Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende - Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln - Avenir50plus
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2021 Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende Eine Untersuchung aus unterschiedlichen Blickwinkeln
Inhalt Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau, Zug und Zürich (AMOSA) Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt keine Kantonsgrenzen kennt, haben sich die Arbeitsmarktbehörden der Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich seit 2002 zur gemeinsa- men Arbeitsmarktbeobachtung AMOSA zusammengeschlossen. AMOSA untersucht im Auftrag der Arbeitsmarktbehörden der Mitgliedskantone arbeitsmarktrelevante Fragestellungen und erarbeitet Entscheidungsgrundlagen zur Optimierung und strategischen Weiterentwicklung der Vollzugspraxis in den Mitgliedskantonen von AMOSA. Dafür erhebt AMOSA Informationen zu praxisbezogenen Problemstellungen und analysiert diese wissenschaftlich. Basierend auf den Studienergebnissen entwickelt und initiiert AMOSA gemeinsam mit den Projektpartnern Mass- nahmen zur raschen und nachhaltigen Integration von Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt. 2 03 Vorwort 04 Zusammenfassung 06 Kapitel 1 2021 Die Situation von älteren Erwerbspersonen Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende und Stellensuchenden 15 Kapitel 2 Rekrutierungspraxis im Wandel der Zeit 23 Kapitel 3 Perspektive der Stellensuchenden 30 Kapitel 4 Perspektive der Arbeitgeber 38 Kapitel 5 Perspektive der Arbeitsmarktbehörden 44 Kapitel 6 Wie kann die Erwerbsintegration von älteren Stellensuchenden unterstützt werden? 49 Glossar 50 Datengrundlagen 51 Projektorganisation 52 Impressum Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Studienergebnisse? Die Corona-Pandemie hat viele Bereiche des wirtschaftlichen Lebens abrupt verlangsamt oder gar zum Stillstand gebracht. Die Kurzarbeit erwies sich als äusserst hilfreiches Mittel, um Ent- lassungen zu vermeiden. Dennoch kam es im Frühling 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Ar- beitslosigkeit. Wie in anderen Wirtschaftskrisen sind auch in der Corona-Krise Erwerbspersonen unter 50 Jahren besonders stark betroffen. Die Erfahrung zeigt, dass ältere Personen in der Regel weniger stark von Konjunktureinbrüchen betroffen sind, aber meist länger als jüngere benöti- gen, bis sie zurück in den Arbeitsmarkt finden. Die Corona-Krise brach mitten im vorliegenden AMOSA-Projekt aus. Die Befragungen der Stellensuchenden und der Arbeitgeber mussten unterbrochen werden und konnten zeitlich ver- zögert im August 2020 nachgeholt werden. Eine ursprünglich vorgesehene Fremdbeurteilung von Stellensuchenden durch ihre Personalberaterinnen und Personalberater musste aufgrund der stark erhöhten Arbeitsbelastung in den RAV abgebrochen werden und kann aufgrund der tiefen Fallzahlen nicht ausgewertet werden. Nur wenige Fragen in den Befragungen beziehen sich direkt auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation. Dennoch dürfte sich die schwierige Arbeits- marktlage in den Antworten der Stellensuchenden teilweise widerspiegeln.
Vorwort In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Situ- 3 ation von älteren Erwerbspersonen im Arbeits- markt häufig als erschwert wahrgenommen. Auch die Selbstwahrnehmung von Direktbetroffenen erscheint manchmal etwas übertrieben negativ. Die Daten zeigen, dass ältere Erwerbspersonen seltener als jüngere erwerbslos werden. Sie be- kunden allerdings deutlich mehr Mühe, nach einer Arbeitslosigkeit wieder Tritt zu fassen. Eine erfolg- reiche und rasche Integration älterer Stellensu- chender in den Arbeitsmarkt ist deshalb zentral. Mit der vorliegenden Publikation wollen wir die Altersthematik aus verschiedenen Blickwinkeln analysieren. Welche Ursachen sehen die Betrof- Thomas Buchmann fenen selbst für ihre Arbeitslosigkeit? Wie fit se- Vorsitzender des Steuerungsausschusses hen sich ältere Erwerbspersonen im Vergleich zu Leiter Amt für Wirtschaft jüngeren für den Arbeitsmarkt? Aus Sicht der Ar- und Arbeit Aargau beitgeber wollen wir untersuchen, durch welche Stärken sich ältere Mitarbeitende im Vergleich zu jüngeren besonders hervorheben, möchten aber auch Verbesserungspotenziale aufdecken. Welche Anreize zur Rekrutierung von älteren Mitarbeiten- mittelbaren und älteren Arbeitslosen neue Mass- den sind vorhanden und welche Hemmnisse gilt nahmen zu entwickeln und auszutesten. es abzubauen? Die Studie legt ein besonderes Au- Die Analysen zeigen: Für viele Stellensuchende genmerk auf den Arbeitsmarkt. Die Kräfte des sind die hohen Bildungsanforderungen auf dem Strukturwandels verändern sowohl den Arbeits- Arbeitsmarkt – unabhängig von ihrem Alter – eine markt als auch die Rekrutierungspraxis. Wie ha- bedeutende Hürde für die Reintegration. Mehr ben sich die Kompetenzanforderungen über die denn je zeigt uns auch die aktuelle Corona-Krise, Zeit gewandelt und wie gut passen die Kompe- dass auf dem Arbeitsmarkt nur erfolgreich sein tenzprofile von älteren Stellensuchenden auf die kann, wer flexibel bleibt. Höherqualifizierungen heutigen Stellenanforderungen? Aus dem Blick- und Umschulungen gewinnen deshalb immer winkel der Arbeitsmarktbehörden zeigt sich, dass mehr an Bedeutung. Um Betroffene möglichst op- die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) timal zu unterstützen, müssen hierfür die nötigen ein breites Instrumentarium einsetzen, um be- Rahmenbedingungen geschaffen werden. darfsgerecht auf die besonderen Bedürfnisse von An dieser Stelle gebührt ein grosses Dankeschön älteren Stellensuchenden einzugehen. Viele Kan- unseren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitar- tone nutzen ferner die Möglichkeit, im Rahmen beitern aus den AMOSA-Kantonen, die unser Pro- des bis 2024 laufenden Impulsprogramms des jekt AMOSA tatkräftig unterstützen und wertvol- Bundes zur Wiedereingliederung von schwer ver- le Beiträge zur Umsetzung unserer Ziele leisten.
