitor, 2019; SECO/AVAM Anmel-
                                                                                                      dekohorte 2019, AMOSA-Gebiet.
Bürokräfte uvB
                                                                                                      Lesebeispiel
                                                                                                      21 Prozent aller über 50-jährigen Stellensuchenden
                                                                                                      waren zuletzt als Hilfsarbeitskraft tätig. Hingegen war
Handwerksberufe uvB                                                                                   nur 1 Prozent aller Stelleninserate für Hilfsarbeitskräfte
                                                                                                      ausgeschrieben. Umgekehrt betreffen 30 Prozent aller
                                                                                                      Stelleninserate einen intellektuellen oder wissenschaft-
                                                                                                      lichen Beruf, wohingegen nur gerade 12 Prozent der
Techniker und äqivalente Berufe                                                                       über 50-Jährigen Stellensuchenden vor ihrer Stellen­
                                                                                                      suche einen solchen Beruf ausübten.

                                                                                                              Stellensuchende (über 50-jährige)
Intellektuelle und wissenschaftliche Berufe
                                                                                                              Stellenmarkt

Führungskräfte

Anlagen-/Maschinenbediener

Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft

                                              30    20       10      (%)     10      20     30
20                              chende bringt Kompetenzen und Eigenschaften           Berufe. Das sind Berufe, die eine postsekundäre
                                mit, die im Selektionsprozess gegeneinander ab-       Bildung oder eine höhere Berufsbildung voraus-
                                gewogen werden. Ältere Stellensuchende weisen         setzen. Darunter fallen beispielsweise Pflegebe-
2021                            in der Regel eine längere Berufserfahrung auf als     rufe, Informations- und Kommunikationstechni-
Herausforderungen und Chancen   jüngere, konnten eventuell schon wichtige Füh-        ker, Bauführer oder Elektrotechniker. Im Vergleich
für ältere Stellensuchende
                                rungserfahrungen machen oder haben sich in ih-        zwischen den gesuchten und den vorhandenen
                                rer bisherigen Erwerbsbiografie wichtiges Spezial-    Berufsprofilen von Betroffenen zeigt sich, dass
                                wissen aneignen können. Jüngere Bewerberinnen         Stellensuchende – unabhängig von ihrem Alter –
                                und Bewerber verfügen hingegen möglicherweise         in Bezug auf ihre Chancen im Stellenmarkt beson-
                                über aktuellere Fach- und Berufskenntnisse, weil      ders gefordert sind, da sie häufig die geforderten
                                ihre Ausbildung weniger lang zurückliegt. Ein op-     Bildungsvoraussetzungen nicht erfüllen.
                                timaler Match ist letztlich immer ein Abwägen
                                zwischen zwingenden Erfordernissen – wie bei-         Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft
                                spielsweise bestimmte Bildungsnachweise oder          als zentrale Selektionsfaktoren
                                spezifische Berufsausbildungen – und einer guten      Die Art und Weise, wie Unternehmen rekrutieren,
                                Passung auf der zwischenmenschlichen Ebene.           verändert sich stark. Digitale Rekrutierungstools
                                   Ein wichtiges Selektionskriterium ist der beruf-   oder spezielle Bewerbungsmanagement-Software
                                liche Hintergrund eines Bewerbers oder einer Be-      unterstützen heute in vielen Betrieben den Rekru-
                                werberin. AMOSA untersuchte, wie gut der be-          tierungsprozess. Solche Tools können beispiels-
                                rufliche Hintergrund von jüngeren und älteren         weise dazu genutzt werden, Bewerbungen, wel-
                                Stellensuchenden mit den ausgeschriebenen Stel-       che die zwingenden Stellenanforderungen nicht
                                len übereinstimmt ( Grafik 10). Auffällig ist vor     erfüllen, bereits in einer Vorselektion auszufiltern.
                                allem der hohe Anteil von Stellensuchenden in         Solche Selektionstechnologien stehen immer wie-
                                Hilfsberufen: Von den über 50-jährigen Stellen-       der öffentlich in der Kritik wegen der mit diesen
                                suchenden, die sich im Jahr 2019 bei einem RAV        maschinell lernenden Algorithmen verbundenen
                                anmeldeten, arbeitete rund jeder Fünfte zuvor als     Diskriminierungsgefahr. Bei den von AMOSA be-
                                Hilfsarbeitskraft. Auf dem Stellenmarkt sind Stel-    fragten Unternehmen sind solche digitalen Selek-
                                len für Hilfsarbeitskräfte hingegen nur selten aus-   tionstools noch nicht Standard. Bei kleineren und
                                geschrieben. Gefragt sind hingegen vor allem wis-     mittleren Betrieben ist der Einsatz solcher Tech-
                                sens- und bildungsintensive Berufsprofile. Bei fast   nologien noch eher eine Ausnahme. Knapp jeder
                                einem Drittel der ausgeschriebenen Stellen such-      fünfte Betrieb gibt an, solche Tools zur Vorselekti-