Zusammenfassung 4 Mittlerweile nähern sich auch die letzten Jahrgän- rade ältere Stellensuchende oft Mühe, ihr frühe- ge der sogenannten Babyboomer ihrem Pensions- res Einkommensniveau nach einer Arbeitslosigkeit alter. Mit dem laufenden Ausscheiden dieser ge- zu halten; sei es, weil sie sich frühzeitig aus dem 2021 burtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt Arbeitsmarkt zurückziehen oder weil sie eine Ar- Herausforderungen und Chancen wird sich die Fachkräftenachfrage in den kom- beitsstelle zu einem tieferen Arbeitspensum oder für ältere Stellensuchende menden Jahren akzentuieren. Dies rückt die Stel- tieferen Lohn antreten. lung der älteren Arbeitskräfte im Arbeitsmarkt immer mehr ins Zentrum und stellt die Regiona- Hohe Arbeitsmarktdynamik len Arbeitsvermittlungszentren vor neue Heraus- als besondere Herausforderung forderungen. Seit einigen Jahren nimmt das The- Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in ma Altersarbeitslosigkeit auch in den Medien und der Rekrutierungspraxis sind besonders für älte- in der Politik einen zunehmend wichtigen Platz re Stellensuchende eine grosse Herausforderung. ein. Die Arbeitsmarktbeobachtung AMOSA wur- Zwar spielen Altersanforderungen in Stelleninse- de deshalb beauftragt, die Herausforderungen raten heutzutage eine vernachlässigbare Rolle, und Chancen für ältere Stellensuchende aus um- der Anforderungskatalog im Bereich der sozialen fassender Perspektive zu untersuchen und die und fachlichen Kompetenzen wird hingegen im- wichtigsten Handlungsfelder zu identifizieren. mer umfangreicher. Neben Berufserfahrung sind heute zum Beispiel digitale Skills in vielen Berei- Stellenverluste führen zu chen ein Muss. Daneben werden in Stellenanzei- dauerhaften Erwerbseinbussen gen auch immer mehr Agilität, Flexibilität und Ältere Arbeitnehmende sind nicht häufiger von Motivation gefordert. Aus Sicht der Arbeitgeber Arbeitslosigkeit betroffen als jüngere, benöti- erfüllen ältere Erwerbspersonen die neuen An- gen aber in der Regel länger, bis sie nach einem forderungen in Bezug auf diese Softfaktoren sehr Stellenverlust wieder im Arbeitsmarkt Fuss fas- gut. Einzig in Bezug auf ihre Flexibilität und Lern- sen können. Nicht allen gelingt der Wiederein- bereitschaft werden jüngere Personen etwas po- stieg in den Arbeitsmarkt gleich gut. So haben äl- sitiver beurteilt. Eine grosse Herausforderung tere Stellensuchende ein deutlich höheres Risiko, bleiben für viele Stellensuchende die hohen Bil- ausgesteuert zu werden, als jüngere und bekun- dungsanforderungen auf dem Stellenmarkt. Ge- den mehr Mühe, nach einer Aussteuerung noch sucht werden häufig Fachkräfte mit guten Qua- einmal nachhaltig in den Arbeitsmarkt zurückzu- lifikationen und hohem Spezialisierungsgrad. kehren. Für viele Betroffene stellt eine Arbeits Stellensuchende bringen hingegen – unabhängig losigkeit ein einschneidendes Ereignis in ihrer Er- von ihrem Alter – oft die nötigen Bildungsvoraus- werbskarriere dar und ist häufig mit dauerhaften setzungen nicht mit, um sich erfolgreich auf sol- Erwerbseinbussen verbunden. Diese nehmen mit che Stellen zu bewerben. steigendem Alter markant zu. Obwohl die Arbeits- losenversicherung eine wichtige soziale Siche- Arbeitgeber sehen viele Stärken rungsfunktion wahrnimmt und den Betroffenen und vereinzelte Defizite während einer gewissen Zeit ermöglicht, sich auf Gefragt nach ihren Erfahrungen mit über 50-Jäh- ihre Stellensuche zu konzentrieren, bekunden ge- rigen beurteilt eine Mehrheit der befragten Be-
triebe diese als positiv. Gerade in Bezug auf die sich in der Praxis der Arbeitsmarktbehörden. Ba- 5 Berufserfahrung, das Fachwissen sowie der Verant- sierend auf den Studienergebnissen haben die wortungsbereitschaft attestieren die Arbeitgeber AMOSA-Kantone die wichtigsten Handlungsfelder ihrer älteren Belegschaft Vorteile gegenüber den identifiziert und einen Abgleich zu bestehenden Jüngeren. Einzig in Bezug auf die Informatikkennt- Massnahmen und Programmen für ältere Stellen- nisse und auf die Lernbereitschaft nehmen die Be- suchende vorgenommen. Der Abgleich zeigt, dass triebe leichte Defizite wahr. Die Arbeitgeber sehen die Arbeitsmarktbehörden bereits über ein breites grundsätzlich wenige Rekrutierungshemmnisse. Instrumentarium verfügen, um Stellensuchende Mehr als ein Drittel der befragten Arbeitgeber be- bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt gezielt urteilen allerdings hohe Lohnerwartungen von älte- und bedarfsorientiert zu unterstützen. ren Stellensuchenden als potenziellen Knackpunkt Dennoch kann punktuell ein Handlungsbedarf für deren Einstellung – dies ganz im Gegensatz zur identifiziert werden. Um Schritt halten zu kön- subjektiven Einschätzung der Stellensuchenden, die nen mit der fortschreitenden Digitalisierung und sich in Bezug auf den Lohn sehr konzessionsbereit den damit verbundenen Veränderungen auf dem einschätzen und effektiv auch sind. Arbeitsmarkt, haben die AMOSA-Kantone die Förderung der ICT-Skills älterer Stellensuchender Ältere Stellensuchende sehen ihr Alter als wichtigen Handlungsbereich identifiziert. Ei- als wichtigstes Hindernis für ihre Stellensuche nige Kantone haben bereits begonnen, ihr ent- Ältere Personen sehen die Ursachen ihrer Arbeits- sprechendes Angebot an arbeitsmarktlichen losigkeit häufig in Faktoren, die ausserhalb ihrer Massnahmen laufend auszubauen. Die hohen Kontrolle liegen. Firmenreorganisationen, Stel- Bildungsanforderungen auf dem Stellenmarkt lenabbau oder die konjunkturelle Lage wurden am sind für Stellensuchende häufig ein unüberwind- häufigsten genannt. Jüngere geben hingegen häu- bares Hindernis. Um die Integrationschancen figer familiäre Gründe oder berufliche Neuorien- von Geringqualifizierten – unabhängig von ih- tierung als Hauptgründe für ihre Stellenlosigkeit rem Alter – zu erhöhen, tritt die Frage von Um- an. Obwohl sich ältere Stellensuchende in Bezug schulungen und Höherqualifizierungen von Stel- auf ihre fachlichen und persönlichen Kompeten- lensuchenden immer mehr in den Fokus. Dabei zen sowie ihre Arbeitsleistung ein gutes Zeugnis gilt es, die vorhandenen Möglichkeiten optimal ausstellen, beurteilen sie ihre Stellenchancen als zu nutzen und gemeinsam mit den involvierten gering. Das Alter wird von vielen älteren Stellen- Partnern weiterzuentwickeln. Ein weiterer wich- suchenden als grösstes Hindernis für die Stellen- tiger Handlungsbereich betrifft das Engagement suche und häufigste Ursache für Stellenabsagen der Arbeitgeber. Über einen verstärkten Fokus angesehen. auf die Vermittlung von älteren Stellensuchen- den, über eine aktive Pflege und einen Ausbau AMOSA-Kantone verfügen über ein breites von Arbeitgeberkontakten und über gezielte In- Instrumentarium – punktueller Handlungsbedarf formations- und Sensibilisierungskampagnen vorhanden können die Arbeitsmarktbehörden die Arbeitge- Die erschwerte Lage von älteren Stellensuchen- ber in ihrer Region stärker in die Verantwortung den wurde auch politisch erkannt und reflektiert nehmen.
Kapitel 1 Die Situation von älteren Erwerbspersonen und Stellensuchenden 6 Der demografische Wandel verändert und Ursachen von Stellenverlusten im Alter. Da- den Arbeitsmarkt bei stehen oft personenbezogene Merkmale, wie Der Altersdurchschnitt in der Schweizer Bevöl- beispielsweise die Motivation, Qualifikation oder 2021 kerung steigt stetig. Bereits jede dritte Erwerbs- berufliche Erfahrung von Betroffenen im Fokus. Herausforderungen und Chancen person im AMOSA-Gebiet ist 50 Jahre oder älter. Häufig thematisiert wurden auch Themen der für ältere Stellensuchende Mit dem laufenden Ausscheiden von geburten- sozialen Sicherung – vor allem im Zusammen- starken Jahrgängen – den sogenannten Babyboo- hang mit den politisch stark diskutierten Über- mern – aus dem Arbeitsmarkt wird sich die Nach- brückungsleistungen für ältere Arbeitslose. Viele frage nach Fachkräften in den kommenden Jahren Artikel weisen einen direkten Massnahmenbezug noch zusätzlich akzentuieren. Dies rückt die Stel- auf und unterstreichen die Suche nach geeigne- lung der älteren Arbeitskräfte immer mehr ins ten Lösungsansätzen aus der Warte von verschie- Zentrum. Um den wachsenden Fachkräftebedarf denen Akteuren. zu decken, muss ihr Arbeitskräftepotenzial mög- lichst gut ausgeschöpft werden. Erfreulicherweise Ältere sind weniger von Erwerbslosigkeit ist die Erwerbsbeteiligung der über 50-Jährigen im betroffen als Junge internationalen Vergleich bereits sehr hoch. Aller- Dabei sind über 50-Jährige nicht in besonderem dings nimmt auch in der Schweiz ab dem Alter von Ausmass von Erwerbslosigkeit betroffen. In der 50 Jahren die Zahl der Erwerbsrücktritte zu. Beson- Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass jüngere Men- ders ausgeprägt ist der Effekt für Personen, die im schen häufiger erwerbslos sind. Da gerade Schul- späteren Erwerbsalter arbeitslos oder ausgesteu- abgänger jedoch häufig keine Entschädigungs- ert wurden. Die demografisch bedingt gestiege- leistungen beanspruchen können oder andere ne Bedeutung der über 50-Jährigen stellt auch die Zwischenlösungen suchen, melden sie sich selte- Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) vor ner beim RAV an und tauchen nicht in den Sta- neue Herausforderungen. So stieg der Anteil der tistiken zu den registrierten Stellensuchenden über 50-jährigen Stellensuchenden zwischen 2010 auf. Beschränkt man sich auf Arbeitskräfte, de- und 2019 stetig von 24 Prozent auf gut 30 Prozent. ren Eintritt in den Arbeitsmarkt bereits mehrere Eine optimale Erwerbsintegration von älteren Stel- Jahre zurückliegt – also Arbeitskräfte, die bereits lensuchenden ist und bleibt deshalb zentral. länger im Arbeitsmarkt verankert sind, – zeigt sich über die Altersgruppen ein U-förmiger Ver- Hohe mediale Präsenz lauf bei der Quote der registrierten Stellensu- des Themas Altersarbeitslosigkeit chenden ( Grafik 2). Am tiefsten ist die Quote Die Altersarbeitslosigkeit wird auch in den Medi- der Stellensuchenden bei den 45- bis 49-Jährigen. en immer häufiger thematisiert ( Grafik 1). Seit Ab dem Alter von 50 Jahren steigt die Quote wie- 2013 ist ein starker Anstieg der zu diesem Thema der leicht an, verbleibt aber unterhalb der Quote verfassten Medienartikel sichtbar. Die Entwick- der 30- bis 39-Jährigen. Eine Ausnahme bilden die lung der letzten Jahre hebt sich damit stark von 60- bis 64-Jährigen Arbeitskräfte. Mit einer Stel- der allgemeinen Entwicklung der Medienland- lensuchendenquote von 4.6 Prozent sind diese schaft ab. Der öffentliche Diskurs ist wesentlich Personen stärker als die 30- bis 39-Jährigen von geprägt von den Herausforderungen, Problemen Stellenlosigkeit betroffen.
80 Grafik 1 Mediale Präsenz im Zeitverlauf 70 Frequenzanalyse zur Anzahl der Presseartikel im Zeitraum 1994-2019 insgesamt und zum Thema 60 Anzahl Artikel (pro Quartal) Altersarbeitslosigkeit. Daten: Swissdox 50 40 Artikel zum Thema Altersarbeitslosigkeit 30 Total archivierte Artikel (in 10’000) 20 10 0 1995 2000 2005 2010 2015 2020 5 Grafik 2 Quote der registrierten Stellensuchenden Stellensuchendenquote (%) 4 Die Grafik zeigt die Zahl der registrierten Stellensuchenden im Verhältnis zur Zahl der Erwerbspersonen einer entsprechenden 7 3 Altersklasse. Daten: SECO/AVAM, Jahresdurchschnitts- 2 werte 2019; BFS/Strukturerhebung: 2015- 2017, AMOSA-Gebiet. 1 0 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 Alter (in Jahren) 1.0 10 Grafik 3 8.3 Mt Risiko und Dauer der Stellensuche Stellensuchdauer (in Monaten) 0.8 8 Die Grafik zeigt das Zugangsrisiko der regis- 0.7% trierten Stellensuche für Erwerbspersonen Zugangsrisiko (%) sowie die Mediandauer der registrierten 0.6 6 Stellensuche gemessen in Monaten nach Altersklassen. 0.4 4 Daten: Risiko: SECO/AVAM, Jahresdurch- schnittswerte 2019; BFS/Strukturerhe- 3.9 Mt 0.3% bung, 2015-2017; Dauer: SECO/AVAM, 0.2 2 Abmeldekohorte 2019; AMOSA-Gebiet. 0.0 0 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 Alter (in Jahren) Beitragszeit Bedingung Max. Taggelder Beitragsbefreit z. B. wegen Schulausbildung, Weiterbildung, Unfall, 90 Krankheit, Mutterschaft etc. 12-24 Monate Bis 25 Jahre alt ohne Unterhaltspflicht 200 12-18 Monate Ab 25 Jahren oder mit Unterhaltspflicht 260 18-24 Monate Ab 25 Jahren oder mit Unterhaltspflicht 400 22-24 Monate Ab 55 Jahren oder bei Bezug einer IV-Rente im Umfang 520 von mind. 40% Tabelle 1 Bei stark erschwerter Vermittelbarkeit können maximal vier Jahre vor der Pensionierung zusätzliche 120 Taggelder geltend gemacht werden (Art. 27 Abs. 3 AVIG) Höchstansprüche für Taggelder
Geringeres Risiko, aber längere Dauer Im Vergleich zu jüngeren Arbeitskräften haben 50- bis 59-jährige Ar- beitskräfte ein geringeres Risiko, arbeitslos zu werden. Doch einmal arbeitslos, haben ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft mehr Mühe als jüngere, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrie- ren, und sind daher länger auf Stellensuche. Die Auswertungen zei- gen, dass das Risiko, sich beim RAV als stellensuchend anzumelden, 8 mit zunehmendem Alter kleiner wird. Gleichzeitig erhöht sich die durchschnittliche Stellensuchdauer mit dem Alter signifikant ( Grafik 3). Bleibt bei den 30- bis 34 Jährigen die Hälfte aller Stellensuchenden 2021 weniger als vier Monate lang bei einem RAV angemeldet, so sind 50 Herausforderungen und Chancen Prozent der über 60- Jährigen mehr als acht Monate bei einem RAV für ältere Stellensuchende zur Stellensuche gemeldet. Die Dauer der Stellensuche muss jedoch in den Kontext der gesetzlichen Bestimmungen zur Anspruchsberech- tigung ( Tabelle 1) gestellt werden. Um den erschwerten Bedingun- gen von älteren Stellensuchenden Rechnung zu tragen, können diese – abhängig von ihrer Beitragszeit – eine längere Taggelddauer geltend machen als jüngere. Besonders stark zeigt sich dies in der Gruppe der über 60-Jährigen. Stellensuchende, die höchstens vier Jahre vor ih- rer Pensionierung stehen, können, sofern eine Vermittlung stark er- schwert erscheint, 120 zusätzliche Taggelder beanspruchen. Arbeitslosigkeit als dauerhafter Einschnitt in die Erwerbsbiografien Ein Stellenverlust ist ein einschneidendes Ereignis. Detaillierte Analy- sen zu den Erwerbs- und Einkommensbiografien von Stellensuchen- den zeigen, dass ältere Personen im Vergleich zu jüngeren unabhän- gig von Branche, Ausbildung oder weiteren Merkmalsunterschieden besonders stark von einem Stellenverlust betroffen sind. Für sie ist eine Arbeitslosigkeit häufig mit dauerhaften Erwerbseinbussen ver- bunden ( Grafik 4). Dabei zeigt sich, dass die Erwerbseinbussen nach einer Arbeitslosigkeit mit steigendem Alter zunehmen – nicht nur in absoluten Beträgen, sondern auch relativ betrachtet. Die Einkom- mensverluste können zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass mittel- bis längerfristig nicht alle Personen nach einer Arbeitslosig- keit in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Allerdings zeigen sich auch bei wiederbeschäftigten Personen mit steigendem Alter zunehmend höhere Einbussen. Rund drei Jahre nach einer Arbeitslosigkeit ver- dienen Betroffene je nach Alter zwischen 1 und 28 Prozent weniger verglichen mit einer gleichaltrigen Person vor deren Stellenverlust ( Tabelle 2). Darin zeigt sich, dass Stellensuchende mit steigendem Alter – selbst wenn sie wieder eine Stelle finden – häufiger Lohnein- bussen in Kauf nehmen oder zu geringeren Arbeitspensen angestellt werden. Auffallend ist, dass die Einkommenseinbussen bei Frauen insgesamt weniger stark ausgeprägt sind als bei Männern – dies al- lerdings bei einem tieferen Einkommensniveau.