                                ten die Unternehmen nach intellektuellen oder         on von Kandidatinnen und Kandidaten zu nutzen.
                                wissenschaftlichen Fachkräften und Spezialisten.      Bei Grossbetrieben mit mehr als 250 Mitarbeiten-
                                Das sind beispielsweise Natur-, Sozial- oder Wirt-    den stützt sich rund jeder dritte befragte Betrieb
                                schaftswissenschaftler, Informatikfachleute, Ge-      auf eine solche Technologie.
                                sundheitsspezialisten oder Lehrkräfte – also Be-         Hingegen zeigt sich, dass die befragten Betrie-
                                rufe, die einen Hochschulabschluss voraussetzen.      be bei der Beurteilung ihrer Kandidatinnen und
                                Ein knappes Viertel der Stelleninserate bezog sich    Kandidaten einen grossen Wert auf Softskills le-
                                auf Techniker oder äquivalente nichttechnische        gen. Gefragt nach den wichtigsten Beurteilungs-
kriterien bei ihrer letzten Rekrutierung, schätzen      Altersgrenze 50 als unsichtbare Barriere?                        21
die Personalrekrutierenden eine hohe Motivation,        Wie lange ist man jung und ab wann ist man eigentlich alt?
Leistungsbereitschaft und ein hohes Verantwor-          Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den Be-
                                                        ginn des Alters ab dem 60. bis 65. Lebensjahr. Eine rein chro-
tungsbewusstsein noch vor allen übrigen Beurtei-
                                                        nologische Definition von Alter greift jedoch in der Regel zu
lungskriterien als sehr relevant ein. Auch Softskills   kurz. Oft hört man auch die Interpretation «Man ist so alt,
wie Teamfähigkeit, Belastbarkeit und eine hohe          wie man sich fühlt», was die hohe Individualität beim Äl-
Lernbereitschaft werden von den Betrieben als           terwerden betont. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung
                                                        und der medialen Berichterstattung gilt oft die Altersgrenze
sehr wichtig eingeschätzt – noch vor der berufli-
                                                        von 50 Jahren als unsichtbare Barriere für eine erfolgreiche
chen Erfahrung oder dem Bildungsabschluss. Mit          und rasche Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Doch spie-
Ausnahme der Lernbereitschaft schätzten die be-         gelt sich diese konstruierte Grenze auch in der Realität des
fragten Unternehmen über 50-Jährige in allen Ka-        Arbeits- und Stellenmarktes wider?
                                                           Aus Sicht des Stellenmarktes ist das Alter von 50 Jahren
tegorien als überdurchschnittlich stark ein im Ver-
                                                        keine besonders relevante Schwelle. Sofern Stelleninserate
gleich mit Jüngeren ( Kapitel 4).                       überhaupt Altersobergrenzen oder Altersbandbreiten ent-
                                                        halten, wird die Obergrenze viel häufiger bei 30, 35, 40 oder
                                                        45 Jahren gesetzt. Auch aus der Sicht der Arbeitsmarktbe-
                                                        hörden gelten keine einheitlichen Schwellenwerte in Bezug
                                                        auf das Alter. So können gewisse arbeitsmarktliche Mass-
                                                        nahmen erst ab einem Alter von 50 Jahren besucht werden.
                                                        Für einen längeren Leistungsbezug wurde hingegen eine
                                                        Altersgrenze von 55 Jahren gesetzt. Für die im Lauf des Jah-
                                                        res 2021 in Kraft tretenden Überbrückungsleistungen für
                                                        ausgesteuerte Personen ist wiederum die Altersgrenze von
                                                        60 Jahren massgebend.
                                                           Was zeigen die Auswertungen von AMOSA dazu? Aus
                                                        den Resultaten wird deutlich, dass Stellensuchende mit zu-
                                                        nehmendem Alter mehr Mühe bekunden, sich nach einer
                                                        Arbeitslosigkeit wieder erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu
                                                        integrieren. Die verminderten Chancen auf dem Arbeits-
                                                        markt können allerdings nicht an einer bestimmten Alters-
                                                        grenze festgemacht werden. So werden häufig bereits ab
                                                        einem Alter von 35 bis 40 Jahren längerfristige Erwerbs-
                                                        einbussen beobachtet, die sich mit steigendem Alter stetig
                                                        akzentuieren.
                                                           Die Frage, ab wann eine Erwerbsperson als älter gilt,
                                                        kann also nicht generell beantwortet werden und ist
                                                        stark kontextabhängig. Massnahmen zur besseren Inte-
                                                        gration von Stellensuchenden sollten sich deshalb nicht
                                                        einseitig an fixen Altersgrenzen orientieren, sondern die
                                                        individuelle Situation der stellensuchenden Person mit-
                                                        berücksichtigen.
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