6000 Grafik 4 Monatliches Einkommen 5000 Sicherheitsnetz ALV Die Grafik zeigt die durchschnittlichen monat- 30-39-Jährige 4000 lichen Erwerbseinkommen und die Einkommen 3000 aus Arbeitslosenentschädigung (ALE) in den zwei Jahren vor und vier Jahren nach Anmel- 2000 dung beim RAV für verschiedene Altersgruppen. 1000 Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011- 2013, nur anspruchsberechtigte Stellensuchen- 0 de, AMOSA-Gebiet. 6000 Lesebeispiel 1 Die durchschnittlichen Erwerbseinkommen der Monatliches Einkommen 5000 30- bis 39-jährigen Stellensuchenden fallen in 40-49-Jährige 4000 den ersten drei Monaten nach Anmeldung beim RAV um fast 60 Prozent. Allerdings erholt sich 3000 das durchschnittliche Erwerbseinkommen in dieser Altersgruppe relativ rasch – weil viele 2000 Stellensuchende innert kurzer Zeit wieder eine 1000 Beschäftigung finden – und erreicht mittel- fristig ein ähnlich hohes Niveau wie vor der 0 Stellensuche. Die ALE nimmt vor allem in den ersten Monaten nach Anmeldung eine wichtige Abfederungsfunktion ein. 6000 Lesebeispiel 2 Monatliches Einkommen 5000 Stellensuchende, die bei ihrer Anmeldung beim RAV zwischen 60- und 64-Jahre alt waren, 50-59-Jährige 4000 weisen hohe Erwerbseinbussen auf, die auch mittelfristig nicht verschwinden. Diese sind 3000 massgeblich darauf zurückzuführen, dass in die- 2000 ser Altersgruppe viele Stellensuchende – bereits vor ihrer ordentlichen Pensionierung – keine 1000 Erwerbstätigkeit mehr aufnehmen. Die ALE ist 0 für diese Altersgruppe eine wichtige finanzielle Stütze und macht in den zwei Jahren nach Anmeldung fast 60 Prozent des Gesamteinkom- 6000 mens aus. Monatliches Einkommen 5000 60-64-Jährige 4000 Einkommen aus Erwerbstätigkeit (in CHF) 3000 Arbeitslosenentschädigung (in CHF) 2000 1000 0 -24 -18 -12 -6 0 6 12 18 24 30 36 42 48 Monate seit Anmeldung beim RAV Alter in Jahren 30-39 40-49 50-54 55-59 60-64 Männer -1 -12 -15 -15 -28 Erwerbseinbussen (%) Frauen -2 -2 -3 -10 -19 Tabelle 2 Erwerbseinbussen nach Wiederbeschäftigung Prozentuale Erwerbseinbussen von Personen einer bestimmten Alterskategorie in den 31 bis 36 Mo- naten nach ihrer Anmeldung zur Stellensuche im Vergleich zu den Erwerbseinkommen von Personen im gleichen Alter in den sechs Monaten vor Anmeldung. Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011-2013, AMOSA-Gebiet. Lesebeispiel Ein 50- bis 54-jähriger beschäftigter Mann verdiente in den 6 Monaten unmittelbar vor seiner An- meldung zur Stellensuche im Durchschnitt 15 Prozent mehr als ein gleichaltriger Mann, der sich rund drei Jahre zuvor bei einem RAV stellensuchend gemeldet hatte, jedoch im betrachteten Zeitfenster bereits wieder einer Beschäftigung nachging. Bei den Frauen beträgt die durchschnittliche Einkom- menseinbusse in der Altersklasse der 50-54-Jährigen lediglich 3 Prozent.
Arbeitslosenversicherung der Arbeitslosenversicherung. Verschiedene Indi- als wichtiges Sicherheitsnetz katoren zu Stabilität und Nachhaltigkeit der Re Für Stellensuchende, die etwas mehr Zeit benöti- integration geben Hinweise darauf, wie dauerhaft gen, um nach einem Stellenverlust wieder in den Beschäftigungsverhältnisse nach einer Stellensu- Arbeitsmarkt zurückzufinden, ist die Arbeitslosen- che sind. Eine nachhaltige Erwerbsintegration ge- versicherung ein wichtiges soziales Sicherheits- lingt jenen Betroffenen am besten, die vor ihrer netz. Sind die Beitragsbedingungen erfüllt, fängt Arbeitslosigkeit stabil im Arbeitsleben verankert die Arbeitslosenentschädigung einen grossen waren. Im Gegenzug weisen Stellensuchende, die Teil der Erwerbseinbussen ab und Stellensuchen- bereits vor ihrer Arbeitslosigkeit Erwerbslücken de können die Zeit nutzen, um mit Unterstützung aufwiesen, häufig auch nach ihrer Stellensuche der RAV eine neue Beschäftigung zu suchen. Mit wieder Unterbrüche auf. Hinter solchen Erwerbs- steigendem Alter wird die Arbeitslosenentschädi- biografien stehen häufig saisonale Beschäfti- gung eine zunehmend wichtigere Stütze für das gungsverhältnisse. Dieses Muster zeigt sich bei Gesamteinkommen ( Grafik 4). Dies hängt damit allen Stellensuchenden – unabhängig von ihrem zusammen, dass ältere Personen im Durchschnitt Alter. Allerdings lässt sich beobachten, dass Wie- mehr Mühe haben als jüngere, eine neue Beschäf- deranmeldungen beim RAV bei älteren Personen tigung zu finden, und deshalb länger auf Stellensu- tendenziell seltener vorkommen. Dies dürfte un- che sind. Auch die höheren Taggeldansprüche von ter anderem daran liegen, dass ältere Personen älteren Stellensuchenden tragen dazu bei, dass anstelle einer erneuten Anmeldung beim RAV diese im Durchschnitt länger beim RAV gemeldet möglicherweise auch frühzeitige Erwerbsrücktrit- sind als jüngere. Die Auswertungen zeigen, dass te und Frühpensionierungen in Betracht ziehen. Stellensuchende, die aufgrund ihres Alters 120 zu- sätzliche Taggelder beanspruchen können, signi- Ältere Stellensuchende haben fikant länger beim RAV gemeldet waren als Stel- ein erhöhtes Aussteuerungsrisiko lensuchende, welche die Voraussetzungen gerade Nicht allen Stellensuchenden gelingt während ih- noch nicht erfüllten, aber bei ihrer Anmeldung rer Stellensuche ein Wiedereinstieg in den Arbeits- beim RAV fast gleich alt waren. Darin bestätigt markt. Gewisse Stellensuchende schöpfen ihre sich die in der wissenschaftlichen Literatur mehr- Taggelder aus oder erreichen das Ende ihrer Rah- fach belegte Erkenntnis, dass grosszügige Entschä- menfrist, ohne eine Stelle gefunden zu haben, und digungsleistungen aus der Arbeitslosenversiche- werden aus der Arbeitslosenversicherung ausge- rung wichtige Anreize auf die Stellensuchenden steuert. Absolut gesehen werden weniger ältere ausüben, was sich jedoch oft in einer verlängerten Stellensuchende ausgesteuert als jüngere. Hin- Stellensuchdauer bemerkbar macht. gegen steigt das Aussteuerungsrisiko mit zuneh- mendem Alter. Dazu wurde das Risiko berechnet, Arbeitsmarktnähe als wichtiger Faktor innerhalb von vier Jahren nach Eröffnung einer für spätere Erwerbsintegration Rahmenfrist von einer Aussteuerung betroffen Neben einer möglichst raschen Wiedereingliede- zu sein. So haben 55- bis 59-Jährige ein doppelt so rung ist die Dauerhaftigkeit des neuen Beschäf- hohes Risiko, innerhalb von vier Jahren nach Eröff- tigungsverhältnisses eine wichtige Zielsetzung nung einer Rahmenfrist ausgesteuert zu werden,
70 60 Anteil mit Beschäftigung (%) 50 40 30 20 10 0 0 6 12 18 24 30 36 42 48 Monate seit Aussteuerung Grafik 5 12 Erwerbstätigkeit nach einer Aussteuerung 30-39 Jahre Die Grafik zeigt die Erwerbstätigenrate in den 48 Mona- ten nach Aussteuerung für verschiedene Altersgruppen. 40-49 Jahre Massgeblich ist das Alter bei Aussteuerung. 50-54 Jahre 2021 Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohorten 2011-2013 (nur 55-59 Jahre Herausforderungen und Chancen Stellensuchende mit Aussteuerung), AMOSA-Gebiet. 60-64 Jahre für ältere Stellensuchende 100 Grafik 6 Individuelle Einkommensverände- 90 rung bei Wiederbeschäftigung Die Grafik zeigt die Verteilung der individuellen Einkommensverän- 80 derungen für Stellensuchende zwi- schen 30 und 60 Jahren. Gemessen 70 wird die Differenz zwischen dem Erwerbseinkommen im zweiten Anteil Stellensuchende (%) Monat nach Wiederbeschäftigung 60 und dem Erwerbseinkommen zwei Monate vor Anmeldung beim RAV. Es wurden nur Personen in die 50 Analyse einbezogen, welche vor und nach der Arbeitslosigkeit einer Beschäftigung nachgingen. 40 Daten: AVAM-AHV, Anmeldekohor- ten 2011-2013, AMOSA-Gebiet 30 20 10 0 30 35 40 45 50 55 60 Alter (in Jahren) Höher > 50% mehr Lesebeispiel 30-50% mehr Bei den 30-Jährigen verdiente rund jede fünfte stellensuchende Person 10-30% mehr Einkommen bei nach ihrer Arbeitslosigkeit mehr +/– 10% als 50 Prozent weniger als vor ihrer Wiederbeschäftigung 10-30% weniger Stellensuche. Bei den 60-Jährigen liegt dieser Anteil bei fast 40 30-50% weniger Prozent. Tiefer >50% weniger
wie 30- bis 39-Jährige. Das erhöhte Aussteue- ter fallen mehr und mehr Stellensuchende in die rungsrisiko von älteren Stellensuchenden unter- Gruppe, deren Einkommenssituation sich relativ streicht deren grössere Schwierigkeiten bei der zu ihrer letzten Erwerbstätigkeit verschlechterte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. ( Grafik 6). Rund ein Drittel der ausgesteuerten Stellensu- chenden finden – unabhängig von ihrem Alter – Grosse Niveauunterschiede zwischen im Monat nach ihrer Aussteuerung wieder eine Er- einzelnen Personengruppen werbstätigkeit ( Grafik 5). Mittel- bis längerfristig Nicht alle Arbeitskräfte sind den gleichen Arbeits- 13 unterscheidet sich jedoch die Erwerbsintegration marktrisiken ausgesetzt. So haben beispielsweise deutlich je nach Alter der ausgesteuerten Person. Personen mit Abschluss auf Sekundarstufe I ein Bei den unter 50-Jährigen stieg der Anteil der Aus- substanziell höheres Risiko, arbeitslos zu werden, gesteuerten mit einer neuen Beschäftigung inner- als Hochqualifizierte und sind im Durchschnitt halb von drei Monaten auf rund 50 Prozent und auch länger auf Stellensuche. Sowohl ein erhöh- innert Jahresfrist auf rund 55 bis 60 Prozent. Bei tes Zugangsrisiko als auch eine längere Suchdau- den 50- bis 59-Jährigen stieg der Anteil der Aus- er weisen auch Personen mit ausländischer Her- gesteuerten, die einer Erwerbstätigkeit nachgin- kunft auf. Ferner ist auch in saisonalen Branchen gen, innert Jahresfrist auf rund 55 Prozent. In den wie beispielsweise dem Gastgewerbe das Zu- darauffolgenden Monaten entwickelte sich die gangsrisiko im Vergleich zu den übrigen Branchen Erwerbstätigkeit in dieser Altersgruppe jedoch deutlich erhöht, allerdings bei einer kürzeren zunehmend rückläufig auf einen Wert von rund durchschnittlichen Stellensuchdauer. Hingegen 45 Prozent vier Jahre nach Aussteuerung. Noch ist das Zugangsrisiko beispielsweise für Arbeits- ausgeprägter ist die Situation bei den 60- bis kräfte aus dem Finanz- und Versicherungsgewer- 64-Jährigen, die deutlich mehr Mühe bekunden, be zwar geringer, allerdings suchen diese Perso- nach einer Aussteuerung noch einmal nachhaltig nen im Schnitt deutlich länger, bis sie wieder eine auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Stelle finden. Detaillierte Analysen bei den verschiedenen Arbeitsmarktbiografien sind sehr individuell Personengruppen zeigen jedoch, dass sich das Erwerbsverläufe sind aufgrund der Vielzahl von beobachtete Altersgefälle tendenziell über alle unterschiedlichen Merkmalen und Konstella Gruppen hinweg beobachten lässt. Allerdings un- tionen sehr individuell. Obwohl die Erwerbsein- terscheiden sich die Gruppen darin, wie stark die- bussen älterer Stellensuchender im Durchschnitt ses Gefälle ausgeprägt ist. Im Verhältnis zu jün- deutlich höher sind als bei jüngeren, kann eine geren Personen sind über 50-Jährige vor allem Stellensuche im Einzelfall auch Aufstiegschancen im Bereich der Informations- und Kommunika bieten. Das erzielte Einkommen vor der Stellen- tionsdienstleistungen, im verarbeitenden Gewer- suche ist dabei ein wichtiger Ankerpunkt für das be sowie im Finanz- und Versicherungsgewerbe Einkommen nach Wiederbeschäftigung. Rund je- überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit der vierte Stellensuchende verdiente an seiner betroffen. Die Gruppenanalysen zeigen insge- neuen Arbeitsstelle sogar über 10 Prozent mehr samt deutlich, dass die erschwerte Situation von als vor der Stellensuche. Für etwas mehr als die älteren Erwerbspersonen auf dem Arbeitsmarkt Hälfte der Stellensuchenden war der Stellen- nicht auf einzelne Branchen, Herkunft, Bildungs- verlust jedoch mit Einkommenseinbussen von gruppen oder Berufe eingeschränkt werden kann. 10 Prozent oder höher verbunden. Diese Einbus- Um den Gegebenheiten und Voraussetzungen sen können die Folge von Lohneinbussen oder von Stellensuchenden möglichst optimal Rech- von tieferen Arbeitspensen sein. Gewinner und nung zu tragen, sollten Massnahmen zur besse- Verlierer sind allerdings nicht gleichmässig über ren Integration von älteren Stellensuchenden die Altersgruppen verteilt. Mit steigendem Al- beim Individuum ansetzen.
14 2021 Herausforderungen und Chancen für ältere Stellensuchende
Kapitel 2 Rekrutierungspraxis im Wandel der Zeit Stellenmarkt und Rekrutierungspraxis 15 im Fluss Der Stellenmarkt befindet sich in einem ste- ten Wandel. Mit dem Strukturwandel der Wirt- schaft verändern sich auch die Anforderungen an das Fachwissen und die Kompetenzen der Arbeitskräfte. Aufgrund von neuen technologi- schen Möglichkeiten verändert sich auch die Art und Weise, wie Unternehmen rekrutieren. Älte- re Arbeitskräfte sind von einem Wandel der Re krutierungspraxis besonders betroffen. Sie bewe- gen sich in der Regel bereits seit vielen Jahren auf dem Arbeitsmarkt – in vielen Fällen sogar über Jahre hinweg beim gleichen Betrieb. Als die heu- te über 50-jährigen Arbeitskräfte in den achtzi- ger Jahren zum ersten Mal in den Arbeitsmarkt einstiegen, waren die Printmedien der dominie- rende Ausschreibungskanal für offene Stellen. Bewerbungsdossiers wurden – häufig noch hand- schriftlich verfasst – per Post an die potenziel- len Arbeitgeber zugestellt. Mit dem Aufkommen des Internets verschoben sich Stellenausschrei- bungen immer mehr in den Onlinebereich. Mit dem technologischen Fortschritt und der zuneh- menden Digitalisierung eröffnen sich heutzutage neue Möglichkeiten in Bezug auf die Nutzung von Rekrutierungskanälen (z. B. über Social Media) und die Ausgestaltung von effizienteren Rekru- tierungsprozessen (z. B. über E-Recruiting-Tools). Diese verlangen von den Betrieben und von den Bewerberinnen und Bewerbern eine gewisse IT- Affinität und digitale Agilität. Stellenanforderungen verändern sich Auch die Stellenanforderungen entwickelten sich über die Zeit weiter. So ist heutzutage die überwie- gende Mehrheit der Inserate geschlechtsneutral formuliert. Vor rund 15 Jahren lag der Anteil von Stellen mit expliziten Geschlechtsangaben noch
16 bei fast einem Viertel. Eine ähnliche Entwicklung Job-Matching: Passen ältere Erwerbs- personen auf moderne Stellenprofile? lässt sich in Bezug auf Altersangaben beobachten. In den fünfziger und sechziger Jahren war es noch Ältere Erwerbspersonen bewegen sich in der Regel bereits seit mehreren Jahr- 2021 gang und gäbe, in Stelleninseraten nach einem zehnten im Arbeitsmarkt. Für sie sind Herausforderungen und Chancen Knaben oder Mädchen zu suchen. Heute spielt das die sich ändernden Anforderungsprofile für ältere Stellensuchende Alter in Stelleninseraten eine nebensächliche Rol- in Stellenanzeigen deshalb besonders le. So wurden im Schnitt in den letzten fünf Jahren sichtbar. Wie gut passen die Profile von älteren Erwerbspersonen auf die bei knapp vier Prozent der ausgeschriebenen Stel- Kompetenzprofile in Stellenanzeigen? len über 50-jährige Bewerberinnen und Bewer- Bereits in den 80er-Jahren wurden ber aufgrund von Altersangaben im Inserat ausge- zuverlässige, selbständige, verant- schlossen. In der Phase zwischen 2006 und 2014 wortungsbewusste, dynamische und flexible Mitarbeitende gesucht. In den lag dieser Anteil mit über acht Prozent noch mehr 2010er Jahren kamen Attribute wie als doppelt so hoch. Dieser Rückgang hat sicher- Teamorientierung, Motivation, Belast- lich auch mit der gestiegenen gesellschaftlichen barkeit, Engagement und Kommunika- Sensibilität gegenüber dem Thema Diskriminie- tionsfähigkeiten hinzu ( Grafik 8). Aus Sicht der Arbeitgeber erfüllen ältere rung zu tun. Dies bedeutet aber nicht, dass das Ge- Erwerbspersonen die neuen Anforde- schlecht oder das Alter bei der Rekrutierung keine rungen in Bezug auf diese Softfaktoren Rolle mehr spielen würden. So spielt Diversity Ma- sehr gut. Einzig in Bezug auf ihre Flexibi- nagement in vielen Betrieben heute eine wichtige lität und Lernbereitschaft werden jün- gere Personen etwas positiver beurteilt. Rolle, um die personelle und kulturelle Vielfalt in Hingegen werden ältere Erwerbsperso- der Gesellschaft für eine möglichst passende Be- nen in Bezug auf ihre Leistungsbereit- legschaftsstruktur zu nutzen. schaft, Arbeitsmotivation und Kom- munikationsfähigkeiten sogar etwas stärker eingeschätzt als die jüngeren. Neue Kompetenzanforderungen Auch werden ältere Erwerbspersonen Neben Fachwissen werden in Stelleninseraten als mindestens so teamorientiert und heute meist auch diverse persönliche und so belastbar eingestuft wie jüngere ( Ka- ziale Kompetenzen gefordert. Das Anforderungs- pitel 4). Die veränderten Anforderungen an die Softfaktoren in Stellenanzeigen profil an Arbeitnehmende hat sich dabei über die scheinen somit nicht mit besonderen Zeit stark gewandelt ( Grafik 7). Suchten die Un- Benachteiligungen für ältere Stellenbe- ternehmen in den Achtzigern vornehmlich nach werbende verbunden zu sein. selbständigen, vielseitigen, jungen, zuverlässi- gen, freundlichen und tüchtigen Arbeitskräften, so sind die Wunschkandidatinnen und -kandida- ten der Arbeitgeber heute selbständige, flexible, teamfähige und motivierte Persönlichkeiten, die gleichzeitig auch kommunikativ, belastbar und verantwortungsbewusst sind. In den Achtzigern waren im Bereich der persönli- chen Kompetenzen vor allem Selbstkompetenzen,
Persönliche Selbstkompetenzen Kompetenzen Kreativität Verhaltenskompetenzen Belastbarkeit Gewissenhaftigkeit Auftrittskompetenzen Flexibilität Motivation Werthaltungen Leistungsorientierung 1980er 17 vielseitig Qualitäts- Praxis- freundlich orientierung orientierung tüchtig initiativ einsatzfreudig Kunden- Ergebnis- zuverlässig orientierung orientierung selbständig verantwortungsbewusst dynamisch Zukunfts- Verkaufs- orientierung orientierung flexibel teamorientiert motiviert Soziale Teamfähigkeit belastbar Kompetenzen engagiert kommunikativ Kommunikations- Vernetzungs- fähigkeit fähigkeit 2010er Konflikt- Verhandlungs- fähigkeit fähigkeit Grafik 8 Softfaktoren in Stelleninseraten Die Grafik zeigt die zehn häufigsten Durchsetzungs- persönlichen Attribute (Softfaktoren) Empathie fähigkeit in Stellenanzeigen der 1980er-Jahre und der 2010er-Jahre. Daten: Inseratetexte des Stellenmarkt- monitors, 1980-2019, AMOSA-Gebiet. Grafik 7 Wandel der Kompetenzanforderungen Die Grafik zeigt die Häufigkeit von Kompetenzanforderungen in Stelleninsera- ten und ihre Entwicklung über die Zeit. Daten: Inseratetexte des Stellenmarktmonitors, 1980-2019, AMOSA-Gebiet. 1980er 1990er 2000er 2010er
18 Verhaltenskompetenzen und Gewissenhaftigkeit Sourcing-Plattformen wie beispielsweise LinkedIn gefordert. Über die Jahre haben sich die Kompe- oder Xing zeigen sich deutliche Unterschiede zwi- tenzanforderungen immer mehr Richtung Flexi- schen national und international tätigen Firmen. 2021 bilität und Motivation verschoben. Teamfähigkeit Nur gerade 14 Prozent der national ausgerichte- Herausforderungen und Chancen ist eine soziale Kompetenz, die früher und heute ten Firmen nutzen diese Rekrutierungskanäle, für ältere Stellensuchende gleichermassen gefordert wird. Heute sind wei- während es bei den internationalen Firmen im- tere Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, merhin 38 Prozent sind. Gedruckte Stelleninserate Vernetzungsfähigkeit oder Durchsetzungsfähig- spielen nur noch eine marginale Rolle. keit hinzugekommen. Bei der Wertorientierung Ein Vergleich mit den Suchkanälen der Stellen- stand früher vor allem die Leistungsorientierung suchenden zeigt, dass Arbeitgeber und Stellensu- im Vordergrund. Gesucht wurden häufig tüchtige, chende auf den gleichen Kanälen aktiv sind. Die einsatzfreudige oder speditive Mitarbeitende. Die meisten Stellensuchenden nutzen – wie auch die Leistungsorientierung bleibt bis heute eine wichti- Arbeitgeber – verschiedene Suchkanäle. Besonders ge Komponente in Stellenanzeigen, allerdings ent- häufig werden Online-Jobportale, Firmenwebsi- wickelten sich eine hohe Kunden- oder Dienstleis- tes und Angebote der RAV genutzt, Social-Media- tungsorientierung sowie Ergebnisorientierung zu Netzwerke und Active-Sourcing-Plattformen hin- ebenso wichtigen Wertehaltungen. gegen noch relativ selten. In der AMOSA-Befragung der Stellensuchenden fällt auf, dass Stellensuchen- Arbeitgeber und Stellensuchende de mit zunehmendem Alter den Fokus weniger auf nutzen die gleichen Kanäle Online-Bewerbungskanäle legen. So nutzen jün- Die von AMOSA befragten Arbeitgeber nutzen vor gere Stellensuchende insbesondere Social-Media allem die eigene Website und Online-Jobporta- Netzwerke und Firmenwebsites stärker, als dies äl- le um ihre Vakanzen auszuschreiben ( Grafik 9). tere tun. Ältere Stellensuchende suchen hingegen Häufig nahmen sie auch die Vermittlungsdienst- häufiger über gedruckte Anzeigen und über die re- leistungen der RAV in Anspruch. Dies ist nicht gionalen Arbeitsvermittlungszentren nach offenen überraschend, zumal die Befragung bei Betrieben Stellen. Da ältere Erwerbspersonen im Verlauf ih- durchgeführt wurde, die bereits in der Vergangen- rer Erwerbskarriere häufig ein breites berufliches heit eine Zusammenarbeit mit dem RAV pfleg- Netzwerk aufbauen, könnte eine verstärkte Nut- ten. Über die Hälfte der Firmen gaben auch an, zung des persönlichen Kontaktnetzwerks für ältere das persönliche Netzwerk – sei es das eigene Be- Stellensuchende eine Chance sein, um mit poten- ziehungsnetz oder das der Mitarbeitenden – zur ziellen Arbeitgebern in Kontakt zu kommen, zumal Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden zu akti- auch die Arbeitgeber häufig auf das persönliche vieren. Ähnlich oft werden auch Spontanbewer- Kontaktnetzwerk vertrauen. bungen in Betracht gezogen. Interne Stellenrota- tionen stellen vor allem bei international tätigen Hohe Bildungsanforderungen als Unternehmen einen weiteren wichtigen Kanal zur Herausforderung für Stellensuchende Besetzung von Vakanzen dar. Rund ein Drittel der Eine Stellensuche ist immer auch ein Wettbe- Unternehmen gaben an, über soziale Onlinenetz- werb, bei dem sich mehrere Stellensuchende um werke zu rekrutieren. Bei den sogenannten Active- eine Stelle bewerben. Jeder und jede Stellensu-
100 90 80 70 60 Nutzung (%) 50 40 30 20 10 0 Gedruckte Social Active Private Spontan- Persönliches RAV Online- Firmen- Anzeigen Media Sourcing Stellenvermittler bewerbungen Netzwerk Jobportale Website Grafik 9 Rekrutierungskanäle der Arbeitgeber Lesebeispiel Rekrutierungskanäle und Suchkanäle der Stellensuchenden 38 Prozent der international tätigen Unternehmen re- International tätige Firmen Die Grafik zeigt die Nutzung der Such- spektive 14 Prozent der national tätigen Unternehmen nutzen Active-Sourcing-Plattformen (z. B. LinkedIn, National tätige Firmen kanäle der Stellensuchenden und die Nutzung der Rekrutierungskanäle der Xing) für die Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden. Arbeitgeber. Seitens der Stellensuchenden gaben 37 Prozent der Suchkanäle unter 50-jährigen und 30 Prozent der über 50-jährigen Daten: AMOSA-Befragung der Stellen- Unter 50-jährige Stellensuchende Stellensuchenden an, über diesen Kanal nach geeigne- suchenden und der Arbeitgeber, März ten Vakanzen zu suchen. Über 50-jährige Stellensuchende und August 2020. Stellensuchende versus Stellenmarkt Grafik 10 Berufsprofile der Stellensuchenden und der offenen Stellen Hilfsarbeitskräfte Die Grafik zeigt die Verteilung der beruflichen Profile von über 50-jährigen Stellensuchenden (letzter Beruf) im Vergleich zu den geforderten Berufsprofilen in DL-Berufe/Verkäufer Stellenanzeigen. Daten: Stellenmarktmonitor, 2019; SECO/AVAM Anmel- dekohorte 2019, AMOSA-Gebiet. Bürokräfte uvB Lesebeispiel 21 Prozent aller über 50-jährigen Stellensuchenden waren zuletzt als Hilfsarbeitskraft tätig. Hingegen war Handwerksberufe uvB nur 1 Prozent aller Stelleninserate für Hilfsarbeitskräfte ausgeschrieben. Umgekehrt betreffen 30 Prozent aller Stelleninserate einen intellektuellen oder wissenschaft- lichen Beruf, wohingegen nur gerade 12 Prozent der Techniker und äqivalente Berufe über 50-Jährigen Stellensuchenden vor ihrer Stellen suche einen solchen Beruf ausübten. Stellensuchende (über 50-jährige) Intellektuelle und wissenschaftliche Berufe Stellenmarkt Führungskräfte Anlagen-/Maschinenbediener Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft 30 20 10 (%) 10 20 30
20 chende bringt Kompetenzen und Eigenschaften Berufe. Das sind Berufe, die eine postsekundäre mit, die im Selektionsprozess gegeneinander ab- Bildung oder eine höhere Berufsbildung voraus- gewogen werden. Ältere Stellensuchende weisen setzen. Darunter fallen beispielsweise Pflegebe- 2021 in der Regel eine längere Berufserfahrung auf als rufe, Informations- und Kommunikationstechni- Herausforderungen und Chancen jüngere, konnten eventuell schon wichtige Füh- ker, Bauführer oder Elektrotechniker. Im Vergleich für ältere Stellensuchende rungserfahrungen machen oder haben sich in ih- zwischen den gesuchten und den vorhandenen rer bisherigen Erwerbsbiografie wichtiges Spezial- Berufsprofilen von Betroffenen zeigt sich, dass wissen aneignen können. Jüngere Bewerberinnen Stellensuchende – unabhängig von ihrem Alter – und Bewerber verfügen hingegen möglicherweise in Bezug auf ihre Chancen im Stellenmarkt beson- über aktuellere Fach- und Berufskenntnisse, weil ders gefordert sind, da sie häufig die geforderten ihre Ausbildung weniger lang zurückliegt. Ein op- Bildungsvoraussetzungen nicht erfüllen. timaler Match ist letztlich immer ein Abwägen zwischen zwingenden Erfordernissen – wie bei- Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft spielsweise bestimmte Bildungsnachweise oder als zentrale Selektionsfaktoren spezifische Berufsausbildungen – und einer guten Die Art und Weise, wie Unternehmen rekrutieren, Passung auf der zwischenmenschlichen Ebene. verändert sich stark. Digitale Rekrutierungstools Ein wichtiges Selektionskriterium ist der beruf- oder spezielle Bewerbungsmanagement-Software liche Hintergrund eines Bewerbers oder einer Be- unterstützen heute in vielen Betrieben den Rekru- werberin. AMOSA untersuchte, wie gut der be- tierungsprozess. Solche Tools können beispiels- rufliche Hintergrund von jüngeren und älteren weise dazu genutzt werden, Bewerbungen, wel- Stellensuchenden mit den ausgeschriebenen Stel- che die zwingenden Stellenanforderungen nicht len übereinstimmt ( Grafik 10). Auffällig ist vor erfüllen, bereits in einer Vorselektion auszufiltern. allem der hohe Anteil von Stellensuchenden in Solche Selektionstechnologien stehen immer wie- Hilfsberufen: Von den über 50-jährigen Stellen- der öffentlich in der Kritik wegen der mit diesen suchenden, die sich im Jahr 2019 bei einem RAV maschinell lernenden Algorithmen verbundenen anmeldeten, arbeitete rund jeder Fünfte zuvor als Diskriminierungsgefahr. Bei den von AMOSA be- Hilfsarbeitskraft. Auf dem Stellenmarkt sind Stel- fragten Unternehmen sind solche digitalen Selek- len für Hilfsarbeitskräfte hingegen nur selten aus- tionstools noch nicht Standard. Bei kleineren und geschrieben. Gefragt sind hingegen vor allem wis- mittleren Betrieben ist der Einsatz solcher Tech- sens- und bildungsintensive Berufsprofile. Bei fast nologien noch eher eine Ausnahme. Knapp jeder einem Drittel der ausgeschriebenen Stellen such- fünfte Betrieb gibt an, solche Tools zur Vorselekti- ten die Unternehmen nach intellektuellen oder on von Kandidatinnen und Kandidaten zu nutzen. wissenschaftlichen Fachkräften und Spezialisten. Bei Grossbetrieben mit mehr als 250 Mitarbeiten- Das sind beispielsweise Natur-, Sozial- oder Wirt- den stützt sich rund jeder dritte befragte Betrieb schaftswissenschaftler, Informatikfachleute, Ge- auf eine solche Technologie. sundheitsspezialisten oder Lehrkräfte – also Be- Hingegen zeigt sich, dass die befragten Betrie- rufe, die einen Hochschulabschluss voraussetzen. be bei der Beurteilung ihrer Kandidatinnen und Ein knappes Viertel der Stelleninserate bezog sich Kandidaten einen grossen Wert auf Softskills le- auf Techniker oder äquivalente nichttechnische gen. Gefragt nach den wichtigsten Beurteilungs-
kriterien bei ihrer letzten Rekrutierung, schätzen Altersgrenze 50 als unsichtbare Barriere? 21 die Personalrekrutierenden eine hohe Motivation, Wie lange ist man jung und ab wann ist man eigentlich alt? Leistungsbereitschaft und ein hohes Verantwor- Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den Be- ginn des Alters ab dem 60. bis 65. Lebensjahr. Eine rein chro- tungsbewusstsein noch vor allen übrigen Beurtei- nologische Definition von Alter greift jedoch in der Regel zu lungskriterien als sehr relevant ein. Auch Softskills kurz. Oft hört man auch die Interpretation «Man ist so alt, wie Teamfähigkeit, Belastbarkeit und eine hohe wie man sich fühlt», was die hohe Individualität beim Äl- Lernbereitschaft werden von den Betrieben als terwerden betont. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der medialen Berichterstattung gilt oft die Altersgrenze sehr wichtig eingeschätzt – noch vor der berufli- von 50 Jahren als unsichtbare Barriere für eine erfolgreiche chen Erfahrung oder dem Bildungsabschluss. Mit und rasche Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Doch spie- Ausnahme der Lernbereitschaft schätzten die be- gelt sich diese konstruierte Grenze auch in der Realität des fragten Unternehmen über 50-Jährige in allen Ka- Arbeits- und Stellenmarktes wider? Aus Sicht des Stellenmarktes ist das Alter von 50 Jahren tegorien als überdurchschnittlich stark ein im Ver- keine besonders relevante Schwelle. Sofern Stelleninserate gleich mit Jüngeren ( Kapitel 4). überhaupt Altersobergrenzen oder Altersbandbreiten ent- halten, wird die Obergrenze viel häufiger bei 30, 35, 40 oder 45 Jahren gesetzt. Auch aus der Sicht der Arbeitsmarktbe- hörden gelten keine einheitlichen Schwellenwerte in Bezug auf das Alter. So können gewisse arbeitsmarktliche Mass- nahmen erst ab einem Alter von 50 Jahren besucht werden. Für einen längeren Leistungsbezug wurde hingegen eine Altersgrenze von 55 Jahren gesetzt. Für die im Lauf des Jah- res 2021 in Kraft tretenden Überbrückungsleistungen für ausgesteuerte Personen ist wiederum die Altersgrenze von 60 Jahren massgebend. Was zeigen die Auswertungen von AMOSA dazu? Aus den Resultaten wird deutlich, dass Stellensuchende mit zu- nehmendem Alter mehr Mühe bekunden, sich nach einer Arbeitslosigkeit wieder erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die verminderten Chancen auf dem Arbeits- markt können allerdings nicht an einer bestimmten Alters- grenze festgemacht werden. So werden häufig bereits ab einem Alter von 35 bis 40 Jahren längerfristige Erwerbs- einbussen beobachtet, die sich mit steigendem Alter stetig akzentuieren. Die Frage, ab wann eine Erwerbsperson als älter gilt, kann also nicht generell beantwortet werden und ist stark kontextabhängig. Massnahmen zur besseren Inte- gration von Stellensuchenden sollten sich deshalb nicht einseitig an fixen Altersgrenzen orientieren, sondern die individuelle Situation der stellensuchenden Person mit- berücksichtigen.
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